Die Unschuld der blinden Tauben - Anja Gust - E-Book

Die Unschuld der blinden Tauben E-Book

Anja Gust

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Beschreibung

»Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.«
Deutschland, 1959: Tristan Krolow, der einst als angesehener Klavierlehrer wirkte, steht vor einer schicksalhaften Reise in die Vergangenheit. Anna von Elm, seine ehemalige Lieblingsschülerin, ruft nach Hilfe, und Tristan folgt ihrem Ruf. Doch die Erinnerungen, die ihn erwarten, sind nicht nur von Freude und Musik geprägt. Sie bergen auch Geheimnisse, Schmerz und die Frage, ob er sich den Stürmen des Lebens stellen kann. In einer Zeit, in der Deutschland im Wandel ist und die Menschen nach Identität und Hoffnung suchen, wird Tristan vor eine zentrale Entscheidung gestellt: Kann er die Vergangenheit bewältigen und damit auch sich selbst?

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Anja Gust

 

 

Die Unschuld der

blinden Tauben

 

 

 

 

 

Ein dramatisch-romantischer Liebesroman 

 

 

 

 

 

Impressum

Neuausgabe

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Sofia Steinbeck nach Motiven, 2024 

Korrektorat: Katharina Schmidt

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

www.baerenklauexklusiv.de

 

Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Das Copyright auf den Text oder andere Medien und Illustrationen und Bilder erlaubt es KIs/AIs und allen damit in Verbindung stehenden Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren oder damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung erstellen, zeitlich und räumlich unbegrenzt nicht, diesen Text oder auch nur Teile davon als Vorlage zu nutzen, und damit auch nicht allen Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs nutzen, diesen Text oder Teile daraus für ihre Texte zu verwenden, um daraus neue, eigene Texte im Stil des ursprünglichen Autors oder ähnlich zu generieren. Es haften alle Firmen und menschlichen Personen, die mit dieser menschlichen Roman-Vorlage einen neuen Text über eine KI/AI in der Art des ursprünglichen Autors erzeugen, sowie alle Firmen, menschlichen Personen , welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren um damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung zu erstellen; das Copyright für diesen Impressumstext sowie artverwandte Abwandlungen davon liegt zeitlich und räumlich unbegrenzt bei Bärenklau Exklusiv. Hiermit untersagen wir ausdrücklich die Nutzung unserer Texte nach §44b Urheberrechtsgesetz Absatz 2 Satz 1 und behalten uns dieses Recht selbst vor. 13.07.2023 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Die Unschuld der blinden Tauben 

Kapitel 1 

Kapitel 2 

Kapitel 3 

Kapitel 4 

Kapitel 5 

Kapitel 6 

Kapitel 7 

Kapitel 8 

Kapitel 9 

Kapitel 10 

Epilog 

 

Das Buch

 

 

 

 

»Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.«

Deutschland, 1959: Tristan Krolow, der einst als angesehener Klavierlehrer wirkte, steht vor einer schicksalhaften Reise in die Vergangenheit. Anna von Elm, seine ehemalige Lieblingsschülerin, ruft nach Hilfe, und Tristan folgt ihrem Ruf. Doch die Erinnerungen, die ihn erwarten, sind nicht nur von Freude und Musik geprägt. Sie bergen auch Geheimnisse, Schmerz und die Frage, ob er sich den Stürmen des Lebens stellen kann. In einer Zeit, in der Deutschland im Wandel ist und die Menschen nach Identität und Hoffnung suchen, wird Tristan vor eine zentrale Entscheidung gestellt: Kann er die Vergangenheit bewältigen und damit auch sich selbst?

 

 

***

Für mein Dreamteam. 

Die Unschuld der blinden Tauben

 

Ein dramatisch-romantischer Liebesroman

 

 

Kapitel 1

 

Transsibirische Eisenbahn, November 1959

Worte. Geflüsterte Silben. Ich.

Der schmale Mond überzieht das Land mit seiner dünnen Silberhaut. Er und die aufgehende Sonne, mit ihrem ersten blassroten Schimmer, geben sich an diesem eisigen Morgen ein Stelldichein.

Die harten Stöße des Triebwerkes der Eisenbahn Richtung Westen hämmern in meiner Brust. Herzrasen.

Acht lange, verharrende Jahre im Gefängnis des eisigen Sibiriens. Vor acht Jahren bin ich strafversetzt worden. Acht lange Jahre – festgesetzt in Westsibirien. Nun bin ich frei und doch noch immer gefangen. Und werde es auch bleiben. Ein Leben lang.

Graugänse fliegen in Formation über die riesigen Feuchtwiesen. Aufbruch gen Süden. Ihre Ga-Ga-Ga-dringlichen Botschaften an die Anderen im Schwarm hallen weit über das unschuldige Land. Ich kann ihr Schnattern nicht hören, dennoch fühle ich es auf meiner Haut. Verständigungslaute. Sie lassen ihre Familienmitglieder wissen, dass sie noch da sind und es ihnen gut geht.

Es ist unfassbar schön, aus dem Fenster zu schauen, während mein Kopf erschöpft am Polster des Sitzes ruht. Gezeichnet.

Ob du da sein wirst, geliebte Anna?

Zweifel. Freude.

Von meinem schweren Unfall vergangenen Monat habe ich dir nur kurz im letzten Brief berichtet. Ich habe mich schwergetan, dir davon zu erzählen, da ich dich nicht beunruhigen wollte. Und mich auch nicht. Angst.

Ich wünsche mir nichts mehr, als die Gewissheit, dass es dir gut geht. Manchmal, in meinen Träumen sehe ich dich leiden, aber nicht entmutigt. Zuweilen auch traurig, aber nicht ohne Freude oder glücklicher Momente. Und ich hoffe inständig, ich täusche mich nicht.

Ich fühle ein Meer in mir, einen brodelnden Ozean, den ich nicht deuten kann, doch der mir sagt, dass es mehr gibt, als ich zu hoffen wage. Manchmal sehne ich mich nach diesem Elixier mit seinem tiefen Schlaf. Mir ist durchaus bewusst, dass das Wasser auch kabbelig und aufgewühlt sein kann. Seine Strömungen wirken in meinen Gedanken mit einem Mal so sog voll; so bedrohlich tief und schwarz, wie die Schwärze des Weltraumes, unermesslich, unmenschlich und feindselig. Plötzlich wird mir bewusst, was das Meer in Wirklichkeit ebenfalls ist: Ein kontrahierender Muskel, der nichts, was er einmal umfasst hält, wieder hergibt.

Ich bin erleichtert, als mir endlich die Augen zufallen. Mehr denn je finde ich Trost im Nichtwissen sowie im Selbstversinken. Die Stunden verstreichen. Die Wagen rattern im Takt der Schienenstöße, während draußen triste Plattenbausiedlungen vorbeiziehen.

Tristan, höre ich dich leise in meinem Kopf sagen. Deine raumgreifende Stimme. Engelsgleich. Liebliche Prosodie. So lange schon her, geliebte Anna. Zu lange. Tristan, was für ein schöner Name. Er hört sich erwartungsvoll an, raunend und erhaben, wie zur Beschwörung von etwas sehr Machtvollem. Du lächelst in meinen Gedanken und lutschst weiter auf meinem Namen herum. Tristan.

Ich sehe dich, mit deinem bezaubernden Grübchen vor mir:

Deine Annagrübchen, so unverwechselbar. Du bist wunderschön.

Einfach schön.

Einfach so schön.

Schön – so einfach.

So einfach, schön.

Dann klatschst du in die Hände und lachst. Du schaust so ungläubig, Tristan.

Doch ich bin nicht ungläubig. Ich frage mich nur gerade, wie sich ein Zuviel an Begeisterung deiner Person auswirken würde. Und wie sähe es aus, wenn das, was ich gerade erlebe, ein Zuwenig wäre?

Unsanft werde ich geweckt. Geräusche. Benommenheit.

Mein Nacken schmerzt und der rechte Arm ist gefühllos.

Ich versuche, meine tauben Finger zu bewegen. Kribbelnd kämpfen sie sich ins Leben zurück.

Durch die Tür meines Abteils ertönen Stimmen. »Fahrkartenkontrolle!«

Der Zug hält.

›Jekaterinburg‹ wirft mir ein Schild mit schwarzer Schrift auf weißem Grund entgegen. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Bald.

Einige Fahrgäste steigen aus. Sicherlich steht auf deren Programm ein Besuch der ›Kathedrale auf dem Blut‹, errichtet an jener Stelle, an der die Kommunisten die Zarenfamilie erschossen haben. Neuerdings hat sich diese Gedenkstätte zum Zentrum der russischen Zarenverehrung entwickelt. Menschen aller Altersgruppen verneigen und bekreuzigen sich, zünden Kerzen an, welche eine zutiefst feierliche Atmosphäre erzeugen.

Eiskalt weht hier der Wind um die Hochhäuser, die das Stadtbild dominieren. Diese Stadt ist heimliche Weltstadt. Vor allem wegen der Bodenschätze aus dem Ural glänzt das »Millionenungeheuer« mit seinem Reichtum.

Mit verschlafenem Blick aus meinem Abteil beobachte ich all die Menschen, die ich nie kennenlernen werde; die, die sich aneinander vorbei, in die Arme ihrer Liebsten drängen – und bemerke: Wir sitzen alle in einem Boot; nur eingecheckt wird in verschiedenen Decks, in denen entschieden wird, ob jemand rudern müsse oder sich sonnen könne.

Aus der Reisetasche hole ich mein Notizbuch hervor. Das schwarze Ledergebundene liegt kühl in meiner Hand. Fest umschlungen halte ich es, noch nicht bereit, es aufzuschlagen.

Größtenteils erfasse ich Beziehungen unter Menschen von Sympathien und Antipathien auf eine Weise, wie ich es über die Sprache nicht zu fassen vermag. Meine wortschwache, mündliche Kraft behindert meine Kommunikation. Sie steht mir im Wege.

Ich stehe mir selbst im Wege. Darum schreibe ich.

Nach bestem Wissen und Gewissen verewigte ich täglich meine Gedanken auf reinem, unschuldigem Papier. Damals hast du mir, liebe Anna, gezeigt, mich sanft gelenkt, wie ich es am geschicktesten anstellen könnte, meine Geschichten zu erzählen: Mach es sexy! Schreiben ist Verführung zum Lesen! Verführ mich zum Lesen! Mach mich mit Worten an, Tristan! Wirf meine Tagesplanung um! Bring mich dazu, weitere fünf Seiten zu lesen, egal, ob dadurch das Essen kalt wird oder ich die wichtigste Verabredung meines Lebens verpasse! Es kommt zudem nicht immer auf einen ungeheuren Erkenntnisgewinn an. Literatur beantwortet keine Fragen, aber sie stellt die richtigen Fragen. Ein gutes Buch ist ein ‚Tischlein-deck-dich‘.

Später dann folgten deinen Worten in der Tat einige geschwungene, kraftvolle Tätowierungen meinerseits. Ich schrieb und schrieb und dachte und dachte – und denke und denke und schreibe und schreibe. Dein Glaube an mich und deine Zuversicht geben mir Auftrieb.

Werden mir Auftrieb geben.

Jederzeit. Hoffnung.

Ach, Anna. Du, meine Muse. Ach, Anna. Du, meine Lehrmeisterin. Was gibt es nicht, was die Welt der Worte nicht zu erschließen vermag? Welche Horizonte sind weit genug, sie nicht irgendwann zu erreichen?

Oft sind meine Gedanken in einem Gespräch mit dir gefangen; das Gefühl, mit dir einfach nur stumm zu reden, hallt in mir nach und um fängt mich mit einer angenehmen Wärme, gleich einem stillen Verharren im Moment der Besinnung. Dein geheimnisumwobenes Wesen ist ungreifbar. Und doch so warm, wie Saharawinde. Es werden quälende Wünsche in mir geboren, ein machtvolles Verlangen, das sich in keine Bahn lenken lässt. Es gleicht einem unstillbaren Hunger, einem Verlangen, ohne zu wissen, wonach.

Bettler lungern auf den Bänken am Bahnsteig, ein Lumpensammler hat sich über den Mülleimer gebeugt.

Einst fragtest du mich, ob das normal wäre, was ich dir berichte in den Briefen aus meiner Welt; all die Obdachlosen, all die Bettler, all die Reichen in dieser unserer Glitzerwelt und wann und ob die Polizei einschreitet – oder auch nicht. Damals. Damals war alles schwer zu erklären, du kamst aus einer anderen Welt. Und – was ist heutzutage schon normal.

Überhaupt das Wort ›normal‹. Was ist normal? Lange habe ich über die Frage nachgedacht.

Alles ganz harmlos.

Ganz harmlos?

Zeit. Zu viel Zeit.

Meine liebe Anna, du hattest schon immer deinen Blick für die Gewalt und Barbarei unter dem Firnis der Zivilisiertheit kultiviert und gepflegt. Die tägliche Brutalität liegt gar nicht tief unter der krustigen Oberfläche der Muttererde, egal wo auf der Welt.

Was ist heute, wie gestern, schon normal?

Menschenwürde – Freiheit – soziale Gerechtigkeit – Gleichheit – Wahrheit – Solidarität – Ehrlichkeit – Glauben – Humanität – Toleranz, alles Worthülsen im Schafspelz, gleich der Sittlichkeit, die ohne Annahme der Autonomie des Individuums undenkbar wäre?

Sind Freiheit und Sittengesetze wirklich nichts weiter als Ausdruck der praktischen Vernunft?

Wenn diese Werte tatsächlich so wertvoll sind, warum geht dann nicht ein Schrei durch die Gesellschaft, wann immer gegen diese Werte verstoßen wird? Und überhaupt das Wort ›Gesellschaft‹. Was ist das eigentlich?

Ist ›Gesellschaft‹ nichts anderes als ein Konglomerat einander überschneidender Gegensätze und Widersprüche, ein unentwirrbares Konvolut menschlicher Beziehungen? So viele Fragen.

Doch ich ahne, ich will zu viel. Viel zu viel. Seit jeher mein Fehler.

Eine aufgerauchte Zigarette beschreibt einen kurzen Bogen, bis sie im Gleisbett landet und der Zug wieder ruckelnd anfährt. Schnell nimmt er an Fahrt auf und saust an Städten vorbei, die keine Schönheiten sind. Schnell wird klar, dass hier Schwerindustrie die Umwelt belastet.

Liebste Anna. Meine Anna. Bald schon wird es soweit sein. Bald.

Meine Tür wird geräuschvoll aufgeschoben und ich blicke auf. Eine blonde Studentin setzt sich zu mir ins Abteil, starrt mich erst entgeistert, dann schuldbewusst an.

Nein, ich senke nicht mehr meinen Kopf, sondern nicke ihr freundlich zu. Ertappt nickt sie mit einer Spur Freundlichkeit zurück, um wenig später, mit einem Taschenspiegel, ihr dezent geschminktes Gesicht zu kontrollieren und mit dem perlmuttfarbenen Lippenstift ihre vollen Lippen nachzuziehen. Alltag.

Ein blasser Pfirsichhauch – mehr bringt ihr Gesicht nicht zuwege. Lieblich. Unwillkürlich lächelt sie mir jetzt doch noch zu. Ich schmunzele, auch wenn es nicht so aussieht. Sie zuckt mit den Achseln und verschmilzt lautlos mit ihrer Zeitschrift. Ich bin erleichtert, dass die Konversation auf diese Weise beiseitegeschoben wird, und versinke wieder in meinen Träumen, mit gen Fenster zugewandtem Blick, während die Fahrt bei einer Durchquerung einer langen Tunnelschneise etwas an Geschwindigkeit abnimmt. Es wird dunkel und die Deckenbeleuchtung in unserem Abteil stellt sich automatisch ein. Welch Quantum an Glück!

Zum Glück wird ›Glück‹ verschieden definiert, denn im Grunde ist ein kleines Quäntchen ›Glück‹ nichts anderes als ein Zustand der Befindlichkeit, der unter verschiedenen Umständen auch ganz verschieden empfunden wird.

Die Eisenbahn verlässt den Tunnel. Ich erblicke ein Standbild des Zaren Alexander III., der Richtung Osten schaut und dessen steinerner Arm auch dorthin weist.

Unaufhaltsam schnauft die Eisenbahn 'gen Westen weiter.

Der Zug rast jetzt durch eine kilometerlange Waldschneise. Endlos scheinende Birkenwälder, die die Landschaft prägen. Manchmal ducken sich kleine Holzhäuser an die Trasse. Viele sind verfallen, längst nicht mehr bewohnt, aus anderen steigt eine Rauchsäule auf, ein Zeichen menschlicher Zivilisation. Es folgen wiederholt Bäume. Nichts als Bäume. Unendliche Gestalten, die die Menschen überleben. Bizarre Wesen, mit ihrer eigens ausgestatteten, bunten Vielfalt.

Zum summenden Klang der Räder auf den Schienen nicke ich wieder ein und erinnere mich an unser schönstes Erlebnis …

… de de deng, de de deng, rhythmisch geht es vorwärts. De de deng, de de deng …

… Und so laufen und laufen wir immer tiefer, deine Hand in der meinen, immer vorwärts, rhythmisch, bis wir an einen kleinen See gelangen, in dessen Mitte der Mond badet und wir stürzen uns hinein. Knietief bleibst du am Rand stehen. Lachend spritzen wir uns nass, du gerätst aus dem Tritt, hältst dich an mir fest.

Hey, wo schaust du hin? Fragend schaust du mich an.

Ich sehe eigentlich nirgendwo hin. Ich versuche nur, dich nicht anzugucken, denn ich begehre dich. Natürlich begehre ich dich. Ich begehre dich so sehr, dass ich den Blick kaum von dir abwenden kann. Doch ich reiße mich zusammen.

Später, sitzend am Ufersaum, sehen wir hinauf zu den Sternen und reden über den Tod.

Siehst du den Tod tragisch? Mit großen Augen siehst du mich an. Das Blaue in ihnen schimmert, als würde sich das Wasser des Sees im Mondschein darin spiegeln. Gedankenverloren gehen deine Augen auf Wanderschaft – und doch bist du ganz bei mir. Es scheint, als saugst du meine Worte in dir auf, als spinnst du meine Gedanken weiter.

Verträumt schaust du in die Ferne, als wärest du außerhalb dieser Welt. Als erschaffst du unsere eigene Welt. Unwillkürlich bemerkst du, wie einige Strähnen deines blonden langen Haares dir immer wieder in die Augen wehen und flichtst eilig einen dicken Zopf.

Wir sind dicht beieinander. Deinen zarten Nacken im Blick, begegnen wir uns ungezwungen. Beschützend umfasse ich dich.

O, raunst du, ist das schön. 

Wohlfühlen. In der Tat fühlt es sich so an, als ob der dunkle und der helle Teig beim Marmorkuchen miteinander verschmelzen, als ob ein purpurner Sonnenuntergang uns seinen warmen Abendhauch entgegenweht. Dich umspielt der Geschmack nach Unschuld.

Deine Wangen glühen. Wieder einmal muss ich meine Finger ineinander verschränken, um nicht erneut die ausgestreckt suchende Hand zu ermahnen, mit dem sinnlichen Verlangen, deine warme seidige Haut zu liebkosen. Was ist es nur, was mich quälend treibt und ich nicht beherrschen kann, obwohl ich mich doch beherrschen will? Gar beherrschen muss. Unsere enge Freundschaft ist mir unendlich heilig. Du vermittelst mir das Gefühl, der einzige dir wichtige Mensch auf der ganzen Welt zu sein. Im Laufe der Zeit, so scheint es, bist du für mich ein offenes Buch geworden: Ich kenne den sehnsüchtigen Laut in deiner Kehle; die Art, wie du auflachst, wenn du unsicher bist. Danke, dass du mich für einen kleinen Augenblick die Schwelle zu deiner Welt hast übertreten lassen.

Gegen Morgen fängt es zu regnen an. Sämtliche Geräusche und Gerüche fluten nach der Hitzeperiode des Sommers zurück – aufgerührt vom Wind und der Nässe entfalten die Blumen und Blätter ihr volles Aroma. Selbst der See sondert einen eigenartigen Schwall an erdigem Torfgeruch ab, als der Regen die glatte Oberfläche durchbricht und sich in ihn eingräbt. Ich kann es deutlich riechen.

Geliebte Anna, dein jugendlich forderndes, rigides, mutig entschlossenes und sehr emotionales Naturell, (wenn es darauf ankommt, besitzt du die Schnelligkeit einer Leopardin, mitsamt der dazugehörigen, einzigartig weichen, geschmeidigen Bewegung) drückt die Waagschale schwer nach unten; mein kühl, zielstrebiges und intuitiv sehr eigenes, sehnsuchtsvoll gefühlstiefes und experimentelles, doch auch durchaus sehr beständiges Wesen auf der anderen Seite, als Gegengewicht.

Dieses Gleichgewicht – welches man auch für die eigene Person zu erreichen versucht – jemanden zu haben, aber nicht zu besitzen, mit dem Ziel, eine Ausgewogenheit zu erzielen. Schwierig – eine unausgegorene Theorie.

Unehrlichkeit – für dich nimmt sich schon immer eine derartige verzerrte Information wie ein Ding der Unmöglichkeit aus. Vieles hat dich schon in deiner Kindheit verwirrt. Und jetzt, mit deinen knapp zwanzig Lebensjahren, werden deine Gedanken und Gefühle in deutlichere Worte gepresst. Sie sind lange schon in deinem Herzen eingesperrt. Zu lange. Nun werden diese, durch unsere Gespräche in die Freiheit entlassen. Es ist schön, dass du dich mir so offenbarst.

Offenheit bedeutet Freiheit, aber auch Gefahr.

Vertrauenswürdigkeit ist ein hoher Wert, den es nicht zu verspielen gilt.

Ich weiß nicht mehr, was wir alles miteinander beredet haben, ob es eine lange oder kurze Zeit war, die verging. Aber eines weiß ich auch heute noch ganz genau: Es war das Beste, was mir je passiert ist. Gott, was liebe ich dich. Sehnsucht kann quälend wehtun, vor allem wenn sie allein in Träumen stets von Neuem Nahrung finden.

Das filigrane Bild von dir in mir ist eine eindringliche, intensive Komposition, ein Anblick, der mich direkt ins Herz trifft und mich aus meiner innegewohnten Umlaufbahn herausreißt. Etwas berührt mich zutiefst; das Warum im Leben verlangt immer nach einer Antwort. Dein Bild in meinem Herzen: zugewandt und zugleich doch unerreichbar.

Du, meine Geliebte, was verbindet uns miteinander? Welcher Zauber liegt in der Luft? Unsere gegenseitige, atemberaubende, immer wieder erneut belebende, beeindruckende Neugierde? Dein Bild in meinem Herzen ist so lebendig und ich muss mich zur Vernunft und Ruhe ermahnen; muss gleichzeitig Position beziehen, wenn ich dich sorgsam und bedacht zugleich beobachte, und dein Bild in meinem Herzen zu leben beginnt.

Wenn ich ein Bild von dir haben könnte, müsste es dich in diesem Moment der Vollkommenheit zeigen, indem du zu mir am Ufer einst aufblicktest, mich ansahst und sagtest: ‚Ist das alles wahr?‘

Gedankenversunken senke ich meinen Blick, reibe mir mit meiner rechten Hand über die Augen. Doch ich weiß tief in mir: Ich will meinen Schatz nur für mich selbst behalten. Könnte man ein Bild im Herzen überhaupt verraten?

Warum hadere ich?

Tristan, bekenne dich zu deinem drängenden Gewissen! Steh auf, im Strudel der Zeit! – rufe ich mir zu.

Dein Wesen, meine Liebe, so wie du bist, so wie ich dich sehe, nicht so wie du sein möchtest, bewahre ich tief in meinem Herzen. Dieses deinige Bild lässt mich seit damals, all die Jahre, nicht mehr los, was auch daher rühren mag, dass ich schon lange nicht mehr an das frühere Zuhause denke, an die einst vergangene, versunkene Vergangenheit ohne Anlaufstelle; und weil mir dein Bildnis das Überleben sichert.

All die Jahre.

Du weckst immer wieder aufs Neue Sehnsüchte in mir auf, die ich nicht zu Ende zu denken wage, aus Furcht, sie damit zu zerstören. Welch filigranes Gespinst entspannt sich da über mir, das in Gänze zu erfassen mir unmöglich ist?

Ob ich überhaupt noch schwimmen könnte?

Heute?

Konnte man das Schwimmen denn überhaupt jemals wieder verlernen?

Kann man lernen zu verlieren?

Siehst du den Tod tragisch? Damals gab ich dir keine Antwort, doch heute weiß ich, dass ich großen Kummer empfinde. Aber keine Tragik. Ich empfinde Tragik als ein Gefühl, welches auf einem schrecklichen Fehler basiert, die Notwendigkeit einer Situation nicht zu begreifen.

---ENDE DER LESEPROBE---