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Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Politik - Thema: Europäische Union, Note: 1,0, Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg, Veranstaltung: Politische Systeme, Sprache: Deutsch, Abstract: „Die Türkei gehört nach Europa“1 lautete die eindeutige Forderung des Economist im Dezember 2002. Ein EU-Beitritt der Türkei bedeute „das Ende der Europäischen Union“2 äußerte dagegen der frühere französische Staatspräsident und damalige Vorsitzende des Konvents über die Zukunft Europas Valéry Giscard d’Estaing. Die Meinungen über einen EU-Beitritt der Türkei gehen offensichtlich weit auseinander. Kaum ein anderes Thema wird im Zusammenhang mit der Europäischen Integrationspolitik so kontrovers diskutiert wie die Frage, ob die Türkei in die Europäische Union (EU) aufgenommen werden sollte. Innerhalb der Gruppe der EU-Beitrittskandidaten nimmt die Türkei eine Sonderrolle ein. Kein anderes Land hat sich dermaßen ausdauernd um eine EUMitgliedschaft bemüht. Kein anderes Land ist dabei so oft enttäuscht worden. Ein Wendepunkt der Beziehung zwischen der Türkei und der EU stellt der Gipfel von Helsinki 1999 dar, auf dem der Türkei offiziell der Status eines Beitrittskandidaten verliehen wurde. Durch die Eröffnung einer Beitrittsperspektive machte sich in der Türkei eine EU-Euphorie breit, die sie ihre vormalige Blockadehaltung aufgeben ließ. Unter dem innenpolitisch in Bedrängnis geratenen Präsidenten Ecevit wurden Reformen durchgesetzt, die die Türkei der EU ein gutes Stück näherbrachten. Nach demWahlsieg der islamisch geprägten Partei fürWohlstand und Gerechtigkeit (AKP) im Jahr 2002 wurde der Reformkurs intensiviert, was dazu führte, dass die EU im Jahr 2005 offiziell Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnahm. Ein Eskalieren des Kurdenkonflikts, anhaltende Probleme bei der praktischen Umsetzung der Reformen sowie eine gewisse „Reformmüdigkeit“ trüben jedoch das ansonsten seit 1999 für viele überraschend positive Gesamtbild. Die Dilalektik von Islam und Kemalismus ist für ein Verständnis der Türkei zentral. Die unter Atatürk von oben durchgesetzte kemalistische Revolution sollte die Rückständigkeit der Türkei beenden und sie auf das Entwicklungsniveau westeuropäischer Nationen bringen. Als Ursache für die Rückständigkeit der Türkei machte Atatürk den Islam aus, den er durch einen strengen Laizismus aus dem öffentlichen Leben verbannte. Hätte die kemalistische Revolution nicht stattgefunden und wäre der Laizismus somit niemals in die Türkei implementiert worden, bliebe ein Türkeibeitritt zur EU vermutlich ausgeschlossen. Ein durch islamisches Recht geprägter Gottesstaat wäre mit den Werten der EU wohl unvereinbar.
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Veröffentlichungsjahr: 2008
Page 1
Professur für Politikwissenschaft, insbesondere vergleichende Regierungslehre
Die Türkei auf dem Weg nach Europa: Reformbestrebungen zwischen Islam und
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Abkürzungsverzeichnis
AKDTYK Atatürk Kültür Dil ve Tarih Yüksek Kurumu
AKP Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung)
CHP Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei)
DDR Deutsche Demokratische Republik
DP Demokrat Partisi (Demokratische Partei)
EFTA European Free Trade Association (Europäische Freihandelsassoziation)
EG Europäische Gemeinschaft(en)
EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EMASYA Emniyet, Asayis, Yardimlasma Birlikleri
(Einheiten für Sicherheit, öffentliche Ordnung und Zusammenarbeit)
EU Europäische Union
EURATOM Europäische Atomgemeinschaft
EUV EU-Vertrag
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
MHP Milliyetçi Hareket Partisi (Nationale Aktionspartei)
MNP Milli Nizam Partisi (Nationale Ordnungspartei)
MOE Mittel- und Osteuropa
MSP Milli Selamet Partisi (Nationale Heilspartei)
NSR Nationaler Sicherheitsrat
ÖPD Özgürlük ve Dayanı¸ sma Partisi (Partei der Freiheit und Solidarität)
PPK Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)
RP Refah Partisi (Wohlfahrtspartei)
RTÜK Türkiye Radyo ve Televizyon Kurumu (Hoher Rundfunk- und Fernsehrat)
UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
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Einleitung
„Die Türkei gehört nach Europa“1lautete die eindeutige Forderung desEconomistim Dezember 2002. Ein EU-Beitritt der Türkei bedeute „das Ende der Europäischen Union“2äußerte dagegen der frühere französische Staatspräsident und damalige Vorsitzende des Konvents über die Zukunft Europas Valéry Giscard d’Estaing. Die Meinungen über einen EU-Beitritt der Türkei gehen offensichtlich weit aus-einander. Kaum ein anderes Thema wird im Zusammenhang mit der Europäischen Integrationspolitik so kontrovers diskutiert wie die Frage, ob die Türkei in die Europäische Union (EU) aufgenommen werden sollte.
Innerhalb der Gruppe der EU-Beitrittskandidaten nimmt die Türkei eine Sonderrolle ein. Kein anderes Land hat sich dermaßen ausdauernd um eine EU-Mitgliedschaft bemüht. Kein anderes Land ist dabei so oft enttäuscht worden. Ein Wendepunkt der Beziehung zwischen der Türkei und der EU stellt der Gipfel von Helsinki 1999 dar, auf dem der Türkei offiziell der Status eines Beitrittskandidaten verliehen wurde. Durch die Eröffnung einer Beitrittsperspektive machte sich in der Türkei eine EU-Euphorie breit, die sie ihre vormalige Blockadehaltung aufgeben ließ. Unter dem innenpolitisch in Bedrängnis geratenen Präsidenten Ecevit wurden Reformen durchgesetzt, die die Türkei der EU ein gutes Stück näherbrachten. Nach dem Wahlsieg der islamisch geprägten Partei für Wohlstand und Gerechtigkeit (AKP) im Jahr 2002 wurde der Reformkurs intensiviert, was dazu führte, dass die EU im Jahr 2005 offiziell Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnahm. Ein Eskalieren des Kurdenkonflikts, anhaltende Probleme bei der praktischen Umsetzung der Reformen sowie eine gewisse „Reformmüdigkeit“ trüben jedoch das ansonsten seit 1999 für viele überraschend positive Gesamtbild.
Die Dilalektik von Islam und Kemalismus ist für ein Verständnis der Türkei zentral. Die unter Atatürk von oben durchgesetzte kemalistische Revolution sollte die Rückständigkeit der Türkei beenden und sie auf das Entwicklungsniveau westeuropäischer Nationen bringen. Als Ursache für die Rückständigkeit der Türkei machte Atatürk den Islam aus, den er durch einen strengen Laizismus aus dem öffentlichen Leben verbannte. Hätte die kemalistische Revolution nicht stattgefunden und wäre der Laizismus somit niemals in die Türkei implementiert worden, bliebe ein Türkeibeitritt zur EU vermutlich ausgeschlossen. Ein durch islamisches Recht geprägter Gottesstaat wäre mit den Werten der EU wohl unvereinbar. Andererseitsverursachendie von vielen Türken als geradezu heilig empfundenen Prinzipien des Kemalismus auch Probleme in Hinblick auf einen EU-Beitritt. Die Armee, die sich selbst als Hüterin des Kemalismus sieht, ist in der Vergangenheit bereits des Öfteren gegen eine Politik vorgegangen, die sie im Widerspruch zu den
1The Economist (5.12.02).
2Le Monde (9.11.02).