Die Steppe - James Fenimore Cooper - E-Book

Die Steppe E-Book

James Fenimore Cooper

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die Steppe" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Im Jahr 1804 reist der wegen illegaler Landnahme aus Kentucky geflohene Ishmael Bush mit seiner Großfamilie in mehreren Planwagen durch die Prärie westlich des Mississippis. Zum Treck gehören Ismaels Frau Esther, ihre 14 Kinder, Ellen Wade, die Nichte von Esthers verstorbenem erstem Mann, Esthers Schwager Abiram White und der Arzt und Naturforscher Dr. Obet Bat. Die Gruppe trifft den circa 80 jährigen Trapper Natty Bumppo, der zusammen mit seinem Hund in der Prärie lebt. Dieser führt die Gruppe zu einem geeigneten Lagerplatz. Als die Siedler anfangen einige Bäume zu fällen, zieht es Bumppo vor, außerhalb des Lagers zu bleiben, da er den zunehmenden Siedlerstrom aufgrund des Louisiana Purchase sehr kritisch sieht. Der Trapper überrascht Ellen, die sich mit ihrem heimlichen Verlobten, dem Imker Paul Hoover, trifft. James Fenimore Cooper (1789-1851) war ein amerikanischer Schriftsteller der Romantik.

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James Fenimore Cooper

Die Steppe

e-artnow, 2017 Kontakt: [email protected] ISBN 978-80-268-8026-4

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Eilftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebenzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Dreißigstes Kapitel.
Einunddreißigstes Kapitel.
Zweiunddreißigstes Kapitel.
Dreiunddreißigstes Kapitel.
Vierunddreißigstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Ich bitt’ dich, Schäfer, können gute Worte, Geld In dieser Einöd’ uns ein Unterkommen schaffen, O führ’ uns, daß wir ruh’n und etwas essen.

So wie es euch gefällt.

Viel ward zur Zeit gesprochen und geschrieben, ob es rathsam sei, die weitläufigen Landschaften von Louisiana mit dem schon unermeßlichen und nur halbbeherrschten Gebiet der Vereinigten Staaten zu verbinden. Als jedoch die Hitze des Streits nachgelassen, und eigennützige Betrachtungen freieren Ansichten Raum gegeben, wurde die Weisheit der Maßregel allgemein anerkannt. Es ward bald auch dem geringsten Scharfsinn einleuchtend, daß während die Natur unserer Ausdehnung nach Westen durch Wüsten Schranken gesetzt, diese Maßregel uns zu Herrn eines fruchtbaren Landstrichs gemacht hatte, welcher bei den täglichen Umwälzungen leicht Eigenthum einer eifersüchtigen Nation hätte werden können. Sie gab uns die ausschließliche Herrschaft über den inländischen Verkehr, und brachte die zahllosen Stämme, welche an unsern Grenzen lagerten, in gänzliche Abhängigkeit von uns; sie einigte widerstreitende Rechte und schwichtigte manche Furcht des Staats; sie öffnete tausend Wege dem Binnenhandel und der Schifffahrt auf dem stillen Meer; und wenn je Zeit oder Nothwendigkeit eine friedliche Theilung dieses ungeheueren Reichs erheischen sollte, sichert sie uns einen Nachbar, der Sprache, der Religion, Verfassung und man darf es hoffen, denselben Sinn für Staatsrechtspflege mit uns gemein hätte.

Obgleich der Kauf schon 1803 gemacht worden, kam doch der Frühling des folgenden Jahrs heran, ehe die Amtsbedächtigkeit des Spaniers, der diese Provinz für seinen Herrn in Europa verwaltete, die Autorität und Besitznahme der neuen Eigenthümer anerkannte. Aber den Formen der Uebergabe war nicht sobald Genüge geschehen, und die neue Herrschaft anerkannt, als Schwärme des rastlosen Volks, das sich immer an den Grenzen der amerikanischen Staatengesellschaft herumtreibt, sich in das Dickicht stürzten, welches das rechte Ufer des Mississippi umsäumte, – mit derselben sorglosen Kühnheit, die schon so viele von ihnen, in ihrer mühsamen Wanderung von den atlantischen Staaten nach den Ostküsten des »Vaters der Ströme« geleitet hatte.

Zeit konnte allein die zahlreichen und begüterten Colonisten der untern Provinz mit ihren neuen Landsleuten verschmelzen; aber die spärlichere und ärmere Bevölkerung oben ward fast alsbald in dem Strudel bei der Fluth drängender Wanderung mit fortgerissen. Dieser Einfall von Osten war ein neuer und plötzlicher Ausbruch eines Volkes, das vorübergehenden Zwang geduldet, nachdem es sich vorher durch Siege unwiderstehlich gemacht. Die Mühen und Unglücksfälle bei ihren früheren Unternehmungen waren vergessen, als diese endlosen und unerforschten Landschaften, mit all ihren wirklichen oder eingebildeten Vortheilen ihrem unternehmenden Geiste offen hingelegt wurden. Die Folgen waren so, wie sie leicht hätten vorausgesehen werden können, als ein so verführerisches Anerbieten einer Völkerschaft vorgehalten ward, die in Abenteuern auferzogen, in Mühseligkeiten aufgewachsen war.

Tausende von denen, die schon lange das, was damals »die neuen Staaten« genannt ward, bewohnt hatten, brachen auf, entrissen sich dem Genuß ihrer schwer erlangten Ruhe und zeigten sich an der Spitze langer Reihen von Abkömmlingen, die die Wildniß von Ohio und Kentucky geboren und auferzogen hatte, – zogen tiefer in’s Land, suchten, was ohne dichterische Ausschmückung ihre natürliche und angemessenere Atmosphäre genannt werden kann. Der ausgezeichnete und entschlossene Waldmann, der zuerst die Wildnisse des letztern Staates durchdrang, war unter ihnen. Diesen unerschrockenen, ehrwürdigen Stammvater sah man jetzt seinen letzten Rückzug machen, den »endlosen Strom« zwischen sich und die Menge setzen, die sein Erfolg um ihn gesammelt und nach Wiedererlangung eines Glückes streben, das, durch menschliche Einrichtungen eingeengt, für ihn werthlos war.

Bei dem Aussuchen solcher Abenteuer werden die Wanderer entweder von ihren früheren Gewohnheiten beherrscht oder von ihren geheimen Wünschen bethört. Einige wenige, von den Luftgebilden der Hoffnung geleitet, und gierig nach schnell zu erlangendem Reichthum, durchwühlten die Minen des jungen Landes, aber bei weitem der größere Theil der Ausgewanderten begnügte sich damit, sich an den Ufern der großen Wasser anzusiedeln, zufrieden mit der reichen Ausbeute, welche der dankbare angeschwemmte Boden der Ströme auch dem lässigsten Anbau nie verweigert. Auf diese Weise bildeten sich wie durch einen Zauber schnell Gemeinden, und die meisten von denen, welche Zeugen des Ankaufs des leeren Landes gewesen, sahen noch einen volkreichen, unabhängigen Staat sich bilden, abgesondert sich darstellen und seine Aufnahme in die Conföderation mit gleichen politischen Rechten bewerkstelligen.

Die Vorfälle und Auftritte, welche mit unserer gegenwärtigen Erzählung verknüpft sind, ereigneten sich in den ersten Zeiten der Unternehmungen, welche zu einem so schnellen und großen Ergebniß geführt haben. –

Die Ernte des ersten Jahres unseres Besitzes war längst vorüber, und die falben Blätter weniger zerstreut stehender Bäume zeigten schon die Farben und Schattirungen des Herbstes, als eine Reihe von Wagen aus dem Bette eines trockenen Baches hervorkam, um über die wellenförmige Oberfläche einer höckerigen Steppe ihren Zug fortzusetzen. Die Fuhrwerke, mit Hausgeräth und Werkzeugen des Ackerbaus beladen, die wenigen langsam sich fortschleppenden Schafe und Kühe, welche den Nachzug bildeten; das struppige Aussehen, die sorglose Miene der Männer, welche an der Seite ihrer saumseligen Gespanne hinschlenderten, – alles dies zusammengenommen zeigte, daß eine Bande Auswanderer auf dem Weg nach dem Eldorado ihrer Wünsche begriffen sei. Ganz dem gewöhnlichen Verfahren ihrer Kaste zuwider, hatte diese Rotte den fruchtbaren Boden des Unterlandes verlassen und durch Mittel, die nur solchen Abenteurern bekannt sind, ihren Weg durch Abgründe und Gießbäche, über tiefe Moräste und brennende Wüsten zu einer Gegend gefunden, die sich weit über die Grenzen menschlicher Wohnungen erhebt. Vor ihnen breiteten sich die weiten Ebenen aus, welche mit so wenig Abwechselung bis zum Fuß der Felsgebirge fortlausen, und viele traurige Meilen hinter ihnen schäumten die stürmischen, wilden Wasser des La Plata.

Die Erscheinung eines solchen Zugs in diesen nackten, einsamen Gründen ward dadurch noch auffallender, daß die Landschaft ringsum so wenig darbot, was die Lust eines unternehmenden Geistes reizen, und, wo möglich, noch weniger, was den Hoffnungen eines gewöhnlichen Auswanderers schmeicheln konnte. Die magern Gräser der Steppe sprachen nicht zu Gunsten eines harten, widerspenstigen Bodens, über welchen die Räder der Fuhrwerke so leicht hinrollten, als ob sie auf planer Heerstraße führen; weder Wagen noch Thiere ließen eine tiefere Spur hinter sich, als daß sie das welke, verbrannte Gras leicht zeichneten, das vom Vieh manchmal abgerissen, aber eben so oft wieder weggeworfen ward, – zu saueres Futter, als daß selbst ihr Hunger es ihnen hätte genießbar machen können.

Welches aber immer das letzte Ziel dieser Abenteurer sein mochte, oder die verborgenen Ursachen ihrer scheinbaren Ruhe in einer so entfernten, verlassenen Lage, kein Zeichen von Furcht oder Kummer verrieth Gesicht und Haltung auch nur eines einzigen von ihnen, Weiber und Kinder mit einbegriffen waren ihrer über zwanzig.

Etwas voran, an der Spitze des Ganzen zog ein Mann, der nach Haltung und Aeußerem der Führer der Schaar schien; er war schlank, von der Sonne verbrannt; über das mittlere Alter hinaus; sein stumpfes Ansehen, sein ausdrucksloses Gesicht zeigte eher alles andere als Reue über das Vergangene, aber Angst wegen der Zukunft. Sein Bau schien schlaff und hinfällig, war aber derb und ungewöhnlich stark! doch für Augenblicke nur, wenn ein unbedeutendes Hinderniß sich ihrem Zug entgegenstellte, entwickelte seine Gestalt, welche sonst so schmächtig und nervlos schien, etwas von der Kraft, die in seinem Organismus verborgen lag, wie die schlummernde, unbehülfliche, aber furchtbare Stärke im Belehnten. Die untern Züge seines Gesichts waren roh, breit und unbezeichnend, die obern, oder die edleren Theile, welche Ausdruck der Seele sein sollen, niedrig, zurücktretend und gemein.

Die Kleidung dieses Mannes bestand aus den groben Stücken eines Landmanns und den ledernen Bekleidungen, welche Sitte sowohl als Brauchbarkeit einem, auf solchen Zügen begriffenen Wanderer gewissermaßen nöthig gemacht hatte. Ueber diesen Anzug war übelgewählter Schmuck, ohne Geschmack reichlich angehängt. Statt des gewöhnlichen hirschledernen Gürtels trug er um den Leib eine verblichene seidene Schärpe, von den schillerndsten Farben; der hörnerne Griff eines Messers war verschwenderisch mit Silberplättchen belegt, der Pelz an seiner Mütze so fein und zart, daß eine Königin darnach hätte verlangen mögen; die Knöpfe seines groben, schmutzigen, wollenen Rocks waren von dem kostbaren Metall aus Mexiko; der Schaft seiner Flinte bestand aus schönem Mahagony, das durch eben solches Metall zusammengehalten und vereinigt ward. Zierrath und anderer Tand hing an drei werthlosen Uhren an verschiedenen Stellen an ihm herab. Außer dem Ranzen und Gewehr, welche, mit der wohlgefüllten Tasche und Pulverbüchse, sorgfältig verwahrt, um den Rücken geschlungen waren, hatte er nachlässig eine scharfe, blanke Holzart um die Schulter geworfen und trug das Gewicht des Ganzen mit soviel anscheinender Leichtigkeit, als ob er, die Glieder frei, ohne die geringste Last sich bewege.

Wenig hinter ihm kam ein Trupp junger Leute, von fast ganz gleicher Kleidung, die sich unter einander und ihrem Führer ähnlich genug waren, um sie für Kinder einer Familie zu halten. Konnte auch der jüngste von ihnen nicht weit über die Periode hinaus sein, welche im strengen Gesetzesstyl die Zeit des Verstandes genannt wird, so hatte er sich doch schon in so weit der Vorfahren würdig gezeigt, daß er seine anstrebende Figur bis zur Musterhöhe seines Stammes hinaufgebracht. Ein oder zwei andere waren noch unter ihnen, von etwas verschiedener Gestalt, deren Beschreibung jedoch dem Lauf der Erzählung aufbehalten werden muß.

Unter dem weiblichen Theil des Zuges fanden sich nur zwei, welche erwachsen waren, obgleich verschiedene weißgelockte, olivenfarbige Gesichtchen, die Augen voll Neugier und Leben, aus dem vordersten Wagen von Zeit zu Zeit hervortauchten. Die ältere von den zwei Erwachsenen war die bräunliche, alternde Mutter der meisten von ihnen, – die jüngere ein lebhaftes, tätiges Mädchen von achtzehn Jahren, das nach Gestalt, Kleidung und Miene einem um mehrere Stufen höherem Stande als alle ihre übrigen sichtbaren Gefährten anzugehören schien. Das zweite Fuhrwerk war mit einem Tuch so sorgfältig überspannt, daß es auch dem schärfsten Blick seinen Inhalt verbarg. Die übrigen Wagen waren nur mit solchen Gerätschaften und Effecten beladen, wie sie der zu besitzen pflegt, der in jedem Augenblick, ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Entfernung, seinen Aufenthalt zu wechseln bereit ist.

Es fand sich wohl in diesem Zug und im Aeußern der Wanderer schon etwas, was man nicht täglich auf den Heerstraßen unseres veränderlichen und unsteten Landes zu sehen Gelegenheit hat. Aber der einsame und ganz eigene Schauplatz, auf dem sie so unerwartet auftraten, gab ihnen einen grellen Anstrich von Wildheit und Abenteuerlichkeit.

In den kleinen Thälern, welche bei der geregelten Bildung des Landes auf jeder Meile ihres Zuges sich zeigten, ward die Aussicht auf zwei Seiten von den allmächtig sich erhebenden unbedeutenden Anhöhen begrenzt, wovon die Art Steppen, die wir oben erwähnt, ihren Namen haben, während von den andern Seiten die Aussicht über lange, enge, dürre Fernen sich verbreitete, welche nur kärglich durch eine armselige Bekleidung mit einer struppigen, wiewohl manchmal üppigen Vegetation, sich aufzuputzen strebten. Von den Gipfeln dieser Anhöhen mochte das Auge nach allen Seiten sich richten, es ermüdete bei der Einförmigkeit und betrübenden Traurigkeit der Landschaft. Die Erde war dem Ocean nicht unähnlich, wenn seine rastlosen Wasser sich nur noch mit Mühe aufthürmen, nachdem die Kraft und Wuth des Sturmes angefangen sich zu mindern. Hier dieselbe wellenförmige, geregelte Fläche, dieselbe Abwesenheit aller fremdartigen Gegenstände, dieselbe grenzenlose Aussicht. In der That so auffallend war die Ähnlichkeit zwischen Wasser und Land, daß, mag auch der Geologe bei einer so einfachen Lehre lächeln, ein Dichter nothwendig hätte auf den Gedanken kommen müssen, die Bildung des einen sei nur durch die aufgehobene Herrschaft des andern vor sich gegangen. Hier und da ragte ein hoher Baum hervor und breitete seine nackten Aeste aus –, wie ein einsames Schiff; ja, um die Täuschung noch zu erhöhen, erschienen weit in der äußersten Entfernung zwei bis drei kreisförmige Dickichte, die im nebelichten Horizont wie Eilande im Schooße der Wasser schwammen. Man braucht den kundigen Leser nicht erst zu erinnern, daß die Einförmigkeit der Fläche, und der niedrige Standpunkt der Schauenden die Entfernungen vergrößerten, aber da immer noch Anhöhe auf Anhöhe erschien, Eiland auf Eiland sich zeigte, war dies eine entmuthigende Gewißheit, daß lange und scheinbar grenzenlose Landstriche noch zurückzulegen seien, ehe die Wünsche auch der bescheidensten Landbauer verwirklicht werden könnten.

Noch setzte der Führer der Auswanderer, nur von der Sonne geleitet, seinen Weg standhaft fort, wandte entschlossen den Wohnungen der Bildung den Rücken, und verwickelte sich mit jedem Schritt immer tiefer, wenn nicht ohne Rückkehr, in die Wohnungen der barbarischen, wilden Besitzer des Landes. Als aber der Tag sich immer mehr zu seinem Ende neigte, ward sein Gemüth, das vielleicht unfähig war, weiter zu berechnen und vorauszusehen, als was der Augenblick erheischte, in etwas durch die Sorge beunruhigt, wie er für die Bedürfnisse der kommenden Stunden der Finsterniß Rath schaffe.

Als er die Spitze einer Anhöhe, die etwas ansehnlicher als die gewöhnlichen war, erreicht hatte, stand er einen Augenblick, und warf die Blicke halb sehnsüchtig noch allen Seiten, um nach den wohlbekannten Zeichen zu spähen, welche eine Stelle verrathen könnten, wo die drei großen Erfordernisse, Wasser, Holz und Futter anzutreffen wären.

Es schien, als wenn dies Forschen fruchtlos gewesen, denn nach einigen Augenblicken kalter, gleichgültiger Untersuchung stieg seine hohe Gestalt die Anhöhe hinab, eben so lässig, wie ein überfüttertes Thier dem Drucke nach unten nachgibt.

Seinem Beispiel folgten schweigend, die hinter ihm gingen, aber erst nachdem sie mehr Aufmerksamkeit, wenn nicht Besorgniß, bei der kurzen Untersuchung verrathen, die jeder nach der Reihe anstellte, als er diesen Punkt der Aussicht erreicht. Es war jetzt aus dem langsamen Fortbewegen der Thiere und Menschen deutlich zu vermuthen, daß die Zeit der nöthigen Ruhe nicht mehr ferne sei. Die verwickelten Gräser des untern Landes boten Schwierigkeiten dar, welche Ermüdung gefährlich zu machen begann. Die Peitsche war mehrmals nöthig geworden, die zögernden Gespanne zum Ziehen anzutreiben. In diesem Augenblick, wo mit Ausnahme der Hauptperson allgemeine Ermüdung sich der Reisenden bemächtigt hatte, und jedes Auge, wie durch einen Trieb, sehnsuchtsvoll vorwärts gerichtet war, ward der ganze Trupp durch ein eben so plötzliches als unerwartetes Ereigniß zum Stehen gebracht.

Die Sonne war hinter dem Gipfel des nächsten Hügels hinabgesunken, und ließ auf ihrer Spur, wie sie pflegt, einen hellglänzenden Streifen zurück. In der Mitte dieser Lichtfluth erschien eine menschliche Gestalt, so deutlich auf den goldnen Grund hingegossen, als ob man sie mit der Hand erreichen könnte. Die Gestalt war colossal, die Stellung nachdenkend, traurig; und der Ort, den sie einnahm, gerade auf dem Weg der Reisenden. Aber eingehüllt in ihr glänzendes Lichtgewand, machte sie es unmöglich, mehr über die Verhältnisse der Glieder, über ihren Ausdruck zu entdecken.

Die Wirkung eines solchen Schauspiels war augenblicklich und ergreifend. Der Mann an der Spitze machte Halt und schaute nach dem geheimnißvollen Wesen mit einem stumpfen Antheil, der bald in eine Art abergläubischer Verehrung überging; seine Söhne stellten sich, sobald die erste Bewegung der Ueberraschung ein wenig nachgelassen, leise um ihn, und da diejenigen, welche die Gespanne führten, nach und nach ihrem Beispiel folgten, war der ganze Zug bald in eine schweigende, staunende Gruppe gesammelt. Aber obgleich der Eindruck einer übernatürlichen Macht sehr allgemein unter den Ziehenden war, wurde doch Waffengeräusch gehört, und einer oder zwei der kühnem Jünglinge nahmen ihre Gewehre vor, um zu jedem Dienst bereit zu sein.

»Schick die Jungen rechts,« rief das entschlossene Weib, die Mutter, mit einer scharfen, mißtönenden Stimme, »ich wette, Asa oder Abner werden uns nähere Auskunft über das Ding geben.«

»Es mag gut sein, die Flinte zu versuchen,« murmelte ein finsterer Mann, dessen Züge in Gestalt und Ausdruck keine geringe Aehnlichkeit mit dem Weibe hatten, das zuerst gesprochen, und der jetzt, während er diese entschlossene Meinung aussprach, das Gewehr los machte, und es geschickt an die Wangen brachte, »die Wolf-Pawnee, sagt man, jagen nur zu Hunderten in der Ebene, ists so, so werden sie einen Mann aus ihrem Stamm nicht vermissen.«

»Halt!« rief mit sanftem Ton, aber von Furcht geängstet eine weibliche Stimme, die augenscheinlich den zitternden Lippen der jüngeren der beiden Frauen angehörte, »wir sind nicht all beisammen, es könnt’ ein Freund sein.«

»Wer rührt sich da?« fragte der Vater, und maß zu gleicher Zeit den Haufen seiner stattlichen Söhne mit einem unwilligen, trüben Auge. »Weg mit der Flinte, die Flinte weg,« fuhr er fort, und wies des andern Hülfe mit einem Riesenfinger zurück, mit dem Blick eines Menschen, dem nicht zu gehorchen gefährlich sein möchte. »Mein Werk ist noch nicht zu Ende, laßt mich das Uebrige, es ist so wenig, in Frieden beschließen.«

Der Mann, welcher eine so feindliche Absicht gezeigt, schien den andern zu verstehen, und ließ sich von seinem Vorhaben abwenden. Die Söhne richteten ihre Blicke fragend auf das Mädchen, das so eifrig gesprochen, um Ausklärung zu erhalten; aber sie, gleichsam zufrieden, für den Unbekannten Aufschub erlangt zu haben, war schon wieder auf ihren Sitz herabgesunken, und hüllte sich in ihr mädchenhaftes Schweigen.

Mittlerweile hatten sich die Farben am Himmel oft geändert; an die Stelle des Glanzes, der das Auge blendete, war ein blasseres, sanfteres Licht getreten, und je mehr der Untergang seine Pracht verlor, wurden die Verhältnisse der abenteuerlichen Gestalt weniger ungeheuer und endlich ganz deutlich. Der Führer, der sich schämte, länger zu zögern, nun, da die Wahrheit nicht länger zweifelhaft war, setzte seine Reise fort, und gebrauchte nur die Vorsicht beim Herabsteigen, daß er seine eigene Flinte vom Riemen los machte, um sie in eine zum schnellen Gebrauch bequemere Lage zu bringen.

Solche Wachsamkeit schien jedoch ziemlich unnöthig. Von dem Augenblick an, wo sie so unbegreiflich gleichsam zwischen Himmel und Erde erschienen, hatte die fremde Gestalt weder die geringste Bewegung gemacht, noch sonst ein Zeichen von Feindseligkeit gegeben. Hätte sie auch eine böse Absicht gehegt, sie schien, als sie nun völlig zu Gesicht kam, wenig im Stande, sie auszuführen.

Ein Körper, der die Beschwerden von mehr als achtzig Wintern getragen, war nicht geeignet, Furcht in so kräftigen Wanderern zu wecken. Aber ungeachtet seiner Jahre und einem Anschein von Abzehrung, wo nicht von Noth, lag in diesem einsamen Wesen etwas, was aussagte, Zeit, nicht Krankheit habe zu schwer auf ihm gelastet. Seine Gestalt war geschwunden, aber nicht verwüstet; die Sehnen und Nerven, welche einst große Kraft gezeigt, waren, obgleich eingeschrumpft, doch noch sichtbar; sein ganzes Aeußere hatte ein Ansehn von Abhärtung erlangt, welche, wäre nicht zu bekannt die Hinfälligkeit der Menschheit, die fernern Verwüstungen der Zeit hätten herausfordern mögen. Seine Kleidung bestand hauptsächlich aus Fellen, das Haar nach außen gewendet; ein Ranzen und Pulverhorn hing um seine Schultern; ein Gewehr von ungewöhnlicher Länge, das wie sein Eigenthümer Spuren eines langen und harten Dienstes trug, diente ihm zur Stütze.

Als der Zug sich diesem einsamen Wesen näherte und in eine Entfernung gekommen war, wo man sich einander verstehen konnte, tönte ein dumpfes Knurren aus dem Grase zu seinen Füßen herauf, und dann erhob sich ein hoher, magerer, zahnloser Hund schwerfällig von seinem Lager auf, schüttelte sich und machte Miene, als wolle er sich der Annäherung der Wanderer widersetzen.

»Weg, Hektor, weg!« rief sein Herr mit einer vor Alter etwas zitternden, hohlen Stimme; »was hast du, Alter, mit Leuten zu schaffen, die ihres Wegs ziehen?«

»Fremder, seid Ihr bekannt in dieser Gegend?« sagte der Führer der Auswanderer, »so zeigt einem Reisenden, wo er das Nothwendige für diese Nacht finden kann.«

»Ist das Land auf der andern Seite des großen Flusses schon voll?« fragte der alte Mann feierlich, ohne auf die Rede des andern zu achten; »oder warum sehe ich, was ich nie wieder zu schauen gedachte?«

»Es ist freilich noch Land übrig für die, welche Geld haben und in ihrer Wahl nicht eigensinnig sind,« erwiederte der Auswanderer; »aber für mich ist Alles schon überfüllt. Wie weit rechnet man wohl von hier bis zum nächsten Punkt am Hauptstrom?«

»Ein gejagtes Reh könnte seine Seiten im Mississippi nicht erfrischen, ohne einen Lauf von fünfhundert langen Meilen.«

»Und wie nennt Ihr die Gegend hier ringsum?«

»Wie nennt Ihr,« erwiederte der alte Mann und zeigte bedeutungsvoll aufwärts, »die Stelle, wo Ihr jene Wolke seht?«

Der Auswanderer sah den Andern an, als ob er den Sinn der Rede nicht gefaßt und halb argwöhnte, zum Besten gehalten zu werden; aber er begnügte sich, zu sagen:

»Ihr seid, denke ich, nur ein neuer Bewohner, wie ich, Fremder, sonst würdet Ihr Euch nicht weigern, einem Wanderer mit Euerm Rath einen Beistand zu leisten, der Euch so wenig kostet, da es nur ein Geschenk in Worten ist.«

»Es ist kein Geschenk, sondern eine Schuld, die der Aeltere dem Jüngeren abtragen muß; was wünscht Ihr zu wissen?«

»Wo ich die Nacht lagern könnte. Ich mach’ nicht viele Schwierigkeit wegen Bett und Lager; aber alle alten Wanderer, wie ich, kennen den Werth guten Wassers und Futters für’s Vieh.« »So kommt denn mit, und Ihr sollt Beides finden; doch kann ich wenig mehr auf dieser öden Steppe Euch bieten.«

Während der Alte noch sprach, hob er sein schweres Gewehr mit einer Leichtigkeit auf die Schulter, die selten bei seinen Jahren und seinem Aussehn gefunden wird, und führte sie ohne weitere Worte den Weg über die Anhöhe in die anstoßende Niederung.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

»Auf mit dem Zelt! Hier will ich ruh’n die Nacht; – Wo morgen denn? – Es ist mir Alles eins.«

Richard der Dritte.

Die Wanderer entdeckten bald die gewöhnlichen, nie trügenden Zeichen, daß die verschiedenen Erfordernisse ihrer Lage nicht mehr weit zu suchen seien. Ein klarer sprudelnder Quell brach aus der Seite des Abhangs hervor, vereinigte seine Wasser mit andern kleinen Quellen in der Nähe und bildete einen Bach, den das Auge leicht Meilen weit über die Steppe hin verfolgen konnte, – häufiges Blätterwerk und Grün, das im Bereich seiner Frische überall emporwuchs, bezeichnete hinlänglich seinen Lauf. Hierher nun nahm der Fremde seinen Weg, und eifrig folgten ihm die willigen Gespanne, deren Instinct sie Erfrischung und Ruhe von Arbeit voraussehen ließ.

Als er, wie ihm dünkte, eine passende Stelle erreicht, machte der alte Mann Halt, und schien mit forschendem Blick zu fragen, ob der Ort die nöthigen Bequemlichkeiten besitze. Der Führer der Auswanderer warf wie ein Sachverständiger seine Augen umher, und untersuchte die Stelle mit dem Scharfblick eines Mannes, der im Stande ist, eine so schwierige Sache zu beurtheilen, obgleich ganz auf die zögernde, schwerfällige Weise, die ihm selten erlaubte, eine unmännliche Übereilung zu verrathen.

»Ah, hier mag’s geh’n,« sagte er, als ihn seine Untersuchung befriedigt; »Jungen, ihr saht die Sonne sinken; geht an’s Werk!«

Die jungen Leute zeigten sich gegen den Auftrag gehorsam; der Befehl, denn nach Ton und Weise war es einer, ward in der That mit Ehrfurcht aufgenommen, aber die einzige Bewegung war, daß ein oder zwei Aexte von den Schultern auf den Boden fielen, während ihre Eigenthümer fortfuhren, den Ort mit ausdruckslosen, gleichgültigen Augen zu betrachten. Mittlerweile entlud sich der ältere Auswanderer, der die Antriebe kannte, durch welche sich seine Kinder leiten ließen, seines Ranzens und Gewehrs, und schickte sich, unterstützt von dem Manne, der, wie wir erwähnt, so schnell nach der Flinte griff, allmählich an, die Thiere auszuspannen.

Endlich bewegte sich der älteste von den Söhnen schwerfällig vorwärts, und trieb ohne einige Anstrengung, wie es schien, seine Axt bis an das Heft in das zarte Holz eines Baumwollenbaums; dann stand er einen Augenblick und betrachtete die Wirkung seines Hiebs mit der Art Verachtung, womit etwa ein Riese auf den kraftlosen Widerstand eines Zwerges herabsehen würde; schwang von Neuem seine Waffe mit der Grazie und Geschicklichkeit um’s Haupt, mit der ein Fechtmeister seinen edleren, obgleich weniger nützlichen Degen bewegt, trennte schnell den Stamm des Baumes und brachte die schlanke Krone, den Preis seiner Geschicklichkeit, zur Erde. Seine Gefährten hatten den Vorgang mit ruhiger Gleichgültigkeit mit angesehen, bis der Stamm auf dem Boden vor ihnen dalag; jetzt erst, als wäre ein Zeichen zu allgemeinem Angriff gegeben worden, gingen sie in Masse an’s Werk und befreiten in so kurzer Zeit und mit einer Geschicklichkeit, die einen unkundigen Zuschauer erstaunt haben würde, eine geringe aber hinlängliche Stelle von der Waldlast, – so kräftig und fast so schnell, als ob ein Sturmwind darüber hingegangen wäre.

Der Fremde war ein stiller, aber aufmerksamer Beobachter ihres Thuns gewesen. Als Baum auf Baum rauschend herunter kam, warf er seine Blicke aufwärts, sah traurig nach dem leeren Raum, den sie am Himmel ließen und wandte sich endlich mit einem bittern Lächeln weg, als wolle er seinen Unwillen nicht auf eine vernehmlicher Weise auslassen. Als er sich durch die Gruppen der geschäftigen Kinder, die schon ein lustiges Feuer angezündet hatten, durchdrängte, ward die Aufmerksamkeit des alten Mannes zunächst auf die Bewegungen des Führers der Auswanderer und seines wilden Gefährten gerichtet.

Diese beiden hatten schon die Thiere befreit, die eifrig die angenehmen und nährenden Zweige der gefallenen Bäume abfraßen, und waren jetzt um den Wagen beschäftigt, der, wie wir berichteten, seinen Inhalt so sorgfältig verbarg. Obgleich er still und herrenlos, wie die übrigen Fuhrwerke schien, lehnten dennoch die Männer sich mit all ihrer Kraft gegen die Räder und rollten ihn bei Seite, abgesondert von den andern Wagen, auf eine trockene und erhöhte Stelle, nahe am Ausgang des Gehölzes. Hier nahmen sie Pfähle, die dem Anschein nach schon lange zu diesem Zweck gebraucht worden waren, trieben ihre breiteren Enden fest in den Boden und banden die schmaleren an die Reife, welche die Decke des Wagens trugen. Große Ballen Tuch wurden dann zunächst aus dem Fuhrwerk herausgenommen, um das Ganze herumgewunden und so an den Boden befestigt, daß sie ein ziemlich geräumiges und sehr bequemes Zelt bildeten. Nachdem sie ihr Werk mit aufmerksamen und fast eifersüchtigen Blicken nochmals übersehen, und hier eine Falte geordnet, dort einen Pfosten fester getrieben, wandten sich die Männer wieder zum Wagen, zogen ihn an seiner Deichsel aus der Mitte des Zeltes heraus, bis er ganz frei da stand, seiner Decke beraubt, und ohne alle andere Ladung als einigem geringen Hausgeräth. Dieses letztere nahm sogleich der Wanderer und brachte es selbst in das Zelt, als ob es zu betreten ein Vorrecht sei, worauf selbst sein Busengefährte keinen Anspruch habe.

Da Neugierde eine Leidenschaft ist, die durch Hindernisse eher vermehrt, als geschwächt wird, so sah auch der alte Bewohner der Steppen dieses vorsichtige und geheimnißvolle Verfahren nicht mit an, ohne etwas von ihrer Wirkung in sich zu verspüren. Er näherte sich dem Zelt und wollte eben eine Falte auseinander machen, in der offenbaren Absicht, seinen Inhalt genauer zu untersuchen, als der Mann, der schon einmal sein Leben in Gefahr gebracht, ihn beim Arm faßte und ihn auf eine etwas rohe, unhöfliche Weise von der Stelle wegzog, die er sich als die passendste für seinen Zweck ausersehen.

»Es ist ein gutes Sprichwort, Freund,« bemerkte der Bursche trocken, wiewohl mit einem Auge, das mehr als die längste Rede drohte, – »und oft ist es auch ein gar nützliches Sprichwort, das da sagt: Kümmere dich nur um das Deine.«

»Die Leute bringen selten etwas in diese Einöden, was sie zu verbergen brauchen,« antwortete der alte Mann, als wünsche er, wisse aber nicht recht wie, die Freiheit zu entschuldigen, die er sich hatte nehmen wollen, – »und ich dachte, es sei kein Vergehen, wenn ich in das Zelt sähe.«

»Die Leute bringen selten sich selbst hierher, denke ich,« antwortete der andere barsch, – »es sieht aus wie ein altes Land, obgleich es nicht übermäßig bevölkert scheint.«

»Das Land ist so alt, als die übrigen Werke des Herrn, meine ich; aber Ihr spracht recht in Hinsicht der Bewohner. Viele Monden sind vorüber gegangen, seit mein Auge nicht auf einem Antlitz von meiner Farbe ruhte, bis ich jetzt Euch sah. – Ich wiederhol’s Euch, Freund, ich wollt’ Euch kein Leid; ich wußte nicht, ob ich nicht vielleicht etwas hinter dem Tuche fände, was mir vergangene Tage in’s Andenken zurückbrächte.«

Als der Fremde seine einfache Erklärung geendet, ging er ruhig weg, durchdrungen von der tiefsten Ehrfurcht vor dem Recht, das jeder auf den ruhigen Genuß seines Eigenthums hat, ohne störende Einmischung von Seiten seines Nachbars; – ein heilsamer und gerechter Grundsatz, den er sehr wahrscheinlich bei seiner abgesonderten Lebensart ebenfalls angenommen. Als er nach dem kleinen Lager der Auswanderer, denn das war die Stelle jetzt geworden, zurückschritt, hörte er die Stimme des Führers, der laut in seinem rauhen, gebietenden Tone den Namen: »Ellen Wade« ausrief.

Das Mädchen, das wir schon beim Leser eingeführt haben, und welches mit den übrigen ihres Geschlechts sich um die Feuer beschäftigt hatte, sprang willig auf bei diesem Ruf, und eilte an dem Fremden mit einer Schnelligkeit einer jungen Antilope vorüber; hinter den Falten des verbotenen Zeltes verschwand sie bald seinem Blick. Doch schien weder ihre persönliche Entfernung, noch sonst eine von den Anordnungen, die wir erwähnt haben, das geringste Erstaunen unter den übrigen hervorzubringen. Die jungen Leute, die ihre Arbeit mit der Axt schon vollendet hatten, beschäftigten sich alle nach ihrer schlendernden und dumpfen Weise; einige legten gleiche Theile Futter den verschiedenen Thieren vor, andere ließen den schweren Stößer eines tragbaren Mais-Mörsers arbeiten, und einer oder zwei brachten die übrigen Wagen bei Seite und stellten sie so, daß sie eine Art Außenwerk für ihr sonst vertheidigungsloses Bivouac bildeten.

Diese verschiedenen Arbeiten waren bald gethan, und als die Finsterniß jetzt die Gegenstände auf der umgebenden Steppe verbarg, verkündete die grellschreiende Megäre, deren Stimme sich, seitdem sie Halt gemacht, unter ihrer trägen und schläfrigen Nachkommenschaft fleißig abgearbeitet, in Tönen, die auf eine schreckliche Entfernung hätten gehört werden mögen, daß das Abendessen nur auf die Ankunft derer warte, die es verzehren sollten. Welches auch immer der Charakter eines Grenzwohners sein mag, selten fehlt ihm die Tugend der Gastfreiheit. Der Auswanderer vernahm nicht sobald den scharfen Ruf seines Weibes, als er seine Augen um sich warf, den Fremden suchte, um ihm den Ehrensitz bei dem einfachen Mahle anzubieten, wozu sie so ganz ohne Umstände zusammengerufen wurden.

»Ich dank’ Euch, Freund,« erwiederte der alte Mann auf die trockene Einladung, einen Sitz in der Nähe des dampfenden Kessels einzunehmen; »ich sage Euch meinen herzlichen Dank, aber ich habe schon für diesen Tag gegessen, und bin keiner von denen, die sich ihr Grab mit ihren Zähnen graben. Doch, da Ihr es wünscht, will ich mich zu Euch setzen, denn es ist schon lange, daß ich Niemand von meiner Farbe sein täglich Brod essen gesehen.«

»Ihr seid ein alter Ansiedler also in diesen Gegenden,« sagte der Auswanderer, mehr wie eine Bemerkung, als wie eine Frage, – den Mund fast bis zum Ueberfließen von dem köstlichen Mais voll, den seine geschickte, wiewohl etwas abstoßende Gemahlin zubereitet hatte. »Sie sagten uns unten, wir würden hierherum die Ansiedler nur sehr dünn gesäet finden, und ich muß gestehen, die Nachricht war so ziemlich wahr, denn wenn wir die Canada-Händler am großen Strom nicht rechnen, seid Ihr das erste weiße Gesicht, dem wir begegneten, auf guten fünfhundert Meilen, nach Eurer eigenen Rechnung.

»Ob ich gleich einige Jahre in diesem Bezirk zugebracht habe, kann man mich doch kaum einen Ansiedler nennen, da ich keine regelmäßige Wohnung habe und selten länger als einen Monat an demselben Ort bleibe.«

»Ein Jäger also?« fuhr der andere fort, und warf seine Augen seitwärts, als wolle er die Effecten seiner neuen Bekanntschaft mustern, »Eure Waffen scheinen nicht zum besten zu einem solchen Geschäft.«

»Sie sind alt und nahe daran, bei Seite gelegt zu werden, wie ihr Besitzer,« antwortete der alte Mann, und betrachtete sein Gewehr mit einem Blick, worin Rührung und Kummer sich einten; »und ich kann sagen, sie werden auch nur noch wenig gebraucht. Ihr irrt Euch, Freund, wenn Ihr mich einen Jäger nennt, ich bin nichts mehr als ein Streifschütz.«

»Wenn Ihr viel von dem einen seid, so behaupte ich, seid Ihr auch etwas von dem andern; denn die zwei Gewerbe gehen in der Hauptsache mit einander in diesen Gegenden.«

»Zur Schande des, der noch Kraft genug hat, sich mit dem ersten abzugeben, sei es gesagt!« erwiederte der Streifschütz, den wir in Zukunft nach seinem Gewerbe benennen wollen; »seit mehr als fünfzig Jahre führte ich meine Flinte in dieser Wildniß; ohne auch nur einem Vogel, der am Himmel fliegt, eine Schlinge zu legen, geschweige einem Thier, das nur seine Beine hat.«

»Da seh’ ich nur wenig Unterschied, ob Jemand sich den Wamms durch’s Gewehr oder die Falle verschafft,« sagte der finstere Gefährte des Auswanderers, auf seine rauhe, barsche Weise, »die Erd’ ward für ihn gemacht, und so auch ihre Geschöpfe.«

»Ihr scheint nur wenig Gepäck zu haben, Fremder, und seid so weit von Haus,« unterbrach ihn schnell der Auswanderer, als hätt’ er Ursach’, die Unterhaltung auf etwas anderes zu bringen; »ich denk’, Ihr seid besser mit Fellen versehen.«

»Ich brauch’ nur wenig von beidem,« antwortete ruhig der Streifschütz; »in meinem Alter ist Nahrung und Kleidung alles, was ich brauche, und habe wenig, was Ihr Beute nennt, nöthig, etwa dann und wann, um ein Horn voll Pulver oder etwas Blei zu erhandeln.«

»Ihr seid also nicht aus dieser Gegend, Freund,« fuhr der Auswanderer fort, indem er an die Bedeutung dachte, worin der andere das sehr vieldeutige Wort genommen, und das er selbst nach der Gewohnheit des Landes für »Kleidung,« »Effekten,« gebraucht hatte.

»Ich ward an der Seeküste geboren, obgleich ich den größten Theil meines Lebens in den Wäldern zubrachte.«

Jetzt sah die ganze Gesellschaft auf ihn, wie man die Blicke auf einen unerwarteten Gegenstand von allgemeinem Interesse wirft. Einer oder zwei von den jungen Leuten wiederholten die Worte »Seeküste,« und das Weib erwies ihm von jetzt an einige von den Höflichkeiten, womit sie, so unbeholfen sie auch waren, doch nur selten ihre Gäste zu ehren pflegte, gleichsam aus Ehrfurcht vor ihrem vielgewanderten Gaste. Nach einem langen und scheinbar nachdenkenden Schweigen nahm der Wanderer, der jedoch es nicht für nöthig gehalten hatte, das Geschäft seiner Kauorgane zu unterbrechen, das Gespräch wieder auf.

»Es ist ein weiter Weg, wie ich gehört habe, von den Wassern des Westen zu den Küsten des großen Stroms.«

»Es ist ein rauher Pfad, freilich, Freund, und viel hab’ ich gesehen und manches erduldet, als ich ihn durchschritt.«

»Viel harte Arbeit mag erfahren, wer ihn zurücklegt?«

»Fünf und siebzig Jahre bin ich auf dem Weg gewesen, und auf der ganzen Entfernung, vom Hudson an, gibt es kaum eine Meile, wo ich nicht Wildpret, das ich selbst getödtet, gekostet hatte. Aber das ist leeres Rühmen! Wozu nutzen frühere Thaten, wenn die Zeit zu Ende ist.«

»Ich hörte einst Jemand, der hatte den Fluß beschifft, den er nennt,« bemerkte einer der Söhne leise, als mißtraue er seinem Wissen, und halte es für klug, Ungewißheit in Gegenwart eines Mannes zu zeigen, der so viel gesehen; »nach seiner Aussage muß es ein großer Strom sein, tief genug für das schwerste Schiff.«

»Es ist ein weiter, tiefer Wasserspiegel, und viele herrliche Städte stehen an seinen Ufern,« erwiederte der Streifschütz, »und doch ist es nur ein Bach gegen die Wasser des endlosen Stroms.«

»Ich nenne nichts einen Strom, was ein Mensch umgehen kann,« rief der finstere Gefährte des Auswanderers, »ein wahrer Strom muß durchschritten nicht umzingelt werden, wie ein Bär auf der Jagd.«

»Seid Ihr weit gegen Sonnen-Untergang gewesen, Freund,« unterbrach ihn wiederum der Auswanderer, als wünsche er seinen rauhen Begleiter so viel als möglich von der Unterhaltung auszuschließen; »ich finde, dies ist eine weite Ebene, worin ich mich verwickelt habe.«

»Ihr könnt Wochen lang reisen, und werdet’s immer so finden. Ich denke oft, der Herr hat diesen wüsten Steppengürtel hinter die Staaten gesetzt, um die Menschen zu warnen, wohin ihre Thorheit noch das Land bringen kann. Ja, Wochen, wenn nicht Monden könnt Ihr in diesen offenen Feldern ziehen, wo weder Wohnung noch eine Herberge für Menschen und Vieh sich findet. Selbst die wilden Thiere reisen Meilen weit, eine Stätte zu finden, und doch weht der Wind selten von Osten, daß nicht die Schläge der Axt und das Getös fallender Bäume in meinen Ohren wiederhallen.

Da der alte Mann mit dem Ernst und der Würde sprach, die das Alter selten auch den weniger ergreifenden Reden mitzutheilen verfehlt, so waren seine Zuhörer sehr aufmerksam, und still wie das Grab. In der That mußte der Streifschütz selbst seine Rede wieder aufnehmen, was er bald durch eine Frage that, die er nach der bei den Grenzwohnern so beliebten Weise ganz indirekt hinstellte.

»Ihr fandet es nicht leicht, über die Wasser zu setzen, und so weit in die Steppen vorzudringen, Freund, mit Euren Gespannen und Hornviehheerden?«

»Ich hielt mich am linken Ufer des großen Flusses,« erwiederte der Auswanderer, »bis ich fand, daß er zu weit nach Norden führte, wo wir denn uns mitten durch machten, ohne viel einzubüßen. Das Weib verlor ein oder zwei Felle von der nächsten Schur, und die Mädchen haben eine Kuh weniger beim Melken. Seit der Zeit, haben wir uns tapfer gehalten, und fast jeden Tag über einen Bach eine Brücke geschlagen.«

»Ihr geht, scheint’s, immer weiter nach Westen, bis Ihr in ein Land kommt, das sich zur Ansiedelung besser eignet?«

»Bis ich eine Ursache, zu halten oder umzukehren, finde,« antwortete der Auswanderer kurz, stand auf und machte der Unterhaltung durch einen unzufriedenen Blick und durch sein schnelles Aufbrechen ein Ende. Seinem Beispiel folgte der Streifschütz und die übrige Gesellschaft, worauf die Wanderer, ohne viel Rücksicht auf die Gegenwart ihres Gastes zu nehmen, Vorbereitungen zur Nachtruhe zu treffen begannen. Einige kleine Lauben, oder vielmehr Hütten waren schon von Baumästen gebildet worden, Stücke von rauher Leinwand und Büffelhäute wurden ohne andere Rücksicht, als auf das Bedürfniß des Augenblicks mit einander vereinigt. Unter diese Bedachung begaben sich alsbald die Kinder mit ihrer Mutter, wo sie, es ist nicht bloß möglich, schnell alle in die Vergessenheit des Schlafs hinabsanken. Ehe aber die Männer die Ruhe suchen konnten, waren noch tausend kleine Geschäfte abzumachen, die Vertheidigungswerke mußten vervollständigt, das Feuer sorgfältig verwahrt, das Futter für ihr Vieh vermehrt und die Wache bestimmt werden, die in den nahen Stunden der Nacht den Zug schützen sollte.

Das erstere geschah, indem die Stämme von einigen Bäumen in die von den Wagen gelassenen Zwischenräume und auf die freien Stellen gelegt wurden, die sich zwischen den Wagen und dem Walde fanden, auf den, um in der Kriegssprache zu reden, das Lager sich stützte. Es war so auf den drei Seiten der Position eine Art spanischer Reuter. In diesen engen Schranken sammelten sich jetzt, mit Ausnahme dessen, was das Zelt enthielt, sowohl Menschen als Thiere; die letzteren fanden sich viel zu glücklich, ihre matten Glieder auszuruhen, als daß sie ihren kaum um etwas verständigeren Gefährten eine unnöthige Mühe gemacht hätten. Zwei der jungen Leute nahmen ihre Gewehre, schütteten neues Pulver darauf, untersuchten mit der größten Sorgfalt die Steine, und wandten sich dann, der eine zur äußersten Rechten, der andere zur Linken des Lagers, wo sie sich in den Schatten des Waldes stellten, aber so, daß Jeder seinen Theil der Steppe übersehen konnte.

Der Streifschütz, der die Streu des Auswanderers nicht hatte theilen wollen, trieb sich auf dem Platze herum, bis die ganze Anordnung zu Ende war; dann zog er sich, ohne erst Abschied zu nehmen, langsam von der Stelle zurück.

Es war jetzt um die erste Nachtwache; das blasse, zitternde, trügerische Licht des Neumonds spielte über die endlosen Wellen der Steppe, bestrich die Erhöhungen mit sparsamem Schein, und ließ das Zwischenland in tiefem Schatten. Gewöhnt an die Scenen der Einsamkeit, wie die gegenwärtige, ging der alte Mann, als er das Lager verließ, allein in die weite Wüste, wie ein kühnes Schiff seinen Haven verläßt, um sich dem unbegrenzten Feld des Meeres zu vertrauen. Er schien sich einige Zeit ohne Zweck, oder wenigstens ohne Bewußtsein, wohin ihn seine Glieder trügen, fortzubewegen; endlich, als er den Fuß einer der Anhöhen erreicht, kam er zum Stehen, und zum ersten Mal, seit er die Gruppe verlassen, die mit einer solchen Fluth von Betrachtungen und Rückerinnerungen sein Gemüth überfüllt hatte, ward der alte Mann seiner Lage sich bewußt. Er brachte die Flinte zur Erde, lehnte sich darauf, und stand wieder mehrere Minuten in tiefen Betrachtungen verloren, während der Hund sich ihm näherte, und sich fest zu seinen Füßen hinkauerte.

Ein tiefes, drohendes Murren des treuen Thiers brachte ihn erst aus seiner sinnenden Stellung.

»Was gibt’s, Hund?« sagte er, sah nieder zu seinem Begleiter, als spräche er mit einem, ihm an Verstand gleichen Wesen und sprach gerührt: »Was ist’s, Alter? Nun, Hektor, was schnupperst du denn jetzt? Es ist vorbei, du Armer, es geht nicht mehr; die Rehe, selbst die jüngsten, spielen vor unsern Augen, ohne sich um so zwei abgelebte Bursche zu kümmern, wie du und ich. Der Instinct sagt’s ihnen; sie haben gemerkt, wie wenig wir zu fürchten sind; ja, ja, sie haben’s bemerkt.«

Der Hund richtete den Kopf aufwärts, und antwortete auf die Rede seines Herrn, mit einem langen, klagenden Seufzer, der noch fortdauerte, nachdem er schon wieder sein Haupt in’s Gras gesteckt, als unterhalte er sich verständlich mit seinem Herrn, der so wohl die dumpfe Rede zu erklären wußte.

»Das ist offenbar eine Warnung, Hektor,« fuhr der Streifschütz fort, indem er seine Stimme zu den Tönen der Vorsicht herabdämpfte, und sorgsam um sich sah; »was gibt’s, Alter, was gibt’s?«

Aber der Hund hatte schon die Nase auf den Boden gelegt, und war still; er schien zu schlummern. Doch der scharfe, schnelle Blick seines Herrn fing bald den Schein von einer entfernten Gestalt auf, die bei dem täuschenden Licht auf eben der Anhöhe zu schweben schien, worauf er selbst stand. Jetzt wurden ihre Verhältnisse deutlicher und ein leichtes, weibliches Wesen schien zu zögern, als überlege sie, ob es klüglich sei, näher zu kommen. Obgleich man jetzt die Augen des Hundes im Mondschein glänzen sah, sie sich bald öffneten und wieder schlossen, gab er doch kein weiteres Zeichen von Unwillen.

»Komm näher, wir sind Freunde,« sagte der Streifschütz, und zählte so seinen alten Gefährten mit, so stark war das geheime Band, das sie vereinigte, »wir sind deine Freunde, keiner wird dir ‘was zu Leid thun.«

Ermuthigt durch den sanften Ausdruck seiner Stimme, und vielleicht durch ernstere Beweggründe getrieben, näherte sie sich, bis sie ihm zur Seite stand; da entdeckte der alte Mann, daß der Besuch das junge Mädchen war, mit welchem unter dem Namen »Ellen Wade« der Leser schon bekannt geworden ist.

»Ich dacht’, Ihr wäret fort,« sprach sie, und sah furchtsam und ängstlich um sich; »sie sagten, Ihr wärt fort, und wir würden Euch nie wieder sehen; – ich glaubte nicht, daß Ihr es wäret.«

»Menschen sind in diesen leeren Feldern kein gewöhnlicher Gegenstand,« erwiederte der Streifschütz, »und ich hoffe doch, ich habe, obgleich ich so lange mit den Thieren der Wildniß verkehrt, noch nicht die Gestalt meines Geschlechtes verloren.«

»O, ich erkannte wohl, daß es ein Mensch war, und glaubte selbst den Seufzer des Hundes zu unterscheiden,« antwortete sie hastig, als wolle sie etwas erklären, ohne recht zu wissen, was? und stockte dann wieder, als fürchte sie, schon zu viel gesagt zu haben.«

»Ich sah keine Hunde in dem Zug Eures Vaters,« bemerkte der Streifschütz trocken.

»Vater?« rief das Mädchen gerührt aus; »ich habe keinen Vater, ja ich möchte fast sagen keinen Freund!« Der alte Mann wandte sich zu ihr mit einem Blick voll Freundlichkeit und Teilnahme, der fast noch mehr für ihn einnahm, als der gewöhnliche, aufrichtige, wohlwollende Ausdruck seines vom Wetter gepeitschten Antlitzes.

»Warum wagt Ihr Euch denn an einen Ort, den nur der Starke betreten sollte?« fragte er. »Wußtet Ihr nicht, daß Ihr bei’m Ueberschreiten des großen Flusses einen Freund hinter Euch ließet, der immer geneigt ist auf das Junge und Schwache, wie Ihr, zu sehen?«

»Von wem sprecht Ihr?«

»Vom Gesetz. – Es ist schlimm, es zu haben; aber ich meine manchmal, es sei noch schlimmer, wo es gar nicht zu finden ist. Ja, ja, Gesetze thun Noth, wenn für solche, denen Stärke und Weisheit nicht verliehen ist, Sorge getragen werden soll. Ich hoffe, junges Weib, wenn Ihr keinen Vater habt, habt Ihr zum wenigsten einen Bruder.«

Das Mädchen fühlte den schweigenden Vorwurf, der in dieser verdeckten Frage lag, und schwieg einen Augenblick verlegen. Doch als sie einen Blick geworfen auf die freundlichen, ernsten Züge ihres Gefährten, der sie immer mit Theilnahme ansah, erwiederte sie fest; und auf eine Art, die keinen Zweifel übrig ließ, daß sie seine Meinung verstanden:

»Behüte der Himmel, daß einer von denen, wie Ihr sie gesehen habt, ein Bruder von mir, oder sonst mir nahe und theuer sein sollte. Aber sagt mir, lebt Ihr denn wirklich allein in dieser wüsten Gegend, alter Mann; ist wirklich außer Euch Niemand hier?«

»Hunderte, ja Tausende von den rechtmäßigen Eigenthümern des Landes schweifen in diesen Ebenen herum; aber wenige von meiner Farbe.«

»Und seid Ihr denn Niemanden außer uns begegnet, der weiß war?« unterbrach ihn das Mädchen, als könne sie die zögernde Erklärung nicht erwarten, die sein Alter und seine Ueberlegung eben geben wollte.

»Nicht seit vielen Tagen – hsch, Hektor, hsch!« fügte er hinzu, als Antwort auf ein dumpfes und kaum hörbares Knurren seines Hundes. »Das Thier riecht Unheil. Die schwarzen Bären von den Bergen nehmen manchmal ihren Weg noch tiefer herunter als hierher. Der Bursche beklagt sich nicht leicht über harmloses Wild. Ich bin nicht mehr so flink und sicher mit meiner Flinte als sonst, aber damals habe ich auch die stolzesten Thiere der Steppe niedergedonnert; so brauchst du dich weiter nicht zu fürchten, Kind.«

Das Mädchen schlug die Augen empor, auf die besondere Art, wie es so oft von ihrem Geschlecht geschieht, wenn sie ihr Schauen damit beginnen, daß sie die Erde zu ihren Füßen untersuchen, und damit endigen, daß sie alles erfassen, was in den Kreis ihrer Sehkraft fällt; aber sie zeigte eher Ungeduld als ein Gefühl von Unruhe.

Ein kurzes Bellen vom Hund gab jedoch bald den Blicken beider eine neue Richtung, und dann ward die wahre Ursache seiner zweiten Warnung dunkel sichtbar.

Drittes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Komm, komm, du bist ein hitz’ger Narr, wie einer inItalien je; so bald gereizt, erzürnt, als, wenn duzürnst, gereizt.

Romeo und Julia.

Obgleich der Streifschütz etwas erstaunt war, als er eine zweite menschliche Gestalt sich nahe kommen sah, und dies auch aus einer dem Lager der Auswanderer entgegengesetzten Richtung, so fehlte doch nicht die Standhaftigkeit der lange an Scenen der Gefahr Gewöhnten.

»Es ist ein Mann,« sagte er, »und einer, der weißes Blut in den Adern hat, sonst wär’ sein Schritt leichter. Es mag gut sein, auf das Schlimmste sich bereit zu halten, denn die Halb-und Halben, auf die man in diesen verlassenen Gegenden trifft, sind allzusammen wilder als die wahren Wilden.«

Er nahm sein Gewehr, während er sprach, auf, und untersuchte den Zustand des Steines und des Zündpulvers durch ein Betasten mit der Hand. Aber sein Arm ward festgehalten, als er anschlagen wollte, – es waren die schnellen, zitternden Hände seines Schützlings.

»Um Gottes willen, seid nicht zu hastig!« sagte sie, »es kann ein Freund sein, ein Bekannter, ein Nachbar.«

»Ein Freund!« wiederholte der alte Mann, und befreite sich zugleich von ihrem Arm, »Freunde sind selten in jedem Land, und seltener vielleicht in diesem als in einem; und die Nachbarschaft zu spärlich, um es wahrscheinlich zu machen, daß der, der zu uns kommt auch nur ein Bekannter ist.«

»Aber wenn auch ein Fremder, würdet Ihr doch nicht nach seinem Blut verlangen!«

Der Streifschütz betrachtete ernst einen Augenblick ihre angsterfüllten, fürchtenden Mienen, und ließ dann das Gewehr auf den Boden herab, als habe er seinen Entschluß plötzlich geändert.

»Nein,« sagte er, und sprach mehr mit sich als mit seiner furchtsamen Gefährtin, »sie hat Recht, Blut darf nicht vergossen werden, um ein so nutzloses, seinem Ziel so nahes Leben zu retten. Laßt ihn kommen, meine Häute, meine Fallen, mein Gewehr selbst soll sein sein, wenn’s ihm gefällt, sie zu verlangen.«

»Er wird nichts von allem fordern, er braucht nichts,« erwiederte das Mädchen; »wenn er ein ehrlicher Mann ist, wird er gewiß mit dem Seinigen zufrieden sein, und nichts fordern, was Eigenthum eines andern ist.

Der Streifschütz hatte nicht Zeit, das Erstaunen auszudrücken, welches ihn bei der unzusammenhängenden, sich widersprechenden Rede ergriff, denn der Mann, der sich näherte, war schon nur noch fünfzig Schritte von ihm entfernt. Indeß war Hektor kein gleichgültiger Zeuge bei dem, was vorging geblieben. Bei’m Geräusch der entfernten Tritte war er von dem warmen Bett zu den Füßen seines Herrn aufgestanden, und schlich jetzt, als der Fremde dem Blick sich zeigte, leise ihm entgegen, zur Erde geduckt wie ein Panther, wenn er auf seine Beute sich stürzt.

»Ruft den Hund zurück,« sagte eine feste, tiefe, männliche Stimme, mehr im Ton der Freundschaft als der Drohung; »ich liebe die Hunde, und es würde mir leid sein, wenn dem Thier etwas widerführe.«

»Du hörst, was man von dir sagt, Bursch?« antwortete der Streifschütz, »komm her, du Thor; sein Knurren und Bellen ist alles, was ihm noch übrig ist; Ihr könnt kommen, Freund; er hat keine Zähne mehr.«

Der Fremde benutzte alsbald diese Nachricht; er eilte schnell vorwärts, und stand im nächsten Augenblick Ellen Wade zur Seite. Nachdem er sich durch einen hastigen aber kühnen Blick überzeugt, daß sie es war, wandte er mit einer Eile und Ungeduld, die hinlänglich zeigte, wie sehr er auf den Ausgang gespannt war, ein forschendes Auge auf ihren Begleiter.

»Von welcher Wolke seid Ihr gefallen, mein guter, alter Mann?« sagte er sorglos, nachlässig hin, mit zu viel Natur, um geziert zu scheinen; »oder lebt Ihr wirklich in diesen Steppen?«

»Ich war lange auf der Welt, und nie, denke ich, näher dem Himmel, als jetzt in diesem Augenblick,« erwiederte der Streifschütz; »meine Wohnung, wenn ich anders eine habe, ist nicht weit entfernt. Nun kann ich mir die Freiheit gegen Euch nehmen, die Ihr Euch so gerne gegen Andere nehmt? Woher kommt Ihr, wo Ist Eure Heimath?«

»Langsam, langsam; wenn ich mit meinem Examen fertig bin, dann mögt Ihr mit Euerm anfangen. Auf welche Jagd geht Ihr denn hier so bei Mondschein aus? Gewiß wollt Ihr doch keine Büffel zu dieser Stunde fangen?«

»Ich gehe, wie Ihr seht, aus dem Lager von einigen Wanderern, welches dort über jener Anhöhe liegt, nach meiner eignen Hütte; und so tret’ ich Niemanden zu nahe.«

»Ganz wohl. Und Ihr nahmt dieses Mädchen mit, Euch den Weg zu zeigen, da sie ihn so gut, und Ihr ihn so wenig kennt.«

»Ich traf sie, wie ich Euch traf, zufällig. Zehn lange Jahre hab’ ich diese offnen Felder bewohnt, und nie, bis auf diesen Tag, menschliche Wesen mit weißer Haut zu dieser Stunde getroffen. Wenn meine Gegenwart hier belästigt, thut’s mir leid, und ich will meiner Wege gehen. Es ist mehr als wahrscheinlich, wenn Eure junge Freundin ihre Geschichte erzählt hat, werdet Ihr geneigter sein, die meinige zu glauben.«

»Freundin!« sagte der Jüngling, nahm eine Mütze von Fellen vom Haupt, und wühlte in der dichten Masse seiner schwarzen, geringelten Locken, »wenn ich je früher ein Auge warf auf das Mädchen als heute, so möge – –«

»Genug, Paul,« unterbrach ihn die Jungfrau, und legte ihm die Hand auf den Mund, mit einer Vertraulichkeit, die so ziemlich seine beabsichtigte Betheuerung Lügen strafte. »Unser Geheimniß wird bei diesem ehrlichen alten Mann sicher sein. Ich sehe es an seinen Blicken und freundlichen Worten.«

»Unser Geheimniß! Hast du vergessen, Ellen? – –«

»Nein. Ich habe nichts vergessen, was ich behalten sollte. Aber doch sag’ ich, wir sind sicher bei diesem ehrlichen Streifschütz.«

»Streifschütz? Ist er denn ein Streifschütz? Gebt mir die Hand, Vater; unser Geschäft sollte uns mit einander bekannt machen.«

»In dieser Gegend braucht’s nicht solcher Stärke,« erwiederte der Andere, und betrachtete die athletische, kräftige Gestalt des Jünglings, der sich nachlässig aber nicht ohne Anstand auf seine Flinte lehnte; »die Kunst die Geschöpfe des Herrn in Fallen und Netzen zu fangen, erfordert mehr List als Kraft, und doch bin ich genöthigt, sie in meinem Alter zu treiben. Aber es würde weit besser einem jungen Manne, wie Euch, anstehn, einem Geschäft zu folgen, das sich mehr für Eure Jahre und Euern Muth schickt.«

»Ich! Ich fing nie, selbst nicht eine Bisamratze in einer Falle; obgleich ich gestehen muß, daß ich einige von den schwarzhäutigen Teufeln gehörig versehen habe, wo ich besser gethan, wenn ich das Pulver im Horn, und das Blei in der Tasche gelassen. Nein, Alter, nichts, was auf der Erde kriecht, gehört zu meiner Jagd.«

»Wie bringt Ihr aber Euer Leben durch, Freund, denn wenig mag in diesen Gegenden gewinnen, wer selbst sein natürliches Recht über die Thiere des Feldes aufgibt.«

»Ich gebe nichts auf. Kommt ein Bär mir in den Weg, so ist er bald kein Bär mehr. Die Rehe fangen schon an, mich zu riechen, und was die Büffel anlangt, so habe ich mehr Ochsen getödtet, alter Fremder, als der thätigste Metzger in ganz Kentucky.«

»Ihr könnt also schießen,« fragte der Streifschütz, und seine kleinen tiefliegenden Augen glänzten von einem Blitz verborgenen Feuers; »ist Eure Hand fest und Euer Blick scharf?«

»Die erste ist wie eine Stahlfalle, und der andere schneller als die Kugel für einen Bock. Ich wünscht’ es wär’ heißer Mittag jetzt, Vater, und zwei oder drei Juchert von hier gingen von Euern weißen Schwänen oder schwarzgefiederten Enten südlich über unsere Häupter, Ihr oder Ellen könntet Euer Leben auf das schönste von der Heerde, setzen, und meinen Ruf gegen ein Pulverhorn, der Vogel sollte in fünf Minuten den Kopf hängen, und das durch seine einzige Kugel. Ich verachte Schrot. Niemand kann sagen, daß er mich je, auch nur ein Korn führen sah.«

»Der Bursch hat Kraft in sich, ich seh’s ihm deutlich an,« sagte der Streifschütz, und wandte sich mit einem offenen, ermuthigenden Blick zu Ellen. »Ich nehm’s auf mich, und behaupte, Ihr thätet nicht unklug, als Ihr ihn so erwartetet. – Sagt mir, Junge, traft Ihr je einen Bock im Lauf zwischen die Enden? Hektor, still, Alter, still. Schon der Name Wild erhitzt dem Burschen das Blut. – Traft Ihr je ein Thier auf diese Art und im gestreckten Lauf?«

»Ihr könntet mich eben so gut fragen, aßt Ihr je? Es gibt keine Art, alter Fremder, auf die ich das Wild nicht erreicht, nur wenn es schlief, nicht.«

»Ach, ach, Ihr habt ein langes, glückliches, ja und ein ruhmvolles Leben noch vor Euch. Ich bin alt, kann wohl sagen abgelebt und nutzlos; aber wär’ es mir vergönnt, Zeit und Ort zu wählen, nochmals – doch so etwas wird nicht, darf nie dem Willen des Menschen überlassen werden, – aber, würde eine solche Gunst mir verliehen, ich sagte: zwanzig und die Wildniß. Aber sagt mir, wie macht Ihrs mit den Häuten?«

»Mit den Häuten! Ich nehme nie ein Fell von einem Bock, oder einen Kiel von einer Gans, in meinem Leben, Ich mach’ sie nieder dann und wann zu einer Mahlzeit, oder um meine Hand nicht der Flinte zu entwöhnen, aber ist der Hunger gestillt, dann bekommen das Uebrige die Steppen-Wölfe. Nein, nein, ich halte mich an meinen Beruf, der mich besser lohnt, als alles Pelzwerk, das ich auf der andern Seite des großen Flusses verkaufen könnte.«

Der alte Mann schien ein wenig nachzusinnen, aber kopfschüttelnd fuhr er bald nachdenkend fort:

»Ich kenne nur ein Geschäft, das mit Vortheil hier betrieben werden kann – – –«

Er ward von dem Jüngling unterbrochen, der ihm ein kleines zinnernes Gefäß, das ihm um den Nacken hing, vorhielt; der herrliche Geruch des lieblich riechenden Honigs durchdrang den Streifschützen, als der Jüngling den Deckel öffnete.

»Ein Bienenjäger!« bemerkte jener mit einer Schnelle, die zeigte, daß er die Beschäftigung kannte, obgleich nicht ohne einiges Erstaunen, daß ein Mann von so viel Kraft sich mit so etwas Niedern abgebe. »Es belohnt sich gut an den Grenzen der Ansiedelungen, aber in diesen offnen Gegenden möcht’ ich’s einen unsichern Handel nennen.«

»Ihr meint, es ist kein Baum da, in den sich ein Schwarm niederlassen könnte. Aber ich denke anders, und so bin ich mehrere hundert Meilen weiter westlich gestreift, als gewöhnlich, um Euern Honig zu versuchen. Nun hab’ ich Eure Neugier befriedigt, Fremder; Ihr geht jetzt wohl bei Seite, während ich der Jungfrau das übrige von meiner Geschichte erzähle.«

»Es ist nicht nöthig, ich weiß gewiß, es ist nicht nöthig, daß er uns verläßt,« sagte Ellen mit einer Hast, worin etwas lag, das zeigte, daß sie das Sonderbare, wenn nicht Unschickliche der Forderung fühlte, »Ihr könnt mir nichts zu sagen haben, was nicht die ganze Welt hören darf.«

»Nein! So mögen mich doch die Drohnen zu Tode stechen, wenn ich etwas von den Launen eines Weibes begreife. Was mich betrifft, Ellen, ich kümmre mich um nichts, um Niemand, und bin jetzt eben so bereit, dort hinunter zu gehen, wo Euer Oheim, wenn man ihn so nennen darf – denn ich schwöre, es ist kein Verwandter von Euch – wo Euer Oheim seine Gespanne los gebunden hat, als ich ein Jahr später dazu bereit bin. Du brauchst nur ein Wort zu sagen und es ist geschehen, es mag ihm gefallen oder nicht.«

»Du bist immer so hastig und rasch, Paul Hover, daß ich selten weiß, wenn ich sicher bei dir bin. Wie kannst du, – du kennst die Gefahr, wenn wir nur zusammen gesehen werden, – wie kannst du nur davon sprechen, vor meinem Onkel und seinen Söhnen zu erscheinen?«

»Hat er Etwas gethan, dessen er sich schämen muß?« fragte der Streifschütz, der keinen Zoll breit von der Stelle gewichen war.

»Behüte der Himmel! Aber es hat seine Ursachen, warum er sich nicht soll sehen lassen, gerade jetzt; Ursachen, die ihn nicht gefährden würden, wenn man sie wüßte, die aber doch noch nicht bekannt werden dürfen. Wenn Ihr also, Vater, dort an jenem Weidenbusch warten wollt, bis ich gehört, was Paul mir etwa zu sagen haben kann, so komm’ ich gewiß erst noch und sag’ Euch gute Nacht, eh’ ich in das Lager zurückkehre.«

Der Streifschütz zog sich langsam zurück, scheinbar zufrieden mit dem etwas unzusammenhängenden Grund, den Ellen gegeben hatte, warum er sich zurückziehen sollte. Als er weit genug entfernt war und die ernste, lebhafte Unterredung nicht mehr hören konnte, die alsbald zwischen den Beiden begann, die er verlassen, stand der alte Mann wieder und wartete geduldig den Augenblick ab, wo er seine Unterhaltung mit zwei Wesen wieder anknüpfen könnte, an denen er ein steigendes Interesse nahm, – nicht minder wegen des geheimnißvollen Anstrichs ihres Umgangs, als aus natürlicher Theilnahme an der Wohlfahrt eines Paares, das noch so jung und, wie er in der Einfachheit seines Herzens zu glauben geneigt war, diese Theilnahme wohl verdiente. Ihn begleitete sein lässiger aber treuer Hund, der sich nochmals sein Bett zu den Füßen seines Herrn machte und bald schlummernd, wie gewöhnlich, dalag, den Kopf fast gänzlich in das dichte Gestrüpp des Steppengrases begraben.

Eine Menschengestalt in der Einsamkeit, worin er lebte, war dem Streifschütz ein so ungewöhnlicher Anblick, daß er seine Augen unverwandt auf die dunkeln Gestalten seiner neuen Bekannten heftete, mit Empfindungen, deren er lange entbehrt. Ihre Gegenwart weckte Rückerinnerungen und Gefühle, denen seine störrige aber edle Natur früher nur wenig gehuldigt, und vor seinen Gedanken begannen die, wandelvollen Scenen eines Lebens voll Mühseligkeit vorüberzuschreiten, die fremdartig von Scenen wilder, eigenthümlicher Freuden unterbrochen wurden. Die Richtung, die seine Gedanken nahmen, hatte ihn schon in seiner Betrachtung weit in eine ideale Welt geführt, als er plötzlich wieder in die Wirklichkeit seines Zustands durch die Bewegungen seines treuen Hundes zurückgerufen ward.

Das Thier, das in Folge seiner Jahre und Gebrechen so entschiedene Hinneigung zum Schlaf gezeigt hatte, stand jetzt auf, schritt aus dem Schatten hervor, den die schlanke Gestalt seines Herrn warf, und sah hinaus in die Steppe, als benachrichtige sein Instinct ihn, daß noch ein anderer Besuch in der Nähe sei. Dann, scheinbar zufrieden mit der Untersuchung, kehrte er zu seinem behaglichen Posten zurück und ordnete seine müden Glieder mit einer Ueberlegung und Sorgfalt, die hinlänglich bewies, daß er kein Neuling in der Knust der Selbsterhaltung sei.

»Was gibt’s wieder, Hektor?« sagte der Streifschütz mit besänftigender Stimme, welche er jedoch die Vorsicht hatte, nur halb laut Werden zu lassen, »was gibt’s, Hund? Er sag’s seinem Herrn, der Alte; was gibt’s?«

Hektor antwortete mit einem nochmaligen Knurren, aber begnügte sich, auf seinem Lager zu bleiben. Dies waren Beweise von Verstand und Mißtrauen, denen ein so erfahrner Mann, wie der Streifschütz, wohl alle Aufmerksamkeit schenken mußte. Er wandte sich wieder zum Hund und mahnte ihn zur Wachsamkeit mit einem leisen, vorsichtigen Zuspruch. Das Thier jedoch, als habe es schon seine Schuldigkeit gethan, weigerte sich hartnäckig, den Kopf vom Gras zu erheben.