Die Sternkomplizen - Sonja Moser - E-Book

Die Sternkomplizen E-Book

Sonja Moser

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Beschreibung

Lina weiß Bescheid! Niemand sonst hat mitbekommen was sich auf dem Rosenhügel zwischen ihrer Mutter und einem Stern zugetragen hat. Sie weiß, dass ihr Vater und ihr Bruder für derartige Hirngespinste absolut nichts übrighaben. Sie weiß auch, dass sie anders ist, als ihre beste Freundin. Aber sie weiß nicht, dass sie schon sehr bald einen neuen Freund kennenlernen wird, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind und wie weh es tut "Leb wohl" zu sagen. Raphael weiß, dass es strengstens verboten ist, durch ein Teleskop zu schauen. Aber er weiß auch, dass seine Neugierde viel zu groß ist, um sich an irgendwelche Internatsregeln zu halten. Und er weiß, dass ein Mädchen ohne ihn verloren ist. Allerdings weiß er nicht, dass ein Mitschüler ihn zum Erzfeind ernannt hat, ein Professor ihn nicht auf dem Internat haben will und wie groß die Gefahr tatsächlich ist, in die er sich bereits begeben hat.

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Seitenzahl: 304

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Sonja Moser

Die Sternkomplizen

Eine grenzenlose Freundschaft

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Ein herzliches Dankeschön

Über die Autorin

Impressum neobooks

Prolog

Als er abends von der Arbeit nach Hause kommt, sitzt sie in ihrem Schaukelstuhl am Fenster und starrt in die Finsternis hinaus. Eine Kerze flackert auf dem Fensterbrett. Ihre Haut erscheint ihm in dem gedämpften Lichtschein noch blasser, als an den Tagen zuvor.

Er beobachtet sie, während er Tee zubereitet. Kurz schaut sie zu ihm hinüber. Dunkle Augen, umgeben von schwarzen Ringen quellen aus ihrem knochigen Gesicht hervor. Die Angst fährt ihm durch die Glieder, als er sie wie ein Häufchen Elend dasitzen sieht. Plötzlich pfeift der Teekessel, durchbricht die Stille im Haus und reißt ihn aus seiner Gedankenwelt.

„Ist Lina nicht da?“, hört sie ihn fragen. Es passt ihm nicht, dass sich seine Tochter Abend für Abend allein draußen in der Finsternis aufhält. Früher, als Mutter und Tochter noch zusammen auf den Rosenhügel gegangen sind, hat ihm all das nichts ausgemacht.

„Sie sieht sich nur die Sterne an.“, beruhigt sie ihn und muss plötzlich heftig husten.

Er gießt zwei Tassen Kräutertee auf und schiebt einen Stuhl an ihre Seite. Schnell holt er noch die karierte Kuscheldecke aus dem Zimmer, legt sie vorsichtig über ihre Beine, setzt sich zu ihr und bemerkt ihr Zittern, während sie nach der Tasse greift. Zärtlich umfasst er mit seinen Händen ihre kalten Finger. Ein Hauch von Wärme durchströmt ihren Körper. Sie spürt, dass er sie von Herzen liebt, genauso wie sie ihn.

Ihre Blicke treffen sich. Sie ahnt, dass er noch ins Büro fahren muss, er es aber ihretwegen hinauszögert. Am liebsten möchte er bei ihr bleiben.

„Martin Sommer! Wenn du nicht augenblicklich verschwindest, schlägst du dir wieder die ganze Nacht hinter dem Schreibtisch um die Ohren.“

„Sarah! … Liebling! Soll ich nicht lieber warten, bis Lina …“

„Mach dir keine Sorgen! Lina wird schon sehr bald nach Hause kommen.“

Er streichelt ihr übers Gesicht, küsst sie auf den Mund, stellt seine Tasse in die Spüle und zieht sich die Schuhe an, während sie noch an ihrem Tee nippt. Mit der Aktenmappe unterm Arm dreht er sich an der Tür noch einmal um und winkt ihr zu. Sie nickt und lächelt. Durch das Fenster sieht sie ihm noch nach, bis er in der Finsternis verschwunden ist.

Lina ist bereits auf dem Nachhauseweg. Es ist stockdunkel und die Nebelschwaden werden immer dichter. Erst ein paar Meter vor dem Haus kann sie die flackernde Kerze im Fenster sehen. Mutter ist allein zu Hause! Niemand sonst! Sie weiß, dass ihr Vater wieder ins Büro gefahren ist und ihr Bruder Lukas die ganze Nacht über in der Bar jobbt und sich damit sein Studium finanziert.

Sie schließt die Haustür auf. Leise zieht sie sich im Dunkeln Jacke und Schuhe aus und schleicht ins Wohnzimmer. Nur das Kerzenlicht flackert vor sich hin und wirft einen schwachen Lichtstrahl auf Mutters Schaukelstuhl. Mutter ist eingeschlafen, denkt sie und tastet sich an den Stuhl heran. Die Scherben auf dem Boden sieht sie nicht.

„Aua!“, schreit sie kurz auf und spürt, wie Blut aus ihrer Fußsohle rinnt und ihre Socke tränkt. Sie will kein Licht anmachen. Mutters erholsamer Schlaf soll nicht gestört werden. Lina nimmt die Kerze und sieht sich ihre Verletzung genauer an. Alles halb so schlimm! Nur eine kleine Blutspur, vermischt mit verschüttetem Tee zog sich am Parkettboden entlang. Vorsichtig hält Lina die Kerze hoch, vor Mutters Gesicht und berührt sie behutsam am Arm.

Sanft streichelt sie über Mutters Wange. Mutters Wange fühlt sich kalt an! Mutters Hände auch! Mutter bewegt sich nicht! Mutter atmet nicht! Tränen rinnen über Linas Wangen!

Kapitel 1

Es tropfte bereits von den Regenschirmen, als sich Freunde und Nachbarn verabschiedeten. Lina stand mitten unter ihnen und streckte jedem Einzelnen ihre rechte Hand entgegen. Wie in einem Film, in dem sie nicht direkt mitwirkte, zogen die mitfühlenden Worte der Trauergäste an ihr vorüber. Fern der Handlung, sehr weit weg stand sie im Publikum und bekam so gut wie gar nichts mit. Dieses Prozedere dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Endlich hatten alle den Friedhof verlassen und waren hinter dem dichten Nebelvorhang verschwunden.

Nur Martin Sommer, sein Sohn Lukas und seine Tochter Lina standen noch vor dem tiefen Loch, in das die Herren von der Bestattung Sarah Sommers Sarg hinuntergelassen hatten.

Sogar die Blumen, die das schlichte Holzkreuz zierten, wirkten traurig. Wie Tränen rannen die Regentropfen über deren Blütenblätter. Es machte den Eindruck, als ob auch sie weinten. Sarah Sommer – Ruhe in Frieden!

Eine halbe Stunde später saß Martin Sommer zu Hause am Küchentisch. Seine Ellenbogen hatte er abgestützt und sein Gesicht war in seinen Handflächen vergraben. Sein Körper bebte in einem regelmäßigen Rhythmus und verriet den tiefen Schmerz, der sich in seinem Inneren ausgebreitet hatte. Er konnte nicht glauben, dass seine geliebte Sarah nicht wiederkam und er sie nicht mehr in seine Arme nehmen konnte.

Nach ein paar Minuten stand er auf und lief im Esszimmer hin und her. Allein der Gedanke, ob Lukas und Lina mit dem Verlust ihrer Mutter klarkommen werden, machte ihn fast verrückt.

Selbst er hatte keine Erklärung für den Tod seiner Frau. Unglaublich, dass keiner der zahlreichen Ärzte und Spezialisten, die er gemeinsam mit Sarah in den letzten Monaten aufgesucht hatte, eine Diagnose stellen konnte. Jeder einzelne bestätigte, dass alle Befunde in Ordnung waren. Bilderbuchwerte, wie sie zu sagen pflegten.

Lukas brütete oben in seinem Zimmer über sämtliche Bücher und Skripten. Obwohl sein Kopf ganz und gar nicht bei der Sache war, erstickte er wenigstens sein Leid in seinen Studienunterlagen.

Mit seinen neunzehn Jahren wusste er bereits, dass er nach seinem Studium einen hervorragenden Kinderarzt abgeben wird, und studierte eifrig im ersten Semester, hier zu Hause in St. Kittmannsburg, an der Medizinischen Fakultät. An den Wochenenden schuftete er nachts in einer Bar und finanzierte damit den Großteil seines Lebensunterhaltes. Sein Vater unterstützte ihn zwar, aber Lukas gehörte zu denjenigen, die ihre Unabhängigkeit liebten und gerne auf eigenen Füßen standen.

In Linas Zimmer war es mucksmäuschenstill. Das vierzehnjährige Mädchen lag auf ihrem Bett und heulte leise in ihr Kopfkissen. Die Bilder, als sie ihre Mutter leblos im Schaukelstuhl gefunden hatte, schwirrten unweigerlich in ihrem Kopf herum.

Seit Lina denken konnte war Mutter immer für sie dagewesen. Alles hatten sie gemeinsam gemacht. Sogar auf den Rosenhügel durfte Lina mitkommen. Dort saßen die beiden jeden Abend eng aneinander gekuschelt im Gras und beobachteten den Sternenhimmel. Selbst bei schlechtem Wetter fand man die zwei auf dem Hügel und es war kein einziger Abend vergangen, an dem sich nicht ein besonders hellleuchtender Stern mit immenser Kraft durch die Wolken geschummelt und zu den beiden herabgestrahlt hatte. Lina empfand es zwar als recht seltsam, dass trotz dicker Regenwolken der Stern immer punktgenau an derselben Stelle erschien, sagte aber nichts und stellte auch keine Fragen. Leise teilte sie derartige Besonderheiten mit ihrer Mutter und genoss dabei die stille Zweisamkeit.

Sie schluchzte laut auf. Sehr genau erinnerte sie sich an den letzten Abend, den sie mit ihrer Mutter auf dem Rosenhügel verbrachte. Damals traute sie ihren Ohren nicht! Hatte der leuchtende Stern tatsächlich mit ihrer Mutter gesprochen? Sie bildete sich ein, dass sie den strahlenden Himmelskörper auf eine seltsame Art und Weise sogar verstehen konnte. Sehr deutlich hatte sie auch gesehen, dass ihre Mutter daraufhin die Lippen bewegte und offensichtlich etwas vor sich hinmurmelte. Keinen Mucks hatte Lina von sich gegeben, wieder keine Fragen gestellt und bis heute mit keiner Menschenseele darüber gesprochen.

Martin Sommer hatte sich inzwischen eine Tasse Tee zubereitet und saß wieder gedankenverloren am Küchentisch. Plötzlich vernahm er von oben herab Fußgetrappel.

Lina kam mit verheulten Augen die Treppe herunter. Gleich hinter ihr schlich auch Lukas aus seinem Zimmer. Lina suchte im Küchenschrank nach einem Glas und goss sich Saft ein. Erst als sie sich an den Tisch setzte, sah ihr Vater zu ihr hoch. Es war offensichtlich, dass er seine Emotionen nur sehr schwer unter Kontrolle halten konnte.

„Papa! …“, Lina stockte. Sie verkrampfte ihre Finger ineinander und senkte ihren Kopf.

„Sag schon! Was liegt dir auf dem Herzen?“ Sanft berührte Martin ihren Arm. Kurz sah Lina zu ihrem Vater auf. Es war nicht zu übersehen, wie schwer es ihr fiel, das auszusprechen, was sie schon wochenlang mit sich herumgetragen hatte.

„Papa ich … ich habe schon lange gewusst, dass Mama sterben wird!“ Lina sprach so leise, dass man sie gerade noch verstehen konnte. Ihr Vater nippte gerade an seinem Tee und die Tasse fiel ihm beinahe aus der Hand, als er seine Tochter so reden hörte.

„Was redest du denn für wirres Zeug?“, fauchte Lukas plötzlich aufgebracht aus der Fernsehecke zu ihr herüber. Auch er hatte deutlich verstanden, was Lina gerade eben von sich gab und sprang verärgert vom Sofa hoch. Seine Augen funkelten bedrohlich. Er schämte sich für die Hirngespinste seiner vierzehnjährigen Schwester.

Martin konnte mit Linas Bemerkung absolut nichts anfangen. Eine solche Farce und das aus dem Munde seiner Tochter zu hören, überforderte ihn maßlos. Aber im Moment war er viel mehr daran interessiert, die Diskussion, die sich zwischen seinen beiden Kindern anbahnte, abzublocken. Angespannt und genervt lief er abermals in der Stube hin und her. Vorsichtig wagte er einen Blick zu seinem Sohn hinüber. Lukas stand mit dem Rücken zu ihm und starrte gegen die Wand, auf ein Bild, das Lina und ihre Mutter zeigte. Sein Atem ging schwer. Martin Sommer wusste sofort, dass er seinen Sohn nicht mit bloßen Worten besänftigen konnte, nicht in dieser Situation und wandte sich wieder seiner Tochter zu.

„Tatsächlich?“, würgte er hervor, „Und woher hast du das gewusst?“

„Ein Stern hat es erzählt, als ich das letzte Mal mit Mama auf dem Rosenhügel war. Mama hat bestimmt auch schon sehr lange gewusst, wie krank sie ist.“ Wieder schluchzte Lina laut auf. Sie stützte ihren Kopf auf den Handflächen ab. Ihr dunkles, langes Haar fiel wie ein schützender Vorhang vor ihr Gesicht, bis über ihre Schultern hinab. Die so mühsam unterdrückten Tränen rannen nun in kleinen Bächen über ihre Wangen und tropften auf den Tisch.

Auf Martins Stirn zeichneten Sorgenfalten tiefe Furchen. Er war ratlos, streichelte seiner Tochter sorgsam übers Haar, wagte aber keinen Blick zu Lukas hinüber.

Lukas traute seinen Ohren nicht. Für derartige, weitherbeigeholte Fantastereien zeigte er selbst heute, nach dem Begräbnis seiner Mutter, absolut kein Verständnis. Für ihn galt alles, was sich fern der Realität abspielte, als Hokuspokus. Wütend machte er einen Riesenschritt auf seine Schwester zu und stand plötzlich unmittelbar neben ihr.

„Was geht in deinem kranken Gehirn bloß vor? Wie kann man sich im Alter von vierzehn Jahren noch so einen Blödsinn ausdenken? Erzähle diesen Quatsch bloß keiner Menschenseele!“ Lukas rang abermals nach Luft, atmete tief durch und konnte ein völliges Ausrasten gerade noch vermeiden.

Lina sah kurz zu ihm hoch, aber bevor sie auch nur eine Silbe von sich geben konnte, wütete Lukas bereits weiter.

„So ein Schwachsinn! Das hat mir ein Stern erzählt!“, wiederholte er aufgebracht ihre Worte, fuchtelte dabei wild mit seinen Händen herum, bis er letztendlich kehrtmachte, die Tür hinter sich zuknallte und wutentbrannt das Haus verließ.

Martin starrte ihm wortlos hinterher. So sehr er sich bemühte und anstrengte, auch er konnte Linas augenblicklichen Gemütszustand und ihre überzogene Fantasiewelt absolut nicht nachvollziehen. Sarah hatte in derartigen Situationen immer die richtigen Worte gefunden, und sie wusste auch mit Linas Befindlichkeiten viel besser umzugehen, als der Rest der Familie. Kein Wunder, dass Lina zu fantasieren begann und sich absurde Geschichten ausdachte. Ganz bestimmt suchte sie Aufmerksamkeit und Zuspruch, um ihre Trauer leichter zu verarbeiten. Im Moment fand Martin keine andere Erklärung für Linas augenblicklichen Zustand.

Es herrschte eine erdrückende Stille im Raum. Lina warf den Kopf in den Nacken, knotete ihr Haar nach oben und schaute dabei ihrem Vater direkt ins Gesicht.

„Du solltest dich ausruhen!“, sagte er in seiner Hilflosigkeit.

„Ausruhen? Ich will mich nicht ausruhen! Ich will, dass du mich verstehst, und dass du mir glaubst!“

„Gib mir ein bisschen Zeit, ich denke darüber nach. Versprochen!“

„Du musst darüber nachdenken, ob du mir glauben willst?“ Lina sprang vom Stuhl hoch. „Ich muss hier raus!“

„Lina, so warte doch! Ich …“

Lina war bereits am Treppenansatz und lief die Stufen hoch, in ihr Zimmer. Nach wenigen Minuten kam sie wieder zurück, ging schnurstracks zur Garderobe, schnappte sich ihre Jacke und schlüpfte in die Schuhe.

„Wo willst du denn jetzt noch hin? Es ist stockdunkel draußen!“

„Dorthin, wo ich jeden Abend hingehe!“, erwiderte sie schnippisch und verschwand blitzschnell nach draußen. Für ein paar Sekunden blieb sie vor dem Haus stehen und atmete tief durch. Genau das brauchte sie jetzt. Frische Luft! Bevor sie losmarschierte, richtete sie noch einen kurzen Blick nach oben in den Himmel. Tiefschwarze Wolken zogen über ihren Kopf hinweg.

Oben, auf Starmanokia war gerade die Studierstunde zu Ende. Wie jeden Abend schlenderte Raphael Berger übers Gelände.

Starmanokia war ein Planet mitten im Weltall, auf dem sich das gewaltige Studienareal Meteories befand. Hier wurden nur einheimische, hochbegabte Jungs mit außergewöhnlichem Potential unterrichtet. Obwohl Raphael Berger unten auf der Erde geboren wurde, lebte er seit etwa einem halben Jahr auf Starmanokia. Seine Fähigkeit, dass er es von der Erde aus schaffte, mit diesem Planet Kontakt zu knüpfen, hatte ihn hierhergebracht und es ihm ermöglicht, als vierzehnjähriger Junge in Meteories seine Schule fortzusetzen und seine außergewöhnlichen Begabungen unter Beweis zu stellen. Als irdisches Waisenkind zählte er zu den wenigen erdblütigen Bewohnern dieses Planeten. Auch sein gleichaltriger Freund Patrick Reiner war ein Schüler irdischer Abstammung und wurde zeitgleich mit Raphael hier aufgenommen. Die übrigen Schüler seines Jahrganges waren alle einheimischer Abstammung und gehörten zu den sternblütigen Schülern von Meteories.

Den ganzen Nachmittag lang, hatte sich Raphael heute auf seine Erkundungstour gefreut. Professor Marius Triminitos war krank geworden und ließ die Stunde für Moderne Astronomie ausfallen. Eine ganze Stunde mehr Zeit und das gesamte Areal endlich richtig kennenlernen, dachte Raphael und machte sich sofort auf den Weg.

Neugierig schlenderte er bis zum Fuße des gewaltigen Vulkans Starmac. Er wusste, dass er nicht weiter als bis hierher gehen durfte, aber es schien, als trieben ihn heute sonderbare Kräfte voran.

Plötzlich begann er zu laufen, rannte … stolperte … und rannte weiter, als würde er von einem bestimmten Ziel magisch angezogen. Einem Ziel, dem er, selbst wenn er es gewollt hätte, nicht ausweichen konnte. Wie ferngesteuert überquerte er die riesige, ausgetrocknete Lavaebene und kam in die Nähe einer äußerst mächtigen Mauer. Abrupt blieb Raphael stehen.

„Was ist denn das?“, fragte er sich und ahnte im selben Augenblick, worauf er gestoßen war. Der Mund blieb ihm beinahe offenstehen. Etwas zögerlich machte er noch ein paar Schritte auf das mächtige Gemäuer zu.

„Na klar! Das ist sie! Die gewaltige Teleskopmauer, um die alle Professoren ein Riesengeheimnis machen.“

Sein Herz begann zu rasen. Er hatte bereits eine ganze Menge über die Teleskopmauer in Erfahrung gebracht und jedes Schriftstück, das er in der Unibibliothek finden konnte, las er mit Begeisterung. Auch über die Vorschriften und die Gefahren dieser Einrichtung war er bestens informiert. Er wusste, dass es für Schüler strengstens verboten war, sich an der Teleskopmauer aufzuhalten, aber der Anblick dieses riesigen Gemäuers überwältigte ihn dermaßen, dass er alle Regeln und Vorschriften über Bord warf.

Die gesamte Anlage schien nur aus Schaltknöpfen zu bestehen und funkelte ihm in den unterschiedlichsten Farben entgegen. Die Verlockung, nur einen einzigen Blick durch eines der Teleskope zu werfen, war bei diesem phänomenalen Anblick viel zu groß, um jetzt kehrt zu machen.

Lina war inzwischen auf dem Rosenhügel angekommen. Gedankenverloren blickte sie erst in den Himmel, sah sich um und ging hinüber zu dem Baum, an dem die Schaukel hing. Ihre Mutter hatte die Schaukel dort angebracht, als Lina noch ein kleines Mädchen war. Genauso verlassen, wie Lina sich fühlte, hing die Schaukel hinter dem Nebelschleier an den Stricken und vermittelte eine einsame Atmosphäre. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal darauf gesessen hatte.

Ohne weiter darüber nachzudenken marschierte sie auf die Schaukel zu und ließ sich darauf nieder. Langsam begann sie sich zu bewegen, baumelte ein wenig hin und her und schaute währenddessen, was oben an der dicken Wolkendecke vor sich ging.

Nichts! Kein Licht! Kein Stern! Nur dicke schwarze Regenwolken, die drohten, augenblicklich über ihren Kopf hinweg überzuquellen. Lina blickte auf ihre Armbanduhr. Eine Stunde später als üblich, war sie heute hier angekommen. Hatte sie etwa Mutters Stern verpasst? Sie wollte nicht eher nach Hause gehen, bevor sie wenigstens ein kleines Fünkchen des Sternenlichtes gesehen hatte. Wie eine gefühlte Ewigkeit kam Lina die Warterei vor. Sie wollte nicht wahrhaben, dass Mutters Stern mit einem Mal verschwunden war. Sie hatte ihn doch erst vor ein paar Tagen zu ihrem Lieblingsstern ernannt.

„Lina! … Lina!“, hörte sie plötzlich die Stimme ihrer besten Freundin Melanie von weitem rufen. „Sag mal, was machst du denn hier?“, fragte sie ein wenig ärgerlich, während sie die letzten paar Meter den Hügel hinaufkeuchte. „Wir waren doch bei dir zu Hause verabredet!“

„Tut mir leid! Ich weiß auch nicht, warum sich mein Lieblingsstern heute nicht zeigen will.“

„Sorry? Aber, denkst du wirklich, dass du heute noch einen Stern zu Gesicht bekommst? Glaube mir, gegen diese dicke Wolkendecke hat selbst der hellste Stern im gesamten Universum keine Chance!“

Endlich würdigte Lina ihrer Freundin einen kurzen Blick.

„Da liegst du völlig falsch, liebe Melanie! Der Stern, auf den ich warte, lässt sich von einer lächerlichen Wolkendecke bestimmt nicht verscheuchen.“, versuchte sie ihrer Freundin klarzumachen, baumelte auf der Schaukel weiter und richtete ihren Blick wieder nach oben.

Kurz runzelte Melanie ihre Stirn und zupfte an ihrer Jacke herum. Der feuchte Nebel kroch ihr bis unter die Haut.

„Ich habe eine Idee! Wir suchen morgen nach deinem Stern, gehen jetzt nach Hause, trinken Tee und plaudern ein bisschen. Was meinst du?“

Lina hörte gar nicht richtig zu, während ihre Freundin diesen Vorschlag machte. Nur zu gut wusste sie, dass sich Melanie derzeit für absolut nichts interessierte, außer für Klamotten und Jungs. Also schwieg sie völlig bewusst und konnte dadurch unendliche Diskussionen zu diesen Themen vermeiden, für die sie im Moment ohnehin keinen Kopf hatte.

Widerwillig lehnte sich Melanie an den Baum, neben die hin und her baumelnde Lina und starrte ebenfalls in Richtung Himmel.

Inzwischen hatte Raphael einige Knöpfe an der Teleskopmauer gedrückt und es tatsächlich zustande gebracht, ein Teleskop so einzustellen, dass er hindurchsehen konnte. Er zitterte vor Aufregung, bevor er einen kurzen Blick durch dieses hochmoderne Gerät wagte und spähte schlussendlich mit angehaltenem Atem durch die Linse. Sein Herz schlug ihm hoch bis zum Hals, als er die beiden Mädchen auf einem Hügel entdeckte.

Wie ein leichter Stromschlag durchzuckte es Linas Körper, als Raphael durch das Teleskop spitzte. Lina spürte förmlich seinen Blick und schaute schlagartig genau an den Punkt, an dem immer zuvor Mutters Stern geleuchtet hatte. Ein kurzes Aufblitzen, so wie das Licht einer Taschenlampe, konnte sie sehr deutlich, für den Bruchteil einer Sekunde, erkennen.

„Hast du das gesehen, Melanie?“ Lina sprang von der Schaukel. „Hast du den Lichtstrahl gesehen?“, wiederholte sie sich und ihre Augen leuchteten dabei fast genauso hell, wie zuvor das Licht.

„Was soll ich denn gesehen haben?“

„Das kurze Aufleuchten! Du musst es doch gesehen haben! Du … das war bestimmt mein Stern.“

Lina hakte sich bei Melanie unter und zog sie mit sich unter dem Baum hervor und zeigte ihr genau die Stelle, an der sich ihr Lieblingsstern kurz gezeigt hatte. Aber, so sehr sich Melanie auch konzentrierte, sie hatte durch das dicke Wolkenmeer nicht den kleinsten Lichtfunken erblicken können. Außerdem war ihr kalt und es war ihr in diesem Augenblick vollkommen gleichgültig, ob dort oben etwas leuchtete oder nicht.

Auch Raphael hatte die beiden Mädchen deutlich gesehen. Sofort erinnerte er sich an seine Zeit auf der Erde. Es wollte nicht in seinen Kopf, dass er sich dem einen Mädchen sehr verbunden fühlte und das andere gar keine Regung bezüglich den Geschehnissen zwischen Himmel und Erde zeigte. Er war sich hundertprozentig sicher, dass es die Erde war, mit der er Kontakt aufgenommen hatte. Nachdenklich lehnte er sich an die Mauer. Ein plötzlicher Fragenwirrwarr schoss durch seinen Kopf. Augenblicklich begann das Ziffernblatt seiner Armbanduhr zu blinken. Abendessen! Ohne weiter nachzudenken, rannte er los. Aber, nach wenigen Laufschritten bremste er sich abrupt ein. Auf gar keinen Fall durfte er das Teleskop vollkommen aktiviert zurücklassen. Das brachte ihm bestimmt eine ganze Menge mehr Ärger ein, als wenn er bloß zu spät zum Abendessen erschien.

„Ich komme morgen wieder. Gute Nacht!“, rief Raphael noch schnell durch das Teleskop, ehe er es wieder ordnungsgemäß deaktivierte.

Das erneute, kurze Aufleuchten zwischen den Wolken war Lina natürlich wieder nicht entgangen und auch nicht dieses komische Geräusch. Hatte der Stern tatsächlich etwas gesagt? Ihr Herz raste vor Aufregung, während sie sich nach Melanie umdrehte. Ihre Freundin hatte sich inzwischen auf die Schaukel zurückgezogen. Langsam ging Lina auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen.

„Komm! Jetzt können wir gerne nach Hause gehen!“

„Ach was! Bist du endlich soweit?“, klang Melanie ein wenig eingeschnappt und schwang sich von der Schaukel.

Schweigsam gingen die beiden Mädchen nebeneinander her. Linas Gedanken waren nur noch bei ihrem Lieblingsstern, und Melanie plapperte in einem fort, von neuen Jeans und Shirts, passende Taschen und Accessoires, die sie heute in einem besonders feinen Laden entdeckt hatte.

Raphael keuchte über die riesige Lavaebene, am Fuße des gewaltigen Starmac vorbei, um die Internatsmauer herum, die steinerne Stiege empor, quer durch die Aula, in den Speisesaal hinein.

„Raphael Berger!“ Dekan Cornelius Mupukulus räusperte sich. Sein strenger Unterton war nicht zu überhören. „Du kommst zu spät! Ich erwarte dich nach dem Abendessen in meiner Kanzlei!“

Dekan Cornelius Mupukulus leitete schon seit vielen Jahren das Studienareal Meteories. Er galt zwar als ein sehr gutherziger Mensch, aber bei Verstößen gegen die Internatsregeln hatte selbst er kein Nachsehen.

„Selbstverständlich, Herr Dekan!“, antwortete Raphael knapp und brachte gerade noch eine kurze Entschuldigung über die Lippen. Nur zu gut wusste er, dass es nicht mit bloßem Ärger abgetan war, wenn sein Experiment an der Teleskopmauer herauskam.

Als die Schüler etwas später den Speisesaal verließen, stieß Raphael auf Eric, dem Sohn vom Dekan. Ständig fühlte Eric sich den irdischen Bewohnern gegenüber als etwas ganz Besonderes. Aber, dass Raphael ihm immer um eine Nasenlänge voraus war, konnte er noch niemals ertragen. Deutlich hatte er zuvor mitbekommen, dass Raphael noch in der Kanzlei seines Vaters zum Rapport antreten musste. Dass dies nichts Gutes bedeutete, hatte er schon oft genug selbst erlebt.

„Jetzt geht’s dir an den Kragen, Berger!“, fauchte Eric schadenfroh.

Ohne ein Wort zu erwidern, ließ Raphael ihn einfach stehen und ging schnurstracks weiter in Richtung Dekanat.

Raphael atmete noch einmal tief durch, klopfte an die Kanzleitür und trat mit gemischten Gefühlen ein.

Der Dekan wirkte völlig ruhig. Kein zorniges Funkeln in seinen Augen und auch keine sonstigen Anzeichen irgendwelcher, bevorstehender Wutausbrüche waren von seinem Gesicht abzulesen. Er spähte zwar etwas merkwürdig oberhalb seines Brillenrandes hinaus, wirkte aber dennoch sachlich und beherrscht. Allerdings blieb dieser merkwürdige Blick noch eine Weile an Raphael hängen.

„Raphael! … Ich höre!“, räusperte sich der Dekan erneut, ließ ihn dabei noch immer nicht aus den Augen und wartete gespannt auf eine Erklärung, die Raphaels Verspätung rechtfertigen sollte.

Raphael zögerte. Er hatte nicht den Mut, dem Dekan von seiner Erkundungstour zu erzählen und überlegte, was er am besten sagen sollte.

„Ich … ähm …“, begann er schließlich, durchbrach damit die erdrückende Stille, die durch die Sprechpause entstanden war und druckste noch ein wenig herum, ehe er mit seiner plumpen Ausrede, er hätte bei seinem Spaziergang einfach die Zeit vergessen, herausplatzte.

Cornelius Mupukulus wartete noch einen Augenblick. Sein plötzlicher Finsterblick drang tief in Raphaels Augen. Der Dekan kannte seinen Schüler gut genug und wusste, dass ein Raphael Berger nicht einfach so die Zeit vergaß. Völlig unbewusst hatte sich Raphael inzwischen aus dem unangenehmen Blickkontakt befreit und stierte nun stumm auf den alten Schreibtisch. Dekan Mupukulus erhob sich aus seinem ledernen Sessel und ging um den Tisch herum.

„So, so! … Einfach die Zeit vergessen? Hattest du heute nicht eine Stunde länger zur freien Verfügung, als sonst? Professor Triminitos hat doch die Stunde für Moderne Astronomie ausfallen lassen!“, fügte er ein wenig erbost hinzu.

„Ähm … ja, …“, Raphael hielt seinen Kopf gesenkt, er wagte es nicht zum Dekan aufzuschauen, „… vielleicht … vielleicht war auch genau das der Grund. Weil ich … weil ich wegen der zusätzlichen Freistunde das Zeitgefühl völlig verloren habe.“, antwortete er so glaubhaft wie möglich. Doch Raphael war nicht besonders gut im Ausreden erfinden und richtig rüberbringen konnte er solche Flunkereien schon gar nicht. Langsam, wie in Zeitlupe schritt der Dekan um Raphael herum. Er fühlte förmlich, dass etwas im Busch war.

„So etwas soll ja gelegentlich vorkommen.“, klang der Dekan ein wenig sarkastisch, als er Raphael unmittelbar gegenüberstand und ihn neuerlich mit einem misstrauischen Blick fixierte. Für Raphael fühlten sich diese paar Sekunden, wie eine Ewigkeit an. Er konnte, wegen seines schlechten Gewissens, dem Blick des Dekans wieder nicht standhalten. Seine Hände waren schweißnass geworden und plötzlich hatte er das Gefühl, dass der Dekan in ihm lesen konnte, wie in einem offenen Buch.

„Ist irgendetwas vorgefallen, das ich wissen sollte?“, bohrte Dekan Mupukulus noch ein wenig tiefer, in der Hoffnung, dass Raphael endlich die Wahrheit erzählt.

Jetzt war es Raphael, der sich räusperte, bevor er wieder fähig war, den Blickkontakt mit dem Dekan aufzunehmen. Schnurgerade starrte Raphael ihn an und wagte dabei nicht einmal zu blinzeln.

„Nein! … Da ist nichts!“, blieb er standhaft bei seiner dilettantischen Ausrede von vorhin.

„Gut! Aber, sei in Zukunft pünktlich! … Verstanden?“, wies ihn der Dekan abschließend noch einmal zurecht, musterte Raphael aber noch immer auffallend genau.

Raphael hatte zwar jedes Wort verstanden, aber er spürte deutlich, dass ihm der Dekan seine Ausrede nicht abgenommen hatte. „Du darfst gehen! Gute Nacht!“, vernahm er endlich die rettenden Worte.

„Danke, Herr Dekan! Gute Nacht!“, atmete Raphael erst einmal erleichtert auf und eilte aus der Kanzlei. Nachdenklich blickte der Dekan, ihm noch eine Weile hinterher. Er war sich sicher, dass da noch etwas war, das Raphael bewusst verschwiegen hatte. „Ich werde es noch herausfinden. Verlass dich drauf, mein Junge!“

Kapitel 2

Der junge Professor Marius Triminitos war ebenfalls nicht zum Abendessen erschienen. Er musste heute endgültig von Sarah Sommer Abschied nehmen und trauerte noch um seinen Erdenschützling, als es plötzlich an seine Tür klopfte.

„Guten Abend, Marius! … Wie geht es Ihnen?“, fragte der Dekan beim Betreten des Zimmers.

„Cornelius? … Danke der Nachfrage! Setzen Sie sich doch!“ Professor Triminitos war überrascht. So spät am Abend hatte er nicht mehr mit Besuch gerechnet. „Aber, Sie sind doch bestimmt nicht nur gekommen, um nach mir zu sehen. Gibt es ein Problem, Cornelius?“

Dekan Mupukulus starrte noch immer nachdenklich vor sich hin. Er überlegte, ob er sich überhaupt noch bezüglich Raphael Berger äußern sollte und lenkte vorerst ein.

„Gut! … Dann sind Sie morgen wieder an der Teleskopmauer?“, murmelte er fragend und strich sich besorgt über die Stirn.

„Nein, an die Teleskopmauer kann ich morgen noch nicht! Sie wissen doch, dass man mindestens drei Tage Ruhe braucht und wieder genug Energie für einen neuen Erdenschützling sammeln muss. Aber es gibt auch im Unterricht eine Menge nachzuholen.“, klärte Professor Triminitos ihn auf. Dennoch beschlich ihn das Gefühl, dass der Dekan noch etwas Anderes loswerden wollte. „Sie machen auf mich einen besorgten Eindruck. Ist wirklich alles in Ordnung?“, hakte Triminitos noch einmal nach.

„Das hoffe ich! … Raphael Berger kam heute viel zu spät zum Abendessen. Sie wissen doch, dass er einer der zuverlässigsten Schüler ist. Mir sagte er nur, dass er bloß die Zeit vergessen hätte, aber er wirkte dabei sehr nervös. Es ist vielleicht absurd, aber ich habe den Verdacht, dass er den Weg zur Teleskopmauer gefunden hat und, dass er das gerne verheimlichen möchte.“

„Raphael Berger? Das kann nicht sein!“, erwiderte Professor Triminitos in seinem ersten Schrecken wie aus der Pistole geschossen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet Raphael gegen die Internatsregeln verstößt. Er weiß doch, dass die Schüler nicht weiter, als bis zum alten Starmac gehen dürfen.“ Aber auch in ihm machte sich allmählich ein gewisses Maß an Ungewissheit bemerkbar.

„Na ja, … zumindest nicht mutwillig, aber zutrauen würde ich es ihm. Er ist ein sehr wissbegieriger junger Mann, der für jede Erkundungstour zu haben ist.“, gab der Dekan zu verstehen, aber das war noch immer nicht alles, worüber er sich sorgte. Aber Professor Triminitos wusste sofort, worauf der Dekan noch hinauswollte.

„Sie denken doch nicht, dass er durch mein Teleskop geschaut hat, das ich bis dato für Sarah Sommer benutzt habe! … Oder etwa doch? … Cornelius?“

„Ich weiß es nicht! Aber, was sollen wir machen, wenn er es tatsächlich entdeckt hat und es geschafft hat hindurchzusehen? Es ist nicht auszudenken, welche Probleme wir bekommen, wenn sich die Schüler in Zukunft an der Teleskopmauer zu schaffen machen. Ich wage nicht daran zu denken, welchen Schaden sie anrichten könnten. Immerhin tragen wir eine große Verantwortung, mit diesen Teleskopen. Sie sind unsere einzige Verbindung zur Erde.“, gab er noch weitere Bedenken preis. Professor Triminitos erschienen diese Vermutungen nicht ganz so pechrabenschwarz wie dem Dekan.

„Ich glaube nicht, dass Raphael das geschafft hat. Denken Sie an die vielen unterschiedlichen Knöpfe, die dafür betätigt werden müssen und die komplizierten Kombinationen, die man einzugeben hat, um auch nur das leiseste Signal zu bekommen.“ Triminitos überlegte weiter und runzelte die Stirn.

„Sollte er es dennoch zustande gebracht haben, dann hat Raphael seine Sache bestimmt gut gemacht. Immerhin ist er ein sehr gewissenhafter Schüler und würde niemals bewusst Schaden anrichten, wegen irgendwelcher absurden Experimente. Selbst, wenn er das gemacht hat, dann sicher nicht, ohne vorher genauestens über die Teleskopmauer und deren Funktionen Bescheid zu wissen.“

„Aber er ist doch noch viel zu jung für eine solche Verantwortung!“, entgegnete der Dekan besorgt. „Denken Sie doch daran, er könnte jemanden unten auf der Erde entdeckt haben und vielleicht ist es sogar zu einer Kontaktaufnahme gekommen. Ein ganzes Leben lang würde er ab sofort, in einem Alter von erst vierzehn Jahren, die gesamte Verantwortung für einen Erdenschützling übernehmen müssen. Und ob er dem schon gewachsen ist?“

„Da haben Sie allerdings Recht! Aber, wenn ein vierzehnjähriger Junge es tatsächlich zustande bringt, über die Teleskopmauer Kontakt mit den Menschen auf der Erde aufzunehmen, dann muss er dafür geschaffen sein. Jetzt warten wir erst einmal ab, was morgen passiert. Ich werde Raphael auf jeden Fall im Auge behalten, und sollten sich Ihre Vermutungen bewahrheiten, Cornelius, dann werde ich das herausfinden. Versprochen!“

Eric stand schon eine Weile draußen vor der Tür.Er war auf der Suche nach seinem Vater, als er zu seinem Erstaunen seinen Vater und den Professor durch die Tür über Raphael reden hörte. Gerade noch rechtzeitig, bevor an die Tür klopfte, bremste er sich ein und lauschte neugierig. Obwohl er fast gar nichts verstand konnte, so fiel der Name Raphael für seinen Geschmack viel zu oft. Er kochte innerlich vor Wut. Immer drehte sich alles um Raphael, diesen dahergelaufenen Erdblüter, dachte er erzürnt bei sich und sein Gesicht färbte sich augenblicklich blutrot.

„Ständig drängelt sich dieser Fremdling in den Mittelpunkt, aber nicht mit mir! Immerhin bin ich ein Sternblüter und der Sohn des Dekans!“, murmelte er hasserfüllt vor sich hin und diese krankhafte Rivalität, die Eric im Laufe der Zeit gegenüber Raphael entwickelt hatte, brodelte nicht zum ersten Mal in ihm hoch. Er hatte Raphael Berger bereits zu seinem Erzfeind erklärt, als er ihm das erste Mal begegnet war.

„Raphael! … Teleskopmauer! … Erdenschützling! … Verantwortung! … Was hat das alles zu bedeuten?“ Verzweifelt suchte Eric nach einem Zusammenhang dieser Wortfetzen, aber er hatte noch niemals zuvor von einer Teleskopmauer gehört. Seine Gedanken drehten sich nur noch um diese geheimnisvolle Mauer. So schnell wie möglich musste er herausfinden, was Raphael damit zu tun hatte.

Raphael lag noch wach im Bett und starrte an die Zimmerdecke. Er musste ständig an dieses Mädchen unten auf der Erde denken. Dass er sie deutlich hören und sie sogar fühlen konnte, so als stünde sie ihm direkt gegenüber, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Mit einem Mal hatte er ein großes Bedürfnis, seinem Freund Patric von seiner abendlichen Erkundungstour zu berichten.

„Patric? … Bist du wach?“, flüsterte er.

„Ja, … aber warum schläfst du noch nicht?“

„Ich hatte heute ein Erlebnis, das geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.“, begann Raphael leise von dem abenteuerlichen Spaziergang zu erzählen. Er vertraute Patric das Geheimnis von der Teleskopmauer an und berichtete von dem irdischen Mädchen, zu dem er sogar ein paar Worte gesprochen hatte.

„Und du glaubst ehrlich, dass sie unten auf der Erde ist?“, fragte Patric und konnte kaum fassen, dass sein Freund sich tatsächlich Kontakt zur Erde verschaffen konnte. „Wenn das wahr ist, dann musst du morgen unbedingt wieder dorthin! Ich kann es nicht fassen, du hast Kontakt mit unserer ehemaligen Heimat.“ Patric war völlig aufgeregt.

Raphael wusste zwar, dass er eine erneute heimliche Tour zu dieser Mauer besser sein lassen sollte, doch aus Büchern war ihm bekannt, dass er dieses irdische Mädchen nicht mehr im Stich lassen durfte, sobald er mit ihr in irgendeiner Form Kontakt aufgenommen hatte.

„Ja, ich weiß! Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das machen soll? Es ist verboten, sich dort aufzuhalten, doch irgendwie habe auch ich das Gefühl, dass ich unbedingt wieder dorthin muss. Vielleicht braucht mich dieses Mädchen? … Du hast Recht! Ich muss morgen unbedingt noch einmal zu dieser Mauer!“, seufzte Raphael laut. Er hatte noch nicht den Funken einer Idee, wie ihm das ein zweites Mal gelingen sollte. Immerhin war der Dekan auf ihn aufmerksam geworden und der wird ihn in nächster Zeit ganz bestimmt nicht aus den Augen lassen.

„Das schaffst du schon! Versuche jetzt endlich zu schlafen, damit du morgen fit und schlau genug bist, Mupukulus zu überlisten!“ Patric war davon überzeugt, dass Raphael noch etwas einfallen wird und er sich ein weiteres Mal unbemerkt an diese verbotene Mauer schleichen konnte. Raphael hatte noch immer eine Möglichkeit gefunden und seine Ziele erreicht, aber noch niemals zuvor auf verbotenem Weg.

Eric und sein Freund Phil waren am Morgen die ersten beim Frühstück. Keine Sekunde wollten sie heute Raphael aus den Augen lassen. Phil wusste mit dem, was ihm Eric gestern in der Nacht noch erzählt hatte, nicht viel anzufangen. Aber, er war genauso neugierig auf die Teleskopmauer, wie sein Freund Eric.

Professor Triminitos saß ebenfalls schon sehr frühzeitig im Speisesaal, nippte an einer Tasse Kaffee und studierte währenddessen die Morgenzeitung. Nach und nach schlenderten auch die Schüler in den Raum. Darunter einige freudlose Gesichter, die noch einen ziemlich verschlafenen Eindruck machten und auch solche, denen schon frühmorgens die Unternehmungslust aus den Augen funkelte.

„Berger kommt!“, zischte Eric über den Tisch zu Phil hinüber, der sich gerade über seinen Frühstücksteller hermachte. „Los geht’s! Ab jetzt wird er für heute keine ruhige Minute mehr haben.“, lachte Eric höhnisch.

Phil sah zwar kurz von seinem Teller hoch, wandte sich aber mit einer Seelenruhe gleich wieder seinem Toast, Schinken, Käse und was er sich sonst noch alles auf den Teller geladen hatte, zu. Ein ordentliches Frühstück war ihm im Moment viel wichtiger, als sich mit leerem Magen irgendwelche Verschwörungstheorien auszudenken.

Professor Triminitos sah Raphael zusammen mit Patric in den Speisesaal kommen und auf einen der Tische zugehen. Während eines kurzen Blickkontaktes winkte er Raphael zu sich.

„Was will der denn schon so früh am Morgen?“, schoss es Raphael durch den Kopf und ging schließlich zu Triminitos an den Tisch. „Guten Morgen, Herr Professor!“, gab er noch etwas motivationslos von sich.

„Guten Morgen, Raphael!“, erwiderte der Professor Triminitos und schien recht gut gelaunt zu sein. „Kommst du bitte nach dem Frühstück zu mir ins Lehrerzimmer?“

Eric stieß Phil mit seinem Fuß ans Schienbein. „Hast du das eben mitbekommen? Ich denke Berger kriegt eine Standpauke. Bestimmt wegen der Sache mit der Teleskopmauer!“, war sich Eric sicher und spitzte böswillig weiterhin seine Ohren.

Auch Raphael dachte sofort an seinen gestrigen Ausflug und bekam plötzlich ein ungutes Gefühl. „Selbstverständlich!“, würgte er hervor. „Ähm … darf ich fragen, worum er geht?“, hakte er vorsichtig nach und sein leerer Magen fühlte sich plötzlich wie ein großer Stein an. Sehr deutlich konnte spüren, dass der Professor ihn für ein paar Sekunden sehr eindringlich musterte. „Warum habe ich bloß nachgefragt? … Ich Idiot!“, schoss es Raphael durch den Kopf. Sein Magen verkrampfte sich noch mehr und aus dem Stein war inzwischen ein richtiger Felsklumpen geworden.