Die Töchter der Elemente - Christiane Retzdorff - E-Book

Die Töchter der Elemente E-Book

Christiane Retzdorff

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Beschreibung

Vier junge Magierinnen gegen das Böse "Die Töchter der Elemente – Teil 1" ist ein Abenteuer voller Liebe, Gefahren, Magie und wundersamer Lebensformen – Nachtdrachen, Flockis, Morks und Yeneps bevölkern eine wundersame Welt, in der sich die vier jungen Magierinnen Flamina, Sandessa, Wind- röschen und Welline ohne ihre Mutter behaupten müssen. Zum Glück haben sie ihre Väter, die Geister von Feuer, Erde, Luft und Wasser an ihrer Seite und den Hüter von Wissen und Weisheit, Balising. Ihre größte Stärke liegt jedoch in ihrer Verbundenheit miteinander – und in ihrer Liebe zu vier jungen Männern. Nach einer Zeit der Dunkelheit und Kälte, die mit einem großen Vulkanausbruch begann, erblüht das Leben auf der Welt Giaium neu. Das Böse mit dem Namen Etug, das einst regierte, scheint durch die Katastrophe vertrieben. Deshalb wagt es Balising, der Hüter von Wissen und Weisheit, die vier Töchter der mächtigen Magierin Amalaswinta an die Oberfläche der Welt zu bringen. Für die Zeit der Dunkelheit und Kälte hatte er sich im Auftrag ihrer Mutter mit ihnen in einer unterirdischen Höhle versteckt. Und während Amalaswinta gegen das Böse jenseits der Welt kämpfte, wuchsen ihre Kinder tief im Schoße Giaiums zu jungen Frauen heran. Nun erblicken sie das erste Mal in ihrem Leben Giaiums Oberfläche und beginnen diese mit ihren 16 Jahren zu entdecken. Balising führt sie zunächst in ein Dorf der Mapas. Dessen Einwohner gehören zu den wenigen Überlebenden der Katastrophe. Dort sollen die jungen Magierinnen mehr für die Welt und ihre Bewohner, aber auch über ihre eigenen Fähigkeiten lernen. Ihre Väter sind die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft. Entsprechend unterschiedlich sind die jungen Frauen, die noch wenig über ihre wahre Macht wissen. Im Dorf der Mapas erproben sie ihre Kräfte – und verlieben sich in vier junge Mapas. Doch niemand darf wissen, wer sie wirklich sind. Denn schnell sieht Balising seinen Verdacht bestätigt, dass Etug nicht wirklich vertrieben, sondern nur geschwächt wurde. Amalaswinta ist jedoch noch nicht von ihrem Kampf zurückgekehrt. Er begreift, dass er allein mit den unerfahrenen Magierinnen gegen Etug antreten muss. Da er weiß, dass sie das Böse nur gemeinsam besiegen können, die Mädchen aber sehr verschieden sind, setzt er alles daran, den Zusammenhalt der Schwestern zu stärken. Das ist dringend nötig, denn Etug bemerkt sie schnell und greift gleich nach der temperamentvollsten Tochter Amalaswintas: Flamina, deren Vater der Feuergeist ist. Etugs größte Waffe ist die Verführung – kann die ungestüme Flamina dem widerstehen? Oder wird es Etug gelingen, einen Keil zwischen sie und ihre Schwestern zu treiben und sich am Ende ihrer Kraft und Fähigkeiten zu bemächtigen?

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Seitenzahl: 418

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Dieses Buch widme ich meinem geliebten Mann, dem Künstler Alexander Retzdorff, und danke Evelyn Goßmann und Dieter Schilling für ihre Unterstützung.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Prolog

Etug, das unsichtbare Böse, Zerstörerische, kehrte schleichend auf die Planetin Giaium zurück und verbreitete Missgunst, Gier und Gewalt. Seine Opfer fand es bei den sterblichen Mapas, die sich nun gegenseitig bekämpften und mordeten. Das friedliche Miteinander war gebrochen, Familien zerfielen und Gruppen bildeten sich, die gegeneinander einen erbitterten Kampf um Macht und Besitz führten.

Giaium, die Mutter allen Lebens, hatte ihren vielfältigen Bewohnern eine Heimat voller Überfluss geschenkt, wo niemand Hunger leiden musste, Wälder Schutz boten, Flüsse mit klarem Wasser erfrischten und Wiesen voller Blumen die Luft mit lieblichen Düften erfüllten. Doch nun sah sie sich bedroht und musste handeln. Sie musste versuchen, Etug zu vertreiben, auszurotten, was vor langer Zeit schon einmal gelungen war. Aber damals hatte sie Hilfe gehabt und der Preis war sehr hoch gewesen.

Und so machte sich Giaiums Tochter, die mächtige Magierin Amalaswinta, auf zu dem Hüter der Weisheit und des Wissens, dem Mapa Balising, dem sie einst Unsterblichkeit verlieh, und berichtete ihm, was Giaium vorhatte:

»Meister des Wissens, Etug hat an Einfluss gewonnen und Giaium wird sich wehren. Vielleicht habe ich zu lange gezögert, vielleicht hätte ich dem Treiben der Mapas Einhalt bieten müssen, aber wie du weißt, hätte das die vollständige Ausrottung ihrer Art bedeutet. Doch viele von ihnen sind gütige, liebevolle Wesen und etliche bekämpfen sogar Etug, nur haben sie selten eine Chance gegen die hinterhältige Brutalität ihrer im Bösen verirrten Artgenossen. Und es scheint auch so, als würde Etug ständig neue Energie aus dem Weltall erhalten. Ich bin nicht so stark wie mein Vater Zlemar und kann nur versuchen, Giaium vor äußeren Einflüssen zu schützen. Ja, und wäre mein Bruder noch hier, dann könnten wir sicher Etug gemeinsam Einhalt gebieten, aber alleine bin ich noch zu schwach.

Giaium wird deshalb aus ihrem Innersten wütendes Feuer speien, die Sonne verdunkeln und sich mit einem Panzer aus Eis überziehen, in dem alles Leben erstirbt. Ich werde versuchen, einige Mapas, denen ich vertraue, zu retten, indem ich ihnen schützende Höhlen zeige. So werden vielleicht die Stärksten von ihnen überleben. Mehr kann ich für die Sterblichen nicht tun. Ich werde mich ganz auf den Schutz Giaiums vor den Verbündeten Etugs aus dem Weltall konzentrieren, auch wenn ich fürchten muss, dabei alle meine Kräfte zu verlieren. Wir haben keine andere Chance.

Allerdings möchte ich als Ausdruck meiner Hoffnung etwas hinterlassen. Und so habe ich mich mit dem Geist der Luft, dem Geist des Wassers, dem Geist der Erde und dem Geist des Feuers verbunden und vier Töchtern das Leben geschenkt. Nun bitte ich dich, mit ihnen an jenen unterirdischen Ort zu ziehen, an dem schon mein Bruder und ich geboren wurden und den nur Giaium und ich kennen. Ziehe sie dort mit deiner Liebe und deiner Weisheit auf, bis der magische Wasserfall dir weist, an die Oberfläche zurückzukehren.«

Balising nickte mit schwerem Herzen.

Amalaswinta führte ihn nun an den Fuß eines Berges, dessen Felsen sich plötzlich teilten und heraus kroch ein drei Meter langes, wurmförmiges Wesen mit langen Haaren, das Balising beinahe bis zur Schulter reichte. »Ein Yenep«, bemerkte er erstaunt, denn obwohl er von diesen Wesen bereits gehört hatte, war ihm noch nie eines unter die Augen gekommen. Ihre Haare waren sowohl Füße als auch Arme, konnten sich in Stacheln oder Schuppen verwandeln oder waren weich wie Seide, doch in jedem Fall unverwüstlich.

»Nur er kennt den Weg und wird euch hinabbringen«, sagte Amalaswinta mit einem Blick auf den Yenep. Dann murmelte sie einige Worte und schon sah Balising vier Babykörbchen auf dem Rücken des Yeneps, in denen die schlafenden Mädchen lagen, jedes mit einem Flocki im Arm.

Der Abstieg begann.

1. Kapitel

Als das erste Licht der Sonne, millionenfach reflektiert von Bergkristallen, durch den mächtigen Schlot in das Innere der Höhle fiel, sah Balising den letzten Tropfen des magischen Wasserfalls langsam über den Felsen rinnen, bis er in die dunkle Schlucht hinabfiel und verschwand. Dies war das Zeichen, dass die Zeit gekommen war, an die Oberfläche der Planetin Giaium zurückzukehren.

So sehr sich Balising auch danach sehnte, bald wieder die Sonne zu sehen, den Duft der Erde zu atmen und den Blick in die Ferne schweifen lassen zu können, so sehr fürchtete er sich auch davor. Nicht um seiner selbst willen, sondern weil er nun die vier jungen Magierinnen in eine Welt führen musste, die ihnen völlig fremd war. Und diese Welt war voller Gefahren.

16 Jahre waren sie an diesem Ort verborgen gewesen, hatten nur sich selbst und die vier munteren Flockis als Gesellschaft gehabt. Wie oft war Balising Amalaswinta dankbar gewesen, dass sie ihren Töchtern diese kuscheligen Begleiter mit auf den Weg gegeben hatte. Sie spendeten den Mädchen Trost mit ihrer unermüdlichen Fröhlichkeit und waren ihre geduldigen Spielkameraden, wenn er, der große Meister des Wissens und der Weisheit, an die Grenzen seiner Belastbarkeit stieß. Viele Tränen hatte das weiße Fell der Flockis aufgefangen und manches Geheimnis war ihren kleinen Ohren anvertraut worden.

Balising liebte seine Zöglinge von Herzen, doch hatte er keine Erfahrung mit Kindern. Er war einfach mit seiner Aufgabe gewachsen. Solange sie noch klein gewesen waren und sich am Spielen erfreuten, war er unerschöpflich darin gewesen, immer neue Sachen zu erfinden, mit denen sich die Mädchen die Zeit vertreiben konnten. Später, als ihr Wissensdurst erwacht war, konnte er sie in allem unterrichten. Besonderes Interesse hatten sie natürlich an der Welt, die sie so jung hatten verlassen müssen, und so verbrachte er viele Stunden damit, ihnen von dieser Welt an der Oberfläche zu erzählen und sie ihnen zu beschreiben.

Er wusste nicht, wann die Mädchen begonnen hatten, untereinander über ihre Herkunft und ihre Mutter zu sprechen, aber es war unausweichlich gewesen, dass sie ihn eines Tages danach fragen würden. Aber auch Balising wusste nicht, was aus Amalaswinta geworden war, jedoch hatte er eine düstere Ahnung, die er für sich behalten wollte, bis er den geeigneten Tag dafür gekommen sah.

Die vier verschiedenen Väter der Kinder allerdings ließen sich schon sehr früh nicht mehr verleugnen, denn so unterschiedlich wie sie waren auch ihre Töchter. Das zeigte sich zuerst in ihrem Äußeren, aber bald auch in ihrem Wesen. Das blieb den Mädchen genauso wenig verborgen wie die verschiedenen Begabungen, die ihre Väter ihnen in die Wiege gelegt hatten. Und Balising kämpfte bald damit, die vier Elemente Feuer, Luft, Erde und Wasser, die in den jungen Magierinnen tobten, unter Kontrolle zu halten.

Bei dieser Aufgabe kam ihm zugute, dass ihm die Kinder in inniger Liebe zugetan waren und seine Worte achteten. Balising gelang es schließlich, ihre jugendliche Experimentierfreude in geordnete Bahnen zu lenken. Dabei lehrte er sie in erster Linie den Respekt vor allem Lebenden und dass es ihre Pflicht war, Giaium, ihre Großmutter, zu schützen. Aber nun waren die Mädchen in einem Alter, in dem sie eigene Erfahrungen sammeln, sich der wirklichen Welt stellen mussten.

Amalaswinta war bei der Wahl der Väter besonnen und vorausschauend vorgegangen, denn mit der Unterstützung der Elemente konnte jede der jungen Magierin an Kraft gewinnen und ihre Fähigkeiten verstärken, aber eines hatte sie dabei nicht bedacht: Wer sollte die Mädchen in der Kunst der Magie unterweisen, sie in diese Geheimnisse einweihen? Bestimmt hatte sie angenommen, sie könnte ab einem gewissen Zeitpunkt die Erziehung ihrer Töchter selber übernehmen, aber so sehr sie auch erwartet wurde, sie erschien nicht. Und Balising verfügte über wenig Wissen bezüglich jener starken Mächte, die die normalen Gesetze des Lebens außer Kraft setzten.

Und so waren die Mädchen bei der Erprobung ihrer angeborenen magischen Kräfte sich selbst überlassen, was ständig Gefahren mit sich brachte. Die feurige Flamina musste Balising häufig in ihre Schranken weisen, während sich das sensible Windröschen manchmal einfach in Luft auflöste, wenn sie sich unverstanden fühlte. Sandessa war eher ruhig und unkompliziert, während Welline von einem ständigen Fernweh getrieben wurde. Wenn sich die Kinder zankten, konnte es schon einmal vorkommen, dass ein kleiner Wirbelsturm die Höhle verwüstete oder die Felsen aufbrachen und ein Vulkan Feuer spie. Aber Balising lehrte die Mädchen geduldig, ihre Kräfte zu beherrschen.

Und er hatte sie darauf vorbereitet, dass der Tag des Aufbruchs an die Oberfläche näherrückte. So hatten sie sich voller Vorfreude die halbe Nacht ausgemalt, wie es wohl in dieser fremden Welt sein würde und was sie alles zu sehen bekämen. Am meisten gespannt waren die Mädchen darauf, Mapas zu treffen. Balising ging davon aus, dass einige von ihnen überlebt hatten. Mapas waren sehr anpassungsfähig und ideenreich. Zlemar hatte ihm berichtet, dass sie in den unterschiedlichsten Arten auf vielen Planeten vorkommen und auch die größten Katastrophen immer irgendwie überlebten. Aber oft fand Etug in ihnen willfährige Gefährten, da sie sich schnell umorientieren konnten, gab man ihnen nur ein neues Ziel. Mapas waren außerdem leicht zu beeinflussen und oft selbstsüchtig. Das machte sie zu leichten Opfern von Etugs Verführungen. Aber es gab unter ihnen auch kluge, ehrenwerte Persönlichkeiten, die Giaium niemals Schaden zufügen würden und alles Leben auf dieser Planetin achteten.

Die jungen Magierinnen schliefen ruhig mit ihren Flockis im Arm, die jedoch umgehend erwachten, als Balising die Höhle betrat. Fröhlich wirbelten sie auf ihn zu.

Als Erste öffnete Flamina die Augen und sprang auf. »Ist es so weit?«, rief sie aufgeregt, was auch die anderen Mädchen weckte.

Balising ließ ihnen Zeit, sich zu sammeln, während Flamina ihn heftig umarmte. Als ihn alle vier gebannt anstarrten, sagte er: »Der Wasserfall ist erloschen.«

Nun war es ganz still in der Höhle. Selbst die Flockis rührten sich nicht. Die Mädchen sahen sich ungläubig an. Dann fielen sich Welline und Flamina um den Hals und tanzten eng umschlungen herum. Auch Sandessa erhob sich und gesellte sich zu ihren Schwestern. Nur Windröschen rührte sich nicht und ihre blassblauen Augen spiegelten Furcht wider. Balising ging zu ihr, legte den Arm um sie und sprach tröstend: »Es wird dir dort gefallen. Schon bald wird dein Haar vom Wind gestreichelt.«

»Und ich werde in einem Fluss schwimmen«, jubelte Welline.

»Dann lasst uns losziehen«, sagte Sandessa pragmatisch.

Und wie aufs Stichwort erschien der Yenep.

Der Weg nach oben führte zuerst durch völlige Dunkelheit, in der das unermüdliche Geplapper der jungen Magierinnen widerhallte. Der Yenep war schnell. Nach vielen Stunden erreichten sie die ersten Höhlen, in die durch kleine Felsspalten mattes Licht fiel. Und schon bald konnte Balising an den Hinterlassenschaften erkennen, dass in einigen von ihnen Mapas Schutz vor der tödlichen Kälte gesucht hatten. Aber er musste auch entdecken, dass viele von ihnen nicht überlebt hatten. Sie waren erfroren, verdurstet oder verhungert. Im eiligen Vorüberziehen passierten sie ganze Gruppen von Skeletten, die sich ihrem Schicksal ergeben und zum Sterben aneinandergeschmiegt an die Wand gelehnt hatten. Es waren unzählige Kinder dabei.

Die Mädchen waren schon lange verstummt. Auch wenn sie noch nie einen Toten gesehen hatten, waren Balisings Beschreibungen doch so präzise gewesen, dass sie wussten, was die unwirklichen Szenen bedeuteten, die im Halbdunkel an ihnen vorüberglitten. Etug bekam plötzlich für sie Gestalt und ein leises Grauen bemächtigte sich ihrer.

Die Höhlen wurden langsam größer, luftiger und heller. Auch hier gab es Gräber von vielen Toten und auch hier lagen Berge von Knochen. Diese jedoch zeugten vom Überleben. Die Mapas hatten offensichtlich in ihrer Verzweiflung angefangen, Tiere zu essen. Die Höhlen hatten keine fruchtbare Erde, sodass keine Pflanzen gedeihen konnten, also waren die Mapas zum Zwecke des Überlebens gezwungen gewesen, ihre Regel, sich ohne Töten von dem zu ernähren, was ihnen die Natur schenkte, zu brechen. Aber die Höhlen waren schon lange verlassen. Sie mussten schon früh zurück an die Oberfläche gekehrt sein, vermutlich weil sie Luft zum Atmen benötigten und ebenso das Licht der Sonne, die Giaium seit langer Zeit umkreiste. Vielleicht hatte die Mutter allen Lebens ein Einsehen gehabt und die Mapas vor ihrer völligen Vernichtung bewahrt. Aber dann war auch Etug nicht vertrieben.

Etug hatte viele Gestalten und war doch unsichtbar. Niemand konnte ihn beschreiben. Er sog seine Kraft aus jeder Zerstörung und dem Knechten seiner Untergebenen, die er damit lockte, wonach es ihnen gelüstete. Oft waren es schwache Mapas, die sich ihm anschlossen, weil er ihnen Vergnügungen versprach und ein Dasein ohne lästige Pflichten. Hatte er sie erst in seinen Bann gezogen, vergiftete er ihre Seelen und machte rücksichtslose Vernichtung alles Schönen und Guten zu ihrem neuen Ideal. Wenn Etug nicht geschwächt vertrieben worden wäre, hätte Balising kein Zeichen für die Rückkehr erhalten, doch ihm schwante, dass dieser Feind nicht endgültig besiegt war. Er würde auf eine neue Gelegenheit lauern, alles und jedem seinem Willen zu unterwerfen.

Obwohl Balising wusste, dass es von diesen einst von Mapas bewohnten Höhlen in der Nähe einen Ausgang geben musste, zog der Yenep weiter. Wieder versank alles in Dunkelheit. Die fröhliche Aufgeregtheit der Mädchen war einer ängstlichen Unruhe gewichen. Bisher kannten sie nur ihre schützende Höhle und Balisings Erzählungen, doch der Moment, in dem sie in eine Welt treten mussten, von der sie nicht wussten, wie sie aussah und ob sie ihnen freundlich gesonnen war, rückte näher. Sie hatten viel über Mapas gelernt und glichen ihnen in ihrer äußerlichen Gestalt. Trotzdem waren es für sie fremde Wesen, die essen und trinken, für ihr Überleben arbeiten, manchmal sogar kämpfen mussten und seltsame Bräuche pflegten. Wie viele von ihnen würden die Mädchen wohl treffen und wie würden sie aufgenommen werden? Balising hatte ihnen angekündigt, dass sie sich als Erstes auf die Suche nach Mapas machen würden, denn auch sie waren Giaiums Kinder, wenn auch ohne besondere Fähigkeiten, und bedurften jeder Unterstützung gegen Etug.

Plötzlich öffnete sich die Dunkelheit zu einem hellen Kreis und der Yenep hielt an. Balising hüpfte hinunter und forderte seine Begleiterinnen auf, seinem Beispiel zu folgen. Doch zuerst sprangen die Flockis herab und rollten, aufgeregte Geräusche von sich gebend, Richtung Ausgang. Dann streckten sich die beinahe kugeligen Wesen mit seidigem weißem Fell und darin verborgenen Ohren, Nasen und Mäulern, fuhren ihre Beine aus und spurteten ins Licht. Sie erkannten ihre Heimat an der Oberfläche und fiepten vor Begeisterung, endlich der Enge der Höhle entkommen zu sein. Ihre Arglosigkeit ermunterte die jungen Magierinnen, ihnen zu folgen.

Draußen vor dem Felsmassiv erstreckte sich eine Ebene mit grünem Gras. Links davon erhob sich eine Bergkette mit schneebedeckten Gipfeln, rechts schlängelte sich ein kleiner Fluss durch die Landschaft und in der Ferne reckten sich die hohen Bäume eines Waldes in einen wolkenlosen blauen Himmel. Auf der Wiese zwischen bunten Blumen fraß eine Gruppe wolliger Tiere, die die Flockis neugierig begrüßten. Andächtig betrachteten die jungen Magierinnen diese in sich ruhende Schönheit, während Balising begeistert die klare Luft einsog.

Wie von selbst entschwebte Windröschen in die Höhe, schmiegte sich an den lauen Wind und verlor dabei ihre Gestalt bis zur Unsichtbarkeit. Welline sprintete zum Fluss und wurde eins mit dem Wasser, während Sandessa sich auf dem Boden wälzte, bis dieser sie verschlungen hatte. Nur Flamina blieb neben dem alten Mann zurück und blickte traurig auf ihre Schwestern, die sich mit dem Geist ihrer Väter verbanden. Fragend schaute sie zu Balising, der sich um eine Antwort nicht drücken konnte.

»Sei nicht betrübt. Dein Vater wohnt im Innersten von Giaium und es ist noch viel zu früh, ihn dort zu erreichen. Er ist der Mächtigste von allen, auch wenn er sich im Verborgenen hält. Das haben auch die Mapas erkannt und versuchen ihn nutzbar zu machen. Wo sie leben, brennt auch ein Feuer. Es wärmt und dient der Nahrungszubereitung. Selbst Metall hält der Kraft des Feuers nicht stand und verändert seine Form in der Hitze. Doch Feuer kann auch zerstören und Etug dienen. Darum achte immer darauf, die von deinem Vater geerbte Macht nur im Guten zu nutzen. Du wirst dich mit ihm verbinden können in jeder Siedlung und an anderen Orten. Hab Geduld.«

Durch diese Worte war Balisings Aufmerksamkeit, die durch den langen Aufenthalt in der begrenzten Höhle nicht mehr geschult war, so abgelenkt, dass er den Schatten am Himmel zu spät wahrnahm. Dort kreiste ein Nifk, ein Flugdrache, nun setzte er zum Sturzflug an. Flamina sah das Ungeheuer und rief verstört: »Die Flockis!«

Da hatte der Nifk auch schon eines der grasenden wolligen Tiere mit seinen Klauen geschnappt. Es stieß einen entsetzlichen Schrei aus, während die restliche Herde auseinanderstob. Blitzschnell erhob sich der Drache wieder und flog in Richtung des Gebirges. Die Flockis rannten panisch zum Höhleneingang. Durch das Geräusch aufgeschreckt, erschienen die drei anderen Schwestern wieder und blickten dem entschwindenden Nifk nach. Mit diesem Ereignis begriffen die Mädchen, dass noch immer Kampf herrschte. Doch Balising betrachtete nur versonnen die weißen Gipfel, die von Weitem unschuldig im Licht glitzerten, und sprach: »Nun wissen wir, wo Etug sich versteckt hält.«

2. Kapitel

Flamina erwachte als Erste aus der Schockstarre und bemerkte, dass zwischen den Baumkronen des Waldes eine kaum sichtbare Qualmsäule emporstieg. Der Duft kitzelte heimelig ihre Nase. Und dann erschienen die ersten Mapas am anderen Ende der Wiese. Sie deuteten nach oben, dorthin, wo der Nifk entschwunden war. Dann entdeckte ein Späher ihre kleine Gruppe vor dem Felsmassiv und schnell verzogen sich die Mapas wieder in den Schutz der Bäume.

Die jungen Magierinnen waren verwirrt. Zu der Freude, in dieser schönen Welt jeweils seinen eigenen Platz gefunden zu haben, gesellte sich nun die Ahnung um eine dunkle Bedrohung, der sie sich nicht allein stellen konnten. Für einen Moment hatten die Schwestern – außer Flamina – das, wonach sie sich immer gesehnt hatten: die Luft, das Wasser, die Erde. Doch etwas sagte ihnen, dass dies alles zusammengehörte und sie sich nicht in ihren eigenen Wünschen verlieren durften. Dennoch verschwanden Sandessa, Welline und Windröschen ein wenig trotzig wieder in den Elementen ihrer Väter, Flamina aber wollte zu jenen aufbrechen, die das Feuer bewahrten. Balising sprach deshalb nun ein Machtwort.

»Kommt zurück!«, rief er streng.

Als seine Schützlinge missmutig wieder neben ihm standen, sprach er weiter:

»Eure Mutter Amalaswinta hat mit gutem Grund eure unterschiedlichen Väter ausgewählt, damit jede von euch besondere Fähigkeiten erhält. Nun habt ihr bis zu ihrer Rückkehr die Verantwortung für den Schutz von Giaium und den Mapas. Doch nur wenn ihr zusammenhaltet, eure Kräfte stärkt und miteinander verbindet, könnt ihr dieses Ziel erreichen.« Er war sich der Jugend seiner Schützlinge bewusst, aber es drängte ihn der Verdacht, dass Etug seine Macht ausweitete. Die Mädchen mussten schnell erwachsen werden. Ihre verstörten Gesichter zeigten ihm, dass sie den Ernst der Lage begriffen hatten. Also gab er den Befehl:

»Wir gehen zu den Mapas!«

Natürlich waren die Mädchen neugierig auf diese Wesen. Balising hatte sie als fröhlich und vielseitig interessiert beschrieben, aber auch als verletzlich und schwach. Mapas froren bei Kälte und schwitzten bei Hitze. Sie mussten essen und trinken, um zu überleben, und brauchten Schlaf, um nicht ihre Kraft zu verlieren. Alles Notwendigkeiten, die den Mädchen fremd waren. Doch ihr Lehrer hatte ihnen erklärt, dass sie ihre Eigenschaft zwar verbergen und sich anpassen müssten, aber bestimmt an Mahlzeiten und Getränken ihre Freude finden würden. Und sie wussten, dass sie sich äußerlich nicht von den Mapas unterschieden. Trotzdem bemächtigte sich der Mädchen ein Unbehagen, denn sie kannten ja nur die Gesellschaft ihres Lehrers. Und als sie sich der Siedlung näherten, war der Empfang geradezu feindselig. Dort stand eine Gruppe grimmig dreinschauender Männer, allesamt bewaffnet mit Lanzen und gezückten Bögen.

Als sie aber Balising erkannten, weil jeder erwachsene Mapa in diesem Gebiet auf Giaium ihm schon begegnet war, wandelte sich ihre anfängliche Ablehnung in Freude. Er genoss den Ruf als friedliebender Weiser unter den Mapas. Stets hatte er ihnen mit seinem Wissen und seiner Erfahrung zur Seite gestanden. Sein Wirken war in Erzählungen von Generation zu Generation getragen worden, sodass sogar schon die Kinder ihn verehrten.

Also verharrten nun die Männer in hoffnungsfroher Ehrfurcht, bis Balising sie erreicht und herzlich begrüßt hatte. Erst dann wurden die vier weiteren Ankömmlinge neugierig beäugt. Ihr Lehrer stellte die Mädchen mit Namen und als seine Zöglinge vor. Bedächtig und staunend gingen die Mapas auf die ungleichen Schwestern zu und reichten jeder die Hand. Die Mädchen lächelten dabei unsicher, spürten aber bald, dass sie willkommen waren.

Und schon tauchten die anderen Bewohner der Siedlung auf, wobei die Frauen die kleinen Kinder an den Händen hielten. Doch eines von ihnen, ein kleiner Junge, riss sich los und rannte begeistert über den unerwarteten Besuch zu den vier jungen Magierinnen, um einen Schwall von Fragen auf sie loszulassen: »Wo kommt ihr her? Wie heißt ihr? Kommen da noch andere? Habt ihr uns etwas mitgebracht?«, sprudelte es aus ihm heraus. Die Mädchen stürzten sich lieber auf die Flockis, die erstmal die Flucht ergriffen.

Damit löste sich die Anspannung bei den Mädchen und sie nannten ihre Namen. Der Junge hieß Tom. Er nahm Sandessa vertrauensselig an die Hand und zog sie zu den wartenden Mapas. Die anderen folgten ihnen.

Flamina sah nun ganz in der Nähe den Rauch einer Feuerstelle aufsteigen und betrachtete fasziniert, wie er sich zum Himmel wand und sich dort mit dem Wind verband, um sich aufzulösen. Einen Moment lang erfüllte sie die Ahnung einer großen Einheit mit ihren Schwestern und sie nahm Windröschens Hand. Welline wiederum bemerkte, dass ein Bach durch die Siedlung floss, und fühlte sich von seinem Plätschern gerufen. Aber alle vier Schwestern zeigten eine Scheu vor den ungestümen Umarmungen der Mapas, die sie damit in ihre Mitte aufnahmen. Schnell erklärte Balising, dass er mit den Mädchen viele Jahre in Abgeschiedenheit gelebt hätte und sie sich erst an die fremde Umgebung und die vielen Mapas gewöhnen müssten.

Die Siedlung hatte eine kleine Gästehütte, die nun dem Weisen und seinen Zöglingen zur Verfügung gestellt wurde. Mit staunenden Augen betrachteten die Schwestern auf dem Weg dorthin, wie die Mapas lebten. Sie hatten Häuser aus Holz gebaut, mit Türen und Fensterläden. Auf den Dächern erhoben sich Schornsteine, aus denen Rauch quoll. Eine Gruppe junger Männer kam gerade aus dem nahen Wald und trug mehrere tote Tiere über den Schultern. Sandessa bescherte dieser Anblick Übelkeit und Balising flüsterte ihr eilig zu, dass die Mapas diese als Nahrung bräuchten. Dann entdeckte Sandessa ein Feld mit goldenem Korn und Büsche, an denen Beeren sich langsam zur Reife entwickelten, und sogar Blumen vor den Hütten. Ein Gefühl von Heimat keimte in ihr.

Welline musste sich beherrschen, um nicht zum Bach zu laufen und sich ins Wasser zu stürzen. Nur Windröschen schritt verträumt einher und stolperte über einen Stein. Sofort ließ einer der jungen Männer seine Beute zu Boden fallen und fing das Mädchen auf. Erstaunt sah sie ihn aus ihren himmelblauen Augen an. Eine leichte Schamesröte überzog ihr blasses Gesicht. Sie wisperte einen Dank, als der Helfer sie wieder auf ihre Füße gestellt hatte. Dieser war nun ebenfalls etwas verlegen ob seines spontanen Handelns, während aus dem Hintergrund Pfiffe und das Lachen seiner Kumpane erklangen. Schnell kehrte er zu ihnen zurück, wobei er leise vor sich hinmurmelte: »Sie ist federleicht.«

Als die Besucher in der Gästehütte verschwunden waren, sammelten sich die jungen Männer zum Zerlegen des Wilds und hatten nur ein Gesprächsthema: die vier jungen Frauen. Natürlich sprach der Anführer von ihnen, Sorbas, zuerst: »Habt ihr die mit den feuerroten Haaren gesehen? Das ist ein Weib, das es zu zähmen gilt.«

»Die mit den erdbraunen Haaren hat die Rundungen genau an den richtigen Stellen. Das macht Appetit«, bemerkte der stattliche Urso.

»Die mit den goldblonden Haaren ist aber auch nicht schlecht. Alles dran«, verkündete Jami lächelnd. »Nur die Vierte scheint etwas unsicher auf den Beinen zu sein. Die fällt ja über jeden Stein.«

Alle lachten, doch nun fühlte sich Windröschens Helfer, Tore, verpflichtet, für das zarte Geschöpf zu sprechen: »Sie steht unter meinem Schutz. Seht ihr Dummköpfe denn nicht, wie zerbrechlich und hilflos das Mädchen ist? Wehe, es wagt jemand, sie anzurühren oder zu ärgern!«

Wieder lachten alle, denn Tore war weder besonders stark noch kämpferisch. Er galt als Träumer, aber niemand konnte ihm absprechen, dass er ein feines Gespür für Gefahren hatte. Nur damit allein würde er wohl kaum das Mädchen beschützen können.

Balising wusste, dass die Mapas in seinen Zöglingen mit ihren 16 Jahren durchaus schon Frauen sahen. Nun war es an der Zeit, den jungen Magierinnen zu vermitteln, wie sie auf die jungen Männer wirkten und was sich diese dachten. Und er hasste es, sich selbst einzugestehen, dass seine Mädchen keine Kinder mehr waren. Trotzdem musste er ein sehr langes und aufklärendes Gespräch mit ihnen führen, damit sie mit den Worten und Taten der Mapas umzugehen wussten. Da half es wenig, dass er ihnen schon von der Liebe und vom Liebesakt erzählt hatte. Nun mussten sie lernen, mit der Wirklichkeit umzugehen. Sie sollten sich aber noch nicht als Töchter der Amalaswinta und der Herrscher der Elemente offenbaren, denn das würde böse Mächte auf ihre Fährte locken. Mapas galten nicht als besonders verschwiegen. So riet Balising:

»Beobachtet erst einmal alles sorgfältig und passt euch den Lebensgewohnheiten in der Siedlung so gut wie möglich an. Da ihr euch von den Bewohnern äußerlich nicht unterscheidet, könnt ihr euch unter ihnen zwanglos bewegen – aber vergesst nie: Ihr seid nicht wie sie.«

Sandessa gefiel der Vorschlag, hier bei den Mapas zu bleiben.

»Das ist eine gute Idee. Ich mag diese Wesen, sie sind sehr erdverbunden«, stimmte sie gleich zu.

Auch Flamina war begeistert: »Und sie scheinen das Feuer zu verehren und zu hüten«, rief sie.

Windröschen war wie immer mit ihren Gedanken abwesend und nickte nur stumm. Und Welline sah Balising an, dass es sie hinaus in die Ferne zog, dass sie der Enge der Hütte entfliehen wollte. Sie seufzte, nickte aber schließlich ebenfalls. Also würde sie sich vorerst in die gegenwärtige Lage fügen.

So war er zufrieden mit dem Ergebnis und fügte noch warnend und eindringlich hinzu:

»Und vergesst nicht, niemals eure magischen Kräfte vor den Mapas einzusetzen. Ihr dürft euch auf keinen Fall offenbaren.« Da unterbrach ihn ein lautes Klopfen an der Tür. Balising wusste, dass er so hoch geachtet wurde, dass niemand es wagen würde, ihn zu stören, wenn nicht etwas Bedeutungsvolles oder Gefährliches dies notwendig machte. Beunruhigt öffnete er und sofort stürmten die Flockis herein. Die Schwestern stellten mit einem schlechten Gewissen fest, dass sie die drolligen Tiere gar nicht vermisst hatten, und freuten sich, die kleinen Begleiter wieder in den Armen zu halten. Und dann stand dort noch Tom und verkündete mit strahlendem Gesicht:

»Die vier Flockis haben ganz traurig vor der Tür gesessen. Ihr habt euch bestimmt schon Sorgen gemacht. Und nun beeilt euch. Es gibt gleich Abendessen.«

Dann griff er nach Sandessas Hand und zog sie mit sich hinaus. Die anderen folgten.

Auf dem freien Platz in der Mitte der Siedlung war ein großer Holztisch aufgebaut, flankiert von liegenden Baumstämmen als Sitzgelegenheiten. Über einem Feuer drehte sich an einem Spieß eines der erjagten Tiere. Holz- und Steingefäße auf dem Tisch waren gefüllt mit Erdknollen, Samen und Früchten. Balising nahm neben dem Medizinmann Platz, den er offensichtlich kannte, während die Schwestern sich etwas abseits nebeneinandersetzten. Sogleich drängelten sich Sorbas, Urso, Jami und Tore auf dem Baumstamm ihnen gegenüber, sodass sie den Mädchen direkt in die Augen schauen konnten.

Nun lernten die jungen Magierinnen die ganze Gemeinschaft der Mapas kennen, zu der natürlich auch junge Frauen gehörten, die sie misstrauisch beäugten. Sie machten keinen Hehl daraus, dass sie in den Besucherinnen eine Konkurrenz um die Gunst der Männer sahen. Während Welline und Windröschen dies kaum bemerkten, spürten Flamina und Sandessa sofort eine gewisse Feindseligkeit. Die sehr unterschiedlichen Reize der Schwestern übten sogar Anziehungskraft auf jene Männer aus, die bereits mit einer Frau verbunden waren. So gab es manche Fußtritte unter dem Tisch, wenn sich einer von ihnen zu interessiert zeigte. Doch schon bald entwickelte sich eine fröhliche Stimmung bei dem gemeinsamen Essen, das den Höhepunkt des Tages darstellte.

Als das Fleisch verteilt wurde, langte Flamina kräftig zu, denn sie freute sich auf das Erlebnis, den Rauch des Feuers zu schmecken. Sandessa hingegen beschränkte sich auf die Früchte der Erde und verweigerte zum Erstaunen vieler den Genuss des erlegten Wilds. Welline nahm höflich von allem etwas, während Windröschen sich auf eine winzige Portion beschränkte. Doch für alle Mädchen war es eine besondere Erfahrung, den Geschmack der unterschiedlichen Speisen auf der Zunge zu erleben. Für ihre in der Einsamkeit der Höhle verkümmerten Sinne war diese Mahlzeit eine Aufforderung, zu erwachen.

Mit überschwänglichen Worten berichteten die jungen Männer von ihrem Jagdausflug, ihren Heldentaten beim Anpirschen und zielsicheren Erlegen mit Pfeil und Bogen. Die anderen Mädchen applaudierten begeistert, während Flamina und Sandessa nur stumm lauschten. Windröschen ließ sich lieber von einigen Vögeln ablenken, die ihr Abendlied in den Bäumen sangen. Und Welline lauschte dem Murmeln des nicht fernen Baches. Dass die jungen Männer durch ihre Erzählungen nicht die gewünschte Aufmerksamkeit bei den Schwestern erzielten, verunsicherte sie, sodass sie schließlich schwiegen.

Nun erhob der Häuptling der Gemeinschaft seine Stimme: »Morgen beginnt die Erntezeit«, verkündete er. »Und deshalb werden wir wie jedes Jahr ein großes Fest feiern. Es soll mittags mit einem Ball-Wettkampf beginnen.«

Die Kinder, die auf dem Boden spielten, sprangen freudig kreischend auf und rannten um den Tisch. Die Erwachsenen ließen sie gewähren.

Die vier Schwestern fuhren zusammen ob des ungewohnten Geräuschpegels, doch sie begriffen schnell, dass er Ausdruck von Begeisterung war. Auch das erwartungsfrohe Lachen in den Gesichtern der Mapas zeugte davon, dass für sie ein besonderes Ereignis bevorstand, dem alle glücklich entgegensahen. Irgendwie wirkte die Stimmung ansteckend. Nur Flamina war abgelenkt. Sie schaute zum Himmel und entdeckte die ersten Sterne in der heraufziehenden Dunkelheit. Sie meinte, das Feuer zu fühlen, das den fernen Sonnen ihre Leuchtkraft gab. Wie ein Trost gegen die Einsamkeit funkelten sie ihr entgegen.

Sorbas folgte ihrem Blick und wunderte sich über Flaminas ehrfürchtige Besinnlichkeit. Es war ihm, als erzeugten die Sterne ein Glitzern in ihrem feuerroten Haar, das genauso anziehend wie bedrohlich wirkte. Verlegen fragte er: »Du magst Sterne?«

Aus verträumten, dunklen Augen sah sie ihn an. Sorbas erschauerte. Eine große Macht streckte die Arme nach ihm aus. Doch sein Wesen war stark und wollte sich der Herausforderung stellen. Welches Geheimnis verbarg sich hinter der jungen Frau, die mehr und mehr seinen Geist beschäftigte?

Flamina fühlte eine unbekannte Hitze in sich aufsteigen. Hastig antwortete sie: »Ja, sie glitzern so schön.«

Ansonsten beteiligten sich die Schwestern wenig an den Gesprächen. Balising entschuldigte dies mit ihrem jahrelangen Leben in Abgeschiedenheit. Doch tatsächlich fürchteten sie sich davor, unbedacht preiszugeben, wie sehr sie sich von den Mapas unterschieden.

Schließlich erschien ein großer Mond am Himmel und die Gemeinschaft machte sich daran, die Überreste der Mahlzeiten zusammenzuräumen. Es war Zeit, die Häuser aufzusuchen und zu schlafen. Urso erklärte den jungen Magierinnen den Grund für die Eile: »Wenn der zweite Mond aufgeht, müssen wir alle in Sicherheit sein. Dann gehen die Nachtdrachen auf Beutezug.«

»Nachtdrachen?«, wiederholte Sandessa erstaunt.

Beruhigend fuhr Urso fort: »Sie sind nicht wirklich gefährlich und auch nicht besonders groß, aber sie können Feuer speien.«

Nun hatte er Flaminas Aufmerksamkeit. »Feuer speien?«, fragte sie mit vermeintlich allgemeinem Interesse.

»Ja«, antwortete der junge Mann, stolz auf die Zuwendung, die ihm plötzlich zuteilwurde. »Sie können uns ernsthafte Verletzungen zufügen. Aber sie sind nur hinter dem Fleisch her, das wir übrig lassen, oder hinter den Kadavern irgendwelcher Tiere. Wenn sie nichts finden, um ihren Hunger zu stillen, jagen sie auch kleine Kröten, Mäuse und Kaninchen. Doch meiden sie den Wald, weil sie aus dem Unterholz nicht zum Flug starten können. Sie zu jagen, bringt nichts, denn sie schmecken ekelhaft, und wie gesagt: Sie sind gefährliche Feuerspucker. Passt bloß auf eure Flockis auf!«

3. Kapitel

Balising und die Schwestern verschlossen die Hütte sorgfältig und begaben sich zur Nachtruhe. Nach den Erlebnissen des Tages waren die Mädchen froh, die Augen schließen und schlafen zu können. Nur Flamina ließ der Gedanke an die Nachtdrachen nicht los. Ihre Schwestern fühlten sich jeweils einer Gruppe von Tieren besonders verbunden. Sandessa liebte alle Tiere, die auf dem Boden weilten, Windröschen die Vögel und Welline die Fische. Nun könnte es doch sein, dass auch sie eine Tierart gefunden hatte, die ihrem Wesen nahestand. Sie wollte das unbedingt herausfinden. Aber wie könnte sie die Hütte verlassen, ohne die anderen zu wecken?

Auch dieses Haus hatte eine Feuerstelle, über der ein Schornstein den Qualm hinausleitete. Aber es brannte kein Feuer. Flamina prüfte mit einem Finger, ob das verkohlte Holz noch etwas Hitze in sich barg. Es war kalt. Sie versuchte es ein zweites Mal und sah fasziniert, dass sich dort, wo sie das Holz berührte, etwas Glut bildete. Schon bald stieg eine winzige Rauchwolke daraus empor. Und ohne zu wissen, was wirklich geschah, verband sich Flamina mit ihr, wurde zu Rauch und verschwand durch den Kamin nach draußen. So glitt sie langsam mit der Luft nach oben, dann flog sie vom leichten Wind getrieben seitlich neben das Haus.

Erschrocken wurde sie sich der Gefahr bewusst: Wie leicht könnte sie in weite Ferne geweht werden. Sie musste zurück auf den Boden. Aber wie? In ihrer Angst mobilisierte sie alle Kräfte, ohne sich dieser wirklich bewusst zu sein. Und endlich, auf einer Wiese etwas außerhalb der Siedlung, fiel ihr Körper zu Boden. Der heftige Aufprall schmerzte, hinterließ aber keine Verletzungen. Erleichtert richtete sich Flamina auf.

Sie hatte nicht damit gerechnet, so schnell vor einem Nachtdrachen zu stehen. Sein Rücken reichte ihr nur bis zum Knie und er verspeiste gerade etwas auf dem Boden Liegendes. Doch sofort richtete er sich auf und beäugte den plötzlichen Störenfried ärgerlich. Flamina erwiderte seinen Blick ohne Furcht.

Balising hatte den Mädchen von Drachen erzählt und sie auch beschrieben. Dieser glich einer Miniaturausgabe mit langem Hals und Schwanz und einem ovalen Körper, an den sich zwei Flügel schmiegten. Nun wandelte sich seine Augenfarbe von grün zu rot und schon traf Flamina ein Feuerstrahl. Er verursachte ihr weder Schmerzen noch richtete er Schaden an. Aber dieser unnötige Angriff ärgerte sie. Ohne nachzudenken, schleuderte sie dem Drachen einen Feuerstrahl aus ihrem Mund entgegen. Dieser war sichtlich überrascht, aber blieb ebenfalls unverletzt. Ein Feuer speiender Mapa war ihm noch nie begegnet.

Nun schleuderten die beiden sich abwechselnd ihre Flammen entgegen, bis sie erschöpft einsehen mussten, dass eine Fortsetzung ihres Tuns keinen Sinn machte. Sie standen einander ratlos gegenüber. Dann fing Flamina herzhaft an zu lachen. Sie hatte nie ernsthaft die Absicht gehabt, dem Nachtdrachen Schaden zuzufügen. Aber nun hatte sie unvermutet ein weiteres Talent entdeckt. Ihr Lachen wiederum signalisierte dem Drachen, dass sie kaum seine Feindin sein konnte. Und noch etwas erstaunte die beiden: Sie verstanden sich, ohne einen Laut von sich geben zu müssen. So ging Flamina einfach auf ihr Gegenüber zu und dieser spürte plötzlich eine zarte Hand seine schuppige Haut streicheln.

Langsam gesellten sich andere Flugdrachen dazu, die die Siedlung erfolglos nach Essensresten durchsucht hatten. Auch sie beäugten Flamina zunächst skeptisch, doch machten keine Anstalten, sie zu vertreiben. Alle hatten Hunger und das betrübte das Mädchen. Es war ein hartes Leben, jede Nacht auf Nahrungssuche gehen zu müssen. Doch dann hörte sie einen Ruf durch die Dunkelheit hallen, den sie sofort verstand. Ein Nachtdrache teilte den andern mit, dass er einen Kadaver gefunden hatte. Sie lebten also in einer Gemeinschaft, wie die Mapas. Als sie sich beinahe lautlos in die Lüfte erhoben, um dem Ruf zu folgen, winkte Flamina ihnen nach.

Auf ihrem Rückweg zur Siedlung schwirrten viele Gedanken durch ihren Kopf, doch vor der Hütte erwartete sie bereits Balising. Er blickte sie streng an. »Wo warst du?«, fragte er. Doch ohne eine Antwort abzuwarten, forderte er sie auf, ihm zu folgen. Im Schutz eines großen Baumes, etwas abseits von den anderen Hütten, bat er Flamina, von ihren nächtlichen Erlebnissen zu berichten.

Sie fürchtete sich ein wenig vor seiner Schelte. Aber der weise Mann wusste, dass nun die Zeit gekommen war, dass seine Zöglinge sich stärker ihrer magischen Kräfte bewusst wurden. Und sie mussten lernen, sie zu steuern. Verbote, Strafen oder Maßregelungen würden nicht das in Zaum halten können, was in den Tiefen ihrer Wesen schlummerte. Er konnte ihnen nur Freund und Ratgeber sein, aber niemals Lehrer in der Anwendung der Magie. In diesem Bereich waren die jungen Frauen auf sich selbst gestellt. Also blieb ihm nur, Flamina zu Vorsicht und Verantwortungsbewusstsein zu ermahnen.

Am nächsten Morgen erwachte Welline bei Sonnenaufgang als Erste. Leise verließ sie die Hütte und ging zu dem Bächlein, das sie noch immer zu rufen schien. Aus den anderen Behausungen waren die Geräusche des beginnenden Tagewerks zu hören, doch noch konnte sie niemanden entdecken. Am Wasser angekommen, sah sie einen bunt schillernden Fisch vorüberschwimmen, dann einen zweiten und dritten. Und plötzlich hörte sie die Stimme des Baches, der ihr erzählte, dass sie seinem Lauf folgen sollte. Er würde sie zu einem großen See führen. Diese Aussicht ließ Welline eilig aufbrechen. Und tatsächlich, schon bald erreichte sie den Ort, wo sich zwischen hohen Felsen ein See ausbreitete. Ruhig und tiefblau lag er vor ihr. Die ersten Strahlen der Morgensonne breiteten sich einladend über ihm aus. Die junge Frau war gefesselt von diesem Anblick. Doch dann riss ein Platschen die junge Magierin aus ihren Gedanken. Sie entdeckte Jami, wie er mit seltsamen Bewegungen über das Wasser glitt.

Welline erinnerte sich, dass Balising ihnen erklärt hatte, dass einige Mapas schwimmen konnten, sie bewegten Arme und Beine, um nicht unterzugehen. Da sich die junge Magierin einfach mit dem Wasser verbinden und auch unter der Oberfläche atmen konnte, belustigte sie der Anblick von Jami. Aber es gefiel ihr auch, wie er beinahe lautlos durch das Wasser glitt. Dann bemerkte sie allerdings etwas Sonderbares: Sein Körper war von keiner Kleidung bedeckt. Dabei hatten die Mädchen gelernt, dass die Mapas sich immer verhüllten, einerseits zum Schutz vor Verletzungen, aber hauptsächlich, weil sie es für sittsam hielten. Zwar konnten sie nicht wirklich begreifen, was damit gemeint war, doch trugen auch sie Kleidung, um sich nicht von den Mapas zu unterscheiden. Nur ihre war noch von der Mutter mit einem Zauber belegt worden. Sie fühlte sich an wie Leder, war aber aus einem besonderen Stoff, der sich dem Körper anpasste, mit ihm wuchs und nie schmutzig wurde.

Jami wirkte nicht so stark wie Sorbas und Urso, aber seine Bewegungen waren kraftvoll. Welline gefiel es, wie der junge Mann sich geschmeidig im Wasser bewegte. Sie wollte lernen, wie ein Mapa zu schwimmen. Also beobachtete sie genau, was Jami tat, denn sie wollte sich in dem Element ihres Vaters tummeln, ohne aufzufallen. Aber sie spürte auch den dringenden Wunsch, in Jamis Nähe zu sein. Also versuchte sie es ihm gleichzutun, sprang ins Wasser und machte seine Bewegungen nach. Aufgeschreckt von dem Geräusch, sah Jami sich um und entdeckte, dass Welline ihm mit ungelenken Schwimmzügen folgte.

Seine anfängliche Bestürzung über die Anwesenheit des Mädchens bei seiner eigenen Nacktheit wandelte sich schnell in die Sorge, sie könnte in ihrer offensichtlichen Unerfahrenheit mit dem Schwimmen bald untergehen und ertrinken. Er vergaß seine Scham und schickte sich an, Welline beizustehen, denn es sah wirklich so aus, als könne sie sich nicht mehr lange über Wasser halten. Mit kräftigen Zügen schwamm er ihr entgegen, während Welline darum kämpfte, sich weiter durch die Bewegungen von Armen und Beinen an der Oberfläche zu halten, damit Jami bloß nicht erkannte, dass sie das gar nicht nötig hatte. Schließlich hielt sie sich am liebsten in der Tiefe des Wassers auf.

Schließlich hatte er sie erreicht und umschlang ihren Oberkörper, um ihren Kopf über Wasser zu halten. Diese ungewohnte Berührung ließ Welline erstarren. Einen Moment lang war sie versucht, sich Jamis Armen zu entwinden und einfach unterzutauchen. Doch dann wurde ihr klar, in welche Gefahr sie den jungen Mann damit bringen würde, denn er würde sie sicher retten wollen. Und sie dachte an die Worte von Balising: »Niemand darf eure besonderen Fähigkeiten erkennen. Ihr müsst unter den Mapas unerkannt leben, bis ihr die Fähigkeit erlangt habt, eure Kräfte mit Sinn und Verstand einzusetzen. Das Böse, Etug, ist noch nicht besiegt. Er wird euch angreifen und vernichten, sobald er von eurer Existenz weiß und solange ihr noch zu schwach seid, um ihm entgegenzutreten.«

Also widersetzte sich Welline nicht Jamis Bemühungen, sie wieder an das Ufer zu bringen. An einer kleinen, grasbewachsenen Bucht zwischen den Felsen zog er sie schließlich an Land. Dann streckte er sich atemlos neben ihr aus.

Welline hielt die Augen geschlossen und spielte die Erschöpfte. Doch dann konnte sie nicht der Versuchung widerstehen, einen Blick auf den neben ihr auf dem Bauch liegenden Körper zu werfen. Jamis Oberkörper hob und senkte sich unter schwerem Atem. Seine nassen braunen Haare klebten bis über die Schultern auf der nackten Haut. Die knackige Rundung seines Popos weckte in Welline den Wunsch, diesen zu berühren. Und überhaupt ließ der Anblick unbekannte Gefühle in ihr erwachen. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass wohl nicht nur die Mapas über dieses merkwürdige Verlangen nach Verbindung mit dem anderen Geschlecht verfügten.

Jami wusste nicht, was er tun sollte. Wenn er sich aufrichtete, würde ihn Welline in seiner ganzen Nacktheit sehen und diese Vorstellung brachte ihn in große Verlegenheit. Schließlich war das Mädchen ja bekleidet. Aber er konnte auch nicht einfach so liegen bleiben, bis sie gegangen war. Er wagte nicht einmal, in Wellines Richtung zu schauen. Schließlich war er froh, als sie sagte: »Ich danke dir, Jami. Bitte erzähl niemandem von meinem Leichtsinn. Ich werde jetzt gehen.«

Als er hörte, wie sie sich erhob, wandte er, noch immer auf dem Bauch liegend, seinen Kopf und sah nach oben in ihr lächelndes Gesicht. Darin war kein Hohn zu lesen, sondern Anerkennung. Jami blickte ihr nach, während Welline Richtung Siedlung entschwand. Ein Seufzer entrann seiner Brust. Das Mädchen war so wunderschön.

Erst in der Gewissheit, wieder allein zu sein, erhob sich der Mapa, warf seine Kleidung über und ging zu einer Stelle am See, wo hohes Schilf wuchs. Dort im Verborgenen warteten ein schwimmfähiges Floß und ein teilweise ausgehöhlter Baumstamm auf ihn. Jeden Tag arbeitete er daran, ein kleines Boot zu bauen, in dem er trocken über den See gleiten konnte. Zwischen den Halmen dümpelten bereits verschiedene Modelle in unterschiedlichen Größen, aber zu klein, um einen Mapa zu tragen. All dieses hielt er jedoch geheim, weil er wusste, dass die anderen Mapas seinen Wunsch nicht verstanden. Die meisten von ihnen fürchteten sogar das Wasser, auch wenn sie am Ufer in sicherer Entfernung zu den Tiefen gern darin badeten. Doch Jami träumte davon, Boote zu bauen.

Zwischen den Hütten liefen bereits geschäftig die Vorbereitungen für das Erntefest. Sorbas und Tore suchten Jami, um mit ihm auf die Jagd zu gehen, aber Welline tat unwissend. In der Nähe des Kornfeldes entdeckte sie Sandessa, die in Begleitung von Urso den Stand der Ähren begutachtete.

Balising bemerkte sofort, dass Wellines Haare und die Kleidung nass waren und etwas Ungewöhnliches das Mädchen beschäftigte. Er brauchte nicht lange zu rätseln: Die erste seiner Zöglinge war verliebt. Vermutlich war sie sich selbst dieses Umstandes noch nicht bewusst. Aber der weise Mann kannte auch die Gefahren, die mit solchen Gefühlen einhergingen. Und sie lagen außerhalb seiner Macht.

Er rief die Mädchen zusammen, um ihnen die Regeln für den Ball-Wettkampf zu erklären, der die Feierlichkeiten eröffnete. Er war sehr beliebt bei allen Mapas und von ihm nichts zu wissen, würde nur unnötiges Misstrauen wecken. Er sollte auf der Wiese stattfinden, wo Flamina den Nachtdrachen getroffen hatte. Gerade war dorthin eine Herde der wolligen Tiere getrieben worden, die Kamirs genannt wurden, sie sollten das Gras abfressen. Ein Junge war abgestellt, um den Himmel nach Nifks abzusuchen und nötigenfalls Alarm zu geben.

Die Männer zimmerten derweil zweimal drei Holzstämme zusammen, von denen jeweils zwei im Boden verankert wurden. Der Dritte wurde oben auf ihnen befestigt. So entstanden Rechtecke. Sie hießen Fang und in ihrer Mitte würde während des Spiels ein Fänger stehen. Zwei Mannschaften mit je acht Läufern würden nun versuchen, einen Ball aus mit Stroh gefülltem Leder mit dem Fuß in den Fang des Gegners zu schießen. Wenn die Zeit in der Sanduhr abgelaufen war, hatte die Mannschaft gewonnen, die am häufigsten in den Fang geschossen hatte.

Die jungen Magierinnen nahmen den Ablauf des Wettkampfes zur Kenntnis, verstanden aber nicht, was so aufregend daran sein sollte, dass Männer eine Lederkugel durch die Gegend schossen. Mit Verwunderung bemerkten sie auch, dass sich eine Stimmung zwischen Vorfreude und Hektik in der Siedlung ausbreitete. Es wurde geputzt und eine große Tafel aufgebaut. Die jungen Männer hatten sich mittlerweile gefunden und waren zur Jagd aufgebrochen. Die Hütten wurden mit blattreichen Ästen geschmückt und einige Mädchen trugen Blumenkränze im Haar.

Zum ersten Mal in ihrem Leben dachten nun auch Sandessa, Windröschen, Flamina und Welline darüber nach, sich zu verschönern. Sie hatten alle langes Haar und lernten nun, es kunstvoll zu flechten oder aufzustecken. Nur Windröschen weigerte sich, ihre weißblonden Strähnen zu bändigen, liebte sie es doch so sehr, wenn der Wind damit spielte. Angesteckt von der allgemeinen Fröhlichkeit machten auch sie sich auf den Weg, um Blumen zu pflücken. Sandessa wusste genau, wo die passenden zu finden waren. So zierte Windröschens Haupt bald ein hellblauer Kranz, während Sandessa sich für einen goldgelben auf ihrem erdbraunen Haar entschied. Zarte Gänseblümchen verliehen Flaminas Antlitz eine ungewohnte Lieblichkeit, während auf Wellines Kopf ein sattes Rot auf dem blonden Haar prangte. Dabei verwunderte es alle, dass sie sich für diese Farbe entschieden hatte.

Bald stand die Sonne hoch am Firmament. Die Jäger hatten ihre Beute abgeliefert und alles war für das Fest vorbereitet. So zog die Gemeinschaft, begleitet von dem Gejohle der Kinder, zur Wiese, um mit dem Ball-Wettkampf die Feier zu eröffnen.

4. Kapitel

Auf der Wiese waren die beiden Fänge aufgestellt und die Kamis hatten das Gras schön kurz gefressen. Die Zuschauer platzierten sich um das Spielfeld herum, während sich die Männer auf dessen Mitte versammelten. Als Erstes wurde ausgelost, wer in welcher Mannschaft spielen sollte. Dazu befanden sich unsichtbar in einem Lederbeutel weiße und schwarze Kiesel und jeder musste hineingreifen und einen Kiesel herausnehmen. Diese wurden in der geschlossenen Hand verwahrt, bis alle sich bedient hatten. Dann wurde ein Kommando gegeben und alle zeigten ihre Steine den Zuschauern, damit sie sehen konnten, wer nun mit wem zusammenspielte. Es gab Applaus, aufmunternde Pfiffe und enttäuschte Gesichter, besonders als Sorbas seinen schwarzen Kiesel zeigte. Er spielte in der Mannschaft gegen Tore und Urso.

»Dann stehen die Sieger ja schon fest«, hörten die jungen Magierinnen es in der Menge raunen. »Die Mannschaft von Sorbas gewinnt doch immer. Er ist ein Meister dieses Wettkampfes.«

Das ärgerte Sandessa und Windröschen, waren sie doch gerade den beiden Männern in der gegnerischen Mannschaft von Sorbas besonders zugetan. Und warum wurde überhaupt ein Wettkampf veranstaltet, wenn die Sieger bereits feststanden? Flamina hingegen war begeistert, dass alle schon jetzt in dem starken Sorbas den unschlagbaren Anführer sahen. Nur Welline war enttäuscht, dass sie Jami nicht unter den Spielern fand. War er etwa zu feige, sich der Herausforderung zu stellen?

Nun begab sich der Sohn des Häuptlings auf die Wiese. Cormo war eine stattliche Gestalt mit ernstem Gesichtsausdruck und sollte den Wettkampf überwachen und eingreifen, wenn unfaire Mittel eingesetzt wurden. Andächtig legte er das gefüllte Leder in die Mitte. Dann forderte er die Mannschaften auf, sich rechts und links davon in einem vorgeschriebenen Abstand aufzustellen. Nun herrschte erwartungsvolle Stille im Publikum. Tore suchte Windröschens Blick, die ihn aufmunternd anlächelte. Urso straffte seinen Rücken, während er zu Sandessa schaute. Der Unparteiische zog eine Holzflöte hervor, sah mit strengem Blick in die Runde und setzte die Flöte an seine Lippen. Dann ertönte ein schriller Pfiff, mit dem der Wettkampf begann.

Doch diesen Ton deuteten die Flockis als Aufforderung, sich auf die Wiese zu stürzen. Sie rollten sich zu flauschigen, weißen Bällen zusammen und flitzten munter zwischen den Männern umher. Die Zuschauer lachten laut, während die Männer aus Angst, die possierlichen, bei den Kindern so beliebten Tiere mit den Füßen zu treffen, es nicht wagten, den Lederball zu erobern. Cormo war entrüstet und blies wütend in seine Flöte. Nun jagten die Spieler die Flockis, die genauso wie das Publikum sichtlichen Spaß an der Verfolgung und ihren Ausweichmanövern hatten. Doch dann traf Sorbas einen von ihnen hart mit seinem Fuß. Laut quiekend vor Schreck flüchtete dieser in die Arme eines der Kinder. Erschrocken folgten ihm die anderen.

Endlich konnte der Wettkampf beginnen und sofort eroberte Sorbas den Ball. Dabei bewies er sogleich seine Fähigkeiten, diesen ganz nach seinen Wünschen zu kontrollieren. Außerdem war er flink auf den Beinen und geschickt darin, seine Gegner auszutricksen. Schon flog der Ball in hohem Bogen in den gegnerischen Fang. Es war deutlich zu erkennen, dass alle anderen Sorbas weit unterlegen waren. Die Zuschauer jubelten und klatschten begeistert. Der Fänger warf den Ball wieder weit in das Feld hinein, direkt vor Tores Füße. Dieser war so überrascht, dass er einen Augenblick zögerte, und schon wurde er von Sorbas einfach umgerannt. Windröschen war entsetzt von der Brutalität dieses Angriffs. Zum Glück rappelte sich Tore gleich auf, aber sein Gesicht verriet, wie enttäuscht er war, seine Chance nicht genutzt zu haben.

Wieder stürmte Sorbas mit dem Ball auf den Fang des Gegners zu, ohne dass ihm ernsthafter Widerstand entgegengesetzt wurde. Selbst Urso schien schon aufgegeben zu haben. Windröschen fühlte Wut in sich aufsteigen, weil Sorbas’ Miene eine siegessichere Überheblichkeit zeigte. Er schaute sogar zum Publikum, als er den Ball erneut Richtung Fang schoss. Doch diesmal verfehlte er sein Ziel, denn ein plötzlicher Windstoß trieb den Ball am Fang vorbei. Während das Publikum erstaunte Laute von sich gab, trafen sich die Blicke von Sandessa und Windröschen. Dann grinsten beide.

Wieder warf der Fänger den Ball zu seiner Mannschaft und wie zufällig wurde er vom Wind vor Ursos Füße getragen. Wütend über seinen Misserfolg rannte Sorbas auf ihn zu, doch stolperte er plötzlich über einen Erdhügel, der sofort wieder verschwand. Die beiden Schwestern fassten sich an die Hände. Nun stürmte Urso auf den Fang von Sorbas’ Mannschaft zu. Die Gegner versuchten ihn an einem Abschuss zu hindern, weswegen er den Ball einfach abschoss, direkt in die Richtung des Fängers. Doch diesem flog auf einmal Sand in die Augen, sodass er für einen Moment blind war. So landete der Ball direkt neben ihm im Fang. Wieder jubelten die Zuschauer.