Die schwebende Zitadelle - David Hair - E-Book
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Die schwebende Zitadelle E-Book

David Hair

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Beschreibung

Ein finsteres Imperium. Unberechenbare Magie.Und das Erbe eines legendären Volks, dessen Artefakte im Verborgenen lauern.Dash Cowley, einst Imperialer Magier, muss aus dem Reich der Bolgravianer fliehen, als seine Familie in Ungnade fällt. Doch das tyrannische Imperium sucht ihn unablässig. Als Dash eine mysteriöse Karte in die Hände fällt, die einen magischen Ort außerhalb der bekannten Länder zeigt, sieht er seine Chance, sich dem Imperium entgegenzustellen. Die Karte zeigt eine Mine, in der sich Istariol verbirgt – ein seltenes Mineral, das ganze Städte zum Schweben bringen kann. Doch der Weg dorthin ist unerbittlich …

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Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Decker

© David Hair 2020

Titel der englischen Originalausgabe:

»Map’s Edge«, Jo Fletcher Books, London 2020

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Karte: Nicola Howell Hawley

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München nach einem Entwurf von Rory Kee

Coverabbildung: Rory Kee unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Die Karte … und ihr Rand

Teil 1

JENSEITS DES IMPERIUMS

EINS

Öffne nach Einbruch der Dunkelheit niemals die Tür

ZWEI

Wer kommt mit mir?

DREI

Falkenstein

VIER

Die Verwilderten

FÜNF

Durch den Rath

SECHS

Krankheit

SIEBEN

Die Eisbucht

ACHT

Kanonen und Kugeln

Teil 2

DER VERBORGENE FLUSS

EINS

Der glücklichste Scheißkerl von ganz Shamaya

ZWEI

Vergeltung

DREI

Der Eisfluss

VIER

Eis in Flammen

Teil 3

URALT UND UNVERGÄNGLICH

EINS

Poumahi

ZWEI

Der Badeteich

DREI

Auf der anderen Seite der Schlucht

VIER

Auf der Brücke

FÜNF

Das wie verrückt pochende Herz

EPILOG

Auf der anderen Seite der Brücke

DANKSAGUNG

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Gewidmet allen Beschäftigten im Gesundheitswesen und den unentbehrlichen Dienstleistern auf der ganzen Welt (und insbesondere meiner Schwester Robyn, der Krankenschwester). Während ich diese Zeilen schreibe, kämpfen sie dafür, während der Covid-19-Pandemie die Versorgung für uns alle aufrechtzuerhalten. Wir wissen euren Mut und eure Menschlichkeit zutiefst zu schätzen, das gilt an erster Stelle für meine Mama, die sich während dieser nervenaufreibenden Zeit einer schweren Operation unterziehen musste und sie gut überstanden hat. Wir danken euch allen.

Teil 1

JENSEITS DES IMPERIUMS

EINS

Öffne nach Einbruch der Dunkelheit niemals die Tür

Das laute Donnern des Panzerhandschuhs an der Tür riss Dash Cowley aus seinen Träumen. Sofort erfüllten ihn Erinnerungen an eine andere Nacht, in der stählerne Fäuste sein Leben zerstört hatten. Einen Augenblick lang war er wieder in der Vergangenheit, als Tore aufgestoßen wurden und Schreie die Luft zerrissen …

Dann war er wach und blickte sich wild im Dämmerlicht der Hütte um, blinzelte die Erinnerungen fort. Aber die Faust hämmerte weiter, und jetzt gesellte sich eine raue Stimme dazu: »He, Physicus! Aufwachen!«

»Vater?«, rief Zar mit zittriger Stimme vom Dachboden herunter.

»Pst!«, zischte Dash. Er spähte zur Tür. Hinter den Spalten in den Wänden der primitiven Blockhütte flackerte Fackelschein. Bis zur Morgendämmerung würden noch Stunden vergehen. Die Kiefern ächzten im Wind, etwa eine Meile entfernt krachten die Wellen gegen die Küste.

Niemand kommt zu dieser Stunde her. Damit boten sich zwar Hunderte mögliche Erklärungen für das Klopfen an der Tür an, doch alle waren unheilvoll. »Lass dich bloß nicht sehen«, zischte Dash Zar zu, während er sich seine Kleider überwarf. »Lass den Vorhang zugezogen.«

»He, aufwachen!«, brüllte die Stimme von draußen erneut.

»Ich komme ja schon.«

Wenige Stunden nach Dashs Ankunft in Teshveld, diesem von Garda verlassenen Dorf an der Küste, hatte man ihn gewarnt, nach Einbruch der Dunkelheit niemals die Tür zu öffnen. Er vergewisserte sich, dass der Türbalken richtig eingehakt war. »Wer ist da?«, rief er.

»Gravis. Aus der Schenke. Ich habe Edelmänner bei mir, sie brauchen einen Physicus.«

»Was?« In Teshveld gab es keine Edelmänner. Aber es war unzweifelhaft Gravis’ Stimme.

Eine kalte Männerstimme mit einem unverkennbaren bolgravianischen Akzent ertönte. »Mach Tür auf, oder wir sie schlagen ein, verstanden?« Die Stimme war tief, in jeder Silbe lag eine schwerfällige Autorität.

Scheiße, was hat ein Bolgravianer hier zu suchen?

Zar steckte das blasse Gesicht durch den Vorhangspalt. Dash seufzte. Zieh den verdammten Vorhang zu. Dann öffnete er die Tür, bevor diese tatsächlich noch eingeschlagen wurde.

Eine Faust im Panzerhandschuh kam ihm entgegen und verharrte einen Zoll vor seiner Nase. Dash spähte daran vorbei und sah einen großen, robusten Mann mit ergrauendem Haar und einem Bart wie aus Stahlwolle. Allem Anschein nach ein Ranger aus Norgania in den Vierzigern oder Fünfzigern. Seine hellblauen Augen weiteten sich, aber er senkte die geballte Faust keineswegs, während er Dash musterte.

Der Norganianer erschien nicht beeindruckt, was auch verständlich war. Dash war sich durchaus bewusst, dass er keine heldenhafte Gestalt bot – nur einen schlanken Mann in den Dreißigern mit einem stechenden Blick, schwarzem Haar, das die ersten Spuren von Grau zeigte, und einer Hakennase. Bei gutem Licht wäre er einigermaßen ansehnlich gewesen, aber im Augenblick war sein Haar zerzaust und das Kinn stoppelig.

»Das ist er, unser Physicus«, überschlugen sich Gravis’ Worte. Die flackernde Fackel in seiner Faust tauchte alle in rötliches Licht. »Dash Cowley, so heißt er. Kam vor vier Monaten her. Der erste vernünftige Heiler, den wir seit Jahren haben.«

»Cowley«, wiederholte die bolgravianische Stimme gedehnt. Sie gehörte einem Mann im Gewand eines Adligen, der hinter dem Norganianer stand. Er war glatt rasiert und elegant, hatte eine blonde Haarmähne und einen hochmütigen Ausdruck im Gesicht. Sein heller Umhang war mit einem Kragen aus blauem Fuchsfell besetzt, ausgesprochen nobel, aber in diesem abgeschiedenen Küstenkaff völlig fehl am Platz. Dennoch vermittelte seine Kleidung den Eindruck, dass er sie schon lange am Leib trug, als wäre er bereits seit langer Zeit auf der Reise. »Du behandeln kranken Freund, verstanden?«, befahl er.

Ehrlich gesagt würde ich dir lieber deinen bolgravianischen Hals durchschneiden, als mich um deinen verdammten Freund zu kümmern, dachte Dash. Aber der Bolgravianer hatte außer dem Norganianer drei weitere Soldaten dabei. Dash schloss aus den konischen Helmen und langen Steinschlossmusketen, die von ihren Schultern hingen, dass es Landsleute des Bolgravianers waren. Einer war ein Sergeant, die anderen beiden schleppten eine Trage mit einem verhüllten Bündel. Atemwolken umgaben sie. Über ihren Köpfen schimmerten Planetenringe am Firmament, die silbrigen Lichtbänder teilten den Himmel wie die Klingen eines Himmelsgottes.

Kragga, der Bolgravianer ist vermutlich ein Lord … aber was hat er in dieser Einöde zu suchen?

»Hier ist der Physicus, genau wie ich gesagt habe, mein Lord«, säuselte Gravis. Er hielt seine Mütze in der Hand. »Es ist eine kalte Nacht und ein langer Weg.«

»Sergeant, bezahl ihn«, fauchte der Bolgravianer. »Du, Physicus Cowley, wo du herkommen?«

»Ich bin Otravianer«, sagte Dash wahrheitsgemäß. Seine Nase verriet das sowieso. »Meine Honorarsätze sind …«

»Wir zahlen, wie du arbeiten, was du am Ende verdienen, ney?«, knurrte der Mann. Er stieß Dash zur Seite und betrat die Hütte. Sein Blick huschte zu dem Vorhang, der den Raum vom Dachboden abtrennte. »Was da oben?« Als Dash zögerte, fügte er hinzu: »Ich lassen sowieso durchsuchen von meinen Männern, also sag schon.«

»Mein, äh, Kind«, gestand Dash ein. »Zar, zeig dich.«

Sie schob ihre sommersprossigen Wangen mit weit aufgerissenen Augen durch den Vorhangspalt.

»Ah, junges Mädchen, yuz?«, schnurrte der Bolgravianer. »Du, Mädchen, runterkommen.«

Dash knirschte mit den Zähnen. »Zieh dich zuerst an«, rief er. Wenn dieser Bastard sie misshandelte …

Aber die beste Chance, die Bolgravianer wieder loszuwerden, bestand darin, so schnell wie möglich ihren Wunsch zu erfüllen, also zündete Dash eine Öllampe an und räumte hastig den Tisch frei. Dann trat er zurück, während die Soldaten die Trage auf den Tisch wuchteten. Darauf lag ein dicker rothaariger Mann mit gerötetem Gesicht, der stark schwitzte und nach Pisse und Fäkalien stank. Blutdurchtränkte, schlecht gewickelte Verbände bedeckten seine rechte Seite.

»Was ist mit ihm passiert?«, wollte Dash wissen und fragte sich, ob man den Mann überhaupt unbeschadet anfassen konnte. »Äh, mein Lord …?«

»Lord Vorei Gospodoi, das sein ich. Du sprechen Bolgravianisch? Wäre einfacher.«

In der Tat sprach Dash etwas Bolgravianisch, aber das würde er sicher nicht zugeben. »Nur Magnianisch, mein Lord.«

Der Bolgravianer grunzte ärgerlich. Sein Blick richtete sich auf Zar. Das dürre Mädchen kletterte, in ein Jungenhemd und Hose gekleidet, die Leiter nach unten. Gospodoi vertrat ihr den Weg zu Dash und ignorierte ihr Zusammenzucken, als er ihre Wange streichelte. »Hm. Weich wie alle Otravianer, ney? Dein Name, Mädchen?«

»Sie wird Zarelda gerufen«, antwortete Dash für sie. »Sie ist meine Krankenhelferin. Um diesen Mann zu behandeln, brauche ich ihre Hilfe.«

Gospodoi zeigte ein kaltes Lächeln, gestattete dem Mädchen aber dann, an ihm vorbeizuflitzen.

»Cowley, du werden Mann heilen oder dir und Tochter passieren Schlimmes.«

Verfluchte Bolgravianer. Wir haben einen ganzen Kontinent durchquert, um Arschlöchern wie dir zu entkommen.

»Ich werde mein Bestes tun«, antwortete Dash, »aber ich muss wissen, was ihm fehlt.«

»Dieser Mann haben unbekannte Krankheit aus dem Nordwesten.«

»Dem Nordwesten? Aber dort gibt es nichts außer …«

Gospodoi fixierte ihn mit einem frostigen Blick. »Ich dir das sagen, du für dich behalten, ney? Er wurden krank an Ort jenseits der Meerenge, heißen Verdessa.«

Das neu entdeckte Land? Gerüchten zufolge gab es dort nichts außer einem schmalen, steinigen Strand unter den Eisklippen, andererseits hatte das bolgravianische Imperium gerade erst angefangen, sich dort umzusehen. In Dash regte sich widerstrebendes Interesse. »Verdessa. Davon habe ich gehört.«

»Neuer Ort.« Gospodoi grinste hämisch. »Alle neuen Orte werden von Bolgravianern entdeckt. Wir die größte Nation, erobern ganz Shamaya, yuz. Entdecken, ausbreiten, ausbeuten. Ganz egal, wohin du auch gehen, Otravianer, und welche Frauen du auch finden, die Bolgravianer hatten sie zuerst.« Er kicherte, dann zeigte er mit dem Finger auf den Kranken. »Dieser Mann sein Kartomagiker. Du wissen, was Kartomagiker sein?«

Heilige Garda! »Ja, ich weiß, was ein Kartomagiker ist«, gab Dash zu.

»Du gebildeter Mann, das gut. Also du ihn retten, yuz?«

»Ich werde mein Bestes tun.«

»Das du werden«, stimmte Gospodoi ihm zu, »oder ich brechen dir Hände … und vielleicht auch hübscher Tochter?«

Bei diesem Bolgravianer war jeder zweite Satz eine Drohung. »Wie lange ist er schon krank?«

»Zwei Wochen.«

»So lange? Gab es niemanden in Verdessa oder Sommahafen, der ihn heilen konnte?«

Gospodoi wollte antworten, aber die Mühe, alles richtig ins Magnianische übersetzen zu müssen, war ihm zu lästig. Also warf er dem Norganianer einen finsteren Blick zu. »Du erklären es, Vidarsohn.«

Der Norganianer ergriff das Wort: »Ich bin Vidar Vidarsohn. Der Kartomagiker ist ein Ferreaner namens Lyam Perhan. Er wurde am Rand des Eisherzes krank, im Norden Verdessas. Wir hatten den größten Teil unserer Arbeit erledigt, also sind wir zur Küste gereist, und dort schien es ihm wieder besser zu gehen. Wir segelten nach Süden in Richtung Sommahafen. Aber kurz nach der Abreise aus Sommahafen verschlechterte sich sein Zustand. Teshveld ist das erste Dorf, das wir an dieser Straße gefunden haben.«

»Yuz, es sein genauso, wie Vidarsohn gesagt haben«, mischte sich Gospodoi ein. »Du behandeln Perhan, machen ihn gesund.« Er streichelte über Zars Haare. Dann drehte er sich auf dem Absatz um. »Vidarsohn, du bleiben und passen mit meinen Männern auf. Ich bleiben in Schenke.«

Klar wirst du das, dachte Dash mürrisch, und vermutlich trinkst du ihren besten Grog und bezahlst nicht. Aber das war das Problem von Gravis, dem Schankwirt. Dash hingegen musste diesen Kartomagiker irgendwie retten.

Lord Gospodoi ging, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Dash wandte sich an Zar und gab ihr eine Reihe Anweisungen: Er brauchte gekochtes Wasser, Betäubungsmittel sowie die Kräuterpackungen, die er für den nächsten Ausbruch der Slaanfliege vorbereitet hatte. Die bolgravianischen Soldaten machten es sich draußen gemütlich, pinkelten gegen die Rückwand der Hütte und stahlen Dashs Feuerholz.

Der norganianische Ranger setzte sich an Dashs Tisch und schnupperte an dessen Weinkrug. »Rotwein aus Rannock?« Er schenkte sich einen Becher ein. »Habt Ihr den aus der Heimat mitgebracht?«

Fragen waren unwillkommen, genau wie die Tatsache, dass jemand Dashs Wein stahl, aber der Norganianer war ein Hüne, der gewalttätig aussah, also begrenzte er seine Reaktion auf Sarkasmus. »Ich habe ihn gekauft, Vidarsohn.«

»Nennt mich Vidar«, grollte der Ranger. Seine Züge waren zerklüftet, an seiner rechten Schläfe pochte eine Ader. »Was macht ein otravianischer Heiler in diesem von Garda verlassenen Loch?«

»Das frage ich mich jeden Tag. Aber wie jeder Physicus habe ich einen Eid geleistet, Krankheiten zu heilen, wo ich sie finde.«

»Die meisten Heiler, die mir begegnet sind, wurden eher von Münzen als von Eiden motiviert«, grunzte Vidar. »Und die meisten Männer, die in einer solchen Scheißhütte hausen, tun das, weil sie nicht gefunden werden wollen.«

»Und ich wette, die meisten davon wollen auch nicht darüber reden«, bemerkte Dash. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, kümmere ich mich jetzt um Euren bolgravianischen Freund, den Kartomagiker, damit ich meine Hände retten kann.«

»Er ist kein Freund.« Vidar trank von dem Wein. Er wischte sich den Mund ab. »Ein guter Tropfen.«

»Wie schön«, meinte Dash. »Und warum kümmert sich ein Norganianer um einen Haufen Bolgravianer?«

»Weil ich gern imperiale Silbermünzen in meinem Geldbeutel habe«, sagte Vidar. »Und sie sind der einzige Arbeitgeber in der Gegend.«

»Ihr habt sie durch Verdessa geführt? Was gibt es schon in dieser Einöde?«

»Das geht Euch nichts an, Heiler. Kümmert Euch um Eure Arbeit, und ich leiste Eurem Wein Gesellschaft.«

Dash schäumte innerlich, aber er und Zar machten sich ans Werk. Sie entfernten die Kleidung des Kartomagikers, trennten die schmutzigen Verbände auf und enthüllten die Wunde. Aus einer verschorften Einstichstelle sickerte eine übel riechende Flüssigkeit. Das ist keine Krankheit, dachte Dash, der sich zusammenreißen musste, um bei dem Gestank nicht zu würgen.

»Ich habe noch nie erlebt, dass ein Heiler bei einem üblen Geruch kotzen will«, bemerkte Vidar aufmerksam.

»Ich habe eine empfindsame Nase«, erwiderte Dash. »Zar, Duftkräuter.«

»Vielleicht seid Ihr aber auch nur ein lausiger Heiler.« Vidar schnaubte. »Oder ein Hochstapler.«

Das lag zu nah an der Wahrheit, aber Dash verzog keine Miene. »Was ist ihm zugestoßen?«

»Stürzte durch eine Eisschicht auf einen darunter verborgenen Ast. In der Wildnis war er zu nichts zu gebrauchen. Ich musste ihn während der ganzen Reise an die Hand nehmen. Vermutlich sind verrottende Splitter in der Wunde.«

Dash drückte an der Verletzung herum, dann nickte er. »Es hat sich entzündet. Sein Blut ist vergiftet. Allein die Verkrustung des Fleisches verhindert, dass sich das vergiftete Gewebe in seinem Körper ausbreitet und ihn umbringt. Zar, was schlägst du vor?«

Die fünfzehnjährige Zar hatte in Anbetracht der stinkenden Verletzung entsetzt das Gesicht verzogen, aber sie brachte eine verständliche Antwort zustande: »Wir waschen die Wunde aus, reinigen sie, kauterisieren, dann legen wir eine Kräuterpackung darauf.«

»Gut«, sagte Dash zufrieden. »Aber betrachte seinen allgemeinen Zustand und wie er schwitzt. Was glaubst du, übersteht er das Kauterisieren? Und was ist mit der Betäubung?«

Zar dachte nach, und sie gingen ein paar Möglichkeiten durch, dann machten sie sich an die Arbeit. Zar warf Vidar einen Seitenblick zu. Leise fragte sie: »Was ist ein Kartomagiker, Vater?«

Dash schüttelte den Kopf, aber der Norganianer schaute auf. »Was ist? Beantwortet ihre Frage.«

Dash kam zu dem Schluss, dass das bloße Wissen nicht gegen das Gesetz verstieß. »Ein Kartomagiker erforscht die Welt mit Praxxis, um die geologische Zusammensetzung eines Gebiets zu bestimmen. Dazu setzt er insbesondere die Weitsicht, die Vorausschau und Erdmagie ein.«

Zar betrachtete ihren Patienten nun mit leuchtenden Augen. »Das ist eine gute Sache, oder?«

»Ich glaube, schon. Aber dabei darfst du nicht vergessen, dass das Imperium die Erkenntnisse von Kartomagikern für gewöhnlich zur gewaltsamen Kolonisierung nutzt und Tausende Menschen vertreibt oder ausbeutet, bis sie vor Erschöpfung tot umfallen. Das erforschte Land wird so lange geschändet, bis nichts mehr grünt und es für Generationen unbrauchbar ist.«

»Oh.« Zars wachsende Bewunderung verpuffte.

»Das klingt wie das Gerede der Liberali, Cowley«, knurrte Vidar. »Das Imperium hat die alte Liberali-Partei in Otravia vor neun Monaten verboten. Hat sie mit guter alter Blutarbeit ausgemerzt.«

Bei Gardas Titten, Menschen, die ich kannte …

»Ich habe Otravia schon vor Jahren verlassen«, behauptete Cowley. »Außerdem interessiere ich mich nicht für Politik.«

»Es gibt keine unpolitischen Otravianer«, spottete Vidar, dann seufzte er. »Hört zu, Cowley oder wie auch immer Ihr heißt. Ihr habt mein Mitgefühl. Mein Land ist von den Bolgravianern genauso geschändet worden wie Eures. Also höre ich auf, Euch Fragen zu stellen, die Ihr nicht beantworten wollt.«

Sie teilten einen verständnisvollen Blick, dann wandte sich Dash an seine Tochter. »Lass uns wieder an die Arbeit gehen.«

Sie schufteten mehrere Stunden lang, reinigten die Wunde und schnitten entzündetes Fleisch heraus, bevor sie ein halbes Dutzend Egel ansetzten, die das vergiftete Blut heraussaugen sollten. Die Atmung des Kartomagikers stabilisierte sich, aber das war auch die einzige gute Nachricht.

Kartomagiker, es tut mir leid, aber vermutlich wirst du nie wieder aufwachen. Dash senkte den Kopf. Es schmerzte, nicht genug zu wissen, nicht genug tun zu können. Ein echter Heiler hätte den Mann vielleicht retten können, aber hier draußen machte einen das Wissen, wie man eine Wunde kauterisierte und einen Schnitt nähte, zum besten Physicus des ganzen Distrikts. Das hier war der westliche Rand des Imperiums – der letzte Ort, an dem man noch untertauchen konnte.

Mit einem Seufzen zog Dash die Egel ab, dann mischte er ein Tonikum zusammen und nahm dabei unauffällig und verstohlen ein kleines blaues Fläschchen in die Hand. Daraus gab er einen Tropfen in einen von zwei Tonbechern. Nachdem er dem Kartomagiker das Tonikum eingeflößt hatte, holte er ein kleines Fässchen und goss exakt einen Fingerhut einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in die Becher. Das präparierte Trinkgefäß stellte er vor Vidar ab.

»Das ist urstianischer Rye, der beste von Ferrea. Der ist doch bestimmt ein paar Neuigkeiten wert?«

Vidar schob den leeren Weinbecher zur Seite, nahm den Rye und kippte ihn herunter. Dann lächelte er. »Der ist gut. Wo habt Ihr ihn her?«

»Von einem Händler in Falcombe, das liegt hier an der Landstraße. Hat ein Vermögen gekostet, denn eine solche Ware findet man hier draußen so gut wie nie. Wir sind hier nicht in Reka-Dovoi oder Kortovrad.«

»Was Ihr nicht sagt.« Vidar schnaubte belustigt.

Dash schenkte eine weitere Runde ein, und der Ranger erzählte: neue gescheiterte Aufstände im Landesinneren von Magnia, noch mehr politische Meuchelmorde und Intrigen. »Aber wir sind drei Monate auf der anderen Seite der Meerenge gewesen, also wage ich, zu behaupten, dass das alles längst überholt ist«, kam Vidar zum Schluss und gähnte.

»Eine erfolgreiche Expedition?«

Vidar kicherte. »Wenn ich Euch das sage, muss ich Euch umbringen.«

Sie plauderten noch ein paar Minuten, dann fing Vidarsohn an zu lallen. »Dieser Rye … ist … verflucht stark, Cowley …«

»O ja, urstianischer Rye ist eine wahre Bestie«, stimmte Dash ihm zu. Er lächelte und wartete. Der Zustand des Rangers verschlechterte sich schnell, der Kopf sank ihm auf die Brust, dann sackte er in sich zusammen und fing an zu schnarchen.

»Beim Blute Gardas, Vater, du hast ihn betäubt«, quiekte Zar.

Dash begab sich zur Tür und spähte hinaus in die eiskalte Nacht. Die drei Soldaten aus Bolgravia beugten sich über das lodernde Feuer, das sie mit seinem Feuerholz gemacht hatten. Wenn diese Bastarde länger bleiben, sind wir bald bettelarm.

»Ich will die Aufzeichnung dieses Kartomagikers lesen«, sagte er zu Zar. »Du gehst schlafen.«

Er strich ihr über die Haare, und sie teilten eine nervöse, aber vertraute Umarmung. Sie hatten viel zusammen durchgemacht und ein enges Verhältnis, aber Zar war offensichtlich klar, dass sie weiterziehen mussten, sobald Gospodoi und seine Männer abgereist waren. Falls der Bolgravianer jemandem mit den falschen Beziehungen ihre Beschreibung gab, würde die Jagd auf sie fortgesetzt werden.

Garda allein weiß, wo wir hin sollen … Es gibt nicht mehr allzu viele Orte, an die wir flüchten können. Es sei denn, wir verlassen den Kontinent …

Zar stieg wieder nach oben auf den Dachboden, und Dash kehrte zu dem bewusstlosen Kartomagiker zurück und entfernte den Beutel unter dessen Kopf. Ohne den schlummernden Vidarsohn vollständig aus den Augen zu lassen, nahm er die Aufzeichnungen heraus, die alle Kartomagiker mit sich führten. Er fing an zu lesen. Es war auffällig, dass die älteren Einträge auf Magnianisch verfasst waren, das so gut wie jeder lesen konnte, die jüngeren aber auf Ferreanisch. Dies war ein Standardfach auf otravianischen Universitäten – aber nicht in Bolgravia.

Ich kann Ferreanisch fließend lesen, aber jede Wette, dass Gospodoi es nicht kann. Die meisten Bolgravianer sind zu faul, um die Sprachen anderer Völker zu lernen. Er las schnell, denn er wollte fertig werden, bevor sein ungebetener Gast erwachte:

Ich, Lyam Perhan, Imperialer Kartomagiker, gebe dieses Zeugnis ab. Im Jahr 1534 ME begleitete ich Lord Vorei Gospodoi von Bolgravia auf einer Expedition, die ihren Anfang in Sommahafen nahm und über die Meerenge in das neu entdeckte Land Verdessa führte, das von Bolgravia beansprucht wird.

Die Aufzeichnungen benannten die genauen Kursangaben und die ausgespähten Bodenschätze, dazu gesellten sich ein paar spärliche Notizen über Flora und Fauna. Perhan hatte nichts über die Einwohner geschrieben, aber er erwähnte einen See in den Bergen am Rand des Eisherzes, jener gewaltigen Eismasse im Norden. Als Dash die Wasseranalyse las, sprang ihm ein im Text verborgenes, obskures chemisches Symbol förmlich ins Auge.

Istariol … Bei der heiligen Garda, er hat Spuren von Istariol gefunden! Die magischen Untersuchungen deuteten noch viel mehr an: eine Istariolader größer als alle, die seit den Mizrakriegen entdeckt worden waren. Bei dem Gedanken, was ein solches Vorkommen in den richtigen Händen ermöglichen würde, fing Dashs Blut an zu kribbeln. Möglicherweise könnte diese Ader den Freiheitskampf in Otravia wieder neu entfachen, vielleicht sogar auf dem ganzen magnianischen Kontinent. Der Ruf der Heimat flammte in Dash auf, und auch das brennende Verlangen nach Vergeltung an den Mandarykes und allen anderen Verrätern, die den Bolgravianern den Einmarsch in Otravia ermöglicht hatten.

Er überflog den Rest der Aufzeichnungen und fand keine weitere Erwähnung von Istariol, aber vermutlich hatte Perhan alles bewusst vage gehalten. Die Ferreaner haben genauso schwer gelitten wie der Rest von uns. Vielleicht wollte Perhan Gospodoi nicht verraten, was er entdeckt hat, also hat er das Wissen auf diese Weise versteckt, damit nur ein gleich gesinntes Auge es erkennt …

Dash steckte die Aufzeichnungen zurück in den Beutel, dann streckte er sich auf seiner Pritsche aus, schloss die Augen und träumte von einer glorreichen Rückkehr in seine Heimat.

Es schienen nur Minuten vergangen zu sein, bevor Zar ihn wach rüttelte. »Vater«, murmelte sie, »er erwacht – und die Sonne geht auf.«

Dash schaute verschlafen auf und rieb sich die Augen. Erfrischt fühlte er sich nicht, aber in seinem Inneren kribbelte die Aufregung. Nach zu vielen Jahren im Exil lockte die Gelegenheit, aber er ließ sich nach außen nichts anmerken, während er sich das Gesicht wusch, das Feuer entzündete und Wasser zum Kochen aufsetzte. Dabei behielt er Vidar Vidarsohn im Auge. Der Norganianer kam schnarchend langsam wieder zu Sinnen.

Der Kartomagiker hat genug Istariol entdeckt, um einen Krieg zu entfesseln, aber ich bin mir fast sicher, dass er niemandem davon erzählt hat. Trotzdem, weiß noch jemand außer ihm und mir von seiner Entdeckung?

Er warf Zar einen Blick zu und erkannte das Gesicht ihrer Mutter in ihren Zügen. Hatte er das Recht, sie in einen seiner Pläne zu verwickeln? Lass es sein, drängte ihn die Vorsicht. Halt den Kopf unten. Aber die Aufzeichnungen des Kartomagikers waren eine Schatzkarte. Eine solche Chance ungenutzt verstreichen zu lassen, würde ihn innerlich zerreißen.

Und was ist die Alternative? Im Exil zu sterben, während die Mandarykes meine Heimat ruinieren?

»Zar«, sagte er leise. »Würden wir die Gelegenheit erhalten, nach Hause zurückzukehren, würdest du sie doch ergreifen, oder?«

»Natürlich. Ich bin es in der Fremde leid.«

Er zuckte innerlich zusammen. Hätte er sie nicht ihrer Mutter gestohlen, wäre sie in diesem Augenblick zu Hause. Aber sie wäre der Willkür der Mandarykes und ihrer bolgravianischen Freunde hilflos ausgeliefert, genau wie ihre Mutter, und sie hätten ihr schnell beigebracht, mich zu verabscheuen.

»Es wäre zu unserem Nutzen.« Er wollte sich selbst genauso überzeugen wie sie. »Denk an alles, was wir einst hatten.«

»Ich weiß, Vater.« Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, weil sich Vidar wieder rührte.

Weiterhin unentschlossen, bedeutete Dash ihr, die Unterhaltung vorerst zu beenden. »Machst du uns Frühstück, bitte?« Er wandte sich dem Norganianer zu. »Alles in Ordnung, mein Freund?«

Vidar blinzelte und wurde wach, dann starrte er auf den leeren Becher. »Bei Deos Eiern, das ist harter Stoff.«

»Entspanne dich, Freund Vidar. Die Reise hat dich bestimmt zutiefst erschöpft.«

»Du hast ja keine Vorstellung«, knurrte Vidar. »Wie oft stand ich kurz davor, diese Arschlöcher zu erstechen. Diese arroganten Bastarde glauben, ihnen würde die ganze verkraggte Welt gehören.«

»Das tut sie auch. Dein Land – jedermanns Land. Sie haben die mächtigsten Zauberer, sie haben die größten Armeen und das meiste Gold. Die drei Säulen des Imperiums.«

Vidar sah ihn direkt an. »Hast du an Colfars Rebellion teilgenommen?«

Dash blinzelte und gab die Worte des Norganianers aus der vergangenen Nacht zurück. »Wenn ich dir das verrate, muss ich dich töten.« Die beiden Männer lachten. Dann fügte Dash hinzu: »Wir haben verloren. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«

»Aye«, antwortete der Norganianer schließlich. »Ich bete nur, dass sich eines Tages die Gelegenheit ergibt, zurückzuschlagen – aber auf eine Weise, bei der ich mein Leben nicht sinnlos wegwerfe.«

»Wollen wir das nicht alle?«, meinte Dash.

Ohne Vorwarnung flog die Tür auf. Dash griff nach dem Dolch und fuhr herum – zu Lord Gospodoi, der mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck dort stand.

Der gezückte Stahl ließ den bolgravianischen Adligen kichern. »Physicus leisten Friedensschwur, ney?«

Dash steckte den Dolch zurück in die Scheide. »Teshveld ist nicht sicher, nicht einmal für einen Heiler.«

»Yuz, aber vielleicht sein es hier nirgendwo sicher für Physicus Cowley?«, meinte Gospodoi und ließ den Umhang aufklaffen. Rapier und Dolch kamen in Sicht; die Edelsteine in den Griffen waren mehr wert als ganz Teshveld zusammen, was nicht viel zu sagen hatte. Langsam betrat er die Hütte und musterte den bewusstlosen Perhan. »Wie gehen es Patienten?«

»Er lebt, aber ich glaube nicht, dass ich noch viel tun kann«, erwiderte Dash. Er fragte sich, wie gut Gospodoi mit seinem Schwert umgehen konnte. »Die Entzündung sitzt zu tief.«

Gospodoi schnalzte mit der Zunge, als müsste er ein Kleinkind schelten, das ihn schwer enttäuscht hatte. »Ich dich gewarnt.« Er packte Zar an den Haaren. »Vielleicht ich lassen deine Tochter für dein Versagen bezahlen.«

»Ich kann nicht das Unmögliche schaffen«, erwiderte Dash und hielt den Tonfall trotz seines hämmernden Pulses unterwürfig. Die bolgravianischen Soldaten spürten, dass Gewalt in der Luft lag, und drückten sich jetzt um die Tür herum. »Er war zu krank. Ihr seid ungerecht.«

»Ungerecht?« Gospodoi schnaubte und riss an Zars Haaren. Sie schrie auf.

Dann lachte der Bolgravianer und ließ das Mädchen los. »Ich machen nur Spaß, yuz? Es sein spaßig, Mann wegen nichts schwitzen zu sehen.« Er legte Zar die Hand in den Nacken. »Du können also Ferreanisch lesen?«

Dashs Herz klopfte schneller, aber er behielt eine ausdruckslose Miene bei. »Niemand wird meiner Tochter etwas antun.«

»Natürlich.« Gospodoi zog die Aufzeichnungen aus dem Beutel unter Perhans Kopf. »Du übersetzen die ferreanischen Worte hier drin, und alles werden gut für dich – und für kleines Vögelchen Zar. Erzähle mir von dieser ›gescheiterten‹ Expedition.«

Dash wurde klar, dass Gospodoi offensichtlich seinen Kartomagiker in Verdacht hatte, ihm gegenüber nicht ganz offen gewesen zu sein. Das Imperium mag keine Versager, dachte er.

Also holte er tief Luft, unterdrückte seine Sorge wegen der Drohungen, die seine Tochter betrafen, nahm die Aufzeichnungen entgegen und begab sich an sein Schreibpult.

»Zar, niemand wird dir etwas tun«, sagte er entschlossen. »Geh nach oben in deine Kammer und räum auf.«

»Yuz«, schnurrte Gospodoi. »Ziehen hübsches Kleidchen an.«

Zar schoss die Leiter hoch wie ein Frettchen und riss die Vorhänge hinter sich zu. Dash konzentrierte sich auf Vidar Vidarsohn. Seine Anwesenheit würde möglicherweise den entscheidenden Ausschlag geben. Einen oder zwei kann ich niedermachen, aber unmöglich sie alle – es sei denn, Vidarsohn hilft mir.

Sie hatten lediglich die Anfänge einer Verbindung geknüpft, aber zumindest teilten sie dieselbe Ansicht, was die Bolgravianer betraf. Also schenkte er dem Ranger ein Grinsen und sagte: »Wie geht es deinem Kopf, mein Freund?« Die Anfänge eines Plans ergaben sich. »Du hattest letzte Nacht etwas zu viel Mondfeuer.«

In den meisten Gegenden von Norgania und Otravia war Mondfeuer ein Slangbegriff für Istariol.

Vidar kniff die Augen zusammen, dann streckte er sich und stand auf. »Von Mondfeuer kann ich nie genug kriegen.«

»Was sein dieses Mondfeuer?«, wollte Gospodoi wissen.

Dash gab ihm den Krug. Es war noch ein ordentlicher Rest Rye übrig. »Das hier.«

Gospodoi schnupperte daran, dann ließ er den Tonkrug absichtlich fallen. Das Gefäß zersplitterte und verspritzte den kostbaren Inhalt über die Binsen auf dem Boden. »Ich pissen besseres Getränk als das hier«, bemerkte er.

Du verkraggtes Arschloch.

»Was für eine Verschwendung«, murmelte Vidar. Ein Funkeln lag in seinem Blick, die Ader in seiner Schläfe pulsierte.

»Ich kann von einer alten Flamme noch mehr Mondfeuer bekommen«, sagte Dash und tippte unauffällig auf die Aufzeichnungen.

Botschaft verstanden?

Er erwartete irgendein Zeichen, aber abgesehen von der pochenden Ader war Vidars Ausdruck unleserlich. Ist das die Anspannung oder der Abscheu für seine Brotgeber? Was nun auch zutrifft, ich bin mir ziemlich sicher, dass er aufgebracht ist.

Er brauchte dringend eine handfestere Bestätigung. Also legte Dash eine Hand ins Kreuz, wo Gospodoi sie nicht sehen konnte, und beschrieb einen Kreis: magnianisches Finger-Rotwelsch. Stehst du auf meiner Seite?

Vidar runzelte die Stirn.

Komm schon, Mann, bist du dabei?, fragte Dash sich. Seiner Ansicht nach hatten sie vergangene Nacht oberflächlich Freundschaft geschlossen, hatten sogar darin übereingestimmt, dass sie gern gegen die Unterdrücker zurückschlagen würden. Aber bestimmt hätte keiner von uns gedacht, dass das hier und jetzt bedeutet.

Gospodoi schritt zur Tür und rief auf Bolgravianisch nach seinem Sergeanten.

Haben sie etwa einen Verdacht?, sorgte sich Dash, als der Sergeant zur Tür kam und das Innere der kleinen Hütte musterte. Anspannung legte sich wie Frost auf alles. Vidar ging zum Kamin und wärmte sich an den prasselnden Flammen die Hände. Plötzlich sagte er, als wäre ihm der Gedanke erst nachträglich gekommen: »Erzähl mir mehr von dieser alten Flamme, Physicus.«

Er hat verstanden. Es bedurfte einiger Anstrengung, keinen Seufzer der Erleichterung auszustoßen. »Sie starb an einer Entzündung, niemand vermochte etwas dagegen zu tun. Dann kamen die verdammten Adligen und rissen alles an sich.«

»Du reden zu viel«, sagte Gospodoi. »Du hören damit auf und lesen Aufzeichnungen.«

Dash fing gehorsam an. »Ich, Lyam Perhan, Imperialer Kartomagiker, gebe dieses Zeugnis ab …«

»Ney, ney«, unterbrach Gospodoi ihn ungeduldig, »du gehen zur Wasserdeutung, letzter Eintrag. Vorlesen.«

Dash tippte mit einem Finger dreimal schnell hintereinander, dann noch zweimal, dann einmal –

– und bewegte sich. Seine Hand schoss zu dem verborgenen Dolch in der an der Unterseite des Schreibpults befestigten Scheide. Er riss ihn heraus und rammte ihn Gospodoi in die Niere. »Jetzt, Vidar!«

Gospodoi bäumte sich auf, als die Klinge in seinen Körper drang – aber Vidar stand einfach nur mit weit aufgerissenem Mund da, und Dash begriff, dass der Ranger seine kryptischen Nachrichten keineswegs verstanden hatte.

Shansa Mor! »Beweg dich!«, brüllte er den Norganianer an.

Der große bolgravianische Sergeant stand genauso überrascht wie erstarrt in der Tür – niemand war so dumm, einen bolgravianischen Lord auf diese Weise anzugreifen. Aber die beiden Soldaten hinter ihm stießen einen Schrei aus und fummelten nach ihren Waffen.

»Was zum …?«, keuchte Vidar.

»Jou …«, stieß Gospodoi hervor und griff nach der Pistole, aber seine Beine gaben nach, und er taumelte gegen das Pult.

Der Sergeant riss endlich das Schwert aus der Scheide, konnte sich aber nicht entscheiden, ob er Dash oder Vidar angreifen sollte.

»Kragga!«, rief Dash aus und zog den Dolch aus Gospodois Bauch; das Blut des Adligen spritzte in einer Fontäne quer durch den Raum. Der Mann brach in die Knie, stürzte in den Kamin und verteilte Asche und Funken überall hin. Die Flammen griffen schnell auf seine Kleider über, und er kreischte, als sie aufloderten.

Der Sergeant traf seine Entscheidung, er hob das Langschwert und hieb nach Vidar – und die Klinge traf den niedrig hängenden Querbalken des Raums.

Vidar starrte die Waffe an, dann den Bolgravianer, und jetzt hämmerte der Puls in seiner Schläfe richtig.

Dann knurrte er.

Draußen vor der Hütte brüllten die Soldaten und fuchtelten mit ihren Steinschlossmusketen herum, aber da sie bis jetzt noch nicht geschossen hatten, ging Dash davon aus, dass sie nicht geladen waren. Doch einer der Männer hatte genug Verstand, das Bajonett auf die Mündung zu rammen, und er sprang durch die Tür und warf sich auf den Norganianer.

Und Vidar hatte sich noch immer nicht gerührt …

Dann begriff Dash plötzlich, dass diese Lähmung nicht von Furcht herrührte, sondern etwas anderes, etwas Tieferes am Werk war. In Vidars Augen loderte ein bernsteinfarbenes Licht, sein Rückgrat verdrehte sich, und seine Haltung wurde geduckt, er breitete die Hände aus, während er ein tierähnliches Brüllen von sich gab. Er schlug das Bajonett zur Seite, dann rammte er dem Mann die Finger in die Kehle – nein, da schoben sich zwei Zoll lange Krallen aus den Fingerspitzen – und zerfetzte sie.

Dash starrte ihn ungläubig an. Kragga mor, er ist ein Bärenmann!

Der Soldat brach eingehüllt in eine Blutwolke zusammen, während der zweite Mann mit geladener Muskete an der Türschwelle auftauchte. Er sah Vidar über seinem sterbenden Kameraden stehen und zielte. Der Vorhang zur Dachkammer flog zur Seite, und Zar erschien, eine Armbrust in den Händen. Ein scharfes Schnappen ertönte, als sie den Abzug betätigte, der Bolzen krachte in die Waffe des Soldaten, die mit lautem Brüllen eine Flamme ausspie. Die Bleikugel prallte vom Boden ab und bohrte sich sechs Zoll von Dashs Kopf entfernt in die Holzwand. Aber er war bereits in Bewegung und schleuderte den Dolch, der sich in die linke Schulter des Soldaten bohrte und ihn zurücktaumeln ließ.

Mit wütendem Gebrüll ging Vidar auf ihn los, mit einem sechs Fuß weiten Sprung, der den Soldaten draußen zu Boden warf; seine Zähne, die sich in lange, wilde Reißzähne verwandelt hatten, gruben sich in den Hals des Mannes. Vidar schüttelte ihn, das Genick brach, und der Soldat erstarrte. Aber der Ranger riss weiter an dem Fleisch – dann wandte er das blutverschmierte Gesicht wieder der Tür zu.

Im nächsten Augenblick stürmte er zurück in die Hütte direkt auf Dash zu …

… der einen Satz machte, sein altes Armee-Falchion von dem Stützbalken riss, an dem es hing, und den Griff gegen die Schläfe des Bärenmannes hieb. Vidar brach zusammen, sackte benommen auf die blutgetränkten Binsen. Der Puls an seiner Schläfe schlug langsamer, Krallen und Reißzähne bildeten sich wieder zurück.

In nur zehn Sekunden hatte sich die Hütte in ein Schlachthaus verwandelt.

Laut keuchend wandte sich Dash dem Kamin zu – und es verschlug ihm entsetzt den Atem, denn Gospodoi, der zumindest bewusstlos hätte sein sollen, wenn nicht sogar tot, erhob sich auf die Knie. Seine Finger malten uralte Runen, die glühend in der Luft schwebten. Er murmelte: »Skiamach! Animus!«

Der Gestank von Schwefel und Rauch erfüllte den Raum. Der Bolgravianer brüllte »Impetu!« und stieß die rechte Faust in Dashs Richtung, schlug quer durch den Raum zu. Die Luft verschwamm, schlug Wellen.

Aber Dash war bereits zur Seite gesprungen. Die Woge aus reiner Macht schleuderte ihn dennoch herum. Er blieb jedoch auf den Beinen, und er hielt noch immer das Schwert. Er warf sich mit einem Satz nach vorn und stieß die Klinge in Gospodois Brust, schickte ihn erneut rückwärts ins Feuer. Wieder tosten die Flammen über Gospodois verbrannte Seidenkleidung, aber diesmal blieb der Bolgravianer wie erstarrt.

Von der Furcht ergriffen, das Feuer könnte die ganze Hütte ergreifen, eilte Dash zur nächsten Flüssigkeit, in diesem Fall der Pisseimer. Er kippte den Inhalt über dem brennenden Lord aus, der stinkenden Qualm zur Decke schickte. Aber die Flammen erloschen.

Vor Erleichterung keuchend riss Dash das Schwert aus dem Körper, vom Chaos der letzten Augenblicke wie betäubt.

Ruckartig setzte sich Gospodoi auf. Sein Fleisch war verbrannt, seine Kleidung qualmte, aber seine Augen strahlten das gleiche grelle Azurblau aus wie das Licht, das aus einem Anhänger um seinen Hals strömte. Er streckte die verkohlten Finger aus, und eine unsichtbare Macht packte Dash an der Kehle und schnürte ihm die Luft ab.

»Skiamach,contundito!«, krächzte Gospodoi. Zorn verzerrte seine gequälten Züge. Sein Griff wurde fester, versuchte, mit einem Ruck Dashs Genick zu brechen.

»Nein«, würgte Dash hervor und fiel auf ein Knie, während seine Sicht verschwamm.

»Vater!«, hörte er Zar wie aus weiter Ferne rufen.

Das Falchion entglitt ihm beinahe, während seine Glieder zuckten und der Druck um seinen Hals unerträglich wurde. Undeutlich nahm er wahr, wie Gospodois Hände gegen den Uhrzeigersinn kreisten, und er fühlte, wie sich die unsichtbaren Mächte darauf vorbereiteten, ihm den Kopf vom Körper zu reißen. Mit einem Aufwallen von Kraft, die, wie er genau wusste, seine letzte Kraft war, griff er das Falchion fester und legte die ganze Energie in eine Bewegung, schwang die Klinge mit all seiner verbliebenen Kraft im Bogen.

Gospodois Kopf flog förmlich von seinem Hals, Blut spritzte, und der Torso krachte zurück in den Kamin, wo er endlich reglos liegen blieb.

Dash sah nur noch das Blut, scharlachrote Ströme, die sich über die Welt ergossen, während ihn der Druck um seinen Hals schließlich zu Boden riss. Dunkelheit brauste in seinem Geist, während er zur Seite kippte.

Dash erwachte. Zar hielt seinen Kopf im Schoß.

»Vater?«, sagte sie nervös, als er auf den blutgetränkten Binsen seines Hüttenbodens die Augen aufschlug. Seine Kleidung war mit vergossenem Rye und Urin getränkt.

Hinter Zars Schulter erschien Vidar und starrte ihn mit einer Mischung aus Verblüffung und Zorn an. »Bei Gardas Titten, welcher traurige Physicus fällt denn beim Anblick von Blut in Ohnmacht?«

»Er … Praxxis … keine Luft.« Dash keuchte. »Bin bewusstlos geworden.«

Vidar schnaubte, dann grinste er wild. »Das hat Spaß gemacht. Aber du hättest mich warnen können.«

»Ich habe dich gewarnt«, krächzte Dash empört. »Zumindest habe ich es versucht.«

»Wann denn?«, wollte Vidar wissen. »Deo auf seinem Thron, Cowley, dieser Mann war ein verfluchter Praxxismagier. Das gesamte verkraggte Imperium wird nach ihm suchen, und das wiederum bedeutet, dass ich jetzt ein verfluchter Gesetzloser bin. Nein, wir alle. Eigentlich wollte ich mit dem Geld, das er mir laut Vertrag zahlen musste, in den Ruhestand gehen.«

»Er hätte dich nicht bezahlt«, sagte Dash. »Er hätte dich umgebracht.«

»Woher willst du das denn verdammt noch mal wissen?«

Dash antwortete nicht; ihm war gerade bewusst geworden, dass seine Tochter einen Schock erlitten hatte. Der Blick in ihren weit aufgerissenen Augen verkündete: Liebe Garda, ich habe beinahe einen Mann umgebracht. Sich mit einem Holzschwert im Schwertkampf zu üben war weit davon entfernt, eine echte Waffe mit Absicht zu benutzen.

Dash schaute zu Vidar hoch. »Ich habe versucht, es dir begreiflich zu machen. Während du geschlafen hast, habe ich Perhans Aufzeichnungen gelesen. Dort standen tatsächlich Dinge, die er Gospodoi verschwiegen hat. Große Dinge.«

Vidar starrte ihn an. »Wovon sprichst du?«

»Das ›Mondfeuer‹? Die ›alte Flamme‹? Kapierst du jetzt?« Dash strich Zar über den Rücken und küsste sie auf die Stirn. »Geht es dir wieder besser?«

Vidar blickte noch immer verwirrt drein. »Nein. Ich verstehe es nicht.«

»Ich schon.« Zar schniefte. Einen Augenblick lang hellte sich ihre Miene auf, dann fiel ihr Blick wieder auf die Leichen, und sie wurde blass.

»Was verstehen?«, wollte Vidar wissen. »Das lohnt sich hoffentlich, Cowley, denn sollten sie uns erwischen, werden wir mit Sicherheit aufgehängt. Ich würde gern wissen, warum ich den Verbrechertod an der Seite eines Mannes sterben muss, den ich nicht einmal kenne.«

»Keine Sorge, es lohnt sich«, erwiderte Dash. Er kontrollierte seine Stimme und hielt sie betont ruhig. Er ist ein Bärenmann. Wenn er wieder die Beherrschung verliert, wird er mir den Kopf abreißen. »Mondfeuer sagt man auch für Istariol, und ›Flamme‹ ist ein Spitzname für einen Ferreaner. Ich habe versucht, dir zu sagen, dass der ferreanische Kartomagiker eine Menge Istariol gefunden hat. Das hat er Gospodoi aber verschwiegen.«

Vidar starrte ihn an. »Dann hast du mir also nicht von einem besoffenen Mädchen erzählt, das du mal gevögelt hast?«

Zar schnaubte.

»Du hältst den Mund«, befahl Vidar ihr. Er fixierte Dash mit einem finsteren Blick. »Du redest.«

Dash setzte Zar auf einen Stuhl, dann holte er die Aufzeichnungen. »Dein Kartomagiker hat in einem Fluss in Verdessa Spuren von Istariol gefunden, das hat er in seinen Aufzeichnungen niedergeschrieben. Aber er wollte offensichtlich nicht, dass Gospodoi es erfährt, denn er schrieb auf Ferreanisch und hat Gospodoi erzählt, seine Deutung hätte nichts ergeben. In dem Augenblick, in dem ich Gospodois Verdacht bestätigt hätte, hätte er uns drei umgebracht.«

Der Norganianer fing an, Flüche auszustoßen.

»Ich nehme an, das bedeutet, dass wir wieder weiterziehen müssen«, maulte Zar.

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Dash bei ihr, »aber ich hatte keine Wahl.«

»Dann sollte ich wohl packen. Dabei hat es gerade angefangen, mir hier zu gefallen«, fügte sie sarkastisch hinzu. Sie kletterte die Leiter zum Dachboden hinauf und mied sichtlich den Blick auf die Toten.

Dash wandte sich Vidar zu und wählte seine Worte mit Bedacht. »Es tut mir leid wegen deines Geldes, Vidar, aber glaube mir, du hättest es nicht bekommen.« Dann schenkte er ihm ein zuversichtliches Lächeln. »Aber die Sache kann uns immer noch reicher machen als in deinen kühnsten Träumen.«

»Meine Träume können sehr kühn sein«, knurrte Vidar. »Istariol, sagst du? Der verdammte Kartomagiker hat Istariol gefunden und das vor Gospodoi und mir geheim gehalten? Das bedeutet also, die Einzigen, die davon wissen, sind jetzt er, du und ich …« Er hielt inne und dachte über die eigenen Worte nach.

»Genau. Aber Perhan ist nicht mehr zu helfen. Es tut mir leid, wenn er dein Freund war.«

»Ich kannte ihn kaum, aber er schien ein anständiger Bursche zu sein.« Vidar verzog das Gesicht. »Was ist also mit diesem Istariol?«

»Ich weiß, wo er die Spuren gefunden hat. An einem See am Rand eines Gebirges. Kommt dir das bekannt vor?«

»Aye. Dort hat sich der Kartomagiker verletzt, direkt am Rand des Eisherzes. Aber er hat nur das Wasser an einer Flussmündung einer Prüfung unterzogen, der Fluss entströmte dem Eisland.«

Dash dachte darüber nach. »In diesem Fall müssen wir wohl dem Fluss zu seiner Quelle folgen. Dort draußen gibt es eine riesige Istariolader, Vidar Vidarsohn. Wir können es finden, abbauen, verkaufen und ein Vermögen machen.«

»Otravianer, du träumst«, grollte Vidar. »Verdessa wird vom Imperium beansprucht, dort gibt es bereits eine Garnison. Selbst wenn wir unentdeckt dorthin kommen würden, wie sollten wir es aus der Erde holen? Dazu braucht man Arbeiter. Außerdem ist Istariol nur für einen Zauberer von Wert, und die dienen alle dem Imperium.«

»Cognatus,animus«, flüsterte Dash. Er fühlte den Strom der Macht, als der Familiargeist auf seiner Schulter erschien. Er nahm die Gestalt eines smaragdgrünen shadranischen Papageis an, unsichtbar für alle außer Dash.

Dash malte ein Zeichen in die Luft: Ignus, die Rune des Feuers. Cognatus lenkte die Energie, und eine Flamme bildete sich auf den Fingerspitzen des Mannes, wo sie hübsch tanzte, ohne ihn zu verbrennen.

»Nicht alle Zauberer dienen dem Imperium.« Er beobachtete Vidars Reaktion.

»Ich werde auch Zauberin«, rief Zar, die auf der obersten Sprosse der Leiter zur Dachkammer hockte.

Vidar starrte vom Vater zur Tochter, Skepsis rang mit Gier.

Die Gier siegte.

»Bei Gardas Hintern! Hältst du es tatsächlich für möglich, dass wir das schaffen?«

Dash entging nicht, dass er »wir« gesagt hatte. »Es ist möglich. Denk darüber nach, wir könnten reicher als Könige werden.«

Der Bärenmann schaute zum Himmel. »Ihr beiden werdet mein Tod sein, oder?«

Vermutlich, dachte Dash. Ich habe den meisten den Tod gebracht.

ZWEI

Wer kommt mit mir?

Willst du die Toten finden, folge den Krähen. Das hatte Dashs Vater zu sagen gepflegt. Als Dash vor zwanzig Jahren noch ein Junge gewesen war, hatte der Mann urstianische Reiter bekämpft. Er hatte den Rang eines Colonels bekleidet, als die Bolgravianer das erste Mal versucht hatten, ihr Land zu erobern, und dabei gescheitert waren.

»Sie glaubten, uns auf die Probe stellen zu können«, hatte sein Vater stets geprahlt, »aber Otravia war für sie bereit.«

Aber als sie zurückkehrten, waren wir nicht bereit, oder? Ein paar von uns haben ihnen sogar die verkraggte Tür geöffnet.

Aber das war jetzt unwichtig. Wichtig war nur, die Toten zu begraben, bevor die Krähen sie fanden und andere Aasfresser mitbrachten. Dash und Vidar Vidarsohn nahmen die Schaufeln, die zur standardmäßigen Ausrüstung der Soldaten gehörten, und schaufelten im Schatten der Bäume hinter der Hütte eine tiefe Grube.

Trotz der Kälte war es eine schweißtreibende Arbeit, und die beiden Männer zogen sich schnell bis zur Hose aus. Vidar war untersetzt, bestand nur aus Muskeln, die sich langsam in Fett verwandelten.

»Also«, sagte Dash. Er stützte sich auf die Schaufel, um zu verschnaufen, während der Norganianer weiter schuftete. »Wer ist Vidar Vidarsohn?«

Vidar zögerte, dann antwortete er: »Ich war ein einfacher Soldat in der Königlichen Armee von Norgania, ein Späher. Bis ich in ein dämliches Duell mit einem Adligen geriet. Ich habe den Mistkerl umgebracht, dann bin ich abgehauen. Ich landete in Bolgravia, wo man gerade die Armee zur Invasionsstreitmacht umstrukturierte. Ich war dort, als Tempeskov die Idee mit dem Salventakt hatte. Er hat die Kriegsführung verändert, da gibt es keinen Zweifel. Hat die Steinschlossmuskete von einer Kuriosität, mit der man Bauern einschüchterte, zu einer entscheidenden Waffe gemacht.«

Dash spuckte auf die ausgehobene Erde. »Du hast während der Eroberungszüge für die Bolgravianer gekämpft?«

»Nein. Als das losging, bin ich gegangen. Habe nicht einen verfluchten Schuss für sie abgegeben. Unsere Einheit kam zu diesem Dorf in der Nähe von Consadyne, in Magnia. Der Widerstand war bereits gebrochen, aber die Bolgravianer haben jeden Überlebenden in einer Reihe aufgestellt, Männer, Frauen, Kinder, selbst die Babys, und jeden einzelnen von ihnen als Exempel für den Rest des alten Königreichs mit ihren Speeren hingerichtet. Also habe ich ein paar Rechnungen beglichen und mich verdrückt. Jetzt ist im halben Imperium ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt.« Er verzog das Gesicht. »Ist aber nicht besonders hoch, falls du auf Ideen kommen solltest.«

Es ist bestimmt nicht so hoch wie mein Kopfgeld. Dash stieß mit dem Fuß gegen Vorei Gospodoi. Die verkohlte, kopflose Leiche stank. »Wusste er, wer du bist?«

Vidar lachte guttural. »In Bolgravia habe ich nie meinen richtigen Namen benutzt. Und was ist mit dir, Cowley? Was ist deine Geschichte?«

»Die kurze Version lautet, als vor vier Jahren die Pro-Bolgravia-Fraktion in Otravia die Macht ergriff, schnappte ich mir meine Tochter und ergriff die Flucht.«

»Als Zauberer musst du bei der Rebellion einen ganz schön hohen Rang bekleidet haben«, meinte Vidar.

Dash schüttelte den Kopf. »Keine Namen sind sicherer.«

»Das ist nur gerecht. Aber warum ausgerechnet an diesen Ort kommen?«

Da hatte er nicht unrecht. Die Küste von Pelaria war so ziemlich der kälteste Ort auf dem Festland, im Winter prasselte der Schneeregen herab, im Sommer breitete sich der Schimmel aus.

»Ein elender Ort, um sich zu verstecken«, fügte der Norganianer hinzu.

»Ich glaube, das ist so nahe am Rand des Imperiums, wie es nur möglich ist, ohne die Zivilisation gleich ganz hinter sich zu lassen. Hier draußen spricht niemand mit den Imperialen, und man liefert einander auch nicht aus.«

»Also gehe ich einmal davon aus, dass dein Kopf mehr wert ist als meiner. Aber ich würde ihn genauso wenig wie du zu Geld machen.«

»Dann soll gemeinsames Schweigen unser Bund sein«, schlug Dash trocken vor.

»Aye, da bin ich dafür. Und für Istariol. Der Preis des Blutstaubs geht immer nur in die Höhe.«

»Das ist wahr.« Dash legte unauffällig beide Hände auf den Schaufelgriff, bevor er die nächste Frage stellte, nur für den Fall, dass sie möglicherweise Unmut erregte. »Du bist also ein Bärenmann?«

Vidars Züge verhärteten sich. »Aye. Ist das ein Problem?«

»Für die meisten Leute schon. Aber ich habe in Colfars Rebellion an ihrer Seite gekämpft.«

»Ich habe es größtenteils unter Kontrolle. Falls es das ist, was du dich fragst.«

Größtenteils … Dash warf dem Mann einen Blick voller Mitgefühl zu. Für gewöhnlich hatten Bärenmänner kein langes Leben. Sie waren eine aussterbende Art, ein Erbe der Mizrakriege. Vidar schien in seinen Vierzigern zu sein, was von einer beträchtlichen Selbstdisziplin kündete.

Obwohl ich ihn trotzdem bewusstlos schlagen musste.

Aber im Großen und Ganzen war ein Bärenmann ein Vorteil, und Vidar hatte sich bei dem Blutbad trotz der Verwirrung auf seine Seite geschlagen. Vielleicht waren sie noch keine Freunde, aber Dash hatte das Gefühl, dass das durchaus eine Möglichkeit war. Er schlug auf den Schaufelgriff. »Lass uns das hier erledigen, dann können wir uns in Ruhe unterhalten.«

Sie stürzten sich mit grimmiger Energie auf die Arbeit und gruben so tief, wie es das Wurzelwerk erlaubte. Dann rollten sie die ordentlich ausgeraubten Leichen in das Loch. Aus Respekt hatten sie für Lyam Perhan, den Kartomagiker aus Ferrea, ein einzelnes Grab geschaufelt. Vermutlich war er zu seinem Dienst gezwungen worden; das war nun einmal die Art der Bolgravianer.

Als Dash den Mann vor seinem Begräbnis durchsucht hatte, hatte er eine wichtige Entdeckung gemacht: Im Hemdsaum befand sich eine winzige Kristallphiole, kaum größer als sein kleiner Finger, die mit rötlichem Wasser gefüllt war. Dash hatte sie hinter Vidars Rücken ins Licht gehalten und gelächelt, dann hatte er sie vorsichtig weggesteckt.

Als sie die Gräber gefüllt hatten, sagte er: »Tritt zurück.« Vidar sah neugierig zu. Dash murmelte »Cognatus,animus!«, und sein Familiar erschien vor seinen Augen. Vidar konnte ihn nicht wahrnehmen. Cognatus machte es sich in seiner üblichen Papageiengestalt auf Dashs Schulter bequem, dann tauchte er in den Körper des Mannes. Dashs Sicht veränderte sich und enthüllte ihm eine zusätzliche Schicht des Lebens. Er sah Wasser ins Blattwerk sickern und die Insekten und Würmer im Erdboden, und in allem pulsierte das Sonnenlicht.

Dash zeichnete Terra, die Rune der Erde. »Renovare, nunc.«

Plötzlich geriet der ganze Boden in heftige Bewegung, Samen erwachten zum Leben, überall spross Gras, um das Grab zu bedecken. Nachdem Dash zufrieden war, beendete er es mit »Abeo, Cognatus amico« und entließ den Familiar, seinen magischen Wächter und Partner.

Der unsichtbare Papagei erschien wieder auf seiner Schulter und liebkoste seine Wange. Dashs Sicht wurde wieder normal. Dann stieg der Geist in die Lüfte, umkreiste Vidar, der ihn weder hören noch sehen konnte, um zwischen die Bäume zu flitzen. Dash hatte Cognatus dazu abgerichtet, Distanz zu halten, denn man konnte nie wissen, wer gerade in seine Richtung sah. War man unvorsichtig, konnte ein Zauberer den Familiar eines anderen Praktizierenden spüren.

Vidar betrachtete die nun verborgenen Gräber mürrisch. »In der Nähe von Zauberei war mir noch nie behaglich zumute«, murmelte er. »Das bolgravianische Militär hatte viele Soldzauberer, und das waren verdammt gruselige Burschen.«

»Ich benutze sie nicht leichtfertig«, versicherte Dash ihm.

Vidar ließ den Blick über die Gräber schweifen, die so gut wie unkenntlich waren. »Gute Arbeit«, musste er zugeben und streckte die Hand aus. »Wenn wir schon Gefährten sind, sollten wir uns darauf die Hand geben.«

Sie schüttelten sich die Hände, dann zogen sie die Hemden an, bevor sie die Beute in Augenschein nahmen. Drei Musketen und eine Pistole mit ausreichend Pulver und Blei, die Edelsteine, die sie aus den Griffen von Gospodois Rapier und Dolch gebrochen hatten, ein paar Silbermünzen, die der Adlige in seinem Beutel gehabt hatte, und natürlich Perhans Aufzeichnungen. Dash nahm es an sich und gab Vidar den Geldbeutel des Bolgravianers. »Wenn man dich in den Dienst gezwungen hat, verdienst du ihn.«

Vidar lächelte dankbar, dann deutete er auf die Schusswaffen. »Jeder zwei?«

»Klar. Such du sie aus.«

»Ich ziehe es vor, nahe heranzugehen«, knurrte der Bärenmann, »aber für ein paar Musketen bekomme ich einen ordentlichen Preis.«

»Ich würde sie behalten – wenn wir das Istariol holen, werden wir sie brauchen.«

»Auch wieder wahr.« Vidar nahm die Steinschlosspistole und warf sie Dash zu. »Ein Adliger wie du hält eine Pistole doch bestimmt für die Waffe eines Feiglings.«

Dash zielte auf einen Baum in der Nähe. »Ich habe das mit dem ›Ruhm des Krieges‹ schon vor Jahren hinter mir gelassen. Auf einem Schlachtfeld kommt es nur darauf an, zu überleben.« Er wirbelte die Pistole am Abzugsbügel um den Finger und schob sie dann in den Gürtel. »Ich nehme die hier und eine Muskete. Ich hatte keine Feuerwaffe mehr, seit ich das westliche Pelaria verlassen habe.«

Sie teilten gerade die Edelsteine auf, als Zar in die Reisekleidung eines Jungen gekleidet mit dem Frühstück erschien. »Wenn wir weiterziehen, können wir auch genauso gut zuerst ordentlich frühstücken«, verkündete sie.

Als sie fertig waren, fragte Dash: »Weißt du über Blutstaub Bescheid?«

Vidar kicherte. »Natürlich weiß ich über Blutstaub Bescheid.« Er zögerte, dann fügte er widerstrebend hinzu: »Allerdings weiß ich nicht, was davon tatsächlich stimmt. Aber ich weiß, dass man ihn für einen mächtigen Zauber braucht. Er ist mehr wert als Gold, und man muss ihn schürfen. Und er ist selten.«

»Das ist es im Großen und Ganzen«, erwiderte Dash. »Selbst wenn wir nur eine kleine Menge finden, lohnt das schon die Reise. Aber Perhans Aufzeichnungen deuten an, dass es um viel Istariol geht, eine Hauptader, und das könnte ein riesiger Schatz sein. Bei der Flammengrube, damit könnte man ein ganzes Land kaufen!«

»Dann wäre es aber zu viel, um es tragen zu können«, meinte Vidar.

»Das stimmt, und mit einem Sack allein wird man kein Vermögen machen. Außerdem hat das bolgravianische Imperium ein großes Interesse an Istariol. Wenn wir es verkaufen, müssen wir das aus einer Position der Stärke heraus tun, oder irgendein Bastard wird es uns einfach abnehmen und uns auf den Richtblock bringen.«

»Dann nehmen wir uns nur gelegentlich etwas von der Ausbeute«, schlug Vidar vor. »Gerade genug, dass wir davon leben können.«

»Und dafür müssen wir ständig in die Wildnis ziehen?« Dash schüttelte den Kopf. »Nein, das wird auch nicht funktionieren. Von dem Augenblick an, in dem wir es verkaufen, sind wir eine Zielscheibe. Istariol ist kein Spiel, das man halbherzig betreiben kann. Entweder macht man es richtig oder gar nicht. Wenn es genug davon gibt, können wir uns ein Königreich kaufen. Aber wir schaffen das nicht allein. Wir brauchen Unterstützung. Ich habe ein paar Freunde, die ich ins Boot holen kann, aber damit das funktioniert, werden wir eine Menge Arbeiter brauchen.«

Das gefiel Vidar nicht. »Wir können nicht einfach jedem erzählen, dass wir Istariol gefunden haben. Jemand wird auf direktem Weg zum Gouverneur in Sommahafen gehen, und bald wird man uns jagen.«

Dash hatte den gleichen Gedanken gehabt. »Da bin ich mir nicht so sicher. Teshveld ist gewissermaßen eine Grenze, der Rand der Welt. Diese Gegend ist voller Flüchtlinge, Menschen, die alles verloren haben. Meiner Meinung nach bekommen wir genug Leute zusammen, um eine Mine betreiben und sie auch verteidigen zu können. Hier in der Wildnis gibt es keinen Mann – und so weit ich gesehen habe auch keine Frau –, die nicht mit einer Waffe umgehen können. Und keiner von ihnen hat etwas für das Imperium übrig.«

Vidar sah skeptisch aus. »Hast du nicht gesagt, dass ihr erst vor kurzer Zeit eingetroffen und für euch geblieben seid? Wie kannst du da jemanden kennen?«

»Hier gibt es nur eine Ortsansässige, die sich aufs Heilen versteht, und sie ist Kirchenphysicus, also bekomme ich alle Geschichten zu hören«, versicherte Dash ihm. »Glaube mir, wenn wir die Leute davon überzeugen können, dass das Unternehmen kein Hirngespinst ist und eine ordentliche Erfolgschance hat, werden sie nicht plaudern. Wir müssen uns nur klammheimlich aus dem Staub machen, und sobald wir das Zeug haben, verkaufen wir es außerhalb des Imperiums. Zum Beispiel in Shadra im Zarros-Archipel. Die sind noch immer unabhängig. Wenn wir unsere Karten richtig ausspielen, liegen wir dort innerhalb von zwei Jahren in der Sonne.«

Vidar schürzte die Lippen und stieß einen leisen Pfiff aus. »Sonne, Sand und schlanke, dunkelhäutige Frauen? Ich bin dabei.«

»Aber was ist mit zu Hause?«, fragte Zar. »Was ist mit Mutter?«

Dash warf ihr einen warnenden Blick zu. »Solange die Mandarykes herrschen, haben wir kein Zuhause.«

»Aber …«

»Nicht«, warnte Dash, und seine Tochter verstummte. »Istariol kann viel verändern. In Shadra könnten wir wieder Verbindung mit dem Widerstand in Otravia aufnehmen.«

»Was meinst du damit?«, wollte Vidar wissen. »Wenn wir schon Partner sind, muss ich wissen, was du planst.«

Dash sah Zar stirnrunzelnd an, dann erklärte er: »Meine Gemahlin hatte sich kurz vor dem Umsturz der Mandarykes von mir scheiden lassen – sie sind die Verräter, die in Otravia die Macht ergriffen haben, sie haben uns an die Bolgravianer verkauft. Sie ist jetzt mit einem von ihnen verheiratet.« Es überraschte ihn etwas, wie sehr ihn dieses Bekenntnis noch immer schmerzte. »Sie hat es getan, um ihre Familie zu beschützen, aber meine kam an den Galgen. Ich habe mir Zar geschnappt und die Flucht ergriffen. Cowley ist nicht mein richtiger Name. Ich werde ihn dir eines Tages verraten. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werde ich ihn der ganzen Welt verraten.«

»Schon gut«, erwiderte Vidar, »aber eines will ich klarstellen. Ich werde für deine Sache nicht den Märtyrer spielen. Ich bin wegen des Geldes dabei, und ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von denen, die wir rekrutieren wollen, das anders sehen wird. Wir tun uns zusammen und werden reich, dann gehen wir auseinander, und deine Suche nach Wiedergutmachung ist deine Sache. Verstanden?«

»Verstanden.« Dash hielt seine Miene unbewegt, während Vidar ihn musterte.

Schließlich seufzte der Norganianer. »Also gut, wie geht es weiter?«

»Wie es weitergeht? Wir schicken ein paar Botschaften, dann gehen wir zu Gravis Schankwirts Haus und bestellen einen Becher.«

Wenn Dash genau in den dunkelsten Winkel der Dachsparren der Schenke spähte, konnte er das Funkeln von Rattenaugen sehen; mit Sicherheit konnte er ihren Kot riechen. Die Küchenschaben waren genauso groß, und der Wein war es lediglich wert, ausgespuckt zu werden. Aber Gravis braute das beste Bier im Umkreis von Meilen, und sein Geschäft lief ganz ordentlich – oder hätte es zumindest getan, wäre einer seiner Kunden auch den Kredit würdig gewesen, den er einräumte. Der Laden war selten voll oder laut, denn die Hälfte seiner Kundschaft waren Flüchtlinge aus dem Imperium, denen nicht daran gelegen war, Aufsehen zu erregen. Trotzdem war es die bei Weitem beste Schenke im ganzen Bezirk.

Nachdem Gravis gewissen Leuten die Nachricht übermittelt hatte, dass Dash eine Versammlung abhalten wollte, war der Laden an diesem Abend allerdings voll. Als Dash eintrat, Vidar Vidarsohn und Zarelda hinter sich, begrüßte er den Gastwirt mit einer Handbewegung.

Seine Tochter blickte sich schüchtern um; es war das erste Mal, dass sie die Schenke betreten durfte.

Dash warf einen Blick in die Runde. Ein Heiler wusste schnell, wer in jeder Gemeinschaft wer war, selbst in einer so verschlossenen und lockeren wie dieser hier. Es gab alle möglichen Leute, von Dorfbewohnern bis zu Kleinbauern, von Söldnern bis zu Jägern. Und sie alle waren hauptsächlich an diesem Ort, um dem Imperium zu entkommen. Die meisten der hier versammelten Leute hätten einem Bolgravianer lieber die Kehle durchgeschnitten, als dieselbe Luft atmen zu müssen.

Dash hatte die Meinungsführer bereits identifiziert. Sir Elgus Rhamp war ein Ritter aus Pelaria, und die Hälfte im Raum würde tun, was er tat. Elgus war ein untersetzter Mann mit einer breiten Brust und einem zum Zopf geflochtenen Bart. Um ihn herum war sein übliches Gefolge versammelt, und alle zechten ordentlich. Rhamp ins Boot zu holen war unvermeidlich, aber er würde unweigerlich versuchen, das Kommando an sich zu reißen – und den Löwenanteil. Ich werde ihn auf seinen Platz verweisen und dafür sorgen müssen, dass er dort auch bleibt …

Die andere einflussreiche Person war die lokale Priesterin, Mater Varahana. In Magnia betrachtete man es als unmännlich, das Ordensgelübde abzulegen, also dienten allein Frauen als Vermittlerin zu Deo. Nach Dashs Ansicht verdammte man sie dazu. Aber Varahana war eine alte Freundin, was sie für sich behalten hatten.

Er entdeckte die Priesterin, eine knochige, elegante Frau, die mit hochgeschlagener Kapuze neben der einzigen anderen Heilerin der Gegend saß. Tatsächlich war Kemara Solus die einzige echte Heilerin, denn Dash war nie mehr als ein Feldscher gewesen.

Dash lehnte sich gegen die Theke. »Gravis, eine Runde Bier für alle und drei Pokale deines besten Rotweins.« Er warf ein halbes Dutzend Silbermünzen – der Großteil seines restlichen Geldes – auf das Holz, und genau wie erwartet zog das Klirren der Münzen viele Blicke auf sich. »Und für Zar ein Zitronenale.«

Dash vergewisserte sich, dass gewisse Leute nicht gekommen waren, vor allem Larch Falkenstein, der Vogt des Gouverneurs oder einer seiner Grenzwächter. Soviel er wusste, hielten sie sich im Augenblick am südlichen Ende des Distrikts auf. »Ich vertraue darauf, dass niemand hier ist, den wir nicht eingeladen haben?«