Die Seifenmanufaktur – Der Duft des Neubeginns - Farina Eden - E-Book
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Die Seifenmanufaktur – Der Duft des Neubeginns E-Book

Farina Eden

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Beschreibung

Duftende Seifen und das Schicksal einer Familie 1904 zerstört ein Brand fast alle Gebäude der Seifenmanufaktur, die von Hannas Sohn Anton geführt wird. Nur durch das Vermögen seiner Verlobten Helen kann Anton den Familienbetrieb am Laufen halten. Nach der Hochzeit widmet sich Helen dem Wiederaufbau. Dank ihres Unternehmergeistes werden die Seifen weithin bekannt und die Manufaktur übersteht den Ersten Weltkrieg. Helens Ehe gerät indes in eine schwere Krise, als sie herausfindet, dass Anton eine Affäre hatte, aus der eine Tochter hervorgegangen ist. Die Seifenmanufaktur floriert, doch kann Helen ihr privates Glück noch retten? Gefühlvoll, dramatisch, atemberaubend – der zweite Band der mitreißenden Saga um die wechselvolle Geschichte einer Seifensiederei im 19. und 20. Jahrhundert! Band 1: Die Seifenmanufaktur – Die Rezeptur der Träume Band 2: Die Seifenmanufaktur – Der Duft des Neubeginns Band 3: Die Seifenmanufaktur – Die Essenz des Glücks

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© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Sandra Lode

Covergestaltung: Teresa Mutzenbach

Covermotiv: Ildiko Neer / Trevillion Images; Shutterstock.com

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Inhalt

Cover & Impressum

Prolog

Kapitel 1

Helen

Kapitel 2

Anton

Kapitel 3

Lisbeth

Kapitel 4

Henriette

Kapitel 5

Helen

Kapitel 6

Anton

Kapitel 7

Lisbeth

Kapitel 8

Henriette

Kapitel 9

Helen

Kapitel 10

Anton

Kapitel 11

Lisbeth

Kapitel 12

Henriette

Kapitel 13

Helen

Kapitel 14

Anton

Kapitel 15

Lisbeth

Kapitel 16

Henriette

Kapitel 17

Helen

Kapitel 18

Anton

Kapitel 19

Lisbeth

Kapitel 20

Henriette

Kapitel 21

Helen

Kapitel 22

Anton

Kapitel 23

Lisbeth

Kapitel 24

Henriette

Kapitel 25

Helen

Kapitel 26

Anton

Kapitel 27

Lisbeth

Kapitel 28

Henriette

Kapitel 29

Anton

Kapitel 30

Helen

Kapitel 31

Anton

Kapitel 32

Lisbeth

Kapitel 33

Henriette

Kapitel 34

Helen

Kapitel 35

Lisbeth

Kapitel 36

Anton

Kapitel 37

Henriette

Kapitel 38

Helen

Kapitel 39

Anton

Nachwort

Seifenwirtschaft

Tourismus und gesellschaftliches Leben in Rothenburg ob der Tauber

Kunst in Rothenburg ob der Tauber

Danksagung

Quellen

Prolog

Ansbach, Montag, 2. Juni 1872

Sie erkannte den Mann sofort. Aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Einem Leben, das sich längst nicht mehr wie ihr eigenes anfühlte.

Mit klopfendem Herzen blieb sie stehen und wandte ihren Blick ab, doch dieser kurze Moment des Verschnaufens würde ihr nicht helfen. In der Hoffnung, dass sie so unerkannt blieb, zog sie ihre Haube tief ins Gesicht und steckte die Haare, die herausgerutscht waren, wieder darunter.

Es war sinnlos, jetzt darüber nachzudenken, warum die Aufseherin ausgerechnet sie geschickt hatte, um die Kleider zu holen, und nicht eine der anderen Waschfrauen. Ob sie wollte oder nicht, sie musste diesen Moment überstehen, denn sie war bereits entdeckt worden und konnte schlecht in Panik davonrennen.

Sie zerrte den Leiterwagen über das Kopfsteinpflaster. Die Kirchturmuhr hatte noch nicht einmal acht geschlagen, und für Anfang Juni war der Morgen empfindlich kalt. Trotzdem schwitzte sie, dabei lag die wirklich schwere Arbeit im dampfend heißen Waschhaus noch vor ihr.

»Da sind Sie ja.« Der Mann stand auf den Eingangsstufen des Gasthofes Schwarzer Bock und winkte sie mit ausladenden Armbewegungen zu sich. Seine Stimme war ein wenig tiefer, als sie sie in Erinnerung hatte, die Haare aber vom gleichen strohigen Gelb. Beim Näherkommen erkannte sie auch die vorwitzigen Sommersprossen, die ihr schon damals gefallen hatten, auch wenn sie das nie zugegeben hatte.

»Sie haben nach einer Wäscherin schicken lassen?« Sie senkte den Blick in der Hoffnung, unerkannt zu bleiben.

»Ich bitte vielmals um Verzeihung«, antwortete er. »Unter normalen Umständen würde ich selbst das Waschhaus aufsuchen und Ihnen nicht einen solchen Weg aufhalsen. Doch ich habe wichtige Termine mit Beamten des Norddeutschen Postbezirkes wahrzunehmen.«

Natürlich. Er war schon vor vier Jahren dabei gewesen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Er hatte immer davon gesprochen, dass es ihm mit einer solch respektablen Aufgabe ganz sicher gelingen würde, in bessere Kreise aufzusteigen.

»Sie müssen sich nicht erklären«, murmelte die Waschfrau. »Es ist mir eine Ehre, zu Diensten zu sein.« Sie deutete einen Knicks an und nahm einen gut gefüllten Leinensack entgegen.

Noch ehe sie sich abwenden konnte, beugte sich der Mann leicht nach vorn und versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen.

»Wir kennen uns doch.« Er riss ihr den Sack wieder aus den Händen und belud den Leiterwagen selbst, ganz so, als wäre ihm gerade aufgegangen, dass sie niemand war, der anderer Leute Kleidersäcke schleppen sollte.

»Sie müssen mich mit jemandem verwechseln«, unterbrach ihn die Wäscherin sofort. »Ich habe Ansbach noch nie verlassen.« Das war zwar eine glatte Lüge, jedoch der leichteste Weg, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»Ich könnte schwören …« Obwohl er davon absah, das Thema zu vertiefen, verrieten seine in die Hüften gestemmten Fäuste, dass er ihr nicht glaubte. Zum Glück war er höflich genug oder auch selbst zu verlegen, um sie noch weiter zu bedrängen. »Wann darf ich die Wäsche zurückerwarten?«

»Zum Ende der Woche, denke ich.«

Er seufzte und wedelte ablehnend mit den Händen. »Ich bin leider wie so häufig spät dran und habe nur noch Garnituren für die nächsten zwei Tage.«

»Verstehe. Für einen entsprechenden Aufpreis kann ich mich darum bemühen, dass Ihr Auftrag den weniger dringlichen vorgezogen wird. Heute ist Montag. Bis Mittwoch könnte ich zumindest einen Teil Ihrer Kleidung fertigstellen. Sollte das Wetter nicht mitspielen, dürfte es allerdings schwierig werden, die Wäsche zu trocken. Zu den üblichen Leistungen zählen Waschen, Trocknen, Bleichen, Stärken und Bügeln. Wünschen Sie sonst noch etwas?«

»Das wäre dann alles, danke.«

Mit dem Unterarm wischte sie sich die Schweißperlen von der Stirn und lief zurück zum Waschhaus. Ihre Gedanken schweiften in die Vergangenheit, und Schwermut und Kummer holten sie ein. Vier Jahre waren ins Land gegangen, seit sie ihrer Heimatstadt und den wenigen Menschen, die ihr wirklich etwas bedeutet hatten, den Rücken gekehrt hatte. Inzwischen verstand sie längst nicht mehr, wer sie damals gewesen war und warum sie Hanna und Sophie das Leben so schwer gemacht und deren Glück fast zerstört hatte. Sie war dankbar dafür, dass ihre gemeinen Ränkespiele nicht von Erfolg gekrönt waren und dass beide Frauen ihre Intrigen halbwegs folgenlos überstanden hatten. Sophie hatte ihren Bruder Theodor bereits im Jahre 1866 geehelicht, und zu Beginn des Jahres 1868 hatten sich auch Louis und Hanna verlobt. Etwa zu dieser Zeit hatte sie erfahren, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug, ein uneheliches Balg von einem Mann, den sie kaum kannte und der längst fort war. Diese Tatsache hatte ihr Schicksal besiegelt: Sie hatte die Heimat verlassen.

Sie ließ den Griff des Leiterwagens los, bog ihren Rücken durch und mahnte sich zur Eile. Die Aufseherin hasste jede Trödelei. Außerdem würde die Arbeit im Waschhaus sie auf andere Gedanken bringen, und das war dringend nötig, wenn sie nicht noch einmal in dieselbe tiefe Schwermut fallen wollte.

Damals hatte sie die ersten Monate ihrer Schwangerschaft damit zugebracht, die Menschen Rothenburgs zu hassen, allen voran Hanna, Sophie und Louis. Erst die Geburt ihrer Tochter hatte sie weicher werden lassen und dazu geführt, dass sie ihr eigenes Verhalten hinterfragt hatte. Heute wusste sie, dass nicht alle anderen, sondern einzig und allein sie das hartherzige Scheusal gewesen war.

Es hatte Momente in den vergangenen Jahren gegeben, in denen sie davon geträumt hatte, in den Schoß der Familie zurückkehren und sich entschuldigen zu können. Doch diesen Mut hatte sie nie aufgebracht, war sie doch zu dem geworden, was sie selbst stets verachtet hatte: ein gefallenes Mädchen. Es war ausgeschlossen, dass sie ihrer Familie, allen voran ihrem Bruder, einem inzwischen hoch angesehenen Advokaten, eine solche Schande bereiten würde.

Die zwei Jahre mit ihrer Tochter Gertrud waren von Armut und Entbehrungen geprägt gewesen, doch sie wollte heute keine Minute davon missen. Sie konnte aus tiefstem Herzen sagen, dass die Zeit mit ihrem Kind die glücklichste und selbstloseste ihres Lebens gewesen war. Dass ausgerechnet ihr wunderschönes Mädchen vom Würgeengel der Kinder und kurz darauf vom Tod heimgesucht wurde, hatte ihr das Herz gebrochen. Sie war zu einer Frau geworden, die sich ihrem Schicksal ergab und es als das annahm, was es vermutlich auch war: die Ernte dessen, was sie selbst gesät hatte.

In den letzten Jahren hatte sie jede Erinnerung an Rothenburg, ihre Eltern und ihren Bruder verdrängt. Sie war heute ein anderer Mensch, was nicht nur an dem falschen Namen lag, den sie sich zugelegt hatte. Als Wäscherin Barbara schuftete sie tagein, tagaus und verdiente gerade genug, um sich die Miete für ein Zimmer leisten zu können, das nur wenige Schritte vom Waschhaus entfernt lag und das sie sich seit fast zwei Jahren mit Margarethe teilte, die ebenfalls eine Anstellung im Ansbacher Waschhaus hatte.

Jetzt ausgerechnet auf diesen Boten der Vergangenheit zu treffen, war nicht mehr als ein dummer Zufall, eine Laune des Schicksals. Sie würde sich darum bemühen, dass Margarethe oder eine der anderen Frauen ihm die Kleider zurückbrachte, und schon bald würden die schmerzhaften Erinnerungen wieder verblassen.

Sie hatte kein Glück. Die Aufseherin bestand darauf, dass sie die Kleider selbst auslieferte. Ihr blieb also nichts weiter übrig, als sich zwei Tage später erneut auf den Weg zum Schwarzen Bock zu machen. Diesmal hatte sie sich allerdings darauf vorbereitet und ein Halstuch umgebunden. Stand sie erst vor ihm, konnte sie Mund und Kinn dahinter verstecken und so hoffentlich verhindern, dass ihre wahre Identität noch einmal zur Sprache kam.

Ihre Sorge war allerdings unbegründet, denn es war die Wirtin, die den Kleidersack entgegennahm. Die rundliche Frau reichte ihr einen Umschlag, dessen Inhalt die Wäscherin mit einem diskreten Blick kontrollierte.

»Er war viel zu großzügig mit dem Trinkgeld«, wetterte die Wirtin, die unverschämterweise nachgezählt haben musste. Sie sah die Wäscherin neugierig an und schien dabei auf ihre Haare zu starren.

»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte Barbara mit einem demütigen Knicks.

»Rote Haare. Gut. Dann ist das hier für Sie.« Die Wirtin drückte ihr ein zusammengefaltetes Blatt Papier in die Hand.

»Ich verstehe nicht?«

»Ich auch nicht. Machen Sie damit, was Sie wollen. Der feine Herr bat mich, Ihnen das zu übergeben, sollte ich rote Locken unter der Haube erkennen. Weitere Erklärungen habe ich nicht für Sie.«

Die Wäscherin nickte und schob das Papier in die Tasche ihrer Schürze. Kurz bevor sie das Waschhaus erreichte, hielt sie es vor Neugier nicht mehr aus. Sie blieb stehen und holte das Blatt wieder hervor.

Ihr erster Eindruck hatte sie nicht getäuscht. Sie hielt einen Artikel aus dem Rothenburger Tagblatt in Händen, der auf den 7. April diesen Jahres datiert war. Schon beim Überfliegen der Schlagzeile blieb ihr die Luft weg. Haltsuchend lehnte sie sich gegen ihr Gefährt und las, was man ihr, in dem offensichtlichen Wissen um ihre wahre Identität, hatte zukommen lassen:

Tödlicher Unfall auf der KobolzellerSteige in Rothenburg

Besitzer des renommierten Hotels Traubestirbt bei dem Versuch, mit seinem Fuhrwerkins Tal zu gelangen.

Die Waschfrau presste ihre Hand gegen den Mund und schnappte entsetzt nach Luft. Der Mann, um den es hier ging, war niemand anderesals ihr Onkel Ludwig Traub. In reißerischer Ausführlichkeit berichtete der Schreiber, was vorgefallen war: Lang anhaltende Nässe hatte das Seil, mit dem Personenfuhrwerke aus Sicherheitsgründen an einer Hauswand befestigt und langsam ins Tal gelassen wurden, erst völlig durchweicht, spät einsetzender Nachtfrost hatte dann dazu geführt, dass das Seil brüchig geworden und unter der Last des Pferdekarrens gerissen war. Unkontrolliert hatte das Gefährt bergab an Fahrt aufgenommen. Das Pferd, das mit dieser Geschwindigkeit nicht hatte mithalten können, war vom Wagen überrollt worden.

Ihr Onkel wurde dabei vom Kutschbock geschleudert und war auf dem Kopfsteinpflaster aufgeschlagen. Für ihn und das Tier kam jede Hilfe zu spät. In einem letzten Satz wies der Schmierfink nicht ohne Schadenfreude darauf hin, dass dieses Unglück möglicherweise das Ende des Hotels bedeuten könnte, da die Eheleute keine direkten Nachkommen hatten und die Witwe nun in tiefer Trauer gefangen war.

Barbara starrte auf das Papier und kam erst wieder zu sich, als ihre eigenen Tränen auf das Blatt tropften und die Druckerschwärze verschmierten. Mit dem Ärmel wischte sie sich über die Wangen, knüllte den Zeitungsartikel zusammen und stopfte ihn zurück in ihre Tasche.

Sie dachte an ihre Eltern, und ein eisiger Schauer kroch ihr vom Nacken über die Schultern bis in die Fingerspitzen. Ihr Vater Christian verdankte seine Anstellung und damit das auskömmliche Leben, das er Weib und Kindern hatte bieten können, einzig und allein Ludwig Traub. Bei der Vorstellung, dass schon bald jemand die Geschicke des Hotels leiten würde, der möglicherweise keine Verwendung für ihren Vater hatte, wurde ihr schwer ums Herz. Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass dieses wunderschöne und mondäne Hotel in Zukunft nicht mehr im Besitz der Familie sein würde. Ihr Bruder kam ihr in den Sinn. Doch seine Leidenschaft für die Jurisprudenz war viel zu ausgeprägt. Er würde seine Arbeit als Advokat und seine wohltätigen Ambitionen kaum aufgeben, um ein Hotel zu leiten.

Während sie den Karren wieder in den Unterschlag hinter dem Waschhaus zerrte, liefen ihr die Tränen. Wie gern hätte sie sich eingeredet, dass ihr das eben Gelesene gleichgültig war, doch das war es nicht. Ihr Magen verkrampfte sich, und weil sie das Gefühl hatte, nicht genug Luft zu bekommen, atmete sie hektisch. Sie sollte ihre Habseligkeiten packen, sich auf den Weg nach Hause machen und ihrer Familie, allen voran ihrer Tante und ihrer Mutter, in dieser schweren Stunde zur Seite stehen. Doch auch nach all der Zeit war ihre Scham noch immer größer als ihr Heimweh. Sie würde wohl niemals mehr den Mut aufbringen, nach Rothenburg zurückzukehren.

Kapitel 1

Sonntag, 31. Mai 1903

Helen

Auf den tosenden Applaus war Helen nicht vorbereitet. Sie stand auf der Bühne des Kaisersaals zwischen all den anderen Darstellern, ihr Herz schlug dröhnend im Rhythmus der klatschenden Hände, und sie konnte nicht aufhören zu lachen. Links von ihr griff jemand nach ihrer Hand und bedeutete ihr, das Gleiche mit ihrem Nebenmann zu tun. Kurz darauf verbeugten sie sich alle ein letztes Mal, dann fiel der Vorhang.

Helen setzte sich auf die Holzbank, die in der Garderobe für die Schauspieler aufgestellt worden war. Ruhig atmete sie ein und aus und wartete darauf, dass ihr Puls sich beruhigte. Das Lächeln verschwand trotzdem nicht aus ihrem Gesicht.

Nach all der Aufregung und Nervosität, die ihr bereits Tage vor ihrem Auftritt den Schlaf geraubt hatten, ertrank sie nun förmlich in einem Meer aus Glücksgefühlen.

Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie selbst zum ersten Mal unter den Zuschauern gesessen hatte. Es war die Pfingstaufführung des Jahres 1893, und sie war gerade zehn Jahre alt gewesen. Schon damals hatte sie sich in ihrer kindlichen Begeisterung geschworen, irgendwann eine Rolle im Meistertrunk zu spielen.

Und genau dieser Wunsch war heute in Erfüllung gegangen. Sie wäre auch mit einer Statistenrolle zufrieden gewesen, doch nach den ersten zwei Proben hatte man ihr die weibliche Hauptrolle übertragen. Mit großem Eifer hatte sie den Text der Bürgermeisternichte Magdalena Hirsching auswendig gelernt und wochenlang vor sich hin gemurmelt. Der minutenlange Applaus und die Menschen, die sich dabei von ihren Stühlen erhoben hatten, war all die Mühen wert gewesen. Helen wusste, dass sie auch im nächsten Jahr wieder mitspielen würde, sollte das Festspielkomitee sie darum bitten.

Sie verschwand hinter einem der provisorischen Vorhänge, zog ihr Kostüm aus, schlüpfte in Bluse und Hose und seufzte. Der Beifall, in dem sie sich eben noch gesonnt hatte, würde verstummen, wenn die Zuschauer sie erst in diesem Aufzug sahen, doch damit konnte sie leben.

Die Lästereien der Tauberstädter ob ihrer Kleidung würde sie genauso ignorieren wie die entsetzten Blicke, die sie mit ihrer neuesten Errungenschaft auf sich zog. Ohnehin kam keine der gehässigen Bemerkungen auch nur annähernd an die ausufernden Kämpfe heran, die sie mit ihrer Mutter Henriette hatte ausfechten müssen.

»Wir sind die Eigentümer des Hotels Traube. Unser Name zählt etwas in diesem Ort. Kleide und benimm dich gefälligst deiner Stellung entsprechend«, hatte sie gezetert.

»Ich trage Hosen, weil ich sonst stürzen würde.« Die Erklärung hatte ihre Mutter nicht verstanden. Im Nachhinein war Helen klar geworden, dass es schonendere Wege gegeben hätte, sie auf ihr neues Gefährt vorzubereiten. Auf ihre Nachfrage, was das bedeuten würde, hatte sie sie in den Innenhof des Hotels gebeten. Aus Neugier war auch ihr Vater mit hinausgelaufen.

»Im Rock könnte ich wohl kaum damit fahren.« Stolz hatte Helen auf ihr neues Niederrad gezeigt, das sie gegen die Hauswand gelehnt hatte.

Die Reaktion ihres Vaters war eine Erleichterung für Helen gewesen. Er war in schallendes Gelächter ausgebrochen, hatte dann mit hochgezogener Augenbraue seine Gemahlin angesehen und auf das Donnerwetter gewartet, das unvermeidlich war.

»Du findest das witzig?« Henriette warf ihrem Gatten einen vernichtenden Blick zu und wandte sich dann an Helen. »Willst du mich ins Grab bringen?«, fauchte sie. »Hosen und ein Fahrrad? Vielleicht schneiden wir gleich noch deine wunderschönen Locken kurz? Ich weiß nicht, warum du mir so etwas antust. Auf diesem affigen Gestänge auf Rädern wirst du mir nicht unter die Leute gehen.« Sie wandte sich an Helens Vater. »Ich weiß genau, was du jetzt tun wirst.«

»Ich werde etwas tun?«

»Aber ja. Du nimmst den Einspänner, packst deine Tochter und dieses Drahtding ein und bringst es zurück.«

»Nein.« Helen hatte nur dieses eine Wort gesagt, doch es hatte dazu geführt, dass ihre Mutter fast zwei Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen hatte.

Henriettes Versuch, ihren Mann auf ihre Seite zu ziehen, war erfolglos geblieben. »Du kannst ihr nicht vorschreiben, was sie mit ihrem Geld tut«, hatte er eingewendet. »Sie spricht seit ihrem siebten Lebensjahr davon, einmal wie ein echter Velozipedist durch Rothenburg zu rasen.«

Helen hatte bekräftigend genickt. Sie wusste, dass ihre Mutter ihre Schwärmerei für diese Art der Fortbewegung stets als Kinderei abgetan hatte. Das war sie mitnichten.

Die Ersten, die mit diesem Gefährt die Stadt erobert hatten, waren noch auf Hochrädern gekommen. Eine Fahrt damit grenzte an einen akrobatischen Akt. Inzwischen gab es die weit bequemeren Niederräder. Sie waren weniger gefährlich und die Handhabung ein Kinderspiel.

Helen hatte das Ziel, eines davon zu besitzen, nie aus den Augen verloren, zugestecktes und später im Hotel selbst verdientes Geld gespart und sich schließlich angeschafft, wovon sie so lange geträumt hatte.

Und natürlich hatte sie den Kampf gegen ihre Mutter gewonnen und ihr Gefährt behalten.

Helen stand lächelnd auf. Mit erhobenem Kopf und Beinen, die in Hosen steckten, verließ sie Kaisersaal und Rathaus. Auf der breiten Außentreppe kam ihr Lisbeth entgegen.

»Du warst einfach unglaublich!«, rief sie und riss ihre Freundin an sich. »Mit diesem Talent solltest du auf großen Theaterbühnen stehen!«

»Und meine Mutter endgültig in den Wahnsinn treiben?«, lachte Helen. »Besser nicht.«

»Kommst du später in den Bären? Wir brauchen jede Hand, die wir kriegen können.«

»Aber ja, ich freue mich schon darauf«, antwortete sie und meinte es genau so, wie sie es sagte. Lissis Mutter Sophie, die das Waisenhaus in St. Leonhard leitete, hatte bereits vor Jahren damit begonnen, das Festspielwochenende der Tauberstadt zum Anlass zu nehmen, um auch den Ärmsten der Armen etwas Gutes zu tun. Mithilfe ihrer Tochter und ihres Mündels Jacob versorgte sie die Bedürftigen der Stadt im Gasthaus Bären mit einer warmen Mahlzeit. Die Gelder, die dafür nötig waren, beschaffte ihr Gatte Theodor. Sein tadelloser Ruf reichte bis weit über die Stadtmauern hinaus. Jahr für Jahr bat er die wohlhabenden Rothenburger bei verschiedensten wohltätigen Anlässen zur Kasse und die Armenspeisung im Bären gehörte dazu.

Nachdem sie sich von Lisbeth verabschiedet hatte, lief Helen stadtauswärts. Sie roch das Spektakel, noch bevor sie es sah. Zu den Festspieltagen gehörten neben Meistertrunk und Festumzug auch die Darstellung von Lagerszenen. Es hatte den Anschein, als wäre die gesamte Einwohnerschaft aus der Zeit gefallen. Kostümiert, zu Fuß, zu Pferd und auf bunt geschmückten Wagen zog die schillernde Heerschar durch die Straßen, um sich dann auf den Wiesen vor den Stadtmauern zu versammeln und das Lagerleben des Dreißigjährigen Krieges nachzustellen. Dabei wurde zwischen Galgentor und Klingentor nicht nur gewaltig gezecht, sondern auch Fleisch und Geflügel in übergroßen Töpfen gekocht. Das Kesselfleisch roch appetitlicher, als es aussah, was sicher mit den unzähligen Knoblauchzehen zu tun hatte, die in die Töpfe geworfen wurden. Und so, wie diese Speise angeblich zu einem realistischen Lagerleben gehörte, so gehörte auch ein durch die Straßen wabernder Knoblauchgeruch zu den Pfingsttagen.

Helen legte die flache Hand an die Stirn und sah zum Himmel hinauf. Obwohl das Lager in strahlendem Sonnenschein lag, waren die dunklen Gewitterwolken in einiger Entfernung nicht zu übersehen. Mehr als eine Runde um die Festtagswiese würde ihr nicht bleiben, wenn sie nicht völlig durchnässt im Bären eintreffen wollte.

Gut gelaunt und neugierig schlenderte sie an Zelten und Feuerstellen vorbei. Um eines der Feuer saßen Burschen, die sie nur zu gut kannte: Da waren die Brüder Sebastian, den alle Welt nur Wastl nannte, und Maximilian, die verwöhnten Söhne des Rothenburger Lateinschullehrers Peters. Unter normalen Umständen waren sie zwar laut und kindisch, aber auch witzig und ziemlich schlau. Helen wusste sie zu nehmen. Sie war mit ihnen aufgewachsen und hatte so manches Fest in der Traube Versteck spielend, in späteren Jahren dann scherzend und tanzend mit ihnen zugebracht.

Sollte sie die jungen Männer jetzt beschreiben, würde ihr Urteil allerdings nicht ganz so gnädig ausfallen, denn sie waren sturzbetrunken. Wastl war zwei Jahre älter als Max, trotzdem studierten die Petersbrüder gemeinsam an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sie hatten sich den Naturwissenschaften verschrieben und ließen sich nur noch dann in Rothenburg blicken, wenn sie sich von Festen wie dem heutigen feucht-fröhliche Nächte versprachen.

Neben ihnen saß Anton, der Sohn der Schmiegerschen Seifensiederei. Er sah nicht ganz so ramponiert aus wie die Brüder, doch auch er amüsierte sich offenkundig prächtig.

Helen war nun auf einer Höhe mit ihnen. Ihr stand nicht der Sinn nach derben Albernheiten, deswegen vermied sie es, die jungen Männer anzusehen. Leider dachten die drei nicht daran, sie kommentarlos ziehen zu lassen. Wastl entdeckte sie zuerst. Schwankend erhob er sich, gab etwas von sich, das nach »Wenn das nicht unser aller Traumweib Helen ist« klang, und stimmte grölend Die Gedanken sind frei an. Sein Bruder Max fiel lachend ein. Sie nahmen Anton in ihre Mitte und schunkelten singend und feixend hin und her.

Anton hob entschuldigend beide Hände, doch Helen winkte lachend ab. Immerhin machten sie sich nicht über ihre Hosen lustig – eine Tatsache, die sie ihren benebelten Sinnen zusprach.

Als sie das Ende des Festplatzes erreicht hatte, begann ihr Magen zu knurren. Vor Aufregung hatte sie am Morgen nichts heruntergebracht. Das rächte sich nun. Sie dachte gerade darüber nach, ob sie im Bären oder doch lieber an einem der Essensstände etwas zu sich nehmen sollte, als ihr der Himmel buchstäblich auf den Kopf fiel. Von einer Sekunde auf die nächste schüttete es aus Kübeln, und innerhalb weniger Minuten hatte sich die große Festwiese in eine Schlammgrube verwandelt. Einmal mehr war Helen froh, dass sie Hosen trug.

Sie warf ihre Haare zurück und begann zu laufen. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass die Brüder vergeblich versuchten, die schlammige Wiese zu verlassen und auf den befestigten Weg zu gelangen. Sie stolperten über ihre eigenen Füße, rutschten im Schlamm aus und fielen lachend in den Dreck. Das Bild, das die beiden abgaben, war zu köstlich, und Helen konnte sich ein Lachen nicht mehr verkneifen.

»Machst du dich lustig über die beiden Trunkenbolde?«, ertönte eine Stimme neben ihr. Anton hatte sie erreicht, zog im Laufen seine Weste aus und hielt sie schützend über ihrer beider Köpfe. Dankbar griff sie nach einer Ecke der Weste und schnaufte, was nicht nur daran lag, dass sie nun bergauf eilen mussten, sondern auch daran, dass sie nicht aufhören konnte zu lachen. Antons Freunde hatten gerade eingesehen, dass sie kaum nasser oder noch schmutziger werden konnten, und es darum keine Rolle mehr spielte, ob sie sich vor dem Gewitter in Sicherheit brachten oder nicht. An Ort und Stelle setzten sie sich auf die nasse Wiese und griffen nach ihren Bierkrügen.

»Würde mir im Traum nicht einfallen, mich über die Peters-Brüder lustig zu machen«, feixte Helen.

»Nicht einmal dann, wenn sie sich selbst verschuldet zum Narren machen?« Anton grinste.

»Nicht einmal dann.«

»Schade«, sagte er und setzte eine bedauernde Miene auf. »Dieses herzhafte Lachen ist nämlich wunderschön an dir.«

Helen hatte plötzlich das Gefühl, seinem forschen Blick nicht standhalten zu können. Anton war für sie stets nur der Seifensieder-Sohn gewesen. Freundlich und höflich zwar, aber auch zurückhaltend und distanziert. Dass er jetzt neben ihr herlief, ihr völlig unerwartet ein Kompliment machte und darauf bedacht war, sie vor dem Regen zu schützen, verwirrte sie.

»Soll ich dich nach Hause begleiten?« Anton brüllte gegen den peitschenden Regen und den heftigen Wind an, der jedes Wort sofort davontrug.

»Zu weit«, entgegnete Helen. »Gehen wir hierhinein.« Sie deutete auf die Bierhalle, das Stammhaus des Braumeisters Hans Gräber.

Anton hielt ihr die Tür auf. Helen schüttelte ihre nassen Locken und strich Bluse und Hose glatt, was nichts daran änderte, dass sie nass war bis auf die Haut. Sie nahm den Geruch von Braten und frischem Brot wahr und beschloss, ihren Hunger sofort zu stillen.

»Ich muss unbedingt etwas essen«, erklärte sie und fragte dann ohne jede Scheu: »Leistest du mir Gesellschaft?«

Anton strahlte. »Gern.«

Um der gefräßigen Menge, die an diesem Wochenende aus Tauberstädtern und Touristen bestand, Herr zu werden, war die Speisekarte in der Bierhalle zusammengestrichen worden. Wer essen wollte, musste mit der einen Speise vorliebnehmen, die heute aus der Küche kam: Fränkische Schäufele und Knödel. Während sie aßen, kamen immer wieder Menschen an ihren Tisch, um Helen die Hand zu schütteln. Irgendwann hatte auch Anton verstanden, was es mit den Glückwünschen auf sich hatte.

»Du hast im Meistertrunk mitgespielt?« Ehrfurcht schwang in seiner Stimme mit. »Ich kann nicht glauben, dass ich das verpasst habe!« Bedauernd verzog er seine Mundwinkel.

»Einer meiner zwei Kindheitsträume«, gab sie zurück.

»Was war der andere?«

Helen sah Anton ruhig an, pikste das letzte Stück Knödel auf ihre Gabel, wischte damit die Bratensoße vom Teller und schob sich den Bissen in den Mund. Während sie kaute, warf sie einen Blick aus dem Fenster. Das Gewitter war inzwischen vorübergezogen. Da sie seine Nähe genoss – eine Tatsache, die sie noch immer nicht ganz einordnen konnte –, antwortete sie mit einer Gegenfrage.

»Hast du noch etwas Zeit? Dann zeige ich es dir.«

Ehe Anton antworten konnte, trat Hans an den Tisch. Helen schätzte den Brauereimeister auf Ende zwanzig. Er war das, was man wohl als gut aussehend beschreiben würde, allerdings hatte er einen Bauchansatz, der darauf schließen ließ, dass er dem eigenen Gerstensaft nicht abgeneigt war. Seine dunklen Haare trug er gescheitelt, der Schnauzbart war sorgsam gezwirbelt und verlieh seinem Gesicht etwas Erhabenes. Seine Späße waren derb, gingen aber bei der weiblichen Kundschaft niemals zu weit. Mit Männern hingegen waren grobe Scherze der Türöffner für ein oft üppiges Trinkgeld.

»Die Nichte des Bürgermeisters. Eben noch auf der Bühne und nun bei mir in der Bierhalle. Ich fühle mich geehrt, liebste Helen.« Er duzte sie ganz selbstverständlich, so wie er es eben bei all seinen heimischen Gästen hielt. »Ich danke dem Herrn dafür, dass ich in den Genuss kommen durfte, dich heute auf der Bühne zu erleben. Und was bin ich froh, dass ich mir ausgerechnet dieses verschlafene Städtchen für meine Brauerei ausgesucht habe.« Er sah sie lange an, und Helen stutzte. Er hatte nicht den üblichen leutseligen Ton angeschlagen, sondern schien jedes einzelne Wort ernst zu meinen.

»Dankeschön«, sagte sie unsicher.

»Für den Star des Tages«, er sah Anton kurz an und schob etwas widerwillig »und Begleitung« hinterher, »geht das Essen heute aufs Haus. Ich würde mich sehr freuen, dich von nun an öfter zu sehen.«

Helen spürte, dass sie errötete. Es war ihr unangenehm, dass er ihr trotz Antons Anwesenheit so offensichtlich den Hof machte, und sie war erleichtert, als Gäste vom Nebentisch nach ihm riefen.

»Gehen wir.« Anton hatte während des gesamten Gesprächs geschwiegen, doch Helen bildete sich ein, so etwas wie Unwillen aus seiner Stimme herauszuhören.

Sie nickte und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Anton hatte noch immer kein Wort darüber verloren, dass sie in Hosen steckte.

Nun würde sich herausstellen, was er von einer Frau hielt, die sich wie ein Mann auf ein Rad schwang. Helen war nervös. Sie erkannte in diesem Moment, dass ihr plötzlich wichtig war, was Anton Schmieger von ihr hielt.

Kapitel 2

Sonntag, 31. Mai 1903

Anton

Das Essen war die Rettung gewesen, denn der Alkoholnebel verschwand langsam aus Antons Kopf. Wenn er gewusst hätte, welchen Verlauf dieser Tag nehmen würde, hätte er sich beim Trinken zurückgehalten, doch sein Plan für heute war ein völlig anderer gewesen. Er hatte sich auf Sebastian und Max gefreut, kamen sie doch inzwischen immer seltener zu Besuch in die Heimat. Zu dritt hatten sie sich als Laiendarsteller für das Feldlager gemeldet, denn das bedeutete unbegrenzten Zugang zu Bier. Die Pfingsttage waren eben Ausnahmezustand in der Stadt, und den wussten vor allem die jungen Leute zu nutzen.

Doch dann war Helen in diesem seltsamen Aufzug ins Tal geschlendert und er hatte die Augen nicht von ihr abwenden können. Ihre langen Beine steckten in Pluderhosen, deren Bündchen kurz unter dem Knie endete und schlanke Waden in Strümpfen freigaben. Das weite Beinkleid täuschte nicht darüber hinweg, wie zierlich die Hotelierstochter war. Ihre Bluse hatte sie in die Hose geschoben, und der eng geschnallte Gürtel betonte ihre schmale Taille. Die roten Locken, die sie eindeutig ihrer Mutter zu verdanken hatte, waren nur zur Hälfte am Oberkopf zusammengebunden.

Er hatte versucht, sich einzureden, dass seine plötzliche Verzückung wohl dem Bier geschuldet war. Doch sein Kopf war längst klarer, und er konnte sich noch immer nicht sattsehen an ihrem Anblick.

Dabei half es auch nicht, dass er sich Evas Gesicht ins Gedächtnis rief. Er war seit Kindertagen mit ihr befreundet und immer davon überzeugt gewesen, dass er die Tochter des Rothenburger Krämers irgendwann heiraten würde. Ihre und seine Eltern mochten sich, und auch die Verbindung beider Geschäfte würde für alle Beteiligten von Vorteil sein. Warum also lief er nun neben Helen her und hatte das Gefühl, der Boden unter ihm würde schwanken? Und warum störte es ihn, wenn jemand wie Hans Gräber offenkundig seine Verzückung für sie ausdrückte?

Anton mahnte sich zur Ruhe. Helen würde ihm etwas zeigen, und danach würden sie wieder ihrer Wege gehen. Nicht mehr und nicht weniger.

Sie liefen durch überfüllte Straßen, vorbei an lachenden und völlig durchnässten Menschen, und obwohl ihm auffiel, dass seine Begleiterin immer wieder kritisch beäugt wurde, fühlte er sich wohl in der Gegenwart dieser selbbewussten, schönen Frau.

»Da wären wir.«

Sie standen vor der Turnhalle, in der Festspieltouristen ihre Fahrräder unterstellten, und Anton verstand nicht recht. »Und hier möchtest du mir etwas zeigen?«

Anstelle einer Antwort lächelte sie, griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her in die Halle. Ihre Hand zu spüren, machte ihn zwar nervös, gleichzeitig begeisterte ihn die Tatsache, dass sie überhaupt keine Berührungsängste zu haben schien. Mit großen Schritten lief sie vorbei an unzähligen Rädern und blieb dann vor einem davon stehen.

»Das ist meins.«

»Ist nicht wahr!«

So wie sie ihren Stolz nicht verstecken konnte, gelang es ihm nicht, seine Überraschung zu verbergen. Eva wäre nie im Traum eingefallen, in aller Öffentlichkeit nach seiner Hand zu greifen – allenfalls hakte sie sich bei ihm unter. Von Hosen und eigenem Fahrrad ganz zu schweigen. Er hätte sich gern eingeredet, dass ihm ihre Offenheit zu weit ging, doch das Gegenteil war der Fall: Helen überraschte ihn an diesem Tag, und genau das faszinierte Anton.

Er hätte sie gern gefragt, wie sie auf nur zwei Rädern das Gleichgewicht halten konnte, doch natürlich war diese Frage dumm. Er hatte Augen im Kopf und sah selbst, dass die Velozipedisten von Jahr zu Jahr mehr wurden. Die Tatsache, dass er bisher nur Männer auf den Zweirädern gesehen hatte, bedeutete wohl kaum, dass Frauen dazu nicht in der Lage waren.

»Willst du es ausprobieren?«

Antons erster Impuls war Abwehr, doch dann packte ihn der Ehrgeiz. Er wollte vor Helen nicht als Feigling dastehen, auch wenn er nicht glaubte, dass diese unbekümmerte Frau solche Gedanken hegte.

»Ich weiß nicht«, antwortete er zögernd. »Bisher habe ich es noch nie versucht.«

»Dann wird’s Zeit! Es sei denn, der Vormittag auf der Wiese ist dir mit all dem Bier zu Kopf gestiegen.« Helen machte einen Schritt auf ihn zu, sah zu ihm auf und zog neckisch ihre Augenbrauen in die Höhe, während sie auf seine Reaktion wartete.

»Oder hast du etwa Angst?« Ihr Gesicht war seinem so nah, dass er nicht nur ihre hübschen Sommersprossen auf der Nase, sondern auch ihre Augenfarbe erkennen konnte. Es war eine unergründliche Mischung aus Blau und Grün, und er sah neben den dunklen Sprenkeln auch den Schalk darin funkeln.

»Wohl kaum«, gab er zurück und stupste ihr, ohne darüber nachzudenken, mit dem Zeigefinger gegen die Nasenspitze.

»Brauchst du auch nicht«, gab sie sich gönnerhaft. »Ich halte dich und sofern du fallen solltest, verspreche ich dir hoch und heilig, dass ich dich auch wieder aufhebe und falls nötig verarzte.« Sie gluckste leise und griff nach dem Lenker ihres Rades.

»Zu gütig, danke«, brummte Anton. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und er wusste, dass das nicht nur daran lag, dass er sich gleich todesmutig auf dieses Drahtgestell schwingen würde. Es lag an Helen. Sie rief eine Nervosität in ihm hervor, die er so noch nicht erlebt hatte. Sein Magen rebellierte, und in diesem Augenblick hätte er Stein und Bein schwören können, dass er nie wieder etwas würde essen können. Zumindest nicht, solange diese Frau in seiner Nähe war.

Sie traten in nun wieder strahlenden Sonnenschein hinaus, und Helen schob das Gefährt hinter die Halle, wo es eine freie Fläche gab, die während der alljährlichen Feier des Turnervereins als Festplatz diente.

»Bereit?«

Er nickte, obwohl ihm genau jetzt eher nach Davonlaufen zumute war. »Machst du es mir erst einmal vor?«, bat er, um Zeit zu schinden und seinen Puls unter Kontrolle zu bringen. Dann beobachtete er sie dabei, wie sie aufstieg. Dazu setzte Helen ihr linkes Bein auf ein Pedal und schwang das rechte hinten über den Sattel, ganz so, als würde ein Reiter auf sein Pferd steigen. Dummerweise hatte ihr Rad keine vier Beine. Er würde selbst dafür sorgen müssen, dass er nicht umfiel, und das gelang nur, wenn er sofort losstrampelte. Doch wie sollte das funktionieren, wenn er noch nicht einmal das Gleichgewicht halten konnte?

»Du denkst zu viel!«, rief Helen, die sein Schweigen zu deuten wusste. In Form einer Acht fuhr sie immer wieder um ihn herum, als wäre das alles ein riesengroßer Spaß und die einfachste Sache der Welt.

»Das sieht so leicht aus bei dir«, sagte er, als sie vor ihm zum Stehen kam. »Und es erklärt deine Kleiderwahl«, schob er grinsend hinterher.

Helen nickte. »Lange Röcke verfangen sich in Rad oder Kette, glaub mir, das herauszufinden, war sehr schmerzhaft.«

Sie warf ihre roten Locken über die Schulter und verzog das Gesicht, als spürte sie den Schmerz vom Sturz noch heute. »Schau her«, bat sie, deutete auf die Lenkstange und zeigte auf einen weiteren Hebel. »Damit bremst du. Siehst du, dieser Klotz drückt auf das Vorderrad und bringt dich zum Stehen.«

Anton nickte, obwohl ihm tausend Fragen durch den Kopf schwirrten: Wie sollte er den Lenker halten und gleichzeitig den Bremsgriff betätigen? Was, wenn er nicht rechtzeitig zum Stehen kam und gegen die Hallenwand fuhr? Und wie – um alles in der Welt – hielt man auf diesem wackligen Ding das Gleichgewicht?

»Stell dich erst einmal über das Rad.«

Er kam ihrer Bitte nach.

»Und nun setz dich. Und sobald du so weit bist, gibst du dem Rad einen kleinen Schubs und nimmst für einen Moment die Beine hoch. Roll ein bisschen, damit du ein Gefühl dafür bekommst.«

Roll ein bisschen, dachte Anton. Natürlich, was auch sonst? In diesem Moment bedauerte er fast, dass er ihr seine Weste als Schutz vor dem Regen geboten hatte. Wäre er bei Wastl und Max auf der Wiese geblieben, wäre er nun zwar vermutlich ebenso sturzbetrunken, aber er müsste sich wenigstens nicht auf dieses mörderische Gefährt setzen.

Anton atmete einige Male ein und aus. Auf keinen Fall wollte er sich vor Helen die Blöße geben und jetzt einen Rückzieher machen. Er gab dem Rad einen Schubs und zog die Füße an. Tatsächlich blieb das Zweirad umso ruhiger, je schneller es rollte.

»Sehr gut«, rief Helen, die neben ihm herlief. »Und jetzt die Beine auf die Pedalen und treten. Na, los doch!«

Ihre Worte motivierten ihn, und die Tatsache, dass sie sich die Mühe machte, neben ihm herzulaufen, um den Sattel zu halten, beruhigte ihn.

Er fuhr wirklich auf einem Niederrad! Ein Glücksgefühl machte sich in ihm breit, und in diesem Augenblick verstand er, warum so viele Menschen inzwischen auf Zweirädern unterwegs waren. Die Geschwindigkeit und das Gefühl, diese mit eigener Körperkraft hervorzurufen, waren unbeschreiblich.

»Du kannst es!«, rief Helen. Sie klatschte übermütig in die Hände, und Anton begriff, dass sie ihn wohl nicht mehr hielt, wenn sie doch klatschen konnte.

Instinktiv drehte er den Kopf, um nachzusehen, eine dumme Idee, wie er sofort feststellen musste. Er verzog den Lenker, und anstatt nach der Bremse zu greifen, sah er dabei zu, wie er, noch immer radelnd, auf einen Busch zusteuerte.

»Bremse«, brüllte Helen, doch es war zu spät. Anton verlor das Gleichgewicht und landete fluchend im Gebüsch.

Immerhin löste sie ihr Versprechen ein. Sie kam zu ihm geeilt und griff nach dem Rad, unter dem er begraben lag. Er sah in ihre fröhlich funkelnden Augen und verzog schmollend die Lippe.

»Retten, Helen. Von Lustigmachen war nicht die Rede.«

Sie gab einen schnaubenden Lacher von sich und warf sich theatralisch neben ihm ins Gras. »Ich rette dich doch«, sagte sie und sah ihn ernst an, während sie, auf den Knien hockend, Blätter aus seinen Haaren zupfte. »Das war sehr schlau, Anton Schmieger.«

»Ach ja?«

»Du hast dir eindeutig den besten Platz für deinen Sturz ausgesucht. Ich meine, es hätte auch die Mauer sein können, dann müsste ich jetzt womöglich blutende Wunden versorgen oder statt der Blätter Dachziegel von dir herunterheben. Was für ein Glück, dass da ein Busch stand, um das Bremsen für dich zu übernehmen. Büsche und Blätter sind gut, mit denen kann ich umgehen.«

Anton konnte nicht anders und gab lachend seine gespielte Ernsthaftigkeit auf. »Bis eben dachte ich noch, dass die Beschreibung unverschämt hübsch die passendste für dich wäre.«

»Ach, dachtest du?«

»Nun muss ich mich korrigieren.«

»Und was passt wohl jetzt zu mir?«, neckte sie weiter.

»Unverschämt. Punkt. Mehr nicht.«

»Damit kann ich leben.« Sie stand auf, reichte ihm die Hand und zog ihn hoch. »Ab aufs Rad, du Abenteurer.«

»Du beliebst zu scherzen!« Diesmal war Antons Entsetzen nicht gespielt. Sie wollte doch nicht wirklich, dass er noch einmal auf dieses Monstrum stieg?

»Nein. Du warst ganz kurz davor. Zwei Kurven mehr und ein paarmal das Bremsen üben und du kannst es. Selbst meine Mutter sagt, dass ein gestürzter Reiter sofort wieder aufs Pferd muss. Also los. Und diesmal halte ich dich nicht fest, dann drehst du dich auch nicht um vor Schreck, weil du merkst, dass ich loslasse.«

Anton lächelte und schwieg. Sie hatte genau erkannt, wie es zum Sturz gekommen war. Offenbar war sie einfühlsamer, als es ihre freche Art glauben machte. Sie stand vor ihm und wartete darauf, dass er auf das Niederrad stieg, dabei hatte sie die Sonne im Rücken. Und jetzt, wo ihr Gesicht im Schatten lag, glänzten ihre Augen plötzlich grün.

Anton schluckte. Er musste dringend damit aufhören, sie so aufmerksam zu studieren, denn alles, was er jetzt mit ihr erlebte, brannte sich in sein Gedächtnis ein und würde, wenn er nicht aufpasste, von dort aus den direkten Weg in sein Herz finden. Doch genau das hatte er lange vor der heutigen Begegnung für Eva reserviert.

Helen behielt recht. Er schaffte es beim zweiten Mal tatsächlich, das Gefährt zu steuern und zu bremsen, ohne sich dabei erneut zu blamieren.

»Du bist sehr viel schneller eins mit dem Rad als ich«, gab sie schließlich zu, und er bildete sich ein, so etwas wie Bewunderung aus ihren Worten herauszuhören. Den Wunsch, dass er gern dabei gewesen wäre, als sie sich das Radfahren beigebracht hatte, behielt er allerdings für sich.

Kapitel 3

Sonntag, 31. Mai 1903

Lisbeth

Im Bären gab es so unfassbar viel zu tun, dass ihr gar nicht aufgefallen war, wie spät Helen eintraf. Als sie das Gasthaus betrat, waren ihre Wangen gerötet und einzelne Haarsträhnen aus ihrem Zopf gerutscht.

»Wo hast du dich denn herumgetrieben?«, fragte Lisbeth und lief mit Tellern in der Hand an Helen vorbei, ohne auf eine Antwort zu warten.

»Ich höre?«, sagte sie, nachdem Teller und ein weiteres Tablett voll mit Bierkrügen seine Abnehmer gefunden hatte.

»Wurde aufgehalten«, murmelte Helen, und das seltsame Leuchten im Gesicht der Freundin ließ Lissi aufhorchen.

»Bevor ich nicht alle Einzelheiten kenne, verlässt du diesen Ort nicht«, kommandierte sie. Dann zog sie Helen in die Küche und wies sie gemeinsam mit ihrer Mutter in die Dinge ein, die es zu tun gab.

»Es passt dir doch, diesmal in der Küche zu bleiben?« Im vergangenen Jahr hatten Lissi und Helen gemeinsam bedient, doch der erste Ansturm an hungrigen Gästen war inzwischen vorüber, und es half den Wirtsleuten und ihrer Mutter sicher am ehesten, wenn Helen ihr bei der Vorbereitung der Speisen für die Abendgäste zur Hand ging.

Helen gab ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass das in Ordnung war, und Lissi wandte sich einem kleinen Tisch zu, der sich direkt neben der Küchentür befand und gerade genug Platz für eine Person bot.

Lisbeth kannte das Gesicht der Frau, konnte in diesem Moment jedoch nicht sagen, woher. »Herzlich willkommen. Entschuldigen Sie, dass wir nur noch diesen undankbaren Platz neben der Küchentür haben.«

»Das macht doch nichts. Ich bleibe ohnehin nicht allzu lange. Ein schnelles Essen und ich gebe den Platz für den nächsten Gast wieder frei. Sie sind das Fräulein Lisbeth Hartmann, richtig?«

Überrascht hob Lissi die Augenbrauen. Wie unangenehm, dass die Frau ihren Namen wusste, während ihr noch immer nicht eingefallen war, woher sie dieses Gesicht kannte.

»Ja, aber ich …«

»Keine Sorge, wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Elise Mahler, mir gehört die hiesige Malschule.«

»Freut mich sehr.« Lisbeth nahm die Bestellung der Frau auf und gab sie in die Küche weiter. Da kein Gast nach ihr rief, blieb ihr eine kurze Verschnaufpause, die sie dazu nutzte, die Künstlerin zu beäugen. Es war schwer, das Alter der Frau zu schätzen. Ihre dunklen Haare waren kunstvoll hochgesteckt, und soweit Lissi das im schummrigen Licht des Gasthauses ausmachen konnte, waren sie noch nicht von silbernen Strähnen durchzogen. Ihr Gesicht strahlte Ruhe aus, und so, wie sie dort in der Ecke saß, wirkte es, als gehörte sie genau dorthin. Sie dachte nämlich nicht daran, den Blick scheu zu senken. Weder die Tatsache, dass sie allein speiste, noch ihr Sitzplatz schienen sie zu stören. Ihre Augen wirkten offen und interessiert, und es hatte den Anschein, als würde sie alles, was es in diesem Wirtshaus zu sehen gab, in sich aufnehmen.

Sie trug ein schwarzes Sonntagskleid. Das Mieder war vorn geschnürt und der v-förmige Ausschnitt mit schwarzer Spitze abgesetzt. Sie wirkte, als wäre sie selbst einem Gemälde entsprungen.

»Sie malt im Kopf sicher schon ihr nächstes Bild«, unterbrach Helen Lissis Gedanken.

»Du hast sie erkannt?«

»Natürlich! Du etwa nicht?« Helen lachte und rammte ihrer Freundin den Ellbogen in die Seite. »Wie könnte ich die Gründerin der ersten und einzigen Rothenburger Malschule nicht kennen?«

»Das Gesicht kam mir schon bekannt vor, aber …«

»Aber«, unterbrach Helen, »deine Mutter legt eben nicht wie meine so viel Wert darauf, dass du alle vermeintlich wichtigen Menschen der Stadt kennst. Für mich«, Helen machte eine theatralische Pause und imitierte die Stimme ihrer Mutter, »ist es lebensnotwendig, die Prominenz zu kennen und mich ihr gegenüber entsprechend zu benehmen.«

Lissi rollte ihre Augen und lachte. Helen hatte recht. Ihrer Mutter Sophie war es herzlich egal, wem was gehörte oder welchen Ruf jemand hatte. Nicht umsonst hatte sie sich mit noch nicht einmal zwanzig zur Krankenschwester ausbilden lassen und später die Leitung des Waisenhauses übernommen.

Lisbeth seufzte. Die Jugend ihrer Mutter Sophie war schwer gewesen. Sie wusste vom Tod ihrer Eltern, Lissis Großeltern, und davon, dass sie anschließend im Hause Hartmann aufgewachsen war. Trotzdem beneidete sie ihre Mutter, denn sie hatte schon in jungen Jahren gewusst, was sie mit ihrem Leben anfangen würde. Davon war Lisbeth weit entfernt. Sie hatte nicht einmal den Hauch einer Idee, wohin sie ihr Lebensweg führen würde.

»Träumst du im Stehen?« Die ungehaltene Stimme ihrer Mutter holte sie in die Realität zurück. »Das Essen zum Fräulein Mahler an den Tisch, husch, husch.«

»Sie ist unverheiratet?« Lisbeth war überrascht.

»Soweit ich weiß, ja.«

Lisbeth griff nach dem Teller. Es war mehr der Wunsch nach einem belanglosen Gespräch, der sie diese Frage stellen ließ, als ernsthaftes Interesse. »Was genau muss ein Schüler denn können, um bei Ihnen aufgenommen zu werden?«

»Schülerin, nicht Schüler«, verbesserte Elise Mahler sofort. »Meine Schule ist für die höheren Töchter der Stadt gedacht. Und ich sag es, wie es ist: Viele von ihnen können rein gar nichts.«

Lissi hätte sich fast die Hand vor den Mund geschlagen, so überrascht war sie über die Taktlosigkeit der Künstlerin.

»Schau doch nicht so erschrocken. Dafür ist eine Schule doch da, richtig? Stell dir nur vor, all die Mädchen könnten schon malen. Was sollte ich ihnen dann noch beibringen? Außerdem wissen wissende Schülerinnen immerzu alles besser. Anstrengend, sage ich dir. Sehr, sehr anstrengend. Da beantworte ich doch lieber Fragen und verbessere den einen oder anderen Pinselstrich.« Elise Mahlers linke Augenbraue schoss in die Höhe, als würde sie ihre Aussage mit einem »genau so ist es eben« unterstreichen wollen. Dann lachte sie plötzlich herzlich, und Lissi fiel ein.

»Versteh mich nicht falsch, Lisbeth«, bat Elise und duzte sie, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. »Ich liebe die Arbeit mit meinen Schülerinnen. Es macht mich glücklich, dass die eine oder andere ein wirkliches Händchen für die Kunst entwickelt. Wer nicht mit Talent gesegnet ist, dem bietet meine Schule eine Abwechslung zu dem oft langweiligen Leben, zu welchem die Frauen von Ehemännern oder Vätern verdammt werden.«

Lisbeth war fasziniert von der unbekümmerten Art der Frau. Sie schien weder Ehrfurcht vor der Macht eines Mannes zu haben, noch nahm sie die Motivation der Frauen, die ihre Schule besuchten, allzu ernst. Erstaunlich klar und objektiv sah sie der Realität ins Auge und nahm sie hin als das, was sie eben war: unabänderliche Tatsache.

»Möchtest du dir meine Schule ansehen?«

Lisbeth hatte sich gerade zum Gehen gewandt, drehte sich nun jedoch noch einmal um. Sie schwieg einen langen Moment, denn sie wollte die Künstlerin nicht kränken. Doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie keine Ahnung, was sie in einer Malschule sollte. Sie hatte noch nie den unbändigen Drang gehabt, Dinge zu Papier zu bringen – sei es in Form von Buchstaben oder als Zeichnung.

»Ich weiß nicht«, murmelte sie und spürte Hitze in sich aufsteigen. Verlegen wandte sie den Kopf zur Seite. Sie konnte einer so begabten Künstlerin doch schlecht sagen, dass sie mit ihren zwanzig Jahren noch nie ernsthaft versucht hatte, ein Bild zu malen.

»Du solltest kommen. Wer weiß: Vielleicht schlummern ja noch nicht entdeckte Talente in dir. Ehe du es nicht versucht hast, wirst du es nicht wissen. Und ich verspreche dir im Gegenzug, ehrlich zu sein. Wenn ich kein Können in deiner Kritzelei entdecke, musst du deine Zeit nicht länger an meiner Schule vergeuden.«

Lisbeth lachte auf. In diesem Moment wusste sie, dass sie das Angebot der Malerin annehmen würde. Und wenn es nur deshalb war, weil ihr die forsche Art der Künstlerin gefiel. Sie hatte nichts zu verlieren und noch weniger zu tun.

»Warum nicht?«, sagte sie und nickte schließlich.

Lisbeth lief zurück zur Küche und bemerkte, dass ihre Mutter der Künstlerin zunickte. Sie stutzte, dann wurde ihr klar, was da gerade passiert war. »Das haben Sie eingefädelt«, raunte sie ihr zu.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, gab Sophie zurück und zuckte lächelnd mit den Achseln.

Den Rest des Abends über blieb kaum Zeit für Gespräche, denn der Zulauf an hungrigen Gästen nahm kein Ende. Gegen elf fanden auch die völlig betrunkenen Peters-Brüder ihren Weg in den Bären.

Lisbeth redete mit Engelszungen auf Max und Wastl ein, und es gelang ihr, sie davon zu überzeugen, etwas Vernünftiges zu sich zu nehmen, statt mit dem Trinken fortzufahren. Um kurz nach eins leerte sich der Gastraum endlich, und die beiden Studenten waren schließlich die Letzten.

Erschöpft ließ sich Lissi neben Helen auf einen Stuhl fallen und dankte ihrer Mutter im Stillen dafür, dass sie eine Portion Kartoffelsuppe für sie aufgehoben hatte.

»Esst, habt ihr euch verdient. Jacob und ich helfen den Wirtsleuten noch dabei, das Schlachtfeld in der Küche zu beseitigen.«

Eine Weile aßen sie schweigend ihre Suppe, dann fiel ihr wieder ein, dass Helen ihr Zuspätkommen noch nicht erklärt hatte. »Du wurdest also aufgehalten«, begann sie ohne jede Einleitung. Helen lächelte verklärt, dachte jedoch nicht daran, irgendetwas zu erklären. »Ich höre!«, bohrte Lisbeth weiter.

»So war es.« Sie löffelte ihre Suppenschüssel leer und wischte dann auch noch die Reste mit einem Stück Brot auf. Lissi wusste genau, dass ihre Freundin sie ärgern wollte, also geduldete sie sich und wurde schließlich belohnt. Helen berichtete von ihrem Zusammentreffen mit Anton, Max und Wastl und davon, wie Anton ihr erst Schutz geboten und sie dann zum Essen und zur Turnhalle begleitet hatte.

»Und er ist nicht geflüchtet, als er dich mit diesem Ungetüm von Rad gesehen hat?« Lisbeth nahm kein Blatt vor den Mund, denn Helen wusste längst, dass sie ihrem Fahrrad nichts abgewinnen konnte. Die Vorstellung, auf dem Weg ins Tal auf einem Zweirad zu sitzen, dessen Bremse womöglich versagte, trieb ihr immer wieder Schauer über den Rücken.

»Im Gegenteil. Er ist sogar aufgestiegen.«

»Und lebt noch?«

Helen lachte und erzählte dann, wie Anton sich bei seiner Jungfernfahrt gemacht hatte. Als sie geendet hatte, sah Lisbeth die Freundin aufmerksam an und zog die Augenbrauen zusammen. »Das gibt’s doch gar nicht!«, rief sie. »Du magst ihn ja!« Dann schob sie ein empörtes »Und ich wusste nichts davon« hinterher.

»Ich bis heute Nachmittag doch auch nicht«, wandte Helen ein. »Ich hatte ja nichts davon geplant. Das alles kam in der Tat unerwartet.«

»Nun gut. Dann gedulde ich mich und harre der Dinge, die da kommen. Aber ich erwarte natürlich, dass du mich auf dem neuesten Stand hältst.«

»Wen, wenn nicht dich?«, gab Helen lachend zurück.

»Bei mir gibt es auch Neuigkeiten zu berichten«, erklärte Lissi und erzählte der Freundin in kurzen Worten, dass sie wohl bald Schülerin einer Malschule sein würde. Sie wollte gerade darüber berichten, wie fröhlich die Künstlerin von ihren Schülern berichtet hatte, doch in diesem Moment traten Wastl und Max an ihren Tisch.

Ihr Gang war etwas geradliniger als auf dem Weg hinein in die Wirtschaft, trotzdem war den Peters-Brüdern noch immer anzusehen, dass sie zu tief ins Glas geschaut hatten.

»Wenn es denn genehm ist, bringen wir die Damen jetzt nach Hause.« Wastl machte eine alberne Verbeugung und stieß sich beim Aufrichten den Kopf an der hohen Stuhllehne an. Die Mädchen sahen sich an und lachten. Lissi legte den Arm fürsorglich um den jungen Mann, der sich den Kopf rieb.

»Weißt du, Wastl, wir sind fortschrittliche Frauen. Heute Abend drehen wir den Spieß einfach um und bringen euch nach Hause.«

»Ihr erkennt am Ende die eigene Haustür nicht, fallt beim Nachbarn ein und werdet womöglich als Einbrecher verhaftet«, pflichtete Helen ihr kopfschüttelnd bei.

Lissi sagte ihrer Mutter Bescheid, dann machten sie sich zu viert und fröhlich scherzend auf den Weg durch die noch immer vollen Gassen Rothenburgs.

Helen hatte alle Hände voll mit Sebastian zu tun. Laut singend lief er durch die Straßen, blieb zwischendurch stehen und sah fremden Röcken pfeifend hinterher, während Helen sich lachend und schulterzuckend bei den jungen Damen für sein Verhalten entschuldigte.

Lissi hatte es besser getroffen. Max war der ruhigere der Brüder. Er hatte sich bei ihr untergehakt, und obwohl seine Zunge schwerer war als gewöhnlich, bemühte er sich darum, eine anständige Unterhaltung mit ihr zu führen.

»Es war verrückt. Plötzlich stand die ganze Wiese unter Wasser«, erzählte er. »Und ehe wir es richtig bemerkten, war Anton auf und davon, um Helen vor dem Regenguss zu retten. Er benahm sich, als hätte ihr Anblick ihn verzaubert.«

Lisbeth nickte, doch da sie wusste, dass selbst Helen die Ereignisse des Tages noch nicht einordnen konnte, wollte sie weiteren Klatsch darüber vermeiden.

»Er ist eben ein echter Kavalier«, sagte sie und lenkte dann vom Thema ab. »Wie lange werdet ihr bleiben?«

Max grinste plötzlich von einem Ohr zum anderen. »Eine oder zwei Wochen, vielleicht auch etwas länger. Wir werden sehen. Würdest du mir denn erlauben, dich auszuführen?«

Lisbeths Puls beschleunigte sich. Es gab offensichtlich Dinge, die sich auch dann nicht änderten, wenn man erwachsen und angeblich reifer wurde. Er hatte sie auch ohne viele Worte sofort richtig verstanden, denn genau das wollte sie: Zeit mit ihm verbringen.

Max war der erste und bisher einzige Junge gewesen, den sie je geküsst hatte. Das lag inzwischen vier Jahre zurück, und wie heute war er auch damals Teil des Lagerlebens auf der Festwiese gewesen. Anschließend hatte er ihr regelrecht aufgelauert, war ständig in den Bären gekommen, um zu sehen, ob sie noch immer helfen musste. Irgendwann hatte er es nicht mehr ausgehalten und ihre Mutter direkt gefragt, ob Lissi denn nicht entbehrlich wäre. Der Abend wäre doch so wunderschön, und er würde sie gern nach Hause begleiten.

Sie lächelte, während sie an den verdreckten Jungen von damals dachte. Nicht, dass es einen Regenschauer ähnlich dem heutigen gegeben hätte, doch ein ganzer Tag unter den raufenden Trunkenbolden auf der Wiese hatte auch damals schon dazu geführt, dass am Ende des Tages keiner von ihnen noch sauber war. Schüchtern hatte er ihre Hand genommen und sie den ganzen Weg bis zum letzten Haus auf der Kobolzeller Steige begleitet.

Zwischendurch hatten sie sich vor irgendwelchen Haustüren auf die Stufen gesetzt und miteinander geredet und gelacht. Er hatte ihr über die Wange gestreichelt oder ihr Haar zurückgestrichen – jede noch so winzige Möglichkeit, ihr näherzukommen, hatte er genutzt. Vor ihrem Haus hatte er all seine Zurückhaltung abgelegt und ihr erklärt, dass er sie küssen müsste. Auf ihre Frage nach dem Warum hatte er mit feierlichem Ernst geantwortet: »Weil ich nicht anders kann. Der Gedanke, es nicht zu tun, macht mich noch ganz verrückt.«

»Und das wollen wir doch nicht«, hatte Lissi geantwortet. Und dann hatten sie sich geküsst. Endlos und immer wieder, bis irgendwann die Sonne aufging. Weder ihre Mutter noch ihr Vater hatten je danach gefragt, was sie in dieser Nacht getan hatte. Es gab auch nicht wirklich etwas zu erzählen. Sie hatten die Zeit vergessen, so einfach war das. Hinter dem Haus ihrer Eltern hatten sie sich ins Gras gelegt und in die Sterne gesehen. Dabei hatten sie geredet und gelacht und sich geküsst, als hätten sie gewusst, dass nach dieser einen magischen Nacht alles vorüber sein würde – denn genau so war es gekommen. Max war eben nicht Wastl. Er war niemand, der Dinge laut aussprach, sie zerredete oder sich angestrengt darum bemühte, sie zu wiederholen. Sie hatten den Augenblick genossen und waren am nächsten Tag miteinander umgegangen, als wäre nichts passiert.

Lisbeth war nicht enttäuscht gewesen. Es war, als wüssten sie beide, dass ihre gemeinsame Geschichte noch längst kein Ende genommen hatte.

»Warte«, bat sie plötzlich. Sie hatte nicht über die Worte nachgedacht, die sie nun sagte. Sie hatte ja nicht einmal gewusst, dass sich diese Gelegenheit heute bieten würde.

»Was hast du?«, fragte Max.

»Nichts. Ich möchte nur herausfinden, ob es sich noch so anfühlt wie damals.«

Augenblicklich strahlte er übers ganze Gesicht, und das Lächeln seiner Lippen erreichte seine Augen sofort. »Du kennst die Antwort«, sagte er selbstbewusst, als hätte er nicht den geringsten Zweifel daran, dass ein einziger Kuss ausreichte, um den Zauber von damals zurückzuholen.

»Schon möglich. Aber ich will es nicht wissen, sondern fühlen«, sagte Lisbeth und wunderte sich selbst über den fordernden Ton in ihrer Stimme.

Als sich ihre Lippen fanden, ahnte sie, dass es diesmal keine vier Jahre dauern würde, bis sie fortführen würden, was in dieser Sekunde von Neuem begann.

Kapitel 4

Mittwoch, 19. Juni 1872

Henriette

Die Wäscherinnen betraten die winzige Behausung, die sie unter dem Dach bewohnten, wie üblich gemeinsam. Das Haus war in die Jahre gekommen und der Besitzer zu geizig und zu bequem, um überfällige Reparaturen in den Wohnungen oder im Hausflur vorzunehmen. Das Treppengeländer war nur noch in Teilen vorhanden, ebenso fehlten hier und da vereinzelt Stufen, da das Holz in eisigen Wintern von den Bewohnern zum Heizen benutzt worden war. Durch die geschlossenen Fenster, sofern es überhaupt welche gab, zog es. Henriette war nie in den Genuss einer unversehrten Glasscheibe gekommen, denn schon bei ihrem Einzug war das, was einmal ein Fenster gewesen war, mit Brettern vernagelt gewesen.

Trotzdem beschwerten sie sich nicht, hatten sie doch fast zwei Zimmer zur Verfügung. Den größeren Raum nutzten sie als Schlafstätte. Es gab zwei Betten, einen großen Schrank, einen Tisch und zwei Stühle. Das andere Zimmer war so winzig, dass nur eine von ihnen es betreten konnte. Hier stand der gusseiserne Kohleherd, den sich die Frauen vor einem Jahr gemeinsam angeschafft hatten und der dafür sorgte, dass sie nicht nur warme Speisen hatten, sondern auch eine halbwegs warme Stube, wann immer sie sich die Kohle zum Befeuern leisten konnten.

Henriette legte sich rücklings auf ihr Bett und starrte in den inzwischen dunklen Himmel hinauf. Die Fensterlatten hatten Margarethe und sie mit Beginn der warmen Jahreszeit entfernt, um nach einem langen Arbeitstag in der Wäscherei wenigstens etwas frische Luft zu bekommen.

Henriette war erschöpft, ihre Hände waren von der harten Arbeit wund und rot, und sie konnte die Augen kaum noch offen halten. Schweigend lag sie auf ihrer schmalen Pritsche, um einen Moment auszuruhen. Anschließend würden die Frauen ein gemeinsames Essen zu sich nehmen.

»Müde?«, fragte Margarethe, die entgegen ihrer Gewohnheit das Gespräch zu suchen schien.

»Hmm.«

»Wann willst du mir endlich sagen, was dich bedrückt?«

Henriette schluckte. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass die Wäscherin, die ihr inzwischen zur Freundin geworden war, ihren Kummer bemerkt hatte. »Gar nicht?«

Margarethe saß auf ihrem Bett und starrte sie so lange an, bis ihr nichts weiter übrig blieb, als sich ebenfalls aufzurichten.

»Ich werde nicht aufhören zu fragen. Du kannst ebenso gut gleich mit der Wahrheit herausrücken.«

Henriette seufzte, und da sie nicht um eine Erklärung herumkommen würde, dachte sie darüber nach, wie viel von ihrer Vergangenheit sie preisgeben wollte. Dass sie einmal Mutter gewesen war, wusste Marga, denn sie hatte einst eine Puppe gefunden, die Gertrud gehört hatte und von der sich Henriette nicht trennen konnte. Doch wer sie vor ihrer Flucht gewesen und was sie getan hatte, wusste hier in Ansbach niemand.

»Ich bin auf jemanden gestoßen, der zu meinem alten Leben gehörte.« Sie versuchte, vage zu bleiben, doch sie hätte wissen müssen, dass Marga sich damit nicht zufriedengeben würde. Die verschränkte jetzt ihre Arme vor dem Körper, zog die Augenbrauen in die Höhe und wartete darauf, dass sie weitersprach.

»Mein wirklicher Name ist nicht Barbara. Ich habe nicht nur mein altes Leben, sondern auch meinen Namen hinter mir gelassen.«

Margarethe zuckte mit den Schultern, als wäre ihr das Gehörte völlig gleichgültig. »Du bist nicht die Einzige, die Dinge verbirgt.« Sie erhob sich, streckte ihr die Hand hin und deutete einen albernen Knicks an.

»Ich bin Margarethe Hölzing. Sehr erfreut, Fräulein …«

Ende der Leseprobe