Die Tempelritter-Saga - Band 20: Die Stunde des Rächers - Mattias Gerwald - E-Book
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Die Tempelritter-Saga - Band 20: Die Stunde des Rächers E-Book

Mattias Gerwald

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Beschreibung

„Wenn die Stunde der Rache Gottes gekommen ist, werden wir strafen und das Böse ausmerzen“: „Die Tempelritter-Saga“ jetzt als eBook bei dotbooks. Der Tempelritter Henri de Roslin und seine Freunde erhalten einen verzweifelten Hilferuf aus London: Ihr Freund Joshua benötigt dringend ihre Unterstützung in einer Angelegenheit, die er nur persönlich mitteilen kann. Also reisen die Gefährten in die englische Metropole. Doch als sie dort eintreffen, fehlt von Joshua jede Spur. Wurde er entführt? Sie begeben sich auf eine gefährliche Suche – bei der sie auf einen alten Widersacher treffen, der den Tag seiner grausamen Rache jahrelang herbeigesehnt hat und nun endlich gekommen sieht … Die Tempelritter, der mächtigste Orden des Mittelalters: Eine packende Abenteuer-Saga, die mehrere Kontinente und Jahrzehnte umspannt! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 416

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Über dieses Buch:

Der Tempelritter Henri de Roslin und seine Freunde erhalten einen verzweifelten Hilferuf aus London: Ihr Freund Joshua benötigt dringend ihre Unterstützung in einer Angelegenheit, die er nur persönlich mitteilen kann. Also reisen die Gefährten in die englische Metropole. Doch als sie dort eintreffen, fehlt von Joshua jede Spur. Wurde er entführt? Sie begeben sich auf eine gefährliche Suche – bei der sie auf einen alten Widersacher treffen, der den Tag seiner grausamen Rache jahrelang herbeigesehnt hat und nun endlich gekommen sieht …

Die Tempelritter, der mächtigste Orden des Mittelalters: Eine packende Abenteuer-Saga, die mehrere Kontinente und Jahrzehnte umspannt!

Über den Autor:

Mattias Gerwald ist das Pseudonym des Erfolgsautors Berndt Schulz, dessen Kriminalreihe rund um den hessischen Ermittler Martin Velsmann ebenfalls bei dotbooks erscheint: „Novembermord“, „Engelmord“, „Regenmord“ und „Frühjahrsmord“. Er lebt in Frankfurt am Main.

Unter dem Namen Mattias Gerwald veröffentlichte er historische Romane, in denen entweder eine außergewöhnliche Persönlichkeit oder ein ungewöhnliches historisches Ereignis im Mittelpunkt steht. Er gilt als Experte für die Geschichte der europäischen Mönchsritterorden.

Für die Tempelritter-Saga schrieb Mattias Gerwald folgende Bände:

Die Tempelritter-Saga – Band 5: Die Suche nach Vineta

Die Tempelritter-Saga – Band 8: Das Grabtuch Christi

Die Tempelritter-Saga – Band 9: Der Kreuzzug der Kinder

Die Tempelritter-Saga – Band 18: Das Grab des Heiligen

Die Tempelritter-Saga – Band 20: Die Stunde des Rächers

Die Tempelritter-Saga – Band 24: Die Säulen Salomons

***

Neuausgabe Juni 2016

Dieses Buch erschien bereits 2006 unter dem Titel Joshua in Gefahr bei Pabel-Moewig Verlag

Copyright © der Originalausgabe 2006 by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Copyright © der Neuausgabe 2015 bei dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/artforce und shutterstock/Kiselev Andrey Valerevich

ISBN 978-3-95520-831-8

***

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Mattias Gerwald

Die Stunde des Rächers

Die Tempelritter-Saga

Band 20

dotbooks.

ERSTER TEIL

1

Frühling 1321. Aleppo, Nordsyrien

Schon am Morgen war es sehr heiß. Uthman ibn Umar dachte fieberhaft nach. Diese ständige Wiederholung musste etwas zu bedeuten haben. Die Sache war ihm nicht geheuer. Es konnte durchaus ein Zeichen sein, und dann musste er handeln. Doch wie? Und was, wenn er sich irrte? Es war zum Verzweifeln. Bei dieser Hitze konnte man einfach nicht klar denken. Uthman kam zu keinem Ergebnis, und so verschob er alle weiteren Überlegungen auf einen späteren Zeitpunkt.

Es war Markttag, und die Läden und Stände im Souk hatten geöffnet. Die Händler breiteten ihre Waren auf Teppichen und Tischen rund um die Omayyadenmoschee und das Hospital des Nuredin sogar im Freien aus; vor allem im Maristan Nuredin standen die Bretterbuden und Stände dicht an dicht.

Uthman nahm im Vorbeigehen ein paar Datteln mit und spuckte die abgekauten Kerne auf die Erde. Die Verkäufer kannten ihn, und jeder wollte ihn in ein Gespräch verwickeln. Aber der Sarazene winkte ab; er wechselte lediglich ein paar Worte mit den Verkäufern und schlenderte weiter.

Hier, im Hauptbereich des Marktes, teilte sich der Strom der Menschen. Die einen kamen aus der Richtung des großen Sees, der sich aus dem Wasser der drei Flüsse speiste, die in Aleppo zusammenflossen, die anderen liefen in die genau entgegengesetzte Richtung, hinunter zum Ufer. Es waren hauptsächlich Pilger, die zu den Heiligtümern der Stadt unterwegs waren, und Gläubige, die auf kleinen Dhaus aus dem Süden hergekommen waren, um die Moscheen zu besuchen, denn in ihren Heimatorten gab es keine bedeutenden Gebetshäuser, und die hiesigen, die Maulbeerbaum-Moschee, die Moschee al-Bahramiye, die Khosrowiye-Moschee und die Tawachi-Pascha-Moschee, waren im ganzen Land berühmt.

Uthman begann zu schwitzen, er ging nun gemächlicher. Er hatte noch einige Stunden Zeit, bevor er Laila treffen würde, ein junges Mädchen aus der Familie al-Bakr. Unterdessen konnte er in Ruhe darüber nachdenken, ob es tatsächlich richtig gewesen war, nach Syrien zurückzukehren. Er hatte sich auf Zypern von seinen Freunden getrennt, weil er Heimweh hatte. Doch war es richtig gewesen, die Gefährten zu verlassen? Würde er sie irgendwann noch einmal wiedersehen? Inschallah!, dachte Uthman. Er selbst konnte es nicht sagen, nur Allah, der Allerbarmer, konnte wissen, was die Zukunft bringen würde.

Die Zeichen waren beunruhigend. Am Morgen seiner Ankunft war ihm im Traum ein großer, weißgekleideter Mann erschienen, der ihm das Herz aus dem Leib riss, es von einem Begleiter waschen ließ und ihm anschließend wieder in den Körper einsetzte. Das Seltsamste daran war, dass dieser Begleiter seinem Freund Joshua glich, der, wenn das Schicksal es gut mit ihm gemeint hatte, zurzeit in London weilte.

Zur Mittagszeit wurde die Hitze unerträglich. Selbst rund um den hohen Hügel mit den mächtigen, abfallenden Quadern der Zitadelle, wo die Brise von den Flüssen her nur für eine geringe Abkühlung sorgte, war es kaum auszuhalten. Nichts half gegen den gnadenlosen Brand der Sonne, es sei denn, man tauchte in die schmalen Schluchten des Bayada-Viertels ein, wo man zwischen alten Häusern, die sich beinahe berührten, unter straffgespannten Leinen hindurchging, von denen überwiegend weiße Wäsche herabhing. Dort, wo das Durcheinander von Menschen aller Rassen, Hautfarben und Altersstufen besonders groß war, gab es ein wenig Schatten, der für etwas Abkühlung sorgte.

Aber weiter im Süden, wo die vielen Menschen an diesem Morgen herkamen, im flachen, der glühenden Sonne schutzlos ausgesetzten Wüstenland, versank man völlig in einer weißglühenden Gnadenlosigkeit, in der selbst die Steine zu schmelzen schienen. Dort roch man noch nicht einmal etwas anderes als Hitze, selbst nicht den Kamelmist, der vor den flachen Häusern lag.

Hier in Aleppo hingegen war die Luft getränkt von Wohlgerüchen, es duftete nach Früchten, Salz, Kaffee und Weihrauch, aber auch nach Schweiß, Geschlachtetem und süßlichem Moschus, das die reicheren Frauen auf ihre behaarten Körperstellen auftrugen.

Uthman wurde eingekeilt, er ließ sich von der wogenden Menge durch das Viertel der Koranschulen leiten. Er fühlte sich wie der Teil einer Welle und schloss die Augen. Überall spürte er die Berührungen durch fremde Körper. Er stellte sich vor, er schwebe und würde von den Bewegungen des Windes hin und her getragen wie einer jener körperlosen Engel, von denen der Prophet Mohammed einst erzählt hatte.

War die Gestalt in seinem Traum ein solcher Engel gewesen? Und wenn ja, was hatte sie ihm bedeuten wollen? Als Uthman die Augen wieder öffnete, kam eine Herde Ziegen direkt auf ihn zu geprescht. Im letzten Augenblick sprang er zur Seite, wobei er Staub und den scharfen Geruch der Tiere einatmete, auf die die Hirten fluchend einschlugen.

Uthman ließ sich treiben. Er kam an der Medresse Sultaniye vorbei und betrat den kühlen, schattigen Hof der Schule. Im mittleren Wasserbassin erfrischte er sich, spülte das kühle Nass über Arme, Hals und Stirn. Dem Portal gegenüber lag der rechteckige Unterrichtsraum mit der riesigen Kuppel. Aus ihm drang ein Gesumse wie aus einem Bienenstock. Uthman ging einmal in dem Innenhof herum, legte eine Hand auf einen der vier Sarkophage des Sultans az-Zahir Ghazi, bestaunte die leuchtenden Flechtbänder an den umlaufenden Wänden – und dachte an Cordoba, wo er in der größten und bedeutendsten Bibliothek der Welt studiert hatte.

Plötzlich verspürte Uthman Sehnsucht nach Spanien und nach dem Tisch mit den Büchern, der in Cordoba auf ihn wartete – und den niemand außer ihm benutzen durfte.

Mit traurigen Augen und einem feinen Lächeln auf den Lippen verließ Uthman die Ruhe und einfache Schönheit der Medresse und trat auf die Straße hinaus, wo er sich von der Menge treiben ließ.

Ein Reiter auf einem nassen Pferd kam dicht an ihm vorbei, Pferde gab es hier selten, seit die Tataren auf ihren struppigen Tieren die Stadt überfallen und geplündert hatten. Auch die Mamelucken, die Aleppo später zur wichtigen Provinzkapitale ausgebaut hatten, waren auf Pferden durch die Stadt geritten. Seitdem waren den Aleppinern Pferde verhasst, und sie hielten nur noch Kamele. Uthman, der Pferde liebte, bewunderte den seidigen, muskulösen Körper des Tieres, das sich jetzt wenige Schritte von ihm entfernt aufbäumte und Schaumflocken spie.

Ein Karren polterte auf zwei großen Rädern heran, Uthman griff sich ein paar Nüsse, dann stellte er sich an den Rand des Marktplatzes unter ein Zeltdach und blickte über den Platz mit seinen Ständen und Menschen, Körben, Karren, Säcken und Holzgestellen. Er hatte den Orient mit seinen Gerüchen, der Hitze, den Stimmen, der Musik, den Ornamenten an den Häusern, den anmutigen Frauen in ihren langen, züchtigen Gewändern lange Zeit vermisst.

Er musste eine schwere Entscheidung treffen.

Wo war nur sein Diener? Er hatte ihn aus den Augen verloren. Jussuf wollte doch lediglich ein paar Besorgungen machen. Ob er sich unten am See aufhielt? Dort tanzten und beteten die Menschen während der Festtage zu Ehren Allahs. Nicht selten, zur Sensation der Schaulustigen, gerieten sie dabei in ekstatische Verzückung. Uthman, obzwar tiefgläubig, verlor niemals die Beherrschung, solche Szenen befremdeten ihn eher. Er gab sich jedoch einen Ruck, trat aus dem Schatten heraus, zog sein weißes Tuch über den Kopf und mischte sich unter die Menge.

Und da erblickte er Jussuf. Der Diener bewegte sich rhythmisch zu einer von ferne herüberklingenden Musik. Während Uthman ihn beobachtete, stellte er sich vor, wie er selbst einen besonderen Tanz tanzte, einen Tanz, den er in der Nacht zuvor beobachtet hatte, als er mit Jussuf in der Karawanserei Khan al-Wazir angekommen war. Sie hatten Stoffe von Beduinen aus der nördlichen Wüste dabeigehabt, die in Aleppos großen Khanen reißenden Absatz fanden.

In einem dunklen Winkel hatte Uthman einen nackten Mann entdeckt. Er lag auf dem Bauch und bewegte sich auf etwas, das hin und her bebte. Oh, wie schön und anmutig waren diese Bewegungen gewesen. Uthman kannte diesen besonderen Tanz, er hatte trotz seiner Müdigkeit Lust verspürt, ihn sofort nachzuahmen. Unter dem Mann, der eine glatte, dunkle Haut hatte, lugten weiße, grazile Arme hervor, die ihn dort umschlangen, wo er am verletzlichsten war.

Uthman hatte seine Augen nicht abwenden können und sehnsüchtig an Madeleine denken müssen, von der er sich auf Zypern getrennt hatte. Er verspürte Sehnsucht nach der einstigen Geliebten, die in ein Kloster eingetreten war. Uthman konnte noch immer nicht glauben, dass sie nun als Nonne ihr Leben fristete. Aber er hatte ihrer Entscheidung nicht widersprochen. Madeleine hatte ihre Schönheit in den Dienst ihres Glaubens gestellt. Müde und erschöpft war Uthman in der Karawanserei eingeschlafen.

Uthman rief seinen Diener, aber dieser hörte ihn nicht. Bevor ihn diese Pflichtvergessenheit seines Untergebenen vollends erzürnte, bemerkte er, dass auch dieser ihn offenbar suchte, denn er hielt von Zeit zu Zeit inne, reckte den Kopf und drehte sich um sich selbst – Jussuf besaß die eigentümliche Gewohnheit, nie über die eigene Schulter zurückzublicken.

Er ging hinunter zum Flussufer, wo in den Lagunen rund um das Viertel Hay Al Qurayat rote Flamingos standen, deren bizarres Spiegelbild im grünlich glänzenden Wasser schimmerte. Hier versammelte sich immer mehr feierndes Volk. Uthman lauschte der Musik von Zimbeln, Glocken und Oualas und betrachtete die Musikanten mit ihren zylindrischen Kopfbedeckungen. Alles schien sich wie unter einem Zauber in Farben und Tönen aufzulösen.

War es die Hitze, durch die alles zu verschmelzen schien, das blaue Licht, die sich bewegenden Menschenleiber, die Wellen mit ihren Schaumkronen? Es schien, als würden sich Himmel und Erde vereinen, wie die beiden Nackten in der Karawanserei.

Uthman empfand zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Aleppo eine innere Ausgeglichenheit und Ruhe. Es war ein kostbares Gefühl, das er sich so lange wie möglich bewahren wollte. Nach und nach, gelang es ihm, seinen verwirrenden Traum zu vergessen – vorerst zumindest.

Uthman dachte daran, dass auch er den besonderen Tanz bald wieder würde tanzen können. Man wollte ihm Laila anvertrauen, die Tochter eines befreundeten Stammesoberhaupts. Uthman sollte sie heiraten. Sie war ein wunderschönes Mädchen, dennoch wusste Uthman nicht, ob er die Verbindung mit ihr wirklich wünschte. Er war hin- und hergerissen zwischen zahlreichen widersprüchlichen Gefühlen. Doch er schwor sich, endlich eine Entscheidung zu fällen, wenn er Laila heute wiedersehen würde.

Uthman blickte in den wolkenlosen Himmel, hörte hinter sich das Schreien der Kinder, die dem Menschenstrom folgten, und beobachtete weiterhin seinen Diener, der eine gut, erkennbare grüne Tunika trug. Er wusste, dass es sich für ihn nicht geziemte, ihm hinterherzulaufen wie ein Zicklein dem Bock. Doch Standesdünkel waren ihm fremd. Er wusste, dass es auf andere Dinge ankam – zum Beispiel darauf, gute und richtige Entscheidungen zu treffen und zu ihnen zu stehen, sobald sie getroffen waren.

Eine solche Entscheidung hatte er bereits getroffen, als er nach Syrien zurückgekehrt war. Doch weitere standen ihm noch bevor.

*

Das weitläufige Tal wurde im Osten durch die tiefe Schlucht des Flusses Quwayq, im Westen durch den Bergriesen Abu Qubais abgeriegelt. Von Norden nach Süden führte ein Weg, den der heiße Wüstenwind immer wieder bis zur Unkenntlichkeit zuwehte.

Im Tal von Jabbul kochte die Hitze jeden Tag und sogar noch in der Nacht. Skorpione und giftige Schlangen, gefräßige Riesenameisen und ein tückischer Wurm, der sich in die Körperöffnungen von Menschen und Tieren hineinbohrte, nisteten in diesem Tal. Es war nicht dazu geschaffen, bewohnt zu werden. Aber gerade deshalb hatten sie sich hier niedergelassen. Hier konnten sie sich ungestört entfalten.

Die Bewohner der Stadt im Tal der Hitze, des Schweißes und der Gefahren glaubten, dass sich hier das Paradies befände. Zumindest war es nicht weit von hier entfernt. Denn die Pforte zum Paradies befand sich mitten in der Stadt. Und es gab keinen, der nicht eines Tages dort hindurchgehen wollte.

Die Pforte lag unmittelbar neben dem größten Brunnen der Stadt. Das Heiligtum hatte die Form eines Würfels, so wie im Süden der arabischen Halbinsel in Mekka die Kabaa, und war hier in eine Wand eingemauert, dort befand sich also das Symbol des mächtigsten Gottes, des Einzigen, des Allerbarmers. Der geheimnisvolle schwarze Stein, kleiner als in der Kaaba von Mekka, aber von beachtlicher Schwere, der von innen heraus strahlte und vor undenklichen Zeiten auf die Erde gekommen war, lagerte unter der größten Moschee Aleppos, der Omayyadenmoschee. Von wem er einst hierhergebracht worden war, das wusste niemand, selbst die Derwische nicht, und die Sufis hüllten sich in Schweigen. Vielleicht hatte Gott ihn selbst aus dem Himmel herabgeworfen?

Ibrahim, der Urvater aller Menschen, den die Juden in Aleppo Abraham nannten, hatte ihn jedenfalls neben der Quelle eingemauert. Und seitdem galt der Würfel als die Pforte zum Paradies. Jeder, der hierherkam, umkreiste ihn fünfmal und küsste ihn. Dann schritt er hindurch.

Die Kontrolle über die saubere Quelle des ummauerten Brunnens hatte seit jeher die mächtigste Familie in Aleppo inne, der Clan der Salamiyah. Er bestimmte, was in der Stadt geschah. Wurde dieser Großfamilie eine andere zu gefährlich, gab es Krieg. Brauchte sie Geld, Kamele, Salz, Stoffe, Weihrauch und Wein, startete sie einen ghazu, einen unbarmherzigen Raubzug. Sie überfiel Karawanen, bemühten sich dabei jedoch, niemanden zu töten, denn das hätte unweigerlich eine Blutrache zur Folge gehabt. Da ihre Krieger jedoch grausam und unbelehrbar waren, war Blutrache im Tal des Jabbul und in der gesamten Umgebung an der Tagesordnung.

Manchmal strebten die Stammesscheichs aber auch eine friedliche Lösung an, um den Streit zu schlichten, zum Beispiel durch geschickte Heiratspolitik. In langen nächtlichen Sitzungen, in denen gesüßte Ziegenmilch getrunken und enorme Mengen Lammfleisch in Hirsebrei verzehrt wurden, verkuppelte man die Mädchen der Familie mit den Söhnen der anderen Familie. Alles diente dem Interesse des eigenen Clans.

Die Herren von Aleppo waren reich. Sie hatten ihr Vermögen nicht im Schweiß ihres Angesichts mit der Bearbeitung des ausgetrockneten Bodens verdient. Sie verstanden nichts von Bewässerung, Bergbau oder Architektur. Sie gaben Dirham und ließen andere für sich arbeiten. Denn sie waren Kaufleute, Makler und Wucherer und hatten ihren Reichtum mit Karawanen gemacht. Und auch mit den Pilgern, die zur Pforte wollten.

Die Stadt mit der Pforte zum Paradies lag am Schnittpunkt wichtiger arabischer Handelsrouten, die hinauf ins Land der Türken, hinab in die Heiligen Länder von Palästina, Jordanien und bis nach Jiddah führten. Es waren reiche Karawanen, die diese Straße fast täglich entlangzogen, ihre Anführer zahlten gern und reichlich, wenn man ihre Sicherheit garantierte.

Die Gewährleistung der Sicherheit auf den Straßen war ein einträgliches Geschäft, denn es gab keine Polizeigewalt in der Arabia, und die Stämme der Umgebung kannten kein Gesetz. Mord war an der Tagesordnung, er galt in mancher Hinsicht sogar als Heldentat. Im dünnbesiedelten Arabien zwischen dem alten Halab im Norden und Taif im Süden hatten viele schon einmal getötet.

Mörder, Pilger, Viehtreiber, Nomaden und Kaufleute trugen so dazu bei, dass die Familie der Torwächter zum mächtigsten Stamm ganz Zentralarabiens aufgestiegen war. Sie hatte sich schon zum Ende des vorangegangenen Jahrhunderts in dem heißen, menschenfeindlichen Tal niedergelassen, und als die Mamelucken abgezogen waren, hatten sie deren Platz eingenommen. Das Land hier war nicht so fruchtbar wie in Südarabien, das der Monsunregen begünstigte. Hier war nur die erschreckende Ödnis, besiedelt von Wilden, welche die alten Griechen Sarakenoi genannt hatten, Menschen, die in Zelten hausten. Weder die heidnischen Reiche Jemen und Oman noch die weiter entfernten Nachbarn Abessinien im Südwesten und Byzanz im Norden hatten Interesse daran, die unwirtlichen Wüsten Arabiens zu erobern.

Äußere Feinde gab es für die reiche Familie also nicht. Ihr Ahnherr siedelte sich einst vor mehreren Generationen mit seinem Bruder Zuhrah und seinem Onkel Taym neben dem Heiligtum mit dem geheimnisvollen eingelassenen Stein von den Sternen an. Mit einer Mischung aus List und brutaler Gewalt war es gelungen, die Feinde zu bekämpfen, die bisherigen Hüter des Heiligtums, die Chuzaah, zu vertreiben und die Macht in der Stadt mit der Pforte zum Paradies an sich zu reißen.

Da die Mitglieder der reichen Familie jetzt nicht mehr selbst kämpfen wollten, schlossen sie Bündnisse mit den für ihre Unerbittlichkeit bekannten Beduinen der Umgebung. Und auch die Frauen gingen Bündnisse mit den Frauen der Beduinen ein: Sie übertrugen diesen die Aufgabe, ihre Kinder zu säugen. Nach den Gemetzeln, die die Beduinen in ihrem Auftrag durchführten, badeten die Männer ihre Hände am Heiligtum in Schalen mit Duftwasser, und ihre Frauen dachten kurz und hingebungsvoll an ihre weggegebenen Säuglinge. Dann beteten die Männer zu Allah. Und er vergab ihnen.

Die Frauen, die ihre eigenen Kinder nicht mehr säugten, hatten nun genug Zeit, um ihren Männern bei allen Geschäften zur Hand zu gehen. So wurden die Torwächter immer reicher und mächtiger. Und sie duldeten niemanden neben sich. Nicht in ihrer Hitzestadt, nicht in ihrem heißen, trockenen Arabien, nicht in Syrien, das sie für einen ganzen Kontinent, ja für die Welt hielten. Und in ihrer Hauptstadt, in Aleppo, dem uralten Halab, wachten sie besonders streng darüber, dass ihnen kein Feind ihren Besitz streitig machte.

Uthman glaubte, dass es an der Zeit war, dieser mächtigen Familie entgegenzutreten. Denn sie schrieb seiner eigenen, gottesfürchtigen Familie vom Stamm al-Mustansir, aus dem sogar schon Kalifen hervorgegangen waren, vor, was sie zu tun hatte. Das war auch schon früher so gewesen, bevor Uthman Syrien verlassen und mit seinem Freund Henri de Roslin ins Abendland gegangen war. Doch während der langen Jahre seiner Abwesenheit hatte Uthman diese Ungerechtigkeit ganz vergessen. Jetzt aber war er zurückgekehrt, und sie kam ihm mit aller Macht zu Bewusstsein.

In den vier Wochen, die er jetzt schon in Aleppo weilte, hatte sich Uthman die Verhältnisse genau angeschaut. Seine Familie war dankbar, dass er nach Hause zurückgekehrt war. Er war stark in jeder Hinsicht, und er wusste seine Stärke richtig einzusetzen. Das war es, was sie an ihm schätzten.

Uthmans Familie liebte den heimgekehrten Sohn so sehr, und sie wollten ihn so sehr in Aleppo behalten, dass sie eines Tages in aller Heimlichkeit beschlossen, ihn mit einem schönen Mädchen zu vermählen.

*

Es war der Tag, an dem auch die feindseligen Spötter der Salamiyah, die ohne Aufgabe und ohne Ziel waren, schwatzend um das Heiligtum im Zentrum von Aleppo schlenderten. Aswad, der Sohn des Muttalib, einer von Uthmans besonderen Feinden, wollte sich vor seinen Freunden hervortun.

Uthman betete am Schrein die erste Sure des Koran. Dir dienen wir, und dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen du Gnade erwiesen hast, und die nicht dem Zorn verfallen sind und nicht irre gehen …

Großspurig deutete Aswad auf Uthman und machte sich über ihn lustig. Schließlich bewarf er ihn mit Kamelmist.

Später erzählte man in Aleppo, dass der Engel Gabriel, der in Gottes Auftrag ebenso die Jungfrau Maria wie Uthman beschützte, neben den Angegriffenen trat, noch bevor dieser die zweite Sure hatte beginnen können. Er soll ein grünes Blatt vom Boden aufgehoben und es Aswad ins Gesicht geworfen haben. Der junge Mann schrie auf. Er torkelte. Er konnte nichts mehr sehen. Seine Augen blieben verschlossen.

Da kam ein anderer, Asam, der Sohn des Abdjaghuth, hinzu. Wütend wollte er Uthman treten. Aber Gabriel näherte sich wieder und deutete auf Asams Bauch, der daraufhin ebenso wie sein Hals und seine Beine unaufhaltsam und unförmig anschwoll; Asam starb noch in der nächsten Stunde. Als Walid, der Sohn des Mughira, vorbeikam, deutete Gabriel auf eine Narbe, die er sich Jahre zuvor am Knöchel zugezogen hatte, als er an einem Mann vom Stamm Chuzaa vorübergegangen war, der gerade seine Pfeile befiederte, wovon sich einer in seinem über den Boden schleifenden Gewand verfing und ihn am Fuß verletzte. Diese Narbe brach nun wieder auf, sie begann zu bluten und zu eitern, das Bein lief blau an, und Walid starb noch vor der Mittagszeit. Dann kam As, der Sohn des Wail, vorbei, er schmähte die gesamte Sippe der al-Mustansir, besonders den Vater Uthmans. Er wollte gerade andere Salamiyahs auf ihn hetzen, als Gabriel auf seine Fußsohle deutete. As verstand es nicht. Als er aber später mit seinem Esel nach Taif zog und das Tier nah an einem Dornbusch vorbeitrabte, drang seinem Reiter ein Dorn in den Fuß und tötete ihn.

So erzählte man später in Aleppo, und man war sicher, dass es der Engel Gabriel war, der in Gottes Auftrag gleichzeitig für die Jungfrau Maria wie für Uthman zuständig gewesen sei, der Uthman ibn Umar aus dem Haus al-Mustansir beistand. Und während man davon in den Kaffeehäusern sprach und Wasserpfeife rauchte, ließ man sich die Füße waschen.

Schließlich, so erzählte man weiter, kam noch Harith, der Sohn des Tulatila. Er achtete nicht auf den Engel und riss Uthman aus seinem Gebet, indem er ihn auf den Kopf schlug. Gabriel sprach nicht. Er deutete nur auf Hariths Kopf. Zum Schrecken der Umstehenden fielen dem jungen Mann die Haare aus. Eiter quoll aus seinem Kopf hervor und lief ihm übers Gesicht. Harith schrie vor Schmerzen und starb.

Die umstehenden Leute und vor allem die Salamiyahs waren starr vor Entsetzen. Sie hatten sich nicht vorstellen können, dass in ihrer Stadt, vor ihren Augen, etwas Derartiges geschehen konnte. Selbst der Muezzin blieb auf der Galerie stehen und verstummte.

War Uthman ibn Umar ein Dschinn? Stand er im Bann der bösen, heidnischen Christen, mit denen er jahrelang verkehrt hatte? Dass überhaupt etwas geschah, was gegen ihren Willen war, schien schon unglaublich zu sein. Nie zuvor hatte sich hier etwas Ähnliches zugetragen. Gehörte ihnen nicht alles in dieser Stadt und in diesem Land? Und war das nicht gottgewollt?

Dann lief einer davon, und zunächst allmählich, dann immer schneller folgten ihm die anderen. Sie liefen bis zum Maqam-Tor und weiter hinauf in das Djedeideh-Viertel und erzählten ihren Familien, was sie gesehen hatten.

Man hätte denken können, dass sie jetzt, wo Gott vor aller Augen Uthman zur Seite gestanden hatte, von dessen Glaubwürdigkeit überzeugt waren. Aber so dumm und feindselig, wie sie waren, wurden sie durch die Geschehnisse nur noch mehr angestachelt.

Blind vor Hass beschlossen sie, Uthman zu töten. Noch am gleichen Abend wollten sie auf Anraten ihres Führers Abu Sufyian und dessen Frau Hind zwei gedungene Mörder zu dessen Haus schicken. Aber es war nicht einfach, Männer zu finden, die diese Aufgabe übernehmen wollten.

*

Uthman träumte wieder seinen Traum. Er wachte auf und rätselte über die geheime Botschaft. War es der Engel Gabriel, der ihm diesen Traum eingab? Hatten die Bewohner Aleppos Recht, wenn sie sagten, dass Gabriel ihm zur Seite gestanden hatte? War das denkbar – und nicht etwa ein Frevel, überhaupt nur daran zu denken?

Im Traum hielt Joshua ein Schriftband empor. Uthman hatte versucht, es zu entziffern. War es in Ugarit geschrieben, in Aramäisch, Estrangelo? Er konnte es einfach nicht entziffern, obwohl ihm die Schrift vertraut vorkam.

Erschöpft wachte Uthman auf. Er blickte hinaus in die Ferne, wo die aufgehende Sonne gerade einen zarten, pfirsichfarbenen Schein auf den dunklen Himmel zauberte. Was war mit Joshua?

Der Traum verblasste allmählich mit dem aufsteigenden Morgenlicht. Uthman musste an Laila denken. Sollte er sie zur Frau nehmen und in Aleppo bleiben?

Dann dachte er an seine Gefährten im Abendland. Die Sehnsucht, sie wiederzusehen, wuchs von Tag zu Tag. Gleichzeitig aber wünschte er sich, in seiner Heimat zu bleiben. Uthman fühlte sich zerrissen.

Der Konflikt mit der Familie Salamiyah spitzte sich zu. Uthman musste sich diesem Kampf stellen; als Sohn des alten al-Mustansir war er zum Handeln gezwungen. Alles andere hätte ihn in den Augen seiner Glaubensbrüder zum Feigling gestempelt.

Dabei war Uthman alles andere als ein Hasenfuß. Das Gegenteil schien immer sein Problem gewesen zu sein – sein Kampfesmut, seine ungestüme, manchmal leichtsinnige Art. Früher hatte ihm der Dolch immer locker gesessen. Wenn er eine Schlacht gewittert hatte, hatten seine dunklen Augen gefährlich geblitzt, und er war nicht mehr zu halten gewesen. Um diesen Übermut zu zähmen, hatte sein Vater ihn eines Tages Henri de Roslin anvertraut, der ihn ins Abendland mitgenommen hatte. Im spanischen Cordoba hatte Uthman dann die Welt der Bücher entdeckt.

Aber jetzt, hier in der Heimat und angesichts der Ungerechtigkeit durch die Salamiyah, schlug sein altes sarazenisches Kämpferherz wieder wie in jungen Jahren. Nein, ein Feigling war Uthman wahrhaftig nicht.

Und um vor aller Augen auch gar nicht erst in diesen Verdacht zu geraten, ging Uthman an diesem strahlenden Tag in den Rat der Salamiyah, die Mala. Er wollte ihre Pläne erfahren. Eventuell würde es eine Gerichtsverhandlung geben, würde man ihm drohen und ihn vielleicht sogar verurteilen. Möglicherweise konnte er die führenden Köpfe des mächtigen Stammes aber auch überzeugen, einen friedlichen Weg zu beschreiten.

Uthman ging zum heiligen Stein, setzte sich dem Stein von den Sternen gegenüber, um die Kraft zu schöpfen, die er für einen Gang zu den mächtigen Clanführern brauchte. Er bat Allah um Inspiration und Stärke, um seine Sache gut zu vertreten. Dann küsste er den Stein, den Ibrahim in Allahs Auftrag auf die Erde gebracht hatte.

Die hohen Männer der Mala, die edlen Kaufleute und Karawanenkönige der Salamiyah, empfingen ihn im Haus des Qusajj ibn Kilab, wo sie ihre Beratungen abzuhalten pflegten. Sie saßen auf prächtigen Polsterbänken, zwischen den hohen Säulen, die das Dach des Versammlungssaales trugen, lagen wunderbar gewirkte Teppiche.

Uthman war noch nie hier gewesen. Er bewunderte die Schönheit des vom Sonnenlicht durchstrahlten Saales. Er betrachtete die kostbaren Möbel und Gegenstände ringsum, die von der Macht der Salamiyah zeugten, und er bemühte sich, sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Die Feindseligkeit, die ihm die hohen Herren der Versammlung entgegenbrachten, spürte er sofort. Die Salamiyah hassten ihn und seine Familie, sie würden nicht leicht zu besänftigen sein. Offenbar waren sie davon überzeugt, er wolle sich etwas aneignen, was allein ihnen gehörte.

Chalid ibn Walid, der Älteste der Sippen, wies Uthman einen Platz zu. Er strich sich lange über den weißen Bart, rückte seine Kopfbedeckung aus geflochtener Seide zurecht und sagte:

»Du hast deinen Stamm vor ein schwieriges Problem gestellt. Du trägst den Pilz der Spaltung in die Reihen der Salamiyah, denn du akzeptierst unsere Herrschaft nicht. Das berichtet uns Abu Lahab.«

Uthman konnte den Genannten nicht unter den Männern entdecken, und so entgegnete er selbstbewusst: »Abu Lahab lügt. Wollt ihr einen Lügner als Zeugen gegen mich aufrufen? Er hat mich beleidigt. Was ich von euch will, das ist Gastfreundschaft. Und dann will ich meine Meinung sagen dürfen, auch wenn ihr sie nicht richtig findet.«

Abu Walid fuhr unbeeindruckt fort: »Du hast den Streit mit uns angezettelt. Wir wissen nicht, warum. Willst du uns vielleicht erpressen?«

Uthman blieb ruhig. »Wir liegen im Streit, das ist wahr. Es geht um das rechte Maß der Macht. Vielleicht geht es auch nur um Gott, den Allmächtigen. Denn er lehrt uns Gerechtigkeit. Ihr aber maßt euch an, alles zu besitzen. Das kann meine Familie nicht dulden! Wir müssen uns also miteinander verständigen.«

Die Selbstsicherheit des Mannes, der sich so lange nicht um die Verhältnisse in seiner Heimat gekümmert hatte, ärgerte Abu Walid. Er sah zwar ein, dass Uthmans Standpunkt durchaus von Nutzen für die Geschäfte der Salamiyah sein konnte – dann nämlich, wenn Frieden herrschte –, aber er wollte das vor den versammelten Führern nicht zugeben, deshalb sagte er höhnisch: »Wie viel willst du? Wir sind bereit zu bezahlen. Vielleicht fasziniert dich aber auch eher die Macht? Wenn das so ist, werden wir dich in unseren Rat einbeziehen. Du wirst eine hohe Position einnehmen, nichts soll mehr ohne dich beschlossen werden.«

Uthman schluckte. Er konnte nicht glauben, dass sie ihm eine solch niedere Gesinnung zutrauten. Sie beleidigten ihn wie einen hergelaufenen Kameltreiber! Es ärgerte ihn, dass er sich vor ihnen rechtfertigen musste. Er schwieg.

Abu Walid sagte: »Ist es etwas anderes? Wenn du von einem bösen Geist besessen bist, den du nicht loswerden kannst, so wollen wir einen Arzt suchen und ihn von unserem Geld bezahlen. Er soll dir Heilung bringen, auch wenn es uns ein Vermögen kostet. Es kommt häufig vor, dass jemand von einem solchen Geist befallen ist. Allein ist der Kranke dann völlig hilflos.«

Die Versammlung murmelte zustimmend. Einige Männer streckten die Arme aus wie im Gebet, sie hielten die offenen Handflächen nach oben, als erwarteten sie etwas.

Uthman sagte endlich: »Allah hat mich zu euch geschickt, um euch zu warnen. Nehmt ihr meine Worte an, so wird es im Diesseits und im Jenseits zu eurem Vorteil sein. Lehnt ihr sie ab, so will ich geduldig Allahs Ratschluss erwarten, bis Er zwischen uns richtet.«

Die Männer spürten, dass er keine Angst vor ihnen hatte, sie murrten und redeten durcheinander.

»Du behauptest, mit Gott zu sprechen und dass Gabriel dir beisteht? Und spricht er etwa auch mit dir? In welcher Sprache? Spanisch? Syrisch? Französisch?«

»Da ich ihn verstehe, wird er in unserer Sprache sprechen, der Sprache der Aleppiner.«

»Das ist Frevelei!«, rief ein junger Mann.

Abu Sufyian, einer der Ältesten der Sippe, sagte in seinem gewohnt spöttischen Ton: »Er nährt sich von Speisen und geht auf dem Markt umher wie wir selbst. Wenn nicht ein Engel zu ihm herabsteigt, wie er behauptet, und sich als Prediger neben ihn stellt oder wenn ihm kein Schatz aus dem Himmel herabgeworfen wird oder wenn ihm sein Gott kein Gartengrundstück zur Verfügung stellt, aus dem er Profit ziehen kann, so glaube ich ihm nicht!«

Der Sklavenhändler Ibn Dschoddan mischte sich ein. »Uthman, du bist wahnsinnig, wenn du dich gegen uns stellst! Ein böser Geist ist in dich gefahren! Er ist ein Besessener!«

Uthman schwieg zu alledem. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, in das Haus der Herrschersippe zu gehen. Er wollte nicht zurückweichen, aber ihre Feindschaft war zu groß.

Abu Walid sagte: »Uthman, dein Vater war bis zu seinem letzten Tag ein besonnener Mann gewesen, du aber bist voller Feindschaft und Unruhe. Aber du sollst Gelegenheit haben, zu sprechen. Schildere uns deinen Standpunkt.«

Aber bevor er antworten konnte, fuhren vor allem die jüngeren Männer der Sippe fort, ihn zu verspotten.

»Wenn du schon keines unserer Angebote annimmst, dann veranlasse doch deinen Herrn im Abendland, der dich zu uns geschickt hat, er möge diese trockenen Berge hier ringsum wegbewegen, damit unser Land eben wird.«

»Ja! Und er möge darin Flüsse entspringen lassen!«

»Vielleicht kann er auch unsere verstorbenen Ahnen wiedererwecken. Dann werden wir sie fragen, ob du die Wahrheit sprichst oder nicht. Bestätigen sie deine Worte, und kannst du bewirken, worum wir dich gebeten haben, so glauben wir dir und sind überzeugt, dass du der Freund des Erzengels Gabriel bist.«

Uthman sagte mühsam beherrscht: »Um solche Beweise zu erbringen, bin ich nicht zu euch gekommen. Allah ist kein Schausteller, der es nötig hat, sein Publikum mit Kunststücken zu erobern. Eine Offenbarung habe ich euch nicht zu bringen. Ich will nur, dass ihr anerkennt, dass in Aleppo mehrere Familien leben, die Anspruch auf den Reichtum unserer Region haben. Die durch ihrer Hände Arbeit daran teilhaben dürfen. Und es darf keine Gewalt geben.«

Der gebildete Abu Sufyian erwiderte: »Wenn du schon nichts für uns tun willst, so sorge wenigstens für dich selbst. Bitte deinen Engel, dass er deine Worte bestätigen kann. Bitte ihn auch, er möge dir Gärten und Häuser, goldene und silberne Schätze schicken. Ganz offensichtlich bist du hinter dem Geld her. Mit den Schätzen deines Herrn könntest du auf dem Markt gute Geschäfte machen. Wir würden dann sofort glauben, dass du bei deinem Herrn in großem Ansehen stehst. Wenn ihm unsere Worte nicht gefallen, so kann er den Himmel in Stücken auf uns herabstürzen lassen. Du hast uns doch schon gesagt, dass dir dies möglich ist.«

»Das habe ich nie behauptet!«, sagte Uthman ruhig. Er begriff, dass sie ihn nicht reden ließen, um sich belehren zu lassen. Ihr Starrsinn überwältigte ihn. Er fragte: »Habt ihr Angst vor Veränderungen?«

Einer der Vornehmsten, es war Asi ibn Wail von den Machzums, sprang auf und schrie: »An dich und deine Friedensmission werden wir so lange nicht glauben, bis du uns deinen Engel als Zeugen gebracht hast!«

Ein anderer Vornehmer fügte erbost hinzu: »Ich werde bestimmt nicht an dich glauben. Erst wenn ich gesehen habe, wie du auf einer Leiter zum Himmel emporsteigst und mit vier Engeln wieder zurückkommst, die bezeugen, was du sagst. Ja, wahrscheinlich werde ich nicht einmal dann an dich glauben. Denn du bist ein Habenichts, ein Hofhund der al-Mustansir! Bell doch einmal, Hofhund!«

Uthman wollte auch diese Beleidigung um seines Anliegens willen schlucken. Aber dann besann er sich eines anderen. Er hatte genug gehört. Er raffte seine Kleider, stand auf und ging grußlos hinaus.

Die zurückbleibende Versammlung schwieg eine Weile. Dann sprach einer der Führer schließlich aus, was alle dachten. Er hieß Urwar und hatte Grundbesitz in allen Himmelsrichtungen rund um Aleppo und vor allem im Hedschas. Viele Salamiyah zogen sich aus der brütenden Hitze von Aleppo gern auf ihre Sommerhäuser im einzigen fruchtbaren und kühlen Tal des Hedschas zurück.

»Er ist gefährlich. Wir beherrschen das Geschäftsleben in unserer Stadt am Kreuzweg der Karawanen. Wir profitieren davon, dass die Karawanenführer hier Rasttage einlegen, dass sie Waren verkaufen und andere Güter zum Weitertransport erwerben. Sie rasten hier auch, weil das Wasser vom Brunnen sauber ist und sie sich damit nicht nur außen, sondern auch in der Seele reinigen. Alle, die nicht zu unserer Sippe gehören, zahlen für das heilige Wasser. Jeder Rastende erbittet sich Glück von uns und kauft sich Opfertiere bei den Händlern der Salamiyah. Das dürfen wir nicht gefährden.«

»Auf keinen Fall!«

»Wenn ein Mann wie dieser Uthman Unruhe stiftet, dann gefährdet das unseren Wohlstand und die Zukunft unserer Kinder. Ich wiederhole: Er ist gefährlich.«

»Wir müssen ihn umbringen!«

Die vier Worte donnerten wie Felssteine zu Boden. Jeder begriff, dass damit etwas ausgesprochen worden war, das nicht mehr zurückgenommen werden konnte.

Ein junger Geldwechsler namens Hamal erhob sich. »Ich schwöre, ich werde ihm morgen auflauern mit einem Stein, so groß, dass ich ihn kaum packen kann. Wenn er sich beim Gebet niederbeugt, werde ich ihm den Schädel einschlagen!«

Abu Walid schüttelte den Kopf. »Nein. Beim Gebet ist jede Gewalt verboten. Was sollen die Pilger von auswärts denken, wenn sie davon erfahren! Sie werden nicht mehr nach Aleppo kommen, um den Tawaf auszuführen, wenn selbst im heiligen Bezirk Blut fließt!«

»Dann töte ich ihn außerhalb des Bannbezirks!«

Wieder schüttelte Abu Walid den Kopf. »Dann wird es wieder Blutrache geben. Selbst wenn Uthman als aus seiner Sippe ausgestoßen zu betrachten ist, so wären dennoch seine nächsten Angehörigen verpflichtet, seinen Tod zu rächen – das beträfe sogar einige von uns selbst, denn wenn wir lange genug in der Vergangenheit suchen, werden wir herausfinden, dass wir gemeinsames Blut besitzen, macht euch das bewusst! Wir werden wieder in eine Spirale der Gewalt geraten wie damals zur Zeit der Chuzaa, als Aleppo im Blut versank. Dieses Land und vor allem diese Stadt können keinen Krieg verkraften.«

»Dann machen wir es so«, rief Hamal. »Jede Sippe stellt einen ab, der sich an der Mordtat beteiligt. Jeder schlägt mit seinem Schwert zur gleichen Zeit auf Uthman ein! Wenn alle den Mord ausführen, dann vermeiden wir die Blutrache. Die weiteren Familienmitglieder lassen sich sicher mit einem Blutgeld abfinden.«

»Eine gute Idee! So machen wir es!«

*

Sie waren mit dem Knochen des Kamelkiefers bewaffnet. Leise wie Flughühner machten sie sich kurz vor Morgengrauen auf, um zu Uthmans Haus zu kommen.

Sie trafen ein und sammelten sich. Aus den geöffneten Fenstern hörten sie die Stimme von Uthmans Mutter Djamila und seiner Lieblingsschwester Leila, die mit dem Besitzer einer reichen Karawanserei in Alter, der vorislamischen Hauptstadt des Landes, verheiratet und am vorangegangenen Abend eingetroffen war, um ihren Bruder zu begrüßen. Es wäre schändlich gewesen, einen Mann im Beisein von Frauen zu töten. Und so beschlossen die Mörder abzuwarten, bis Uthman das Haus verließ. Einer von ihnen warf einen Blick durch das Fenster. Uthman schlief in seinen grünen Umhang gehüllt auf dem Bett.

Als die Sonne ihre ersten Strahlen auf den Platz vor dem Haus hinabschickte, stürmten die Mörder Uthmans Schlafgemach. Sie stießen den Diener Zayd beiseite, der sich ihnen entgegenstellte, und verletzten ihn am Arm. Sie hoben ihre Waffen. Der Schlafende fuhr empor. Es war Ali, der Sohn Abu Talibs. Er hatte sich in dieser Nacht im Haus der al-Mustansir einquartiert, weil ihn eine Ahnung bedrückte, und er hatte sich in das Gewand des zurückgekehrten Hausherrn gehüllt. Es war seine Idee gewesen.

Die Eindringlinge sahen, dass sie getäuscht worden waren. Im ersten Moment wollten sie aus Wut und Enttäuschung den jungen Ali töten, der ihnen sogar trotzig seine bloße Brust darbot und rief: »Tötet mich, damit tötet ihr euch selbst!«

Doch dann siegte ihre Einsicht. Sie wollten Uthman, den frechen Heimkehrer, der keinen Respekt vor ihnen hatte, und so ließen sie von Ali ab.

»Wo ist dieser Uthman, der Hund, der im Abendland seine Manieren verlernt hat?«

»Er ist in die Wüste gegangen, um darüber zu sinnen, warum es so schlechte Menschen wie euch gibt.«

»Der Feigling!«

»Wenn er zurück ist, werde ich ihm euren Besuch melden«, spottete Ali. »Vielleicht habt ihr Lust, ihn später noch einmal zu wiederholen? Ich meine – wenn man jemanden umbringen will, und sei es auch nur feige im Schlaf, dann muss dieser Jemand schon anwesend sein, nicht wahr?«

Die Mörder bebten vor Zorn. Sie wollten Uthmans Blut. Fluchend und zeternd traten sie den Rückzug an. Leila und ihre Dienerinnen blickten ihnen von ihren Gemächern aus hinterher. Sie sahen, wie die frische Morgenbrise ihre schwarzen Umhänge aufblähte, sodass sie aussahen wie davonflatternde Krähen.

*

In Uthmans Sippe mehrten sich die Stimmen, die vorschlugen, gegen die feindseligen Salamiyahs und ihren Anführer Abu Lahab, ja selbst gegen die Übermacht ihrer Streitmacht entschlossen loszuschlagen. Man war es Leid, auf den nächsten Streich des gewalttätigen Gegners zu warten, der jede Gelegenheit nutzte, seine Feinde zu schwächen. Die Übergriffe und Verletzten häuften sich. Al-Bakr hatte sein Haus zur Verfügung gestellt, damit man sich beraten konnte.

Vor allem sein Neffe Ali ließ seiner Wut freien Lauf. Er wollte die raffgierigen Salamiyahs in ihre Schranken weisen. Die Söhne der Sippe beleidigten das Haus al-Mustansir ein ums andere Mal, und Uthman glaubte noch immer, mit der Sippe verhandeln zu können. Der gemeinsame Glaube durfte nicht blind machen, er musste wehrhaft sein. Muslime konnten untereinander Feinde sein. Muslime brauchten eine Scharia, ein Gesetz, das regelte, wann sie sich berechtigterweise wehren durften, um ihre Sache zu verteidigen. Ali war aber bereit, an Orten des Gebets auf Gewalt zu verzichten.

»Wir dürfen nicht zu Feilschern um Frieden werden!«, rief Ali. »Die Salamiyah müssen ebenso wie alle anderen begreifen, dass wir streitbar sind und uns wehren! Sie schicken Männer aus, um unsere Angehörigen zu demütigen – und nur, weil sie um ihre Macht fürchten. Sie tun es am helllichten Tag! Wenn wir durch den Ratschluss Gottes von dieser Absicht nicht rechtzeitig erfahren hätten und ich nicht in Uthmans Kleider geschlüpft wäre, dann hätten sie ihn bereits umgebracht. Und niemand könnte sie dafür belangen! Es sei denn, man übte persönliche Vergeltung und nähme einen aus ihrer Mitte, dem man den Kopf abschlägt!«

»Wir könnten eine Geisel nehmen, wie sie es vor einiger Zeit mit Zayd gemacht haben! Was sie können, können wir auch! Dann tauschen wir beide aus!«

»Wir können keine Streitmacht aufstellen«, sagte Al-Bakr ruhig, »Aber die brauchten wir, wenn sich der Konflikt zuspitzt! Für jeden von uns können sie hundert Kämpfer aufbieten. Und das werden sie tun!«

»Und was geschieht unterdessen mit Zayd, den sie immer noch als Geisel haben?«

»Zayd ist unwichtig«, sagte Ah, »ein freigelassener abessinischer Sklave.«

»Du bis herzlos!«

»Es geht um viel mehr. Nämlich darum, ob wir alteingesessenen Muslime es unserem Gott schuldig sind, für ihn und seine Lehren zu streiten. Denn die Salamiyah verletzen diese muslimischen Gebote jeden Tag.«

»Ali hat recht. Denn wir sind keine Christen, die die andere Wange hinhalten, wenn sie geschlagen werden, wie es ihr Buch fordert!«

Al-Bakr widersprach. »Unser Glaube Tazaqqa, den uns der Prophet lehrte, hat noch kein Blut vergossen! Und wir sollten uns hüten, ihn mit Blut zu taufen! Wir sind die Angegriffenen, das soll vor aller Welt deutlich werden.«

»Ich denke, man sollte mit den Salamiyah nicht zu streng ins Gericht gehen«, warf einer, der gerade vom jüdischen Glauben übergetreten war, ein. »Nicht alle denken wie Abu Lahab. Vielleicht ziehen wir einige von ihnen auf unsere Seite. Wenn wir aber Blut vergießen, dann bleibt allen keine andere Wahl, als gemeinsam gegen uns vorzugehen.«

Ali maß den Redner mit einem unmutigen Blick, wusste aber, dass er Recht hatte. Also schwieg er. Stattdessen wandte er sich an seinen Onkel Al-Bakr.

»Schon der verstorbene Umar ibn al-Mustansir hat falsch entschieden, indem er mit ihnen endlos verhandelte. Sie lachten ihn aus. Ich schlage deshalb vor, wenn Uthman wieder im Haus ist, dann zwingen wir ihn, sich uns im Kampf anzuschließen – so oder so. Auf diese Weise erreichen wir auch, dass er in Aleppo bleibt.«

»Ja«, pflichtete einer der Jüngeren bei, »das ist das Wichtigste – Uthman muss bleiben!«

»Eines«, überlegte jemand, »könnten wir auf jeden Fall tun. Wenn wir schon nicht gegen die Salamiyah kämpfen, so könnten wir sie doch ärgern. Wir könnten ihre Frauen beleidigen, ihre Kinder verscheuchen, ihnen durch Spott ihre Feiern verderben.«

»Das ist eine gute Idee«, stimmte ein anderer zu. »Wir könnten sie mit den Schwertern unseres Witzes, unserer Phantasie piesacken! Wir könnten alles das tun, was sie gegen uns unternehmen. Wir könnten auch ihre Geschäfte stören, ihre Marktstände umstürzen, ihre Händler mit Schmutz bewerfen. Vielleicht vergeht ihnen dann die Lust, dasselbe mit uns zu tun.«

»Und wir könnten ihr Vieh fortjagen!«

Al-Bakr warf ein: »Ihr vergesst, dass sie eine Geisel genommen haben. Wahrscheinlich schmort Zayd jetzt in irgendeinem Verlies. Wir dürfen sein Leben auf gar keinen Fall gefährden!«

Ali schwieg zu allem, nickte jetzt aber. Es war ihm recht, dass die anderen vorschlugen, was er selbst wollte.

»Ich selbst werde morgen früh hingehen und tun, was Uthman einst vorschlug – die Sättel der Kamele in ihrer Karawanserei durchschneiden. Denn morgen geht eine Karawane nach Norden ab. Das gibt ein schönes Erwachen!«

Der vorsichtige Al-Bakr wandte ein, durch eine solche Tat könnte eher der Angriffsgeist der anderen angestachelt werden. Sie würden solches mit gröberen Taten heimzahlen. Und dann hätte man innerhalb von wenigen Tagen das erste Scharmützel – und vielleicht auch Tote.

»Fang es anders an, Ali! Wenn du schon den Streit mit den Salamiyahs schüren willst, dann tue etwas, das nicht sogleich auf uns als Verursacher zurückfällt.«

»Und was stellst du dir vor, verehrter Onkel?«

»Streut Gerüchte aus, dass eine Dürre kommt oder die Winter kalt werden, wenn die Salamiyahs weiter so feindselig sind. Sagt, es werden Stürme kommen, die alles hinwegfegen. Setzt Gerüchte in Umlauf, die der Herrscherfamilie schaden – aber verzichtet zunächst auf Gewalt.«

Doch Ali war nicht mehr zu halten. Weil auch Uthman kurz darauf ohne jedes Zugeständnis von Abu Lahab zurückkehrte und alles auf des Messers Schneide stand, wollte er ein Zeichen setzen.

Am nächsten Morgen griff sich Ali noch vor Sonnenaufgang den besonders unerschrockenen jungen Asil und schlich sich mit ihm in den Karawanenhof, wo die Tiere schon gesattelt auf den Beinen standen, und führte seinen Plan durch. Kein einziges Kamel behielt seinen festgezurrten Sattel.

Zwei Stunden später hatten sich die Salamiyahs gesammelt und bewaffnet und marschierten zu allem entschlossen auf Uthmans Haus zu.

Diesmal war der Hausherr anwesend. Er erwartete die Bewaffneten am Tor. Laila, die an diesem Tag zu Besuch war, klammerte sich fest an ihn. Uthman versuchte, sie zur Seite zu schieben, denn es schien klar zu sein, dass Blut fließen würde. Aber sie krallte sich wie ein kleines, panisches Tier in ihn und ließ sich nicht abschütteln.

So bot sich den unbeteiligten Bürgern Aleppos an diesem Morgen ein seltsames Bild. Ein bewaffneter Haufen rückte langsam von der einen Seite der staubigen Straße heran, während ihnen von der anderen Seite, von seinem Haus aus, Uthman ibn Umar entgegenkam. Von weitem sah es aus, als habe er vier Füße, denn eine junge Frau umklammerte seinen Leib, als sei sie daran festgewachsen.

Aber es kam nicht zum Kampf. Die Begegnung verlief so friedlich, so seltsam und befremdlich, dass die Bürger Aleppos noch lange Zeit davon sprachen. Denn die junge Laila hatte sich plötzlich von Uthman gelöst. Sie war zwischen die Fronten getreten und hatte den Salamiyah zugerufen, sie zu töten – oder abzuziehen.

Die Bewaffneten zögerten. Eine junge Rechtgläubige zu erschlagen würde ewige Verdammnis bedeuten. Sie suchten nach einer Lösung. Laila riss sich die Bluse auf und bot ihre nackten jungen Brüste dar.

»Tötet mich!«, rief sie. »Oder zieht eures Weges und kehrt nie mehr um.«

Die Bewaffneten und alle Zuschauer wunderten sich über den Mut der jungen Frau. Woher nahm sie ihn?

Bald waren sich alle einig – es musste daher kommen, dass Uthman ibn Umar einen Freund hatte, der Gabriel hieß.

*

Lailas Gesicht wirkte wie eine schlanke Kerze, deren Rauch aus den dunklen, verschlungenen Locken bestand, die sich sanft darum wellten. Eine sonderbare, einzigartige Kerze mit einem zarten Hals und Schultern von der Farbe frisch geschlagenen Honigs.

Am Morgen des folgenden Tages hatte sie noch nichts von ihrem Glück gewusst. Ihr Vater hatte heimlich in Bahrein feinen, rotgestreiften Stoff gekauft und daraus das Hochzeitskleid nähen lassen. Dann hatte man sie in ihre kleine Wohnung neben der Moschee gebracht. Dort erwartete sie ihr Bruder Jamal und sah lachend zu, wie man ihr die Haare kämmte, sie mit Juwelen und Schmuck herausputzte. Schließlich wurde eine Schale Milch gebracht, aus der beide, jeder von seiner Seite, tranken.

Man hatte Laila später in einer Sänfte durch Aleppo getragen; da hatte sie schon geahnt, dass dieser Tag ein ganz besonderer war. Neben ihrer eigenen Sänfte waren Frauen gegangen, und in einer zweiten waren ihre Eltern vom Stamm al-Bakr gefolgt sowie ihre ältere Halbschwester Asma und ihre Amme. Junge Männer hatten dem Zug den Weg bereitet, Jungfrauen mit Blütenkörben hatten ihn beschlossen.

Wohl an die hundert Menschen hatten die schmalen Straßen gesäumt. Neugierig die einen, freundlich die meisten jungen Mädchen, feindselig die Händler und Handwerker der Familie Salamiyah, besonders, als der Zug die Madjanna, den Markt im unteren Teil der Stadt, passierte und die Aufmerksamkeit der Marktbesucher von den Waren ablenkte. Aber sie unternahmen nichts gegen den Zug mit dem schönen jungen Mädchen. Mädchen galten in Aleppo beinahe als Heilige.

Laila war wohlbehalten angelangt. Ihre Wangen glühten, während sie sagte: »Ich weiß, mein Geliebter wird so schön sein wie dieser kleine goldene Steinbock aus granuliertem Gold!«

Die Anwesenden lachten. Ihre schwitzende Amme Amar sagte: »Möge der böse Blick fern von dir sein!«

Und die anderen fielen in ihre Worte ein, sprachen die Schutzformel nach, nahmen Rautensamen zur Hand, den sie auf die Seidenballen warfen, und verbrannten sie anschließend zu Asche, um den Rauch gegen den gefährlichen bösen Blick neidischer Menschen aufsteigen zu lassen und um Uthmans Liebe für Laila zu wecken. Laila genoss es, an diesem Tag im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

Uthman betrat den Raum. Er wirkte heute noch größer und stattlicher. Er trug ein hellblaues Gewand mit gelbem Seidenfutter, dazu einen weißen Turban mit einem roten Band. Trotz der Sorgen wegen der feindseligen Salamiyahs blickte er stolz und gelassen auf das Mädchen. Er wollte sie gewiss noch nicht heiraten, aber er konnte das Geschenk nicht ausschlagen. Laila war lieb und schön, sie konnte ihm gute Dienste leisten, und er beschloss, sie gut zu behandeln. Wie anders waren doch hier in Aleppo die Dinge zwischen Mann und Frau im Vergleich zum Abendland geregelt!

Uthman dachte einmal mehr an Madeleine. Mit ihr wäre ein solches Geschehen niemals möglich gewesen. Madeleine war so selbstbewusst gewesen. Uthman fragte sich, was ihm lieber war. Er fühlte sich zerrissen wie schon lange nicht mehr.

Das Mädchen kam und berührte seine Füße. Er streichelte sie zärtlich. Sie blickte zu ihm auf. Dabei versuchte sie, ihre Angst zu verbergen, die sie jetzt, an diesem entscheidenden Tag, an dem der stolze Uthman etwas von ihr fordern würde, das sie bisher nie getan hatte, stark verspürte.

Nie hatte Laila dieses Gefühl gehabt, wenn ein Mann sich ihr genähert hatte. Aber heute war ein besonderer Tag. Der Tag, an dem die nunmehr dreizehnjährige Laila zur Frau werden sollte. Denn alle, vor allem Uthmans Mutter Djamila, hofften, Uthman würde sie zu seiner Lieblingsfrau machen und sie heiraten.

Uthman setzte sich auf den großen viereckigen Teppich, dessen Muster die Gärten draußen zu allen Seiten des Landguts seines Vaters Umar ibn al-Mustansir aufnahmen: Gärten mit sechs Wasserläufen und den Blumen, die üppig an deren Ufern blühten. Dienerinnen brachten Fruchtsäfte und Wasser, gekühlt in dem Eis, das im Winter von den Höhen des Sim’ar-Gebirges im Nordwesten gebracht und im Sommer in tiefen Kellern aufbewahrt wurde. Eine lange Wasserpfeife mit marmorner Basis wurde vor ihn und vor sie hingestellt. Doch nur er rauchte.

Und eine immer größer werdende Schar von Verwandten, Kindern und für diesen Tag bezahlten Dienern, die von Jussuf angewiesen wurden, eilte in den Innenhof.