Die Verschwörung - Danny Patrick Rose - E-Book

Die Verschwörung E-Book

Danny Patrick Rose

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Beschreibung

Ein geistiger Kleingärtner als US-Präsident, dessen Frau es mit dem Außenminister treibt, der nicht zufällig Collin Powell ähnelt, ein Haufen selbstgerechter Politschranzen, durchgeknallter Geheimdienst- und Medienleute - kurz: ein abgedrehtes Szenario voller spektakulärer Ereignisse und wild wuchernder Spekulationen über die Wahrheit, die hinter den Anschlägen des 11. September 2001 steckt. Das ist der Stoff, aus dem der Roman von Danny Patrick Rose gestrickt ist, der sich wie ein in Prosa umgesetzter Comic liest. Ein ungeheures wie unverschämtes Buch, schrill und schreiend komisch.

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Seitenzahl: 436

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Ebook Edition

Danny Patrick Rose

Die Verschwörung

Der 9/11 Roman

Aus dem Amerikanischen von Sam van Heist

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-946778-22-6

© fifty-fifty Verlag, Frankfurt/Main 2021 ein Imprint der Buchkomplizen GmbH

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Inhalt
Operation TV-Sturm
Wie alles anfing
Unexpected Flying Objects
Top Secret
The French Connection
Der »Grosse Satan«
Die Schöne und das Biest
Strategischer Einfluss
Für eine Handvoll Dollar
Der Planet der Jakobiner
Hollywood Squares
The Lone Gunmen
Eine wunderbare Freundschaft
Brezelgate
Weapons of Mass Distraction
Das Little A’Le’Inn
Mägen, die in der Hölle rösten
Purpur-Alarm
Super Soldiers
Mein Name ist Gilligan. Jason Gilligan
Traumland
Paperclip
Heimatschutz
Der Jäger
Cohibas

Danny Patrick Rose schreibt unter anderem Namen für die US-Fernsehshows Real Time und die Daily Show. Er begann als Stand-up-Comedian in seiner Heimatstadt Salt Lake City, studierte Civic Disobedience am City College in New York und arbeitete dann als Coach für das Baseballteam Boston Red Sox, Pizzalieferant für Tupac Shakur und Faktenchecker beim Council of Foreign Relations. Danach eröffnete er eine Stripbar in New Orleans. Als ihn das FBI als Person of Interest suchte, tauchte er in New Mexico unter, wo er bewusstseinserweiternde Kekse mit Kakteen kreuzte. Nach einem Burnout reiste er nach Indien, die Mongolei und Liechtenstein und verbrachte ein Jahr in London als Liebhaber der Duchess of York. Zurück in den USA, konzipierte er Sitcoms unter dem Pseudonym Tucker Carlson. Heute lebt der Autor des Politfachblatts The Onion und Hobbyveganer im Brooklyner Stadtteil Crown Heights mit seiner drei­beinigen Katze Petunia und zwei Piranhas. Die Verschwörung ist sein erster Roman. Er beruht auf einer wahren Geschichte.

Operation TV-Sturm

Als die Bomben auf Bagdad fielen, explodierte die Frau des Präsidenten. Ihr Gesicht wurde rot. Erst rosarot, dann feuerrot. Sie keuchte. Gleichzeitig sog sie die Luft ein, heftig und stoßweise, wobei sich ihr nackter Körper unter dem schweren Gewicht des Mannes auf ihr wand. Schweiß lief in ihren Haaransatz, ihre Ohrmuscheln und zwischen ihre Brüste. Eine heiße Welle erfasste sie. Noch eine. Und noch eine. Mit halb geschlossenen Augen umklammerte sie erst ihren Liebhaber, dann krallten sich ihre Hände in die rosaseidene Bettdecke. »Ja!«, schrie sie. »Ja! Ja! Jetzt!«

Unterdessen ließ CNN auf dem TV-Bildschirm in grüner Nachtsicht-Optik Unheil herabregnen. Grauer Staub stieg vom Ort der Explosion auf, den die Kamera aus sicherer Entfernung einfing. Mitten in dem steinernen Meer, das Bagdad war, zerbröselte ein Häuserblock. Ganz langsam. Und erstaunlich leise. Aber vielleicht war die Kamera auch bloß zu weit weg. Jetzt brachen die letzten Wände ein. Dann wieder eine Welle blitzender Bomben, die noch mehr Gebäude in Staub verwandelten. Langsam erhob sich ein von Rauch verhüllter Mond über Bagdad, sieben Stunden von Washington, D. C., entfernt, wo noch Nachmittag war. Auf dem Bildschirm rannten winzige Menschen in Deckung, kaum zu erkennen. Sie rannten aus dem Bildausschnitt heraus, den die Kamera in den Blick nahm. Der Angriff auf Bagdad hatte begonnen und der Countdown zum Irakkrieg, den CNN am Bildschirmrand mitlaufen ließ, zählte noch immer munter weiter. Eigentlich waren noch 48 Stunden übrig.

»Nach Informationen unserer Geheimdienste hat sich Saddam Hussein in diesem Gebäude aufgehalten«, sagte eine sonore männliche Stimme aus dem Off, während die Kamera über die vergleichsweise unprätentiöse Staubwolke hinwegschwenkte, die einmal ein präsidialer Palast gewesen sein sollte. »Deshalb wurde die erste Angriffswelle auf Bagdad vorgezogen. In wenigen Stunden werden wir wissen, ob Saddam Hussein tot ist. Dann wäre der Krieg schnell und unblutig zu Ende gegangen.« Die Kamera zoomte nun auf ein paar ­Abrams-III-Panzer der U. S. Army in der Farbe Flaschengrün bis Feldgrau. Am unteren Bildschirm lief der Newsticker Amok: AOL Time Warner plus 17, Cisco minus 11, Disney plus 6, GM plus 5, Philip Morris minus 12, Sun Microsystems minus 4 …

Die Frau des Präsidenten bekam von alledem nichts mit. Sie lag, noch immer keuchend, auf dem Doppelbett im präsidialen Schlafzimmer. Ihre dunklen Locken klebten, von ihrem Schweiß durchtränkt, an den rosaseidenen Kissen. Das Schlafzimmer lag im ersten Stock des Weißen Hauses, weit ab vom West Wing, wo ihr Mann regierte. Oder zumindest so tat, als ob. Ihre Augen waren geschlossen und sie atmete schwer. Sie war schlank für ihr Alter. Kein Gramm Fett zu viel und ein straffer Bauch. Auch ihre Brüste waren noch fest. Trotz der Zwillinge, die sie gestillt hatte. Lange. Zu lange wahrscheinlich. Ihr Gesicht, das sonst so harmonisch, fast bieder war, hatte sich in der Erregung zu einer Maske verzerrt, dämonisch und stark. Die Wellen der lang erwarteten Hitze ergriffen sie, schüttelten sie, lieferten sie aus.

Es war so weit. Seine dunklen Arme umschlangen sie, während sie ihre Beine um seinen Rücken wickelte. Unglaublich lange Beine, mit denen sie vor ihrer Heirat vielen Männern den Kopf verdreht hatte. Sie streichelte seine Hüften, seinen starken Rücken, seine Schultern. Er war bereit, mit ihr zu verschmelzen, und sie war bereit, ihn zu empfangen. Sekunden später waren sie vereint. Der Augenblick, auf den beide monatelang gewartet hatten.

Die CNN-Kamera fing noch immer die Blitze der amerikanischen Bomben ein, die über Bagdad niedergingen. Der Staub über der Stadt hatte die Form einer pilzartigen Wolke angenommen, die den Rest eines von Saddams Präsidentenpalästen umhüllten. Vielleicht war es auch eine Moschee gewesen. Oder das Bagdad Hilton. Das wohl eher nicht. »Wir haben hier den ehemaligen Brigadegeneral Douglas McLeicester bei uns«, sagte der Reporter von CNN, aufgekratzt und glücklich. Dass er bei diesem historischen Moment dabei sein durfte, war überhaupt nur deswegen der Fall, weil Washington den Angriff für CNN um zwei Tage vorgezogen hatte. »General McLeicester wird unseren Zuschauern nun exklusiv erklären, wie wir diesen Überraschungsangriff geplant haben und warum.«

Der General bemühte sich, intelligent und zugleich vertrauenserweckend zu erscheinen. Er trug eine feldgraue Uniform und dazu einen feldgrauen Helm, was ein wenig albern war, denn die Bomben schlugen mindestens eine Meile entfernt ein. Oder? Das Geräusch kam bedrohlich schnell näher. Im Hintergrund stolperte ein Dutzend GIs verwirrt durchs Bild, aber vielleicht hatten die sich nur verirrt. Der aufgekratzte CNN-Reporter trug keinen Helm. Man sollte sein Gesicht zu Hause sehen können, das war das Wichtigste. Deswegen war er hier. Im Hintergrund rumste es wieder. Wahrscheinlich zerbröselten gerade noch ein paar Häuser.

»Ja!«, schrie die Frau des Präsidenten noch einmal, sog laut die Luft ein und wimmerte halblaut: »Nein!« Dann kam sie, fast in der gleichen Sekunde wie ihr Liebhaber. Er stieß noch vier-, fünfmal zu und brach dann keuchend auf ihr zusammen. Erschöpft presste er sein Gesicht an ihre Schulter, wobei seine Hand ihren linken Oberschenkel umklammert hielt. »Warum haben Sie für die erste Angriffswelle denn Cruise-Missiles eingesetzt und keine B-52-Bomber?«, fragte der CNN-Reporter den ehemaligen General. Die Kollegen in Atlanta sollten nicht glauben, dass er keine Ahnung hatte, bloß weil er nicht in der Army gewesen war.

Als der dunkelhäutige Liebhaber »Cruise-Missiles« hörte, erwachte er augenblicklich aus seiner komaähnlichen Erschöpfung. Er richtete sich auf und starrte, den Ellbogen auf die Frau des Präsidenten gestützt, fassungslos auf den Fernsehschirm. »Was zum Teufel tun die da unten in Bagdad?«, fragte er mehr sich selbst als sie. »Und warum hat mein Stab mich darüber nicht informiert? Oder Drillson?«

CNN zeigte wieder eine Totale des zerstörten Präsidentenpalastes. Der Mond stand nun höher am Himmel, er wirkte kleiner und heller. Die Staubwolken hatten begonnen, sich abzusenken. Unter den Trümmern schimmerte etwas Metallenes hervor. Aus der Ferne sah es aus, als könne es ein Stück einer Rakete sein. Oder ein Schrotthaufen, der einmal ein Raketendepot gewesen war. »Und was zum Teufel«, fragte der Liebhaber, der hauptberuflich Außenminister der USA war, »ist das?« Er griff nach der Fernbedienung und stoppte das Bild. Aber es war nicht zu erkennen, was das schimmernde Etwas war.

* * *

Verteidigungsminister Dewey Drillson mochte es nicht, wenn Ereignisse, die er nicht unter Kontrolle hatte, ihn zu einer Reaktion zwangen. Und ganz und gar nicht mochte er es, wenn er im Weißen Haus eine improvisierte Pressekonferenz wegen eines improvisierten Angriffs auf Bagdad geben musste, den er selbst erst zwei Tage später erwartet hatte. Drillson war ein eher robuster Mensch, so wie ein Tyrannosaurus Rex ein eher gefräßiges Tier war oder Madonna eher eitel oder Rush Limbaugh eher ein wenig fett. Drillson war in seinen Siebzigern, mindestens. Sein grauer Anzug, die dunklen Schuhe, das schüttere Haar und eine randlose Brille verliehen ihm das Flair eines pensionierten Generals der Wehrmacht. Er sah so verwittert aus, als habe er bereits ein halbes Dutzend Kriege mitgemacht. Und zwar an der Front. Nicht wie der Präsident, gefrorene Margaritas trinkend auf dem Rücksitz einer Limousine, die Hand einer Dorfschönheit in seiner Hose.

Drillsons liebste Beschäftigung war es, Journalisten abzufrühstücken. Sie anzublaffen. Was war denn das für eine dumme Frage? Sie haben mich doch gehört! Wenn Sie mich nicht verstanden haben, waschen Sie sich gefälligst die Ohren. Sonst noch was? Drillson war bei weitem das älteste Kabinettsmitglied. Dieser Job würde sein letzter sein. Hoffentlich. Dann würde er sich zur Ruhe setzen. In Costa Rica oder so.

Drillson musterte die versammelte Presse. Fast alles bekannte Gesichter. Drei Dutzend der akkreditierten Weiße-Haus-Reporter waren hergeeilt, dazu ein paar der festen Pentagon-Korrespondenten. Und einige ausländische Journalisten. In der ersten Reihe saß ein hochgewachsener, schlanker Mann mit kurzen, zurückweichenden Haaren, die ihm eine hohe Stirn verliehen, und einer runden Nickelbrille, die ziemlich teuer aussah. Jason Gilligan. Ausgerechnet.

Jason Gilligan war der Journalist, den Drillson definitiv am wenigsten mochte. Gilligan arbeitete für eines dieser über-intellektuellen Ostküstenblätter, die Drillson ebenso wenig mochte. Er schrieb über Verteidigungspolitik und Rüstung. Drillson hatte ihn für handzahm gehalten, aber seit Neuestem steckte Gilligan seine Nase entschieden zu tief in Angelegenheiten, die ihn nichts angingen.

In letzter Zeit, das Gefühl hatte Drillson zumindest, war Gilligan hinter etwas her, das ihm noch mehr Ärger machen konnte. Der Journalist bekam offenbar Informationen von einer Quelle, die Drillson zu gerne trockengelegt hätte, wenn er bloß gewusst hätte, um wen es sich handelte. Denn das Wichtigste für den Verteidigungsminister war es, die Kontrolle zu behalten. Hoffentlich würde Gilligan sich heute auf die neuesten Vorkommnisse im Irak konzentrieren. Wobei, so richtig darüber aufklären würde Drillson ihn auch nicht können.

»Zehn Minuten«, sagte Drillson barsch zu den Journalisten. »Nicht mehr.«

»Herr Verteidigungsminister«, fragte der Korrespondent vom Time Magazine. »Warum wurde der Angriff auf Bagdad um 48 Stunden vorgezogen?«

»Um Sie zu überraschen«, sagte Drillson. »Dafür gibt’s dann aber nichts mehr zu Weihnachten. Nächste Frage.«

Die nächste Frage ging an das Wall Street Journal. »Stimmt es, dass der französische Präsident seinen Außenminister nach Washington geschickt hat, um gegen den Angriff auf Bagdad zu protestieren?«

Drillson grinste. »Der französische Außenminister war, soweit ich hörte, zwar in Washington, aber ich glaube, er wollte dagegen protestieren, dass Frankreich keine Gelegenheit bekam, sich rechtzeitig zu ergeben. Der Nächste!«

»Haben wir den Hurensohn Saddam nun erledigt?«, fragte der Korrespondent der Featurenews Universal Corporation, der feixend hinter seiner Kamera stand. Das Motto des Senders FUC lautete: »Links von Nixon beginnt der Kommunismus«.

Drillson grinste einmal mehr. »Hoffentlich«, sagte er. Dann deutete er, während sein Grinsen langsam begann, leicht gezwungen zu wirken, auf den Journalisten in der ersten Reihe. »Ja, Jason?«

»Nach Informationen, die unserer Zeitung vorliegen, wurde ein Paket, dass Überreste der Stahlkonstruktion vom World Trade Center enthielt, zu einer geheimen Militärbasis geschickt, die als Area 51 bekannt ist«, sagte Gilligan. »Das Paket kam aus London, wurde aber offenbar ursprünglich aus dem Irak verschickt. Können Sie das bestätigen und haben Sie irgendeine Erklärung dafür?« Gilligan blickte Drillson dabei so emotionslos an wie ein Pokerspieler mit zwei Assen auf der Hand.

Das kam aus heiterem Himmel. Drillson verzog das Gesicht, als habe er plötzlich Zahnweh. Von diesem Wichtigtuer in Kammseide ließ er sich nicht beeindrucken. »Alle Informationen über die so genannte Area 51 sind streng geheim«, sagte er. »Aber gleichwohl kann ich Ihnen versichern, dass es eine solche Paketsendung niemals gegeben hat.«

Kaum hatte der letzte Journalist den Presseraum des Weißen Hauses verlassen, drehte Drillson sich zu einem Assistenten um. »Was war denn das?«, fauchte er. »Wer zum Teufel hat diesen verfickten Angriff auf Bagdad befohlen? Zwei ganze Tage zu früh? Und was haben wir da überhaupt bombardiert? Das soll ein Präsidentenpalast gewesen sein? Das sah aus wie die Downtown von Cleveland nach dreißig Jahren demokratischer Regierung. Wo ist dieser CIA-Alkoholiker? Und rufen Sie Joe Brisbane von FUC an – ich will wissen, wieso seine Teams im Irak ihre TV-Kameras schon so frühzeitig in Stellung gebracht hatten. Und wo ist dieser verfickte Neger, wenn man ihn ausnahmsweise mal braucht?«

Wie bestellt erschien Tom Powder an der Tür. Der Außenminister. Er sah deutlich weniger würdevoll aus als sonst, da er im Eilschritt herbeigeeilt war. Seine Haare waren ein wenig feucht und außerdem hatte er einen Kratzer an seiner dunklen Stirn, der aber zum Glück kaum wahrnehmbar war. Etwas auffälliger war hingegen die rosa getönte Daunenfeder, die in seinem Reißverschluss klemmte. Doch Drillson ignorierte sie. Zumindest tat er so, denn im Moment gab es Wichtigeres zu bereden.

Powder, dem nicht klar war, wie derangiert er aussah, ging sofort auf Drillson los. »Haben Sie etwa den Befehl dazu gegeben, 48 Stunden zu früh Bomben auf Bagdad zu werfen? Hinter meinem Rücken? Und ohne mich zu informieren?«

Drillson überlegte eine Viertelsekunde lang, einfach »Ja« zu sagen, bloß, um sein Gegenüber zu ärgern, entschloss sich dann aber doch, bei der Wahrheit zu bleiben. »Nein, und ich habe auch keine Ahnung, wer das war. Aber wenn ich das herausfinde, lasse ich den Kerl eigenhändig nach Anchorage deportieren.«

»Vielleicht«, erwog Powder, »war es der Präsident, der entschieden hat …«

»Aber sicher«, sagte Drillson und schenkte Powder einen Blick, der scharf genug war, um einen Velociraptor zittern zu lassen. »Oder der unglaubliche Hulk.«

Powder blieb unbeeindruckt. »Vielleicht war es Mister Burton?« Der Vizepräsident. Eine nicht unplausible Theorie, dachte Drillson. Harold H. Burton wusste noch nicht einmal, wie »Skrupel« oder »Loyalität« buchstabiert wurden. Aber würde Burton es wagen, hinter seinem, Drillsons, Rücken die Army zu mobilisieren?

»Noch etwas«, sagte Powder. »Ich habe vorhin diesen Reporter, Gilligan, im Fernsehen gesehen, der diese Frage über die Area 51 gestellt hat und …«

»Völliger Unsinn«, unterbrach ihn Drillson. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, worüber der überhaupt geredet hat.« Er schüttelte den Kopf. »Wir müssen eine Presseerklärung herausgeben. Das Übliche. Es erfolgte ein lang geplanter Erstschlag gegen Saddam Hussein, der aus taktischen Gründen um zwei Tage vorgezogen wurde. Basierend auf Geheimdienstinformationen, deshalb höchste Geheimhaltungsstufe und so weiter und so fort.« Er holte Luft. »Und wo steckt Lucius Prince? Der soll hierherkommen. Und zwar sofort!« Wo war sein wichtigster Berater, wenn er ihn brauchte? Jetzt, wo er genauer darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass sich Prince in den letzten Monaten nur noch sporadisch in Washington hatte blicken lassen.

Er griff nach seinem Handy, drückte auf die Kurzwahl und lauschte ein paar Sekunden. Nur Princes Mailbox war dran. »Melden Sie sich gefälligst!«, knurrte Drillson in den Apparat. »Und zwar zack, zack!«

Dann verengte der Pentagon-Chef seine Augen zu schmalen Schlitzen und drehte sich wieder zu Powder um. »Und wir müssen den Präsidenten finden. Der ist bestimmt noch irgendwo im Park des Weißen Hauses beim Joggen.« Er dachte kurz nach. »Am besten, ich rede ihm ein, es sei seine Idee gewesen, Bagdad vorzeitig anzugreifen. Dann ist er glücklich und wir haben unsere Ruhe vor der Presse.«

* * *

Linda streckte sich genüsslich in der riesigen Badewanne mit den goldenen Löwenfüßchen aus. Wunderbar warmes Wasser, auf dem Rosenblüten schwammen, umhüllte sie. Und dicker weißer Schaum, der nach Jasmin duftete. Auf dem Wasser tanzte Sonnenlicht. Draußen, im Garten des Weißen Hauses, schnitt ein Gärtner den perfekt getrimmten Rasen nach. Die Frau des Präsidenten war erschöpft, aber glücklich.

Sie spürte Toms Atem und seine Haut noch auf jedem einzelnen Teil ihres Körpers. Endlich war es passiert. Nach so langer Zeit, in der sie es kaum mehr zu hoffen gewagt hatte. Sie schloss die Augen und tauchte unter den schaumbedeckten Wasserspiegel. Schade, dass er so schnell hatte gehen müssen, bloß wegen dieser blöden Nachrichten im Fernsehen. Aber er würde ganz sicher wiederkommen. Sie vermisste ihn schon jetzt. Er war so klug und so stark, aber seit sich dieser Krieg abzeichnete, wirkte er fortwährend angespannt. Und immer besorgt. Er traute Drillson nicht; und sie wusste, dass Drillson ihn tatsächlich nicht mochte und dass ihn das beunruhigte. Aber andererseits mochte Drillson niemanden. Nicht einmal den Präsidenten. Aber wer mochte den schon? Nicht einmal sie.

Es wurde Zeit, aus der Badewanne zu steigen und sich anzukleiden. Gleich würde ihr Mann vom Joggen kommen und garantiert maulen. Seit er den Sport und den christlichen Fundamentalismus für sich entdeckt hatte, empfand er es als dekadent, im warmen Wasser zwischen Rosenblüten und Jasminschaum zu liegen. Sie seufzte. Ihr Gesicht hatte jetzt wieder den sanften, harmonischen Ausdruck erlangt, für den die Amerikaner sie so sehr liebten. Abgesehen davon, dass sie der einzige normale Mensch im Weißen Haus zu sein schien. Die liebevolle Ehefrau und gute Mutter oder so ähnlich. Wenn die Zwillinge über die Stränge schlugen, war es jedenfalls nicht ihre Schuld, sondern lag wohl an den Genen ihres Mannes. Und denen ihrer Schwiegermutter. Sie schüttelte sich. Sie, Linda, war die patente, immer freundliche First Lady, die mit der Gattin von Putin oder diesem Schlitzauge Tee trank. Wie hieß der noch gleich? Egal. Tee mit Wodka, aber das wusste Amerika nicht. Ohne Wodka hätte sie es nicht ertragen. Und die Putina schon gar nicht.

Sie seufzte noch einmal und griff nach dem flauschigen, rosafarbenen Badetuch, das zum Farbschema des ganzen Schlafzimmertraktes passte. Der Spiegel, vom Wasserdampf beschlagen, zeigte die weichgezeichneten Konturen einer dunkelhaarigen, geheimnisvollen Nymphe. Wunderschön.

»Badest du etwa schon wieder?«, fragte eine quengelige, gequetschte Stimme von der Tür her. Der Präsident. Er nahm seit ein paar Monaten Stimmbildungsunterricht, vergaß aber immer gleich wieder, was er gelernt hatte. Noch während er die Worte in diesem nachgemachten Südstaaten-Singsang, den sie zutiefst verachtete, von seiner Zunge rollen ließ, verlor er das Interesse an ihrer Antwort.

Wie immer trug er seine Jogginghose, dazu ein T-Shirt und eine Windjacke. Er schwitzte, aber nur ganz leicht. Er musste fünf Meilen gelaufen sein. Er lief immer fünf Meilen, im Park des Weißen Hauses, möglichst fernab von den Journalisten. Drahtig sah er aus, obwohl er schon die Fünfzig hinter sich gelassen hatte. Aber das war nur an den grauen Schläfen zu erkennen. Der glasige Blick ließ ihn wie sechzehn wirken.

Der Präsident warf die Windjacke auf den Boden, griff nach der Fernbedienung und knipste den Fernseher an. ESPN. Sein Lieblingssender. Die New York Yankees spielten gegen die Texas Rangers. Mit einem Auge auf dem Bildschirm drehte er sich zum Kühlschrank um, holte eine Dose seines Fitnessdrinks heraus, riss den Deckel auf und ließ den rosa Saft hinuntergluckern. Der Fitnessdrink schmeckte nach Gummibärchen, Bittermandel, Vanille und Brausepulver. Linda hatte ihn einmal probiert, aber er war ihr zuwider. Die Mischung war so geheim, dass nur der Präsident sie kannte. Das hoffte sie zumindest.

Die Dose in der Hand, stieg der Präsident auf seinen Heimtrainer. Den Fernseher fest im Blick, schaltete er das Laufband ein und fing an, zu traben. Kein Aufwärmen, gleich Stufe sechs. Die elektronische Anzeige lieferte ihm Puls, Blutdruck, Temperatur, Hautwiderstand, Kalorienverbrauch und Cholesterinspiegel. Gute Werte. Mit einem Zug trank er die Dose leer, ließ sie auf den Boden fallen und fing trabend an, durch seine Lieblingskanäle zu zappen. ESPN II, Food Channel, Cartoon Network. Eher zufällig erwischte er CNN, wo zum hundertsten Mal der Bombenhagel auf Bagdad zu sehen war. Gebäude, die zu Staub zerfielen. Die pilzförmige Wolke über der Stadt. Der übereifrige CNN-Reporter. Der General in Rente, der seine Ahnungslosigkeit gut zu überspielen wusste.

Während er die Fernsehbilder sah, grinste der Präsident selbstzufrieden. Dann sprang er vom Laufband, riss erneut den Kühlschrank auf, schnappte sich eine neue Dose und trank sie wieder in einem Zug leer. »Das Reich des Bösen ist, äh … ist böse«, sagte er und Linda wusste nicht, ob er mit ihr oder mit dem Fernseher redete. »Aber wir treten ihm in den Hintern. Lass uns beten.« Sogleich ließ er sich neben dem Bett auf die Knie fallen, die Ellbogen auf die rosaseidene Bettdecke gestützt, die Hände gefaltet. »Komm, komm, komm!«, sagte er ungeduldig. CNN zeigte derweil Werbung. Der neue Subaru SUV. Mehr PS als ein irakischer Panzer.

So überdreht hatte Linda den Präsidenten noch nie erlebt. Wohl oder übel musste sie neben ihm knien. Leise sog sie die Luft ein, als ein plötzlicher Schmerz an den Innenseiten ihrer Oberschenkel hochzog. Bloß nichts anmerken lassen.

»Herr, steh’ uns bei in dieser glorreichen Stunde, in der wir in unserem Glauben, was ich glaube, ich glaube – äh – unsere großartige Nation zum Sieg über die Schurkenstaaten von … die Schurkerei führen«, fing der Präsident mit gen Himmel gerichteten Augen an. Hoffentlich riecht er nichts, dachte Linda. Sie hätte die Laken wechseln sollen. Andererseits war das die Aufgabe des Personals. Wenn er bemerkt hätte, dass sie das selbst getan hätte, wäre er erst recht misstrauisch geworden.

»Herr, vernichte unsere Bösen, ich meine das Böse, und sende es in die Erde … äh, den Staub«, fuhr der Präsident fort. Beim Beten vergaß er wenigstens für kurze Zeit diesen albernen Südstaaten-Akzent, mit dem er glaubte, bei Wählern südlich der Mason-Dixon-Linie Eindruck schinden zu können. »Heiliger Allmächtiger, vernichte die Ungläubigen, erhebe uns in Demut über sie und sei unserer Seele gnädig.«

Nach zwei Minuten des Betens, während der er regelmäßig den Bauch einzog, um seine Muskeln zu trainieren, sprang der Präsident auf. »Ich komme gerade von einem Gespräch mit Drillson«, berichtete er. »Ich habe heute selbst den persönlichen Befehl gegeben, gegen die Irakianer loszuschlagen. Sie haben mich als Führer verunterschätzt, aber bald werden wir das Reich … die Erde vom Reich des Bösen gesäubert haben.«

Offenbar hatte er nichts gemerkt. Vielleicht benebelte der Fitnessdrink seine Sinne, hoffte Linda. Der Präsident schüttelte sich wie ein junger Hund, griff wieder nach der Fernbedienung und schaltete zurück zu ESPN. Nun lief Football. Er ließ sich aufs Bett fallen und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. »Übrigens«, sagte er, »hat mir Drillson erzählt, dass wir als Nächstes Israel angreifen.« Pause. »Oder war es Indien? Italien? Jedenfalls irgendwas mit I.« Damit drehte er sich um und schlief auf der Stelle ein.

Linda beugte sich über ihn. Er rührte sich nicht. Er lag vollkommen reglos da. Ganz so, als sei er sofort in Tiefschlaf gefallen. Sie zögerte kurz, dann richtete sie sich auf und ging.

Wie alles anfing

Das musste er Lucius Prince lassen, dachte Jason Gilligan, als er sich im Clubraum der Defiant Foundation umsah: Was Prince aus der Büroetage an der K Street gemacht hatte, war beeindruckend. Wobei Gilligan natürlich nicht mit der Defiant Foundation sympathisierte. Oder gar mit Prince, den seine Feinde – wie auch seine Freunde – »Fürst der Finsternis« nannten. Prince war Berater beim Pentagon und Vorsitzender der Defiant Foundation, dem wichtigsten Think Tank in Washington, D. C. Gilligan war Journalist. Ein Washingtoner Korrespondent mit kühlem Kopf und langer Erfahrung, der noch im Begriff war, sich auf die neue, konservative Regierung einzustellen, die nun seit einem Dreivierteljahr im Amt war.

Die Holzvertäfelung im Clubraum glänzte frisch geölt. Die Bar, an der Gilligan soeben seinen ersten Whiskey bestellt hatte, war gut bestückt. Zwölf Sorten Scotch, acht Sorten Malt, fünf verschiedene Gins. Von der Bar aus überblickte Gilligan die Sitzecke mit den grauen Ledersesseln, der kleinen Bibliothek und dem Ölgemälde von Ronald Reagan, bei dessen Anblick Gilligan sofort das Gesicht verzog. Sogar den Kamin hatte Prince restaurieren lassen. Der Atmosphäre wegen. Allerdings war es noch viel zu früh, um zu heizen, denn in Washington war es um diese Jahreszeit noch recht warm. Heute war der 10. September 2001. Ein eher ereignisloser Tag.

Der hochgewachsene, überaus schlanke Jason Gilligan war schon seit mehr als zwanzig Jahren Journalist. Er lebte in Georgetown, einer Art West Village von Washington, D. C. Er hatte an der Columbia School of Journalism in New York studiert, der wohl besten Fakultät der Welt für Journalisten. Und der wohl teuersten.

Gilligan war von Connecticut nach New York gezogen, als die Watergate-Affäre aufflog und die Studenten auf dem Campus für das Ende des Vietnamkrieges protestierten. Bald trug Gilligan – zum Entsetzen seiner Mutter, die Mitglied der altehrwürdigen Daughters of the American Revolutionwar – lange Haare, einen Vollbart und löchrige Jeans, die um seine langen, dünnen Beine schlackerten.

Anfangs verbrachte er seine Abende bei Sit-ins aus Solidarität für die Black Panthers und aus Protest gegen den Einmarsch in Kambodscha. Er las Hegels Philosophie des dialektischen Materialismus und Marx’ Lehre von der Umverteilung der Produktionsmittel und studierte die Schriften von Marshall McLuhan, Mao Zedong und Jean Paul Sartre. Bis zu dem Tag, als er bei einer Demonstration gegen den militärisch-industriellen Komplex am Washington Square von einem Polizeiknüppel am Kopf getroffen wurde und die nächsten Wochen im St. Luke’s-Roosevelt Hospital in Hell’s Kitchen verbringen musste.

Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ließ er sich zuerst die Haare schneiden. Dann beschloss er, das nächste Semester ein wenig praxisnäher anzugehen. Er las die Klassiker des Journalismus: Edward R. Murrow, Gay Talese, Hunter S. Thompson. Er ließ sich den Bart stutzen und lernte Elisabeth kennen. Er schrieb in der Columbia Journalism Review Kommentare gegen die US-Interventionspolitik in Nicaragua, sprach sich für den untergetauchten Anarchisten Abbie Hoffman aus und sammelte auf dem Campus Unterschriften gegen Ronald Reagans Kandidatur als Präsident. Als Reagan dann doch Präsident geworden war, wetterte er bei seinen Freunden in der Kneipe gegen dessen Rüstungsprogramme. Dann bekam er eine Stelle als Reporter.

Er rasierte sich den Bart komplett ab und heiratete Elisabeth. Er schrieb Lokalreportagen über die Einsätze der Drogenfahndung am Times Square und die Mafia am Fulton Fish Market. Er überlebte den tyrannischen alten Chefredakteur, der keine Ivy-League-Söhnchen mochte, die sich als Revoluzzer gerierten, wurde politischer Redakteur und machte sich einen Namen als Experte für Landesverteidigung. Er verlor so viele Haare, dass seine Stirn höher wirkte als die eines Klingonen, tauschte sein billiges rundes Nickelgestell gegen ein ähnliches Modell, das mehr gekostet hatte als Ronald Reagans Toupet, ließ sich als Demokrat registrieren und kaufte eine Wohnung an New Yorks Upper West Side. Als Elisabeth sich beklagte, dass seine Karriere stagnierte, bat er darum, nach Washington versetzt zu werden. Das war nun fünf Jahre her. Nur Jeans trug er auch heute noch ab und zu. Diesel Jeans.

Als der Hausherr den Clubraum betrat, schreckte Gilligan aus seinen Gedanken auf. Lucius Prince war seit Jahrzehnten eine legendäre Figur der Washingtoner Gesellschaft. Es war schwer, ihm anzusehen, woher seine Vorfahren stammten. Irgendwoher zwischen Warschau und Wladiwostok, dachte Gilligan. Blasse, vernarbte Haut, dicke Wangen, enorme Tränensäcke, stahlgraue Augen, buschige Brauen, graue Haare. Sein Leib, in einen silbergrauen italienischen Anzug gehüllt, war deformiert von zu vielen Businesslunches, Galadinners und Weinproben. Hinzu kam eine sanfte Stimme, die so gar nicht zu seiner massigen Erscheinung passte. Gilligan wusste, dass Prince auch erstaunlich weiche Hände hatte. Hände, die geübt waren im Umgang mit Hummerzangen, Trüffelhobeln, Knoblauchpressen, Nudelwalzen, Crêpe-Eisen, Pfeffermühlen und Korkenziehern. Um seinen Mund spielte ein Zug von Genuss und ganz leiser Grausamkeit. Er weckte das Bild einer fetten Hyäne, die drauf und dran ist, das Gehirn einer Gazelle zu schlürfen. Und Kochen war nur sein Hobby.

Im Schlepptau von Prince betraten drei weitere Journalisten den Raum: Ein Korrespondent des Wall Street Journal, dem Gilligan kurz zunickte, einer vom Time Magazine und ein Fernsehreporter der Featurenews Universal Corporation, kurz FUC. Gilligan verzog das Gesicht. Seit wann wurden die zu Hintergrundgesprächen eingeladen?

Prince gab einem Pagen ein Zeichen, der daraufhin die erste Servierplatte brachte. Gegrillte Shrimps mit Knoblauchdip. Fast zeitgleich betrat der Stargast den Clubraum: Dewey M. Drillson, der Verteidigungsminister. Drillson war ein alter Haudegen, der schon unter dem Vater des Präsidenten gedient hatte. Gilligan war kein Fan der neuen Regierung. Aber Drillson, so hoffte er, redete wenigstens Klartext. Bei ihm wusste man, woran man war. Prince stand auf und rückte einen der grauen Ledersessel für Drillson zurecht. Der setzte sich, blickte kurz in der Runde und winkte dem Pagen. »Einen Whiskey«, sagte er knapp.

Der Page brachte den Whiskey und dazu noch zwei Flaschen französischen Rotweins. Grand Cru 1998, einen der besten Jahrgänge. Und noch eine weitere Platte. Lachsröllchen mit Meerrettichsahne. »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, meine Herren«, eröffnete Drillson das Gespräch. »Wir leben in gefährlichen Zeiten und die Presse muss sich dessen mehr bewusst sein als bisher. Viel mehr.«

Prince nickte bekräftigend. »Absolut«, sagte er.

Gilligan warf Prince einen flüchtigen Blick zu. Schleimte der sich etwa bei Drillson ein? »Könnten Sie das ein wenig präzisieren?«, fragte Gilligan und zog dabei die Augenbrauen hoch, was ihn noch hochmütiger aussehen ließ. »Der Kalte Krieg ist doch vorbei, oder etwa nicht?«

»Es gibt immer irgendwo Gefahren«, sagte Prince düster. »Wir dürfen die Bedrohung aus dem Fernen Osten nicht unterschätzen. Oder dem Mittleren Osten. Oder dem Nahen Osten.«

»Der Nahe Osten?«, fragte der Korrespondent des Wall Street Journal stirnrunzelnd.

Drillson beugte sich nach vorne. »Die größte Gefahr kommt aus dem Mittleren Osten«, sagte er und blickte finster in die Runde. Vielleicht war es aber auch nur sein normaler Gesichtsausdruck, dachte Gilligan. »Unseren Geheimdiensten zufolge planen islamische Extremisten Anschläge in den USA. Es gibt hunderte potenzielle Ziele, aber am wahrscheinlichsten ist das Cinderella-Schloss in Disneyland.«

Der Time-Korrespondent guckte erschrocken. »Das Cinderella-Schloss?«, fragte er.

Gilligan hielt das für eher unwahrscheinlich, aber wenn sein Kollege es glaubte, dann von ihm aus. Das Time Magazine war sowieso ein Blatt für Leser, deren Aufmerksamkeitsspanne der Dauer einer Waschmittelwerbung entsprach. »Gehört Disneyland nicht inzwischen den Arabern?«, warf der Reporter vom Wall StreetJournal ein.

»Noch nicht«, sagte Prince. »Das ist übrigens ein weiteres Problem. Der Ausverkauf unserer nationalen Kulturgüter an das Ausland.«

»Aber ihr Jungs seid doch auf alles vorbereitet.« Der Reporter von Featurenews lächelte breit. Er begegnete Prince und Drillson in einer penetrant kumpelhaften Art, die Gilligan auf Anhieb unsympathisch war. »Ihr habt das doch im Griff, oder?«, fügte der Reporter hinzu. »Nicht so wie dieses Weichei Clinton.«

»Aber sicher haben wir das im Griff«, betonte Prince, der sich bei »Clinton« und »Weichei« nur mit Mühe das Grinsen verkneifen konnte. »Aber wir könnten noch besser vorbereitet sein. Wesentlich besser. Wenn man uns Militärexperten freie Hand lassen würde, gäbe es keine Gefahren mehr für unser Land. Leider genießen wir in Teilen der Bevölkerung einen schlechten Ruf«, erklärte er und warf Gilligan einen strafenden Blick zu, »den wir vor allem der liberalen Presse zu verdanken haben.« Gilligan zuckte merklich zusammen, tat aber so, als habe es keiner bemerkt.

»Dabei wollen wir doch nur dafür sorgen, dass Amerika gegen seine Feinde gerüstet ist. Und davon gibt es leider viel zu viele«, erklärte Prince und beendete seine kleine Rede.

»Korea zum Beispiel«, warf Drillson ein. »Ich meine, äh, Nordkorea. Oder Japan. Ich habe den Japanern noch nie getraut. Nicht seit Pearl Harbor.«

»Sind die Japaner nicht unsere Alliierten?«, fragte der Reporter vom Time Magazine ein wenig irritiert.

»Was verstehen Sie denn eigentlich unter freier Hand?«, hakte Gilligan nach.

»Die Waffentechnologie ist heutzutage so hoch entwickelt, dass wir uns gegen alles und jeden schützen könnten«, erklärte Drillson. »Wir könnten einen digitalen Abwehrschirm gegen ABC-Waffen aus dem Weltraum installieren, angeschlossen an eine lasergesteuerte Satelliten-Phalanx. Oder Photonen-Torpedos. Oder diese neuartigen Chamäleon-Panzer einsetzen, deren Lackierung sich an die Farbe der Oberfläche anpasst. Oder die nächste Generation von plutoniumgetriebenen, hypersonaren Superdrohnen, die die Fernsteuerungstechnolo­gie der Predator IV mit der Tarnfähigkeit des Golfbombers verbinden und auf einem Radarschirm jedes fliegende Objekt simulieren können. Technisch ist das alles längst möglich, aber unser Kongress begreift einfach nicht die Zeichen der Zeit und gibt kein grünes Licht für die Finanzierung.« Er hob kurz die Hand und Prince schenkte ihm Whiskey nach.

»Natürlich ist das nicht billig«, ergänzte Prince. »Wir reden hier von ein paar Milliarden Dollar. Aber langfristig zahlen sich solche Investitionen immer aus.«

Gilligan lächelte höflich. Nicht ganz billig. Ja, darauf würde er wetten.

Prince lächelte zurück. »Darf ich Ihnen noch ein Glas Rotwein nachschenken?«

Die Journalisten hatten gerade erst den Clubraum der Defiant Foundation verlassen, da bestellten die beiden Politiker noch eine weitere Flasche Grand Cru. Endlich konnten sie sich entspannen, hoffte Prince. Doch Drillson sah immer noch grimmig drein. Vermutlich zählte er im Geist die Mittelstreckenraketen der Mongolen, dachte Prince. »Ist für den morgigen Flug des Präsidenten nach Florida alles geregelt?«, fragte Drillson.

»Das ist nichts Wichtiges. Nur ein Termin in einer Grundschule.«

»Aber natürlich ist alles geregelt«, beruhigte ihn Prince. Er war überrascht, dass sich Drillson um solch eine Kleinigkeit sorgte. »Wo wir gerade von Florida reden, ich habe dafür gesorgt, dass mit den Kubanern alles geklärt ist. Alle Rechnungen wurden bezahlt.«

»Gut«, antwortete Drillson. »Wir müssen uns die Kubaner warmhalten. Das sind unsere Alliierten, und zwar langfristig. Seit 1963, Sie wissen schon – Dallas.« Er grinste.

Prince nickte und sah auf seine Uhr. Sieben Uhr abends. »Ich gehe mal besser«, sagte er. »Ich muss mich auf den Empfang morgen früh vorbereiten.«

»Welchen Empfang?« Drillson zog fragend die Brauen hoch.

»Das habe ich doch schon erzählt. Den Empfang im Salon Napoleon«, sagte Prince und versuchte seine Antwort nebensächlich klingen zu lassen. »Es geht um die Ölindustrie, den Mittleren Osten und so weiter. Geschäftlich.«

* * *

Scherenschnittartige Lichtfiguren wirbelten im Kreis um ihn herum. In einem Kreis, der sich viel zu schnell drehte. Der Präsident hätte das Phänomen als eine überdimensionierte Laterna Magica beschrieben, in deren Zentrum er sich befand, hätte er gewusst, was eine Laterna Magica war. Mit geschlossenen Augen auf dem Bett liegend, holte er Luft. Sein Rücken schmerzte. Viele winzig kleine Stiche, die von innen zu kommen schienen.

Er hielt die Luft lieber wieder an und atmete dann ganz langsam aus. Jetzt schmerzten seine Rippen. Als Nächstes fing sein Magen an, sich wie ein schwerfälliges, blindes Tier zu bewegen. Es war ein unangenehmes Gefühl. In einem Versuch, sich aus dem präsidialen Körper zu befreien, setzte sich sein Magen in Bewegung und presste sich von innen vergeblich gegen seine Bauchdecke.

Stöhnend öffnete der Präsident die Augen. Die Laterna Magica drehte sich noch immer, aber wurde schon langsamer. Er war in seinem Schlafzimmer. Der Präsident schloss erneut die Augen. Sein Magen machte den zweiten Ausbruchsversuch. Er blähte sich auf, schaffte es wieder nicht, durch die Bauchdecke zu brechen, und krampfte sich stattdessen trotzig zusammen, wie ein Gefangener, der passiven Widerstand leistet.

Der Magen gab vorerst auf.

Die Stimme. Die Stimme war irgendwo da draußen und wollte zu ihm herein. Der Präsident, schwach und angeschlagen, mobilisierte alle verbliebenen Kräfte. Nicht wieder diese Stimme. Sie brachte nur Unglück, so viel wusste er. Er halluzinierte eine dicke rosa Steppdecke herbei, die sich um ihn herumlegte. Leider auch um die Laterna Magica, deren Lichter einfach nicht weggehen wollten. Dann brach die Stimme durch die Decke.

»Du musst aufstehen«, sagte die Stimme. Eine weibliche Stimme. Sie klang ärgerlich. »Es ist schon Mittag! Höchste Zeit! Du musst heute noch nach Florida fliegen. Du hast ein Dinner mit deinem Bruder und morgen ist der Termin in dieser Schule. Orinoko Oil hat schon zum zweiten Mal hier angerufen, um zu fragen, wann endlich die Air Force One mit dir abheben wird. Wo warst du bloß gestern Abend wieder?«

Linda. Seine Frau. Der Präsident seufzte und öffnete nun endgültig die Augen. »Irgendwie geht es mir nicht gut«, wimmerte er. »Vielleicht war das Steak, das ich gestern Abend gegessen habe, nicht in Ordnung. Oder die Sauce.«

»Oder eins von den zehn Bieren«, sagte Linda giftig. Sie war bestimmt schon seit Stunden auf. Er hatte gehört, wie sie im Vorraum Sachen vom Fußboden aufklaubte. Deutlich lauter, als nötig gewesen wäre. Sie sollte sich mal nicht so haben. Wer war sie, Mamie Eisenhower? Sie sollte froh sein, die First Lady spielen zu dürfen.

Seine gebügelten Jeans über dem Arm und ein Paar Cowboystiefel in der linken Hand, kam sie wieder herein. Die dunklen Haare hatte sie achtlos zurückgesteckt. Sie ließ sich gehen, dachte er. Auch das noch.

»Deine Sachen sind gepackt. Auch das Buch. Die Air Force One steht bereits seit einer halben Stunde auf dem Rollfeld«, ermahnte sie ihn. »Gleich kommt der Secret Service, um dich abzuholen.«

»Ja, ja«, nölte er. Auf die Ellbogen gestützt und ganz langsam, um seinen rebellierenden Magen nicht zu ärgern, richtete er sich auf und griff zur Fernbedienung, um den Fernseher einzuschalten. ESPN. Die Vorbereitung zum Viertelfinale des Super Bowl. Noch immer halb benommen, saß er ein paar Minuten auf dem Bett und sah mit einem Auge zu. Endlich beruhigte sich das Zimmer und hörte auf, sich zu drehen. Sein Magen rollte sich endgültig zu einem beleidigten Ball zusammen und schwieg. Der Präsident stand auf.

»Wieso muss ich überhaupt zu diesem blöden Termin?«, fragte er. »Kindern in der Grundschule vorlesen? Früher hat so was die First Lady gemacht. Und dafür nach Florida fliegen? Gibt es denn keine Kinder in Washington?«

»Der Termin ist seit Wochen geplant«, gab Linda ihm zu verstehen. »Und in Florida wohnen eine Menge Wähler, die alle noch davon überzeugt werden müssen, dass du der Präsident bist. Erinnerst du dich? Versuch lieber, dich nicht allzu sehr zu blamieren. Du wirst im Fernsehen sein. Stottere nicht, verlies dich nicht und nimm ein Deo mit.«

»Ich schaffe es ja sonst auch, von Kärtchen abzulesen«, maulte er und zupfte sich vor dem Spiegel das Hemd zurecht. Er sah gar nicht so schlecht aus. Was Linda bloß immer zu meckern hatte? Na gut, ein bisschen Bauchspeck könnte er loswerden. Und vielleicht die grauen Haare färben. Andererseits gaben sie ihm etwas Staatsmännisches. Langsam ging es ihm besser. Aus welchem Buch sollte er eigentlich vorlesen?

Das Telefon klingelte, aber noch bevor er darüber nachdenken konnte, ob er abheben wollte, hatte Linda schon nach dem Hörer gegriffen. »Ja, ja, er kommt gleich«, sagte sie, ohne abzuwarten, wer am Apparat war. Plötzlich wurde sie laut. »Was! Wie bitte?!«

Ein paar Minuten herrschte Schweigen. »Sie haben WAS?!«, rief sie.

»Was meinen Sie mit ›Sie wissen schon‹?« Linda zischte, als würde eine Kreissäge bei vollem Betrieb in heißes Wasser getaucht.

Plötzlich lief sie rot an. »Alle beide?«, fragte sie. »Wo denn?« Mit einem Mal entwich ihr die Farbe und sie sank langsam wie eine Mario­nette, deren Fäden nachgaben, auf die Couch. Ihre linke Hand hielt noch immer das Telefon umklammert, während sich die Finger der rechten Hand ins Sofakissen krallten.

»Gibt es Zeugen?«, wollte sie wissen. »Ich meine außer … äh … außer den Betroffenen? Presse? Fotografen? Waren noch andere Leute in der Bar?«

Während sie weiter zuhörte, kehrte die Farbe langsam wieder in ihr Gesicht zurück. »Sind Sie ganz sicher?«, fragte sie.

Ohne sich zu verabschieden, legte sie auf. Noch immer sprachlos, starrte sie ihren Mann an und gab sich schließlich einen Ruck. »Betty und Wilma«, sagte sie, »… die Zwillinge … sie haben …« Sie stockte.

Er blickte auf. Hoffentlich hatten sie nichts angestellt, was auf ihn zurückfallen könnte. Die Presse meinte es derzeit nicht gut mit ihm.

»Die Zwillinge …«, fuhr sie fort, fest entschlossen, es hinter sich zu bringen, »die Zwillinge haben einen Wettbewerb mit ihren Leibwächtern veranstaltet. Wer es zuerst schafft, einem der Männer …« Sie hielt erneut inne.

»Einem der Männer was?«, fragte er. Langsam wurde er unruhig. Sein Magen begann schon wieder, sich zu rühren.

»Sie haben gewettet, welche von ihnen es als Erste schafft, einem der Leibwächter einen zu blasen. Der Einsatz war eine Flasche Tequila.«

»Tequila!«, blaffte er. »Wie oft habe ich den beiden schon gesagt, dass sie keinen Alkohol … Was?! Ihren Leibwächtern …!« Erst jetzt begriff er, was seine Frau gerade gesagt hatte.

»Genau«, sagte sie, erschöpft. »Zum Glück war niemand von der Presse da. Das hoffe ich zumindest. Es war gestern früh um vier, in einer Bar in Austin. Geschlossene Gesellschaft. Wenn allerdings einer der Leibwächter redet …«

»Solche Leute reden grundsätzlich nicht, die sind auf Diskretion getrimmt«, sagte er ein bisschen zu schnell.

Er beschloss, sich jetzt doch schnell aus dem Staub zu machen. »Kümmere du dich darum«, trug er ihr auf und griff nach seinem Jackett. »Ich muss los! Die Air Force One wartet. Und kein Wort zu niemandem. Ich rede mal mit Orinoko. Wofür habe ich eine Beraterin? Vielleicht fällt der etwas ein.«

Leicht schwankend verließ er das Weiße Haus. Tequila. Wer wohl gewonnen hatte? Er grinste. Doch schnell wurde er wieder ernst. So ging das wirklich nicht. Linda musste unbedingt mit den beiden reden. Immerhin war er der Präsident.

* * *

Dewey Drillson stöhnte. Diese Besprechung mit Prince und den Journalisten hatte länger gedauert als gedacht. Danach war noch Henry Wolfstetter, sein Vize, vorbeigekommen. Und wenn der einmal anfing zu reden, hörte er nicht so bald auf. Es war weit nach sieben, als er in seinem Lieblingsetablissement ankam. Im Moulin Noir.

Der Verteidigungsminister lag mit halb geschlossenen Augen auf einer weichen Gummimatte neben dem Whirlpool. Sein nackter Körper war umhüllt von Schaum, der nach Rosen duftete. Er genoss die Wärme, die sanfte Musik und vor allem die Hände der Frau, die seinen Körper durchknetete. Luella hieß sie. Bestimmt war das nicht ihr richtiger Name, aber das war ihm egal. Luella trug ihre schwarzen, glatten Haare halblang, mit Pony. Ihre braunen Augen blickten ihn aus einem mädchenhaften Gesicht an. Sie hatte schimmernde bronzefarbene Haut, lange Beine, frauliche Hüften, eine Taille wie eine römische Göttin und dazu perfekt geformte Brüste, die beim Massieren wippten. Oberhalb der linken Brust hatte sie eine kleine Tätowierung. Eine rote, sich windende Schlange, deren Kopf sich in einen Pfeil verwandelte. Darüber hinaus hatte Luella sehr lange, schlanke Finger, die in diesen Minuten Drillsons Beine durchkneteten und dann langsam hochwanderten.

Ob sie wohl Englisch konnte? Luella sprach fast nie. Wenn sie nicht ab und zu »Yes, Sir« oder »No, Sir« sagen würde, hätte er sie für stumm gehalten. Wahrscheinlich sprach sie nur spanisch. Oder irgendeinen indianischen Dialekt. Sie sah nach Karibik aus. Vielleicht Trinidad und Tobago oder Guadeloupe. Er buchte immer Luella, wenn er hierherkam.

Schaum tropfte von Luellas nackten Brüsten auf ihre Oberschenkel. Eigentlich war ihm hier im Moulin Noir immer ein ganz klein wenig unwohl. Natürlich nicht aus moralischen Gründen. Aber wenn ein verdammter Reporter das herausfand … Andererseits war das wohl wichtigste Kapital solcher Etablissements Diskretion. Wenn alle seine Beamten so diskret wären wie die Mädchen hier, ließe sich das Land wesentlich reibungsloser regieren.

Er öffnete ein Auge. »Wo kommst du her, Luella?«, fragte er träge.

»Yes, Sir«, war ihre Antwort.

»Weißt du, dass du der erste vernünftige Mensch bist, der mir heute untergekommen ist?«

»Yes, Sir.« Sie drehte ihn sehr geschickt um und rieb eine warme ölige Flüssigkeit auf seine Haut. Ein Duft wie Zimt und Frühlingssonne. Dann begann sie, seine Schulterblätter zu massieren. Langsam fing Drillson an, sich zu entspannen.

»Manchmal glaube ich, in D. C. arbeiten ausschließlich Vollidioten. Vizepräsident Burton kennt gerade einmal den Unterschied zwischen einem Öltanker und einem Ölsardinensandwich. Verstehst du?

»No, Sir.«

»Und dieser Prince – wenn der nicht für den Mossad arbeitet, fress ich einen Besen. Und Wolfstetter ist auch so ein Fall für die Irrenanstalt. Der wurde mir als großes strategisches Genie angepriesen. Wenn der ein großer Stratege ist, dann war die Schlacht am Little Bighorn ein großer Sieg für General Custer.«

»Yes, Sir.«

»Aber am unglaublichsten ist unser schwachsinniger Präsident. Gegen den wirkt Arnold Schwarzenegger wie Albert Einstein. Was sage ich? Gegen den wirkt Ronald Reagan wie Albert Einstein. Wenn ich an die Energie denke, die in seine Ausbildung gesteckt wurde. Dabei hatte sein Bruder viel bessere Anlagen. Aber leider kann der ja nicht Präsident werden.« Drillson drehte sich wieder auf den Rücken. Er hatte sich in Rage geredet und ihm wurde es langsam unbequem. »Wir haben die stärkste Armee in der Geschichte der gesamten Menschheit und was machen wir damit? Nichts. Wegen dieser Schwachköpfe!«

»No, Sir.« Sie machte unbeirrt mit der Massage weiter. Ihre Finger wanderten genau an die Stelle, an der er sie brauchte. Er spürte, wie sich seine Aggression auf den wichtigsten Teil seines Körpers verlagerte. Gleich war er so weit.

»Aber noch schlimmer ist dieser Neger. Ein Neger in der Regierung. Seit wann gibt’s denn so was? Was sind wir? Ein Volk von Urwaldaffen? Dieser Powder soll angeblich die schwarzen Wähler an die Republikaner binden. Schwarze Wähler? Zu meiner Zeit durften Schwarze überhaupt nicht wählen, und das war richtig so.«

»Yes, Sir.«

Das Testosteron wirkte jetzt genau dort, wo Luellas Finger ihn massierten. »Das sind doch alles Weicheier«, blaffte er. »Feiglinge! Die begreifen gar nichts. Was wir brauchen, ist ein Schicksalsschlag, der dieses dekadente Land bis ins Mark erschüttert. Der diesen Hüh­nerhabichten im Weißen Haus vorführt, wie die Welt da draußen wirklich ist. Stahl und Blut! Wir brauchen endlich … endlich! Ja! Ja! Ja!«

Luella hatte es geschafft. Wie immer. Sein Goldkind. Was machte es da schon aus, dass Luella vielleicht einen oder zwei Tropfen schwarzen Blutes in ihren Adern hatte? Er war schließlich kein Rassist.

Schlaff und erschöpft rollte sich Drillson in den Whirlpool. Fast hätte er das Klingeln seines Mobiltelefons überhört, das am Rand des Pools lag. Wer störte ihn jetzt noch? »Ja«, sagte er knapp. Dann spannte sich sein Körper an. »Ja«, sagte er wieder. »Ich bin vorbereitet. Ich werde im Südflügel sein.«

Unexpected Flying Objects

Die Wüste von Nevada ist eine rote, raue Felslandschaft, von der Son­ne verbrannt, vom Wind ausgetrocknet. Im Sommer steht eine glü­hende Sonne hoch über den Bergen und treibt alle Lebewesen unter die Erde. Der Winter verwandelt den Himmel in eine eisige, blauschimmernde Halbkugel, die alles Leben erstarren lässt. Die satte Sonne des Herbstes taucht die Wüste in ein goldschimmerndes Licht. Bis zu der Minute, in der sie untergeht, um dem mit Kratern übersäten weißen Mond Platz zu machen. Manchmal fliegen auch unbekannte Flugobjekte am Mond vorbei.