Die Verfolgten - Thomas Bührke - E-Book

Die Verfolgten E-Book

Thomas Bührke

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Beschreibung

Die freie Ausübung von Wissenschaften gehört zu den Grundpfeilern jeder freien Gesellschaft und Demokratie. Die Geschichte der verfolgten Wissenschaftler erstreckt sich über vier Jahrhunderte; sie beginnt bei Giordano Bruno und endet bei Alan Turing und Albert Einstein. Die Ursachen für die Verfolgung waren ganz unterschiedlich; sie reichen weit über den geschilderten Zeitraum hinaus bis heute: die Inquisition, die Französische Revolution, die Vernichtungsideologie des Dritten Reichs, der Terror von Stalin und Mao, die McCarthy-Ära bis hin zur Homophobie. Geschildert werden Leben und Leistung von acht überragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die diffamiert, bespitzelt, verfolgt, inhaftiert, vertrieben oder getötet wurden. Erzählt wird ihr Schicksal, wie sie zu Opfern politischer, gesellschaftlicher oder ideologischer Zeitumstände wurden. Die acht Kapitel widmen sich folgenden Personen und ihrem Schicksal: Giordano Bruno (1548–1600) Antoine Laurent de Lavoisier (1743–1794) und Jean Sylvain Bailly (1736–1793) Lew Landau (1908–1968) Lise Meitner (1878–1968) und Emmy Noether (1882–1935) Albert Einstein (1879 –1955) Alan Turing (1912–1954) Ein eindringliches Plädoyer für die Freiheit von Forschung und Lehre sowie den unbedingten Schutz von Wissenschaftlern, deren Schicksal sich in den Zeiten von fake news wiederholen könnte. »Menschen, die versuchen, qua Beruf und Berufung der Wahrheit näher zu kommen, dürfen weder verteufelt noch bedroht werden.« Eckart von Hirschhausen

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Seitenzahl: 352

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Thomas Bührke

Die Verfolgten

Geniale und geächtete Wissenschaftler von Giordano Bruno bis Alan Turing

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburgunter Verwendung mehrerer Abbildungen von © akg-images, © ullstein bild

Gesetzt von Dörlemann Satz, Lemförde

Gedruckt und gebunden von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-608-98635-8

E-Book ISBN 978-3-608-11936-7

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Verfolgte Wissenschaftler – gestern und heute

Danksagung

Giordano Bruno (1548–1600)

Es gibt unendlich viele Erden und unzählige Sonnen

Jean-Sylvain Bailly (1736–1793)

Ich zittere nur, weil mich friert

Antoine Laurent de Lavoisier (1743–1794)

Ich werde gleichmütig sterben

Lew Landau (1908–1968)

Ich habe keine Angst mehr vor ihm

Lise Meitner (1878–1968)

Ihr habt alle für Nazi-Deutschland gearbeitet

Emmy Noether (1882–1935)

Die Sache ist aber doch für mich sehr viel weniger schlimm als für sehr viele andere

Albert Einstein (1879–1955)

Der Krieg ist gewonnen – aber nicht der Friede

Alan Turing (1912–1954)

Er hatte einen Mangel an Ehrerbietung gegenüber allem – außer der Wahrheit

Anhang

Literatur

Einleitung

Internet

Giordano Bruno (1548–1600)

Jean-Sylvain Bailly (1736–1793)

Antoine Laurent de Lavoisier (1743–1793)

Lew Landau (1908–1968)

Lise Meitner (1878–1968)

Emmy Noether (1882–1935)

Albert Einstein (1879–1955)

Alan Turing (1912–1954)

Weitere englischsprachige Literatur zum Thema Enigma

Künstlerische Umsetzungen

Internet

Anmerkungen

Giordano Bruno (1548–1600)

Jean-Sylvain Bailly (1736–1793)

Antoine Laurent de Lavoisier (1743–1794)

Lew Landau (1908–1968)

Lise Meitner (1878–1968)

Emmy Noether (1882–1935)

Albert Einstein (1879–1955)

Alan Turing (1912–1954)

Bildnachweis

Namen- und Ortsregister

Aller dieser Männer muss der Tyrann sich entledigen, wenn seine Herrschaft bestehen soll, bis weder von Feind noch Freund irgend einer übrig ist, der etwas taugt.

Platon, Der Staat

Verfolgte Wissenschaftler – gestern und heute

Als im Juli 2016 eine Maschine vom Istanbuler(1) Flughafen Atatürk abhob, überfiel Passagier A. ein großes Gefühl des Glücks und der Erleichterung. Er befand sich auf dem Weg in die Freiheit. Einige Tage zuvor war ein Putschversuch auf Präsident Erdoğan(1) gescheitert, woraufhin man zahlreiche angebliche Unterstützer verfolgt, inhaftiert und aus dem öffentlichen Dienst entlassen hatte. A. war Professor in einem naturwissenschaftlichen Fach. Er hatte sich zwar hin und wieder kritisch zu Erdoğan(2) geäußert, aber weder etwas mit einer Kurdenorganisation noch mit der Gülen(1)-Bewegung zu tun, wie es vielen Verfolgten vorgeworfen wurde. A. war Forscher, kein Regimegegner, doch es gab klare Anzeichen dafür, dass auch seine Existenz bedroht war. Als Schutz vor möglichen Verfolgungen oder Repressalien seiner noch in der Türkei(1) lebenden Familie müssen alle Angaben dieses realen Falles so allgemein und anonym wie möglich bleiben.

Dank guter Kontakte zu Kollegen erhielt A. eine befristete Stelle an einer Universität in Süddeutschland(1), finanziert vom Baden-Württemberg Fonds für verfolgte Wissenschaftler. Dieses aus Stiftungen finanzierte Projekt geht auf eine Initiative von Henry Jarecki(1) zurück, dessen Vater Max(1) wegen seines jüdischen Glaubens vor den Nazis(1) in die USA fliehen musste. Die Max-Jarecki-Stiftung finanziert gemeinsam mit der Baden-Württemberg Stiftung den Baden-Württemberg Fonds für verfolgte Wissenschaftler, mit dessen Hilfe Forschende, die in ihrer Heimat nicht mehr arbeiten können, weil sie bedroht oder verfolgt werden, ihre Arbeit an deutschen(2) Hochschulen und Forschungseinrichtungen fortsetzen können.

Der Baden-Württemberg Fonds für verfolgte Wissenschaftler arbeitet mit verwandten Organisationen zusammen, wie der Philipp Schwartz(1)-Initiative der Alexander von Humboldt(1)-Stiftung. Bis zum Frühjahr 2022 hat diese 328 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 24 Ländern gefördert, die meisten aus der Türkei(2) (60 %) und Syrien(1) (20 %). Jüngst ist die Ukraine(1) als neuer Brennpunkt hinzugekommen. Sie arbeiteten in allen Bereichen der Natur-, Geistes- und Ingenieurwissenschaften. Die größte Organisation in diesem Bereich ist der 2002 ebenfalls von Henry Jarecki(2) mitbegründete Scholar Rescue Fund des Institute of International Education in New York(1). Seit seiner Gründung hat es an mehr als 900 bedrohte und vertriebene Wissenschaftler aus 60 Ländern Stipendien vergeben und damit lebensrettende Unterstützung gewährt.

Diese Zahlen belegen, dass das Thema »Verfolgte Wissenschaftler« längst nicht auf die bekannten historischen Tiefpunkte, wie die Nazizeit(2) oder die Stalin(1)-Ära, beschränkt ist, im Gegenteil, es ist hochaktuell: »Angesichts der neuen Repressalien und Konflikte weltweit ist der heutige Bedarf an Unterstützung von verfolgten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sehr groß«, sagte Henry Jarecki(3) bei der Einweihung des Baden-Württemberg Fonds.

Menschen wurden in der Vergangenheit aus unterschiedlichen Gründen verfolgt. Die in diesem Buch vorgestellten Personen litten unter der Inquisition, dem Großen Terror während der Französischen Revolution, der Nazizeit(3), der Stalin(2)-Herrschaft, der McCarthy(1)-Ära und der Homophobie.

Die Inquisition der katholischen Kirche diente über Jahrhunderte hinweg der Verfolgung und Hinrichtung von Menschen anderen Glaubens, vermeintlichen Hexen und Häretikern. Die Zahl der Todesopfer wird auf immer ungeklärt bleiben. Schätzungen variieren zwischen einer und zehn Millionen Opfern in Italien(1), Spanien(1) und Portugal(1). Die katholische Kirche selbst kam in einer historischen Untersuchung freilich nur auf etwas mehr als 50 000 Todesopfer.

Die Inquisition wird immer wieder mit modernen Unterdrückungsorganisationen verglichen. So sprach der Philosoph und Theologe Walter Nigg(1) 1949, noch unter dem Eindruck des Hitlerterrors, von der mittelalterlichen Gestapo(4).

1252 etablierte Papst Innozenz IV.(1) die Inquisition. Er erlaubte es ausdrücklich, Geständnisse durch Folter zu erpressen, wovon seine Handlanger, die Domini Canes, Hunde des Herrn, reichlich Gebrauch machten. 1542 richtete Papst Paul III.(1) die Zentralstelle in Rom(1) ein, vor allem, um konzentriert gegen den bedrohlichen Lutherismus(1) vorzugehen. Das änderte sich offiziell erst im 19. Jahrhundert, als die Römische Inquisition ihre Exekutivrechte verlor und nur mehr mit der Macht des Wortes verurteilen durfte. Papst Pius X.(1) machte 1908 aus der Römischen Inquisition als Organ des Vatikans die Kongregation für die Glaubenslehre, Sanctum Officium.

Papst Johannes Paul II.(1) prangerte 1994 in einem Brief an seine Kardinäle die Schande der katholischen Kirche mit den Worten an: »Wie kann man die vielen Formen von Gewalt verschweigen, die auch im Namen des Glaubens verübt wurden? Die Religionskriege, die Tribunale der Inquisition und andere Formen von Verletzung der Menschenrechte.« Am 12. März 2000 bat er in seinem großen Mea Culpa um Vergebung für die Vergehen der Kirche – genau 400 Jahre nach der öffentlichen Verbrennung des wohl berühmtesten Inquisitionsopfers: Giordano Bruno(1), dem Philosophen der Unendlichkeit des Universums und der beseelten Welten jenseits der Erde.

Die Französische Revolution von 1789 hatte hehre Ziele: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit waren die berühmten Leitgedanken. Feudalherrschaft und Leibeigenschaft wurden abgeschafft, die Erklärung der allgemeinen Menschenrechte in der Nationalversammlung gilt zu Recht als Meilenstein der europäischen(1) Geschichte. Die Französische Revolution begann in Paris(1) am 14. Juli 1789 mit dem Sturm auf die Bastille, sie endete am 13. Dezember 1799, als Napoleon(1) Bonaparte die Macht einer provisorischen Regierung übernahm und eine neue Verfassung verkündete.

Das dazwischen liegende Jahrzehnt war geprägt vom Kampf gegen innere und äußere Feinde der Revolution und die vollständige Abschaffung der Monarchie. Blutige Auseinandersetzungen gipfelten in der Schreckensherrschaft der radikalen Jakobiner und ihres Führers Maximilien Robespierre(1), später als Phase des »Großen Terrors« (Grande Terreur) bezeichnet. Selbst vor Revolutionären der ersten Stunde wie Georges Danton(1) machten Willkür und Gewalt nicht halt. Viele wurden unter fadenscheinigen Anschuldigungen und ohne Gerichtsverfahren abgeurteilt und auf der Guillotine exekutiert. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, Historiker schätzen, dass während der Schreckensherrschaft von Juni 1793 bis Ende Juli 1794 etwa 40 000 Menschen getötet wurden – bis Robespierre(2) selbst ein Opfer der Revolution wurde. Auch Wissenschaftler wie der »Vater der modernen Chemie«, Antoine Laurent de Lavoisier(1), oder der Astronom und Erste Bürgermeister von Paris(2), Jean-Sylvain Bailly(1), beendeten ihr Leben auf der Guillotine.

Das 20. Jahrhundert war geprägt von Kriegen, Ermordung, Verfolgung und Vertreibung. Während der Zeit des Nationalsozialismus(5) erreichten diese Vorgänge einen traurigen Höhepunkt. Die gesellschaftlichen und politischen Folgen der NS-Zeit(6) und des Zweiten Weltkrieges sind bis heute spürbar, auch in der Wissenschaft. Zahlreiche Forschende mussten aus Deutschland(7) und Österreich(1) fliehen. Die meisten von ihnen, weil sie jüdischer Abstammung oder jüdisch verheiratet waren. Einigen wurden auch sozialdemokratische oder kommunistische Aktivitäten vorgeworfen, andere wehrten sich gegen kirchenfeindliche Vorhaben des Regimes. Dieser fatale Aderlass in der deutschen Wissenschaft war während der Wiederaufbaujahre der Nachkriegszeit schmerzlich spürbar. Die Soziologin Helge Pross(1) sprach in den 1960er Jahren von einer geistigen Enthauptung Deutschlands(3)(8).

Lange Zeit gab es kaum genaue Zahlen zur Emigration von Wissenschaftlern. Das vom Leibniz(1)-Institut für Europäische Geschichte betriebene Portal »Europäische Geschichte Online« schätzt, dass nach dem im April 1933(9) erlassenen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums an deutschen Hochschulen etwa 3000 Personen entlassen wurden, das entspricht einem Viertel ihres Lehrkörpers. 90 Prozent waren jüdischer Herkunft oder hatten jüdische Ehepartner. Im November 1938 erfolgte zudem ein absolutes Studienverbot für »Volljuden«, kurze Zeit darauf wurde es auf »Teiljuden« erweitert.

Der amerikanische Historiker Alan D. Beyerchen kommt in seinem Buch Wissenschaftler unter Hitler(1) zu dem Schluss, dass die vertriebenen Physiker mit einem Anteil von 25 Prozent an allen Naturwissenschaften einen besonders großen Anteil besaßen. Die von den nationalistisch gesinnten Physikern Philipp Lenard(1) und Johannes Stark(1) propagierte »Deutsche Physik« trug ihr Übriges zur Verunglimpfung jüdischer Wissenschaftler bei. Auch Mathematiker blieben nicht verschont. Von den über hundert aus Deutschland(10) vertriebenen entkamen mehr als 60 in die USA. Dazu zählten so namhafte Personen wie John von Neumann(1), Kurt Friedrich Gödel(1) sowie Richard Courant(1) und Emmy Noether(1).

Frauen waren von der Vertreibungspolitik der Nationalsozialisten(11) prozentual gesehen in weitaus höherem Maße betroffen als Männer. Fast die Hälfte aller Dozentinnen wurde aus den Hochschulen entlassen. Allerdings war die absolute Zahl der Frauen längst nicht so hoch wie die der Männer, weil sie ohnehin stark unterrepräsentiert waren: Die Gleichstellung der Frau lag noch in weiter Zukunft. Und es liegt ja eine besondere Tragik in der Geschichte der Frauen, dass diese sich erst ihren Weg in einer von Männern dominierten Wissenschaft hart erkämpft haben und dann letztendlich doch vor einem Tyrannen fliehen mussten.

Die in diesem Buch vorgestellten außergewöhnlichen Persönlichkeiten Albert Einstein(1), Lise(1) Meitner und Emmy Noether(2) stehen stellvertretend für die immense Zahl an Verfolgten der Nazizeit(12). Einsteins(2) Schicksal ist bereits oft dargestellt worden und inzwischen einem großen Publikum weithin bekannt. Weniger bekannt ist jedoch, dass er auch in seinem Zufluchtsland USA wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe bespitzelt wurde. Der Ausweisung kam der berühmteste Wissenschaftler seiner Zeit durch seinen Tod zuvor.

Einstein(3) selbst und der Öffentlichkeit blieb verborgen, dass ihn das FBI in den 1950er Jahren im Visier hatte. Dieses Kapitel menschenverachtender politischer Umtriebe, in das Einstein hineingeraten war, ging als McCarthy(2)-Ära in die Geschichte der Vereinigten Staaten ein und war geprägt durch Antikommunismus.

Schon kurz nach Kriegsende wurde aus der verbündeten Sowjetunion(1) der kommunistische Feind. Der heiße Krieg war beendet, der kalte begann. 1947 erließ US-Präsident Harry S. Truman(1) die »Loyalty Order«, in deren Namen Bundesangestellte überprüft und entlassen wurden, weil sie angeblich kommunistischen Organisationen angehört hatten. Nach dem Zünden der ersten sowjetischen(2) Atombombe im Jahr 1949 und dem Beginn des Koreakrieges im darauffolgenden Jahr war das Klima günstig, um die Angst vor dem Kommunismus weiter zu schüren. Das machte sich der junge Republikanische Senator Joe McCarthy(3) zunutze. Im Februar 1950 hielt er eine Rede, in der er behauptete, die Kommunisten unterwanderten die Regierung. Die wahre Zersetzung käme von den »Enemies from Within«, und er besitze eine Liste von 205 Kommunisten im Außenministerium. Diese grandiose Lüge war sein Durchbruch, alle Medien berichteten darüber.

Als 1952 die Republikaner die Wahl gewannen, ernannte der neue Präsident Dwight D. Eisenhower(1) McCarthy(4) zum Vorsitzenden des Ausschusses zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe. Auf die Frage, was er, McCarthy(5), unter dem neuen Begriff »McCarthyismus« verstehe, antwortete er: »Jemanden einen Kommunisten zu nennen, dem es später nachgewiesen wird.« Oder kurz: Erst schießen, dann fragen. McCarthy(6) verglich die Kommunistenhatz gerne mit der Jagd auf Stinktiere, die er als Junge auf der elterlichen Farm aufspüren und erschlagen musste, weil sie die Hühner rissen.

Als das FBI im Jahr 2001 die Akten über Bertolt Brecht(1) freigab, schrieb Fritz J. Raddatz(1) in der Zeit: »Weitgehend unbekannt jedoch ist, mit welch penibler Menschenverachtung – dabei übrigens Stasi-ähnlicher Dummheit – amerikanische Behörden wie FBI und CIA nicht nur antifaschistische Emigranten wie Thomas Mann(1), Hanns Eisler(1) oder Theodor W. Adorno(1) überwachten, sondern die literarische Elite der eigenen Nation – insgesamt 130 Schriftsteller.« Im Grunde stand jeder halbwegs liberale Autor auf der Schwarzen Liste, darunter Ernest Hemingway(1), William Faulkner(1), Pearl S. Buck(1), Sinclair Lewis(1) und John Dos Passos(1). Hinzu kamen verdächtige Pazifisten wie Charlie Chaplin(1), der bereits 1947 vor den Ausschuss zitiert wurde. 1952 verweigerten ihm dann amerikanische Behörden die Wiedereinreise aus Europa(2). Chaplin(2), der seine britische(1) Staatsangehörigkeit behalten hatte, kehrte nie in die USA zurück, sondern verbrachte die letzten 25 Jahre seines Lebens in der Schweiz(1).

Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs verfolgte Josef Stalin(3) gnadenlos alle, die ihm verdächtig erschienen. Der Zeitraum zwischen September 1936 und Dezember 1938 ging als der »Große Terror« mit seinen berüchtigten Schauprozessen in die Geschichte der Sowjetunion ein. Während dieser Zeit ließ Stalin rund 1,5 Millionen Menschen verhaften, von denen die Hälfte zu Tode gefoltert und erschossen wurde – darunter auch treue Anhänger des Bolschewismus. Jahrzehntelang erfuhren Angehörige nichts über das wahre Schicksal der Inhaftierten, erst nach dem Zerfall der Sowjetunion(3) öffneten sich in den 1990er Jahren die Archive der Stalin(4)-Ära und gaben ihre Geheimnisse preis. Als großer Rückschritt in der Aufarbeitung dieser Zeit ist das Verbot der Menschenrechtsorganisation »Memorial« durch den Obersten Gerichtshof in Moskau Ende Dezember 2021 zu sehen. Memorial war in den letzten Jahren der Sowjetunion gegründet worden, um die Verbrechen der stalinistischen Gewaltherrschaft aufzuklären.

Stalins(5) Verfolgungswahn ist legendär, ihm fielen auch hervorragende Wissenschaftler zum Opfer. Sie verschwanden in den Verliesen des Geheimdienstes, viele kehrten nie zurück. Der russische(1) Physikhistoriker Gennadij Gorelik(1) schätzt, dass während der Zeit des »Großen Terrors« von der Generation der damals etwa dreißigjährigen Physiker nur etwa die Hälfte überlebte. Wer konnte, emigrierte in die USA, wo viele in Los Alamos(1) am Bau der ersten Atombombe mitwirkten. Der brillanteste Theoretiker des Landes, Lew Landau(1), blieb im Land und überlebte nur wegen des beherzten Einsatzes seines Kollegen Pjotr Kapiza(1).

»Der Physiker des zwanzigsten Jahrhunderts ist in die Politik verstrickt, ob er will oder nicht«, resümierte Carl Friedrich von Weizsäcker(1) im Alter von 90 Jahren. Das machte die Wissenschaftler natürlich auch anfällig für Verfolgung. Doch es gab nicht nur politische Gründe, auch Homosexualität war lange Zeit gefährlich – und ist es in manchen Ländern noch heute.

Homosexualität existierte in verschiedenen Kulturen schon vor Jahrhunderten. Erste wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit diesem Thema traten aber erst um 1830 in Europa(3) auf. Bevor 1868 wohl als Erster der österreichisch-ungarische(1) Schriftsteller Karl Maria Kertbeny(1) den Begriff Homosexualität mitteilte, sprach man von Sodomie. Häufig betrachtete man Homosexualität hauptsächlich als Intellektuellenlaster. Der Dichter Oscar Wilde(1) etwa war 1895 wegen homosexueller Verfehlungen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden und blieb auch nach seiner Haft moralisch verfemt.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war die Lage für Homosexuelle gefährlich. Die Paragraphen sahen im Extremfall eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für schwere homosexuelle Delikte vor. In Deutschland forderte der Paragraph 175 des (4)Strafgesetzbuches für homosexuelle Vergehen bis zu zehn Jahre Zuchthaus.

In Großbritannien(2) erfolgte 1957 eine entscheidende Wende. Damals kam ein Ausschuss unter der Leitung von Sir John Wolfenden(1) zu dem Aufsehen erregenden Beschluss, dass der Gesetzgeber Homosexualität unter Männern für straffrei erklären solle, sofern sie im Zivilleben von Leuten über 21 Jahren, auf beiden Seiten freiwillig und hinter verschlossenen Türen ausgeübt werde. Die Homosexualität sei keine Krankheit und beschränke sich keinesfalls auf intellektuelle Kreise.

In der Öffentlichkeit löste der Bericht einen Sturm der Entrüstung aus, aber die anglikanische Kirche und zahlreiche Prominente setzten sich für Wolfenden(2) ein. Es sollte indes bis 1967 dauern, bevor das Parlament einige Forderungen des Wolfenden(3)-Berichts umsetzte. Doch der Prozess der Legalisierung der Homosexualität schritt nur langsam voran und dauerte bis zur Jahrtausendwende.

In Deutschland(5) wurde 1969 Homosexualität ab 21 Jahren, 1973 ab 18 Jahren legalisiert. 1994 vereinheitlichte der Deutsche Bundestag das Schutzalter für Homosexuelle auf 14 Jahre. Heute diskutiert man über die rechtliche Stellung von LGBTI, also lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen/Transgender- und intersexuellen Menschen. Weltweit sind aber nach wie vor in rund einem Drittel aller Staaten einvernehmlich gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen illegal, in einem Dutzend Ländern droht die Todesstrafe.

Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch über Konversionstherapien diskutiert, wie sie der in diesem Buch dargestellte Mathematiker Alan Turing(1) über sich ergehen lassen musste. Obwohl der Weltärztebund 2013 Konversionstherapien als Menschenrechtsverletzung und als mit der Ethik ärztlichen Handelns unvereinbar verurteilte, waren sie 2020 nur in Kanada(1), Spanien(2), den USA und Deutschland(6) bei Minderjährigen untersagt. Der Bundestag beschloss 2020 ein komplettes Verbot von Konversionsbehandlungen für Homosexuelle bis zum Alter von 18 Jahren. Das Gesundheitsministerium wies darauf hin, dass keine bekannte Studie den Schluss zulässt, die sexuelle Orientierung ließe sich dauerhaft verändern. Wissenschaftlich nachgewiesen seien dagegen schwerwiegende gesundheitliche Schäden in Folge solcher Therapien, wie Depressionen, Angsterkrankungen, Verlust sexueller Gefühle und ein erhöhtes Suizidrisiko. Dies liest sich wie eine Diagnose von Alan Turings(2) letzten Lebensjahren.

Danksagung

Damit ein Buch das Licht der Verlagswelt erblicken kann, bedarf es nicht nur eines Autors oder einer Autorin. Viele Unterstützer sind hierfür nötig, von denen ich einigen an dieser Stelle danken möchte. Mit Begeisterung und Engagement haben sich Christoph Selzer und Johannes Czaja auf Seiten des Verlages für das Werk stark gemacht und es zum Leben erweckt. Nicht gelungen wäre dies zudem ohne die Unterstützung von Cornelius und Mathias. Und last but not least danke ich Ute. Sie hat sich als Erste auf die Lebenswege der Verfolgten begeben und das Manuskript kritisch unter die Lupe genommen.

Giordano Bruno(2) (1548–1600)

Es gibt unendlich viele Erden und unzählige Sonnen

Giordano Bruno(3) war ein Freigeist, ein Philosoph, der für das kopernikanische(1) Weltbild eintrat und es sogar noch erweiterte, indem er annahm, das Universum sei unendlich ausgedehnt und umfasse unzählige bewohnte Planeten. Er wurde von der Inquisition zum Tode verurteilt und starb auf dem Scheiterhaufen.

Ich heiße Giordano, stamme aus der Familie der Bruni, meine Vaterstadt ist Nola(1), 12 Meilen von Neapel(1) … Ich bin ungefähr 44 Jahre alt und, so viel ich von den Meinigen erfahren habe, im Jahre 1548 geboren.«[1] Dieses vage Selbstzeugnis seiner Herkunft legte Giordano Bruno(4) am 29. Mai 1592 vor den Richtern der Inquisition in Venedig(1) ab. Es verdeutlicht, wie wenig wir über die ersten Jahre dieses außerordentlichen Philosophen wissen. Hatte er Geschwister oder Verwandte, die ihn prägten? In seinen Schriften finden sich verstreut Hinweise darauf, dass er keine glückliche Kindheit hatte und keine Kameraden, mit denen er ausgelassenen spielen konnte. Zu Hause überwog die Trauer der Mutter(1) über den häufig abwesenden Vater(1) und die bescheidenen finanziellen Mittel, mit denen die Familie zurechtkommen musste.

Wahrscheinlich kam Giordano im Januar oder Februar 1548 als Sohn des Soldaten Giovanni Bruno(2) zur Welt. Sein Taufname war Filippo, erst später nannte er sich Giordano(5). Er lebte wohl nicht direkt in der Stadt Nola(2), sondern in der angrenzenden Ortschaft San Giovanni del Cesco(1) am Fuße des kleinen Berges Monte Cicala. Wenn er an dessen Hängen entlangstromerte, hatte er einen freien Blick auf den Vesuv, jenen mächtigen Vulkan, dessen letzter großer Ausbruch im Jahre 79 n. Chr.(1) Pompeji(1), Herculaneum(1) und andere antike Stätten unter glühend heißer Asche und Gestein begraben hatte. Der Vesuv könnte geradezu sinnbildlich für das feurige Gemüt des »Nolaners«, wie Bruno sich später selbst nannte, stehen.

Der junge Giordano(6) besuchte private, von Geistlichen geleitete Schulen. Mit 14 schickten ihn die Eltern nach Neapel(2) an die Universität. Drei Jahre später, im Jahr 1565, entschloss er sich, in das Dominikanerkloster »San Domenico Maggiore« einzutreten, eine historische Einrichtung, in der schon Thomas von Aquin(1) gelehrt hatte. Mit diesem Schritt vollzog er auch die Änderung seines Vornamens. Die Hauptinteressen der Dominikaner waren Predigt und Rhetorik, doch Giordano(7) war sehr vielseitig interessiert, er sog alles auf, was die Vorlesungen und vor allem die reich ausgestattete Bibliothek anboten. Leidenschaftlich vertiefte er sich in die philosophischen Abhandlungen der Antike, insbesondere von Aristoteles(1) und Platon(1), kannte aber auch bald die Schriften der atomistischen Naturphilosophen, beispielsweise des Lukrez(1). Unter den Theologen beeindruckten ihn vor allem die Schriften des Nikolaus von Kues(1).

Vermutlich lernte er in »San Domenico« auch das zentrale Werk von Nikolaus Kopernikus(2) kennen: De revolutionibus orbium coelestium. In diesem 1543 erschienenen Buch vertritt der Astronom das heliozentrische Weltbild, in dem nicht mehr die Erde im Zentrum des Universums steht, sondern die Sonne. Alle Planeten umkreisen das Zentralgestirn, unter ihnen auch die Erde. Zunächst nahm die Kirche keinen Anstoß an Kopernikus’ revolutionärer Kosmologie. Seine Hypothese fand sich versteckt am Ende des voluminösen Bandes. Außerdem hatte ein anonymer Autor dem Werk ohne Kopernikus’ Wissen ein Vorwort vorangestellt, in dem er behauptete, Kopernikus(3)’ Theorie sei nicht als Beschreibung der Wirklichkeit, sondern lediglich als mathematisch praktisches Konstrukt anzusehen. Diese Interpretation wurde noch hundert Jahre lang propagiert. Erst Johannes Kepler(1) machte später den lutherischen(2) Prediger Andreas Osiander(1), der den Druck des Werkes überwacht hatte, als Autor des Vorworts publik. Kopernikus(4) konnte gegen diese Herabwürdigung nicht mehr vorgehen, er empfing den Erstdruck auf dem Sterbebett.

Der Wissenschaftshistoriker Owen Gingerich(1) schätzt, dass in den ersten hundert Jahren nach dem Erscheinen von De revolutionibus orbium coelestium nur etwa zehn Gelehrte dessen weitreichende Wirkung wirklich verstanden haben, darunter Kepler(2), Galilei(1) – und Bruno(8). Es gab aber ganz andere Werke, deren Lektüre die katholische Kirche verboten hatte, zum Beispiel die des niederländischen Humanisten Erasmus(1) von Rotterdam, der sich über den katholischen Klerus lustig machte. Bruno las sie heimlich in seiner Zelle.

Im Juli 1575 legte er sein Doktorexamen ab, eine theologische Karriere war ihm dennoch nicht beschieden. In dieser Zeit bemächtigten sich Bruno(9) starke Zweifel an zahlreichen katholischen Glaubensgrundsätzen, die er mit seinem kritischen Geist nicht in Einklang bringen konnte. Nach seiner eigenen Aussage lehnte er schon mit 18 Jahren den Glauben an die Lehre von der Dreifaltigkeit ab. Die Trinität bezeichnet die Wesenseinheit Gottes in drei Personen: Gott Vater, Sohn Jesus Christus(2) und Heiliger Geist. Auch die Vorstellung, Jesus sei Gottes Sohn, akzeptierte er nicht. Über Reliquien lachte er, Heiligenbilder verschenkte er an Ordensbrüder. Anstatt aber seine Zweifel für sich zu behalten, diskutierte er sie leidenschaftlich mit seinen Mitbrüdern, von denen einer nichts Besseres zu tun hatte, als ihn bei höherer Ordensstelle zu denunzieren.

Bruno(10) befürchtete, verhaftet zu werden. Die Dominikaner waren nicht zimperlich und hatten schon in anderen Fällen dafür gesorgt, dass ein angeblicher Ketzer auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurde. Kurzentschlossen ergriff Bruno daher im Februar 1576 die Flucht aus dem Kloster. Es war der Beginn einer fast zwei Jahrzehnte dauernden Reise durch Europa(4).

Zunächst gelangte er nach Rom(2), wo er in einem Dominikanerkonvent Unterschlupf fand. Als er erfuhr, dass man in Neapel(3) einen Prozess gegen ihn anstrebte, legte er sein Ordensgewand ab und floh erneut. Über Genua kam er in den kleinen ligurischen Ort Noli(1), wo er sein Brot mit Privatunterricht verdiente: Grammatik für Knaben, Astronomie für Edelleute. Doch schon nach vier Monaten zog er weiter. Rastlos ging es nach Savona(1), Turin(1), Venedig(2), Padua(1), Brescia(1), Bergamo(1) und Mailand(1), bevor er im Herbst 1578 – anderthalb Jahre nach seiner Flucht aus dem Kloster – nach Turin(2) zurückkehrte. Wir wissen weder, wie er Geld verdient hat, ob er Unterricht gab, noch, wo er gewohnt hat.

Doch schon bald muss ihm bewusst geworden sein, dass er in Italien(2) keine Zukunft hatte. Er machte sich auf den Weg nach Frankreich(1), durchquerte zu Fuß oder auf klapprigen Gefährten das Susa-Tal und erreichte das 200 Kilometer entfernte Chambéry(1). Dort angekommen, streifte er sich die in Neapel(4) wütend abgeworfene Mönchskutte wieder über, um im Dominikanerkonvent Unterschlupf zu finden. Ein Pater machte ihm umgehend deutlich, dass er hier wie auch in ganz Frankreich(2) auf wenig Wohlwollen stoßen werde. Wenigstens bekam er Essen und ein Bett, mochte es auch noch so hart sein. Doch auch hier hielt er es nur wenige Monate aus. Er packte seine überschaubaren Habseligkeiten und machte sich auf den Weg nach Genf(1), wo er im Frühjahr 1579 eintraf.

Ausgerechnet Genf(2). Hier hatte sich der französische(3) Reformator Johannes Calvin(1) eingerichtet. Er bot vielen Flüchtlingen aus Italien(3) Schutz an – jedoch nur Protestanten. Gleichzeitig führte er eine strenge Kirchenzucht ein. Kurz vor Brunos(11) Eintreffen in der Stadt hatte er dafür gesorgt, dass ein spanischer Arzt und Philosoph, der die Dreifaltigkeit geleugnet hatte, zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde. Was sollte ein katholischer Freidenker wie Bruno in dieser Stadt?

Bruno(12) kam bei Marchese Caracciolo(1) unter, einem Neapolitaner, der zum Protestantismus konvertiert war und auch Bruno empfahl, aus Sicherheitsgründen den calvinistischen Gottesdienst zu besuchen. Ein Unding. So schnell wie möglich verließ er die Stadt und wanderte über Lyon(1) (wo man keine Verwendung für seine Lehrkünste hatte) nach Toulouse(1). Hier sollte er endlich eine neue akademische Heimat finden – zumindest für gut zwei Jahre.

Toulouse(2) zählte damals zu den reichsten Städten Frankreichs(4), vor allem wegen der dort heimischen Indigo-Pflanze, aus der der beständige blaue Farbstoff gewonnen wurde. Die Universität zählte mit etwa zehntausend Studenten zu den größten des Landes. Hier fand sich auch ein Platz für Bruno(13). Zunächst hielt er Vorlesungen über Astronomie und Philosophie. Gleichzeitig erlangte er einen Doktortitel und bewarb sich erfolgreich auf den Lehrstuhl für Philosophie. Endlich schien sich das Blatt zum Guten zu wenden, doch dann brach zwischen Katholiken und Hugenotten ein neuerlicher Religionskrieg aus – neun Jahre nach der berüchtigten »Bartholomäusnacht«, in der zehntausend Hugenotten getötet worden waren. Bruno(14) reiste ab, sein nächstes Ziel sollte Paris sein(3).

In der Landeshauptstadt machte er schnell von sich reden. Einer seiner Schüler erinnerte sich später, Bruno(15) »könne auf einem Fuß stehend gleichzeitig denken und diktieren, so schnell nur die Feder zu folgen vermag, so raschen Geistes und so schneller Denkkraft ist er«.[2] In privaten Vorträgen faszinierte er seine Zuhörer mit einer Lehre der Erinnerungskunst. Schon seit der Antike wurden Techniken erarbeitet, mit denen man bei Reden das Gedächtnis effizient einsetzen kann. So wurde beispielsweise empfohlen, bestimmte Begriffe mit Gegenständen in einem Haus zu verbinden, was die Erinnerung an sie vereinfachte.

Bruno(16) war insbesondere von der Mnemolehre des Raimundus Lullus(1) aus dem 14. Jahrhundert beeinflusst. Er entwickelte eine eigene Technik, die auf der Assoziation von Buchstaben, Silben und Wörtern mit Bildern beruhte. Damit war er so erfolgreich, dass sich nach einiger Zeit sogar König Heinrich III. dafür interessierte und Bruno an seinen Hof einlud. Kurze Zeit später widmete dieser dem Monarchen ein Buch mit dem Titel Über die Schatten der Ideen. Gleichermaßen beeindruckt und geschmeichelt, bot der König Bruno eine Dozentenstelle am »Collège de Cambrai« an. Damit hätte Bruno sein Wanderdasein beenden können, doch er lehnte ab. Mit der Position verbunden war nämlich die Verpflichtung, regelmäßig die katholische Messe zu besuchen und das religiöse Brauchtum zu praktizieren. Das war nichts für einen Freigeist wie ihn. Bruno wird sich auch daran erinnert haben, dass König Heinrich(2) ein katholischer Scharfmacher ersten Ranges war, der die »Bartholomäusnacht« mit initiiert hatte. Mit Vorträgen über seine Mnemotechnik sollte Bruno auch in den kommenden Jahren Geld verdienen.

In seinem ersten philosophischen Buch Über die Schatten der Ideen verknüpfte Bruno(17) Naturforschung und Magie mit Anleihen aus der Kabbalistik, der Alchemie und anderen mystischen Traditionen. Er fasste Philosophie auch als Poesie auf, die ihn zur göttlichen Weisheit führen sollte: »Denken war für Bruno, Bilder der Einbildungskraft zu entwerfen, exakte Begriffsbestimmungen dürfen deswegen bei ihm nicht erwartet werden«[3], urteilte der Philosoph Walter Nigg(2) 1949. Das erleichtert nicht gerade das Studium seiner Schriften und gab stets Anlass zu unterschiedlichen Interpretationen.

Nach kaum drei Jahren verließ der Wanderphilosoph Paris(4) und reiste nach London(1), wo er sich mit Empfehlungsschreiben Heinrichs III. dem französischen(5) Gesandten Michel de Castelnau(1) vorstellte. Brunos(18) Englandaufenthalt(3) ab 1583 sollte wieder nur eine zweieinhalb Jahre andauernde Etappe in seinem unsteten Leben werden, aber eine äußerst produktive. Hier schuf er drei große Werke, in denen er vor allem auch sein kosmologisches Weltbild ausarbeitete und detailliert darlegte. Seine persönliche Situation war indes wie gewohnt chaotisch und von Konfrontationen geprägt.

Sein(19) Versuch, an der Universität Oxford(1) eine Lehrstelle zu erhalten, schlug kläglich fehl. In einem Vortrag vertrat er vehement das Kopernikanische(5) Weltbild, stieß damit aber auf geballten Widerstand der anwesenden Philosophen und Theologen. Wütend beschimpfte er die Professoren als Pedanten und bezichtigte die Universität als Witwe wahrer Wissenschaft, deren Lehrinhalte zurückgeblieben seien. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als bei seinem(20) Freund und Gönner Michel de Castelnau(2) zu wohnen, der ihn in die hohen Kreise der Gesellschaft einführte – bis hin zu Königin Elisabeth(1) persönlich.

London(2) war allerdings zur damaligen Zeit nach Aussagen mehrerer Zeitgenossen ein raues Pflaster, vor allem für Ausländer. So schildert Bruno(21) in Gestalt des Filoteo in der Schrift Aschermittwochsmahl einen Zusammenstoß mit »sechs Ehrenmännern«, die ihn und zwei Freunde angriffen. Wenn dieser Bericht der Realität entspricht, wurde Bruno am Abend des Aschermittwoch 1584 ordentlich verprügelt. Filoteo erzählt: »Ich sah, wie ein anderer dem Nolaner einen doppelten Stoß versetzte … Darauf erhielt er noch einen Stoß, der ihn gegen die Mauer schleuderte.«[4] Filoteo nennt Bruno(22) in allen Dialogen den »Nolaner«.

Trotz dieser unerfreulichen Umstände lebte Bruno(23) von seinen Vorträgen vor der hohen Gesellschaft offenbar recht gut, und es blieb ihm sogar noch Zeit, um seine zentralen Werke über seine Naturphilosophie und sein kosmisches Weltbild zu verfassen: Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen sowie Vom Unendlichen, dem All und den Welten. Sie zählen zusammen mit dem Aschermittwochsmahl und zwei weiteren Schriften zu seinen italienischen Dialogen. Eine irritierende Bezeichnung, denn sie erschienen allesamt in London(3). Bruno(24) gab jedoch als Druckort Venedig(3) an, vermutlich, weil diese Stadt in der Wissenschaft europaweit einen guten Ruf genoss.

Bruno(25) hat seine Schriften in Form von Dialogen angelegt, wie es schon Platon(2) getan hatte. Auf diese Weise kann eine Person Brunos Hypothesen im Wettstreit mit Kritikern und ungläubig Fragenden entwickeln. Die Dialoge sind ausschweifend, durchsetzt mit bildhaften Vergleichen, und es fehlt nicht an zynischen Seitenhieben auf seine Gegner. Seine Vorrede Vom Unendlichen, dem All und den Welten beginnt er mit einer wüsten Anklage und zeigt seinen Frust: »Weil ich das Feld der Natur vermesse, besorgt bin für die Weide der Seele, bemüht um die Pflege des Geistes und ein Dädalus in der Technik der Vernunft, siehe, da muss ich dulden, dass mancher mich nur zu sehen braucht, um mir zu drohen, mich nur zu erblicken braucht, um sich auf mich zu stürzen.«[5] Und woher kommen die Widersacher? »Von der Universität, die mir missfällt, vom Pöbel, den ich hasse, von der Menge, die mir nicht imponiert.« Bruno hatte nie ein Problem damit, sich Feinde zu schaffen. Mit seiner revolutionären Kosmologie eines unendlich großen Universums, das unendlich viele Sonnen und Planeten beinhaltet, gelang ihm(26) das besonders gut.

Diese Vorstellung des unendlich ausgedehnten Raumes überfiel ihn wie ein Erkenntnisblitz beim Studium des Kopernikanischen(6) Weltmodells. Darin ruht die Sonne im Zentrum des Universums, und die damals sechs bekannten Planeten umkreisen sie. Die Erde war damit dem Mittelpunkt entrückt und nahm – begleitet vom Mond – einen gewöhnlichen, durch nichts hervorgehobenen Platz im planetaren Reigen ein. Umgeben war dieses Sonnensystem von einer Sphäre, auf der die Sterne fixiert waren. Diese äußerste Kugelschale begrenzte damit das mit Himmelskörpern erfüllte All. Bruno(27) entwickelte sich schon früh zum glühenden Kopernikaner(7) und lehrte dessen Weltmodell. Nur in einem entscheidenden Punkt widersprach er seinem Vorbild: Das Universum konnte nicht endlich sein.

In dem Dialog Vom Unendlichen, dem All und den Welten erklärt Filoteo: »Es ist in Wahrheit unmöglich, mit irgendwelchem Sinne und Phantasie, … sich ernsthafterweise eine Oberfläche, eine Begrenzung, einen Rand vorzustellen, außerhalb dessen weder ein Körper noch leerer Raum wäre, auch wenn die Gottheit dort wäre. Denn die Gottheit ist doch nicht dazu da, das Leere auszufüllen.«[6] Das All kann demnach keine Grenze besitzen. Diese Vorstellung verband Bruno(28) mit seinem Gottesbegriff: »Wie kannst Du wollen«, fragt Filoteo, »dass Gott beschränkt sei und nur als Begrenzer einer äußeren Kugeloberfläche anzusehen sei, anstatt vielmehr sozusagen als der unendliche Allumfasser eines grenzenlosen Seins.«[7]

Dann vollzieht Bruno(29) den letzten logischen Schritt von der Unendlichkeit des Alls zur unendlichen Zahl von Sternen und Planeten: »So nur rühmen die Himmel die Herrlichkeit Gottes, so nur offenbart sich die Größe seines Reiches. Nicht auf einem, auf unzähligen Thronen strahlt seine Majestät, nicht auf einer Erde, auf einer Welt, auf zehnmal hunderttausenden, auf unzähligen.«[8] Außer Frage schien es ihm zu stehen, dass diese Welten bewohnt sind: »Es ist geradezu albern zu glauben, es gäbe keine anderen Lebewesen, keine anderen Sinne, keine anderen Denkvermögen als gerade jene, die sich unseren Sinnen darbieten.«[9] Eine unerhörte Behauptung.

Bruno(30) schloss auch nicht aus, dass es in unserem Sonnensystem weitere, möglicherweise bewohnte Planeten gibt, welche die Astronomen wegen der großen Entfernungen oder der geringen Größe der Planeten bis dahin nicht entdecken konnten: »Widerspricht es doch nicht der Vernunft, dass selbst um diese unsere Sonne noch andere Planeten kreisen«[10], lässt Bruno Filoteo erklären. Erst zweihundert Jahre später, genauer am 13. März 1781, entdeckte Friedrich Wilhelm Herschel(1) den ersten Planeten jenseits der Bahn des Saturn. Es war der Uranus. 1846 folgte die erste Sichtung des Neptun und 1930 die von Pluto, der allerdings seit 2006 offiziell nicht mehr als Planet gilt.

Doch weiter: Ein unendlicher Raum ist zwar, wie auch Bruno(31) zugibt, nicht vorstellbar und mit unseren Alltagsbegriffen nicht fassbar, klar ist aber, dass er kein Zentrum besitzt, kein Oben und Unten, Rechts oder Links, »weder Schwere noch Leichtigkeit … Und wenn wir dann in einem solchen Raum zahllose Körper annehmen, wie diese Erde oder irgendeine andere Erde, diese Sonne oder irgendeine andere Sonne, so vollenden alle diese Weltkörper ihre Umläufe durch endliche und begrenzte Raumteile und ihre eigenen besonderen Zentren«.[11] Jeder könne von seinem Himmelskörper behaupten, er befinde sich im Mittelpunkt der Welt, so wie auch Mondbewohner glauben könnten, die Erde umkreise sie und nicht umgekehrt. Im Grunde hätte jeder Recht und zugleich Unrecht – es ist nur eine Frage, wo man den Ursprung eines Koordinatensystems setzt. »So ist die Erde im Verhältnis zum All nicht mehr und nicht weniger Mittelpunkt, als jeder beliebige Weltkörper … Sie befindet sich nicht absolut im Mittelpunkte des Weltraumes, sondern nur von ihrem Standpunkt aus mit Hinsicht auf diese unsere Umgebung.«

Jeder Körper bildet für sich, in einem eng begrenzten Gebiet, ein Zentrum, auf das andere Körper (Teile) zufallen: »Ihre Teile heißen leicht, wenn sie sich von ihnen entfernen oder sich ausdehnen, und schwer, wenn sie zu ihnen zurückkehren, wie man denn von den Teilen des Erdkörpers und von irdischen Stoffen, wenn solche sich dem umfassenden Äther nähern, sagt, dass sie emporsteigen, und wenn sie wieder zum Erdkörper zurückkehren, dass sie fallen.«[12] Damit stand er im Gegensatz zur Aristotelischen(2) Bewegungslehre und befand sich eher in der Nähe von Newtons(1) Theorie der Schwerkraft.

Auch die von Aristoteles(3) gelehrte Trennung der irdischen von der himmlischen Sphäre überwand Bruno(32) mit Leichtigkeit. In Gedanken entfernte er sich immer weiter von der Erde und dem Mond, bis die beiden Körper so klein erschienen, dass keine Kontinente und Meere mehr erkennbar waren. »Danach können wir annehmen, dass unter den unzähligen Sternen ebensoviele Monde, ebensoviele Erdkugeln, ebensoviele diesem ähnliche Weltkörper sind, für die es ebenso den Anschein hat, als ob diese Erde sich um sie bewege, wie jene um diese Erde sich zu drehen und zu kreisen scheinen. Warum also sollen wir behaupten, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen diesem und jenen Körpern bestehe, wenn wir überall nur Analogie wahrnehmen?«[13] Alle Körper im unendlichen All sind sich ähnlich, bestehen aus derselben Materie – moderner geht es nicht.

Hatte Kopernikus(8) die Erde aus dem Zentrum des Universums gestoßen, so eliminierte Bruno(33) jegliches Zentrum. Bei Bruno verschmolzen Kosmologie, Philosophie und Theologie zu einer all-umfassenden Weltsicht und zu einem Gottesbegriff, der nichts mit dem damaligen katholischen Gott gemein hatte. Bruno hatte einen weit größeren Gott erfahren, der eins war mit der Natur. »Es war nicht der persönliche Gott, den er verkündete, sondern eine ausgesprochen pantheistische Gottesauffassung«, wie Walter Nigg(3) resümierte.[14] Brunos(34) Gottesbegriff sollte später vor der Inquisition noch zur Sprache kommen.

(35)In Vom Unendlichen, dem All und den Welten erklärt Filoteo, das Unendliche und Unermessliche sei ein lebendiges Sein. Es besäße keine bestimmte Gestalt, sondern habe die ganze Seele in sich und umfasse alles Beseelte. Es sei eben das All. Ja, er spricht dem Universum sogar eine allgemeine Vorsehung zu, »kraft derer jedes Wesen lebt, sich erhält, sich bewegt und zu seiner Vollendung gelangt«. Die Vorsehung ist allgegenwärtig als Seele, er nennt sie »Natur, Schatten und Spur der Gottheit«.[15] Die Beseeltheit sieht er aber nicht ausschließlich im unendlichen All. Im Aschermittwochsmahl erklärt er, dass die Erde und all die anderen Himmelskörper Leben in sich haben: »So bewegen sich auch die Erde und die anderen Gestirne … aus dem inneren Prinzip, welches ihre eigene Seele ist.«[16] Das gilt ihm letztlich für die Bewegungen aller Dinge, ebenso wie beispielsweise die des Eisens hin zum Magneten. (36)

Als Brunos(37) Gönner Michel de Castelnau(3) nach Paris(5) zurückbeordert wurde, verließ Bruno mit ihm zusammen England(4). Damit nahm er sein Wanderleben wieder auf. Nach kurzen erfolglosen Stippvisiten in Paris(6) zog er durch Deutschland(7) und wurde schließlich in Wittenberg sesshaft. Martin Luther(1) war zwei Jahre vor Brunos(38) Eintreffen gestorben, sein Gefolgsmann Philipp Melanchthon(1) hatte dessen Lehrstuhl übernommen. Dort erlangte Bruno an der großen und weithin bekannten Universität sogar eine Professur, während der er erstaunlicherweise ohne lautstarke Proteste und Tumulte lehren konnte. Ausdrücklich lobte er das Interesse der Studenten und pries Luthers(3) Weisheit. Dies ist insofern erstaunlich, als sich Luther(4) über Kopernikus(9) und dessen heliozentrisches Weltbild lustig gemacht hatte. (39)

Über zwei Jahre wirkte Bruno(40) in Wittenberg, wo er gastfreundschaftlich aufgenommen wurde und ihn endlich niemand nach seiner Glaubensüberzeugung fragte. Doch schließlich endete auch diese Phase, und er zog weiter, über Prag(1) nach Zürich(1) und einige Stationen in Deutschland(8), bis er schließlich in Frankfurt(1) am Main ankam, damals schon die Stadt der Buchmesse und des Buchdrucks. Hier gab er den Druck einiger seiner Werke in Auftrag. Im Sommer 1591 lernte er den venezianischen Adligen Giovanni Mocenigo(1) kennen – eine verhängnisvolle Begegnung, wie sich später noch herausstellen sollte. Vermutlich war dieser durch den Buchhändler Giovanni Battista Ciotto(1) auf Brunos bemerkenswerte Schriften, die mittlerweile in Europa(5) bekannt waren, aufmerksam geworden.

Mocenigo(2) lud Bruno(41) in sein Haus nach Venedig(4) ein, um bei ihm Unterricht in Gedächtniskunst zu nehmen. Obwohl Bruno klar gewesen sein muss, dass er sich in Italien(4) womöglich der Verfolgung durch die katholische Kirche aussetzte, sagte er zu. Über die Motive wurde viel gerätselt: Hatte er Heimweh? Oder spekulierte er auf einen Lehrstuhl an der Universität Padua(2)? Bevor er nach Venedig(5) ging, ließ er(42) sich nämlich für drei Monate dort nieder. Die Professur blieb jedoch ein Traum. Die erhielt kurze Zeit darauf Galileo Galilei(2).

Im März 1592 begab Bruno(43) sich nach Venedig(6). Dort nahm er sich zunächst ein Zimmer, doch schließlich folgte er Mocenigos Einladung und zog in dessen Haus. In Venedig war Bruno kein Unbekannter. Seine Bücher lagen in mehreren Buchhandlungen aus, und der Buchhändler Ciotto(2) empfahl Freunden, den originellen Philosophen zu Vorträgen und Diskussionen einzuladen. Alles schien bestens zu laufen, bis zum 23. Mai 1592. Um drei Uhr nachts drang ein Hauptmann mit Gefolge in sein Zimmer ein und nahm Bruno(44) auf Befehl des Heiligen Tribunals gefangen.

Wie Bruno(45) selbst in seiner ersten Vernehmung schilderte, hatte er Mocenigo(3) nach allen Regeln der Kunst unterrichtet und seiner Pflicht Genüge getan. Deswegen wollte er nach Frankfurt(2) abreisen, um dort die Drucklegung seiner Schriften zu beaufsichtigen. Mocenigo(4) aber sah die Sache anders. Er behauptete, Bruno habe ihn nicht alles gelehrt, was er versprochen hatte, und wolle stattdessen andere Kunden aufsuchen. Bruno blieb jedoch bei seinem Entschluss abzureisen. In der folgenden Nacht drang Mocenigo(5), begleitet von mehreren Männern, in Brunos Zimmer ein, ergriff ihn und sperrte ihn in eine Bodenkammer. Am darauffolgenden Tag verschleppte man ihn zunächst in einen Kellerraum des Hauses, bevor ihn(46) ein Hauptmann ins Gefängnis brachte.

Rund ein halbes Jahr hielt man den armen Philosophen(47) in einer Kerkerzelle von »San Domenico di Castello« gefangen. Zu allem Übel musste er den Raum mit mehreren Mitgefangenen teilen, von denen einige an Missgunst kaum zu überbieten waren. Sie denunzierten Bruno(48) später.

Das Tribunal unter dem Vorsitz des Pater Inquisitor Giovanni Gabrielli da Saluzzo(1) unterzog ihn(49) einem eindringlichen Verhör. Die Protokolle zeichnen ein detailliertes Bild dieser Wochen und Monate, in denen sich der »kleine magere Mann mit schwachem dunklem Bart«[17] den Fragen des Tribunals stellen musste.

Zunächst legten die Buchhändler Ciotto(3) und Bertano ein gutes Zeugnis ab und fanden keinerlei Anzeichen dafür, dass Bruno(50) kein guter Christ sei. Mocenigo(6) hingegen legte sich ordentlich ins Zeug, um – wie er sagte – Bruno(51) aus Gewissenszwang und auf Geheiß seines Beichtvaters zu denunzieren. Demnach habe ihm Bruno gesagt, er hielte es für eine Torheit der Katholiken, zu behaupten, das Brot verwandele sich in Fleisch. Außerdem sei er ein Feind der Messe, Christus(3)