Die Spur des Goldenen Blutes - Gabriela Bock - E-Book

Die Spur des Goldenen Blutes E-Book

Gabriela Bock

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Beschreibung

Sommer 2021 – die Corona-Pandemie hält die Welt fest im Griff: Im Zuge ihrer Ermittlungen in mehreren Mordfällen folgt die junge Kommissarin Isabella Riley einer Spur, die sie von Wien in die Pyrenäen und von Marburg nach Niedersachsen führt. Währenddessen muss sich Eleonore Dix am südlichen Harzrand mit einem kuriosen Bekannten herumärgern, der sie und ihre Familie verunglimpft. Als sie ihn zur Rede stellen will, verschwinden er und sein Kumpel plötzlich. Und wer sind die mysteriösen neuen Nachbarn, die das Haus nebenan gekauft haben? Bei ihren Nachforschungen macht Eleonore eine folgenschwere Entdeckung, die sie ihrem Freund, Hauptkommissar Marian Geiger, auf keinen Fall vorenthalten darf ...

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Seitenzahl: 256

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Gabriela Bock

Die Spur des goldenen Blutes

KRIMI

Impressum

Die Spur des goldenen Blutes

ISBN 978-3-96901-083-9

ePub Edition

V1.0 (03/2024)

© 2024 by Gabriela Bock

Abbildungsnachweise:

Umschlag © faestock | #203934506 | depositphotos.com

Hintergrund © cluckva | #1005818 | depositphotos.com

Porträt der Autorin © Ania Schulz | as-fotografie.com

Lektorat:

Sascha Exner

Verlag:

EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH

Obertorstr. 33 · 37115 Duderstadt · Deutschland

Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21

Web: harzkrimis.de · E-Mail: [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Schauplätze dieses Romans sind reale Orte. Die Handlung und die Charaktere hingegen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen wären reiner Zufall und sind nicht beabsichtigt.

Inhalt

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Über die Autorin

Mehr von Gabriela Bock

Eine kleine Bitte

Prolog

Vor 40 Jahren in Wien

Der kleine runde Arzt mit dem liebenswürdigen Gesicht und den kleinen wachen Augen saß hinter dem gewaltigen Schreibtisch aus Palisanderholz und blickte sich hilfesuchend um. Immer wieder zog er nervös an seinem Zigarillo. Er hatte seit dem frühen Morgen nicht arbeiten können. Der schwere Marmoraschenbecher vor ihm war voller Kippen. Schwester Almut hatte ihm schon zum vierten Mal Kaffee mit viel Zucker vorbeigebracht. Der große schmale Mann mit dem weißen Flatterhaar rannte inzwischen umher. Auf einem Stuhl saß seine Lebensgefährtin mit einem 14 Tage alten Baby im Arm. Sie war groß, schlank und elegant gekleidet. Ihr langes, weißblondes Haar war sorgsam hochgesteckt. Man sah ihr nicht an, dass sie gerade eine schwere Geburt hinter sich hatte.

»Zum letzten Mal frage ich dich jetzt, Tobias. Versprichst du mir, die Situation geheimzuhalten und uns den Namen und die Adresse des Mannes zu geben? Ich erwähnte schon, es soll dein Nachteil nicht sein. An welcher Immobilie bist du interessiert?«

Der blasse Weißhaarige mit dem fein geschnittenen Gesicht war stehen geblieben und stemmte seine Arme auf den Schreibtisch. Ein scharfer Blick attackierte sein Gegenüber.

»Es geht hier doch nicht um Geld, Valerian. Wo denkst du hin. Es ist eine medizinische Sensation. Das kann ich der Wissenschaft nicht vorenthalten. Erst 1900 hat Karl Landsteiner das ABO-System entdeckt, 1937 gelangen ihm und Salomon Wiener der Nachweis des Rhesusfaktors. 1961 wurde bei einer Aborigine durch Zufall herausgefunden, dass es Menschen gibt, die überhaupt keinen Rhesusfaktor besitzen. Seitdem sind weltweit nur wenige solcher Fälle bekannt. Du kannst sie an einer Hand abzählen. Weißt du, was das evolutionsgeschichtlich bedeutet?«, entrüstete sich der Arzt und drückte den nächsten Stummel im Ascher aus.

»Du gehst in meinem Café ein und aus, Tobias. Bist bei unseren Gesprächsrunden dabei. Du weißt, wer ich bin. Da wundert’s dich, dass Cosima und ich dieses wundervolle Geschöpf gezeugt haben? Sieh das Weib und mich doch mal an. Wir sind doch schon rein äußerlich keine normalen Menschen. Wach auf, Tobias. Und höre auf, deine Geltungssucht vor das große Ganze zu schieben.«

Prof. Dr. Tobias Genzricker machte sich in seinem Schreibtischsessel hoch. Geltungssucht ... er? Er hatte sich immer als Diener des Fortschritts und der Aufklärung gesehen. In der Medizin ging es so rasch voran. Erst 1928 hatte Alexander Fleming das Penicillin entdeckt. Seit 1941 wurde es erfolgreich eingesetzt. Und die vielen segensbringenden Impfstoffe, die entwickelt worden waren. Dass er, Tobias Genzricker, gleich auf zwei Menschen mit derselben Seltenheit gestoßen war, das sollte niemand erfahren dürfen? Es war seine Chance, weiter auf diesem Gebiet zu forschen. Er war nicht nur ärztlicher Direktor einer Privatklinik mit bestem Ruf, sondern im Forschungsbereich der Medizinischen Universität Wien tätig, die zu den bedeutendsten Forschungsinstitutionen Europas zählt.

Die Frau ergriff das Wort. »Was, wenn sich bestätigt, dass unsere Tochter diese Erkrankung hat und ständige Bluttransfusionen benötigt? Kannst du das mit deinem hippokratischen Eid vereinbaren, ein kleines Leben zu opfern? Heißt es da nicht unter anderem: Ich gelobe feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein. Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten oder der Patientin hinaus wahren.«

Cosima hörte abrupt auf zu Rezitieren. Sie hatte sich erhoben, ihre Katzenaugen funkelten bedrohlich. Mit dem Winzling im Arm querte sie den Raum und blieb vor dem Schreibtisch, hinter dem der Arzt beinah verschwand, stehen. Sie hielt ihm den Säugling entgegen.

»Du hast selbst Kinder, Tobias. Kannst du es verantworten, dass dieses unschuldige Geschöpf sterben muss? Ich schätze dich sehr und kenne dich als Mann der Ehre.«

Tobias Genzricker schluckte trocken und klingelte dann nach der Schwester. »Schwester Almut, bringen sie mir doch bitte mal die Patientenakte von ... Sie wissen schon, von wem.«

Cosimas ohnehin kühle Mimik erstarrte. »Schwester Almut ist in den Fall involviert?«, fragte sie frostig.

Kapitel 1

Mitte Juli 2021

Herzberg am Harz, Ortsteil Pöhlde

Mit geschlossenen Augen genoss Eleonore, wie sich Gernots muskulöse Beine sanft um ihre Körpermitte schmiegten. Sie lagen sich gegenüber. Das Wasser des Jacuzzi-Whirlpools gluckste schäumend, während Alexa ›Smoke on the Water‹ von Deep Purple in die Scheune schmetterte. Sie hatte die Hunde knurren gehört und öffnete die Augen. Dabei löste sie sich aus der Umklammerung ihres Partners und setzte sich auf. Die beiden Rüden Charles und Gilbert hatten sich erhoben und bellten in Richtung der Tür, die in das Scheunentor eingearbeitet war. Es ging ineinander über, Eleonores Blick auf die Tür, ein lautes »Aus« an die Hunde und ein ebensolcher Befehl an Amazons virtuelle Assistentin.

Während Gernot gerade begriff, was los war, war Eleonore aus dem Whirlpool gehechtet und jetzt nackt und nass mit den Hunden am Halsband auf dem Weg zum Tor. Dort stand ein Mann. Ein älterer, durchtrainiert wirkender Kerl, der unverschämt grinste. Je näher Eleonore ihm kam, umso schwerer fiel es ihr, die aufgebrachten Bouviers des Flandres an ihren Halsbändern zu halten.

»Hey, können Sie mir mal verraten, was sie hier zu suchen haben?!«, brüllte Eleonore dem Mann erbost entgegen.

»Hallo, Hallo!«, der Mensch hob jetzt die Arme, was Charles und Gilbert noch mehr in Rage versetzte. »Ich wollte mich nur vorstellen. Georg Hauser, mein Name. Ich bin Ihr neuer Nachbar!« Der Mann schrie gegen das Gekläffe und Knurren an.

Gernot war inzwischen aus dem Jacuzzi gestiegen und nahm, mit einem Saunatuch bekleidet, Eleonore die Hunde ab. Gernots Ruhe übertrug sich sofort auf die beiden und sie waren auf der Stelle still.

»Nett, Sie kennenzulernen. Vielleicht rufen Sie das nächste Mal vorher an und erscheinen dann vorne durch die Haustür,« fauchte Eleonore den Kerl an und schob verdutzt hinterher: »Was hat das zu bedeuten, dass der Sohn unseres verstorbenen Nachbarn uns nicht persönlich über den Tod des Vaters informiert und uns auch sonst so feindselig außen vor lässt? Wir hätten das Haus gern gekauft und hatten noch zu Lebzeiten von Friedel mit ihm und seiner Frau Gerda darüber gesprochen. Uns wurde sozusagen Vorkaufsrecht eingeräumt.« Und dieser Kerl heißt mit Vornamen so wie Friedel und Co. mit Nachnamen heißen, Georg. Ein komischer Zufall, dachte Eleonore.

Gernot hatte die Hunde von den Leinen befreit. Sie beschnupperten Georg Hauser, der keine Angst zeigte. Eleonore sah sich den Mann, der ihr neuer Nachbar sein sollte, genauer an. Sie schätzte sein Alter auf Anfang 70. Er war schmal und muskulös. Seine vollen dunklen Haare waren vorne grau gesträhnt. Er hatte Eleonores Gardemaß und ein ausdrucksstarkes Gesicht. Bekleidet war er mit Jeans, Shirt und leichter Stoffjacke. Ihr fiel der Blick aus seinen dunklen Augen auf. Irgendwie weise. So guckte jemand, der schon einiges mitgemacht hatte im Leben. Sie fand es plötzlich nicht mehr so tragisch, dass er in ihrer Scheune stand.

»Wundern Sie sich nicht, wenn das Haus die nächsten Wochen leer steht. Wir müssen erst die Zelte in der alten Heimat abbrechen.«

Eleonore stand wie angewurzelt da und hätte noch unzählige Fragen an Georg Hauser gehabt, aber der war jäh durch die Tür verschwunden. Sie stieß Gernot zurück, der völlig verdutzt guckte und der ihr ihren schwarzen Frotteebademantel über die Schultern hängen wollte. Eleonore riss die Tür auf und stürmte ins Freie, die Hunde schossen hinterher. Ein warmer Wind trocknete ihren nackten Körper, verfing sich in den üppigen nassen Haaren. Sie querte den Hof und wuchtete schließlich ihre kräftige Gestalt über die niedrige Mauer, welche die Grundstücke trennte. Bisher hatte sie es tunlichst vermieden, die Nachbarn auf diesem Weg zu besuchen. Die Gemeinsamkeit, die sie verbunden hatte, waren Traktor und Tiere.

Der Sohn der Nachbarn, Friedhelm, genannt Chassis, war in Eleonores Alter und wohnte seit über 20 Jahren nicht mehr bei den Eltern.

Eleonore klopfte mehrmals kräftig an der Hintertür des Nachbarhauses und drückte dann die Klinke runter. War dieser Georg Hauser ein Zauberer und seine Erscheinung eine Illusion gewesen? Die Tür war verschlossen, ebenso das Fenster zur Waschküche, durch das sie nun einen Blick ins Innere warf. Trockner, Waschmaschine, Körbe für Wäsche, alles war vorhanden. Sogar Bügelbrett und Bügeleisen standen noch herum. Nachbarin Gerda war wohl sofort nach dem Tod von Ehemann Friedel zu der Familie des Sohnes umgesiedelt. Jetzt können Chassis und seine Frau Nadine sie noch mehr für ihre Zwecke missbrauchen. Die beiden Enkelkinder hatte sie schon immer behütet und bekocht, wenn die Eltern bei der Arbeit waren oder sich einen faulen Lenz machten. Gerda tat das gern und es war für Eleonore in Ordnung, solange Rücksicht auf eigene Interessen der Oma genommen worden wäre. Die hat doch jeder außerhalb der Familie, dachte Eleonore und kam zu dem Schluss, dass Gerda immer nur ausgenutzt worden war. Du bist einfach nur sauer und wütend, weil etwas nicht so gelaufen ist, wie du es dir gewünscht hättest, Eleonore Dix, beruhigte sie sich.

Gernot kam lachend auf sie zu. Er legte Eleonore den Bademantel um die Schultern und zog ihr die Kapuze über den Kopf.

Wie im Kindergarten, dachte sie und schlüpfte mit den Armen in die Ärmel. Da zogen die Zwerge ihre Jacken genau so an. »Ist der Mann ein Zauberkünstler? Wie konnte er so schnell verschwinden?«

Wieder lachte Gernot. »Ich empfände es als reizvoll, wenn du nackt so schnell hinter mir her wärst. Ihm hat es vielleicht Angst eingejagt. Wer weiß, vielleicht ist er schüchtern oder hat eine Frauenphobie.«

»Der und schüchtern? Das glaubst du doch selbst nicht«, gab Eleonore lautstark von sich und begab sich auf den Weg zur Scheunentür. Sie rannte durch die Scheune und entriegelte das Tor zur Straßenseite. Auf dem breiten gepflasterten Streifen vor der Häuserzeile standen außer ihrem schwarzen Audi und Gernots Transporter keine anderen Fahrzeuge. Hagen und Jasmins VW Bus, der sonst mit den anderen in einer Reihe stand, war nicht da. Eleonores Sohn und seine Partnerin waren seit einigen Tagen zu Besuch bei Freunden in Hamburg. Hagen und Jasmin bewohnten die obere Etage von Eleonores altem Bauernhaus.

Unter dem Klingelknopf neben der Tür des Nachbarhauses, in dem ehemals Friedel und Gerda Georg gewohnt hatten, war das Namensschild entfernt worden und man hatte nichts Neues angebracht. Eleonore klingelte Sturm. Minutenlang. Immer wieder. Niemand öffnete.

»Komm, lass uns zurückgehen«, empfahl Gernot und umfasste ihre Schultern.

»Wo ist er hin? Wenn er da drin ist, warum öffnet er nicht? Das gibt es doch gar nicht,« stammelte Eleonore fassungslos, »warum spricht Chassis nicht mit mir? Was habe ich dem getan?«

Gernot blieb gelassen und zuckte nur mit den Schultern. Er kannte diesen ›Karosserie‹ ja nicht mal persönlich.

* * *

Die Begegnung mit Frau Dix war nicht geplant gewesen. Wie konnte er ahnen, sie und ihren Partner im Jacuzzi zu überraschen. Er wollte doch nur mal einen Blick in die Scheune werfen. Ihre Nacktheit hatte ihn sehr amüsiert. Aber für Amüsement war die Lage viel zu ernst und angespannt. Gerald war einfach auf der anderen Seite des Dixschen Hauses um die Ecke gebogen, während sie mit den Hunden die andere Richtung eingeschlagen hatte. Tja, so wurde man getäuscht. Darin war er ein Meister.

»Stell dir nur mal vor, bei der Inspektion des Grundstücks bin ich in der Scheune auf sie und ihren Freund gestoßen. Es war eine extrem kurze Begegnung«, sagte er zu seiner Frau, als er auf dem Kamm des Rotenbergs angekommen war.

»Und, was hältst du von ihr?«, fragte Alexandra. Sie saß schräg auf dem Fahrersitz des Mercedes. Ihre langen, schlanken Beine hingen aus der geöffneten Tür. Dieser Anblick faszinierte ihn immer wieder. Selbst jetzt noch, mit über 70.

»Sie war nackt«, sagte er und lachte.

»Du alter Sack«, sie zwinkerte ihm zu. »Und sonst?«

Er schritt um den Wagen und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. »Sie hat Elan. Und wir wissen ja, dass sie eine Freundin von Marian ist. Der Typ, der bei ihr war, macht einen ruhigen, sympathischen Eindruck. Glaub mir, das Haus ist ein Glücksgriff, wie geschaffen für unsere Zwecke. Sie erwähnte allerdings Friedhelm Georg und sie ist sauer auf ihn, weil er die Bude an uns verkauft hat und nicht an sie. Hoffentlich mischt sie da jetzt nichts auf, was besser ruhen sollte. Der Typ ist nun mal ein Idiot.«

»Ja«, sagte sie und ließ den Motor an, »ich werde mich mit Marian unterhalten müssen, wenn es so weit ist.«

Kapitel 2

Einige Tage zuvor in Marburg

Er war in seinem schwarzen Smart mehrmals an dem Bau vorbeigefahren. Wie im Internet empfohlen, hatte niemand sein Fahrzeug auf dem freien Platz davor abgestellt. Leicht angenervt hatte er das Auto schließlich etwa 50 Meter entfernt in einer Haltebucht geparkt. Was für ein Theater, dachte er. Versammlungsverbot hin, Corona her. Man konnte es auch übertreiben. Der Bau hier in der Walachei kam ihm sehr suspekt vor. Auf einer Seite dieses ranzigen Flachbaus befanden sich zwei Rolltore. Der Platz davor war betoniert, in die schmale Straße übergehend. Ein mit grauen Platten ausgelegter Weg führte um das Gebäude. Es sah alles ungepflegt aus. Michael hatte sich schon mit dem Gedanken angefreundet, wieder nach Hause zu fahren, als ihm zwei Männer begegneten, die freundlich grüßten und ihn aufforderten, ihnen zu folgen. Gemeinsam betraten sie den Bau durch eine graue eiserne Nebeneingangstür.

Er war neu in der Gemeinschaft und vermutlich der einzige von ihnen, der noch nie bewusst eines dieser Wesen gesehen hatte. Angeblich waren sie überall, weltweit, seit Jahrtausenden. Aber in den letzten Jahren gab es wohl vermehrt diese besonderen Exemplare. Hätten seine Schwester und ihr Mann nicht von ihrer Entführung durch diese Aliens berichtet, hätte er sich niemals für die Thematik interessiert. Bei seinen Recherchen hätte er beinah den Verstand verloren, so ein weites Feld gab es da zu beackern. Inzwischen hatte er seine Arbeitszeit als Grafikdesigner erheblich eingeschränkt und war froh, das meiste von zu Hause aus erledigen zu können. So bekam niemand mit, dass er sich ständig mit Koks aufputschte. Tag und Nacht musste man auf der Hut sein vor diesen Monstern. Sie trugen kein Menschenhautkostüm und waren keine Reptiloiden. Vielleicht gab es diese Sorte wirklich, was Michael für eher unwahrscheinlich hielt. Das Gefährliche an ihnen war ja die Tatsache, dass sie sich im Äußeren in nichts von dem modernen Homo sapiens unterschieden. Seine Schwester und sein Schwager waren anscheinend von normalen Menschen entführt und in einer schmerzhaften Prozedur untersucht worden. Er hatte die Einstiche, Schnitte und Hämatome mit eigenen Augen gesehen.

Michael war gerade dabei, die Eindrücke auf sich einwirken zu lassen, als ein kleinerer, schmaler Kerl auf ihn zukam. Er schätzte ihn höchstens auf 18. In gewisser Entfernung von Michael standen zwei Männer in schwarzer Kluft, die sich bedrohlich aufgebaut hatten. Michael war grade dabei, seine FFP2-Maske aufzusetzen, als der junge Mann vor ihn trat und ihm erklärte: »Die kannst du weglassen. Wir desinfizieren mit Weihrauch. So wie es schon in Gottes Zelt üblich war. Ein Schutz vor Bakterien und Viren von der Erde.«

Hmmm ... Michael verstand nur Bahnhof.

»Such dir einen Platz, Michael.«, sagte der Bursche und lächelte freundlich. Erstaunlich, dass dieser Milchbubi meinen Namen kennt, dachte Michael.

»Der Vortrag beginnt in wenigen Minuten,« sagte der Kerl.

Die schwarz gekleideten Männer standen nach wie vor breitbeinig da, die Arme vor der Brust verschränkt. Michael schätzte, dass zirka 30 Personen anwesend waren. Mehr Männer als Frauen. Er hatte im Internet ein Foto von seinem Personalausweis hochladen müssen. Der junge Bursche hatte anscheinend ein gutes Gedächtnis. Es war düster und karg in dem Raum. Die weiß verputzten Wände schmucklos, mit einigen wenigen LED-Röhren bestückt, die ein kaltes Licht verteilten. Der Boden war aus Beton. Vorn stand ein Tisch mit Beamer und Laptop. Dahinter eingerollt eine große Leinwand. Zwischen den Stuhlreihen gab es einen Durchgang nach vorne. Michael nahm auf einem Metallstuhl mit schwarzbezogener Sitzfläche Platz. Links von ihm saß ein etwas aufgequollen wirkender Brecher in Lederjacke, der Michael unfreundlich darauf hinwies, dass der Stuhl neben sich, zum Durchgang, für einen Freund reserviert wäre, der jeden Augenblick kommen würde. Es schien offensichtlich, dass der Typ nur jemanden suchte, den er anmotzen konnte. Michael saß bereits und brauchte keinen zweiten Sitzplatz. Nur der Platz rechts von Michael war unbesetzt. Beruhigt stellte er fest, dass die schlitzartigen Luftklappen unterm Dach geöffnet waren. Manche mochten diesen balsamisch würzigen Weihrauchgeruch anscheinend. Er fand ihn einfach grauenvoll. Wenigstens ging es hier nicht zu, wie auf diesen Hochglanz-Werbeveranstaltungen, die er hasste und die er vor Corona für die Agentur öfter besucht hatte.

Notgedrungen hatte er sich in den letzten zwei Jahren mit der Existenz von Außerirdischen auf diesem Planeten beschäftigt. Die klassischen unter den Freaks pilgerten nach Nevada zur Area 51, um zumindest einmal im Leben in der Nähe dieser Air-Force-Basis gewesen zu sein, wo die Besatzung eines 1947 in Roswell, New Mexico, abgestürzten Flugobjektes angeblich versteckt worden war und um die sich seither die wildesten Gerüchte rankten. Auf dem weitläufigen Gelände sollen sich sogar die konservierten Leichen der außerirdischen Besatzung heute noch befinden. Manche behaupten, die Körper wären gar nicht tot geborgen worden und die Aliens würden in den Hallen ein geheimes Leben führen. Andere Verfechter der Theorie ›Sie sind unter uns‹ erinnerten an das Ehepaar Betty und Barney Hill, welches von grauen menschenähnlichen Gestalten in schwarzen Anzügen in ein Raumschiff entführt worden war. Das soll 1961 in New Hampshire stattgefunden haben. Genau wie Michaels Schwester und Schwager waren sie auf bestialische Weise untersucht worden. Diese Aliens, die das Ehepaar beschrieb, hatten keine Münder und kommunizierten nur durch Gedankenübertragung. Seitdem wurde immer wieder von grauen Wesen mit großen schwarzen Augen berichtet, die ›Greys‹ genannt wurden. Sein Kopf schwirrte, wenn er an all die Theorien dachte, oder Fantasien, wie auch immer. Die absoluten Spinner behaupteten ja sogar, der halbe Bundestag wäre von Reptiloiden unterwandert und sie würden bei Nacht ihre wahre Gestalt annehmen. Der Brecher neben ihm, der den Weihrauchgeruch durch ein stark riechendes Männerparfüm übertünchte, begrüßte seinen mickrig wirkenden Kumpel, indem er ihm mehrmals so auf die Schulter fasste, dass der gar nicht anders konnte, als sich zu setzen. »Jutti, mein bester Freund«, erklärte er Michael und strahlte den an. Wie beruhigend. So finster, wie er den Mann eingeschätzt hatte, war er anscheinend nicht. Zuletzt kam eine kleinere, drahtige Frau und setzte sich neben Michael. Sie war jung, höchstens Anfang 30. In dem Alter, in dem seine zehn Jahre jüngere Schwester auch war. Babette, seine Kleine, die durch diese Entführung schwer traumatisiert war. Er war für Babette und Nils hier. Nur für sie nahm er das alles auf sich. Nils war ein jämmerlicher Schwächling. Er mochte ihn nicht so richtig und fand, dass er überhaupt nicht zu seiner taffen Schwester passte. Sie funktionierte im Alltag ja noch halbwegs, was man von ihm, selbst mit gutem Zuspruch, nicht behaupten konnte.

Die Frau neben ihm klimperte mit den vielen Silberreifen, die ihre schmalen Handgelenke zierten. An den filigran wirkenden Fingern trug sie auffallend dicke Ringe. Michael warf einen Blick auf die Person dazu. Hübsch! Voluminöse blonde Locken, eine große hellblaue Brille auf der Stupsnase. Viel Jeansstoff an dem schmalen Körper.

Die Stimmen im Raum verstummten, als ein hochgewachsener, weißhaariger Mann von hinten durch den Gang schritt und vorn vor der inzwischen ausgerollten Leinwand stehenblieb. Die nicht ganz kurzen, schlohweißen Haare standen im krassen Kontrast zu seinem jugendlich wirkenden Gesicht. Das Licht der Röhren wurde ausgeschaltet, dafür gingen einige Spots mit weicherem Licht an. Der große, schmale Mann trug enge, weiße Jeans und dazu ein weißes, langärmeliges T-Shirt.

»Na ja, wie ein Spinner sieht er ja nicht gerade aus«, entfuhr es Michael, woraufhin die junge Frau ihn erbost anfunkelte.

»Warum sollte der Poldi ein Spinner sein? Bist du dir sicher, dass du hier richtig bist?«

Halt besser die Klappe, dachte Michael, der sich keinen Verweis einfangen wollte.

Der Redner stellte sich mit Dr. Leopold Embergen vor und Michael bemerkte einen leichten Akzent, den er nicht zuordnen konnte. Immer wieder fing er sich kritische Seitenblicke seiner Nachbarin ein. Dr. Embergen erzählte etwas von der seit Jahrtausenden währenden Besiedelung der Erde durch extraterrestrische Wesen, die durch alle Kulturen belegt war, und brachte die Bibel als Beispiel an. Dort wäre erwähnt worden, dass Gott seine Engelssöhne auf die Erde geschickt hätte, um sich mit den halbwilden Erdentöchtern zu verbinden: Schafft Menschenkinder nach meinem Ebenbild! Er griff Theorien von Erich von Däniken auf, den er sehr schätzen und persönlich kennen würde. Ein großer Mensch wäre das, was er immer wieder betonte. Ein Mann aus der vorderen Reihe erhob sich und fragte laut: »Dann vertrittst du also auch die These, dass wir alle hier ...«, er drehte sich wichtigtuerisch ins Publikum um, »dass wir alle irgendwie Zwitterwesen sind. Meine Frage ist nur: Die Welt ist uns doch schon untertan. Was unterscheidet uns von denen, die noch mehr wollen? Und was wollen die überhaupt? Wozu diese neuen Genmanipulationen?«

Das Gemurmel im Raum verstummte. Dr. Embergen lächelte zufrieden. »Deine Frage, lieber Klaus, ist der Grund, weshalb wir uns hier treffen.«

Der junge Assistent, der Michael im Eingang begrüßt hatte, machte sich an dem Beamer zu schaffen. Michael war sich sicher, dass alles, inklusive des Fragestellers, Teil einer Inszenierung des Veranstalters war. Der Redner hatte sich vor die Leinwand gestellt, das Licht im Raum war gedimmt worden.

»Seht ihr mich leuchten?«, fragte Dr. Embergen.

Tatsächlich! Michael staunte zuerst, fand dann aber schnell eine Erklärung. In den Klamotten von dem Mann war sicher etwas Fluoreszierendes eingearbeitet. Und eine ebensolche Substanz musste sich in den Haaren befinden und auf dem Gesicht ... denn er strahlte.

»Dass ich hier so relativ hell erscheine, liegt zum Teil an meiner weißen Ausstrahlung ... Kleidung, Haar, mein blasser Teint. Nicht zu unterschätzen meine gewaltige Aura«, erklärte Dr. Embergen. Den muss ich mir nachher aus der Nähe ansehen, dachte Michael noch so, als seine Nachbarin ihn von der Seite anstieß.

»Wahnsinn, oder?« Dabei hob sie ständig die Arme in die Höhe und klimperte mit ihren Armreifen.

Dr. Embergen war zur Seite getreten, immer noch wirkte er wie eine Lichtgestalt. Auf der Leinwand erschien ein Bild.

»Seht Ihr, hier eine Gurkenpflanze im Übergang von der Blüte zur Frucht ...« Nacheinander erschienen Bilder auf der Leinwand. Auf jeder der Aufnahmen war ein Objekt zu sehen, umgeben von einem leuchtenden Kranz. »Die Aufnahmen hat der Biophysiker Fritz-Albert Popp in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gemacht. Es gelang ihm, mit seinem Photonen-Vervielfacher nachzuweisen, dass in lebenden Zellen ein schwaches Leuchten existiert. Damit gelang ihm der Nachweis von sogenannten Biophotonen. Einige unter euch haben sich intensiver mit der Thematik befasst und ich möchte hier für alle, die mit der Theorie nichts zu tun haben wollen, keine wissenschaftlichen Vorträge halten. Ihr seid hier schließlich nicht an der Uni oder in der Schule.«

»Richtig«, sagte der Kerl neben Michael, »und wenn der weiterhin nur rumquatscht, gehe ich gleich nach Hause. Ich dachte, der Poldi wäre die Innovation. Dabei geht es hier nur um was, das jedem bekannt ist. Oder, wie siehst du das?«

»Sehe ich genauso«, erwiderte Michael. Dabei hatte er weder zu Schulzeiten noch während des Studiums etwas von einem Herrn Popp und einem Leuchten in der Zelle gehört. Aufgebracht musterte der Typ Michael. Die Frau rechts von ihm sah ihn auch schon wieder so schräg an. War er falsch angezogen in dem kurzen Wollmantel und den teuren Designerjeans? Waren ihm die Zweifel, die er hegte, ins Gesicht geschrieben? Hielt man ihn gar für einen Spitzel?

»Jetzt fängt er gleich noch vom Gilgamesch-Epos und den Anunnaki an und glaubt, er erzählt uns was Neues«, hörte Michael die Stimme des Mannes neben sich.

Die junge Frau beugte sich vor und sagte an Michael vorbei zu dem Kerl: »Kannst du nicht mal ruhig sein, du Idiot? Es geht hier um neue Machtstrukturen, zu denen Poldi Connections hat. Davon können wir nur partizipieren.« Und an Michael gewandt sagte sie: »Über Popp regt sich doch schon lange niemand mehr auf. Leider ist er vor einigen Jahren gestorben. Einige seiner Physikerkollegen waren auch der Meinung, dass Zellen durch Licht kommunizieren und sogar einer gewissen Ordnung folgen.«

Das Licht im Raum ging an. Hinter der Leinwand befand sich anscheinend eine Tür, die Michael bisher nicht bemerkt hatte. Wo sollte er sonst hergekommen sein, dieser Mensch im Rollstuhl, der nun von Dr. Embergens Assistenten vor die Leinwand geschoben wurde. Ein alter Mann saß in eine Decke gewickelt im Rollstuhl, sein Kopf mit dem vollen dunklen Haar wurde abgestützt. Das faltige Gesicht sah zusammengesunken aus, die Augen waren geschlossen.

»Ihr werdet es nicht glauben, aber dieser friedlich wirkende alte Herr ist in Wirklichkeit einer von ihnen. Unter uns, um andere Exemplare seiner Art am Leben zu erhalten und sich mit den Menschentöchtern zu vermehren. Nur, dass er nicht engelsgleich aussieht, wie einer dieser schönen Gottessöhne. Ihr müsst zugeben, dass meine Wenigkeit diesem Bild wesentlich besser entspricht.« Er lachte gekünstelt. »Unser Freund hier war mal ein echter Womanizer. Er will sich nicht dazu äußern, aber einige Söhne und Töchter wird er schon gezeugt haben.« Dr. Embergen benahm sich übertrieben, indem er sich neben den Rolli stellte und den Alten ansprach wie Butler James Miss Sophies imaginären Gast, Admiral von Schneider, in ›Dinner for one‹. Als Dr. Embergen das Raunen im Raum bemerkte, wurde er ernst.

»Wir haben ihn natürlich vorher sediert. Es gibt moralische und ethische Regeln, die wir strikt einhalten. Ihr seht, er sieht aus wie wir und doch unterscheidet ihn einiges von uns. Etwas mit seinem Blut ist anders. Ich sehe ihn hell vor mir, aber dazu gleich mehr. Ich halte mich bedeckt mit meinen Aussagen, weil die Zeit noch nicht reif ist, dieses Gedankengut einer breiten Masse zugänglich zu machen. Und ich rate auch von voreiligen Unternehmungen ab. Ich denke da nur an heimliche Labore, Blutentnahmen oder die Stürmung der Blutbanken.«

»Es tut mir wirklich leid!«, schrillte die Stimme einer Frau aus der vorderen Reihe.

»Schon gut, Birthe.« Dr. Embergen zeigte der Zwischenruferin, die Michael von weiter hinten nicht sehen konnte, dass sie sich beruhigen möge, indem er eine beschwichtigende Geste mit den Armen vollführte. »Unser Wissen darf weder ins Netz noch an die Presse, noch darf es an einen Kreis Uneingeweihter gelangen, die uns als Spinner, Aufwiegler oder gar Terroristen beschimpfen würden.«

Man unterhielt sich untereinander im Raum. »Was ist mit Dir? Neu in der Szene? Die Kleine da neben dir kenne ich schon etwas länger«, meinte der Brecher zu Michael. Der war dabei, dem Mann die Hand zu geben und sich vorzustellen, aber Dr. Embergen sprach weiter. Der Greis im Rolli war inzwischen verschwunden. Der Assistent stand nicht mehr am Beamer. Vermutlich schob er den Alten raus. Michael wurde nervös. Wohin brachte er den Mann? Was war hinter der Tür? Wie erging es dem Armen, wenn er nicht im Rollstuhl saß und vorgeführt wurde?

»Ich frage euch jetzt und ich erwarte ehrliche Antworten. Das ist wichtig für unsere zukünftige gemeinsame Arbeit«, sagte Embergen, der wichtig und breitbeinig vorne stand, die Arme in die Hüften gestemmt. Er leuchtete jetzt nicht mehr so extrem wie im Dunkeln, seine Ausstrahlung fand Michael immer noch außergewöhnlich.

»Wer konnte das Wesen im Rollstuhl leuchten sehen? Mindestens so stark wie mich, vielleicht noch stärker. Wer außer mir hat diese Gabe?«

»Ja ... ich, ich kann es sehen!«, vernahm Michael die schrille Stimme dieser Frau aus der ersten Reihe. Seine Nachbarin hob kurz den Arm, senkte ihn aber wieder, weil Dr. Embergen zu Birthe sagte: »Jajaja, liebe Birthe. Das wissen wir doch alle. Du beherrscht das Aura Reading in Perfektion. Davon ist jetzt aber nicht vorrangig die Rede.«

»Tut mir leid, Poldi«, entschuldigte sich Birthe. Sie war kleinlaut geworden, sodass Michael Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen. Dafür rezitierte Dr. Embergen nun umso lauter.

»Fragt mich nicht, woher ich diese Fähigkeit besitze und warum ich einer unter Milliarden von Menschen zu sein scheine, die davon betroffen sind. Ich sehe nicht nur die Aura eines Menschen, das bekommt jeder von uns mit viel Übung hin. Ich gebe jetzt an meinen Sohn weiter, damit ich nicht als Prahlhans vor euch stehen muss.« Er wandte sich an seinen kleinen Assistenten, der jetzt im Licht der Scheinwerfer stand. Auch er war weiß gekleidet, was Michael vorher gar nicht aufgefallen war. In Sachen Strahlkraft vermochte er seinem alten Herrn nicht das Wasser zu reichen. Michael fragte sich, wie so ein dominanter Guru so einen unscheinbaren Hobbit zeugen konnte.

»Mein Vater besitzt die außergewöhnliche Gabe, ohne Photonen-Vervielfacher oder ähnliches Gerät das Licht in pflanzlicher sowie menschlicher Materie sehen zu können. Erst wollte er es selbst nicht glauben. Als er dann auf diese neue Generation von Mischwesen mit dem besonderen Blut stieß, war ihm klar, er kann sogenannte Aliens durch ihre Ausstrahlung erkennen. Einige dieser Geschöpfe besitzen dieses Blut nicht und deshalb hat mein Vater eine Versuchsreihe gestartet ... aber lassen wir den Meister wieder selbst zu Wort kommen.«

Einige im Raum klatschten. Der junge Mann trat zurück. Dr. Embergen übernahm wieder. Er schien noch größer geworden zu sein und ein verräterisches Zucken im Gesicht verriet, dass er sehr stolz auf sich war.

»Danke, mein Junge.« Er lächelte seinen Sohn an, der nickte zufrieden. »Wie heißt es doch so schön«, prahlte Dr. Embergen nun doch, »das Beste kommt zum Schluss.« Auf Michael, der die gesamte Veranstaltung mehr als seltsam fand, wirkte Embergen jetzt äußerst überheblich. »Selbst aus dem Ingenieurwesen stammend, habe ich mit einigen, mir befreundeten Technikern zusammen eine Kamera entwickelt, die selbst kleinste Lichtpartikel sichtbar machen kann. Damit kann ich nicht nur euch daran teilhaben lassen ... nein, auch uns, den Wissenschaftlern, werden damit neue Welten geöffnet. Wir sind uns sicher, dass diese Wesen wie Zellen mittels Licht kommunizieren, dass ihre Körper bis über den Tod hinaus Signale aussenden, die von anderen ihrer Spezies gesichtet und gespeichert werden können. Wir werden von ihnen lernen und profitieren. Nur so können wir die Welt retten.«