Die Sklavin des Patriziers - ˑ Why-Not - E-Book

Die Sklavin des Patriziers E-Book

. Why-Not

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Brutale Piratenüberfälle bedrohen den Handel der Stadtstaaten am Salzmeer. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, schließen die hochrangigen Adeligen der Städte ein Zweckbündnis, sich den Piraten gemeinsam entgegenzustellen. Bald entdecken die Verbündeten jedoch, dass die Piraten die geringste Bedrohung darstellen. Eine geheimnisvolle Macht mit überlegenen Fähigkeiten greift nach der Vorherrschaft in der ganzen Region. Flavius Sekundus, ein einflussreicher Patrizier aus Nova-Veni, und Aluna, die Herrscherin von Bator, kommen als erste dahinter, dass sie es nicht nur mit menschlichen Gegnern zu tun haben. Aluna nimmt einen Attentäter der mächtigen Feinde gefangen. Nachdem sie ihn mit Lustfolter gefügig gemacht hat, liefert er ihr wertvolle Informationen über ihre Widersacher und setzt später aus Liebe zu ihr sogar sein Leben ein, um sie im Kampf gegen die Bedrohung zu unterstützen. Auch die anfangs recht widerborstige Sklavin Letitia, die Flavius auf einem Markt erworben hat, entdeckt mit der Zeit zarte Gefühle für ihren Herrn und hilft ihm nach Kräften bei seiner Sache. Dass Flavius die Gefühle seiner Sklavin erwidert, sorgt für weitere Schwierigkeiten. Er riskiert sein Leben bei dem Versuch, sie zu retten, als sie von den Feinden entführt und gefangen gehalten wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 352

Veröffentlichungsjahr: 2019

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Why-Not

Die Sklavin

des Patriziers

© 2019 Why-Not

([email protected], http://why-not-stories.tk/)

Umschlag, Illustration: PaintiX (Paintix(at)gmx.de)

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7482-7602-9

e-Book:

978-3-7482-7603-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Why-Not

Die Sklavin

des Patriziers

Eine erotische Erzählung

Übersichtskarte

1

»Schiffbrüchiger backbord voraus!«

Flavius traf fast zeitgleich mit dem Kapitän beim Rudergänger ein. Dieser warf Flavius einen kurzen, fragenden Blick zu, den er mit einem leichten Nicken beantwortete.

»Bergen Sie den Schiffbrüchigen«, wies Kapitän Rufus den Steuermann an.

»Schiff klar zur Halse!«, rief dieser laut aus.

Das Schiff schoss am Schiffbrüchigen vorbei, fiel vom Kurs hart am Wind ab und drehte langsam nach steuerbord. Die einzige Möglichkeit, direkt bei dem Schiffbrüchigen zu halten war, einen weiten Kreis zu fahren und das Segelschiff so gegen den Wind zu lenken, dass es seinen Schwung genau an der Stelle aufgebraucht hatte, an der der Mann im Wasser lag. Erneut passierten sie den im Wasser treibenden Mann, diesmal allerdings in noch größerer Entfernung und auf entgegengesetztem Kurs. Das Schiff ging mit dem Heck durch den Wind und das große Dreieckssegel wölbte sich in die andere Richtung.

»Klarmachen zur Wende in den Wind und zur Bergung auf backbord!«, war das nächste Kommando des Steuermanns. Sie verloren bereits deutlich an Fahrt. Schließlich fuhr das Schiff nur noch mit seinem Schwung gegen den Wind und direkt auf den Schiffbrüchigen zu.

»Etwas weiter steuerbord, sonst gibt es gleich nichts mehr zu bergen«, wies Kapitän Rufus nach einem Blick über die Backbordreling seinen Steuermann halblaut an. Der Steuermann reagierte sofort und drehte das Ruder etwas nach steuerbord, um den Schiffbrüchigen nicht zu überfahren. Sie kamen genau neben ihm zum Stehen.

»Saubere Arbeit«, lobte Flavius den Steuermann, während zwei Matrosen bereits damit begonnen hatten, den Mann aus dem Salzwasser zu bergen. Er musste schon Stunden dort zugebracht haben, denn sein Gesicht und auch seine Kleider waren bereits salzverkrustet. Aufgrund des enormen Salzgehaltes war es zwar fast unmöglich, in dem Wasser unterzugehen, dafür litt man in dieser Lake allerdings bereits nach wenigen Minuten unter den Ablagerungen, die die Haut stark reizten und einen innerlich austrocknen ließen. Dementsprechend war der Zustand des Geretteten erbarmungswürdig. Es war erstaunlich, dass er überhaupt noch bei Bewusstsein war.

»Bringt ihn unter Deck und gebt ihm erst mal zu trinken«, wies der Kapitän die Matrosen an.

»Wir haben nicht genug Wasser an Bord, um ihm das Salz abzuwaschen. Und er braucht einen Arzt. Ich glaube nicht, dass wir gegen den Wind rechtzeitig in Yaku eintreffen werden.«

»Das habe ich auch schon befürchtet, Kapitän«, sagte Flavius mit einem Seufzer. »Nehmen Sie wieder Kurs auf Bator. Wir liefern ihn dort ab.«

Der Kapitän nickte kurz und gab dem Steuermann entsprechende Order. Kurz danach segelten sie wieder vor dem Wind zurück nach Bator, das sie vor drei Stunden erst verlassen hatten.

»Wie geht es unserem Passagier?«, wollte Flavius eine halbe Stunde später wissen, als sich Bator bereits am Horizont abzeichnete. Mit dem Wind kamen sie viel schneller voran, nur halt leider nicht in die Richtung, in die sie eigentlich wollten.

»Den Umständen entsprechend«, antwortete der Matrose, der gerade vom Schiffbrüchigen kam. »Er hat viel Wasser verloren. Und das Salz hat Augen und Atemwege ziemlich verätzt. Wenn es wenigstens nur Kochsalz wäre …«

»Hat er sich schon dazu geäußert, wer er ist und wieso er im Wasser trieb?«

»Er heißt Sato und war Passagier auf einem Schiff, das überfallen wurde. Die Seeleute wurden alle getötet. Und ihn hat man ins Wasser geworfen. Die Piraten fanden es besonders witzig, dass er von hier langsam in Richtung Staubmeer treiben würde.«

»Das hört sich nicht nach den üblichen Piraten von Kuza an. Mord ist schlecht fürs Geschäft. Eine tote Crew kann man kein zweites Mal überfallen. Normalerweise geben sie sich mit der Hälfte der Ladung zufrieden. Allerdings habe ich auch noch nie gehört, dass sie so weit östlich zuschlagen.«

»Er sagte, es seien andere Piraten gewesen. Für die Ladung haben die sich gar nicht interessiert. Sie haben sie einfach über Bord geworfen. Sie wollten nur das Schiff.«

»Seltsam. Und ziemlich beunruhigend.«

Flavius ging zur Brücke und schaute dem Rudergänger zu, wie er allmählich die Manöver zum Anlegen in Bators Hafen einleitete. Er schätzte die Ruhe und Präzision, mit der die Mannschaft sein Schiff steuerte. Kurz vor den massigen, salzverkrusteten Mauern des Hafens von Bator kam das Schiff fast zum Stillstand. Taue wurden den Hafenarbeitern zugeworfen, die an diesen mittels einer Winde das Schiff zu seinem Ankerplatz dirigierten.

»Schon wieder zurück?«, wollte der beleibte Hafenmeister von Flavius wissen, als sie schließlich angelegt hatten.

»Wir haben einen Schiffbrüchigen aufgelesen. Sato ist sein Name.«

Der Hafenmeister wurde sehr ernst und dienstbeflissen. Er wies zwei Arbeiter an, sofort mit einer Tragbahre zu erscheinen.

»Wie ist das denn passiert?«, wollte er wissen.

»Soweit ich mitbekommen habe, ist er von unbekannten Piraten überfallen worden. Genaueres weiß ich allerdings selbst nicht. Der Mann muss bereits Stunden im Salzwasser getrieben haben.«

Bei der Erwähnung unbekannter Piraten verdüsterte sich die Miene des Hafenmeisters schlagartig. Offenbar war das nicht der erste Zwischenfall dieser Art. Und offensichtlich wollte er auch nicht, dass diese Nachricht sich verbreitete.

»Bitte bewahren Sie Stillschweigen über diese Angelegenheit. Sie und Ihre Mannschaft. Und kommen Sie bitte nachher – am besten so in zwei Stunden – in mein Büro in der Hafenmeisterei. Oder wollen Sie gleich wieder auslaufen?«

Flavius begann, neugierig zu werden. Und es war sicher nicht verkehrt, mehr über die Bedrohung durch unbekannte Piraten zu erfahren, auch wenn er ziemlich sicher war, mit seinem Schiff allen Piraten davonsegeln zu können.

»Ich werde in zwei Stunden da sein.«

Der Hafenmeister wandte sich bereits zum Gehen, während Sato auf einer Trage vom Schiff gebracht wurde. Dann drehte er sich noch einmal zu Flavius um.

»Ach ja, Hafengebühren zahlen Sie natürlich keine.«

»Danke, dass Sie gekommen sind«, eröffnete eine Dame mit befehlsgewohnter Stimme die Unterhaltung, nachdem Flavius das Büro des Hafenmeisters aufgesucht hatte. Letzterer saß etwas verkrampft an seinem Schreibtisch, während besagte Dame in einem Sessel am anderen Ende des Büros Platz genommen hatte. Flavius setzte sich in einen Sessel ihr gegenüber.

»Wenn es um das Auftauchen geheimnisvoller Piraten geht, ist es auch in meinem Interesse, mehr zu erfahren. Zumal diese sich offenbar deutlich unprofessioneller verhalten als ihre Kollegen aus Kuza.«

Die Dame musterte ihn aufmerksam und unverhohlen.

»Sie reden weder wie ein Seemann, noch wie ein Kaufmann. Wer sind Sie? Entschuldigen Sie. Ich sollte mich zunächst einmal dafür bedanken, dass Sie Sato das Leben gerettet haben. Aber ich weiß gerne, mit wem ich es zu tun habe.«

Flavius lächelte.

»Das geht mir nicht anders. Auch mir ist es lieber, wenn ich meine Gesprächspartner einordnen kann. Vermute ich richtig, dass ich mit Ihnen Aluna, die Herrscherin von Bator, vor mir habe?«

Einen Moment schaute sie ihn verblüfft an. Dann lächelte auch sie.

»Spätestens jetzt weiß ich zumindest, dass ich einen scharfsinnigen Gesprächspartner habe. Wie sind Sie darauf gekommen? Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Tja, so eingeschüchtert, wie unser werter Hafenmeister hinter seinem Schreibtisch sitzt, müssen Sie eine sehr bedeutende Persönlichkeit hier sein. Ihr Auftreten unterstreicht diesen Eindruck. Die Brosche, die Ihren vermeintlich unscheinbaren Umhang zusammenhält, würde einen Seemann ein Jahr lang ernähren können. Und da Bator bekanntlich von einer Frau regiert wird, die es vorzieht, öffentlich kaum in Erscheinung zu treten, lag es zumindest nahe.«

»Was mich betrifft«, fuhr Flavius nach einem Moment fort, »bin ich tatsächlich sowohl Seemann als auch Kaufmann. Außerdem bin ich einer der Patrizier von Nova-Veni, wenn auch einer der weniger bedeutenden – Flavius Secundus.«

»Dann war Satos Mission ja doch zumindest teilweise erfolgreich. Wenn auch anders als geplant. Ich hatte ihn damit beauftragt, bei den Herrschenden von Nova-Veni um Unterstützung für den Kampf gegen diese neue Bedrohung zu werben. Denn ich denke, es ist im Interesse unserer beiden Handelsstädte am Salzmeer, wenn die Hauptrouten relativ sicher sind. Deswegen will ich auch nicht, dass die Angelegenheit publik wird. Das würde nur die Preise nach oben treiben, ohne etwas an der Bedrohung zu ändern.«

»Weitere verschollene Schiffe und Seeleute werden Sie kaum geheim halten können. Und eine Bedrohung, die den Herrschenden zwar bekannt ist, aber geheim gehalten wird, fördert auch nicht gerade Handel und Wohlstand. Das ist eher der Nährboden für Aufstände und Revolutionen.«

Aluna schaute ihn nachdenklich an.

»Das Schiff, mit dem Sato nach Nova-Veni aufbrach, war das bestbewaffnetste, das wir hatten. Ich sehe im Moment keine Möglichkeit, etwas gegen diese Bedrohung zu unternehmen.«

»Vielleicht ist das ein Fall, bei dem der Feind des Feindes ein Freund sein kann«, antwortete Flavius nachdenklich. »Die Piraten von Kuza werden sicher nicht glücklich darüber sein, dass es jetzt eine Bedrohung gibt, die möglicherweise die gesamte Handelsschifffahrt auf dem Salzmeer lahmlegt. Vielleicht lässt sich ja eine Vereinbarung mit ihnen treffen, dass sie – gegen eine angemessene Beteiligung an den transportierten Gütern – für die Sicherheit sorgen. Schließlich haben sie die größte Flotte bewaffneter Schiffe auf dem Salzmeer.«

»Vorher sollten wir allerdings versuchen, von Sato zu erfahren«, fuhr Flavius nach einer kleinen Pause fort, »wieso ein gut bewaffnetes Schiff den Piraten in die Hände fallen konnte.«

»Ich hatte schon von dem Scharfsinn und dem Erfindungsreichtum des Flavius Secundus gehört«, meinte Aluna anerkennend. »Ganz offensichtlich waren diese Gerüchte nicht übertrieben. Aber Sie haben recht, wir sollten uns mit Sato unterhalten, sobald er dazu in der Lage ist. Ich hoffe, das wird bereits morgen sein. Bitte seien Sie bis dahin mein Gast. Für Ihre Mannschaft lasse ich ebenfalls geeignete Quartiere herrichten.«

»Die Seeleute bleiben am liebsten auf dem Schiff. Ich nehme Ihre Einladung gerne an.«

»Dann lasse ich Ihrer Crew Lebensmittel ans Schiff bringen.«

»Sie möchten sie lieber unter Kontrolle haben, damit sie nichts von dem Vorfall ausplaudern, richtig?«

Aluna machte ein Gesicht, als sei sie beim Griff in den Honigtopf ertappt worden. Dann nickte sie ernst.

»Meine Mannschaft ist zuverlässig und verschwiegen. Ich werde sie anweisen, nichts von dem Vorfall zu erzählen. Das wird reichen. «

2

Alexander atmete tief durch. Dort vorne war der Eingang zur Residenz der Herrscherin von Bator. Zwei Wachen standen an der Tür, und zwei weitere waren im Innenraum zu erkennen. Noch einmal prüfte er seine Ausrüstung. Der Helm lag eng an und hatte Kontakt mit seinen Schläfen. Sehr bequem war das nicht, aber darauf kam es auch nicht an. Das Kästchen, das an einem Band um seinen Hals hing, war eingeschaltet und die Verbindung zum Helm war intakt. Der rasiermesserscharfe Dolch war an seinem Platz. Es gab für ihn keinen Grund mehr, noch länger im Schatten dieses Gebäudes zu kauern und zu warten. Er hätte es lieber noch weiter hinausgezögert, denn er hasste seinen Auftrag. Zwar war er einer der Besten im Umgang mit dem Helm, aber er war kein Meuchelmörder. Zumindest noch nicht, dachte er deprimiert. Vielleicht hätte er sich ungeschickter mit dem Helm anstellen sollen. Vielleicht wäre dann ein anderer für diese Mission ausgewählt worden. Vielleicht …

Es half nichts. Die Göttin selbst hatte ihn auf diese Mission geschickt. Und der Göttin widersprach man nicht. Jedenfalls nicht öfter als genau einmal in seinem Leben. Ob er einfach verschwinden sollte? Diese Welt außerhalb Nocturs, die er jetzt erstmals betreten hatte, schien deutlich mehr Möglichkeiten zu bieten als Gehorsam oder Tod. Er schaute sich um. Es sah aus, als würde gegenüber, in einem anderen Häuserschatten, noch jemand lauern. Wahrscheinlich wurde er überwacht. Und wenn sein Überwacher den Eindruck bekäme, dass er sich drücken wollte …

Alexander unterdrückte einen Seufzer und stieß sich von der Häuserwand ab. Vorsichtig schaute er sich um. Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen. Obwohl … dort schaute jemand direkt in seine Richtung. Alexander zog einige ziemlich alberne Grimassen. Der andere reagierte nicht. Er änderte seine Blickrichtung auch nicht, als Alexander zur Seite trat. Offenbar stierte dieser Mann nur zufällig in seine Richtung und war mit seinen Gedanken ganz woanders. Kein Grund für Alexander, sein Vorhaben aufzugeben. Leider. Langsam näherte er sich jetzt direkt dem Eingang zur Residenz. Die Soldaten nahmen keine Notiz von ihm. Er konzentrierte sich darauf, nur ein unbedeutender Lufthauch zu sein, während er langsam und leise zwischen den beiden Wachen hindurchtrat. Auch an den nächsten beiden Wachen konnte er unbemerkt vorbeilaufen. In Noctur hatte es ihm Spaß gemacht, Wachen und Beobachter auszutricksen. Es war ein Spiel gewesen. Eine Herausforderung. Aber jetzt? Er versuchte zu verdrängen, was er vor sich hatte. Erst einmal hatte er herauszufinden, wohin er eigentlich musste. Langsam schlich er durch die Gänge und belauschte die Gespräche der Vorübergehenden. Schließlich erfuhr er, wo der Überlebende des Piratenüberfalls untergebracht worden war. Offenbar war er, dieser Sato, bereits wieder auf dem Weg der Besserung.

Mit jedem Schritt, den Alexander in die Richtung des Krankenquartiers zurücklegte, schien eine größere Last seine Schultern zu beschweren. Schließlich erreichte er die Tür. Ein Soldat stand davor Wache. Und die Tür war geschlossen. Irgendwie musste er da hinein. Er stellte sich vor, wie aus dem Zimmer leise nach dem Soldaten gerufen wurde. Und tatsächlich öffnete der Soldat die Tür und trat einen Schritt in das Zimmer. Während er lauschte, ob tatsächlich jemand nach ihm rief, war Alexander bereits an ihm vorbeigeschlüpft. Der Soldat zuckte mit den Schultern und verließ den Raum wieder, um vor der Tür seinen Posten einzunehmen.

Alexander griff nach seinem Messer und trat an das Krankenbett heran. Der Überlebende sah sehr mitgenommen aus, bleich und fleckig von den Verätzungen, die die Salzlake an seinem Gesicht und den Händen verursacht hatte. Alexander versuchte sich einzureden, er würde Sato von seinen Qualen erlösen, wenn er jetzt das Messer einsetzte. In gewisser Weise schien ihm das Röcheln des Mannes recht zu geben. Trotzdem konnte er sich nicht überwinden, zuzustechen. Krampfhaft presste er den scharfen Dolch an seine Brust. Er musste es tun. Und er musste es jetzt tun. Wenn man ihn erwischte, hätte man sicher keine Skrupel, kurzen Prozess mit ihm zu machen. Plötzlich hörte er Schritte draußen auf dem Gang. Alexander zog sich in den Schatten einer schweren Gardine am Fenster zurück. Der Kontrast zu dem einfallenden Licht würde ihn an dieser Stelle auch ohne den Helm beinahe unsichtbar machen.

»Irgendwelche Vorkommnisse?«, wollte Aluna von dem Soldaten an der Tür wissen.

»Nichts Wichtiges. Einmal dachte ich, er habe gerufen. Aber er schläft noch.«

»Dann werden wir ihn jetzt wohl wecken müssen«, sagte Aluna eher an Flavius gerichtet. »Die Ärzte sagen, er habe sich wieder soweit erholt, dass er berichten kann, was passiert ist.«

Der Soldat gab die Tür frei und ließ Aluna und Flavius eintreten. Diese gingen direkt auf das Krankenbett zu. Das Salzwasser hatte Sato so übel mitgespielt, dass er wohl erst in einigen Wochen vollständig wiederhergestellt sein würde. Fast sanft griff Aluna nach seinem Arm und rüttelte daran. Stöhnend schlug Sato die Augen auf. Sie waren stark gerötet.

»Tut mir leid, dass wir dich bei deiner Genesung stören müssen«, begann Aluna leise. »Aber wir müssen unbedingt wissen, was sich auf See ereignet hat. Wieso konnte das Schiff sich gegen den Überfall nicht wehren?«

Sato schaute fragend auf Flavius.

»Er hat dich gerettet«, beantwortete sie die unausgesprochene Frage.

»Sie kamen ganz plötzlich«, begann Sato mit krächzender Stimme. »Von einem auf den anderen Augenblick war das Schiff an unserer Seite und die Männer wurden angegriffen. Von Piraten, aber auch von Geistern. Ja, ich weiß, das klingt verrückt. Aber es waren auch Angreifer dabei, durch die die Schwerter der Matrosen einfach hindurchglitten.«

Flavius schaute Sato sehr nachdenklich an. Plötzlich glitt ein Schatten über sein Gesicht. Mit unbewegter Miene ging er zum Fenster und öffnete es. Als er dabei wie zufällig an dem Vorhang vorbeiging, schlug er plötzlich hart auf denselben ein. Aluna und Sato schauten ihn mit Unverständnis an. Als vom Vorhang ein Schmerzensschrei ertönte, war allerdings auch Aluna alarmiert und rief nach den Wachen.

Der Soldat, der vor der Tür gestanden hatte, kam sofort mit gezogenem Schwert hereingestürzt. Weitere Soldaten hörte man bereits den Gang entlang rennen. Polternd fiel ein merkwürdig aussehender Helm zu Boden, und ein junger Mann erschien aus dem Nichts. Er hatte einen großen Dolch in der Hand und richtete ihn unsicher auf Flavius, während er sich den Brustkorb hielt, den Flavius offenbar vorher mit seinen Schlägen getroffen hatte. Das Gesicht des Attentäters spiegelte Entsetzen und Angst wieder. Dann richtete er den Dolch auf sich selbst. Flavius griff mit der linken Hand nach der des Mannes und schlug ihm mit der rechten gegen die Schläfe. Das Messer entglitt dem Eindringling, als er bewusstlos zusammensackte.

Aluna war aschfahl im Gesicht, zeigte sich ansonsten allerdings umsichtig. Sie schob die Waffe mit dem Fuß aus der Reichweite des jungen Mannes und wies die Wachen an, ihn mitzunehmen und in Ketten zu legen.

»Woher wussten Sie, dass ein Attentäter im Raum war? Ich konnte ihn nicht sehen.«

Flavius hob den Helm und das Kästchen auf, das er dem bewusstlosen Eindringling abgenommen hatte.

»Ich spürte Gefahr, als wir das Zimmer betraten, und ich kann mich auf meine Instinkte verlassen. Ich wusste nur nicht, worin die Gefahr bestand. Es hing ein leichter Schweißgeruch in der Luft. Erst dachte ich, er käme von dem Kranken, aber er kam vom Fenster. Als Sato dann von dem plötzlich auftauchenden Schiff erzählte, erinnerte mich das an etwas, das mir mal ein alter Mann erzählt hat. Damals habe ich es für Spinnerei gehalten. Es ging um Fähigkeiten, mit denen man Suggestion auslösen kann, sodass Menschen Dinge sehen, die nicht existieren, oder Dinge, die existieren, nicht wahrnehmen. Der Rest war nur eine Vermutung.«

»Wem das Attentat wohl gegolten hat? Sato hätte er bereits vor unserer Ankunft töten können. Aber das sollte sich ja herausfinden lassen, da Sie den Selbstmord des Attentäters verhindert haben.«

»Besonders professionell war er jedenfalls nicht – worüber ich sehr froh bin. Sonst hätte ich ihn nicht so leicht überwältigen können. Ich hatte eher das Gefühl, dass er die Tat mehr fürchtete, als den Tod. Sonst hätte er versucht, seinen Auftrag zu Ende zu bringen.«

»Seltsam, dass Sie das erwähnen. Auch ich hatte den Eindruck, dass er nicht wirklich gefährlich war. Mal sehen, was beim Verhör herauskommt.«

Mehr zu sich selbst ergänzte Aluna: »Er könnte einen reizvollen Sklaven abgeben.«

»Ich wusste gar nicht, dass es in Bator Sklaven gibt«, bemerkte Flavius mit einer hochgezogenen Augenbraue.

»Wie auch in Nova-Veni ist es bei uns nur der Elite gestattet, sich Sklaven zu halten«, gab sie mit einem süffisanten Lächeln zurück.

Auch Flavius grinste jetzt wie ein ertappter Schuljunge.

»Vielleicht sollte ich mich mal auf dem hiesigen Sklavenmarkt umsehen.«

»Normalerweise steht der Markt Fremden nicht offen. Aber wenn Sie möchten, arrangiere ich das. Erst haben Sie Sato gerettet und jetzt den Attentäter überwältigt. Ich stehe ohnehin in Ihrer Schuld. Und mir ist es lieber, diese durch solche Gefälligkeiten zu begleichen, als durch Entgegenkommen bei den Verhandlungen über die Aufteilung der Abgaben, die wir an die Piraten von Kuza zahlen müssen, wenn sie uns helfen.«

Flavius lachte.

»Ich sehe schon interessante Verhandlungen auf uns zukommen.«

Aluna wies ihre Soldaten an, alle wichtigen Eingänge und Türen der Residenz verschlossen zu halten und zu bewachen und besonders auf unsichtbare Eindringlinge zu achten, damit diese nicht unbemerkt passierten. Der letzte Teil ihres Befehls führte zunächst zu einigen Irritationen. Als die Soldaten nach einer Verschwiegenheitsverpflichtung einige Details des vorangegangenen Vorfalls mit dem Attentäter erzählt bekamen, nahmen sie auch diese Anweisung sehr ernst und führten sie gewissenhaft aus.

Alexander erwachte mit Dröhnen im Kopf und Schmerzen im Brustkorb. Als er sich bewegte, rasselten Ketten. Wie er gleich darauf feststellte, befand er sich angekettet in einem dunklen Verlies. Er erinnerte sich an jede Einzelheit bis zu dem Moment, als ihm sein Gegner die Faust an die Schläfe geschlagen hatte. Wieso hatte dieser ihn überhaupt wahrnehmen können? Und was würde jetzt mit ihm geschehen? Auf Rettung brauchte er nicht zu hoffen. Höchstens darauf, dass ein anderer Attentäter ihn töten würde, bevor er etwas erzählen konnte. Zumindest würde ihn die Göttin nicht für sein Versagen bestrafen können. Ob das einen Unterschied machte, wusste er allerdings nicht. Er hatte keine Vorstellung, welches Schicksal ihn hier erwartete, falls kein Attentäter der hiesigen Gerichtsbarkeit zuvorkäme.

Die Tür zu seinem Kerker öffnete sich, und einige Personen kamen herein. Die Frau und den Mann, der ihn überwältigt hatte, erkannte er. Drei weitere schienen Soldaten oder Kerkermeister zu sein. Zunächst jedenfalls hielten sie sich im Hintergrund. Ob man ihn foltern würde? Wahrscheinlich. Zumindest, wenn man Zweifel an seinen Aussagen haben sollte. Er hatte allerdings nicht vor, zu lügen oder etwas zu verschweigen. Dazu gab es für ihn keinen Grund. Der Göttin gegenüber empfand er keine Loyalität. Sie hatte befohlen, und er hatte gehorcht, hatte gehorchen müssen.

Die Frau trat auf Alexander zu. Nicht so weit, dass er ihr hätte gefährlich werden können. Sie blieb außerhalb der Reichweite, die ihm die Ketten ließen. Obwohl er gar keinen Grund hatte, sie anzugreifen. Im Schein der Karbidlampe, die die Besucher mitgebracht hatten, sah sie sehr schön aus. In jenem Zimmer, in dem er sie das erste Mal gesehen hatte, war er viel zu sehr mit seinem inneren Konflikt beschäftigt gewesen, um darauf zu achten. Jetzt, nachdem diese Last von ihm genommen war, musterte er sie ausgiebig. Auch sie hatte etwas von der Aura der Macht, die die Göttin immer umgab, allerdings nicht deren eisige Kälte.

»Ich werde dir jetzt einige Fragen stellen und du tust gut daran, sie alle ehrlich und ohne Ausflüchte zu beantworten«, sprach sie ihn an. Sie schaute ihm dabei in die Augen. Er mochte diese Augen, die ihn aufmerksam musterten.

»Warum bist du in meine Residenz eingedrungen?«

»Ich sollte den Schiffbrüchigen töten.«

»Warum?«

»Er sollte keine Details über den Überfall verraten können.«

»Wer hat dich damit beauftragt?«

»Die Göttin.«

»Welche Göttin?«

Alexander stockte. Wie meinte sie das? Gab es mehr als eine Göttin?

»Wie heißt die Göttin?«, mischte sich der Mann ein, der ihn überwältigt hatte.

»Nyx.«

Die Frau und der Mann schauten sich verständnislos an.

»Woher kommst du?«

»Aus Noctur.«

»Wo liegt das?«

Diesmal schaute Alexander sie verständnislos an. Wieso wussten sie nicht, wo Noctur lag?

»Es liegt zwischen den beiden Meeren und der Felswüste.«

»Wenn du Sato töten solltest«, kam es wieder von dem Mann, »warum hast du es nicht getan, bevor wir in den Raum kamen?«

»Ich …«

Es fiel ihm schwer, es zu erklären. Es war keine Angst gewesen.

Und er wollte nicht, dass diese Frau ihn für einen Feigling hielt. Er wollte niemanden töten, der ihm nie etwas getan hatte, den er nicht einmal kannte. Eigentlich wollte er überhaupt niemanden töten. Hätte er das in Noctur gesagt, hätte man über ihn gelacht oder ihn dafür bestraft. Wahrscheinlich beides. Er schaute die Frau hilflos an. Wie konnte er es ihr erklären? Sie wartete wortlos auf seine Antwort. Auch der Mann sagte diesmal nichts, sondern wartete einfach nur ab.

»Ich … ich habe noch nie jemanden getötet.«

Seine beiden Befrager nickten sich zu.

»Was hat es mit dem Helm auf sich?«, wollte jetzt der Mann wissen.

»Er macht unsichtbar.«

»Wie funktioniert das?«

»Das weiß ich auch nicht. Ich muss mir nur vorstellen, dass andere mich nicht sehen.«

»Dann verstärkt der Helm deine Gedanken?«

»Ja.«

»Kann jeder den Helm benutzen?«

»Nein. Er wird auf den Träger abgestimmt. Und man muss üben, damit umzugehen.«

»Und du kannst gut mit ihm umgehen?«

»Ja«, antwortete Alexander mit etwas Stolz in der Stimme.

»Wurdest du deshalb ausgewählt, Sato zu töten?«

»Ja«, kam es diesmal traurig von ihm.

»Wozu war das Kästchen, das du umhängen hattest?«

»Der Helm braucht Energie, um zu funktionieren.«

»Das ist eine sehr kleine Energiequelle.«

»Ja. Sie ist sehr wertvoll. Es gibt nur noch wenige.«

»Schiffstechnik«, murmelte Flavius halblaut. Aluna schaute ihn irritiert an.

»Was würde mit dir passieren, wenn du nach Noctur zurückkehren würdest?«

»Ich habe versagt. Die Göttin würde mich bestrafen.«

»Wie?«

»Sie würde mich zerreißen.«

Als sie die Zelle wieder verlassen hatten, waren Aluna und Flavius sehr nachdenklich.

»Was hat es mit dieser Stadt Noctur auf sich?«, wollte Flavius wissen. »Ich habe von dieser Stadt noch nie etwas gehört.«

»Das geht mir genauso. Und was den Ort betrifft, an dem sie sich befinden soll: Diese Gegend ist so unzugänglich, dass manche Eltern behaupten, dort wohne der Höllenhund – oder sonst irgendeine Fantasiegestalt.«

»Andererseits würde es ja zu den anderen Anhaltspunkten passen. Das Dreieck aus Felswüste, Salzmeer und Staubmeer liegt südöstlich von hier. Und damit näher am Ort des Überfalls auf dem Salzmeer, als irgendeine andere, bekannte Ansiedlung. Wenn es wirklich irgendwo eine unbekannte Stadt gibt, dann dort.«

»Ich denke, er hat die Wahrheit gesagt«, meinte Flavius nach einiger Zeit.

»Das war auch mein Eindruck«, meinte Aluna. »Was war das eben mit der ›Schiffstechnik‹? Das war doch Ihr Ausdruck, als die Sprache auf die kleine Energiequelle kam.«

»Eine sehr kleine, sehr starke Energiequelle, von der es nur noch ganz wenige gibt - das hört sich für mich so an, als sei es Technik, die noch von den Alten Schiffen stammt. Oder aus der Fliegenden Stadt, falls in diesem schwebenden Gebilde überhaupt noch Menschen leben. Jedenfalls kenne ich sonst keine Quelle der Hochtechnologie, die wir zur Zeit der Landung hatten.«

»Es ist doch schon Jahrtausende her, dass die Schiffe hier gelandet sind. Wieso soll es heute noch etwas aus der Zeit geben, das weiterhin funktioniert?«

»Die Technik war damals viel weiter entwickelt als heute. Und teilweise war sie für die Ewigkeit gemacht. Nach den Zeiten der Barbarei sind wir zwar wieder dabei, frühere Errungenschaften neu zu erfinden – wie vor kurzem die Elektrizität – aber es wird noch Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte dauern, bis wir in die Nähe der damaligen Technologie kommen.«

Für einen Augenblick hielt er nachdenklich inne. Dann erschien ein verschmitztes Lächeln auf seinem Gesicht.

»Ich beschäftige mich schon sehr lange mit den theoretischen Grundlagen jener Zeit. Physik, Chemie, Materialwissenschaften, Elektrizität, Elektronik, Nanotechnologie und so weiter. Aber bevor wir das Wissen aus jener Zeit, das nie wirklich verloren ging, wieder nutzen können, müssen wir einige Industriezweige neu entwickeln. Und wir haben hier andere Rohstoffe zur Verfügung als die, mit denen die Menschen die ursprünglichen Industrien betrieben haben. Ich suche seit Längerem nach einem Energieträger, der die Rolle übernehmen könnte, die früher das Erdöl innehatte.«

»Ich habe schon gehört, dass Sie ein Tüftler und Erfinder sein sollen. Allerdings auch ein Geheimniskrämer. Mir scheint, dass das maßlos untertrieben war. Versuchen Sie etwa, in Nova-Veni ein Zentrum der Hochtechnologie zu errichten?«

Flavius lachte.

»Um so etwas aufzubauen, reichen die Möglichkeiten von Nova-Veni bei weitem nicht aus. Und auch nicht meine Lebensspanne. Ich möchte helfen, die Grundlage für eine Entwicklung zu legen, die den Menschen mit der Zeit wieder die Möglichkeiten zurückgibt, die wir mit der Bruchlandung auf diesem Planeten verloren haben. Aber das kann weder Nova-Veni alleine, noch Bator. Nicht einmal das Kaiserreich Che-Min hat dafür alleine die Mittel. Wenn daraus mal etwas werden soll, geht es nur gemeinsam.«

»Beruhigend zu wissen«, stellte Aluna fest, obwohl ihre Zweifel offensichtlich noch nicht ausgeräumt waren. Sie war sich sicher, dass Flavius keine Skrupel hatte, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch dafür einzusetzen, seiner Stadt wirtschaftliche oder militärische Vorteile zu verschaffen. Aber das hatte er ja nicht bestritten. Vielleicht sollte auch sie etwas mehr Mittel in die Forschung stecken.

Andererseits schien Flavius auch rational genug zu denken, um keinen militärischen Großmachtfantasien nachzuhängen. In jedem Fall würde sie es vorziehen, ihn als Verbündeten und nicht als Gegner zu haben.

»War Ihr Interesse am hiesigen Sklavenmarkt eigentlich ernst gemeint?«, wechselte sie das Thema.

»Auf jeden Fall. Wann findet denn der nächste statt?«»Noch heute Nachmittag. Ich werde Sie zwar nicht begleiten können, aber ich werde veranlassen, dass Sie Zutritt erhalten.«

Lächelnd dachte sie daran, welche Möglichkeiten sich mit dem Gefangenen ergeben könnten. Sobald sie sicher war, dass von ihm keine versteckte Gefahr ausging, würde sie die Sache in Angriff nehmen.

Am Nachmittag führte der Hafenmeister Flavius zu dem Haus, in dem der Sklavenmarkt von Bator abgehalten wurde. Nach einigen Formalitäten zog er sich dann wieder zurück. Ein Händler – er bezeichnete sich als Vermittler – führte Flavius durch die Hallen.

»Haben Sie bestimmte Wünsche oder Vorstellungen?«

»Nichts Bestimmtes. Ich möchte mich einfach mal umsehen.«

»Natürlich. Kein Problem. Interessieren Sie sich eher für männliche oder weibliche Sklaven? Arbeitssklaven oder solche fürs Vergnügen? Eine bestimmte Altersgruppe?«

»Wo kommen eigentlich diese Sklaven her?«

»Das ist unterschiedlich. Manche haben ein minder schweres Verbrechen begangen, andere konnten ihre Schulden nicht bezahlen.

Soll ich Sie durch alle Hallen führen? Oder interessieren Sie sich nur für bestimmte Sklaven?«

»Ich denke, weibliche Sklaven fürs Vergnügen sollten meinen Interessen am nächsten kommen. So etwa ab zwanzig Jahren.«

Der Vermittler führte ihn in eine bestimmte Halle, in der einige, überwiegend gut aussehende Sklavinnen angeboten wurden. Sie standen auf kleineren Podesten und zeigten mehr oder weniger offensichtlich, welche Vorzüge sie besaßen. Eine stellte allerdings eine Ausnahme dar. Sie war breitbeinig an einem Pfahl fixiert und geknebelt.

»Was ist denn mit dieser da los?«, wollte Flavius wissen.

»Die ist so eine Art Ladenhüter. Sie sieht zwar gut aus, ist allerdings störrisch und aggressiv. Wenn man sie nicht festbindet, tritt und spuckt sie.«

»Wie ist sie denn hierher gekommen?«

»Sie wurde bei einem Diebstahl erwischt.«

Flavius ging auf die gefesselte Schönheit zu. Der Vermittler begleitete ihn. Die Augen der Sklavin schienen ihn zu durchbohren.

»Wie heißt sie?«

»So, wie Sie sie nennen wollen. Wie Sie sehen, ist sie bei guter Gesundheit. Sie hat stramme Schenkel und feste Brüste.«

Der Vermittler ließ es sich nicht nehmen, seine Worte durch eher unsanfte Berührungen der Sklavin zu untermalen. Diese stemmte sich gegen ihre Fesseln und warf ihm hasserfüllte Blicke zu. Er grinste. Flavius empfand den Vermittler zunehmend als unsympathisch. Er selbst ging ganz dicht an die Sklavin heran.

»Ich werde dir jetzt den Knebel abnehmen und dir ein paar Fragen stellen. Wenn du nach mir spuckst, wirst du es bereuen, denn ich werde dich dann kaufen, um dich zu bestrafen. Hast du das verstanden?«

Sie nickte. Und er nahm ihr den Knebel aus dem Mund.

»Wie heißt du?«

»Letitia.«

Sie schien irritiert, dass er sich für ihren Namen interessierte.

»Wie alt bist du?«

»Einundzwanzig.«

»Gefällt es dir hier?«

»Nein, natürlich nicht«, fauchte sie.

»Warum gibst du dir dann so viel Mühe, nicht gekauft zu werden?«

Sie schwieg und schaute zu Boden.

»Was wäre dir lieber? Weiter hier zu bleiben? Oder jetzt von mir gekauft zu werden?«

»Warum fragen Sie mich das? Sie können doch sowieso machen, was Sie wollen.«

»Natürlich. Aber ich möchte es trotzdem von dir wissen.«

»Damit Sie nachher sagen können, ich hätte es ja so gewollt?«

Flavius lächelte, während der Vermittler ganz offensichtlich nicht verstand, worin der Sinn dieser Unterhaltung bestand.

»Stimmt genau. Überlege dir deine Antwort also gut.«

Sie schaute ihn eine Weile nachdenklich an. Dann grinste sie und sagte: »Dann möchte ich lieber meinen Knebel wiederhaben.«

Flavius lachte und erfüllte ihr den Wunsch.

»Was kostet diese Sklavin?«

»Wenn Sie diese Sklavin haben wollen, wird die Herrscherin von Bator die Rechnung bekommen.«

»Gut. Dann bringen Sie mir die Sklavin morgen zu meinem Schiff.«

Er grinste die Sklavin an. »Gefesselt und geknebelt.«

Für einen Moment schaute sie ihn empört an. Dann begriff sie, dass sie es war, die diese Entscheidung getroffen hatte.

3

»Sie haben sich gestern also eine Wildkatze zugelegt«, begrüßte Aluna Flavius zu einem abschließenden Gespräch am nächsten Morgen. Sie konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.

»Weiß der verhinderte Attentäter schon von Ihren Plänen mit ihm?«, konterte Flavius schmunzelnd.

»Na gut, lassen wir dieses Thema«, lenkte Aluna ein. »Wie wollen wir jetzt fortfahren? Eine militärische Expedition zum mutmaßlichen Standort von Noctur ist angesichts der Geographie jener Gegend nicht sehr aussichtsreich.«

»Ich werde zunächst in Nova-Veni über diese Entwicklung berichten. Im Gegensatz zu Ihnen vertrete ich die Stadt nicht alleine. Außerdem werde ich versuchen, mehr über diese eigenartige ›Unsichtbarkeits-Suggestion‹ herauszufinden. Wir dürften beide spezielle Verbindungen nach Kuza unterhalten, sodass wir schon einmal anfragen können, wie sich die dortigen Piraten in dieser Angelegenheit verhalten wollen. Verhandlungen über die genauen Konditionen sollten wir allerdings besser abgestimmt führen. Sonst werden wir womöglich beide übervorteilt. Aber dazu brauche ich erst ein Mandat des Rates der Patrizier von Nova-Veni.«

»Und ich werde wohl den Schiffsverkehr von und nach Bator auf ein Minimum einschränken müssen.«

»Das gleiche werde auch ich dem Rat empfehlen.«

Nachdem er sich verabschiedet hatte, ging Flavius zu seinem Schiff zurück. Die nächsten Wochen versprachen arbeitsreich und wenig einträglich zu werden. Kaum hatte er das Schiff erreicht, wurde auch seine Sklavin angeliefert – wie vereinbart in Fesseln und geknebelt. Dass sie in einen Umhang gehüllt war, hatte sie wohl dem rauen Wetter zu verdanken, das allmählich die kühle Jahreszeit einläutete. Er hatte gar nicht daran gedacht, dass man ihm die Sklavin sonst nackt überbracht hätte. Seine Mannschaft warf sich vielsagende Blicke zu, als er Letitia kurzerhand über die Schulter nahm und in seine geräumige Kabine trug. Aus eigener Kraft hätte sie das Schiff nicht betreten können, da nicht nur ihre Hände, sondern auch ihre Füße zusammengebunden waren.

»Wir legen gleich ab. Kurs direkt auf Nova-Veni.«

Man konnte Kapitän Rufus ansehen, dass er lieber, wie ursprünglich geplant, Yaku angefahren hätte. Diese Ansiedlung – die Bezeichnung ›Stadt‹ würde Yaku nicht gerecht – war bei den Seeleuten sehr beliebt, da sie fast nur aus Bordellen, Kneipen und Glücksspielstätten bestand. Die Hauptklientel von Yaku waren allerdings nicht die Seeleute, sondern die Bewohner des Kaiserreichs Che-Min. Hinter den hohen Mauern, die das Kaiserreich umschlossen, waren derlei Vergnügungen – zumindest offiziell – streng verboten. So bildete Yaku, das genau wie Kuza direkt vor der großen Mauer entstanden war, eine Art Ventil für die Bewohner der sittenstrengen Städte Than-Do, Hai-Chang und Kin-Pe. Die fünfzig Meter hohe, schwarze Mauer bildete damit nicht nur die Grenze des Kaiserreichs, sondern auch die der streng geregelten Moral einerseits und der ungezügelten Vergnügungen andererseits.

»Keine Sorge, die Fahrt nach Yaku steht weiterhin an. In gewisser Weise sogar dringender als vorher. Aber zuerst muss ich nach Nova-Veni.«

Der Kapitän veranlasste alles Nötige, und wenige Minuten später glitt das Schiff aus der Hafeneinfahrt von Bator ins offene Salzmeer. Nachdem der Kapitän die Kajüte Flavius’ verlassen hatte, wandte dieser sich seiner Neuerwerbung zu. Er dirigierte sie zu einem Raum, der direkt an seine große Kabine mit dem breiten Heckfenster grenzte. Aufgrund ihrer Fesselung konnte sie dabei nur kleine Tippelschritte machen.

»Da wir gegen den Südwestwind kreuzen müssen, wird unsere Fahrt mindestens eine Woche dauern. Ausreichend Gelegenheit, einander kennenzulernen. Es stört dich doch nicht, wenn ich dir den Umhang abnehme. Hier drin sollte es für dich nicht zu kalt werden.«

Letitia schaute ihn säuerlich an. Antworten konnte sie nicht, da sie noch immer geknebelt war. Flavius nahm ihr den Umhang ab, sodass sie bis auf die Fesseln nackt vor ihm stand.

»Nimm doch Platz und mache es dir bequem«, meinte er schmunzelnd zu ihr und drückte sie so auf ein Bett, dass sie auf dessen Kante zu sitzen kam. Das Bett nahm den größten Raum in der kleinen Kajüte ein. Außer einem Schrank gab es noch einen Tisch und zwei Stühle. Einen der beiden zog Flavius neben das Bett und setzte sich ihr gegenüber. Sie saß kerzengerade und ziemlich verkrampft auf der Kante, was nicht nur auf ihre Fesselung zurückzuführen war.

»Ich hoffe, du fühlst dich wohl hier. Denn die nächsten Tage wird das der einzige Raum sein, in dem du dich aufhalten wirst. Vielleicht sollten wir uns erst einmal bekannt machen. Dass du Letitia heißt, hast du mir ja schon gesagt. Ich bin Flavius. Du wirst mich allerdings mit ›Herr‹ anreden. Ich hoffe, wir werden das nicht allzu intensiv üben müssen. Als Lernhilfe habe ich hier nämlich nur eine neunschwänzige Katze, die bisher auf diesem Schiff ein ziemlich eintöniges Dasein fristet. Die Mannschaft gehorcht mir auch ohne solche Zwangsmittel. Daran solltest du dir ein Beispiel nehmen.«

Bei der Erwähnung der auf Schiffen üblichen Peitsche schaute sie ihn erschreckt an. Der Gedanke daran, bei Ungehorsam ausgepeitscht zu werden, machte ihr Angst. Aber gleichzeitig jagte diese Vorstellung ihr auch einen gar nicht unangenehmen Schauer über den Rücken.

»Ich habe dich zwar zu meinem Vergnügen erworben, werde dich aber nicht dazu zwingen, mir sexuell zu Diensten zu sein. Du wirst entscheiden, ob und wann du dich mir ganz schenkst. Das wird allerdings die einzige Entscheidung sein, die ich dir in nächster Zeit überlasse.«

Flavius kam zu ihr herüber, drückte sie mit ihrem ganzen Körper aufs Bett und rollte sie auf den Bauch. Dann begann er, sie am Rücken, an den Beinen und über den Hintern zu streicheln. Zu Anfang ließ sie es angespannt geschehen. Doch nach einiger Zeit räkelte sie sich dabei wohlig auf dem Bett.

Plötzlich erklangen aufgeregte Rufe auf Deck. Und das Schiff änderte schlingernd den Kurs. Flavius sprang auf.

»Ich fürchte, du musst jetzt alleine weitermachen«, sagte er grinsend zu der gefesselten Sklavin, als er die Kabine verließ.

»Was ist denn los?«, wollte er von Kapitän Rufus wissen, als er die Brücke betrat. Dieser zeigte mit blassem Gesicht steuerbord voraus. Dort waren mehrere Seeungeheuer durch die Wasseroberfläche gebrochen und starrten angriffslustig auf das Schiff, das gerade damit begonnen hatte, ihnen auszuweichen. Ungläubig schaute Flavius auf das Getier, das sich unter spritzenden Fontänen zurück ins Wasser warf, um gleich darauf wieder aufzutauchen. Plötzlich gefroren seine Gesichtszüge.

»Lassen Sie augenblicklich wieder den alten Kurs setzen, Kapitän!«

Dieser schaute ihn einen Moment unschlüssig an, gab dann aber dem Rudergänger den Befehl weiter. Schlingernd ging das Schiff wieder auf Kollisionskurs mit den Seeungeheuern. Man konnte sowohl dem Steuermann, als auch dem Kapitän deutlich ansehen, dass sie das für einen Fehler hielten.

»Schauen Sie sich die Ungeheuer genau an, Kapitän.«

Dieser tat es, konnte allerdings nicht erkennen, worauf Flavius hinauswollte.

»Sie sehen doch, wie das Wasser spritzt, wenn das Getier sich hineinwirft, oder?«

Rufus nickte. Er konnte aber noch immer nicht erkennen, was Flavius ihm zeigen wollte.

»In welche Richtung wird das Spritzwasser weggeweht?«

Der Kapitän schaute angestrengt auf die tobenden Ungeheuer.

Plötzlich begann er, langsam und ungläubig den Kopf zu schütteln.

»Das darf doch nicht wahr sein. Es wird gar nichts weggeweht, obwohl wir kräftigen Südwestwind haben. Bei allen Seeteufeln, was ist das?«

»Das ist eine Illusion. Ich wusste nicht, dass wir so schnell angegriffen werden. Sonst hätte ich Ihnen bereits davon erzählt, was sich in Bator zugetragen hatte. Jemand manipuliert unsere Gedanken und versucht, uns einen anderen Kurs aufzuzwingen.«

Flavius schaute angestrengt in die Richtung, in die die Kursänderung das Schiff gebracht hätte, konnte allerdings nichts erkennen.

»Irgendwo da draußen ist ein Piratenschiff, das versucht, uns einzuholen. Sato – der Schiffbrüchige, den wir aufgelesen haben – erzählte, dass die Piraten ganz plötzlich aus dem Nichts auftauchten und sein Schiff enterten, bevor irgendjemand etwas dagegen unternehmen konnte. Und viele der Piraten waren mit den Schwertern nicht zu bekämpfen. Jetzt weiß ich, was er sah. Neben den richtigen Piraten kamen solche Illusionen auf das Schiff, wie diese Seeungeheuer. Die Matrosen auf dem Schiff wussten nicht, gegen wen sie kämpfen sollten und wurden überrannt.«

Er überlegte einen Moment.