Die Velvarya Chroniken - Chris Vay - E-Book

Die Velvarya Chroniken E-Book

Chris Vay

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Beschreibung

Stephan Jenkins, Matt Williams und Scott Luskin widmen sich gentechnischer Forschung und betreiben am Rande der Legalität geheime Experimente zur Erschaffung neuen Lebens. An einem Wintertag rettet Stephan ein seltsames Mädchen, das ihn und seine beiden Mitstreiter vor Rätsel stellt: Niemand kennt oder vermisst die junge Frau, die äußerst merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag legt - und über gefährliche paranormale Fähigkeiten zu verfügen scheint. Während Stephan das Mysterium ihrer Herkunft zu klären versucht, läuft das geheime Projekt der drei Forscher in katastrophaler Weise aus dem Ruder - und ein Wettlauf um Leben und Tod auf dem Planeten Erde nimmt seinen Anfang... --- Weit entfernt von der Erde besteht zwischen den Völkern Velvaryas seit ihrer Erschaffung durch Göttin Shiva ein Pakt des Friedens - basierend auf dem Glauben, die Weltenschöpferin herrsche in Verkörperung der Königin über sie. Doch niemand bekommt die Monarchin zu Gesicht, und immer lauter werden Gerüchte, die Königin existiere in Wahrheit nicht. Das friedliche Gleichgewicht auf dem Planeten beginnt zu wanken. Krieg und Verwüstung drohen bereits, als Vaycor Kodai, Kommandeur der Elitegarde Shivas, von dem schicksalhaften Geheimnis der Göttin erfährt. Um die Zukunft Velvaryas vor einem weiteren Krieg zu bewahren, begibt er sich mit Getreuen auf die gefährliche Suche nach bereits seit Urzeiten verborgenen Relikten. Zur Aktivierung eines ganz besonderen Portals...

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Prolog:

Einst, vor unzähligen Äonen, als in den Urnebeln die Geburt des Universums begann.

Als der biologische Plan unvorstellbare Vielfältigkeit entwickelte, und die Götter sich einer neuen Kunst zuwandten – der Kunst Leben zu erschaffen.

Zu eben jener Zeit, in der noch herrschenden Finsternis des Entstehens, ereignete sich Denkwürdiges. Der kosmische Zauberer namens »Zufall« bewirkte gewaltige Kollisionen von Asteroiden, und schuf durch die ideale Entfernung zu dem Stern YV-7 erste Voraussetzungen für die Entstehung belebter Materie. Eis traf auf gnadenlose Hitze. Unmittelbar nach dem Beginn dieses neuen, noch glühenden Planeten, gebar dieser Feuerball gleichsam zwei riesige Gesteinsbrocken, die fortan die beiden Monde dieser Welt bilden sollten – Leslynn und Nelbuk.

Im Laufe von Jahrmillionen entstanden unendlich weite Ozeane. Landmassen türmten sich auf und entstiegen dem Meer Ithileth: Im Westen die zusammenhängenden Kontinente Nol-Derak, Libarron und Vanya. Im hohen Norden das eisige Yäari-Kitu. Im tiefen Südosten Shelberaek. Den Osten beherrschten die zusammenhängenden Weltteile von Telonion und Kuz-Dunan.

Sattes Pflanzengrün überzog ganz allmählich riesige Landstriche, während erste Einzeller sich zu komplexeren Lebensformen wandelten, und sich im ehrgeizigen Wettlauf dem Ziel immer ausgeprägterer Effizienz widmeten.

Auf diese Weise hauchte sie, diese eine besondere Göttin, ihrer Welt den Odem des Lebens ein. Erschuf einen sich eigenständig und kontinuierlich fortentwickelnden Bauplan der DNA, der die Entstehung außergewöhnlichster Lebensformen unterschiedlichster Art und Weise ermöglichte: Velven, als Urform der Elfen bekannt, die diese Welt als Erste bevölkerten – und Nuldres, welche dem ursprünglichen biologischen Plan am nächsten kamen, denn als pflanzliche Lebensform ernährten diese sich ausschließlich von Wasser und Licht.

Die unendlichen Möglichkeiten des Schöpfungsplanes schufen gigantische Trolle, kleine, grauhäutige Goblins, auch das Zwergenvolk bis hin zu den spitzohrigen Elfen.

Die Bewohner dieser Welt lebten im friedlichen Einklang miteinander. Sie überwanden erfolgreich die Option aggressiver kriegerischer Auseinandersetzung und konzentrierten sich auf gemeinsame Ziele für ihre nachfolgenden Generationen. In Eintracht arbeiteten sie mit der verfügbaren Energie ihres Planeten, auf dessen Weltteilen Rohstoffe und Nährstoffe allen überall verfügbar waren. Es entstand eine blühende Welt.

Doch auch diese verschonten Hass und Habgier nicht.

Das Fundament des Friedens bildeten Glaube und Wissen um die Verkörperung der Göttin in Gestalt der Königin Shiva. Jener Unsterblichen, die den Planeten erschuf und selbst als Teil des Lebens fortan dort existierte.

Dennoch führte Zweifel zu Fragen, Streitigkeiten – und schließlich Gewalttaten. Um Resultate zu sehen. Um Folgen der Handlungen herauszufordern.

Den zentralen Mittelpunkt des Glaubens bildete seit Anbeginn der kleine Kontinent Vanya. Dort entstand ein gewaltiges Heer im Imperium Avon – genannt Avons Garde.

Auf dass kein Hass diese Welt heimsuchen solle, sorgte sie im Dienste der Göttin für Ordnung und ließ – im Sinne aller bestehender Lebensformen – die Gerechtigkeit der Göttin und Monarchin Shiva walten.

Doch wuchsen Zweifel an der realen Existenz der Königin: Niemand bekam sie je zu Gesicht, keinem Untertan gewährte sie Audienz, sprach nicht zum Volk und erschien nicht in der Öffentlichkeit.

So mehrten sich Fragen. Andere begegneten dieser Angelegenheit gleichgültig und gestalteten ihr Leben unabhängig davon, was im Königshause geschah. Ob die Monarchin sich zeigte oder nicht, spielte für diesen Teil der Untertanen keine Rolle.

Doch wieder andere erkannten hier die Möglichkeit, durch das Schüren bestehender Zweifel ihren Willen durchzusetzen: Würde nicht ohne Führung das bestehende Gesellschaftssystem auseinanderfallen?

Jeder erhielte dann die Freiheit, nach eigenem Gutdünken zu handeln! Könne sich einfach nehmen, was er wolle. Willkürlich richten, wie er es nach eigenem Gutdünken für angebracht halte. Aus diesem bedrohlichen Grunde bildete sich in Avons Garde eine Eliteeinheit. Eine Gruppe eingeweihter Adepten, deren Handeln allein ihrem Ideal, der Göttin, diente – und dies einzig zur Erfüllung der Prophezeiung.

Diese verhieß die tatsächliche Rückkehr Shivas als Wesen von Fleisch und Blut. Als göttliche Inkarnation einer Königin. Aber es hieß auch, dass Gewalttaten, Habgier und jegliches dem eigentlichen Ziele der Welt Entgegenstehendes schließlich enden würden. Eine Zeit werde anbrechen, in der sich die auf diesem Planeten lebenden Wesen gemeinsam weiterentwickeln würden, um weitere Generationen voranzubringen – zum Wohle einer in den Nebeln der Vergangenheit verlorenen Welt. Im Nirgendwo der unvorstellbaren Weiten des Universums. Verborgen in der unendlichen Zahl der Himmelskörper, inmitten einer längst nicht mehr bekannten Galaxie. Es war dies ein Planet, der seit Anbeginn seiner Zeit einen besonderen Namen trug: Velvarya.

Auf einem anderen fernen Planeten, winzig in der Unendlichkeit des Weltalls, herrschten einerseits zwar von jeher sowohl Krieg und Hass, andererseits existierten aber auch Liebe und Hingabe. Es bestand in dieser Welt kein Gleichgewicht zwischen Gut und Böse.

In der Jahrmilliarden währenden und wechselvollen Entstehung dieser Welt schien manches Entstehende einzig dazu verurteilt, auf der Strecke zu bleiben, um unwiderruflich in den Tiefen der Vergessenheit zu versinken. Vieles des sich Entwickelnden schien keinen Sinn zu ergeben und kein Ziel zu verfolgen. In geduldiger Endlosigkeit widmete sich die Zeit der schier unermesslichen Kreation von Veränderungen.

Auf eigene Art und Weise war dies eine außergewöhnliche Welt mit individuell an die dortigen Lebensverhältnisse angepasster Flora und Fauna – besiedelt von höher entwickelten Lebensformen, genannt Tier und Mensch. Letztere begabt mit der Möglichkeit einer sich fortentwickelnden Intelligenz – Fluch und Segen zugleich. Nach unzähligen Generationen, geprägt von Krieg und Leid, erfand die Menschheit das zweischneidige Schwert des technischen Fortschritts.

Die daraus erwachsende Technologie entwickelte sich zunehmend diffiziler und leistungsfähiger. Riesige Metropolen entstanden, in denen Menschen unzähligen Berufszweigen nachgingen. Produktionsstätten wurden errichtet, um in Massenproduktion sinnloseste Dinge herzustellen. Und dies vierundzwanzig Stunden am Tag.

Die nachteiligen Folgen dieses von maßloser Habgier beseelten Strebens, riefen die verschiedensten Aktivistengruppen auf den Plan, die sich für den Schutz der inzwischen bedrohten Natur und anderer Lebensformen des Planeten einsetzten.

Und auch in dieser Welt gab es diejenigen, die dem Geschehen einfach gleichgültig gegenüberstanden. Ein von Menschen erdachtes Tauschobjekt namens Geld erlangte scheinbar absolute Macht. Wer eine Menge dieses Geldes besaß, verfügte über die Möglichkeit, nahezu alles damit in seinen Besitz bringen – sei es ein prunkvolles Gebäude, ein riesiges Landareal oder ein luxuriöses Schiff zur Eroberung der Weltmeere. Auch die Arbeitskraft ließ sich gegen die Entlohnung mit Geld erkaufen, denn für diese Währung übernahmen viele Menschen jeglichen Auftrag – auch für die Mächtigen in den Krieg zu ziehen und Ihresgleichen zu töten. Im Laufe der Geschichte verloren auf diese Weise Unzählige ihr Leben.

Es ging den Menschen um Machtpotenzierung, aber auch um Erlangung möglichst weitreichender Kontrolle. Es galt die selbstsüchtige Devise, die Umgebung rücksichtslos nach eigenem Gusto umzugestalten, um sich ein möglichst bequemes Leben zu ermöglichen.

Doch existierte in dieser Welt natürlich auch Wertvolles, das für Geld nicht erworben werden konnte: Kostbarkeiten wie Liebe, Gesundheit, die Treue eines Freundes, das einzigartige Glücksgefühl Vater oder Mutter zu werden - oder auch ein Leben gerettet zu haben.

Der Wunsch nach größtmöglichem Besitz des Geldes entsprach dem menschlichen Bedürfnis auf Existenzsicherung. Mit sorgenvollem Blick strebte jeder zumindest nach regelmäßigem und sicherem Einkommen, sowie einer Möglichkeit, sich mit diesem System ein materiell abgesichertes Dasein aufzubauen.

Die daraus erwachsende Technologie entwickelte sich in rasantem Tempo zunehmend diffiziler und leistungsfähiger.

Im Laufe der Jahrhunderte baute sich die menschliche Zivilisation immer weiter aus. Millionen lebten schließlich beengt in riesigen Städten und gingen gegen Bezahlung jeden Tag der gleichen Tätigkeit nach. Einige fanden Gefallen an ihrer Aufgabe. Andere wiederum verrichteten ihr Tagewerk lediglich wie ferngesteuert des Geldes wegen. Um den der Menschheit innewohnenden Wissensdurst zu befriedigen, entstanden die verschiedene Lehranstalten.

Viele suchten dort nach Vergrößerung ihres Wissens in den verschiedensten Bereichen. Ob als Künstler, Architekt, Ingenieur, Lehrer oder Mediziner. Diese Lernenden absolvierten im Verlauf einiger Jahre eine Ausbildung ihrer Wahl, um letztlich höhere Anerkennung zu erlangen – sowohl in beruflicher als auch gesellschaftlicher Hinsicht.

In den Anfängen des einundzwanzigsten Jahrhunderts der menschlichen Zeitrechnung gelang einem Besonderen dieser Studenten der Abschluss im Bereich Gentechnik mit Bravur. Nach einer gewissen Zeit der Berufspraxis widmete er sich – nicht unbedingt gesetzeskonform – viele Jahre insgeheim eher geheimen Forschungen. Insbesondere aufgrund seiner profunden beruflichen Erfahrung erhielt er schließlich die Anstellung eines führenden Mitarbeiters.

In einer psychiatrischen Klinik ...

1

Ein seltsamer Geruch durchzog den Zellentrakt. Muster und gleichmäßige Form der Gummiwände signalisierten, dass dieser Bereich kaum genutzt wurde. Flackerndes Licht und Geräusche anderer Personen vervollständigten das Bild.

Bleich und mit nackten Füßen lag die junge Frau in der Ecke eines etwa neun Quadratmeter großen Raumes. Ihre Arme durch eine Zwangsjacke gesichert. Die glatten, dünnen und glänzend schwarzen Haare fielen ihr ins Gesicht. Sie trug eine kurze, ausgefranste Hose aus. Regungslos starrte sie mit einem Auge auf die Zellentür, während Haarsträhnen das andere vollständig bedeckten.

Ihre Zelle lag abseits, im Keller der Anstalt. Es herrschte ungewöhnliche Stille. Nur hin und wieder ertönten Schreie aus einem anderen Trakt. Weitere Insassen befanden sich im höher gelegenen Stockwerk. Qualvolle Laute suggerierten Pein, Folter, Schmerz und Wahnsinn, durchdrangen den Korridor und endeten als blecherner Hall. Doch sie blieb ungerührt, atmete ruhig und richtete den Blick unablässig zur Tür.

Das Geräusch gleichmäßiger Schritte bahnte sich seinen Weg in ihre Richtung. Kurzes Klacken hallte durch den Flur und die schmale Sichtluke im Türblatt wurde geöffnet. Zwei Augen starrten für einen Moment in die Zelle. Dann schloss sich das kleine Fenster wieder und knarrend öffnete sich die Tür.

Ein Mann im weißen Kittel und mit Mundschutz betrat zögerlich den Raum und verharrte einen Moment. Ihr Atem ging immer noch ruhig. Position und Haltung blieben unverändert, während sie ihn mit einem Auge anstarrte.

Wortlos zog der Eingetretene Papier und Stift aus einer Seitentasche. Dokumentierte, wobei er immer wieder einen Blick auf sie warf. Schließlich schob der Weißgekleidete seine Utensilien wieder in die Tasche und trat rückwärts zur Tür heraus, die er sogleich verschloss, um ein letztes Mal durch die Luke zu blicken. Unverändert lag sie dort. Mit auf ihn gerichtetem Blick.

Er trat vom Sichtfenster in den Korridor, legte den Mundschutz ab und ging einem ebenfalls weiß bekleideten Mann entgegen, der sich mit fragender Miene an ihn wandte.

»Und? Wie ist die aktuelle Lage, Stephan?«

Der Angesprochene starrte ihn an und zuckte die Schultern.

»Seit Tagen liegt sie einfach nur regungslos in der Ecke.«

»Du weißt, dass sie womöglich sehr gefährlich ist. Es ist daher notwendig, dass sie im Kellertrakt verbleibt.«

Stephan Jenkins, bekannt für seine vorausschauende Arbeitsweise, erwiderte nichts. Aufgrund jahrelanger Erfahrung galt der Forscher als Koryphäe in der Gentechnologie. Lange Zeit sammelte er – insgeheim und nicht immer auf ganz legalem Wege – Informationen aus allen Bereichen der Stammzellenforschung.

Stephan, stets glatt rasiert, trug sein schwarzes Haar schulterlang. Seine sportliche Statur wirkte ein wenig hager. Eine Tätowierung auf seinem linken Arm zog sich elegant bis zu seiner Hand. Sie zeigte Figuren, die an Fabelwesen erinnerten: Ein Zwerg mit Streitaxt, dessen Bart zur Hälfte einen Elfen verdeckte, dessen spitze Ohren wiederum im Schwanz eines Drachen mündeten. Es war ein außergewöhnliches Bild. Stephan Jenkins besaß schon immer eine Schwäche für diese Art fantastischer Geschichten und Wesen.

Er trat nun näher zu dem anderen Mann – Matt Williams. Als Wissenschaftler in den Fachgebieten Astronomie und Gentechnik hatte der sich gemeinsam mit seinem Kollegen Scott Luskin bereits einen Namen gemacht. Wie Stephan forschten beide ebenfalls im Geheimen.

»Matt, Du kennst mich und meine Arbeit …«

Sein Kollege unterbrach ihn lächelnd.

»… und weiß beides zu schätzen.«

»Die Kleine ist mir unheimlich«, fuhr Stephan fort, »Warum bewegt sie sich nicht? Sie starrt mich nur an. Wann isst sie etwas?«

Matts Blick richtete sich nachdenklich auf den Boden. Seine Frisur – sehr kurze, blonde Haare – erinnerte an das klassische Bild eines Soldaten. Seit er damals den militärischen Forschungszweig wählte, behielt er ihn bei. Matt wirkte trainiert. Gesundheitsbewusst legte er Wert auf ausgewogene Ernährung und viel Sport.

Williams und Luskin bildeten seit einigen Wochen gemeinsam mit Jenkins ein spezielles und insgeheimes Forschungsteam für den Bereich Stammzellenforschung und neues Leben. Stephan suchte nach Inspiration. Er wollte immer weiter hinaus – reizte die Grenzen aus, soweit auf seinem Fachgebiet nur machbar. Und als er an einem kalten Wintertag außerhalb der Stadt spazieren ging, fand er sie.

Spät abends, mitten auf einer Waldlichtung, an einen bemoostem Baumstumpf gelehnt. Schneebedeckt, mit vor Kälte bläulicher Haut und bekleidet mit einer halb zerfetzten Baumwollrobe, starrte das Mädchen geradeaus in die Leere.

Bei ihrem Anblick wollte Jenkins seinen Augen nicht trauen. Doch blieb keine Zeit zu staunen, denn es galt rasch zu handeln.

So befreite er ihren Körper von Schnee und Eis. Sprach zu ihr. Suchte nach Personalien und nahm das halb erfrorene Mädchen bei der Hand. Sein Auto parkte nicht weit entfernt von der Lichtung. Statt sie jedoch als hilflos aufgefundene Person der Polizei zu melden, führte er die scheinbar verwirrte junge Frau in die Klinik. Stumm und fast bewegungslos verbrachte sie zwei Tage im oberen Bereich hinter Gittern. Zur Sicherheit, bis jemand in Erfahrung bringen würde, wer sie war. Nur sprach das Mädchen nicht – und die Prüfung der aktuellen landesweiten Vermisstenanzeigen gaben keinen Aufschluss.

Nach weiteren zwei Tagen machte Jenkins eine seltsame Entdeckung. Die mysteriöse junge Frau saß zwar noch immer in dem Raum, aber Teile der Stahlgitter präsentierten sich auf einmal gebrochen und verbogen. Aufgrund dieses merkwürdigen Ereignisses verbrachte Stephan sie in den Zellentrakt des Kellers. Als Matt und Scott von dem seltsamen Vorkommnis erfuhren, entwickelte sich die Sache immer schwieriger, denn nun versuchte auch Matt mehr über die eigenartige Fremde herauszufinden.

Eigentlich wollte er nur mit ihr sprechen. Doch als er sich ihr auf etwa einen Meter Abstand genähert hatte, durchfuhr ihn eine höchst eigenartige Empfindung – und der Boden vibrierte leicht. Ein Leuchten in ihrem sichtbaren Auge war alles, was er noch wahrnahm. Dann lag er bewusstlos vor der gegenüberliegenden Wand.

Wenige Augenblicke später entdeckte Jenkins fassungslos seinen zusammengesackten Kollegen. Er befasste sich gerade mit Analysearbeiten, als er den dumpfen Schlag vernahm. Und dieses Mädchen saß in der Ecke der Zelle. Ruhig und mit auf die Zellentür gerichteter Konzentration.

Matt blickte nun fragend seinen Kollegen Jenkins an.

»Ich weiß auch nicht, was wir tun sollten. Sag du es mir, Stephan! Du hast das zerstörte Gitter doch gesehen. Zehn Millimeter Stahlgitter!«

»Wir wissen gar nichts über den tatsächlichen Ablauf, Matt.«

»Und was ist mit der Aktion, als ich mich einfach nur zu ihr setzen wollte? Ja Stephan, die Kleine ist mir auch unheimlich. Außerdem bin ich der Meinung, dass sie niemals hätte hierher gelangen dürfen. Wir haben uns um andere Sachen zu kümmern.«

»Hätte ich sie etwa erfrieren lassen sollen?«

Matts Stimme klang nun aufgebracht.

»Nein! Aber die Polizei verständigen. Dieses Mädchen hat nicht einmal gezittert – obwohl ihre Haut schon leicht blau wurde. Hat dann ein Zellengitter zerstört. Wie auch immer das funktionierte.«

Stephan fasste seinen Kollegen besänftigend an der Schulter.

»Beruhige dich bitte, Matt. Nun liegt sie seit Tagen in der Zelle. Rührt weder Essen noch Trinken an. Liegt dort in unveränderter Position und starrt zur Tür.«

Williams zuckte ratlos die Schultern. Stephan atmete unsicher aus.

»Wir können die junge Frau doch in diesem Zustand nicht gehen lassen. Irgendwie tut sie mir leid.«

»Mitleid ist definitiv keine Option.«

Sein Kollege machte kehrt und entschwand raschen Schrittes im Korridor.

Es war inzwischen später Abend. Stephan holte aus dem Aufenthaltsraum ein paar Müsliriegel und ein Glas Wasser. Nachdenklich begab er sich auf den Weg in das Kellergeschoss. Vor seinem Zielort angekommen, beließ er den Mundschutz diesmal in der Seitentasche seines Kittels.

Mit metallischem Geräusch öffnete sich die Zellentür und ein eigenartiger Geruch wehte ihm entgegen. Noch immer lag die junge Frau dort in unveränderter Haltung und starrte ihn mit einem Auge an. Jenkins betrat langsam den Raum und setzte sich unmittelbar vor dem Eingang auf den Boden. Vorsichtig schob er ihr einen Riegel zu und flüsterte: »Du musst etwas essen.«

Es interessierte sie ganz offensichtlich nicht. Vielmehr schien ihr unbeweglicher Blick durch ihn hindurch zu sehen. Irgendwie eiskalt und … musternd. Behutsam platzierte Stephan das Glas auf dem Boden, Aber auch das blieb unbeachtet. Während er wortlos im Schneidersitz verharrte, blieben seine Augen auf die seltsame Unbekannte gerichtet.

Nach geraumer Weile bewegte sie ihre Beine und erhob sich langsam zur sitzenden Position . Weiterhin starrte ihr Auge. Das andere blieb auch jetzt durch den Vorhang ihres tiefschwarzen, gänzlich glatten und außergewöhnlich feinen Haares verdeckt. Seufzend nahm Stephan das Glas auf und stellte es unmittelbar vor ihr Knie.

»Du musst etwas trinken.«

Stephan hoffte auf eine Reaktion, denn für die Dauer eines kurzen Moments schaute sie hinab. Dann glitt ihr merkwürdig eiskalter Blick wieder zu seinem Gesicht.

Enttäuscht erhob sich Stephan nach einer Weile, nahm Riegel und Wasserglas auf, und verließ – noch einmal besorgt zurückschauend – zögerlich den Raum. Das Geräusch der sich schließenden Zellentür hallte im Korridor. Stephan blickte durch das kleine Sichtfenster. Ihre Augen fixierten wieder den Eingang. Aber irgendwie wirkte es, als schaue dieses Mädchen eigentlich in die Leere. Bisher konnte weder ihre Identität in Erfahrung gebracht werden, noch was sie plante – falls sie etwas plante. Alles sie Betreffende schien bislang völlig unergründlich.

Wieder im Aufenthaltsraum traf Jenkins auf Matt und Scott, die sich dort am Tisch sitzend Auswertungsberichte der vergangenen Tage ansahen. Stephan deponierte Glas und Müsliriegel auf dem Tresen und schritt zur Kaffeemaschine. Matt räusperte sich im Hintergrund.

»Immer noch nicht?« Stephan schüttelte leicht den Kopf. Mit gesenktem Blick setzte er sich mit einem Kaffeebecher zu seinen Kollegen an den Tisch.

Scott musterte ihn aufmerksam. Er trug sein braunes, leicht gewelltes Haar schulterlang und besaß eine außergewöhnlich große, schmale Statur. Stand er, erweckte es fast den Anschein, als bilde der weiße Kittel ab den Schultern eine gerade Linie bis zum Saum. Eine dieser beneidenswerten Personen, die alles in Mengen essen durften, ohne dabei auch nur ein einziges Gramm zuzulegen.

Für seine schmächtige Gestalt besaß Scott eine überraschend tiefe Stimme, die beim ersten Kontakt mit ihm verwunderte. In seiner tiefen Tonlage wandte er sich nun an Stephan.

»Die Kleine ist immer noch ein Rätsel, was?«

Stephan nickte seufzend.

»Rätsel hin oder her, aber sie nimmt seit Tagen nichts zu sich. Und das Seltsame – es scheint ihr nicht im Geringsten etwas auszumachen.«

»Und außerdem rührt sie sich nahezu überhaupt nicht«, ergänzte Matt. Seine Stimme senkte sich fast zu einem Flüstern.

»Ihre wenigen Bewegungen scheinen geradezu exakt überlegt. Und dieser starre Augenausdruck – schon fast paralysierend.«

Stille trat ein, in der Stephans Kollegen stumm auf die vor ihnen ausgebreiteten Unterlagen blickten. Jenkins erhob sich seufzend und verließ mit seinem Becher den Raum, bevor jemand ihm unbequeme Fragen stellen konnte. Besorgt blickten seine Kollegen ihm nach.

Beim Durchschreiten des hell erleuchteten Flurs stieg ihm aufgrund der von jeher mangelhaften Lüftung PVC-Geruch in die Nase. Im Treppenhaus empfing ihn Totenstille, die sich im unteren Korridor des Zellentraktes fortsetzte, und dort noch bedrückender wirkte. Um lautes Hallen seiner Schritte zu vermeiden, versuchte Stephan den Korridor so leise wie möglich zu durchqueren. Nahezu auf Zehenspitzen erreichte er erneut die besondere Zelle, blieb davor stehen und verhielt einen Moment lang lauschend den Atem. Nicht der geringste Laut zu vernehmen.

Mit schnellem Ruck riss Jenkins die Sichtluke der Tür auf und schaute hindurch.

Leer? Unmöglich! Wahrscheinlich nur nicht im Blickfeld.

Hastig schloss er die Tür auf, um sich zu vergewissern. Sie ist nicht da!

Ratlos und entsetzt sah Stephan sich um. Ein kalter Schauer überlief ihn. Plötzlich traf seinen Nacken ein eisiger Hauch und Stephan fuhr herum. Ihm stockte der Atem.

Reglos und stumm stand sie im Abstand nur weniger Zentimeter vor ihm. Sah ihm direkt ins Gesicht, während die auf dem Rücken zusammengeführten, überlangen Ärmel der Zwangsjacke ihre Arme wie in einer Umarmung um den schmalen Körper fixierten. Und wieder dieser undefinierbare, merkwürdige Geruch.

Einen Augenblick lang geschah nichts. Beide starrten einander lediglich an. Unerwartet näherten sich Schritte auf dem Flur.

Matt und Scott. Wahrscheinlich wollen sie sehen, was ich hier unternehme.

Die junge Frau schien das Näherkommen der Männer weder zu beachten, noch schien es sie zu interessieren. Als Jenkins sich mit heftig klopfendem Herzen bedachtsam und vorsichtig an ihr vorbei zur Tür bewegte, drehte sie sich lediglich in derselben Geschwindigkeit um die eigene Achse, während der beunruhigend unbewegte Blick ihres Auges weiterhin auf ihm ruhte. Jenkins trat aus dem Raum, verriegelte erleichtert die Zellentür und atmete tief durch. Scott starrte ihn an.

»Was war das?« Jenkins antwortete nicht. Fassungslos schaute er auf seinen Becher, drehte ihn dann herum, als wolle er den Inhalt ausleeren. Es floss kein einziger Tropfen. Der zuvor noch dampfende Kaffee hatte sich vollständig zu Eis gewandelt. Erst jetzt spürte Stephan auch die Kälte des Henkels in seiner Hand.

»Was zum …?«

Verdutzt stierte Matt auf den Becher. Jenkins jedoch winkte ab und schritt eilig durch den Flur davon.

»Verdammt. Ich muss endlich herausfinden, wer sie ist.«

»Oder was sie ist«, murmelte Scott, der ihm mit Williams rasch folgte.

Nach Mitternacht saß Stephan immer noch grübelnd im Aufenthaltsraum. Williams und Luskin befanden sich nach dem Ende der Spätschicht längst zuhause. Doch Jenkins konnte noch nicht gehen. Wieder einmal suchte ihn unbemerkt die Nacht an seinem Arbeitsplatz heim, denn viele Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf. Diesmal jedoch galten sie nicht seiner Forschungsarbeit, sondern ausschließlich jener mysteriösen Fremden.

Schließlich traf er einen Entschluss, erhob sich und begab sich erneut in das Kellergeschoss.

Ohne diesmal zuvor sicherheitshalber durch die Fensterluke zu schauen, betrat er den Isolationsraum mit den gepolsterten Wänden. Unerträglich beißender Gestank sowie empfindliche Kälte prallten ihm entgegen und ließen ihn fast wieder rückwärts auf den Flur taumeln. Mit Mühe den durchdringenden Geruch ignorierend, trat er in die Zelle und setzte sich wortlos in einigem Abstand vor dem Mädchen auf den Boden.

Aus tiefschwarzer Pupille traf ihn ein kalter und düsterer Blick durch vereinzelte, feine Strähnen ihres Haares. Vorsichtig zog die vor der Wand sitzende junge Frau ihre Beine an. Einen Moment lang rührte er sich nicht. Dann zog Jenkins mit bewusst langsamen Bewegungen Block sowie Stift aus seiner Kitteltasche, und wandte sich mit möglichst leiser, beruhigender Stimme an sein Gegenüber.

»Wer bist du?«

Keine Antwort.

»Warum sprichst du nicht?«

Ihr sichtbares Auge schien jetzt einen zunehmend zornigen Ausdruck anzunehmen. Gleichzeitig änderte sich der unerklärliche Geruch. Schwängerte nun schwefelartig die Raumluft. Flackernder Lichtschein erschien plötzlich in Jenkins Augenwinkel. Erschrocken huschte sein Blick zu seiner Hand. Realisierte, dass sein Notizblock in Flammen stand, sprang auf, warf das brennende Papier zu Boden und versuchte das Feuer auszutreten. Erfolglos. Die Flammenzungen erloschen nicht, bis sie auch das letzte Stück Papier verzehrt hatten. Was, zum Teufel, bedeutet das?

Mit entsetzter Miene wandte er sich ihr zu. Völlig unerklärlich erhob sich innerhalb der vier Wände ein sanfter Wind. Ascheflocken erhoben sich vom Boden und tanzten im Raum umher. Jenkins Herzschlag bildete einen wilden Trommelwirbel.

Lieber Himmel, keine Ahnung was sich hier abspielt, aber ich muss Ruhe bewahren.

Verunsichert betrachtete er das teilweise durch den Vorhang langer schwarzer Haare verdeckte Gesicht des Mädchens, verstaute den Stift in der Seitentasche, ließ sich wieder nieder und wartete ab. Sie atmet ruhig und gleichmäßig – als sei sie ganz unbeteiligt! Es ist … unheimlich.

Der Wind legte sich. Noch schwebende Ascheflocken verblieben für die Dauer eines Wimpernschlags in der Luft und sanken taumelnd zu Boden. Stumm beobachtete Stephan das Geschehen. Verharrte trotz des mulmigen Gefühls. Auf eine unruhige Art bewegte sie immer noch langsam ihre Beine, wirkte jedoch trotz der durchdringenden Kälte gänzlich gelassen.

Ich verstehe es nicht. Diese junge Frau kann nicht wirklich … übernatürliche Kräfte besitzen! Völliger Blödsinn.

Überraschend schob sie sich auf einmal mit dem Rücken an der Wand hoch und blieb an die Polsterung gelehnt vor ihm stehen. Stephan legte den Kopf in den Nacken, um ihr ins Gesicht zu schauen und flüsterte: »Wer bist du?«

Keine Antwort.

Ihr Atem geht jetzt schneller. Beunruhigt. Fast wie ein Schnaufen.

Schlagartig sank die Raumtemperatur weit unter den Nullpunkt. Ein arktischer Hauch kroch kribbelnd über seine Haut, als umhülle ihn von einem Moment auf den anderen ein eisiger Schleier. Ließ ihn bis ins Mark erschauern.

Mit fassungslos weit aufgerissenen Augen registrierte Jenkins weiße Dampfwolken vor seinem Gesicht. Mein Atem! Er beginnt zu kondensieren.

An den Wänden wuchsen in Sekundenschnelle Eiskristalle, bis die gesamte Polsterung glitzernder Raureif überzog.

Es ist ihr Werk – auch wenn ich mir nichts von all dem erklären kann!

Offensichtlich unbeeinträchtigt durch die eisige Kälte stand die junge Frau vor ihm. Wie in einem unausgesprochenem Kräftemessen, fixierte sie ununterbrochen seine Augen, schien in ihnen zu lesen. Es entwickelte sich für Jenkins zu einem zunehmend anstrengenden Duell, zudem fraß sich die weiter anwachsende Kälte unerbittlich in seine Knochen und erschwerte ihm mit jeder Sekunde mehr das Atmen. Schließlich kam der Zeitpunkt, ab dem es für ihn schier unerträglich wurde. Zitternd rappelte er sich auf und trat zur Tür, doch erwies sich deren Metall als derart vereist, dass er es nicht anzufassen, geschweige denn den Ausgang zu öffnen vermochte.

Schlotternd wandte er sich um – und schaute in abgrundtief dunkle Augen. Nur eine Handbreit von seinem Gesicht entfernt.

Mit seltsam vorgestrecktem Kopf stand die unheimliche Fremde vor ihm, schloss kurz die Lider. Im nächsten Augenblick ruckte ihr Augenmerk zum Boden. Ganz allmählich, aber sofort deutlich spürbar, wich die Kälte. Triefendes Kondenswasser bildete sich an der Tür. Jenkins Lunge gelang von einem Moment auf den anderen ein entspannendes Luftholen.

Ich glaube es nicht, das ist nicht möglich!

Wie angewurzelt blieb er stehen, während ihr finsterer Blick auf ihm ruhte. Wärme breitete sich aus. Die Temperatur stieg rasant. Nur wenige Sekunden später sah sich Stephan in mörderischer Hitze gezwungen, seinen Kittel abzulegen. In der Gluthitze fiel ihm bald das Atmen schwer und Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper und von der Stirn. Schließlich sank er in Todesangst stöhnend zu Boden.

Dieses Monster wird mich töten!

Nähte der Kunststoffpolsterung an den Wänden platzten auf. Selbst wenn Jenkins die Tür hätte erreichen können, wäre es ihm unmöglich gewesen, das inzwischen rotglühende Metall zu berühren. Seine Lungenflügel fühlten sich an, als seien sie im Begriff sich aufzulösen.

Die Kunststoffverkleidung der Deckenbeleuchtung schmolz und tropfte auf den Boden, wo sie verschmorte Löcher hinterließ. Mit lautem Knall explodierte das Glas der Leuchtstoffröhre. Röchelnd krümmte sich Jenkins auf dem Boden.

Die metallenen Verschlüsse ihrer Zwangsjacke färbten sich zunehmend rot, glühten auf – und fielen ab. Unter ihrer ausbreitenden Armbewegung sank das fixierende Textil im nächsten Moment an ihr herab, und wurde sogleich vom herabtropfenden Kunststoff durchlöchert.

In einer sachten Bewegung hob sich ihre schmale Hand in Richtung der Tür. Keuchend beobachtete Jenkins ein plötzlich einsetzendes Farbenspiel an den Spitzen ihrer Finger.

Ich muss träumen. Es wirkt, als sauge ihre Hand die Luft ringsherum auf.

Ruhig stand das Mädchen da. Jegliches Geschehen schien innezuhalten. Verzweifelt nach Luft ringend, rollte sich Jenkins zur Seite. Weg von der Tür! Instinktiv ahnte er, was gleich geschehen würde.

Den Augenblick der Stille beendete nur Sekunden später ein gewaltiger Schlag. Die Metalltür brach samt Angeln aus der Wand und schmetterte wie durch eine Urgewalt an die gegenüberliegende Seite des Korridors, während gleichzeitig ein enormer Windstoß durch den Raum fegte, die Gluthitze davontrug – und auch Jenkins fast wegblies. Das herabtriefende Plastik verhärtete sich augenblicklich. Qualmende Brandlöcher und Mörtelstaub blieben zurück. Nunmehr vor einem klaffenden Mauerloch stehend, senkte die junge Frau ihre Hand. Trat hinaus, ohne dem am Boden Liegenden weiter Beachtung zu schenken. Betrat den von Mauerbruchstücken übersäten Gang. So schnell Stephans Zustand es zuließ, rappelte er sich auf und schleppte sich aus der Zelle.

Auf dem Korridor entdeckte er, dass die gesprengte Metalltür mit derartiger Wucht auf die gegenüberliegende Wand geprallt sein musste, dass sie nun wie dort eingelassen im Mauerwerk steckte.

Keuchend und sich mit einer Hand an der Wand abstützend, versuchte er der Davonschreitenden zu folgen.

»Warte! Wohin willst du?«

Mit unsicheren Schritten ging das Mädchen den Korridor entlang. Als Jenkins unter Aufbietung seiner letzten Kraftreserven schließlich das Ende des Flures erreichte, war die schmale Gestalt bereits verschwunden.

2

Klares Mondlicht spiegelte sich auf dem Gewässer. Nebelschwaden verdeckten den Horizont. Die Temperatur schien rapide gesunken. Arricas Atem kondensierte zu weißen Wolken.

Gelassen glitt ihr Blick über die verschleierte Ferne. Zu dieser Zeit roch es nach Morgentau. Alles schien noch versunken in tiefem Schlaf. Hinter ihr ertönte eine sanfte Stimme.

»Wir sollten aufbrechen.«

Zögernd drehte sie sich um. Schulterlanges Haar in Nuancen aus Nussbraun und tiefem Schwarz verdeckte teilweise ihr Gesicht. Wieder diese sanfte, dunkle und leicht raue Stimme, deren Klang ein wenig düster wirkte: »Lass uns gehen.«

Ihre Augen richteten sich auf das wohlvertraute Gesicht Vaycors, umrahmt von langem, dunkelblondem Haar, das bis auf die kräftigen Schultern reichte. Unter dem linken Auge eine durch eine Klinge verursachte Narbe, die sich quer über das Antlitz zog. Seinen linken Arm zierte ein nur undeutlich erkennbares Wappen: Ein »V«, umrahmt von alten Schriftzeichen. Vaycors Kleidung glich der ihren: Schwarze Rüstung, gefertigt aus einem zwar undefinierbarem, aber anschmiegsamem Material, durchzogen von kunstvollen, weißen Mustern, dazu kniehohes Schuhwerk und lange Handschuhe. An seiner Seite hing ein von Meisterhand gefertigtes Schwert, dessen Widerschein im blauen Schimmer des Mondlichts auf ihre Brust reflektierte – ein weißer Lichtstrahl, der an ihrem Haar endete, und Arrica leicht geblendet das Auge ein wenig schließen ließ.

Sie trug das identische Wappen und eine in gleicher Weise gearbeitete Rüstung, die perfekt angepasst ihre Figur betonte. Auf beiden Seiten ihrer Hüften ruhte jeweils ein im Mondlicht glänzender Dolch – der eine noch vollendeter geschmiedet als der andere. Beide Waffen umgaben zarte, leuchtende Fäden, die ebenfalls das Licht beider Monde reflektierten.

Sanft nickte sie ihm zu und verspürte in ihrem Nacken warm das leichte Schnauben ihres Pferdes. Es war an der Zeit für die Rückreise. Vaycor, ihr Bruder, wartete bereits mit nachdenklich in die Ferne gerichtetem Blick auf seinem Ross, dessen prächtig gepflegte Mähne leicht im Wind wehte, und dessen edles Zaumzeug dasselbe Wappen trug.

Vaycor war Führer der Garde – Avons Garde. Eine Armee, gegründet zum Schutze ihrer Königin und des gesamten Planeten, zusammengesetzt aus den unterschiedlichen Wesen und Rassen ganz Velvaryas. Ihr Stützpunkt lag im Reich Avon, im Lande von Kulshedra auf dem Kontinent Vanya. Und dorthin wollten beide zurückkehren.

Im Süden hatten sie zuvor einen kleinen See aufgesucht, um dort nach Nymphen Ausschau zu halten. Scheuen Geistern ihrer Heimat. Der weit im Süden liegende, von jeher ureigene See der Nymphen, präsentierte sich um einiges größer und reichte bis ins Land Shivas.

Bereits auf dem Weg, wandte sich Vaycor an seine Begleiterin.

»Arrica, wir waren heute nicht sehr erfolgreich. Vielleicht haben wir sie verscheucht.«

Ihre Stimme klang sanft, fast wie ein Hauch.

»Sie werden von unserer Anwesenheit gewusst haben. Aber zu scheu ist ihr Wesen.«

Vaycor betrachtete die baumgroßen Pilze am Wegesrand.

»Nun, hätten wir doch weiter in den Süden reiten sollen? Es hätte uns mehrere Tage gekostet. Aber dort hätten wir möglicherweise in Erfahrung gebracht, ob die Nymphen von einer Veränderung wissen.«

Arrica hob als Antwort ratlos die Schultern. Schweigend setzten die Geschwister ihre Reise fort.

Als die Sonne allmählich hinter dem Horizont verschwand und der Abend anbrach, wiesen sich Arrica und Vaycor an den Toren Avons als Angehörige der Garde aus, und übergaben ihre Rösser dem Stallburschen. Die Soldaten der Garde speisten im Festsaal des Schlosses. Vaycor und Arrica aber kehrten als Angehörige einer Spezialeinheit in das Haus ihres eigenen Bereiches zurück. Nicht vielen wurden die besonderen Aufgaben dieser Elitegruppe anvertraut. Mit ihrer Schwester Lecy und ihren Brüdern Merpheus, Lennox und Kylvarj bildeten sie die Familie Kodai, die zur Gattung der Velven zählte und mehr als jedes andere Volk Velvaryas menschenähnliche Gestalt besaß. Die Wurzeln ihrer Vorfahren reichten bis zur Entstehung der Welt zurück. Eng anliegende, kurze und zumeist abgerundete Ohrmuscheln, kräftige Statur – und von sehr stolzem Naturell.

Schon beim Eintritt in ihr Heim wehte den Geschwistern der köstliche Duft diverser Speisen entgegen.

Arrica selbst beherrschte – neben ihrer meisterlichen Assassinenkunst – das Kochen durchaus fabelhaft. Doch niemand vermochte den beiden Goblins Nilly und Nilfo Haselnuss in dieser Fertigkeit das Wasser zu reichen. Beide waren klein, zeigten jedoch nicht die ihrer Gattung gemeinhin übliche grüne Hautfarbe, und legten stets ein munteres Verhalten an den Tag. Heute wurde die Spezialität Linbag serviert, die Nilly aus ausgesuchten Pilzen und Seekraut herstellte.

Trotz des zeitigen Mahls nahmen daran nur wenige teil. Einzig der Zwerg Athrys Telbarak saß bereits am Tisch. Ein Forscher, bekannt für Zauberkunst mit den Elementen – wie Runenzauberei auf dem Schlachtfeld unter beeindruckendem Einsatz von Blitz und Feuer. Zwar maß er nur etwas mehr als der Hälfte Vaycors, war jedoch kräftiger gebaut. Seine Rüstung schien ein wenig eng um die Leibesmitte, und seine kurzen Beine baumelten vor dem Stuhl. Im Moment strich er nachdenklich über seinen silbernen Bart.

Vaycor schaute im Raum umher.

»Wo sind die anderen?«

Athrys knurrte die Antwort mit tiefer, rauer Stimme.

»Kann ich schlecht beantworten. Mein Bruder ist in der Schmiede. Vom Rest weiß ich nichts.«

»Nilly reagiert allergisch, wenn niemand zum Mahl auftaucht.« Vaycor grinste und Arrica setzte sich zu dem Zwerg, der nickte und mit Blick zum Eingang die Schultern zuckte.

»Die werden schon auftauchen.«

In diesem Augenblick sprang die Tür auf. Ein alter Mann trat ein. Von hohem Wuchs, gekleidet in einen fußknöchellangen, ledernen Mantel und mit derben Stiefeln. Langes, weißes Haar fiel ihm in das hagere, faltige Gesicht voller Bartstoppeln, das ein Kinnbart zierte. Auf dem Rücken trug er einen edlen Stab, dessen oberes Ende seinen Kopf überragte und einer knochigen Hand glich, die nach einer über ihr schwebenden Kugel griff. Schimmernd in blauem Licht schien diese wie durch Magie auf jeweils gleichbleibendem Abstand zu verharren. Den Gesichtszügen nach ähnelte der Alte Vaycor ein wenig. Er näherte sich und legte den Mantel über einen Stuhl.

»Grüße.«

Athrys nickte nur, während Arrica auf den Mann zuging und ihn anlächelte.

»Merpheus, Ihr seid zurück.«

»Seid ihr erfolgreich gewesen?«

Seine Frage erfolgte rasch und drängend. Vaycor trat nun ebenfalls näher und reichte dem Weißhaarigen die Hand.

»Leider nicht.«

»Ihr hättet wohl doch weiter in den Süden reisen sollen.«

Merpheus packte seinen Stab vom Rücken um ihn neben sich aufzustellen und setzte sich. Arrica nahm neben ihm Platz.

»Das sagte Vaycor auch.«

Es verging eine Weile bis Nilly in fleckiger, weißer Schürze den Raum betrat. Ihr hellbraunes Haar lag gebunden über der rechten Schulter. Das kleine Gesicht wies nahezu keine Alterserscheinungen auf und wirkte für eine Goblinfrau sehr geschmeidig. Obwohl sie sich längst nicht in diesem Alter befand, erweckte sie in ihren Pantoffeln beinahe den Eindruck einer zu klein geratenen Großmutter. Mit dicken Kochhandschuhen hielten ihre Hände einen großen Topf. Lächelnd wandte sie sich an die Anwesenden.

»Ich grüße Euch. Das Abendmahl fällt nicht allzu groß aus, da Familie Duwath heute nicht anwesend sein wird.«

Familie Duwath - eine Gemeinschaft des als hochnäsig bekannten Volkes der Elementarelfen aus ganz Velvarya. Ihre meist hochmütig wirkende Mienen reichten schon aus, um einen Angehörigen des Zwergenvolks zur Weißglut zu treiben. Jedoch gewöhnten sich die Brüder Athrys und Sothrak Telbarak allmählich daran.

Zwar ursprünglich identischen Ursprungs, entwickelten sich die Elementarelfen im Verlaufe der Zeit je nach Lebensbereich gänzlich unterschiedlich. Oft von schmaler und hochgewachsener Gestalt, existierten jedoch auch Waldelfen – weniger hochmütige Exemplare kleinerer Statur, die sich in körperlicher Hinsicht in etwa auf Augenhöhe der Zwerge befanden.

Geschichtsbücher verzeichneten der Ursprung des Elfenvolkes und ihres erstaunlichen Wissens ab der ersten Aufzeichnungen. Ihre Lebensspanne währte außerordentlich lang – solange sie nicht durch einen Zwergenhammer oder durch eine Trollhand gewaltsam verkürzt wurde.

Arrica runzelte die Stirn.

»Die Angehörigen der Familie Duwath ziehen es ohnehin vor, unter sich zu sein.«

Nilly schöpfte Suppe in die bereitstehenden Schüsseln.

»Nun, sie scheinen in letzter Zeit sehr beschäftigt. Wo sind Lecy und Kylvarj?«

Offensichtlich vergaß Nilly mit ihrer Frage ein weiteres Mitglied der Familie Kodai-Lennox.

Kylvarj, vom Körperbau her der Breiteste und Kräftigste, war ein mächtiger Krieger, der häufig mit Merpheus durch die Lande reiste. Lecy, Jüngste und Nesthäkchen, glich hingegen eher einer zarten Elfe und betrachtete Vaycor – Familienoberhaupt und Anführer der Garde – als ihr Vorbild. Vaycor protzte weder mit Luxus, noch fand er Gefallen an Machtspielen, wie es womöglich ein Elementarelf in seiner Stellung getan hätte. Im übertragenen Sinne entsprachen Merpheus und Kylvarj seinen Fäusten. Niemand kannte so recht eine Antwort auf Nillys Frage. Athrys brummte eine Vermutung.

»Werden wohl noch in der Schmiede sein.«

Vaycor runzelte überrascht die Stirn.

»Ich dachte, nur Euer Bruder sei in der Schmiede?«

Die Erwiderung erfolgte prompt und mit regloser Mimik.

»Ich auch.«

Ungläubig blickte der Anführer ihn an, während sich in diesem Augenblick die Tür knarrend öffnete. Zwei weitere Personen traten ein – eine zierliche junge Frau und ein Mann von sehr kräftiger Statur. Lecy und Kylvarj.

Das lange, dichte und dunkle Haar des Kriegers wies noch einige Blätter und Zweige der Wildnis auf. Auf seiner linken Gesichtsseite prangte ein violettes Tattoo aus seltsam verschlungenen Formen und Hieroglyphen.

Lecy hingegen wirkte mit dem schlichten schulterlangem Blondschopf, fadenscheinigem Waffenrock und dem qualitativ eher minderwertigem Speer auf ihrem Rücken deutlich unscheinbarer. Nach gegenseitiger Begrüßung wandte sich Vaycor mit fragender Miene an seine jüngste Schwester:

»Wo ist dein Schild geblieben?«

Unbestritten sollte eine Nachwuchskriegerin ja stets ihre Ausrüstung beisammen haben.

»Sothrak wollte ihn verbessern, Vaycor. Wir waren in der Schmiede.«

Sothrak. Stets unzufriedener Bruder von Athrys und durchweg schlecht gelaunt. Das seiner Meinung nach tumbe Geschwafel der Elfen brachte den mürrischen Zwerg recht schnell in Rage. Möglicherweise mochte und akzeptierte er auf dieser Welt tatsächlich einzig nur seinen Bart. Kylvarj meldete sich mit tiefer und rauer Stimme zu Wort.

»Vor den Toren wurden wir von Blökhs angegriffen.«

Blökhs. Riesige, dunkle Käfer. Normalerweise harmlos und friedlich, solange man ihre Ruhe nicht störte. Besiedelten in der Regel Feuchtgebiete und schufen aus toten Bäumen ihren Lebensraum. Ihr dröhnendes Surren war einzigartig.

»Ihr Schild ist ziemlich verbeult worden, Bruder.«

»Das kann nur bedeuten, dass Lecy sich gut verteidigt hat.«

Vaycor schenkte seiner jüngsten Schwester ein Lächeln, das sie verlegen und leicht errötend erwiderte.

Nach kurzer Zeit präsentierte sich die Tafel anmutig hergerichtet und mit vielen Köstlichkeiten gedeckt – vom besten Braten bis hin zum knusprigsten Backwerk. Für Nilly galt eine liebevolle Präsentation als selbstverständlich, denn das Auge spielte ihrer festen Überzeugung nach beim Speisen ebenfalls eine Rolle.

Eine Zeitlang kehrte Schweigen ein und jeder genoss das Abendmahl, sodass einzig das Klimpern des Bestecks ertönte.

Die friedliche Atmosphäre wurde plötzlich durch sich näherndes lautstarkes Fluchen gestört. Mit lautem Knall flog nur Sekunden später die Tür auf.

Ein Zwerg mit auffallend buschigem Bart und Haupthaar, in ledernem Waffenrock und mit schwerem Hammer, stürmte in den Raum. Sothrak. Sein beachtlicher Bauchumfang schien um einiges größer als der seines Bruders. Aufgebracht grollte er erbost Unverständliches, verstummte jedoch angesichts der ihn wortlos anstarrenden Anwesenden. Athrys, weiterhin ungerührt seine Suppe schlürfend, unterbrach die eingetretene Stille: »Grüße, Bruderherz.«

Grummelnd schmetterte Sothrak den Hammer in eine Ecke und setzte sich an die Tafel. Vaycor riss ein Stück vom Brotlaib und räusperte sich.

»Wollt Ihr uns nicht berichten, was Euch heute wieder aufs Gemüt schlägt?«

»Ach!« Der Zwerg winkte verärgert ab. Kylvarj wandte sich ihm höflich zu.

»Ist das Erz angekommen?«

»Nein! Eben nicht!«

»So speist erst einmal und kommt zur Ruhe.« Merpheus versuchte einen möglichst beruhigen Tonfall anzuschlagen, was Sothrak jedoch herzlich wenig besänftigte. Die vorausschauende Nilly ahnte es schon. Eilig begab sie sich bereits in die Küche, als seine Flüche in Hörweite kamen. Nun kehrte sie hastig mit einem Krug zurück.

»He, wo bleibt mein Humpen?« Kopfschüttelnd stellte sie dem Zwerg den randvollen Krug vor die Nase. Seit das Gerücht kursierte, Elfen beherrschten die Schmiedekunst besser als er, schien der ohnehin cholerische Zwerg aufgebrachter den je. Niemand würde sein Können in Frage stellen!

»Es schmeckt wieder ausgezeichnet, Nilly«, bemühte sich Arrica das Thema zu wechseln. Lächelnd winkte die kleine Köchin ab.

»Nicht der Rede wert. Für die Besten nur das Beste.«

Das Abendmahl lenkte die Tischrunde für eine Weile von Ernsterem ab. Vaycor und Arrica hatten zuvor den wichtigen Auftrag erhalten, bei den Nymphen in Erfahrung zu bringen, was in den Landen vor sich ging. Seit geraumer Zeit war es hinsichtlich der königlichen Führung in Velvarya sehr still geworden, was gemeinhin als beunruhigend wahrgenommen wurde. Viel wurde geforscht. Nicht nur im Bezug auf den Planeten selbst, sondern auch im Hinblick auf möglicherweise andersartige Existenzen ihrer Welt. Doch wurden der Garde einfach keine Informationen zuteil, und die Königin gewährte keine Audienz. Vermutlich wussten die Duwath Elfen mehr, denn sie standen der Königin sehr nahe und verhielten sich in letzter Zeit auffällig verschlossen. Vaycor beschloss, dem auf den Grund gehen. Schon allein, weil er es als Anführer nicht dulden konnte, dass etwas vor ihm verheimlicht wurde.

Nach dem Abendmahl begab sich Vaycor mit Nilfo, dem Gatten Nillys, in den Garten. Der Goblin trug eine lederne Rüstung, die sich jedoch eher für Ausgehzwecke als für den Kampf eignete, dazu passend einen Hut mit blauer Feder an der Seite. Sein schulterlanges, haselnussbraunes Haar umrahmte ein gänzlich bartloses Gesicht. Vaycor und sein Begleiter ließen voller Bewunderung ihre Blicke über diesen Ort schweifen, an dem in üppiger Vielfalt die verschiedensten Pflanzen gediehen.

Eigenartige Blumen wuchsen dort, mit eckigen Blättern, die ihre Farbe wechselten und süßlichen Duft verströmten. Mitten durch den Garten führte ein aus Marmorstein gepflasterter Weg, der sich in seinem Verlauf als Brücke über einen großen, glasklaren Teich wölbte und hinaus zum Burghof führte. Vereinzelt ragten Ansammlungen von Pilzen von der Länge eines Zwergenbeins aus der Erde. Kleines Getier erfüllte die Atmosphäre mit leisem Surren und seltsam gurgelnden Geräuschen.

Vaycor betrachtete fasziniert das von Blau zu Violett wechselnde Farbspiel einer Pflanze, und wandte sich mit leiser Stimme an seinen Begleiter.

»Irgendwas stimmt im Thronsaal nicht. Seit der Nachricht über Shivas Rücktritt haben wir nichts mehr erfahren.«

Shiva – erste Königin der Lande von Vanya – war Legenden zufolge eine an der Entstehung der Welt beteiligte Gottheit. Außer auf Gemälden hatte diese Göttin nie jemand zu Gesicht bekommen. Zumindest wusste niemand von einer derartigen Begegnung zu berichten.

Auf Bildnissen wurde Shiva mit halb gesenkten Lidern und konzentriertem Blick als wahrhaft edle Monarchin abgebildet. Gewandet in eine tiefschwarze Robe, durchzogen mit den Mustern, die auch die Garderüstungen zeigten. Ihre strahlend weiße Haarfülle ergoss sich in dichten Kaskaden über ihre Schulter hinunter bis zu den Hüften.

Viele verehrten diese Abbildung, hielten sie aber lediglich für das schöne Bildnis einer Sagengestalt aus ferner Vergangenheit. Doch Königin Shiva dankte ab. Viele Gerüchte kursierten seither.

Kehrte sie zurück zum Sitz der Götter?

Musste nun eine neue Führung her, die alle Völker Velvaryas unter einem Banner vereinte?

Oder verhielt sich alles in Wahrheit ganz anders? Vielleicht handelte es sich sogar um Lüge?

Doch nun, nachdem es tatsächlich um die Thronfolge ging, sollte sich die Prophezeiung der Schriften aus den Nebeln der Urzeit erfüllen. Vaycor atmete tief durch. Nilfo, genüsslich an einer Waffel kauend, schaute zu ihm auf.

»Wenn du mich fragst, sollten wir uns mit Velvarin unterhalten. Schließlich ist sie die Leibwächterin der Königin.«

Vaycor ließ seinen Blick weiterhin gedankenvoll über den Garten schweifen und nickte kaum merklich.

»Leider habe ich sie und ihre Geschwister schon eine geraume Zeit nicht mehr gesehen.« Er starrte gen Himmel, an dem inzwischen die beiden Monde Leslynn und Nelbuk in mattem Weiß erstrahlten und sich in dem Gewässer spiegelten. Der Goblin rieb sich letzte Krümel von den Händen und schüttelte energisch den Kopf.

»Wir müssen herausfinden, was wirklich vor sich geht. Ich verstehe nicht, warum unserem Anführer anscheinend etwas vorenthalten wird.« Vaycor starrte noch immer stumm den Himmel an.

»Ich werde ein wenig ruhen. Solltet Ihr ein Schwert an Eurer Seite benötigen, wisst Ihr wo ich zu finden bin.« Der Goblin salutierte und Vaycor nickte.

»Gehabt Euch wohl, Nilfo.« Gedankenversunken begab auch Vaycor sich wenig später zu seinem Schlafgemach. Er dachte an Lennox, den am heutigen Abend Fehlenden der Familie. Als Ausbilder in Kampftechnik und Heerführung war er in letzter Zeit fast nie beim Abendmahl anzutreffen.

So wie nun Kylvarj und Merpheus, bereisten zuvor Lennox und ich gemeinsam die Lande. Doch das liegt schon viele Monde zurück.

Lennox´ kahlen Schädel verdeckte meist eine Kapuze. Trug er eine Robe und legte die Kapuze in den Nacken, konnte man ihn mit einem Vertreter des geistlichen Standes verwechseln. Grübelnd passierte Vaycor die Wachen, um in seiner Kammer endlich zur Ruhe zu kommen.

3

Schwankend, als kämpfe er um Orientierung, bewegte sich Jenkins in Richtung seines Wagens, stieg ein und drehte fahrig den Zündschlüssel. Mit der anderen Hand versuchte er gleichzeitig, per Handy seine Kollegen Williams und Luskin zu erreichen.

»Verdammt, Mailbox!« Nun ja, es ist nach zwei Uhr morgens. Sie haben vermutlich ihre Handys ausgeschaltet. Im Licht der Scheinwerfer Ausschau haltend, fuhr er vorsichtig die Straße entlang, während ihm hunderte Gedanken durch den Kopf schossen.

Weit kann sie noch nicht gekommen sein. Was, wenn sie jemandem Schmerzen zufügt? Man wird mich womöglich meiner Position entheben. Wohin nur könnte sie gehen? Was hat sie vor? Stopp!

Jenkins zwang sich ruhig auszuatmen. Er musste diesen Gedankenstau beenden, die Sache bewusst ruhig angehen.

Nur kann ich schlecht irgendwelche Passanten befragen, sofern um diese Uhrzeit überhaupt jemand unterwegs sein sollte.

Nach geraumer Zeit und einer leider erfolglosen Suche, steuerte Stephan müde eine Tankstelle an, um sich einen Kaffee zu besorgen. Mit dem Kaffeebecher in der Hand zog er eine Schachtel Zigaretten mit Feuerzeug aus seiner Hosentasche. Edler Tabak mit Vanillearoma, umhüllt von braunen Papes.

Nach einem tiefen Zug breitete sich leicht süßlicher, gleichzeitig rauchig würziger Geschmack in seinem Mund aus.

Erschöpft, wenngleich nun ein wenig entspannter, lehnte er mit dem Rücken an seinem Auto, auf dessen Windschutzscheibe sich das Mondlicht spiegelte. Einige sichtlich angetrunkene Jugendliche verschwanden lärmend im Innenraum der Tankstelle und erschienen kurz darauf wieder draußen. In Feierlaune – mit Schnapsflaschen und Tabak. Jenkins zog kurz johlende Aufmerksamkeit auf sich, bevor die Truppe um die nächste Straßenecke verschwand. Stephan zertrat den noch glühenden Zigarettenstummel, setzte sich wieder hinter das Steuer und startete, als plötzlich sein Handy vibrierte. Matts verschlafen raue Stimme meldete sich.

»Stephan? Warum um alles in der Welt rufst du mich mitten in der Nacht an? Ich hab´s nur zufällig bemerkt, weil ich dringend was trinken musste, und das Handy auf dem Küchentisch lag.« »Sie ist weg.«

»Was soll das heißen, sie ist weg?«

»Ist abgehauen.«

Am anderen Ende der Leitung klang die Stimme nun erheblich wacher.

»Wie konnte das passieren? Um sie unter Verschluss zu halten, haben wir doch Sicherheitsvorkehrungen getroffen.«

»Die sich aber nicht mit Übernatürlichem vereinbaren lassen.«

»Was? Übernatürlich?«

»Erklär ich dir später. Wir müssen sie unbedingt finden.« Matt schien inzwischen vollständig wach.

»Wie lange ist die Kleine schon fort? Hast du Scott angerufen?«

»Das ist erst eine Stunde her. Scott geht nicht an sein Handy.« Im Hintergrund knarrte der Lattenrost, Matt hastete offenbar aus dem Bett.

»Ich zieh mich an. Wo treffen wir uns?«

Stephan nannte ihm die Tankstelle als Treffpunkt.

Ein dunkles Fahrzeug näherte sich und bog auf das Tankstellengelände. Die Fahrertür sprang auf. In brauner Lederjacke stieg Matt aus dem Wagen und musterte ungläubig seinen Kollegen.

»Sag mal, wie siehst du denn aus?«

Sein Blick glitt über Stephans verschmutzten und zerrissenen Laborkittel, der den Eindruck vermittelte, als sei sein Kollege mit ihm durch eine Kiesgrube geschlittert.

»Oh. Tja, habe ich gar nicht bemerkt ...«

Nun erklärte sich auch, weshalb die Jugendlichen ihm überhaupt Beachtung geschenkt hatten. Während Jenkins Matt über das Geschehen in der Isolationszelle berichtete, entledigte er sich des zerfetzten Lumpens und warf ihn beiläufig auf den Rücksitz seines Autos. Williams starrte ihn ob der Schilderung nur ungläubig an.

»Verdammt, Matt! Dann schau dir das Ergebnis doch selber an!«

»Was glaubst du, wohin sie sich wenden könnte?«

»Wir wissen rein gar nichts über das Mädchen. Ich habe also nicht die geringste Ahnung.« Jenkins zuckte die Schultern und stieg in seinen Wagen. Sein Kollege nahm auf dem Beifahrersitz Platz und Stephan lenkte den Wagen rückwärts vom Tankstellengelände.

»Was werden wir jetzt tun, Stephan?«

»Aufmerksam die Gegend abfahren. Viel mehr bleibt uns da nicht.«

Mit dem Wissen um die sehr geringen Erfolgsaussichten fuhr Jenkins die Straße entlang. Es blieb den beiden Männern nichts anderes übrig, als einfach nach irgendwelchen Auffälligkeiten Ausschau zu halten. Stephan fuhr langsamer, stoppte dann plötzlich abrupt. Beide starrten auf eine bestimmte Stelle an der Straße:

Umgefallene Mülltonnen an einer abzweigenden Seitengasse.

Aus der schmalen Straßenschlucht schien in erheblicher Menge nebelartiger Dampf aufzusteigen. Anders als der, der gelegentlich aus der Kanalisation emporstieg, wirkte dieser hier wie warme, feuchte Luft, die in der Kälte kondensierte.

Jenkins und Williams stiegen aus, passierten langsam die Mülltonnen und überquerten die Straße. Matt rieb sich die Oberarme.

»Spürst du das, Stephan? Es ist auf einmal ziemlich kalt.«

»Ja. Mensch, schau dir das an! Der gesamte Weg durch die Gasse ist … vereist.«

Jenkins kratzte sich ratlos am Hinterkopf. Dann tauchten vor seinem geistigen Auge die Erinnerungen an das höchst ungewöhnliche Geschehen in der Zelle auf.

»Lass uns weitergehen, Matt.«

Vorsichtig schlitterten ihre Schritte über die vereiste Straße, während es schien, als sinke die Temperatur rapide. Dann ein stechender Gestank.

Ein derart beißender Geruch, dass beide schützend ihre Arme vor die Nasen pressten.

»Was zum …?«

Matts Stimme brach vor Entsetzen, während sich seine Augen weiteten. Würgereiz überkam ihn und seine urplötzlich feuchte Stirn reflektierte das Licht einer Straßenlaterne weiter vorn. Eine Schweißperle löste sich und rann sein Gesicht hinab.

Jenkins kniete langsam nieder – neben einem dort Sitzenden, dessen leblose Augen sich starr und in deutlich erkennbarer Furcht auf den Boden richteten. Aus dem Mund tröpfelte Blut auf die Oberschenkel und bildete unmittelbar daneben eine dunkle Pfütze, in der sich das Straßenlicht spiegelte. Der Torso wirkte wie von innen aufgeplatzt, der gesamten Bauchraum schien nach außen gekehrt. Innereien, bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt, quollen über Hose und Schuhe.

Matt kämpfte darum, sich möglichst nicht zu übergeben.

»Was … ist hier passiert, Stephan?«

»Ich weiß es nicht. Aber lange kann es noch nicht her sein.«

Er wies auf den Leichnam, dem noch Wärme entströmte, die in der Kälte kondensierte.

»Alles in der Umgebung ist vereist. Außer der Leiche.«

Williams erkannte plötzlich ein Logo auf der Jacke des Toten und zeigte auf ein geöffnetes Tor weiter hinten.

»Ich glaube, er hat dort als Nachtwächter gearbeitet.

»Sehen wir nach.«

»Stephan, ich halte das für keine gute Idee. Wir sollten die Polizei verständigen.«

Aber bereits ehe Matt den Satz beendete, befand sich Jenkins schon beim Tor. Matt folgte ihm. Er konnte ihn schließlich nicht allein dort hereingehen lassen.

Um in der Finsternis überhaupt etwas zu erkennen, zog er sein Handy aus der Tasche und aktivierte das Kameralicht.

Die Luft im Inneren war staubtrocken und roch nach altem Holz. Zu sehen gab es wogende Spinnweben und sehr verstaubte, leere Regale. Diese Halle schien bereits seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden zu sein.

Wortlos bewegten sich beide Männer äußerst vorsichtig und langsam am Rande des großen Raumes vorwärts. Passierten dabei eine Reihe alter Fenster, während sie aufmerksam die Umgebung erkundeten, jedoch nichts Auffälliges entdecken konnten. Dann eine Tür mit Schild, das auf einen Ausgang verwies. Mit leichtem Quietschen öffnete sie sich unter Jenkins’ Hand.

Rechts ging es vermutlich hinaus. Links hingegen führte eine Wendeltreppe hinab. Auf dem blanken Metall des Geländers reflektierte ein unregelmäßig aufleuchtender Lichtschein.

Nach raschem Blickwechsel schaltete Matt die Taschenlampenfunktion seines Handys ab und ließ es in seine Hosentasche gleiten. In stummer Übereinkunft bemühten sich beide Männer, die Stufen möglichst leise herabzusteigen.

Am Fuß der Treppe angelangt, erstreckte sich vor ihnen ein langer Flur, an dessen Beginn eine einzelne Glühbirne von der Decke baumelte und flackerndes Licht verbreitete. Die Wände befanden sich in äußerst mitgenommenem Zustand. An vielen Stellen bröckelte der Putz und herabgefallene Mörtelbrocken verteilten sich auf dem Boden. Modriger Geruch durchzog den Gang.

Die Treppe hinter sich lassend, schaute sich Jenkins um. Merkwürdig. Weit und breit kein Lichtschalter . Aber jemand muss hier sein. Weshalb sollte sonst Licht brennen?

Nach kurzem Blickwechsel traten die Männer gemeinsam in den Korridor.

An beiden Seiten befanden sich je drei morsche Holztüren. Sachte drückte Jenkins gegen die erste zu seiner Rechten. Leise knarrend bewegte sie sich. Matt und Stephan blickten vorsichtig hinein. Nichts außer Gerümpel .

Auch hinter der gegenüberliegenden Tür lediglich zerfallene Möbel und verbogene Metallrahmen, die ihre einstige Verwendung nur vermuten ließen. Die mittleren Räume an beiden Seiten des Flurs beinhalteten von Spinnweben überzogene, staubige Bettgestelle diverser Krankenstationen. Zerbrochene Glasampullen und Spritzen glitzerten auf dem Boden.

Die letzten beiden Eingänge offenbarten Leere, jedoch mit vergilbten und angeschimmelten Papierbögen übersäte Böden. Am Ende des Flurs eine schwere, eiserne Tür .

Als Matt und Stephan diese Schwelle übertraten, erwartete sie in dem Raum erneut eine herabbaumelnd brennende Glühbirne. Diese aber flackerte nicht, sondern verbreitete ein unangenehm grelles Licht. Jenkins blieb stehen und sah sich verwundert um.

Im Gegensatz zu den zuvor erforschten Räumlichkeiten war diese hier sauber und fast leer. Kleine Schränke mit metallenen Oberflächen erinnerten an die Ausstattung eines Operationssaals. Matt blickte sich ungemütlich um.

»Stephan. Wollen wir nicht lieber wieder zurück?«

Jenkins winkte wortlos ab. Sein Blick fiel in diesem Moment auf ein kleines mitten im Raum liegendes Kästchen. Nur wenige Zentimeter groß und mit goldenen Mustern verziert. Er trat vor, ging in die Hocke und hob es vorsichtig auf. Matt traf Anstalten ihn abzuhalten, doch da öffnete Jenkins das Kästchen schon.

Im Inneren befand sich ein blutrotes Samtkissen. Darauf ruhte ein kleiner, weißer Schlüssel.

Plötzlich durchbrach dumpfes Beben die Stille. Es schien, als ob der gesamte Raum für einen Augenblick in Bewegung geriete. Das Licht flackerte und Staub rieselte von der Decke. Beide Männer tauschten einen entsetzensstarren Blick.

Etwas Gefährliches schien in Gang zu kommen!

Dann wieder ein dumpfer Schlag. Keine Zeit um Fragen zu stellen.

Jenkins ergriff den Schlüssel und ließ die kleine Kiste zu Boden fallen, bevor sie durch die eiserne Tür eilten, die hinter ihnen mit lauten Knall zuschlug. Zu ihrer Überraschung lag nun das Gerümpel der sechs Räume verteilt im Gang, ebenfalls Überreste der morschen Holztüren, so dass sie sich mühsam einen Weg durch die Trümmerberge bahnen mussten.

Mit lautem Knall zerbarst das Glas der Glühbirne am Fuß der Wendeltreppe – und schlagartig erlosch ihr Flackern. Matt und Stephan hasteten im Dunkel die Stufen empor und zurück in die Lagerhalle – zumindest glaubten sie dies.

Als sie in höchster Eile in den großen Raum stürzten, offenbarte sich ihnen ein zugleich erschreckender und verwunderlicher Anblick:

Anders als zuvor standen sämtliche Regale nun aufgereiht entlang der Wände und Neonröhren an der Decke erhellten die Szenerie mit ihrem kalten Schein. Williams lief es eiskalt den Rücken hinunter.

»Was … geht hier vor sich?«

Stephan antwortete nicht, sondern starrte stumm nach oben. Ungläubig richtete er seine Augen auf ein Geschehen, das eindeutig das Gesetz der Gravitation ignorierte: Metallstühle und -tische hingen dort wie angeschraubt.

Das dumpfe Beben verebbte grollend, aber Matt blieb verängstigt an Ort und Stelle stehen. Zögernd schritt Jenkins vor. Ein leises Geräusch drang an sein Ohr – wie Kratzen oder Schleifen – als einer der Stühle hoch oben sich bewegte. Und irgendwie schien die Luft dünner zu werden, sodass das Atmen zunehmend schwerer fiel. Jenkins blieb stehen.