Die Verschwundene - Rachel Hawkins - E-Book
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Die Verschwundene E-Book

Rachel Hawkins

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Beschreibung

Wenn sie wüsste, dass du dich in ihr Leben geschlichen hast …

In Thornfield Estates – einem Wohnviertel voller Prachtvillen, glänzender Geländewagen und gelangweilter Hausfrauen – hält sich Jane als Hundesitterin über Wasser. Hier lernt sie den geheimnisvollen Eddie Rochester kennen, dessen Frau Bea zusammen mit ihrer besten Freundin bei einem Bootsunfall verschwand. Eddie ist nicht nur reich und gut aussehend, sondern auch die Sorte Mann, nach der sich Jane immer gesehnt hat. Die beiden verlieben sich, und Jane zieht bei Eddie ein. Doch Bea scheint wie eine unsichtbare Macht zwischen ihnen zu stehen. Jane drängen sich immer mehr Fragen auf: Wer war diese geheimnisvolle Frau? Wie kam sie ums Leben? Und welches dunkle Geheimnis verbirgt sich hinter der Fassade der Traumvilla?

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Seitenzahl: 420

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Das Buch

In Thornfield Estates – einem Wohnviertel voller Prachtvillen, glänzender Geländewagen und gelangweilter Hausfrauen – hält sich Jane als Hundesitterin über Wasser. Hier lernt sie den geheimnisvollen Eddie Rochester kennen, dessen Frau Bea zusammen mit ihrer besten Freundin bei einem Bootsunfall verschwand. Eddie ist nicht nur reich und gut aussehend, sondern auch die Sorte Mann, nach der sich Jane immer gesehnt hat. Die beiden verlieben sich, und Jane zieht bei Eddie ein. Doch Bea scheint wie eine unsichtbare Macht zwischen ihnen zu stehen. Jane drängen sich immer mehr Fragen auf: Wer war diese geheimnisvolle Frau? Wie kam sie ums Leben? Und welches dunkle Geheimnis verbirgt sich hinter der Fassade der Traumvilla?

Die Autorin

Rachel Hawkins wurde in Virginia geboren und ist in Alabama aufgewachsen. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst als Englischlehrerin. Seit 2007 ist sie freischaffende Autorin und hat mit ihren Büchern die New-York-Times-Bestsellerliste erklommen. »Die Verschwundene« ist ihr erster Roman bei Heyne.

Rachel Hawkins

Die Verschwundene

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elvira Willems

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Die Originalausgabe The Wife Upstairs erschien erstmals 2021 bei St. Martin’s Press, New York.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Das dem Buch vorangestellte Zitat aus Jean Rhys, Die weite Sargassosee, aus dem Englischen von Brigitte Walitzek, drucken wir mit freundlicher Genehmigung von Schöffling & Co., © Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH, Frankfurt am Main 2015, S. 149.

Deutsche Erstausgabe 12/2021

Copyright © 2021 by Rachel Hawkins,

published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, USA

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Anita Hirtreiter

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

unter Verwendung von Trevillion Images / Yolande de Kort

Satz: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-25935-8V002

www.heyne.de

Für meine Mutter, die zum Glück ganz anders ist als die Mütter in diesem Buch

Es gibt nicht nur den einen Tod, sondern immer zwei, den richtigen und den, von dem alle wissen.

Jean Rhys, Die weite Sargassosee

Teil I

JANE

1

FEBRUAR

Ein absoluter Scheißtag für einen Spaziergang mit dem Hund ist das.

Es schüttet schon den ganzen Morgen, die Fahrt von Center Point hier raus nach Mountain Brook war ein Albtraum, und als ich in der Einfahrt der Reeds aus dem Auto stieg, wurde meine Jeans am Saum patschnass. Jetzt schmatzen meine Sneakers auf den Marmorfliesen in der Diele.

Aber Mrs. Reed hat die Leine ihres Hundes Bear in der Hand und verzieht bei meinem Anblick das Gesicht zu einem übertriebenen Stirnrunzeln, mit dem sie Mitleid demonstrieren will. Ich soll unbedingt wissen, dass sie sich schlecht fühlt, weil sie mich an diesem Montagmorgen raus in den Regen schickt.

Das ist das Einzige, was zählt: Ich soll wissen, dass sie sich schlecht fühlt.

Dabei erwartet sie natürlich, dass ich es tue.

Seit fast einem Monat gehe ich jetzt mit den Hunden in der Wohnsiedlung Thornfield Estates spazieren, und wenn ich in dieser Zeit eines definitiv begriffen habe, dann das: Das Einzige, was zählt, ist, wie etwas aussieht, wie es nach außen hin erscheint.

Mrs. Reed sieht mitfühlend aus. Sie erweckt den Anschein, als fände sie es ganz schrecklich, dass ich an einem stürmischen Tag Mitte Februar mit ihrem Collie Bear Gassi gehen muss.

Sie sieht so aus, als würde sie sich tatsächlich einen Deut um mich als Mensch scheren.

Doch das tut sie nicht, und das ist okay, ehrlich.

Schließlich schere ich mich auch keinen Deut um sie.

Also lächele ich und zupfe am Saum meines militärgrünen Regenmantels. »Ich bin drauf eingestellt«, erkläre ich ihr und nehme Bears Leine.

Ich sehe mich in der Diele um. Links von mir lehnt ein riesiger gerahmter Spiegel an der Wand, in dem Mrs. Reed, ich und Bear zu sehen sind, der bereits zur Haustür zieht. Auf einem auf alt getrimmten Holztisch steht eine Schale mit Potpourri, daneben liegen zwei diamantbesetzte Creolen, achtlos abgelegt, als Mrs. Reed gestern Abend von irgendeiner Wohltätigkeitsveranstaltung nach Hause gekommen ist.

Mir ist aufgefallen, dass Wohltätigkeitsveranstaltungen hier in der Gegend ein großes Ding sind, auch wenn ich noch nicht herausgefunden habe, wofür sie eigentlich Geld sammeln. Die Einladungen, die auf Beistelltischen liegen oder mit Magneten an Kühlschränken befestigt sind, sind ein demonstrativ zur Schau gestellter Wortsalat. Kinder, geschlagene Frauen, Obdachlose, Unterprivilegierte – verschiedene Euphemismen, die alle nur ein und dasselbe bedeuten, nämlich »arm«.

Unmöglich zu sagen, wofür Mrs. Reed sich gestern Abend engagiert hat, aber auch das schert mich keinen Deut.

Und ich lasse meinen Blick auch nicht lange auf den Ohrringen verweilen.

Bears Leine liegt ruhig in meiner Hand, als ich Mrs. Reed kurz winke und auf die breite Veranda trete, die aus einer gestrichenen Betonfläche besteht und bei Nässe ziemlich rutschig ist. In meinen alten Turnschuhen schlittere ich beinahe darüber.

Ich höre, wie die Tür hinter mir geschlossen wird, und frage mich, was Mrs. Reed wohl heute Vormittag macht, während ich mit ihrem Hund spazieren gehe. Noch einen Kaffee trinken? Danach eine Xanax einwerfen? Die nächste Wohltätigkeitsveranstaltung planen? Vielleicht zu einem Brunch gehen, um Geld für Kinder zu sammeln, die nicht wissen, wie man segelt?

Der Regen hat ein wenig nachgelassen, aber der Vormittag ist immer noch lausig kalt, und ich wünschte, ich hätte Handschuhe mitgebracht. Meine Hände sind rau und rissig, die Knöchel von einem aggressiven Rot. Zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger meiner rechten Hand zieht sich noch eine kleine Brandnarbe über die Haut, eine Trophäe von meinem letzten Tag bei Roasted, einem Coffeeshop in Mountain Brook Village.

Ich ermahne mich, dass Hunde spazieren zu führen zwar echt doof ist, aber wenigstens nicht die Gefahr von Verbrennungen zweiten Grades mit sich bringt.

Bear zieht an der Leine und schnüffelt an jedem Briefkasten, an dem wir vorbeikommen, und ich lasse mich hinter ihm herziehen, während ich mich in Gedanken mehr mit den Häusern und dem Viertel beschäftige als mit dem mir anvertrauten Tier. Hinter diesen pompösen Vorortpalästen liegen üppige grüne Gärten, also bräuchte hier eigentlich niemand einen Hundesitter. Doch eine Kategorie wie brauchen existiert für die Leute hier nicht. Bei denen geht es immer nur darum, was sie wollen.

Genau wie bei diesen Häusern.

Mrs. Reed und ihr Mann leben allein am Magnolia Court in einem Haus mit acht Bädern und sieben Schlafzimmern, einem repräsentativen Salon, einem gemütlichen Wohnzimmer, einer Lounge im ersten Stock und einem »Herrenzimmer«. Soweit ich sagen kann, sind alle Häuser in Thornfield Estates so. Bis jetzt war ich in vier davon, denn sobald einer von den Nachbarn einen Hundesitter hat, brauchen – wollen – alle anderen selbstverständlich auch einen. Ich arbeite für die Reeds, indem ich mit Bear spazieren gehe, und jetzt auch für die Familie McLaren in der Primrose Lane, deren Dalmatiner Mary-Beth ich ausführe. Dann sind da noch die Clarks in der Oakwood mit ihren Shih Tzus Major und Colonel, und Tripp Ingraham aus dem Maple Way hat mich gerade engagiert, um mit Harper, dem Labrador seiner verstorbenen Frau, Gassi zu gehen.

Unterm Strich ist das ein guter Job, definitiv besser als die Arbeit im Roasted. Hier sehen die Leute mir tatsächlich in die Augen, weil sie zu der Sorte von Menschen gehören möchten, die sich einreden, dass sie keine Arschlöcher sind, wenn sie »die Hilfe« beim Vornamen nennen. »Jane gehört quasi zur Familie«, sagt Mrs. Reed wahrscheinlich zu den anderen Frauen im Country Club, die ihr mit affektiertem Gemurmel beipflichten und noch eine Bloody Mary trinken.

Meine Turnschuhe quietschen bei jedem Schritt auf dem Gehweg, und ich denke an die Wohnung, in der ich hause und in der es an der einen Stelle in der Küche wahrscheinlich wieder reinregnet: Die Decke ist da von einem dunkleren, schmuddeligeren Grau als das restliche schmutzige Grau. Die Miete ist billig, und die Gegend, in der die Wohnung liegt, geht einigermaßen, aber manchmal fühlt es sich an, als wohnte man in einer kleinen Betonkiste, und ich kann mir noch so viel Mühe geben, sie mit Postern von Target oder schönen Decken aus dem Secondhandladen aufzuhübschen, das Grau ist einfach übermächtig.

In Thornfield Estates gibt es weit und breit kein schäbiges Grau.

Hier ist das Gras zu jeder Jahreszeit grün, und alle Häuser haben Blumenkübel und riesige Sträucher voller bunter Blüten im Vorgarten. Die Fensterläden sind strahlend gelb, marineblau, tiefrot, smaragdgrün. Falls es überhaupt irgendwo Grau gibt, dann ist es matt und elegant – Taubengrau, habe ich Mrs. Reed es nennen hören. In der Luft liegt unablässig das emsige Brummen von Rasenmähern, und die Lieferwagen von Teppichreinigungsfirmen und Hausmeisterservices fahren die Einfahrten rein und raus, selbst an einem Regentag wie heute.

Bear bleibt stehen, um an einen Bordstein zu pinkeln, und ich schiebe mir mit der freien Hand die Kapuze vom Kopf. Dabei glitscht mir kaltes Regenwasser in den Nacken. Der Regenmantel ist alt, und auf der linken Seite ist der Saum zerrissen, aber ich bringe es nicht über mich, mir einen neuen zu kaufen. Es kommt mir überflüssig vor, für so etwas Geld auszugeben, und manchmal frage ich mich, ob es in einem der Häuser hier jemand merken würde, wenn irgendwo ein älterer Regenmantel verschwände.

Das Risiko ist zu groß, ermahne ich mich, gebe mich aber trotzdem ganze zwei Minuten der Vorstellung hin, wie ich durch dieses Viertel in etwas Gepflegtem und Hübschem spaziere, durch das kein kaltes Regenwasser dringt. So etwas wie die Burberry-Jacke, die bei Mrs. Clark letzte Woche neben der Tür hing.

Komm bloß nicht auf dumme Gedanken.

Also denke ich stattdessen an die Diamantohrringe auf dem Tisch in Mrs. Reeds Flur: Wenn beide verschwinden würden, würde das leicht Verdacht erregen, aber einer? Einer hätte vom Tisch fallen können. Im Country Club in den Teppich getreten worden sein. Einsam in irgendeiner Tasche stecken.

Bear bleibt mal wieder stehen, um an einem Briefkasten zu schnuppern, aber ich ziehe ihn weiter, denn ich bin auf dem Weg zu meinem Lieblingshaus.

Es liegt am Ende einer Sackgasse, ein ganzes Stück weiter von der Straße zurückgesetzt als die anderen, und es ist eines der wenigen Häuser, bei dem nicht unablässig ein Menschenstrom ein und aus zu gehen scheint. Der Rasen ist genauso grün wie bei den anderen Häusern in der Nachbarschaft, aber ungepflegter, und die Sträucher mit den hübschen lilafarbenen Blüten vor dem Haus sind zu hoch gewachsen und versperren die Fenster im Erdgeschoss.

Es ist das größte Haus in der Gegend, es überragt die anderen und streckt zu den Seiten zwei mächtige Flügel aus. Auf dem Rasen vor dem Haus stehen zwei hohe Eichen. Es sieht eindeutig älter aus als die anderen Häuser; kann gut sein, dass es das erste Haus war, das hier gebaut wurde.

Die Gleichförmigkeit von Thornfield Estates bedeutet, dass irgendwann alle Häuser miteinander verschmelzen. Ich mag das – ein hübscher verschwommener Gesamteindruck ist allemal besser als die deprimierende Monotonie in meinem Teil der Stadt –, aber dieses Haus, das ganz allein am Ende einer Sackgasse steht, hat etwas, was mich immer wieder zu ihm hinzieht.

Dann verlasse ich den Bürgersteig und gehe mitten auf die Straße, um es mir genauer anzusehen.

In diesem Teil des Viertels ist es immer so still, dass es mir überhaupt nicht in den Sinn kommt, mitten auf der Straße stehen zu bleiben könnte vielleicht gefährlich sein.

Ich höre das Auto, bevor ich es sehe, doch selbst da rühre ich mich nicht vom Fleck, und später werde ich an diesen Augenblick zurückdenken und mich fragen, ob ich irgendwie wusste, was passieren würde. Ob mein ganzes Leben auf diesen Punkt zulief, zu diesem einen Haus.

Zu ihm.

2

Auch die Autos in Thornfield Estates sind mehr oder weniger gleich, es sind alles irgendwelche Luxus-SUVs. Im Grunde sind es mobile Versionen der Häuser – auffallend teuer und auf jeden Fall mindestens zwei Nummern zu groß. Ich achte kaum noch auf sie, nehme sie nur als champagnerfarbene oder mitternachtsblaue Panzer wahr, die regelmäßig durch die Straßen rollen.

Doch das Auto, das aus der Einfahrt meines Lieblingshauses geschossen kommt, ist kein SUV. Es ist ein roter Sportwagen – ein älteres Modell mit einem knurrenden Motor –, der Farbe in diesen tristen Tag bringt.

Bear bellt und tanzt auf den Hinterläufen, und ich will aus dem Weg gehen, aber meine Finger verheddern sich in der Leine, während die Stoßstange des Wagens schon auf uns zuschießt.

Der Asphalt ist glitschig vom Regen, und vielleicht ist das meine Rettung, denn als ich zurückweiche, rutscht mir ein Fuß weg, und ich falle und lande so fest, dass meine Zähne aufeinanderschlagen. Die Kapuze fällt mir ins Gesicht, sodass ich nur noch militärgrünes Vinyl sehe, doch ich höre Bremsen quietschen und dann ein weiches metallenes Knirschen. Bear bellt und bellt und springt nervös an der Leine hin und her, deren Leder mir ins Handgelenk schneidet, als ich mir endlich die Kapuze aus den Augen schiebe.

Das hintere Ende des wunderschönen Wagens klebt jetzt an einem der kunstvollen Laternenpfähle, die die Straße säumen. Eigentlich ist er gar nicht so besonders schnell gefahren, aber der Wagen ist so leicht, dass das Blech zerknittert ist wie Papier, und mein Mund wird plötzlich ganz trocken, und das Herz pocht schwer in meiner Brust.

Mist, Mist, Mist.

So ein Auto kostet mehr, als die meisten Menschen in einem Jahr verdienen. Ich würde Ewigkeiten im Coffeeshop arbeiten müssen, um mir allein die Anzahlung für so etwas leisten zu können, und jetzt ist es total im Arsch, weil ich mitten auf der Straße gestanden und mit offenem Mund das Haus von diesem Typ angestarrt habe.

Die Fahrertür ist offen, und endlich bringe ich es über mich, den Mann anzusehen, der da steht, einen Arm über die Tür gelegt.

Er sieht nicht so aus wie die anderen Männer in Thornfield Estates, deren Kluft aus Polohemd und Kakihose besteht, und selbst diejenigen, die jung aussehen und gut in Form sind, haben etwas Weiches an sich. Ein wabbeliges Kinn oder einen Bauch, der ein wenig über den teuren Ledergürtel hängt.

An diesem Mann ist nichts Schwaches oder Hängendes. Er trägt Jeans und Boots, die zwar aussehen wie viel getragen, die aber – wie ich weiß – viel gekostet haben. Alles an ihm sieht teuer aus, selbst sein zerknittertes Hemd mit Button-down-Kragen.

»Geht es Ihnen gut?«, fragt er und kommt näher. Obwohl es regnet, trägt er eine Pilotenbrille, und ich sehe mein Spiegelbild darin, das blasse Oval meines Gesichts, gerahmt von der dunkelgrünen Kapuze.

Als er die Brille absetzt und mit einem Bügel im Hemdkragen einhakt, kommen intensiv blaue Augen zum Vorschein. Drei Falten bilden sich über seiner Nasenwurzel, als er auf mich herabschaut.

Es ist lange her, seit mich das letzte Mal jemand so angesehen hat, als würde er sich wirklich Sorgen um mich machen, und das ist fast noch anziehender als seine schönen Klamotten, sein tolles Auto und sein perfekt gebauter Körper.

Ich nicke zur Antwort, während ich mich hochdrücke und an Bears Leine ziehe, damit der Hund zu mir kommt.

»Also gut«, sage ich, »ich hätte nicht mitten auf der Straße stehen sollen.«

Ein Mundwinkel zuckt hoch, und auf seiner Wange bildet sich ein Grübchen. »Ich hätte nicht aus der Einfahrt brettern sollen wie eine gesengte Sau.«

Dann beugt er sich vor und krault Bear kurz zwischen den Ohren. Der Hund reckt sich der Berührung entgegen und lässt die Zunge aus dem Maul hängen.

»Sie sind vermutlich die neue Hundesitterin, von der alle so begeistert sind«, sagt der Mann.

Ich räuspere mich; plötzlich brennen meine Wangen. »Ja.«

Er sieht mich weiter abwartend an.

»Jane«, platze ich heraus. »Ich … ich heiße Jane.«

»Jane«, wiederholt er. »Janes trifft man heutzutage nicht mehr besonders oft.«

Ich sage ihm nicht, dass das nicht mal mein richtiger Name ist, sondern der Name einer toten jungen Frau, die ich in einem toten Leben kannte. Mein richtiger Name ist genauso langweilig, doch den hört er vermutlich öfter als Jane.

»Ich bin Eddie.« Er reicht mir die Hand. Ich schüttele sie, auch wenn mir peinlich bewusst ist, wie feucht meine Hand ist und dass sich grober Sand von der Straße in die fleischige Stelle unter meinem Daumen gegraben hat.

»Eddies trifft man heutzutage auch nicht mehr besonders oft«, sage ich, und darüber muss er lachen. Ein sattes, warmes Lachen, das eine Stelle am Ende meiner Wirbelsäule kribbeln lässt.

Und vielleicht sage ich deswegen Ja, als er fragt, ob ich auf einen Kaffee mit reinkommen möchte.

3

Aus der Nähe ist das Haus noch beeindruckender als von der Straße. Die Haustür ragt, von einem Bogen überwölbt, hoch über uns auf. Solche schweren Türen sind typisch für die Häuser hier. Die Badezimmertüren im Haus der Reeds sind mindestens zwei Meter fünfundvierzig hoch, was selbst dem kleinsten Raum etwas Eindrucksvolles und Bedeutsames verleiht.

Kaum hat Eddie Bear und mich ins Haus geführt, schüttelt der Hund sich, dass die Wassertropfen nur so auf den Marmorboden regnen.

»Bear!«, ermahne ich ihn scharf und ziehe an seinem Halsband.

Eddie zuckt bloß die Achseln. »Der Boden trocknet bestimmt schneller als du, was, mein großer Junge?« Er krault den Hund noch einmal und bedeutet mir dann, ihm den Flur hinunter zu folgen.

Rechts steht ein schwerer Tisch – noch mehr Marmor, noch mehr Schmiedeeisen – mit einem kunstvollen Blumenarrangement, und ich streiche im Vorbeigehen mit einem Finger über eine Blüte. Sie fühlt sich kalt, seidig und ein wenig feucht an, was mir verrät, dass sie echt ist und ich frage mich, ob er – oder seine Frau, machen wir uns nichts vor – jeden Tag frische Blumen liefern lässt.

Der Flur führt in ein großes Wohnzimmer mit hoher Decke. Auch hier hatte ich etwas Ähnliches wie im Haus der Reeds erwartet, ein Meer neutraler Farben, doch die Möbel in diesem Raum sind fröhlich und behaglich. Es gibt ein Sofa in einem satten Preiselbeerton, dazu zwei Butterfly Chairs im Ethno-Look sowie ein altmodischer Ohrensessel mit auffälligem Blümchenmuster. Dieser gewagte Stilmix harmoniert auf großartige Weise. Der Boden besteht aus hellem Hartholz, und mein Blick streift über ein paar Teppiche, ebenfalls in bunten Farben.

Zwei Stehlampen werfen warme goldene Lichtpfützen auf den Boden, und der Kamin wird von eingebauten Bücherregalen gesäumt.

»Sie haben Bücher«, sage ich.

Eddie hält inne und dreht sich, die Hände in den Taschen, mit hochgezogenen Augenbrauen zu mir um.

Mit einer Kopfbewegung zeige ich auf die Regale, die mit gebundenen Büchern vollgestopft sind. »Also … solche Regale gibt es hier in vielen Häusern, aber normalerweise sind darin keine Bücher.«

Bei den Reeds stehen in diesen Einbauregalen ein paar gerahmte Fotos, ein paar bizarr geformte Vasen, dazwischen sehr viel freier Raum. Die Clarks bevorzugen Porzellanteller auf kleinen Ständern und hier und da eine silberne Schale.

Eddie sieht mich immer noch an, und ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht richtig deuten.

Schließlich sagt er: »Sie sind aufmerksam.«

Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Kompliment sein soll oder nicht, und plötzlich wünschte ich mir, ich hätte den Mund gehalten.

Dann wende ich meine Aufmerksamkeit der Fensterwand zu, die den Garten hinter dem Haus überblickt. Genau wie der Vorgarten ist der Garten auch hier ein wenig struppiger als die anderen in der Nachbarschaft; das Gras steht höher, die Sträucher sind nicht so gleichförmig gestutzt, aber er ist auch hübscher als die anderen Nullachtfünfzehn-Rasenflächen. Dieses Grundstück grenzt an den Wald, dessen hohe Bäume sich dem grauen Himmel entgegenrecken.

Eddie folgt meinem Blick. »Wir haben das Land hinter unserer Parzelle gekauft, damit wir niemals die Rückseite eines anderen Hauses anschauen müssen«, sagt er. Er hat noch die Autoschlüssel in der Hand, die leise klimpern. Ein nervöser Tick, der nicht so recht zu dem Rest von ihm passen will.

Ich denke darüber nach, was er gerade gesagt hat – wir.

Es ist dumm, enttäuscht zu sein. Natürlich hat so ein Mann eine Frau. Es gibt keine alleinstehenden Männer in Thornfield Estates, außer Tripp Ingraham, und der ist Witwer. Singlemänner leben nicht in solchen Häusern.

»Es ist hübsch«, sage ich jetzt zu Eddie. »Privat.«

Einsam, denke ich auch, behalte es aber für mich.

Mit einem Räuspern wendet er sich vom Fenster ab und geht in die Küche. Ich folge ihm, und Bear trottet mir hinterher, während es von meinem Mantel auf den Boden tropft.

Die Küche ist so eindrucksvoll wie der Rest des Hauses: riesiger Edelstahlkühlschrank, dunkelgrüne Granitkücheninsel und wunderschöne cremefarbene Küchenschränke. Alles scheint zu glänzen, selbst der Mann, der vor der Keurig-Kaffeemaschine steht und eine Kapsel einsetzt.

»Wie trinken Sie ihn?«, fragt er, mir immer noch den Rücken zugewandt.

Ich setze mich auf die Kante eines Barhockers, Bears Leine in einer Hand. »Schwarz«, antworte ich. In Wirklichkeit mag ich keinen schwarzen Kaffee, aber im Café ist das immer das Billigste, und so ist es mir zur Gewohnheit geworden.

»Sie sind also taff.«

Eddie wirft mir über die Schultern ein Lächeln zu, und wieder fällt mir auf, dass seine Augen intensiv blau sind. Auf einmal ist mir total heiß.

Er ist verheiratet, ermahne ich mich noch einmal.

Doch als er mir die Kaffeetasse reicht, schaue ich auf seine Hände. Feingliedrige, manikürte Finger mit ein paar dunklen Haaren auf den Knöcheln.

Aber kein Ehering.

»Erzählen Sie mir ein bisschen was von sich, Jane-die-Hundesitterin«, sagt er, indem er sich wieder abwendet, um sich selbst auch einen Kaffee zu machen. »Sind Sie aus Birmingham?«

»Nein.« Ich puste auf meinen Kaffee. »Ich bin in Arizona geboren und habe bis letztes Jahr die meiste Zeit im Westen gelebt.«

Nicht gelogen, aber vage: meine bevorzugte Art, neuen Bekanntschaften zu erzählen, wo ich herkomme.

Eddie nimmt seine Tasse aus der Kaffeemaschine, dreht sich zu mir um und lehnt sich an die Arbeitsfläche. »Wie kommt es, dass Sie ausgerechnet hier gelandet sind?«

»Ich war auf der Suche nach etwas Neuem, und ein alter Schulfreund, der hier lebt, hat mir ein Zimmer angeboten.«

Es gibt einen Trick beim Lügen. Man muss die Wahrheit einbetten, wenigstens einen Hauch davon. Das ist der Teil, der bei den Menschen ankommt, und dann klingt der Rest – also die Lügen – auch, als wäre er wahr.

Ich war auf der Suche nach etwas Neuem. Stimmt. Weil ich vor etwas Altem weglief.

Ein alter Schulfreund. Ein Typ, den ich irgendwann einmal in einer Wohngruppe kennengelernt hatte.

Eddie nickt und nimmt einen Schluck Kaffee, und ich kämpfe gegen den Drang an, auf meinem Barhocker hin und her zu rutschen und ihn zu fragen, warum zum Teufel er mich in sein Haus eingeladen hat, um Small Talk zu machen, wo seine Frau ist, wieso er nicht in der Arbeit ist und wo er am Morgen so eilig hinwollte.

Aber er scheint zufrieden damit zu sein, mit mir in der Küche zu hocken, Kaffee zu trinken und mich anzusehen, als wäre ich ein kniffliges Rätsel, das er lösen möchte.

Ich kann nicht anders, ich habe das Gefühl, als hätte ich mir heute Morgen auf der Straße den Schädel angeschlagen und wäre in einem Paralleluniversum gelandet, in dem sich reiche, gut aussehende Männer für mich interessieren.

»Was ist mit Ihnen?«, frage ich. »Sind Sie aus Birmingham?«

»Meine Frau stammte von hier.«

Stammte. Ich halte das Wort, diese Zeitform, in Gedanken fest.

»Sie … ähm. Sie ist hier in der Gegend aufgewachsen und wollte hierher zurück«, fährt er fort und trommelt derweil mit den Fingern auf die Wand des Bechers. Dann stellt er den Becher ab und lehnt sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Kücheninsel. »Wohnen Sie in Mountain Brook?«, fragt er.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch, worüber er lachen muss. »Wird’s jetzt schräg? Wird das jetzt ein Kreuzverhör?«

Das sollte es vielleicht sein, aber stattdessen ist es schön, dass sich jemand tatsächlich für mich interessiert – und mir nicht nur vorspielt, etwas über mich wissen zu wollen, so wie Mrs. Reed. Lieber sitze ich hier und trinke Kaffee, als mit Bear im Regen spazieren zu gehen.

Ich fahre mit einem Finger eine Ader im Marmor nach und sage: »Nur ein bisschen schräg. Stufe eins auf dem Schräg-O-Meter.«

Er lächelt, und wieder kribbelt es am Ende meiner Wirbelsäule. »Mit Stufe eins komme ich klar.«

Ich erwidere sein Lächeln und entspanne mich ein bisschen. »Und, nein, ich lebe nicht in Mountain Brook. Die Wohnung meines alten Freunds liegt in Center Point.«

Center Point ist eine hässliche kleine Stadt ungefähr dreißig Kilometer von hier. Sie war früher mal Teil der weitläufigen Vororte von Birmingham. Jetzt ist es ein Ort voller Ladenzeilen und Fast-Food-Läden. Es gibt da immer noch ein paar hübsche Viertel, aber alles in allem kommt es einem im Vergleich zu Thornfield Estates doch vor wie ein anderer Planet, und das spiegelt sich in Eddies Miene wider.

»Mist«, sagt er und richtet sich auf. »Das ist eine ganz schöne Strecke von hier.«

Das stimmt, und mein klappriger Wagen macht sie wahrscheinlich nicht mehr lange, aber für mich lohnt es sich, die ganze Hässlichkeit hinter mir zu lassen und hierher an diesen Ort mit seinen gepflegten Rasenflächen und Backsteinhäusern zu kommen. Klar wäre es klüger gewesen, mir – wie John – was in Center Point zu suchen, doch ich war kaum bei ihm eingezogen, da suchte ich schon nach einer Möglichkeit, wieder wegzukommen.

Also stört mich die Fahrerei nicht.

»In Center Point gab’s nicht viele Jobs«, erkläre ich ihm – noch so eine Halbwahrheit. Es gab Jobs – Kassiererin im Dollar General, Verkäuferin im Winn-Dixie, Putzfrau im Fit Not Fat!-Fitnessstudio, das früher mal eine Blockbuster-Videothek war –, aber so einen Job wollte ich nicht. Mit so einem Job wäre ich nicht der Art von Mensch nähergekommen, die ich sein wollte. »Mein Freund kannte jemanden, der hier im Ort bei Roasted arbeitet, und dort habe ich Mrs. Reed kennengelernt. Also, eigentlich habe ich zuerst Bear kennengelernt.«

Beim Klang seines Namens wedelt der Hund mit dem Schwanz, klopft damit an die Beine meines Barhockers, eine Erinnerung daran, dass ich allmählich mal gehen sollte.

Doch Eddie sieht mich immer noch an, und ich scheine nicht aufhören können zu reden. »Er war draußen angebunden, und ich habe ihm Wasser gebracht. Anscheinend war ich der erste Mensch, den er nicht angeknurrt hat, seit Mrs. Reed ihn bekommen hat, und sie fragte mich, ob ich vielleicht auch Hunde spazieren führen würde, und deswegen …«

»Deswegen sind Sie jetzt hier«, beendet Eddie meinen Satz und hebt eine Schulter zu einem angedeuteten Zucken. Es ist trotz seiner knittrigen Klamotten eine elegante Bewegung, und ich mag es, wie er die Lippen zu etwas auf halbem Weg zwischen einem Lächeln und einem Grinsen verzieht.

»Hier bin ich«, sage ich, und er sieht mir einen Moment in die Augen. Seine Augen sind intensiv blau, aber sie sind rot gerändert, und seine Bartstoppeln heben sich dunkel von seiner hellen Haut ab.

Das Haus ist gepflegt und sauber, das Gefühl der Leere darin – und der Leere in Eddies Augen – erinnert mich jedoch an Tripp Ingraham. Nur äußerst ungern gehe ich mit seinem Hund spazieren, denn dann muss ich das stickige, verschlossene Haus betreten, das mir vorkommt, als wäre in der Sekunde, in der seine zweite Frau starb, der Pausenknopf gedrückt worden.

Und dann fällt mir wieder ein, dass Tripps Frau nicht allein starb. Sie und ihre beste Freundin sind vor sechs Monaten bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen. Auf den Namen der Freundin habe ich nicht geachtet, denn, um ehrlich zu sein, war mir der alte Klatsch doch ziemlich egal gewesen, doch jetzt wünschte ich mir, ich hätte besser aufgepasst.

Stammte. Er hatte stammte gesagt.

»Ich halte Sie von der Arbeit ab, weil ich Sie beinahe überfahren hätte und Sie dann gezwungen habe, Small Talk mit mir zu machen«, sagt Eddie.

Ich lächele und drehe den Kaffeebecher zwischen meinen Händen. »Den Small Talk mag ich. Auf die Nahtoderfahrung hätte ich lieber verzichtet.«

Er lacht wieder, und plötzlich wünsche ich mir, ich müsste nicht woanders sein, sondern könnte den Rest des Tages mit ihm hier sitzen und mich unterhalten.

»Noch eine Tasse?«, fragt er.

Obwohl mein Becher noch halb voll ist, schiebe ich ihn von mir. »Nein, ich sollte besser gehen. Damit Bear seinen Spaziergang beenden kann.«

Eddie stellt seinen Becher in das kleine Spülbecken neben der Kaffeemaschine. So eins haben alle Häuser, denn Gott bewahre, die reichen Leute müssten den zusätzlichen Meter zum großen Spülbecken zurücklegen.

»Wie viele Hunde führen Sie hier im Viertel aus?«, fragt er, als ich vom Barhocker rutsche und Bear mit einem Ziehen an der Leine ermuntere, sich zu erheben.

»Im Augenblick vier«, erkläre ich ihm. »Also, genau genommen fünf, die Clarks haben zwei. Also, fünf Hunde, vier Familien.«

»Könnten Sie noch einen sechsten übernehmen?«

Ich verharre, während Bear aufsteht und sich reckt.

»Sie haben einen Hund?«, frage ich.

Er lächelt mich noch einmal an, und diesmal ist es ein richtiges Lächeln, das mein Herz in meiner Brust einen Salto schlagen lässt.

»Ich besorge mir einen.«

4

»Seit wann hat Eddie Rochester einen Hund?«

Mrs. Clark – Emily, ich soll sie tatsächlich beim Vornamen nennen – lächelt.

Sie lächelt die ganze Zeit, wahrscheinlich, um mit dem perfekten schönen Schein anzugeben, der ein Vermögen gekostet haben muss. Emily ist genauso dünn und genauso reich wie Mrs. Reed, aber im Gegensatz zu Mrs. Reed mit ihren süßen Twinsets trägt Emily immer teure Sportkleidung. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich ins Fitnessstudio geht, aber sie sieht ständig so aus, als warte sie darauf, dass plötzlich ein Yogakurs beginnt. Im Moment hält sie einen mit einem Monogramm verzierten Kaffee-Thermosbecher in der Hand – das E ist in einem knalligen Pink auf einen blumigen Hintergrund gedruckt –, und sie kann so breit lächeln, wie sie will, der harte Ausdruck in ihren Augen entgeht mir nicht. Durch meine Kindheit und Jugend in der Obhut des Jugendamts habe ich gelernt, mir lieber die Augen der Menschen genauer anzusehen, statt auf die Worte zu hören, die ihnen über die Lippen kommen. Lippen sind gut im Lügen, aber die Augen sagen in der Regel die Wahrheit.

»Er hat sie erst kürzlich bekommen«, antworte ich. »Letzte Woche, glaube ich.«

Ich wusste genau, dass es letzte Woche gewesen war, weil Eddie Wort gehalten und an dem Tag, nachdem wir uns getroffen hatten, den Irish-Red-Setter-Welpen Adele adoptiert hatte. Am Tag danach war ich das erste Mal mit ihr spazieren gegangen, und Emily hatte mich offensichtlich gesehen, denn ihre erste Frage heute Morgen war gewesen: »Mit wessen Hund sind Sie gestern Gassi gegangen?«

Emily seufzt und schüttelt den Kopf, eine Faust in ihre schmale Taille gestemmt. Ihre Ringe fangen das Licht ein und werfen lauter kleine Regenbogen über ihre weißen Schränke. Sie besitzt sehr viele solcher Ringe, so viele, dass sie sie gar nicht alle tragen kann.

So viele, dass sie gar nicht gemerkt hat, dass einer, ein Rubinring, vor zwei Wochen verloren gegangen ist.

»Vielleicht hilft ihm das«, sagt sie und beugt sich dann ein wenig vor, als wollte sie mir ein Geheimnis anvertrauen. »Seine Frau ist gestorben, wissen Sie.« Es ist kaum mehr als ein Flüstern. Bei gestorben wird ihre Stimme fast unhörbar, als würde der Tod an ihre Tür klopfen oder noch etwas Schlimmeres passieren, wenn sie das Wort laut ausspräche. »Wenigstens vermuten wir das. Sie wird seit sechs Monaten vermisst, also sieht es nicht gut aus.«

»Das habe ich gehört«, erwidere ich lässig, als wäre ich nicht am Abend zuvor nach Hause gefahren und hätte Blanche Ingraham gegoogelt, als hätte ich nicht in meinem dunklen Schlafzimmer gesessen und die Worte gelesen: Ebenfalls vermisst und für tot gehalten wird Bea Rochester, Gründerin des Einzelhandelsimperiums Southern Manors.

Und als hätte ich dann nicht Bea Rochesters Ehemann recherchiert.

Edward.

Eddie.

Die Freude, die beim Lesen des Artikels in meiner Brust hochblubberte, war düster und hässlich gewesen, so ein Gefühl sollte ich – wie ich wohl wusste – nicht haben, doch es wollte mir einfach nicht gelingen, daran Anstoß zu nehmen. Er ist frei, sie ist weg, und ich habe jetzt einen Vorwand, um ihn jede Woche zu sehen. Einen Vorwand, um in diesem prächtigen Haus in diesem prächtigen Viertel zu sein.

»Ganz schön traurig, das Ganze.« Emily ist offensichtlich fest entschlossen, mir alles haarklein zu erzählen. Jetzt strahlen ihre Augen. Klatsch ist in diesem Viertel allgegenwärtig, und sie ist eindeutig bereit, mich in alles einzuweihen. »Bea und Blanche waren so.« Sie überkreuzt Zeige- und Mittelfinger und hält sie mir vors Gesicht. »Sie waren auch seit Ewigkeiten die besten Freundinnen. Na ja, seit ihrer Jugend.«

Ich nicke, als besäße ich eine Vorstellung davon, was es bedeutet, eine beste Freundin zu haben. Oder auch nur jemanden seit meiner Jugend zu kennen.

»Eddie und Bea hatten ein Haus am Smith Lake, und Blanche und Tripp sind die ganze Zeit mit ihnen dahingefahren. Aber die Jungs waren nicht da, als es passiert ist.«

Die Jungs. Als wären sie Siebtklässler und nicht Männer Mitte dreißig.

»Ich weiß nicht mal, warum sie überhaupt mit dem Boot rausgefahren sind, denn Bea hatte eigentlich keinen großen Spaß daran. Das war immer Eddies Ding, aber ich wette, er setzt nie wieder einen Fuß auf ein Boot.«

Jetzt sieht sie mich direkt an und hat dabei die dunklen Augen ein wenig zusammengekniffen. Sie will, dass ich etwas sage oder schockiert dreinschaue oder vielleicht sogar begierig – das ist mir schon klar. Tratschen macht keinen Spaß, wenn das Gegenüber sich dabei langweilt, deswegen bemühe ich mich um einen neutralen Gesichtsausdruck und zeige nicht mehr Interesse, als würden wir über das Wetter reden.

Es gibt mir einen Kick, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich anstrengt, mir eine Reaktion zu entlocken.

»Das klingt ja echt schrecklich«, sage ich.

Emily senkt die Stimme und beugt sich sogar noch weiter vor. »Man weiß immer noch nicht genau, was passiert ist. Das Boot wurde mitten auf dem See gefunden, ohne Beleuchtung. Blanches und Beas Sachen waren alle noch im Haus. Die Polizei vermutet, dass sie zu viel getrunken haben und auf die Idee kamen, mit dem Boot rauszufahren, dann aber ins Wasser gefallen sind. Oder eine ist über Bord gegangen, und die andere wollte ihr helfen.« Ein weiteres Kopfschütteln. »Einfach nur traurig. Richtig traurig.«

»Stimmt«, sage ich, und diesmal fällt es mir nicht mehr ganz so leicht, so zu tun, als wäre es mir egal. Irgendwas hat dieses Bild von dem Boot in dem dunklen Wasser, eine Frau, die an der Seite des Bootes scharrt, die andere, die sich hinunterbeugt, um ihr zu helfen, und ebenfalls hineinfällt …

Doch es darf sich auf keinen Fall in meinem Gesicht zeigen, denn Emilys Lächeln gleicht nun eher einer Grimasse, und ihr Achselzucken hat etwas leicht Roboterhaftes, als sie sagt: »Also, es war für uns alle hart, ehrlich. Ein Schlag für die ganze Nachbarschaft. Tripp ist vollkommen daneben, aber das haben Sie sicher schon mitbekommen.«

Wieder sage ich nichts und bemühe mich um eine ausdruckslose Miene. Daneben erfasst es nicht mal ansatzweise. Vor Kurzem hat er mich gefragt, ob ich ein paar Sachen seiner Frau für ihn zusammenpacken kann, weil er es einfach nicht über sich bringt. Ich wollte mich weigern, denn noch mehr Zeit in dem Haus zu verbringen kommt mir vor wie ein verdammter Albtraum, aber er hat angeboten, mir das Doppelte zu zahlen, also denke ich darüber nach.

»Wie auch immer«, meint sie schließlich und seufzt, »wenn Eddie sich einen Hund zulegt, ist das vielleicht ein Zeichen, dass er nach vorn blickt. Er schien es nicht so schwer zu nehmen wie Tripp, aber er war auch nicht so abhängig von Bea wie Tripp von Blanche. Ich schwöre, der Junge konnte nicht mal ins Bad gehen, ohne Blanche vorher zu fragen, ob sie das für eine gute Idee hielte. So war Eddie mit Bea nicht, aber, Himmelherrgott, er war am Boden zerstört.« Ihr dunkles Haar streicht über ihre Schulterblätter, als sie den Kopf wendet, um mich wieder anzusehen. »Er war verrückt nach ihr. Das waren wir alle.«

Ich kämpfe gegen die Bitterkeit an, die in meiner Brust aufsteigt, und denke an das Foto von Bea Rochester, das ich auf meinem Laptop hochgeladen habe. Sie war umwerfend schön, und auch Eddie sieht gut aus, besser als die meisten Ehemänner hier in der Gegend, also überrascht es nicht, dass sie ein schönes Paar abgaben.

»Ich bin mir sicher, dass es wirklich ein großer Verlust war«, sage ich.

Endlich entlässt Emily mich und die Hunde mit einer Handbewegung. »Ich bin wahrscheinlich weg, wenn Sie zurückkommen, also sperren Sie die beiden einfach in die Box in der Garage.«

Ich gehe mit Major und Colonel spazieren, und bei unserer Rückkehr ist Emilys SUV tatsächlich weg. Die kleinen flauschigen Hunde zittern vor Aufregung am ganzen Leib, als ich sie in die Box setze. Major und Colonel sind die kleinsten Hunde, mit denen ich Gassi gehe, und die, denen der Auslauf am wenigsten Freude zu machen scheint.

»Ich weiß, wie ihr euch fühlt, Kumpels«, erkläre ich ihnen, während ich den Riegel vorschiebe und zusehe, wie Major auf ein Hundebettchen sinkt, das mehr gekostet hat, als ich in zwei Wochen verdiene.

Weswegen ich auch nicht die geringsten Schuldgefühle habe, als ich die Hundemarke aus Sterlingsilber von seinem Halsband löse und einstecke.

5

»Du bist spät dran mit der Miete.«

Etwas genervt blicke ich von meinem Platz auf dem Sofa auf. Ich bin gerade mal zehn Minuten zu Hause und hatte gehofft, heute Nachmittag nicht auf John zu treffen. Er ist Büroangestellter einer Kirche in der Nähe und arbeitet für das Youth Music Ministry, was auch immer das genau heißt – ich war noch nie eine große Kirchgängerin –, und seine Arbeitszeiten sind nie so regelmäßig, wie ich es gern hätte. Leider ist es wahrlich nicht das erste Mal, dass ich nach Hause komme, und er steht in der Küche, die Hüfte an die Arbeitsplatte gelehnt, und hat einen von meinen Joghurts in der Hand.

Er isst immer meine Sachen, egal wie oft ich meinen Namen draufschreibe oder wo ich sie in der zugegeben winzigen Küche verstecke. Es ist, als würde nichts in dieser Wohnung mir gehören, weil es zuerst Johns Wohnung war und er mich hier wohnen lässt. Er öffnet meine Schlafzimmertür, ohne anzuklopfen, er benutzt mein Shampoo, er isst meine Sachen, er »borgt« sich meinen Laptop. Er ist mager und klein, eigentlich nur ein Hänfling von einem Mann, aber manchmal fühlt es sich so an, als würde er sämtlichen Raum in unserer gemeinsamen 65-Quadratmeter-Wohnung aufsaugen.

Ein weiterer Grund, warum ich hier raus will.

Bei John zu wohnen sollte von Anfang an nur eine Übergangslösung sein. Es war riskant, zu jemandem zu ziehen, der meine Vergangenheit kennt, doch ich dachte mir, ich könnte hier für einen Monat, vielleicht sechs Wochen, unterkommen, während ich mir überlegte, wie es weitergehen sollte.

Aber das ist jetzt sechs Monate her, und ich bin immer noch hier.

Ich nehme die Füße vom Couchtisch, stehe auf, schiebe die Hand in meine Tasche und ziehe das Bündel Zwanziger heraus, das ich nach meinem Besuch beim Pfandleiher heute Nachmittag dort hineingesteckt habe.

Nicht immer entledige ich mich der Sachen, die ich nehme. Schließlich geht es mir nicht um das Geld. Es freut mich einfach, Beute zu haben. Und es geht um das Wissen, dass sie es nie mitkriegen, wenn etwas verschwindet. Das gibt mir das Gefühl, ich hätte etwas gewonnen.

Doch das Hundesitten bringt noch nicht genug ein, um alles abzudecken, also habe ich Mrs. Reeds einzelnen Diamantohrring zwischen den Schätzen auf meiner Kommode rausgepflückt, und ich habe zwar nicht annähernd das bekommen, was er wert ist, aber genügend, um meine Hälfte der Miete für diese beschissene Bude zu zahlen.

Ich drücke sie John in seine freie Hand und tue so, als merkte ich nicht, dass er mit seinen Fingern über meine streichen will, um wenigstens ein paar Sekunden Körperkontakt zu haben. Mich würde er, wenn er könnte, am liebsten genauso konsumieren wie meinen Joghurt, doch wir tun beide so, als wüssten wir das nicht.

»Wie läuft es denn mit dem Hundesitten?«, fragt John, als ich mich wieder zu unserer abgewetzten Couch umwende. In seinem Mundwinkel hängt ein bisschen Joghurt, aber ich verzichte darauf, ihn darauf hinzuweisen. Wahrscheinlich klebt es den ganzen Tag dort und trocknet zu einer Kruste, bei deren Anblick es einem Mädchen im Student Baptist Center, wo John ein paar Abende die Woche ehrenamtlich aushilft, gruselt.

Ich solidarisiere mich jetzt schon mit ihr, dieser unbekannten jungen Frau, meiner Gefährtin im diffusen Ekel vor John Rivers.

Vielleicht muss ich deshalb lächeln, als ich mich wieder setze und die uralte afghanische Decke unter mir rausziehe. »Super, ehrlich gesagt. Ich habe ein paar neue Kunden, also habe ich alle Hände voll zu tun.«

Johns Löffel kratzt über den Plastik des Joghurtbechers – meines Joghurtbechers –, und er beobachtet mich. Sein dunkles Haar hängt ihm schlapp über ein Auge.

»Kunden«, schnaubt er. »Du klingst wie eine Nutte.«

Nur John kommt auf die Idee, eine Frau für so etwas Harmloses wie Hundesitten beschämen zu wollen, doch ich lasse es an mir abprallen. Wenn die Dinge weiter so gut laufen wie im Moment, muss ich bald nicht mehr hier bei ihm wohnen. Dann habe ich bald mein eigenes Zuhause mit meinen eigenen Sachen und meinem eigenen verdammten Joghurt, den ich tatsächlich auch selbst essen darf.

»Vielleicht bin ich ja auch eine«, erwidere ich und nehme die Fernbedienung vom Couchtisch. »Vielleicht arbeite ich ja als Nutte und erzähle dir bloß, ich würde Hunde spazieren führen.«

Ich wende mich auf dem Sofa um, um ihn anzusehen.

Er steht immer noch am Kühlschrank, doch sein Kopf hängt jetzt noch tiefer, während er mich argwöhnisch mustert.

Das weckt in mir den Wunsch, noch eine Schippe draufzulegen, was ich dann auch mache.

»Das Geld in deiner Tasche könnte von einem Blowjob stammen, John. Was würden die Baptisten davon halten?«

John zuckt vor meinen Worten zurück, seine Hand bewegt sich in Richtung Tasche, entweder um das Geld zu berühren oder um den Ständer zu verbergen, den er wahrscheinlich bekommen hat, als ich Blowjob gesagt habe.

Eddie würde bei so einem Witz nicht zusammenzucken, denke ich plötzlich.

Eddie würde lachen. Seine Augen würden sich verändern, würden noch intensiver blau erscheinen, nur weil ich ihn überrascht habe.

Wie in dem Moment, als mir die Bücher aufgefallen sind.

»Du solltest mit mir in die Kirche kommen«, sagt er. »Du könntest mich heute Nachmittag begleiten.«

»Du arbeitest im Büro«, entgegne ich, »und nicht in der Kirche. Ich wüsste nicht, was es mir nützen sollte, dir dabei zuzusehen, wie du alte Newsletter abheftest.«

Normalerweise bin ich nicht so offen unverschämt zu ihm, denn mir ist klar, dass er mich jederzeit rausschmeißen könnte, schließlich ist es seine Wohnung, aber irgendwie kann ich mich nicht bremsen. Es hat etwas mit diesem Tag in Eddies Küche zu tun. Ich habe so oft neu angefangen, dass ich mitkriege, wenn etwas einrastet, und ich denke – ich weiß –, dass meine Zeit in dieser beschissenen Bude mit diesem beschissenen Typ zu Ende geht.

»Du bist ein Miststück, Jane«, murmelt John mürrisch, doch er wirft den leeren Joghurtbecher weg, nimmt seinen Kram und schleicht ohne ein weiteres Wort zur Tür hinaus.

Sobald er weg ist, durchforste ich sämtliche Schränke nach etwas Essbarem, was er mir nicht weggegessen hat. Zum Glück sind noch zwei Becher Käsemakkaroni da, und ich mache beide in der Mikrowelle warm und kippe sie in eine Schale, bevor ich mich mit meinem Laptop hinhocke und meine Recherche über Bea Rochester aufrufe.

Bei den Artikeln über ihren Tod halte ich mich nicht lange auf. Ich habe den Klatsch gehört, und ehrlich gesagt kommt es mir ziemlich banal vor – zwei Frauen haben sich in ihrem schicken Haus am See bis über alle Maßen betrunken, sind in ihr schickes Boot gestiegen und haben einen äußerst schicken Tod gefunden. Traurig, aber nicht unbedingt eine Tragödie.

Nein, was ich über Bea Rochester wissen will, ist, was sie für ein Leben führte. Wie es kam, dass ein Mann wie Eddie sie wollte. Wer war sie, wie könnte ihre Beziehung ausgesehen haben?

Als Erstes rufe ich die Webseite ihrer Firma auf.

Southern Manors.

»Eines der fünfhundert umsatzstärksten Unternehmen der USA – wow«, murmele ich und spieße mit der Gabel eine Makkaroni auf.

Auf der ersten Seite ist ein Nachruf, und mein Blick wandert umgehend nach unten, um zu sehen, ob Eddie ihn geschrieben hat.

Hat er nicht. Darunter steht ein anderer Name, Susan, anscheinend Beas Stellvertreterin. Er enthält das übliche Zeug, das man erwartet, wenn eine Firmengründerin plötzlich gestorben ist. Wie traurig sie sind, was für ein Verlust, dass die Firma weitermachen wird, ihr Vermächtnis aufpolieren wird und so weiter und so fort.

Ich frage mich, was für ein Vermächtnis das sein soll, überteuerten kitschigen Mist zu verkaufen.

Ich klicke mich von einer Seite zur nächsten und betrachte teure Einmachgläser und Pullover für fünfhundert Dollar, die in der linken Ecke diskret mit HEY, Y’ALL! bestickt sind, silberne Salatbestecke mit Griffen in Form von Bienen.

Es gibt so viel Vichy-Karo, dass alles fast schon wieder gleich aussieht, doch ich kann einfach nicht aufhören und klicke von einem Objekt zum nächsten.

Hundeleinen mit Monogramm.

Gießkannen aus Zinn mit Hammerschlagdekor.

Eine riesige Glasschüssel in der Form eines Apfels, von dem gerade jemand abgebissen hat.

Nur teurer, aber nutzloser Mist, Zeug, wie es auf den Geschenketischen sämtlicher High-Society-Hochzeiten in Birmingham steht. Endlich schließe ich die Orgie aus teurem Kitsch und gehe zurück zur Hauptseite, um mir noch einmal Bea Rochesters Bild anzusehen.

Sie steht vor einem Esstisch aus warmem, abgenutztem Holz. Obwohl ich noch nie in dem Esszimmer der Rochesters war, weiß ich sofort, dass es ihr Haus ist und dass ich, wenn ich mich ein wenig dort umsehen würde, auf diesen Raum stoßen würde. Er hat dasselbe Ambiente wie das Wohnzimmer – nichts passt hundertprozentig zusammen, doch irgendwie harmoniert es, von den blumengemusterten Sitzbezügen aus Samt der acht Stühle bis hin zu dem Tafelaufsatz in Orange und Türkis, der sich von den auberginefarbenen Vorhängen abhebt.

Auch Bea hebt sich ab; ihre dunklen Haare schwingen in einem schimmernden, etwas längeren Bob knapp über ihre Schultern. Die Arme vor der Brust verschränkt und den Kopf leicht zu einer Seite geneigt, lächelt sie in die Kamera, und ihr Lippenstift hat den schönsten Rotton, den ich je gesehen habe.

Sie trägt einen marineblauen Pullover, einen dünnen Goldreif am Handgelenk und einen Bleistiftrock aus marineblau-weißem Vichy-Karo, der süß und sexy zugleich ist. Ich hasse sie fast vom ersten Augenblick an.

Und ich will alles über sie wissen.

Während ich also weitersuche, stocken die Makkaroni in der Schale auf Johns verkratztem und mit Wasserkränzen übersätem Couchtisch. Meine Finger fliegen über die Tasten, und ich fülle Augen und Hirn mit Bea Rochester.

Doch es gibt nicht so viel, wie ich mir wünschen würde. Sie war nicht wirklich berühmt. Den Leuten scheint was an der Firma zu liegen, an dem Zeug, das sie kaufen können, wohingegen Bea sich vom Rampenlicht fernzuhalten scheint.

Ich finde nur ein einziges Interview – natürlich bei Southern Living, welch eine Überraschung. Auf dem Foto zu dem Beitrag sitzt Bea an einem anderen Esstisch – jetzt aber mal ehrlich: Hat diese Frau auch in anderen Zimmern im Haus gelebt? –, und diesmal trägt sie Gelb, neben ihrem Ellbogen steht eine Kristallschale mit Zitronen, und sie hält wie zufällig einen emaillierten Kaffeebecher mit aufgedruckten Gänseblümchen in der Hand.

Der Steckbrief ist eine einzige Lobeshymne. Bea ist in Alabama aufgewachsen, einer ihrer Vorfahren war im 19. Jahrhundert Senator, und sie hatten ein prächtiges Haus in einem Ort namens Calera, das vor ein paar Jahren abgebrannt ist. Ihre Mutter ist leider gestorben, kurz nachdem Bea Southern Manors gegründet hatte, und sie »tat alles zum Gedenken an sie«.

Die Einzelheiten überfliege ich nur – den Abschluss am Randolph-Macon College, den Aufbau ihrer Firma, die Rückkehr nach Birmingham –, bis ich schließlich bei Eddies Namen hängen bleibe.

Vor drei Jahren lernte Bea Mason im Urlaub auf Hawaii Edward Rochester kennen. »Ich war definitiv nicht auf der Suche nach einer Beziehung«, sagt sie lachend. »Ich wollte nur eine kleine Auszeit, es mir gut gehen lassen und in Ruhe ein paar Bücher lesen. Aber als Eddie aufkreuzte …« Ihre Stimme verliert sich, und sie schüttelt leicht den Kopf, während ihre Wangen sich röten. »Die ganze Sache war wie ein Wirbelsturm, allerdings sage ich immer, Eddie zu heiraten war die einzige impulsive Entscheidung, die ich je getroffen habe. Glücklicherweise war es auch die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.«

Seufzend richte ich mich vor meinem Laptop auf, mein Rücken protestiert, und meine Beine sind ein wenig taub, weil ich sie so lange untergeschlagen hatte. Die Decke auf meinen Oberschenkeln riecht nach billigem Waschmittel, und ich schiebe sie naserümpfend weg.

Hawaii.

Warum macht es das aus irgendeinem Grund schlimmer? Warum wollte ich, dass sie sich in einer Kirche, einem Country Club oder an einem der anderen unzähligen langweiligen Orte hier in der Gegend kennengelernt hatten?

Weil ich nicht wollte, dass es etwas Besonderes war, denke ich. Ich wollte nicht, dass sie etwas Besonderes war.

Doch das war sie. Schön und klug und dann auch noch Multimillionärin. Eine Frau, die ganz allein etwas aufgebaut hatte, selbst wenn sie aus einer wohlhabenden Familie stammte, was es ihr natürlich sehr viel leichter machte, Erfolg zu haben, als jemanden wie mir.

Ich starre noch eine Weile auf das Foto und frage mich, wie ihre Stimme wohl geklungen hat, wie groß sie war, wie Eddie und sie zusammen ausgesehen haben.

Umwerfend, so viel ist klar. Heiß. Aber haben sie sich angelächelt? Haben sie sich oft berührt, sein Arm um ihre Taille, ihre Hand auf seiner Schulter? Gab es heimliche Zärtlichkeiten, Hände, die sich unter dem Tisch berührten, heimliche Signale, deren Bedeutung nur sie kannten?

Ganz bestimmt. So war das in einer Ehe, auch wenn die meisten Ehen, in die ich Einblick habe, die Mühe nicht zu lohnen schienen.

Bea Rochester war also perfekt gewesen. Die perfekte Multimillionärin, die perfekte Frau, die perfekte Ehefrau. Wahrscheinlich hatte sie noch nie etwas von Käsemakkaroni gehört oder einen Fuß in ein Pfandhaus gesetzt.

Doch in einem Punkt hatte ich die Nase vorn. Ich lebte noch.

6

Eddie ist nicht da, als ich Adele am nächsten Morgen zum Spaziergang abhole. Sein Auto steht nicht in der Garage, und ich rede mir gut zu, nicht enttäuscht zu sein, während ich den Welpen aus dem Garten hinter dem Haus hole, um mit ihm loszuziehen.