ROYALS - Herzensprinzessin - Rachel Hawkins - E-Book

ROYALS - Herzensprinzessin E-Book

Rachel Hawkins

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Beschreibung

Mädchen mit Charme sucht Herzensprinzessin...

Als Millie Quint herausfindet, dass ihre Freundin fremdgeht, ist sie am Boden zerstört. Kurzentschlossen nimmt sie den Platz an einer Eliteschule in Schottland an. Grüne Felder, ein efeubedecktes Schulgebäude und Mitschüler, die ihre amerikanische Art süß finden, machen ihr den Einstieg leicht. Nur ihre Zimmernachbarin führt sich auf wie eine Prinzessin. Was damit zu tun haben könnte, dass sie wirklich eine ist. Millie und Prinzessin Flora von Schottland können sich anfangs nicht ausstehen. Doch dann werden sie beste Freundinnen. Und mehr. Kann Millie ihrem Glück trauen? Oder gibt es ein Happy End nur im Märchen?

Alle Bände der „Royals“-Reihe:
ROYALS – Prinz Charming gesucht (Band 01)
ROYALS – Herzensprinzessin (Band 02)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Rachel Hawkins

Herzensprinzessin

Aus dem amerikanischen Englisch

von Claudia Max

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Copyright © 2019 by Rachel Hawkins

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Her Royal Highness« bei G.P. Putnam’s and Sons, an imprint of Penguin Random House LLC, New York.

© 2020 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem amerikanischen Englisch von Claudia Max

Lektorat: Friederike Zeininger

Umschlaggestaltung: Suse Kopp, Hamburg

Umschlagmotive: plainpicture/Millennium/Richard Heeps

he · Herstellung: LR

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23089-0V001

www.cbj-verlag.de

Für Jules

Gregorstoun ist zwar die Nummer vier auf unserer Liste, doch was Internate in Schottland anbelangt, ist es die ungeschlagene Nummer eins. Für das schottische Königshaus und den Adel ist das düstere Gemäuer in den Highlands seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert die bevorzugte Wahl für den Schulabschluss, allerdings fehlt dem Ort der Glanz der anderen Schulen, was womöglich an seiner Abgelegenheit liegt. Vielleicht hält aber auch der Ruf von Strenge und Kargheit manch illustren Namen ab. Die von zweihundert Morgen Land umgebene Schule war einst der Vorzeigewohnsitz der Familie McGregor, daher auch der Name. Und es stimmt, die Schüler von Gregorstoun müssen früh aufstehen und sich auf ein herausforderndes Training in den eisigen Highlandwintern einstellen, außerdem auf einen extrem strapaziösen Outdoor-Wettkampf, der unter dem Namen »The Challenge« bekannt ist, aber sie tun es in einer der atemberaubendsten Landschaften Schottlands und in Gesellschaft seiner berühmtesten Einwohner – Prinz Alexander machte seinen Abschluss 2009, sein Bruder Sebastian besucht das Internat zurzeit noch. Nächstes Jahr werden auch Mädchen aufgenommen werden und die Schule wird die erste weibliche Klasse in ihrer hundertjährigen Geschichte willkommen heißen.

(»Die besten Internate, um sich einen Spross des Königshauses zu angeln« aus Prattle)

Kapitel 1

»Auf dem hier ist ein Einhorn.«

Ich grinse und nehme Jude den Umschlag aus den Händen, dann lasse ich mich in das Nest aus Schlafsäcken und Kissen zurücksinken, das wir uns in dem kleinen orangefarbenen Zelt im Garten gebaut haben. Vor ungefähr einer Stunde ist die Sonne untergegangen, die Coleman-Laterne an der Zeltdecke ist die einzige Lichtquelle. Im Garten gezeltet haben wir das letzte Mal in der Fünften, aber in einem Anfall von sommerlicher Langeweile dachten wir uns, ein Zelt aufzuschlagen, könnte ganz lustig sein.

»Dann verstehst du ja jetzt, warum ich auf diese Schule gehen wollte«, sage ich, während ich den Brief wieder in den Umschlag stecke. »Ein Ort, der bei offizieller Korrespondenz Einhörner verwendet, kann einfach nur gut für mich sein.«

»Unbedingt«, sagt Jude und lässt sich ebenfalls auf die Schlafsäcke zurücksinken. Als die leuchtend türkis gefärbten Spitzen ihrer langen blonden Haare über meinen Arm streifen, beschleunigt mein Puls und in meinem Magen flattert ein ganzes Geschwader von Schmetterlingen los.

Jude stützt sich auf die Ellenbogen und sieht mich an, die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken sind im Laternenlicht deutlich zu sehen. »Und du wurdest aufgenommen!«

Ich nicke und blicke noch einmal auf den Umschlag von Gregorstoun, diesem Nobelinternat in den schottischen Highlands. Am liebsten würde ich den Brief herausziehen und noch einmal den Anfang zu lesen.

Sehr geehrte Miss Amelia Quint,

es freut uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir Ihnen einen Platz in Gregorstoun anbieten …

Der Brief steckt seit über einem Monat in meiner Tasche. Nicht mal meinem Vater habe ich davon erzählt. Es war eigentlich nicht mein Plan, mit Jude darüber zu reden, doch sie hat den Umschlag auf der Suche nach Lippenbalsam entdeckt.

»Und warum gehst du dann nicht?«, will sie wissen. Ich verstaue den Brief mit einem Achselzucken wieder in der Vordertasche der abgewetzten Segeltuchtasche, die ich überallhin mitschleppe. Eine leichte Brise lässt das Nylon des Zeltes flattern und weht den Duft einer texanischen Sommernacht herein – nach frisch gemähtem Gras und dem Rauchgeruch eines Grills.

»Millie, du redest seit ungefähr einem Jahr von dieser Schule«, bohrt Jude und knufft mich mit der freien Hand. »Und jetzt wurdest du aufgenommen und willst nicht hingehen?«

Erneutes Achselzucken meinerseits, während ich an meinen Ponyfransen herumzupfe. »Es ist megateuer«, erkläre ich ihr, was der Wahrheit entspricht. »Ich müsste finanzielle Unterstützung beantragen. Außerdem ist das Internat ziemlich weit weg.« Auch das stimmt, es hat mich allerdings nicht davon abgehalten, das gesamte letzte Jahr davon zu träumen. Gregorstoun liegt in den schottischen Highlands und ist von Bergen und Seen – sorry, lochs – umgeben und sämtlichen coolen Gesteinsproben, von denen ein Geologiefreak wie ich nur träumen kann.

Aber letztes Jahr lagen die Dinge mit Jude anders.

Wir sind befreundet, seit wir neun sind, aber mit dreizehn wurde mir klar, dass ich in Jude verknallt bin und dasselbe für sie empfand wie für Lance McHenry von Boys of Summer (damals stand jeder auf diese Band, es war nicht so peinlich, wie es jetzt klingt).

Allerdings hatte meine Verknalltheit für Jude ungefähr so viele Chancen auf Erwiderung wie die Flamme, die für den verwuschelten Boyband-Typen in mir brannte.

Zumindest dachte ich das.

Gerade rutscht sie auf dem mit Gänseblümchen bedruckten Schlafsack näher. Sie hat ihn seit dem Zelttrip in der Fünften, aber im Gegensatz zu mir kann Jude Camping nicht viel abgewinnen.

Als sie mit den Fingern über meinen Arm fährt, kratzen ihre Nägel leicht auf meiner Haut, mein Atem wird unregelmäßig und ich habe mit einem Mal Gänsehaut. Jeder ihrer Fingernägel ist in einem anderen Lilaton lackiert, der Daumen in blassem Lavendel, ihr kleiner Finger in einem so dunklen Violett, dass es fast schwarz aussieht. Hier im Zelt, mit der Sommernacht rings um uns, könnten wir die einzigen Menschen auf der Welt sein.

»Du lässt das nicht meinetwegen sausen, oder?«, fragt sie, was mein Herz einen kleinen Salto schlagen lässt. Dieses … Ding zwischen Jude und mir läuft seit Anfang des Sommers, aber ich habe mich noch nicht daran gewöhnt. Mit ihr zusammen zu sein, fühlt sich nach wie vor wie eine Achterbahnfahrt an, ich habe Herzklopfen und bin nervös.

»Wie?« Ich versuche zu lachen, aber da ich die miserabelste Lügnerin der Welt bin, kommt das Wort als Krächzen heraus.

Jude ist jetzt richtig nahe, so nahe, dass unsere Knie aneinanderstoßen.

»Es ist in Ordnung, wenn du zugibst, dass du nicht ohne mich sein kannst«, zieht sie mich auf, und ich will sie schubsen, doch sie hält mein Handgelenk fest und zieht mich für einen Kuss näher.

Ihre Lippen schmecken nach meinem Kirsch-Vanille-Lippenbalsam, und als sie mich küsst, existieren nur noch Jude und ihr Mund und wie sie mir die Haare hinters Ohr streicht.

Als wir uns voneinander lösen, lächelt sie mich mit rosigen Wangen an, unsere Beine sind ineinander verschlungen. »Ich gehe nicht, weil es zu teuer ist«, erkläre ich ihr. »Wie ich schon sagte.«

»Du würdest ein Stipendium bekommen«, widerspricht sie. »Du bist so ziemlich die klügste Person an unserer Schule.«

»Das hat nicht viel zu bedeuten.«

Meine Highschool ist nicht schlecht oder so, aber riesengroß, und manchmal habe ich in meinen Kursen vor allem das Gefühl, Menschenmengen meistern zu müssen. Es war einer der Gründe, warum ich mich nach weit entfernten Schulen umgesehen habe.

Weitere Gründe sind, dass mich mein Vater mit zehn in den Film Merida – Legende der Highlands mitgenommen hat. Und dass Geologie, mein Lieblingsfach, quasi in Schottland erfunden wurde. Dazu kommt dieses Gefühl, als ich mir Bilder von den gewaltigen felsigen Hügeln angesehen habe, die mit all dem Grün ringsum an etwas aus einem Märchen erinnern. Da war diese eine Halbinsel namens Applecross, die ich –

Okay, nein. Schluss mit solchen Gedanken. Meine Entscheidung steht: ich werde hierbleiben, obwohl ich aufgenommen wurde. Nach Schottland abzuhauen wäre doch verrückt, oder? Das tut doch niemand. Ich werde mein Abschlussjahr an der Pecos völlig zufrieden mit Jude und unseren anderen Freunden Darcy und Lee verbringen. Es gibt massenhaft tolle Colleges hier in Texas, auf die ich gehen kann, und irgendein schickes Internat in Schottland wird auch nicht mehr zählen als meine krassen Noten beim College-Leistungstest und mein super Notendurchschnitt. Es wird alles gut.

Doch Jude mustert mich immer noch mit diesem merkwürdigen Gesichtsausdruck und den drei kleinen Falten über ihrer Nase.

»Ich meine es ernst, Millie«, sagt sie. »Wenn es meinetwegen oder unseretwegen ist …«

Sie seufzt, ihr Atem ist warm auf meinem Gesicht und riecht vertraut nach Zitrus-Mint-Kaugummi.

»Ist es nicht«, erkläre ich ihr noch einmal und zupfe einen Faden aus meinem karierten Schlafsack. »Außerdem sind wir ja nicht mal wirklich ein Wir. Also sind wir natürlich im Sinne von, ich bin eine Person und du bist eine Person, und zusammen macht das zwei Personen, was bedeutet, dass die allgemeine grammatikalische Definition von ›wir‹ theoretisch erfüllt ist, aber –«

Sie hält mir den Mund zu und lacht. »Nicht nervös rumplappern, Millie.« Ich gebe ein ersticktes »Sorry« von mir und nicke. Wenn ich nervös bin, passiert es mir manchmal, dass die Wörter einfach komisch herauspurzeln, allerdings nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge, und die Hälfte der Zeit auch nicht die Wörter, die ich eigentlich sagen wollte. Aber da ist sie wieder mal, die Flut von Wörtern zwischen Jude und mir.

Als Jude die Hand zurückzieht, kehren die Falten zurück. »Wir sind sehr wohl ein Wir«, sagt sie und nimmt meine Hand. »Vielleicht weiß niemand davon, aber ich für meinen Teil, ich fühle mich wir-mäßig.«

Mit heißen Wangen erwidere ich den Druck ihrer Finger. »Total wir-mäßig.«

Jude fängt an, an meinen Haarspitzen herumzuspielen. »So wir-mäßig, wie ich mich je mit jemandem gefühlt habe.«

»Wir-mäßiger als mit Mason?«

Die Worte rutschen heraus, bevor ich richtig über sie nachdenken kann, aber ich wünsche mir auf der Stelle, ich könnte sie zurücknehmen. Mason ist Judes Ex, der Junge, mit dem sie seit der Neunten zusammen war. Sie haben sich im Frühjahr getrennt. Kurz bevor es mit Jude und mir anfing. Seit letzten Monat, als wir nach unserem ersten Kuss in ihrem Zimmer auf dem Boden saßen, haben wir nicht mehr über Mason geredet. Das war nicht weiter schwer, weil er für einen Teil des Sommers in einem Fußball-Camp oder so was ist, aber manchmal frage ich mich, wie es sein wird, wenn er zurückkommt. Ich bin zwar bis über beide Ohren in seine Freundin verknallt, aber ich habe Mason nämlich immer gemocht. Seine Abwesenheit hat natürlich alles zwischen Jude und mir einfacher gemacht.

Jude betrachtet die Zeltdecke. »Waren wir nicht sogar schon eine Art Wir, als Mason noch hier war?«

Sie dreht sich auf die Seite, um mich anzusehen, und ich merke, wie meine Wangen wieder zu glühen anfangen, denn ja, das waren wir tatsächlich. Es gab keine Küsse oder die anderen netten Sachen, aber sie war eindeutig der Mensch, den ich am liebsten um mich hatte.

»Vielleicht«, räume ich ein, und sie grinst, bevor sie einen Arm um meine Taille schlingt.

Als Jude mich noch einmal küsst, verschwinden sämtliche Gedanken an Mason, Schottland und Nobelschulen mit Einhornwappen in der warmen Sommerluft.

Kapitel 2

»Mason ist wieder da.«

Wir sind bei Darcy im Spielzimmer, ich sitze mit dem Xbox-Controller in der Hand auf dem Boden und lehne mich gegen die Couch.

Auf dem Riesenfernseher vor mir packt ein Drache meinen Avatar, Lady Lucinda, am Kopf und schüttelt sie so brutal, dass der Körper vom Bildschirm fliegt.

Na toll.

Als der Bildschirm weiß wird, lege ich den Controller seufzend auf meinen Bauch. »Das war mein letztes Leben«, brumme ich und greife nach der Dose Sprite Zero neben mir. Darcy stupst mich mit dem Fuß an, ihre Zehennägel sind knalllila.

»Millie, hast du mich gehört?«

Neben mir setzt sich Lee auf, er nimmt den Controller und fängt ein neues Spiel an. »Sie hat dich gehört, Darce. Aber es ist ihr egal.«

»Es ist mir überhaupt nicht egal«, widerspreche ich, »ich mag Mason, und es ist schön, dass er zurück ist. Aber es hat nichts mit mir zu tun.«

Darcy kreuzt die Beine und mustert mich über den Rand ihrer Brille. Sie ist neu, der giftgrüne Rahmen leuchtet um ihre dunklen Augen. »Millie«, sagt sie und ich rolle unbehaglich die Schultern.

»Sie haben Schluss gemacht«, erinnere ich sie und richte mich ebenfalls auf. »Vorbei. Und Jude und ich sind –«

»Ein Sommerflirt, der dir das Herz brechen wird«, beendet Darcy meinen Satz, was ich mit einem finsteren Blick beantworte.

Seit ich ihr von Jude und mir erzählt habe, reitet Darcy darauf herum – dass Jude flatterhaft sei, dass sie ihre Meinung noch öfters ändere als ihre Haarfarbe, dass ich ja wisse, wie Jude sei.

Obwohl mir bewusst ist, dass sie es aus Sorge um mich sagt, höre ich mir das nicht gern an. Abgesehen davon liegt sie total daneben. Und ist vielleicht auch ein wenig eifersüchtig. Jude und Darcy waren vor ein paar Jahren dick befreundet, doch seit es zwischen Jude und mir enger wurde, ist Darcy ein bisschen außen vor. Unsere Viererfreundschaft ändert sich ständig.

Und nun verschieben Jude und ich die Verhältnisse offenbar noch mehr.

»Jude ist ziemlich unzuverlässig«, bestätigt Lee, während seine Hände über die Knöpfe des Controllers fliegen. Als er mich ansieht, fallen ihm die kastanienbraunen Haare über ein Auge. »Sorry, Mill, aber du weißt, dass es so ist. Es gehört zu den Punkten, die wir an ihr lieben, aber ich bezweifle, dass sie das zu einer guten Partnerin macht.«

»Du bist nicht gerade der Beziehungsexperte, Lee«, sage ich. Er schnappt mit gespielter Verärgerung nach Luft, starrt aber weiter auf das Spiel.

»Wie kannst du es wagen, Amelia Quint?« Doch dann verzieht sich sein Gesicht zu einem Grinsen. »Ja, stimmt. Aber ich bin ein Experte, was dich angeht, und möchte nicht zusehen, wie dein Herz gebrochen wird. Darcy kann zwar zickig sein, aber nüchtern betrachtet liegt sie nicht so falsch wie sonst.«

»Warum habe ich dich überhaupt eingeladen?«, brummt Darcy und nimmt einen ausgiebigen Schluck aus ihrer Limodose.

»Weil du mich liebst und meine Videospielsucht unterstützen möchtest«, unkt Lee und stößt einen Triumphschrei aus, als der Drache auf dem Bildschirm tot umfällt.

Er wirft den Controller auf den dicken Teppich und greift nach der Cheetos-Tüte, die unter dem Sofa gelandet ist. »Wozu haben wir uns die Mühe gemacht, das aufzubauen, Darce«, erklärt er ihr. »Du spielst ja überhaupt nicht.«

Darcy winkt ab. Als ich ein Cheeto von Lee nehme, passe ich auf, nicht auf den Teppich zu krümeln. Nicht, dass es Darce oder ihre Eltern interessieren würde.

Ihr Vater arbeitet für irgendeinen Ölkonzern in Houston, und ihre Familie hat entschieden mehr Geld als meine oder Lees. Es war nie ein Thema, aber die schönen Böden und der Riesenfernseher und dass Darce neben ihrem Zimmer ihr eigenes Badezimmer hat, entgehen mir trotzdem nicht.

Sie mustert mich mit leicht zusammengekniffenen Augen. »Jude meinte, du wärst an dieser Nobelschule in Schottland angenommen worden.«

»Was?« Lee fallen ein paar leuchtend orangefarbene Krümel aus dem Mund. Rasch hält er die Hand davor. Ich schaue nervös von einem zum anderen.

»Das hat sie euch erzählt?«, frage ich.

Darcy schnappt sich die Cheetos-Tüte. »Ja«, erklärt sie mir. »Gehst du ihretwegen nicht?«

Ich nehme meine Limo wieder in die Hand, um irgendwas zu tun zu haben, nicht etwa, weil ich durstig bin. »Nein«, sage ich schließlich. »Ich gehe nicht, weil die Schule zu teuer ist.«

Lees Antwort besteht in einem Schnauben. »Logo, ist ja auch total unwahrscheinlich, dass du ein Stipendium bekommen würdest, oh Lady Superschlau.«

»Genau«, stimmt Darcy zu, aber ich reagiere bloß mit einem Schulterzucken. Es nervt mich, dass Jude es erwähnt hat, obwohl ich selbst niemandem davon erzählt habe.

Doch ich sage bloß: »Vermutlich ist es auch schon zu spät, um finanzielle Unterstützung zu beantragen. Und die Bewerbung war sowieso eine schwachsinnige Idee. Ich wollte bloß … mal sehen, ob ich es schaffen würde. Eigentlich wollte ich gar nicht wirklich hin.«

»Das ist der größte Quatsch, den ich je gehört habe, Mill«, sagt Lee und wackelt mit den Zehen in meine Richtung. »Du redest seit einem Jahr von nichts anderem als Schottland.«

»Und in den Winterferien haben wir uns mindestens dreimal Merida angesehen«, fügt Darcy hinzu, was ich in beiden Fällen mit einem hoffentlich strengen bösen Blick quittiere.

»Ein Mädchen wird ja wohl seine Meinung ändern dürfen.« Die beiden sehen sich vielsagend an.

»Ich sag ja bloß«, erwidert Darcy schließlich, bevor sie den Controller vom Boden aufhebt und die Xbox ausschaltet, »dass du wegen Jude keine so großartige Gelegenheit ausschlagen solltest.«

»Ich tue es nicht für sie«, sage ich bockig, aber da sind wieder diese Blicke zwischen Darcy und Lee. Ich nehme kurzerhand den Controller und schalte das Spiel erneut ein. Ich muss erst in zwei Stunden nach Hause, und, verdammt, ich werde diesen Drachen töten.

»Es geht nicht um Jude, und selbst wenn es so wäre, wen juckt’s? Dass Mason zurück ist, ändert überhaupt nichts.«

Kapitel 3

»Für diesen Mann würde ich auf Toiletten mit Wasserspülung verzichten.«

Ich blicke von meinem Telefon zu dem Fernseher, auf den meine Tante Vi gerade deutet, genauer gesagt zu dem sehr heißen Typen im Kilt, auf den sie zeigt.

Es ist mein dritter Tag bei Tante Vi, an dem wir kalorienarme Diätkekse essen und eine Show namens The Seas of Time anschauen, bei der eine Frau in der Zeit zurückreist und sich in einen heißen Highlander verliebt. Die Show hat mich letztes Jahr während meines Schottlandfiebers angefixt. Da Tante Vi die letzte Trennung (von Kyle, dem Barkeeper) ziemlich mitnimmt, habe ich die DVDs zur moralischen Unterstützung mitgebracht, deshalb sexy Zeitreisenfilm und Kekse.

Ich runzle die Stirn und betrachte den Typen auf der Leinwand. »Ich finde Callum toll«, sage ich schließlich. »Vor allem seine Haare. Aber ich glaube, Toiletten mit Wasserspülung finde ich – vielleicht – doch besser?«

Vi seufzt aus ihrer Sofaecke. Sie hat heute geduscht, was schon mal ein Fortschritt ist, und ihre dunklen Haare sind zu einem unordentlichen Dutt zusammengedreht. »Dir fehlt jeder Sinn für Romantik, Amelia«, stellt sie fest, während ich einmal mehr den Impuls unterdrücke, auf mein Telefon zu schauen.

Es ist zwei Wochen her, seit ich Jude das letzte Mal gesehen habe, zwei Wochen, seit den Küssen im Zelt. Eigentlich sollte sie von dem Besuch bei ihrer Nana schon vor drei Tagen zurückgekommen sein. Ich habe auf eine Nachricht gewartet, aber bisher kam keine.

Es ist schwierig, mir einzureden, die Rückkehr von Judes Ex und ihre plötzliche Funkstille hätten nichts miteinander zu tun, aber ich versuche es. Soll Darcy sagen, was sie will.

Ich weiß, was Jude und ich haben, und es ist nicht bloß eine »Ablenkung« oder so. Es ist echt. Es ist ein Wir, wie Jude sagte …

Vom Tisch kommt ein Surren, ich schnappe mir das Telefon und lasse mich wieder in Tante Vis unbequemen, aber extrem stylishen weißen Ledersessel zurückfallen.

Ich habe eine Nachricht, allerdings von Lee, der nachfragt, ob Jude sich schon gemeldet hat.

Nein, schreibe ich zurück, im Hintergrund Dudelsack und schweres Atmen. Aber sie ist immer noch bei ihrer Nana?

Wieder ein Surren, dann kommt eine Reihe von :(:(:(.

Danke für die positiven Vibes, schreibe ich stirnrunzelnd zurück.

Das Handy surrt erneut, doch dieses Mal ignoriere ich es und konzentriere mich auf den Film, in dem sich Callum und Helena gerade hinlegen, zum Glück zugedeckt.

»Alles gut, Millie?«, fragt Vi, ich nicke und ringe mir ein Lächeln ab.

»Jaa, es ist bloß … weißt du, ich mache mir Sorgen wegen Callum und Helena. Bald taucht dieser britische Typ, Lord Harley, auf, und macht Stress.«

Vi wirft mir einen Blick zu und schiebt eine Locke hinters Ohr. Sie ist die jüngere Schwester meines Vaters und kam auf die Welt, als er bereits auf die Highschool ging, insoweit ist sie eher eine große Schwester für mich als eine Tante. Manchmal probiert sie allerdings auch das Mutterding aus, und ich kann mir schon denken, was gleich kommt.

»Du wirkst aber nicht, als sei alles gut.« Sie dreht sich auf der Couch und sieht mich an. »Ist es was mit der Schule?«

»Es sind Sommerferien, Vi«, erinnere ich sie. »Nein, mit der Schule ist so weit alles okay. Schule läuft immer gut bei mir, das weißt du ja.«

Sie verzieht das Gesicht. In diesem Moment sieht sie mir schrecklich ähnlich. »Ich habe keine Ahnung, woher du dein Nerd-Gen hast«, sagt sie, »aber es ist ziemlich ausgeprägt.«

Ich zucke die Achseln. »Vielleicht von Mom?«

Vis Gesicht fällt augenblicklich zu einem mitfühlenden Stirnrunzeln zusammen. »Natürlich«, sagt sie. »Deine Mutter war extrem klug. Viel zu klug, um jemanden wie meinen Bruder zu heiraten, fand ich damals. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.«

Ich antworte mit einem Lächeln, ich möchte nicht, dass sie sich komisch fühlt, was häufig passiert, wenn man einen toten Elternteil erwähnt. Selbst bei Verwandten. Ich schlage also einen leichteren Ton an und lege die Beine übereinander und sage: »Außerdem ist gut in der Schule zu sein gleichbedeutend mit Stipendien, was gleichbedeutend mit Geld ist, und wie du weißt, steh ich drauf, mich durchzukämpfen.«

Vi lacht. »Wohl wahr.«

Sie drückt eines der ungefähr fünftausend Dekokissen auf ihrer Couch an die Brust, jedes in einem etwas anderen Weißton – bei ihr muss alles Ton in Ton sein. »Also nicht die Schule. Ein Junge?«

Fast schaue ich wieder auf mein Telefon, aber ich kann mich gerade noch beherrschen. »Kein Junge«, sage ich, was inhaltlich stimmt, Vis Frage allerdings nicht wirklich beantwortet.

Ich merke schon, dass sie weiterbohren will, doch dann knutschen Helena und Callum zum Glück weiter und sie ist abgelenkt.

»Ich vermisse Kyle«, seufzt sie, und okay, jaa, mehr muss ich auch nicht wissen.

Ich schiebe mein Handy in die Hosentasche und deute auf die leere Keksschachtel auf dem Beistelltisch. »Oh nein, wir haben ja keine Kekse mehr. Ich gehe neue holen.«

Sie steht nun wieder völlig im Bann des Fernsehers und deutet mit einem schwachen Nicken in Richtung Küche. »In der Himalaya-Salzschale neben der Wohnungstür liegt ein Zwanziger.«

Ich fische den Geldschein aus einem Meer von Münzen und Haargummis und stecke ihn in die Tasche meiner Shorts. Ich schaue mir die Schale nochmal genauer an, dann hebe ich sie kurz hoch und berühre sie zögernd mit der Zunge.

»Das ist ja gar kein Salz«, rufe ich ihr zu. »Sondern vermutlich nur Rosenquarz.«

»Pedantin!«, ruft sie zurück, aber ich muss lächeln, als ich die Schale wieder hinstelle und zur Tür hinausgehe.

Draußen ist es warm – richtig heiß – und der Himmel ist so strahlend blau, dass es fast wehtut. Vis Apartmentkomplex liegt in diesem neuen Viertel, das extra so gestaltet wurde, dass man sich dort wie in einer Kleinstadt vorkommt. Ein Stück den Ziegelsteinweg hinunter und man steht auf einem kleinen Platz mit einem Drugstore, ein paar Restaurants und einer Handvoll Boutiquen.

Als ich am Brunnen vorbeilaufe und mit der Hand über das schmiedeeiserne Geländer fahre, lasse ich genüsslich meine Ringe klirren. Ich glaube, mein Vater hat ein schlechtes Gewissen, dass wir diesen Sommer nicht verreisen konnten, weil meine Stiefmutter arbeiten musste und mein kleiner Bruder noch nicht mal ein Jahr alt ist, also insgesamt nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Quint-Familienurlaub. Aber ich finde es gar nicht so schlimm. So kann ich mehr für die Prüfung des AP-Kurses in Umweltwissenschaften nächstes Jahr lernen und habe außerdem Gelegenheit, Zeit mit Vi zu verbringen, die mich definitiv braucht.

Und dann ist da noch Jude.

Als ich auf die Matte vor dem Drugstore trete, öffnet sich die Tür automatisch (bloß ein Laden einer Kette, aber mit rotem Backsteineingang und gestreifter Markise, um ihn netter aussehen zu lassen, als er ist). Genau in diesem Moment vibriert mein Telefon erneut und ich ziehe es aus der Tasche.

Immer noch nicht Jude, ich verliere ein bisschen den Mut.

Kannst du noch Tampons mitbringen?, fragt Vi, und ich schreibe zurück, dass ich mich darum kümmern werde.

Im Drugstore läuft die Klimaanlage auf Hochtouren, auf meinen Armen und Beinen bildet sich Gänsehaut. Nachdem ich mir schnell die Kekse und Tampons geschnappt habe, flüchte ich mit einem erleichterten Seufzer zurück in die Sonne. Die Tüte lasse ich in der Hand baumeln.

Ich will gerade zurückgehen, als ich zwei Personen am Brunnen erspähe.

Das Mädchen sieht nicht in meine Richtung, aber diese Haare würde ich unter Tausenden erkennen.

Jude.

Als hätte mein ängstliches Warten auf eine Nachricht von ihr sie herbeigezaubert oder so.

Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass ich – hätte ich Jude per Zauberhand auftauchen lassen – Mason Coleman ganz sicher nicht dazu gezaubert hätte.

Und ganz sicher würden sie sich gerade nicht küssen.

Mein Herz pocht so laut in meiner Brust, dass es schon fast wehtut. In meinem Ohr ist ein dumpfes Rauschen.

Sie küssen sich. Jude und Mason. Küssend. Am Brunnen, jaa, voll das Klischee vermutlich, und sie küssen sich auch noch innig. Jude küsst jemanden, und zwar nicht mich. Ich bin so was von blöd.

Mein Gesicht glüht und meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich ziehe den Kopf ein und will mit Tränen in den Augen schnellstmöglich an ihnen vorbeilaufen.

Und vielleicht ist das der Grund, warum mir das ach-so-charmante altmodische Sandwich-Schild vor Y Tu Taco También erst auffällt, als ich dagegen renne und es polternd umfällt.

»Nein«, flüstere ich, vermutlich zum Universum höchstpersönlich.

Doch das Universum steht heute eindeutig nicht auf meiner Seite, ich höre Mason meinen Namen rufen.

Ich schließe die Augen und hole tief Luft, dann zähle ich bis drei, bevor ich mich umdrehe und feststelle, dass Jude und er auf mich zukommen, die Finger ineinander geschoben zieht Mason sie hinter sich her.

Natürlich hat Mason keine Ahnung, wie schräg die Situation ist. In seinen Augen sind wir alle befreundet. Schon seit der Middle School. Es sollte sich überhaupt nicht schräg anfühlen, ihn und Jude zusammen zu sehen.

Aber wenn es nach Jude ging, waren wir beide ein Wir.

Total wir-mäßig.

Aber nun scheint sie ziemlich wir-mäßig mit Mason zu sein. Wieder mal.

»Hi!«, sage ich viel zu laut und winke. Leider hängt an meiner erhobenen Hand noch immer die Drugstoretüte und der dünne Plastikgriff beschließt genau in diesem Moment, von meinem Handgelenk zu rutschen. Zwei Schachteln Bärchenkekse und ein Päckchen Tampax landen vor Malcolms Füßen.

Ich hasse … gerade so ungefähr alles an meinem Leben.

Man muss Mason zugutehalten, dass er die Kekse und die weiblichen Hygieneartikel sehr souverän einsammelt. Was alles ehrlich gesagt noch schlimmer macht. Wenn er eines der Arschlöcher wäre, die sich vor Tampons gruseln, könnte ich mich wenigstens überlegen fühlen.

Ich nehme lächelnd meine Einkäufe entgegen und stopfe sie wieder in die Plastiktüte.

»Danke. Die sind nicht für mich. Die Kekse und die … Also, ich esse Kekse und ich benutze Tampons, logo, aber ich war gerade … meine Tante …«

»Alles gut«, grinst Mason fröhlich. »Ich habe Schwestern.«

»Stimmt«, sage ich, schaue aber weiter an ihm vorbei zu Jude, die Mason zwar anlächelt, aber ich sehe die Anspannung in ihren Schultern und wie sie nervös mit ihren Fingern herumspielt.

Da ich unmöglich mit Keksen und Tampons in der Hand auf diesem Pseudo-Platz vor einer Taqueria herumheulen kann, deute ich mit dem Daumen zum nächsten Block.

»Tja, dann hoffentlich noch einen schönen Sommer. Ich werde jetzt mal … zurückgehen. Man sieht sich!«

Ich habe gerade so viel Würde bewahrt, wie man überhaupt bewahren kann, nachdem man das Mädchen, in das man verknallt ist, und den Jungen, den besagtes Mädchen einem selbst vorzieht, mehr oder weniger mit Tampons beworfen hat.

An der Ecke surrt mein Handy, und dieses Mal ist es endlich die Nachricht, auf die ich gewartet habe.

Aber Jude sagt bloß: Tut mir leid.

Ich spare mir eine Antwort und marschiere so schnell zu Vi zurück, wie meine Beine mich tragen.

Ich schließe die Tür auf, werfe die Tüte auf die Nicht-Himalaya-Salzschale und gehe ins Wohnzimmer, wo ich mich in den unbequemen Sessel fallen lasse, mein Gesicht ist noch immer knallrot, meine Augen brennen.

Auf dem Bildschirm sind Callum und Helena ausnahmsweise mal nicht am Knutschen und werden auch nicht von bösartigen Briten bedroht. Sondern galoppieren über von schroffen Hügeln umgebenes steiniges Terrain, bis sie schließlich im Nebel verschwinden.

Ihr Anblick bringt etwas in meiner Brust zum Schlingern, ich denke wieder an den Brief in meiner Handtasche. An die Schule, die ich wegen Jude sausen lassen wollte.

Mein Telefon vibriert noch einmal in meiner Hosentasche.

Ich kümmere mich nicht darum.

»Dafür würde ich auf Toiletten mit Wasserspülung verzichten«, ich deute auf den Fernseher. »Du kannst den heißen Typen behalten.«

Vi sieht blinzelnd zu mir herüber, als habe sie gerade erst gemerkt, dass ich wieder da bin. Sie lacht kurz und schüttelt den Kopf.

»Ach, richtig, du und dein Schottland-Tick. Hast du dich nicht dort an einer Schule beworben?«

Ich nicke. Mittlerweile ist es die volle Panoramaansicht: Callum und Helena reiten durch ein Tal, man sieht noch mehr dieser grünen felsigen Hügel, noch mehr Sonnenlicht hinter vorbeiziehenden Wolken, noch mehr glitzernden grauen Ozean im Hintergrund. Würde ich um 1780 oder so durch die Highlands wandern, würde ich garantiert nicht Jude und Mason begegnen. Ich würde nicht versehentlich Tampons nach Leuten schmeißen. Ich wäre … vermutlich eine ganz neue Millie.

»Tja, siehst du.« Vi steht auf und schnappt sich die Kekse. »Dann braucht du gar keine Zeitreise, um nach Schottland zu kommen.«

Sie kehrt mit der Schachtel ins Wohnzimmer zurück. Als sie sieht, dass ich richtige statt fettarme Kekse gekauft habe, runzelt sie leicht die Stirn. Doch nach einem Achselzucken hält es sie nicht davon ab, sich trotzdem über die Packung herzumachen. »Praktisch nur einen Flug entfernt«, sagt sie durch einen Mundvoll Zimtbären. »Mit einem Pass und genug Geld könntest du morgen dort sein.«

Ich starre sie einen Moment an, dann blicke ich wieder auf den Fernsehbildschirm. Sie hat recht. Schottland ist ein real existierender Ort. Ein Ort, der sich relativ leicht erreichen lässt. Ein Ort mit einem Internat, das mich bereits angenommen hat.

»Ja«, sage ich zu Vi, ohne mich vom Fernseher abzuwenden. Mein Herz pocht gegen meinen Brustkorb.

Weg von hier. Dann brauche ich mir nicht anzuschauen, wie sich Mason und Jude an den Spind gelehnt küssen. Ich muss mir nicht Darcys Habe ich es dir nicht gesagt anhören oder Lees mitfühlende Blicke ertragen.

Ich könnte einfach woanders hingehen.

Von vorne anfangen.

Ich.

Schottland.

Kapitel 4

»Schottland ist wieder angesagt?«

Mein Vater steht am Herd und hält einen Pfannenwender in der Hand – jaa, Pfannkuchen-Mittwoch –, die Runzeln auf seiner Stirn werden immer tiefer, als ich einen Stapel Papier vor seiner Nase schwenke.

»Nicht nur Schottland, sondern eine Schule in Schottland«, sage ich. »Du bist Lehrer, Dad. Anna ist Beratungslehrerin. Unser ganzes Leben dreht sich um Schule.«

Bevor er darauf antworten kann, gehe ich die Ausdrucke durch. Seit dem Vorfall mit Jude und meiner Erleuchtung bei Vi vor ein paar Tagen habe ich mich in eine Ein-Frau-Maschine entwickelt und das Netz nach finanziellen Unterstützungen durchforstet.

Als ich das gesuchte Blatt in meinem Stapel finde, ziehe ich es heraus und schwenke es hin und her. »Gregorstoun bietet alle möglichen Stipendien an. Und es ist eine der besten Schulen der Welt, Dad. In Gregorstoun ›sind Könige und Prinzen und Premierminister zur Schule gegangen‹ und dieses Jahr werden zum ersten Mal Frauen zugelassen. Ich wäre in der ersten Frauenklasse überhaupt, würde also sozusagen Geschichte schreiben. Vielleicht würde mein Foto irgendwann in Geschichtsbüchern landen.«

»Schottischen Geschichtsbüchern«, kontert mein Vater und ich nicke.

»Noch besser. Hast du je was über schottische Geschichte gelesen? Die ist echt krass. Es werden Braveheart und ich sein, Seite an Seite.«

Das bringt meinen Vater wie erwartet zum Lächeln, doch als er sich wieder zum Herd dreht, schüttelt er den Kopf. »Ich bin vermutlich einfach davon ausgegangen, dass das Thema vom Tisch ist, Kind. Vor ein paar Wochen schienst du wild entschlossen, nicht zu gehen.«

Die Nummer mit dem »Kind« zieht mein Vater nur ab, wenn er mit seiner elterlichen Weisheit am Ende ist. Was nicht allzu häufig vorkommt. Manchmal frage ich mich allerdings, was für eine Art Vater er geworden wäre, wenn meine Mutter noch lebte. Aber das fühlt sich ihm gegenüber unfair oder illoyal oder was auch immer an. Als hielte ich ihn für ungenügend.

Ich werfe die Papiere auf den Tisch, stelle mich hinter ihn und lege ihm die Hände auf die Schultern. »Ich habe einfach … meine Meinung geändert«, erkläre ich ihm. »Je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass ich übereilt abgelehnt habe. Bei der Vorstellung, wie weit weg die Schule ist, bin ich ausgeflippt, aber ich kann mich doch nicht aus Angst von etwas Tollem abhalten lassen.«

Ich rücke noch ein bisschen näher und füge hinzu. »Und noch mal, es geht hier um Schule, Dad. Ich frage nicht, ob ich nächstes Jahr mit einer Band durch Europa ziehen kann.«

Darüber lacht er nur und dreht sich leicht, um mich anzusehen. »Ich sollte wirklich besser damit umgehen können und Verständnis zeigen.«

Ich klopfe ihm lächelnd auf die Schultern und trete einen Schritt zurück. »Vielleicht ist das meine Form der Rebellion. Tragisch uncoole Tochter sehr cooler Eltern.«

»Ich finde, du bist sehr cool«, erwidert mein Vater loyal und dreht den Pfannkuchen um. »Eigentlich so cool, dass ich überlegt habe, ob wir dieses Wochenende zelten gehen wollen? Nur du und ich, so wie früher. Außerdem habe ich eine Werbung für eine Edelstein- und Mineralienausstellung nächste Woche in Houston gesehen, die sich bestimmt lohnt. Bei so was war ich schon lange nicht mehr.«

Ich schaue ihn an. »Dad, setzt du gerade Wissenschaft als Bestechungsmittel ein?«

»Ein bisschen schon«, räumt er ein, dann nickt er Gus zu, der in seinem Hochstuhl sitzt und selig mit seinem Plastiklöffel auf die Ablage hämmert.

»Na ja, wenn du nach Schottland gehst, mit wem kann ich dann noch campen? Dein kleiner Bruder hier ist eine Pleite beim Zeltaufbau. Und du hättest das Chaos sehen sollen, als ich ihn das letzte Mal gebeten habe, Feuerholz zu sammeln.«

Gus ruft ein Wort das annähernd wie »ZELT!« klingt, und ich gebe ihm einen Stups unters Kinn. »Das Familienehrenamt, sich um die Zeltstangen und den Campingkocher zu kümmern, fällt nun dir zu, mein Bruder.«

Gus grinst mich zahnlos an, legt den Kopf schief und versucht, meine Finger in seinen Mund zu schieben. Hinter mir seufzt mein Vater.

»Du machst das nicht … Wenn es wegen Anna ist oder Gus oder weil du denkst –«

Ich unterbreche meinen Vater, indem ich eine Hand hebe. »Nein«, sage ich. »Keine dramatischen Hintergründe hier.«

Mein Vater und Anna haben vor drei Jahren geheiratet und Gus kam letztes Jahr auf die Welt. Es war natürlich eine Umstellung, als Einzelkind mit alleinerziehendem Vater plötzlich eine Stiefmutter und ein Baby im Haus zu haben, aber es war auch eine schöne Veränderung. Ich gehe zum Küchentisch, schütte für Gus ein Handvoll Choco Krispies in ein Schälchen und werde erneut mit einem Lächeln belohnt. Mein Herz schmilzt, als ich mit der Hand über seine rötlichen Haare fahre. Gus sieht meiner Stiefmutter wesentlich ähnlicher als Dad und mir – wir haben beide einigermaßen langweilige braune Haare und Augen.

Gus ist so ziemlich das Beste in meinem Leben – mein Wunsch, eine Schule in einem anderen Land auszuprobieren, hat also nichts damit zu tun, dass ich mich unerwünscht oder fehl am Platz fühlen würde.

»Vogelscheuche, dich werde ich wohl am meisten vermissen«, flöte ich Gus nun zu, der irgendetwas als Antwort brabbelt und ein paar Krispies in den Mund schiebt. Ich seufze. »Ich glaube, meine Zitate aus Der Zauberer von Oz versteht er noch nicht.

»Gib dem Padawan Zeit«, erwidert mein Vater und ich grinse ihn an.

Er ist ein guter Vater. Ein großartiger sogar, und die Vorstellung, ihn selbst für eine begrenzte Zeit zu verlassen, schwebt als einzig schwarze Wolke über meinem perfekten Plan. Na ja, ihn und Gus und Anna zu verlassen. Mein letztes Schuljahr im Ausland zu verbringen, wäre vermutlich wesentlich einfacher, wenn ich meine Familie nicht so sehr mögen würde.

»Das hat nur mit mir zu tun«, erkläre ich meinem Vater und das stimmt auch fast. Ich meine, einen gewissen Anteil hat auch Jude, aber ich bin noch nicht so weit, über dieses Thema mit ihm zu sprechen. Nicht, weil er ein Problem damit hätte, dass ich Mädchen mag – es ist bloß, dass sich alles kompliziert und chaotisch anfühlt, und ich möchte erst mit ihm reden, wenn ich das für mich geklärt habe.

Jude hat noch ein paarmal geschrieben, seit ich Mason und sie bei Vis Apartment gesehen habe. Da ich nicht wusste, was ich ihr antworten soll, habe ich mir eingeredet, ich sei sowieso zu beschäftigt dafür und müsse mich auf Gregorstoun konzentrieren.

Was nicht komplett gelogen ist, immerhin werde ich mein Zuhause und meine vertraute Umgebung verlassen. Ja, vielleicht ist es furchterregend. Ja, ein Teil von mir rennt viiiiiielleicht davon. Aber ein anderer Teil von mir wird beim Durchblättern der Schulbroschüre auch immer aufgeregter.

Als ich mich wieder an den Tisch setze, schiebe ich ein Set beiseite, klappe meinen Ordner mit schottischen Schulen auf und tippe mit den Fingern auf die verschiedenen Bilder. St. Edmund’s in Edinburgh wäre cool. In einer Stadt zu leben, die im Schatten eines uralten Vulkans liegt? Das wäre echt mal was anderes.

Dann gäbe es da noch St. Leonard’s, ein großes weitläufiges Backsteinanwesen auf dem grünsten Rasen, den ich je gesehen habe. Die Schule liegt ganz in der Nähe von St. Andrew’s, ebenfalls wunderschön, und, wow, in Schottland haben sie es echt mit ihren Heiligen.

Gregorstoun ist ein ehemaliger Landsitz, das pompöse Backsteingebäude erhebt sich mit efeubewachsenen Mauern aus den Hügeln und hat total diesen Hogwarts-Vibe. Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich vor einem Jahr ziellos nach Schulen in Schottland gesucht habe.

Ich ziehe das Blatt näher, in der Küche ist es still geworden.

Als ich aufblicke, schaut mich Dad mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an.

»Du willst mir nicht gerade sagen, dass ich wie meine Mutter aussehe, oder?«, frage ich. Er lächelt schwach und schüttelt den Kopf.

»Nein, eigentlich siehst du Vi ähnlich – und wenn ich an ihre Teenie-Zeit denke, bekomme ich da echt Magenschmerzen.«

Er deutet mit dem Pfannenwender auf meine Papiere.

»Na los, bewirb dich«, sagt mein Vater. »Falls du die Unterstützung bekommst, kümmern wir uns um den Rest.«

»Sobald ich sie bekomme«, verbessere ich ihn, nehme meinen Stift und deute auf Gus, der mich ankräht, bevor er seinen Löffel auf den Boden wirft.

»Sobald.«

Kapitel 5

Während der nächsten beiden Wochen ist ein kleiner Teil meines Kopfes ständig in Schottland und wartet und grübelt. Einen Tag nach dem Gespräch mit meinem Vater reiche ich die Anträge für eine finanzielle Unterstützung ein, weiterhin einen Essay, warum ich das perfekte Gregorstoun-Mädchen bin (der im Wesentlichen aus »Schaut euch meinen Notendurchschnitt und die Ergebnisse des Eignungstests an« besteht). Ich habe mir noch mal The Sea of Times angesehen, Reiseführer gewälzt und mir vorgestellt, wie ich entschieden mehr Karo tragen werde.

Außer diesem permanenten leisen »Schottland, Schottland, Schottland«-Surren in meinem Kopf verläuft der Sommer wie sonst. Freunde, auf Gus aufpassen, drei Tage die Woche in der Bibliothek arbeiten.

Jude aus dem Weg gehen.

Was nicht weiter schwer ist, denn Mason und sie sind wieder unzertrennlich, und sie verbringt kaum noch Zeit mit Lee und Darce.

Zumindest nicht so viel Zeit mit Lee. Auf Instagram habe ich ein paar Fotos von Darcy und ihr gesehen. Meine letzte Nachricht an Darce hingegen stand zwei Tage auf »gelesen«, ohne dass sie geantwortet hätte.