Die Taiping-Revolution in China (1851-1864) - Karl-Fritz Daiber - E-Book

Die Taiping-Revolution in China (1851-1864) E-Book

Karl-Fritz Daiber

0,0

Beschreibung

Die Taiping-Revolution in China (1851-1864). Ihre Wahrnehmung durch Missionare der Basler Mission und durch Karl Marx, Friedrich Engels, Mao Zedong und in der auf ihrer politischen Philosophie aufbauenden chinesischen Geschichtsschreibung in Einzeldarstellungen mit Randnotizen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 136

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Entstehungshintergrund und Zielsetzung der Untersuchung

Die Taiping-Bewegung und ihr protestantischer Hintergrund nach dem Forschungsstand der letzten Jahrzehnte

Die Wahrnehmung der Taiping-Revolution in Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels sowie bei Mao Zedong (Rezeptionsanalyse 1)

Die Wahrnehmung der Taiping-Revolution in zwei der kommunistischen Partei der Volksrepublik China nahestehenden Veröffentlichungen seit der Endphase der Kulturrevolution (Rezeptionsanalyse 2)

Die Wahrnehmung der Taiping-Revolution in der Zeitschrift der Basler Mission und in den missionswissenschaftlichen Arbeiten des Basler Missionars Wilhelm Oehler (Rezeptionsanalyse 3)

Literatur

Anhang

Auf den Spuren der Taiping – Eine Reise nach Nanjing im Frühherbst 2017

Entstehungshintergrund und Zielsetzung der Untersuchung

Anlass der hier vorgelegten Analysen war eine Auftragsarbeit des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Frage, ob und gegebenenfalls welche sozialen und politischen Einflüsse auf die konfuzianischen Kulturen Chinas und Südkoreas festgestellt werden können. Gedacht war an eine Veröffentlichung im Jahrbuch Sozialer Protestantismus, in einem Band, in dem in unterschiedlichsten Ländern die Wirkungen der Reformation gesucht und aufgezeigt werden sollten.

Zweierlei stellte sich schnell heraus. Einmal, dass ohne Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts keine der Sache angemessene Bearbeitung möglich war. Zum andern, dass die Fragestellung damit den vorgegebenen Umfang weit sprengte. So entstand für die Kulturen in China und Südkorea eine 2017 publizierte Aufsatzfassung als Fassung für eine Zusammenstellung von Arbeiten des Verfassers, in der weitere Studien zum Thema mitveröffentlicht worden sind (K.-F. Daiber, 2017). Bereits in der Fassung von 2017 sind Rezeptionsbeobachtungen enthalten. Eine relativ kurze Abhandlung berichtet von der Wahrnehmung der Taiping in einer Veröffentlichung der Berliner Mission von 1855, und davon angeregt ging es um die Rezeption der Taiping-Bewegung in den Werken von Karl Marx und Friedrichs Engels, verbunden mit der Frage, ob und wie deren Rezeption durch Mao Zedong weitergeführt worden ist. Vom Gesamtansatz her drängte sich insbesondere die Frage auf, ob überhaupt und gegebenenfalls wie der protestantische Hintergrund der Taiping-Bewegung dort wahrgenommen wurde.

Die Frage nach unterschiedlichen Formen der Rezeption erwies sich als so anregend, dass die begonnenen Studien über die Publikation von 2017 hinaus weitergeführt worden sind, und zwar in zwei ausgewählten gegensätzlichen Rezeptionslinien: Zum einen in der Rezeptionslinie, die die offizielle Wahrnehmung durch die Kommunistische Partei Chinas widerspiegelt, zum anderen in der Rezeptionslinie der protestantischen Chinamission, jetzt fokussiert auf die Basler Mission, die unter den deutschsprachigen Missionsgesellschaften die intensivsten Kontakte zu den Taiping-Führern aufzuweisen hatte.

Die vorgelegte Rezeptionsanalyse berücksichtigt also nur zwei Publikationsreihen, und zwar diejenigen, die von der Taiping-Bewegung auf der Ebene ihres ideologischen Hintergrunds am stärksten berührt waren.

Im Jahr 2012 ist in Hongkong eine Arbeit veröffentlicht worden, die die Vielfalt der Rezeption der Taiping während des 19. Jahrhunderts, also in relativer Zeitgenossenschaft, in Europa, speziell in Frankreich, Deutschland und Italien aufzeigt. Es handelt sich um den großen Aufsatz „The Images of the Taiping Heavenly Kingdom as Shown in the Publications in France, Germany and Italy during the Second Half of the Nineteenth Century”, vorgelegt von Wong Ching Him Felix, Dozent an der “The Chinese University of Hong Kong” (Wong Ching Him Felix, 2012). Wong geht davon aus, dass die Kenntnis der Vorgänge um die Taiping in Europa weit überwiegend über englische Publikationen vermittelt wurde. Er kennt durchaus auch deutsche Missionare wie Karl Gützlaff. Er kennt das Magazin für die neueste Geschichte der Evangelischen Missions- und Bibelgesellschaften (Wong 2012,140), er kennt auch einschlägige deutsche Sekundärliteratur. Er kennt den Basler Missionar Hamberg. Mit Recht sagt er, Hamberg und Gützlaff hätten die Taiping-Bewegung nur in ihren Anfängen gekannt. Offensichtlich kennt er die weiteren Veröffentlichungen der Basler Missionszeitschrift nicht. Dafür zeigt er indessen, in welch vielfältigen wissenschaftlichen Magazinen und gelehrten Zeitschriften in Deutschland damals die Taiping-Bewegung behandelt worden ist. Nicht zuletzt nimmt er auf Karl Friedrich Neumann Bezug (etwa 158. Neumann war einer der ersten deutschen Sinologen. Er lehrte in München. Bei ihm studierte Thomas Taylor Meadows, dessen Darstellung der Taiping in bearbeiteter Form 1857 in Deutsch erschienen ist). Wong stellt insbesondere die Rezeption der religiösen Orientierung der Taiping ausführlich dar (161-172). Im Zusammenhang meiner hier vorliegenden Studie bezieht sich der Hinweis auf Wong indessen nur auf dessen Beobachtung der Vielfalt der Beschäftigung mit den Taiping in Europa, nicht zuletzt in Deutschland.

Die Materiallage für die Rezeption der Taiping im kommunistischen China ist für denjenigen, der des Chinesischen nicht mächtig ist, dürftig. Nur die beiden hier behandelten Publikationen standen mir zur Verfügung. Dies heißt nicht, dass es keine Taiping-Forschung an den Universitäten in Festlandchina gibt (Hinweise auf einige Arbeiten finden sich am Ende des Literaturverzeichnisses), wohl aber, dass offenbar keine oder zumindest nur wenige Studien in Englisch oder Deutsch publiziert worden sind. Die mir zur Verfügung stehenden Arbeiten geben indessen einen Eindruck davon, in welche Richtung wohl auch andere chinesische Publikationen laufen.

Was die Rezeption der Taiping-Bewegung durch die Basler Mission angeht, ist die Materiallage geradezu hervorragend. In den beiden Basler Zeitschriftenfolgen finden sich Berichte und Analysen von 1853 bis zum Ende des Taiping-Reiches 1864 sowie einige Ergänzungen in den folgenden Jahren. Dazu kommen zwei spätere Veröffentlichungen von Wilhelm Oehler, erschienen 1923 und 1950.

Sowohl Oehlers Arbeiten als auch die Artikel in der Zeitschrift werden jeweils so ausführlich wie möglich präsentiert. Entsprechendes gilt für die beiden Publikationen aus dem staatskommunistischen Umfeld. In der Regel wird Kapitel um Kapitel vorgestellt und Charakteristisches zitiert. Es soll deutlich werden, wie unterschiedlich die Sichtweisen und die Urteile über die Taiping sein können.

Die Arbeit schließt ab mit einem Bericht über Erfahrungen und Entdeckungen in Nanking. Im Frühherbst 2017 haben meine Frau und ich uns dort aufgehalten, nicht nur, aber doch so gut wie möglich auf den Spuren der Taiping.

Die Taiping-Bewegung und ihr protestantischer Hintergrund nach dem Forschungsstand der letzten Jahrzehnte

Die Anfänge des protestantischen Christentums in China sind unübersehbar mit einem Ereignis verbunden, das die Geschichte Chinas in der Mitte des 19.Jahrhunderts geprägt hat, nämlich mit der Taiping-Rebellion, dem Taiping-Aufstand, der Taiping-Revolution und dem Taiping-Reich mit seiner Hauptstadt Nanjiing seit 1853 bis zu ihrer Wiedereinnahme durch kaiserliche Truppen 1864. Dieses Teilreich umfasste den größten Teil Chinas südlich des Yangtses. In den kriegerischen Auseinandersetzungen und im weiteren Prozess der Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs der Taiping sind Millionen Menschen umgekommen.

Um es vorweg zu sagen: Der Taiping-Aufstand ist einer von vielen Aufständen in der chinesischen Geschichte. Aufstände traten immer in gesellschaftlichen Krisensituationen auf. In China waren es in erster Linie Bauernaufstände. Die einfachen Bauern waren immer diejenige Bevölkerungsgruppe, die am stärksten unter Krisen zu leiden hatte, seien es Krisen durch Naturkatastrophen, seien es politische oder wirtschaftliche Krisen. Sie verliefen häufig nach einem ähnlichen Muster und könnten in den Sturz der jeweiligen herrschenden Dynastie münden (dazu: W. Franke 1954, 149–152). Rebellionen waren bis ins 19. Jahrhundert hinein fast regelmäßig Aktionen religiöser Gruppierungen, insbesondere von volkstaoistischen Geheimgesellschaften, auch von ethnischen Gruppierungen mit eigenen religiösen Traditionen, etwa den Tibetern unter der Führung von buddhistischen Mönchen, und von Muslimen, vor allem in den Grenzregionen des Reiches wie der Provinz Xinjiang oder dem minoritätenreichen Yunnan. Etwa gleichzeitig mit dem Taiping-Aufstand kam es in Yunnan zu einer Muslimrebellion gegen die Dynastie der Qing, die zur Errichtung eines Sultanats in Dali führte. Erwartungsgemäß kam es auch zu Kontakten zwischen den Aufständischen von Yunnan und den Taiping (Spence 1995, 233-239). In den Randgebieten Chinas verbanden sich mit der Ablehnung der Zentralgewalt häufig separatistische Tendenzen.

Die Untersuchungen zum Taiping-Reich sind zahlreich; von Anfang an sind die Analysen in hohem Maße von den jeweiligen Standpunkten der Analytiker geprägt. Dies gilt für die Äußerungen von Karl Marx, auf die später noch eingegangen wird, ebenso wie für die Wertungen seitens der nationalen Bewegungen in China seit Mitte des 19. Jahrhunderts, erst recht für offizielle Stellungnahmen des kommunistischen China. In der deutschen Presse der letzten Jahre findet der Taiping-Aufstand deshalb Aufmerksamkeit, weil Parallelitäten zwischen dem Taiping-Reich und dem Islamischen Staat festgestellt werden – zu Recht festgestellt werden –, wobei gleichzeitig die Unterschiede, die zwischen beiden Ereignissen bestehen, außer Acht bleiben. Gottesstaat ist nicht gleich Gottesstaat, zumal in dieser Perspektive moderne Diktaturen, die von säkularen Ideologien geprägt sind, unberücksichtigt bleiben.

Wissenschaftliche Bemühungen um die Taiping-Revolution finden sich bei Vertretern der Globalgeschichte, so bei Christopher Bayly und Jürgen Osterhammel (Bayly 2008, in den Kapiteln „Legitimationskriege in Asien“ und „Ökonomische und ideologische Ursachen der asiatischen Revolutionen“ und Osterhammel 2016 in dem Teil „Die Taiping-Revolution in China“. Auf diese Arbeiten hat mich Matthias König aufmerksam gemacht. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass ich Osterhammel vor allem darin zustimme, dass ich die Taiping-Bewegung nicht chiliastisch-messianisch verstehe, sondern höchst diesseitig im Zusammenhang mit der chinesischen Tradition, politische Neuordnungen über einen gewaltsamen Dynastiewechsel zu erzwingen, dies jetzt auf der Basis eines westlichen religiösen, protestantischen Orientierungsmusters.).

Doch wer sind nun die chinesischen Protestanten, die das Himmlische Königreich ausriefen und zu verwirklichen versuchten? Ich orientiere mich bei dieser Kurzdarstellung im Wesentlichen an Untersuchungen von Wolfgang Bauer (1974, 376-411), Wolfgang Franke (1954), Jonathan D. Spence (1995, 205-239) und Jonathan D. Spence (1996). Jacques Gernet ordnet den Taiping-Aufstand in den explosiven sozialen Kontext ein, der Mitte des 19. Jahrhunderts in China bestand (Gernet 1983, 458-473).

„Taiping Tianguo“ meint: „Das Himmlische Reich des großen Friedens“ (Spence 1995, 215). Der Gründer der Bewegung ist Hong Xiuquan (18141864). Er ist armer Leute Kind. Die Familie gehört zum Volk der Hakka, die ihrerseits zu den Hanchinesen gezählt werden. Die Verwandtschaft tut alles, damit er die konfuzianischen Examina, die die Beamtenlaufbahn eröffnen, absolvieren kann. Im ersten höheren Examen scheitert er, auch nach der erlaubten Wiederholung. Er durchlebt eine schwere psychische Krise und hat dabei ein Traumerlebnis, das er nicht deuten kann: Ein würdiger alter Mann, zusammen mit einem jüngeren, begegnet ihm. Jahre später liest er ein längst in seinem Besitz befindliches christliches Traktat, das offenbar auch die Dreieinigkeitslehre expliziert. Diese Lektüre eröffnet ihm die Deutung des nicht vergessenen Traums: Es ist Gott Vater, der ihm begegnet ist, mit Gott Sohn. Er erlebt die Vision neu und weiß sich fortan als zweiter Sohn Gottes, berufen dazu, das himmlische Reich in China aufzurichten. Er beginnt zu predigen. Issaschar Roberts, ein freier Missionar, der aus Kreisen der südlichen Baptisten in Nordamerika stammt, unterrichtet ihn in Hongkong. Roberts war zeitweise Mitstreiter des deutschen freien Missionars Karl Gützlaff, der große Teile des Alten und Neuen Testaments ins Chinesische übersetzt hatte. Diese Übersetzung war vielfach die Grundlage der biblischen Traktatliteratur, die einheimische Missionare bei ihrer Verkündigungstätigkeit einsetzten.

Durch seine enthusiastischen Predigten und seine radikale Entschlossenheit, die sich auch in ikonoklastischen Aktionen gegen volksreligiöse, konfuzianische und buddhistische Spruchtafeln, Bilder und Statuen richtete, gewann Hong Xiuquan zunächst in Hongkong, dann unter seinen Verwandten und überhaupt unter den Hakka-Bergbauern in der Provinz Guangxi mehr und mehr Zulauf. So entstand nach und nach die Bewegung der God-Worshippers, eigentlich Evangelisten. In der Provinz Guangxi blühte damals das Bandenunwesen. Die Hakka-Bauern, die noch auf ihren Anwesen arbeiteten, wurden immer wieder überfallen und ausgeraubt. Hong und seine Leute stellten sich auf die Seite der Armen und griffen in wachsendem Umfang auch militärisch ein: So bildete sich eine Armee von Gotteskriegern. Man rechnet damit, dass Hong 1850 zwischen 10 000 und 30 000 Anhänger hatte. Die religiöse Sekte war so zur politischen Bewegung geworden, die nicht nur für den Schutz der Armen eintrat, sondern auch die Ablösung der Mandschu-Dynastie zum Ziel hatte. Am 11. Januar 1851 erklärte Hong die Gründung des „Himmlischen Reiches des großen Friedens“ und sich selbst zum „Himmlischen König“ des neuen Reiches. Damit begann denn auch der Marsch zur erwählten Hauptstadt Nanjiing, die im März 1853 erobert wurde. Die dortige mandschurische Bevölkerung wurde ermordet (Spence 1995, 215).

Während der Zeit des Bestehens der Taiping-Herrschaft traten im Laufe der Jahre wichtige Veränderungen ein. So zog sich der Himmlische König aus der Exekutive weitgehend zurück, blieb aber die letztmaßgebende religiöse und politische Autorität als Staatslenker, Theologe, und Prediger des Himmlischen Reiches. Die Ausdehnung nach Norden gelang nicht mehr, auch nicht die innere Konsolidierung des neuen chinesischen Südreiches. Querelen der Mächtigen führten zur Schwächung. Zudem konnten sich die Armeen der Qing-Kaiser wieder regenerieren. Die Briten und die Franzosen schlugen sich letztendlich auf die Seite der Kaiserlichen. 1864 wurde Nanjiing zurückerobert. Hong hat sich vermutlich selbst das Leben genommen.

Ist dieses Taiping-Reich wirklich ein Teil der Geschichte des Protestantismus in China?

Die frühe Phase der Bauernrevolution erinnert auch an die deutschen Bauernunruhen des 16. Jahrhunderts, ebenfalls von Theologen befeuert. Und die Taiping in Nanjing erinnern an die Herrschaft der Täufer in Münster, ebenfalls von Theologen zumindest mit angeführt.

Hong Xiuquan verstand sich als Auserwählter des Himmelsvaters, als Gottes chinesischer Sohn, als jüngerer Bruder Jesu. Der jüngere Bruder ist nach konfuzianischer Tradition dem älteren zum Gehorsam verpflichtet. Und auch dies entstammt der chinesisch-konfuzianischen Tradition: Der chinesische Kaiser, als Himmelssohn verstanden, ist Ausdruck der weltumspannenden Bedeutung des chinesischen Reiches und seines Herrschers. Es ist also China, in dem und durch das das Himmlische Reich auf der Erde Gestalt gewinnen soll, und zwar sichtbar und jetzt. Für Hong ist das Reich Gottes nicht nur im Himmel, sondern auch gerade auf Erden soziale und politische Wirklichkeit (Bauer, 405 und 406. Dort übersetzte Zitate von Hong zu seinem Reich-Gottes-Verständnis). Anders formuliert: Die Taiping-Bewegung ist nach Hongs Verständnis Transformation auf das Reich Gottes hin. Nicht zuletzt auch auf Grund dieser Theologie sind die Taiping gescheitert: Religiöse Utopien dieser Art enden unter politischen Realitätsbedingen in der Frustration oder geradezu notwendigerweise im religiösen Totalstaat.

Dieser Staat hatte unter Hong auch eine utopische Komponente. Grundzüge eines christlichen Kommunismus, der den Unterschied zwischen Arm und Reich konsequent aufhebt, wurden sichtbar. Dies zeigt eindrücklich ein von Wolfgang Bauer übersetzter Auszug aus der 1853 erlassenen „Bodenregelung der Himmlischen Dynastie“ (Bauer, 395-397): Im Agrarstaat China sollen absolut gleiche Lebensbedingungen herrschen. Allein die Größe der Familie bestimmt über den in der Familie bleibenden Ertrag landwirtschaftlicher Arbeit. Was über dies hinausgeht, fällt an den Staat, der es an Familien in Gebieten verteilt, in denen keine reiche Ernte erzielt worden ist. „Auf diese Weise soll das ganze Volk unter dem Himmel sich des Glücks erfreuen, das der Himmlische Vater, höchster Herrscher, höchster Gott, verliehen hat.“ (Bauer, 396). Man wird schwer umhinkönnen, in solchen Formulierungen Vorformen der globalen Entwicklung zu Menschenrechtskatalogen zu entdecken. Nicht zuletzt auch dies ist ebenfalls bemerkenswert, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen programmatisch erklärt und praktisch zu verwirklichen versucht wurde, auch in der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in den Taiping-Armeen.

Gut erkennbar wird, dass die Gesellschaft der Gleichen eine formierte Gesellschaft ist: So sollen jeweils Ortsgemeinschaften unter einem Gruppenleiter zusammengefasst werden. Dieser sichert die Ordnung der Gleichheit und des Ausgleichs zwischen den Familien, aber auch die sittlich-religiöse Ordnung des Zusammenlebens. Für jeden Gruppenverband soll nicht nur eine gemeinsame Kasse geführt, sondern auch eine Kirche gebaut werden, in der der Gruppenleiter predigt und die biblischen Worte auslegt. Die Kinder sollen Tag für Tag unterwiesen werden. Die ganze Gemeinde soll am Sabbat zusammenkommen. Auch für Hochzeitsfeiern, Geburtsfeiern und für Begräbnisse ist der Gruppenleiter zuständig. Es gibt also keine Trennung von „weltlich“ und „geistlich“. Das ganze Leben ist religiös geprägt und seine Ordnungen religiös durchkomponiert. Die Anbetung des Himmlischen Vaters bleibt zentral, auch mit der Folge, dass die alten Gebräuche abgeschafft werden (Bauer, 396-397). Religiöser Pluralismus oder die Freiheit, den eigenen Lebensentwurf zu wählen, haben hier keinen Platz. Freiheitlich ist dieser Staat nicht. Manches liest sich, als ob hier die Entwürfe der gesellschaftlichen Ordnung der kommunistischen Systeme unter einem protestantischen Vorzeichen ihre erste Ausformung gefunden hätten.

Dass das Gewaltpotential der Taiping-Bewegung nicht nur durch die politischen Problemlagen des damaligen Südchina wirksam geworden ist, sondern auch durch das Interesse an der pragmatischen Umsetzung einer religiösen Programmatik und damit überhaupt an der Bedeutung, die einer politisch-theologisch begründeten „Orthodoxie“ im Gesamtsystem der Taiping-Bewegung zukommt, wird neuerdings auch von Gier herausgestellt (Gier 2014, 221-240, bes. 237-238). Gerade dem Ansatz bei der Schriftauslegung und der darauf ruhenden Dogmatik von Hong liege eine äußerst religiös fundierte Intoleranz zugrunde. Ganz allgemein gilt für Gier, dass orthopraktische Orientierungen weniger zur Intoleranz anderem Denken und Handeln gegenüber neigen als (lehr-)orthodoxe im strengen Sinne. Man tut gut daran, diese These im Auge zu behalten, auch wenn man nicht übersehen darf, dass dies nicht allein für religiöse Denksysteme gelten kann, sondern auch für politische Ideologien, vielleicht sogar für den Dogmatismus als individuelles Lebensmuster.

Ergänzend zur ethisch-politischen Ebene: Bauer weist darauf hin, dass insbesondere die Ausformung des Gleichheitsprinzips sich durchaus auch