DIE UNTERWASSERSTÄDTE - Felix Aderca - E-Book

DIE UNTERWASSERSTÄDTE E-Book

Felix Aderca

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Beschreibung

Die Sonne erkaltet. Unaufhaltsam rücken die polaren Eismassen in Richtung Äquator vor. Die Menschheit zieht sich in die großen Wärme-Reservoire der Erde zurück: in die Tiefen der Ozeane. Riesige Kuppelstädte entstehen auf dem Meeresgrund. Doch auch diese Lösung bedeutet nur einen Aufschub vor dem unerbittlichen Kältetod. Die letzten Vorkommen an radioaktiven Elementen sind bereits erschöpft; die technische Nutzung der Kernfusion ist immer noch ein fragwürdiges und gefährliches Unterfangen.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die der Menschheit noch bleiben: Entweder ins heiße vulkanische Erdinnere vorzudringen, um den natürlichen Wärmevorrat des Erdkerns anzuzapfen, oder in letzter Minute durch das Eis der zufrierenden Ozeane einen Weg zu den Sternen zu suchen...



Der Roman Die Unterwasserstädte von Felix Aderca (* 13. März 1891 in Puiești, Vaslui als Zelicu Froim Adercu; † 12. Dezember 1962 in Bukarest) erschien 1932 als Fortsetzung im Feuilleton der Zeitschrift Realitatea Ilistratá. Da der Autor sich hinter einem Pseudonym verbarg, hielt man die Erzählung zunächst für eine Übersetzung aus dem Englischen. Erst die Buchausgabe erschien im Jahr 1936 unter seinem Namen.

Der Roman erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX SCIENCE-FICTION-KLASSIKER.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


 

 

 

 

 FELIX ADERCA

 

 

Die Unterwasserstädte

 

 

 

 

Roman

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 63

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE UNTERWASSERSTÄDTE 

1. Der Todeskampf des alten Pi 

2. Die Stadt mit dem Feuerherzen 

3. Zwischen zwei Zeiten 

4. Die Lebensgeschichte ist ein Kreis 

5. Der Todesarzt 

6. Das achte Gas 

7. Das Traumzimmer 

8. Die Nacht 

9. Die weiße Schlange 

10. Das Recht auf Mord 

11. Der letzte Karneval 

12. Der Tod der Städte 

13. Zwei unerkannte Sterne 

14. Der Rächer 

15: »O« 

 

Das Buch

 

Die Sonne erkaltet. Unaufhaltsam rücken die polaren Eismassen in Richtung Äquator vor. Die Menschheit zieht sich in die großen Wärme-Reservoire der Erde zurück: in die Tiefen der Ozeane. Riesige Kuppelstädte entstehen auf dem Meeresgrund. Doch auch diese Lösung bedeutet nur einen Aufschub vor dem unerbittlichen Kältetod. Die letzten Vorkommen an radioaktiven Elementen sind bereits erschöpft; die technische Nutzung der Kernfusion ist immer noch ein fragwürdiges und gefährliches Unterfangen.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die der Menschheit noch bleiben: Entweder ins heiße vulkanische Erdinnere vorzudringen, um den natürlichen Wärmevorrat des Erdkerns anzuzapfen, oder in letzter Minute durch das Eis der zufrierenden Ozeane einen Weg zu den Sternen zu suchen...

 

Der Roman Die Unterwasserstädte von Felix Aderca (* 13. März 1891 in Puiești, Vaslui als Zelicu Froim Adercu; † 12. Dezember 1962 in Bukarest) erschien 1932 als Fortsetzung im Feuilleton der Zeitschrift Realitatea Ilistratá. Da der Autor sich hinter einem Pseudonym verbarg, hielt man die Erzählung zunächst für eine Übersetzung aus dem Englischen. Erst die Buchausgabe erschien im Jahr 1936 unter seinem Namen. 

Der Romanerscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX SCIENCE-FICTION-KLASSIKER. 

 DIE UNTERWASSERSTÄDTE

 

 

 

 

 

 

 

 

  1. Der Todeskampf des alten Pi

 

 

Ein dröhnender Gongschlag ertönte. Die ganze Glasstadt am Boden des tiefen Wassers schien mitzuschwingen. Das Echo durcheilte sie und wurde millionenfach zurückgeworfen, ohne zu ersterben. Die Stadt Hawaii, diese gewaltige Kristallkugel in der Tiefe des Stillen Ozeans, unweit der Insel Hawaii, die einst in der Erdzeit ein herzerfrischender paradiesischer Garten war, ertönte in einem einzigen, schmerzlichen, furchteinflößenden Dröhnen. Alle Laboratorien, alle die unzähligen Werkstätten in den langen Fluchten des achtziggeschossigen Gebildes am Meeresgrund hallten wider von der klingenden Schmerzensbotschaft und harrten gleichzeitig schreckerfüllt des nahenden Unheils.

Ingenieur Whitt, der Generaldirektor der Hauptstadt und Leiter des Chemielabors im 40. Stockwerk, schreckte auf.

»So früh?«

Er warf einen Blick auf die elektrische Wanduhr. Eine Stunde vor Mitternacht.

Weshalb erdröhnte der Gong mit seinem tiefsten Klang? Steht es um den Präsidenten der Menschheit tatsächlich so schlecht? Geht es mit dem alten Pi zu Ende? Vor kaum zwei Stunden noch hat das politische Komitee an einer rhythmischen Tanzvorstellung teilgenommen, die die Schülerinnen der Ernährungsstadt Ceylan in der Hauptstadt gegeben haben. Alle hatten sich über das gute Aussehen des Präsidenten gefreut. Der alte Pi atmete ganz normal, ohne zu röcheln, obwohl er schon 39 Jahre zählte. Ach, diese Stümper in den Biologielabors! Nicht einmal eine Stunde lang sind sie imstande, den Luftdruck der Unterwasserstädte konstant zu halten! - Und die Chirurgen gehören an den Galgen. Noch immer ist es ihnen nicht gelungen, die Herzpumpe zu vereinfachen. Im letzten Jahrhundert hat sich die Lebenserwartung um 10 Jahre verkürzt. Niemand wird älter als vierzig Jahre.

Blitzartig durchzuckten diese Gedanken das Hirn des Ingenieurs Whitt.

Er schob den zur Hälfte mit Zeichen bedeckten Bogen zur Seite und stand auf.

Mangelndes Vertrauen in die ihm untergeordneten Menschen veranlasste ihn zu der Frage: »Sollte beim Meldedienst des Präsidialsitzes ein Fehler unterlaufen sein?« Sein Blick ist starr auf das Zifferblatt der Uhr gerichtet. Dennoch merkt er kaum, dass die Zeiger inzwischen weitergerückt sind. Er bedauert den alten Pi, den Entdecker der Formel. Sein Tod jedoch bedeutet für ihn, Ingenieur Whitt, die Wahl zum Präsidenten der Menschheit.

Immer schon wusste Whitt von dem großen Hindernis, das seinen Weg versperrte: Ingenieur Xavier, der Leiter der Werke und der Unterwasserstadt Mariana in der Nähe der früheren japanischen Erzlager. Der plötzliche Tod des alten Pi würde einen Zusammenbruch heraufbeschwören. Ach, würde er doch noch ein Jahr leben. Für Whitt wäre das genug, um die Formel des Alten in den Chemielabors zu überprüfen und damit die Bedeutung der schwarzen Marianastadt und ihrer alten Werkstätten zunichte zu machen.

Nein, es kann nicht sein! Der alte Pi stirbt nicht! Es muss ein Irrtum vorliegen!

Ingenieur Whitt stürzt in die dunkle Kabine. Er ruft das Präsidialamt an und wartet. Drei Sekunden vergehen, und weitere zwei. Ingenieur Whitt sagt sich, wenn er in zehn Sekunden keine Antwort hat, bewahrheitet sich seine Annahme: Dem alten Pi ist nichts zugestoßen, der Meldedienst hat den Gongschlag irrtümlich ausgelöst und die Chefingenieure der vier Städte zusammengerufen, anstatt den Austausch der Mannschaften oder den Wassereinbruch in eines der Stockwerke anzuzeigen.

»Der Meldedienst des Präsidialamtes«, schnarrt es aus dem Lautsprecher. Auf der Silberscheibe, deren Drehzahl sie als Spiegelscheibe erscheinen lässt, ist das bleiche Gesicht von Ingenieur Wann zu erkennen.

»Hör einmal, Wann, was ist los bei euch? Wer hat den großen Gong betätigt? Wer ist des guten Lebens überdrüssig und möchte in die Tiefkühlkammern im achtzigsten Stockwerk?«

»Der Präsident liegt im Todeskampf. Kommen Sie rasch! Verzeihen Sie, dass ich unterbreche, ich muss fort.«

Wanns Antlitz verschwindet von der Silberscheibe, gleich einem Nebelgebilde bei kaltem Wind,

»Also ist es wahr«, flüsterte Ingenieur Whitt und über seine großen Augen fiel ein Schleier. Das geschah immer, wenn er angestrengt nachdachte.

Niemand konnte Ingenieur Xavier aus Mariana daran hindern, zu dem im Todeskampf liegenden Präsidenten zu eilen. Mariana war unglücklicherweise von der Hauptstadt Hawaii nicht durch ein unterseeisches Gebirge getrennt. Die Verbindungen wickelten sich über eine breite Unterwasserstraße ab, die dreifache Wände gegen die Wassermassen abschirmten. Die Schallzeichen der Hauptstadt wurden in Mariana fast mit der gleichen Klarheit registriert.

In seinem Büro sah Ingenieur Whitt erschreckt auf die Uhrzeiger. Der Minutenzeiger war schon vier Minuten weitergerückt.

In wenigen Minuten werden die Elektrozüge die interkontinentalen Entfernungen durchmessen haben und in der Stadt Hawaii eintreffen. Das politische Komitee wird sich im Kabinett des Präsidenten versammeln.

Als Whitt bei den Zentralaufzügen der Stadt anlangte, die die Dienstetage mit den Wohnetagen verbanden, nahm ihn das rasch an- und abschwellende Maschinensummen gefangen. Alle Kabinen quollen von Menschen über. Alle strömten zum großen Platz in der ersten Etage der Stadt, wo das Präsidialamt lag.

Whitt nahm seinen blitzschnellen Privataufzug. Dabei dachte er betrübt: Auch hier in Hawaii ist es mir nicht gelungen, mit hochwertigen Menschen zusammenzukommen. Niemand hat sich der alten Gewohnheiten und Gefühle entledigt. Alle sind sensationslüstern und laut. Sie haben sich noch nicht daran gewöhnt, algebraisch zu leben und logarithmisch zu denken. Welch Leben! Welche Erregung! Was für ein Lärm! Lächerlich!

Der niedersausende Aufzug hielt sanft.

Ingenieur Whitt trat auf den erleuchteten Platz hinaus. Er durchschritt das Ehrenportal, machte einen kleinen Bogen um das Denkmal des Ingenieurs Walles, des ersten Erbauers von Unterwasserwohnungen, und eilte dem großen Tor zu, hinter dem die Amtsräume lagen. Er durchschritt den Garten mit den Glas- und Stahlpflanzungen und trat durch eine runde Schleuse. Am Ende des Gangs hielt ein Riesenweib Wache. Sie stammte aus Mariana und war mit einem elektrischen Revolver bewaffnet, der geräuschlos funktionierte und dessen Elektroschocks Herz und Gehirn lähmten. Beim Erscheinen Whitts trat sie wortlos beiseite und öffnete eine bis dahin von ihr verdeckte Tür.

Whitt trat in den roten Marmorsaal, in dem sich das politische Komitee zu versammeln pflegte, bevor es sich in den Sitzungssaal begab.

»Sie allein sind hier?« Fragend reichte Whitt dem kleinen Ingenieur Filister, dem Leiter der Nahrungslaboratorien in Ceylan, die Hand. Dieser lehnte an einer der kleinen Seitentüren, ohne aufzublicken. »Sind die anderen nicht gekommen?«, wunderte sich Whitt.

Filister reichte ihm die Hand. Mit der anderen machte er ihm ein Zeichen, sich still zu verhalten. Atemlos lauschte er den Vorgängen im Nebenzimmer. Whitt verhielt auf Zehenspitzen und ließ sich sodann in einen Lehnsessel gleiten. Zweifel, Angst erfüllten ihn. Er dachte: Wenn man nun doch Xavier die Präsidentschaft anträgt? Die Metalltechnik gewinnt im Leben der Menschen allmählich größere Bedeutung als die Chemie. Wenn neuerlich die Frage der Flucht aus der Wassertiefe auf taucht? Die Stadt Mariana, der Entstehungsort der neuen Maschinen, würde zur eigentlichen Hauptstadt der Menschheit und Ingenieur Xavier zum obersten Chef.

Plötzlich sagte Ingenieur Filister, der seinen Horchposten verlassen hatte, mit lauter Stimme:

»Es ist unverständlich, wie der alte Pi, der die vierzig zu überschreiten schien, diese Altersschwelle gar nicht erreichte. Man hat doch neue Geräte in seine Räume gestellt, um den Luftdruck möglichst konstant zu halten. Auch eine vierteljährliche Temperaturschwankung hatte man gesichert, die den Jahreszeiten der Erdzeit entsprechen. Alles hatte man getan, um seinem Organismus eine günstigere Umwelt zu schaffen. Alle waren wir davon überzeugt - wir, die Mitglieder des politischen Komitees und seine Tochter Olivia, dass wir den alten Pi auf diese Weise mindestens bis zum fünfzigsten Lebensjahr durchbringen werden. Das war doch das Durchschnittsalter, das die Unterwassermenschen noch vor nicht langer Zeit erreichten.«

»Denkst du an irgendein Verbrechen?« Ingenieur Whitt sah interessiert auf.

»Nein, das nicht! Ich wüsste nicht, wer den alten Pi so hassen würde, um ihm nach dem Leben zu trachten. Umso weniger, als alle wussten, dass er an der Kern Verschmelzung und an der Beherrschung der Atomenergie arbeitete.«

Plötzlich öffnete sich die Tür des Zimmers, in dem der alte Pi lag, und auf der Schwelle erschien Olivia. Ängstlich blickte sie sich um und fragte enttäuscht, als bedeuteten ihr Ingenieur Filister von der Ernährung und Ingenieur Whitt von der Chemie gar nichts:

»Ist Xavier aus Mariana nicht gekommen?«

»Wir sind hier«, antwortete Whitt ruhig. »Weshalb sollen wir auf Xavier warten, wenn die Lage ernst ist?«

»Auch Manido von der Elektrizität ist nicht gekommen«, sagte Filister und wies auf die Uhr. »Es ist dreiundzwanzig Uhr und achtundzwanzig Minuten. Können wir noch zwei Minuten warten?«

Olivia in ihrem gelben Kleidchen, das die Arme freiließ und ihr bis zu den Knien reichte, schloss die Augen und weinte verhalten. Große Tränen quollen hinter ihren Lidern hervor und hinterließen auf ihrem Gesicht glitzernde Spuren. Plötzlich krauste sie die Stirn. Mit einer langsamen, müden Handbewegung strich sie sich die schwarzen Locken aus dem Gesicht.

Sie hat ein ganz barbarisches Aussehen..., dachte Whitt. Er bewunderte ihre pigmentierte Haut. Umsonst setzten die andern weißhäutigen Unterwasserfrauen sich täglich den Ultraviolettstrahlen ihrer Quarzlampen aus. Ihre Haut bräunte sich nicht. Und dieses Wesen hier? Es hat natürlich Lider, Augenbrauen und lange Locken. Wo hat man das noch bei Unterwasserfrauen gesehen? Ebenso wie die Männer hatten sie schon vor vielen tausend Jahren ihre Augenlider und ihr Kapillarsystem eingebüßt, da sie diese nicht brauchten. Und hier diese Jungfrau von dreizehn Jahren ist haarig wie ein Affe. Entrüstung befiel Whitt, Dennoch beherrschte er sich und blieb freundlich.

Olivias Kopf war nicht so groß wie die Köpfe der übrigen Unterwasserwesen. Ihr Körper war zierlich und die schlanken Hüften erinnerten an die Abbildungen der Göttinnen auf alten griechischen Gefäßen.

Was für eine Braut werde ich heimführen, was für ein archaisches Wesen - der Gedanke durchzuckte ihn und ließ Whitt erschauern. Wie konnte aus dem Blut des alten Pi und der Tochter des vorigen Präsidenten dieses gelbe Kätzchen hervorgehen, fragte er sich weiter und maß mit seinen großen Augen das junge, ranke Wesen, das nach Sonnenblumen duftete.

Der Lautsprecher auf der Kommode meldete sich. Klar war das Signal - zweimal kurz, einmal lang - zu hören.

»Xavier! Es ist das Zeichen der Stadt Mariana!«, schreckte Olivia auf. In zwei Sprüngen war sie beim Lautsprecher. Sie neigte sich über die Scheibe, die sich glänzend drehte, und lauerte auf das bekannte Gesicht Xaviers.

»Das ist ein Zeichen vom Grünen Kap im Atlantik. Die Elektrizität meldet sich«, antwortete Filister erstaunt und trat neben den Lautsprecher. »Wir erwarten Manido hier und er möchte Gespräche führen.«

»Es ist nicht Manido, es ist Xavier!«, widersprach Olivia.

Die Augen Whitts, die aus ihren Höhlen zu treten schienen, sogen sie in sich ein.

»Welches ist dann Xaviers Signal?«, flüsterte Olivia atemlos und von Whitts Blick verwirrt.

Sie schlug die Augen nieder, um sich zu fassen. Whitt trat zu Olivia und antwortete: »Die Stadt Mariana hat ein anderes Signal: einmal lang und zweimal kurz.«

Die Tochter des Präsidenten wollte etwas erwidern.

»Fräulein Olivia!« Eine tiefe Frauenstimme war zu hören. Die Tür zum Krankenraum öffnete sich. »Doktor Harwester verlangt nach Ihnen.«

»Entschuldigen Sie«, mit einem Augenaufschlag wandte sich Olivia an Whitt. Plötzlich machte sie graziös einen Knicks und verschwand im Zimmer ihres Vaters.

Whitt blieb nachdenklich zurück. Soviel Erdzeitliches im Wesen dieser Präsidententochter! Sie knickst wie zu Zeiten des Absolutismus, als wäre sie ein Hoffräulein Ludwig des XIV., des XV., des XVI....      

Der Lautsprecher meldete sich erneut und dann war eine sich überstürzende, dann wieder stockend und kalt sprechende Stimme zu hören:

»Hier ist das Großkraftwerk vom Grünen Kap. Generator A. Es spricht Santio, der Stellvertreter des Generaldirektors Manido. Drei Minuten nach dem tiefen Gongschlag hat Generaldirektor Manido mit Starkstrom Selbstmord begangen.«

Der Leuchtschirm zeigte das große Oval eines Gesichts, das von schrägstehenden großen Augen beherrscht war. Die Gesichtszüge waren unbeweglich. Die Lippen allein bewegten sich automatisch. Santio schien weitersprechen zu wollen, doch plötzlich unterbrach ihn Filister. Er sendete das Hawaii-Signal - dreimal kurz - und schrie überlaut in die Sprechmuschel: »Verstehen Sie mich! Sind Sie sicher, dass Manido selbst Hand an sich gelegt hat? Hat er sich nicht zufällig elektrisiert? Das ist auf dem Grünen Kap auch andern schon passiert...«

»Es war kein Zufall. Er hat Selbstmord verübt.«

»Hat er einen Brief hinterlassen?«, fragte Whitt ruhig. Er gab sich Rechenschaft, dass ein kurzes Schriftstück wertvoller war als ein langes Gerede.

Nach einem Augenblick des Schweigens, in dem sich Santios Gesicht verdüsterte, sagte er schnell:

»Ich habe nicht danach gesucht, Herr Whitt. Ich will nochmals in seinem Arbeitszimmer nachsehen. Bleiben Sie am Apparat, ich bin sofort zurück.«

Das mongoloide Gesicht Santios verschwand von der Metallscheibe.

Whitts Frage hatte auch Filister überrascht. Nach kurzem Nachdenken flüsterte er:

»Unmöglich, dass er nichts zurückgelassen hat! Manido war ein außerordentlich korrekter Mensch. Wenigstens einen kurzen Bericht über den Betriebszustand der Generatoren, über seine letzten Beobachtungen und Berechnungen der Wasserbewegung, einen Entwurf oder eine Empfehlung, daraus könnten wir erkennen, ob er selbst Hand an sich gelegt hat.«

Auf der Scheibe erschien wieder das ovale bleiche Gesicht Santios mit den schrägstehenden lidlosen Augen. Seine Antwort war klar:

»Nichts. Ich habe überall nachgesehen. Weder auf dem Schreibtisch noch in den Fächern fand ich einen Zettel.«

Jetzt brüllte Filister in die Sprechmuschel, als wolle er einen Feind einschüchtern:

»Dann ist Manido verunglückt, Santio, daran besteht kein Zweifel!«

Whitt flüsterte: »Beherrsch dich, Filister. Manido hat sich selbst getötet.«

»Manido hat Selbstmord begangen, Herr Ingenieur Filister«, erklang erneut die Stimme des Subdirektors Santio aus dem Lautsprecher.

»Warum glaubst du das?«, fragte Filister etwas unsicher.

»Wenige Minuten vor seinem Tod hat er mich in sein Büro gerufen. Ich dachte, er wolle mir über Hawaii und von der Tanzvorführung der Ceylarie-Sinnen erzählen. Er nahm gerade ein Lichtbad und löste mich dann ab...«

»Hat er dir offen gesagt, dass er sich das Leben nehmen wolle?«, unterbrach ihn Ingenieur Filister ungeduldig.

Whitt erriet die Verkettung der Ereignisse. Er ging zu einer Liege und legte sich mit verschränkten Armen darauf. Bis zur Bestätigung seiner Überlegungen lauschte er weiter dem Bericht Santios.

Santio sagte weiter: »Es war nicht nötig, Herr Ingenieur, mir seine Absicht zu eröffnen. Seine Worte lassen den Grund seines Selbstmordes ahnen. Er sagte mir, dass er an die Lebenskraft des Präsidenten nicht mehr glaube. Sein Aussehen im Theater habe ihn tief beunruhigt. Kaum hatte er mir das gestanden, ertönte der Gongschlag. Hierauf richtete sich Ingenieur Manido von seinem Schreibtisch auf und sagte, es sei zu Ende. Er fragte mich noch, ob ich glaube, dass der alte Pi die Formel der Kernverschmelzung hinterlasse. Ich verneinte das, da ich an diese Möglichkeit nicht glaubte. Ingenieur Manido sagte sodann, er halte das auch nicht für möglich, und flüsterte dann stimmlos: Santio, wenn der alte Pi die Formel nicht gefunden hat, wird sie keiner mehr finden. Wir sind verloren.«

»Hat er das erklärt? Hat er diese Worte gesprochen?« Ingenieur Whitt war mit einem Sprung neben dem Apparat.

Die Stimme Ingenieur Santios klang ihm klar entgegen: »Wir sind verloren. Das hat er gesagt, wir sind verloren. Sodann drückte er mir die Hand, forderte mich auf, zu gehen, und trat in den Generatorraum A. Ich blieb. Ich war beunruhigt. Eine Vorahnung beunruhigte mich. Wenige Sekunden später kam der Werkstattleiter und sagte, Ingenieur Manido läge tot neben dem Magneten.«

»Danke, Santio«, sagte Ingenieur Filister. »Sagen Sie niemandem mehr etwas davon. Der Präsident ist noch am Leben. Es wird noch etwa eine Stunde dauern. Man wird Sie informieren.«

Ingenieur Filister legte die Sprechmuschel auf. Er wollte gerade etwas sagen, da öffnete sich erneut die Tür und Olivia sah mit großen Augen suchend um sich.

»Er ist nicht gekommen«, sagte Ingenieur Whitt zu ihr.

Olivia blickte zum Lautsprecher: »Wurde aus Mariana nichts durchgegeben?«

Diesmal antworteten weder Whitt noch Filister.

»Doktor Harwester hat es sehr eilig«, flüsterte Olivia. »Was ist zu tun? Er meint, Vater würde ein neues Lichtbad nicht mehr ertragen. Treten Sie schnell ein. Ich werde Mariana anrufen. Xavier muss kommen!«

In dem gleichen Augenblick erschien auch Dr. Harwester im Türrahmen, dickbäuchig, gedrungen, wie ein aufrechtgehender Karpfen.

»Meine Lieben, es ist keine Zeit zu verlieren. Tretet ein. Wo ist Xavier? Wo ist Manido? Sind sie noch nicht da? Unerhört!« Sodann an die Tochter des Präsidenten Pi gewandt im Befehlston: »Fräulein Olivia, auch Sie müssen zugegen sein! Die anderen werden schon kommen. Treten Sie alle sofort ein und verzichten Sie auf jedes Gespräch. Er hat keine halbe Stunde mehr zu leben. Rasch, rasch!«

Ohne noch auf irgendeine Antwort zu warten, trat er in den Raum zurück und ließ die Tür offen.

Olivia war wie angewurzelt stehen geblieben. Sie wusste nicht, was sie eher tun sollte, Xavier in Mariana anrufen oder an das Sterbebett ihres Vaters eilen.

Filister, der Whitt, der nach einer halben Stunde gewiss Präsident war, den Vortritt ließ, konnte seine Verwirrung nicht verbergen und fragte: »Ingenieur Whitt, glauben auch Sie Manidos Worten?«

Whitts Blick wurde noch härter. »Das ist reinste Neurasthenie. Manido hat die Lichtbäder vernachlässigt. Wir und verloren? Komm, Filister, komm!«

Als erster betrat er das Arbeitszimmer des alten Pi.

Unsicher, mit gesenktem Haupt folgte ihm Filister.

 

 

 

 

  2. Die Stadt mit dem Feuerherzen

 

 

Mariana, welch sonderbare Stadt! Welch Unterschied zwischen dieser riesigen Kristallpyramide mit ihren dreifachen Wänden und den übrigen Städten: der Kugel, dem Parallelepiped und den Würfeln.

In der Hauptstadt Hawaii, einem ungeheuren Globus - der Heimstadt der wissenschaftlichen Studien -, in dem Würfel vom Grünen Kap, wo die Elektrogeneratoren untergebracht sind, und in Ceylan, dem unterseeischen Parallelepiped, in dem die Nahrungsduftstoffe erzeugt werden, ist das Leben wirklich leicht und angenehm. Die privilegierten Menschen haben fast jede Berührung mit den Rohstoffen der Erde verloren. Wäre nicht das Geschichtsstudium, hätten sie vollständig vergessen, dass die Menschen mehrere Millionen Jahre hindurch die Erdoberfläche des Planeten bevölkerten. Aus Büchern nur hören die Kinder von Äckern, von Kohlengruben, deren einstürzende Stollen die Bergleute begruben, von brennenden Erdölsonden, in denen Menschenleiber zu Asche verbrannten. Das hört sich an wie ein Märchen, eigens zu ihrer Unterhaltung ausgedacht.

Wie leicht ist doch das Leben heute! Die Bewohner von Hawaii sind auf wissenschaftliche Disziplinen aufgeteilt und beschäftigen sich täglich fünf Stunden mit theoretischen Studien und Berechnungen, Laborarbeiten und Versuchen, bei denen sie empfindliche Instrumente verwenden. Die übrige Tageszeit dient nur ihrem Vergnügen. Alle Künste, vor allem Musik und Tanz, sind zu ihrer Unterhaltung da.

In Hawaii gibt es die beiden riesigen Theatersäle, die alle Bewohner der vier Städte aufnehmen können. In dem unweit der Präsidentenwohnung gelegenen ersten Theater finden alle zwei Stunden Tanz- und Musikvorführungen statt. Im anderen Stadtteil werden Filme und Schauspiele vorgeführt. Die Stromversorgung der Hauptstadt sichert der Grüne Kap. Ceylan liefert die Phiolen mit der Duftnahrung. Hawaii nämlich ist als Hauptstadt eine Luxusstadt, deren Bewohner die Aristokratie der Menschheit darstellen!

Im Grünen Kap im Atlantischen Ozean überwachen die Menschen des oberen Würfels die vier Elektrogeneratoren, die in den Vollmondnächten von den Meereswellen angetrieben werden. Die Vereisung des Planeten schreitet ständig fort. Die Gletscher haben schon längst die subtropische Zone in der Höhe Mexikos und der Kanarischen Inseln und auf der Südhälfte längs der Linie Uruguay und Südafrika erreicht. Auch in der Elektrizitätsstadt hat man schon den Todesschauer gespürt. Allerdings nur einige Ingenieure.

Glücklicher als die Bewohner vom Grünen Kap - jedoch nicht so glücklich wie jene von Hawaii - sind die Duftstofferzeuger in Ceylan. In diesem Stadtparallelepiped werden in zierlich eingerichteten Laboratorien jene Essenzen erzeugt, für die immer Nachfrage besteht. Es sind die gasförmigen Nahrungsduftstoffe und -Substanzen.