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Eine verbotene Liebe und die Chance auf neues Glück in Paris »Die verschwundene Tochter« ist der 5. Familiengeheimnis-Roman der romantisch-dramatischen Familiensaga »Die verlorenen Töchter«. Paris, 1939. Mit zitternden Händen hält Evelina den Brief ihres Geliebten, während ihr Blick über die glitzernde Skyline schweift. Ich weiß, dass ich dich nicht verdiene, mein Schatz, aber ich bete, dass du deine Meinung änderst. Dir gehört mein Herz, und ich hoffe, dass uns nichts mehr trennen wird … London, heute. Blake ist noch immer in Trauer über den Tod ihrer geliebten Großmutter, als sie ein geheimnisvolles Erbstück aus einem ehemaligen Londoner Frauenhaus erhält: Auf der kleinen Schachtel steht der Name ihrer Oma, darin befindet sich die Modeskizze eines Kleides, an die ein Stück silbrig schimmernder Samt geheftet ist. Unterschrieben ist die Zeichnung mit Evelina. Nach einigen Recherchen hat Blake eine Adresse in Paris und den Namen eines Mode-Kurators. Der charismatische Henri kann ihr nicht nur einiges über Evelina erzählen, deren kühne Designs denen von Coco Chanel Konkurrenz machten. Während er Blake die zauberhaftesten Ecken der Stadt der Liebe zeigt, kommen sie sich immer näher. Doch als Blake endlich herausfindet, warum ihre Urgroßmutter 1939 aus Paris geflohen ist, muss auch sie eine Entscheidung treffen: Hat sie den Mut, für die Liebe und ihren großen Traum alles aufzugeben? Zwei ergreifende Liebesgeschichten auf zwei Zeitebenen in der romantischsten Stadt der Welt Im 5. Band ihrer Bestseller-Saga entführt uns Soraya Lane von London nach Paris. Die romantischen Romane der Familiensaga »Die verlorenen Töchter« sind auch unabhängig voneinander lesbar. Jeder Band erzählt von einem tragischen Familiengeheimnis, der Suche nach den eigenen Wurzeln und schicksalhafter Liebe an einem der schönsten Sehnsuchtsorte der Welt. Lass dich von Bestseller-Autorin Soraya Lane zum Träumen verführen: - Die verlorene Tochter (Italien) - Die vermisste Tochter (Kuba) - Die verheimlichte Tochter (Griechenland) - Die verborgene Tochter (Genfersee) - Die verschwundene Tochter (Paris)
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Seitenzahl: 396
Veröffentlichungsjahr: 2025
Soraya Lane
Roman
Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Eine verbotene Liebe und die Chance auf neues Glück in Paris
»Die verschwundene Tochter« ist der 5. Familiengeheimnis-Roman der romantisch-dramatischen Familiensaga »Die verlorenen Töchter«.
Paris, 1939. Mit zitternden Händen hält Evelina den Brief ihres Geliebten, während ihr Blick über die glitzernde Skyline schweift. Ich weiß, dass ich dich nicht verdiene, mein Schatz, aber ich bete, dass du deine Meinung änderst. Dir gehört mein Herz, und ich hoffe, dass uns nichts mehr trennen wird …
London, heute. Blake ist noch immer in Trauer über den Tod ihrer geliebten Großmutter, als sie ein geheimnisvolles Erbstück aus einem ehemaligen Londoner Frauenhaus erhält: Auf der kleinen Schachtel steht der Name ihrer Oma, darin befindet sich die Modeskizze eines Kleides, an die ein Stück silbrig schimmernder Samt geheftet ist. Unterschrieben ist die Zeichnung mit Evelina.
Nach einigen Recherchen hat Blake eine Adresse in Paris und den Namen eines Mode-Kurators. Der charismatische Henri kann ihr nicht nur einiges über Evelina erzählen, deren kühne Designs denen von Coco Chanel Konkurrenz machten. Während er Blake die zauberhaftesten Ecken der Stadt der Liebe zeigt, kommen sie sich immer näher. Doch als Blake endlich herausfindet, warum ihre Urgroßmutter 1939 aus Paris geflohen ist, muss auch sie eine Entscheidung treffen: Hat sie den Mut, für die Liebe und ihren großen Traum alles aufzugeben?
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Widmung
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
Epilog
Liebe Leserinnen und Leser,
Danksagung
Für mein Team bei Bookouture
Danke für alles, was ihr getan habt, um meinen Leserinnen diese Reihe zu bringen
Evelina hielt das Champagnerglas eng am Körper und bewunderte den gewagten Entwurf, ihren gewagten Entwurf, an der Schneiderpuppe. Dies war die erste Kollektion, die sie unter ihrem Namen vorstellte, wobei die Türen des Apartments fest verschlossen blieben, damit nur geladene Gäste die Modelle sehen konnten. Die Leute bewunderten und betasteten die schimmernde Seide und die verzierten Knöpfe, und sie musste lächeln, als sie mit anhörte, wie jemand ihre Kleider als atemberaubend bezeichnete. Früher hatte sie sich oft gefragt, ob sie es jemals schaffen würde, aus dem Schatten ihres Mannes herauszutreten, doch wenn sie von diesem Abend irgendwie auf ihren künftigen Erfolg schließen durfte … Sie atmete tief durch und nippte noch einmal lächelnd an ihrem Champagner. Ex-Mann. Manchmal konnte sie nicht anders, als an ihn zu denken, aber Théo gehörte jetzt strikt in die Vergangenheit. Sie hatte die Scheidungsdokumente vor beinah einem Jahr erhalten, und obwohl er sie damals noch angeschrien hatte, dass sie es ohne ihn niemals schaffen werde, war nun er es, der zu kämpfen hatte, um die Türen seines Modeimperiums offen zu halten. Sie hatte ihm keinen Misserfolg gewünscht, aber wenn zwischen ihnen schon Konkurrenz herrschen musste, dann lieber so.
Sie sah sich um und dachte darüber nach, wie weit sie gekommen war, an die Hindernisse, die sie überwunden hatte, um es aus eigener Kraft zu schaffen. Der ganze Abend war schier unglaublich: die Krönung monatelanger Arbeit, aber die Mühe war jedes Opfer wert gewesen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie sich gefragt hatte, ob sie sich jemals einen eigenen Namen machen könnte – ob jemand wie sie jemals anerkannt werden würde, besonders, da Théos Worte ihr immer noch in den Ohren klangen und sie verfolgten –, aber heute Abend fühlte sie sich, nach all den Jahren, endlich ganz und gar angekommen.
Evelina schlüpfte aus dem Raum und verschwand auf den schmalen Balkon, zündete sich eine Zigarette an und blickte einen Moment lang auf die Dächer von Paris hinaus. Sie nahm die Schönheit dieser Stadt niemals als selbstverständlich hin.
Als Evelina gerade an ihrer Zigarette zog, fühlte sie einen leichten Druck im Rücken. Sie wandte sich um, überrascht, dass jemand der Anwesenden sie so intim berührte, und sah durch den Rauchschleier in die Augen eines Mannes, der ihr vorhin schon drinnen aufgefallen war, mit sorgfältig gekämmtem blondem Haar und leuchtend blauen Augen. Wie er sie so anlächelte, stellte sie fest, dass er ihren Blick fesselte.
»Evelina Lavigne«, sagte er. »Es ist mir ein Vergnügen, Sie endlich kennenzulernen.«
Blake sah zum Fenster des Konferenzraums hinaus und drehte den Stift zwischen den Fingern, während sie versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, das um sie herum stattfand. Die bodentiefen Fenster der Büroetage in Mayfair boten einen Blick auf die geschäftigen Straßen Londons unter ihr, und sie ließ sich bereitwillig von der Aussicht ablenken. Sie saßen schon fast eine Stunde hier und waren noch kein Stück weitergekommen. Und dem genervten Ton in der Stimme ihrer Chefredakteurin nach zu urteilen, war auch sie allmählich mit ihrer Geduld am Ende.
Sie riss sich aus ihren Träumereien, blickte zu der Frau hinüber, die ihr vor acht Jahren eine Chance gegeben hatte, und erkannte die Verärgerung in ihrem Gesicht. Deborah war ihre Chefredakteurin und Mentorin, und angesichts des Raums voller desinteressierter freier Autoren und angestellter Redakteure konnte Blake ihre Frustration beinahe mit Händen greifen. Sie schätzte Deborah nicht nur als Chefin, sondern auch als eine der talentiertesten Journalistinnen der Branche. Und heute konnte sie ihre Besorgnis spüren – es schien, als käme niemand auf Ideen, die nicht schon Hunderte von Malen genauso von anderen oder gar von ihnen selbst umgesetzt worden waren.
»Ich glaube, ihr versteht nicht, was hier auf dem Spiel steht. Wenn wir dieses neue, digitale Format nicht zum Erfolg führen, verlieren wir alle unsere Jobs.« Seufzend lehnte sich Deborah in ihrem Stuhl zurück. »Wir brauchen neue Inhalte, wir können nicht einfach alte Ideen recyceln. Nur aufregende, neue Storys werden unserer Seite neue Leserinnen bringen, was wiederum größere Werbekunden anzieht und euch allen eure Jobs sichert. Aber was wir wirklich brauchen, ist ein Grund, aus dem unsere Leserinnen uns abonnieren, etwas, weswegen sie wiederkommen. Wir brauchen Inhalte, für die sie bereit sind, monatlich über fünf Pfund zu bezahlen, selbst wenn sie mit Streamingangeboten und Werbung für Zeitschriftenabonnements bombardiert werden. Heutzutage landet so etwas ja jede Woche im Postfach. Um diesen Launch zu einem Erfolg zu machen, brauchen wir etwas, das uns von allen anderen abhebt.«
Im Raum herrschte Schweigen, und Deborah hob verzweifelt die Hände. Blake räusperte sich. Sie musste etwas sagen, bevor jemand die Idee eines Pop-up-Quiz aus der Versenkung holen konnte oder erneut einen Artikel mit Spekulationen über Prinzessin Kates Lieblingsdesigner vorschlug. Sie konnte und musste diese Sitzung retten, bevor Deborah sie alle aufgab und hinausstürmte. Deb sagte immer, sie solle groß denken und die Storys vorschlagen, die sie wirklich schreiben wollte, aber bis heute hatte Blake nicht den Mut dazu gefunden. Doch wenn ihre Jobs auf dem Spiel standen, war es jetzt an der Zeit, das Wort zu ergreifen. Sie vertraute auf ihren Instinkt und sprach aus, was ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge lag.
»Wie wäre es mit einer Reihe von Features, vielleicht im Stil eines Blogs?«, fragte Blake, setzte sich gerader hin und sah ihre Chefin an. »Ich denke da an die späten Neunziger, Carrie aus Sex and the City. Ich weiß, dass du ausdrücklich gesagt hast, wir sollten nichts Altes recyceln, aber was, wenn die Leute genau das wollen? Eine individuelle Stimme, mit deren Erfahrungen man sich identifiziert, Nostalgie? Diese Ära hat doch etwas, wonach sich meine Generation sehnt.«
»Ich höre«, sagte Deborah mit hochgezogenen Augenbrauen, beugte sich vor und ermutigte Blake mit einer Handbewegung fortzufahren.
»Ich glaube, wir müssen über Dinge schreiben, über die sonst niemand schreibt, was bedeutet, tief in persönliche Lebenserfahrungen einzutauchen, statt immer nur an der Oberfläche des neuesten Trends zu kratzen oder jede Prominente, die wir interviewen, zu fragen, wie sie Arbeit und Familie unter einen Hut bekommt oder eine Capsule-Wardrobe zusammenstellt.« Blake hielt inne, weil sie sich immer noch nicht sicher war, ob sie die konkrete Idee in ihrem Kopf aussprechen oder sie lieber für sich behalten sollte. Sie zögerte. »Wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich, dass wir uns verletzlich machen und unsere eigenen Lebenserfahrungen aufs Papier bringen sollten.«
»Wenn du etwas Spezielles im Sinn hast, ist jetzt deine Gelegenheit, es auszuspucken. Aber ich möchte nichts, was mit Dating zu tun hat, und ehrlich gesagt ertrage ich auch keine ach so originellen Ergüsse über das Singledasein mehr. Und über Dating-Apps will ich auch nichts mehr lesen.«
»Wie wäre es denn mit einer Art persönlicher Detektivgeschichte?«, fragte Blake. »Etwas, das unsere Leserinnen immer wieder auf unsere Seite zurücklockt, weil sie den Rest der Geschichte erfahren wollen, mit der sie mitfiebern? Etwas, weswegen sie gern ein Abonnement bezahlen, weil sie den Ausgang nie erfahren werden, wenn ihr Probeabo ausläuft?«
»Es gibt doch schon genug True-Crime-Podcasts da draußen«, murmelte einer der Autoren. »Ich dachte, sie wollte was Frisches?«
»Geh uns mal ’nen Kaffee holen«, antwortete Deborah mit einem vernichtenden Blick zu dem jungen Autor, dann senkte sie die Stimme. »Wenn ihr in diesem Raum sein wollt, dann zeigt gefälligst etwas Respekt für die anderen, erst recht, wenn jemand mit Berufserfahrung tatsächlich etwas Substanzielles zum Gespräch beiträgt. Das gilt für euch alle.«
Blake holte Atem und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Deborah zu, während der junge Kerl sich davonschlich. Jetzt oder nie. »Ich habe letztes Jahr etwas bekommen«, erklärte sie. »Eine kleine Holzschachtel, die offenbar von meiner Urgroßmutter stammte, und um es kurz zu machen, deutet alles darauf hin, dass sie wohl ein Kind zur Adoption freigegeben hat – meine Großmutter, Mary.« Blake hielt inne, um sich zu räuspern, als sie merkte, wie betont desinteressiert einige der jüngeren Redakteure blickten. Sie konnte beinahe sehen, wie ihre Augen glasig wurden. »Also, sie hat Hinweise hinterlassen für den Fall, dass meine Großmutter nach ihr suchen wollte. Sie lagen jahrzehntelang versteckt in dieser kleinen Schachtel, bis jetzt.«
Blake wünschte sich, sie hätte den Mund gehalten. Warum, oh, warum nur hatte sie das alles erzählen wollen? Monatelang hatte sie die Gedanken an das Kästchen verdrängt, war nicht bereit gewesen, sich darauf einzulassen, die Vergangenheit ihrer Großmutter zu erforschen und all die Erinnerungen ans Licht zu zerren, und jetzt hatte sie allen im Raum ihr lang gehütetes Geheimnis enthüllt.
Die Augenbrauen ihrer Chefredakteurin waren noch immer hochgezogen, als hätte Deborah endlich etwas gehört, was sie interessierte. »Jetzt hast du offiziell meine Aufmerksamkeit, bitte sprich weiter.«
»Ich habe noch keine Zeit gehabt, mich eingehend damit zu befassen, aber vielleicht könnte ich für unsere Leserinnen darüber schreiben? Sie auf diese Entdeckungsreise mitnehmen, auf der ich versuche, Geheimnisse der Vergangenheit zu lüften? Es wäre eine persönliche Story, aber eine, deren Ausgang nicht einmal die Autorin selbst kennt.«
Deborah lehnte sich zurück und lächelte, wobei sie Blake einen Blick zuwarf, der besagte, dass diese ihr genau das vorgeschlagen hatte, worauf sie den ganzen Morgen lang gewartet hatte. »Also das ist es, was ich unter frischen Inhalten verstehe, und du hast recht, es ist das Rätsel, was das Ganze verkaufen würde, die Tatsache, dass selbst die Autorin den Ausgang der Geschichte erst kurz vor der Leserin erfährt«, erklärte sie, bevor sie sich an ihre Assistentin wandte, die sich neben ihr wie wild Notizen machte. »Lucy, kannst du bei Kitty Fisher’s zum Mittagessen einen Tisch für zwei reservieren? Blake, lass dir noch ein paar Details einfallen und verschieb deine anderen Termine für heute. Der Wagen holt uns um eins ab.« Sie hob den Kopf und blickte in die Runde. »Wir brauchen noch eine Menge mehr Content. Dies ist erst der Anfang, jeder von euch überlegt sich bitte einen Pitch. Ich setze für Mittwoch eine weitere Sitzung an, da möchte ich die alle hören.«
Blake schluckte, nicht sicher, ob sie gerade die beste oder die schlechteste Idee ihres Lebens vorgestellt hatte. Sie sah kurz auf die Uhr. Klar war nur, dass der Lunch bereits in zwei Stunden stattfand und sie praktisch überhaupt keine Zeit hatte, um die Präsentation ihres Lebens vorzubereiten.
Später am Tag trat Blake ein paar Schritte hinter ihrer Chefin aus dem Bürogebäude. Die Idee, sich zum Mittagessen fahren zu lassen, hatte Deborah offenbar aufgegeben.
»Ist es in Ordnung, wenn wir zu Fuß gehen?« Deborah zeigte zum Himmel. »Heute scheint tatsächlich mal die Sonne, ich könnte ein bisschen frische Luft gebrauchen.«
»Harte Zeiten?«, fragte Blake, überrascht zu sehen, wie sich ihre Chefin eine Zigarette anzündete.
»Für Notfälle habe ich immer ein Päckchen in der Tasche, und dieses hier ist schon fast ein halbes Jahr alt«, erklärte Deborah, nahm einen langen, langsamen Zug und blies den Rauch dann in die andere Richtung. »Offiziell habe ich schon vor Jahren aufgehört, aber ab und zu gestatte ich mir eine. Um ehrlich zu sein, habe ich diese Woche fast die ganze Schachtel geraucht, also ja, sieht ganz nach harten Zeiten aus.«
Blake zog eine Grimasse. »Ist es so schlimm im Büro?«
»Schon irgendwie.« Deborah seufzte, und sie gingen los. Blake war dankbar für die Sonne, wünschte sich nur, sie hätte Turnschuhe eingepackt, und bemühte sich mitzuhalten. »Fast jede zweite Zeitschrift ist in derselben Lage wie wir. Wir versuchen, unsere treuen Kundinnen der Druckausgabe zu bedienen, und arbeiten gleichzeitig daran, in der digitalen Landschaft für neue Leserinnen und unsere Werbekunden relevant zu bleiben. Und wenn es nicht nach Plan läuft, ist es meine Schuld. Nicht nur, dass ihr alle eure Jobs verlieren könntet; meiner steht auch auf dem Spiel.«
»Dann sehe ich in unserer nahen Zukunft ein Glas Wein«, sagte Blake. Sie waren nach all den Jahren vertraut genug miteinander, um aufrichtig zu sprechen. »Es tut mir leid, mir war gar nicht klar, wie schlimm es um uns steht.«
»Deshalb habe ich bei Kitty’s reserviert«, erklärte Deborah. »Das Essen ist exzellent, aber die Weinkarte ist noch besser, und um ehrlich zu sein, könnte es das letzte Mittagessen sein, das ich als Spesen verbuchen kann, sofern sich die Lage nicht bessert.«
Sie lachten beide, bevor sie den Rest des Weges in einvernehmlichem Schweigen zurücklegten. Blake mochte Deborah: Sie waren ein gutes Team, und sie hätte sich keine bessere Chefin wünschen können. Dennoch war sie wegen des Vorschlags, den sie ihr gleich präsentieren würde, ziemlich nervös, besonders wenn sie daran dachte, wie wenig Zeit sie zur Ausarbeitung gehabt hatte. Oder wie sehr sie dafür ihr eigenes Leben unter die Lupe würde nehmen müssen. Doch wenn sie vorankommen wollte, musste sie sich an das Gefühl gewöhnen, die Grenzen ihrer Komfortzone gelegentlich zu überschreiten.
Das Restaurant tauchte vor ihnen auf, mit seiner beigefarbenen Markise und den beiden Tischen draußen, die allerdings besetzt waren. Ein kleiner Hund saß neben seiner Besitzerin und blickte zu ihr auf. Blake war erst ein paar Mal zu Arbeitsessen hier gewesen, und jedes Mal hatte es sie an ein kleines Bistro in Frankreich erinnert. Das Restaurant schmiegte sich an den Fuß eines alten Backsteingebäudes, es wirkte von außen eher nichtssagend, bis man eintrat. Sie hielt Deborah die Tür auf und folgte ihr hinein, wo ihre Chefin mit Namen begrüßt wurde, bevor man sie beide zu einem Tisch im hinteren Teil führte. Im Restaurant roch es lecker, und Blake stellte fest, dass ihr Magen sofort anfing zu knurren.
»Okay, erzähl mir alles über deine neue Idee«, sagte Deborah, wobei sie dem Kellner mit einem Nicken zu verstehen gab, dass sie tatsächlich die Weinkarte sehen wollten. »Sie klang faszinierend. Warum schlägst du mir das erst jetzt vor?«
Blake machte es sich auf dem Stuhl bequem, überrascht, dass ihre Chefin sofort anfing, über die Arbeit zu sprechen. Sie steckte sich das lange Haar hinter die Ohren, wie sie es oft tat, wenn sie nervös war, und strich die Strähnen glatt. »Es ist auch faszinierend, aber bis heute war ich noch nicht bereit, es anzugehen. Ich meine, ich werde eine Menge Detektivarbeit leisten müssen, um herauszufinden, was es alles bedeutet, aber …«
»Bevor du weitersprichst: Willst du dich und deine Familie wirklich so ins Rampenlicht stellen? Wenn du erst mal angefangen hast zu schreiben, musst du brutal ehrlich sein und absolut alles veröffentlichen, was du herausfindest, wenn es authentisch sein soll.« Deborah hielt inne. »Es ist mir nicht entgangen, dass du gewöhnlich sehr zurückhaltend bist, wenn es um deine Familie geht.«
Blake nickte. Deborah hatte recht; sie war normalerweise extrem zurückhaltend, was ihr Privatleben betraf. Und genau aus diesem Grund hatte sie gezögert, bevor sie es heute Morgen vorgeschlagen hatte.
»Ich weiß, was auf dem Spiel steht und was man von mir erwartet, und meiner Meinung nach ist es das auch wert. Die Leserin muss mit dabei sein, auf jedem Schritt des Weges.«
»Das gefällt mir. Und ich bin stolz auf dich, dass du mir endlich etwas so Mutiges vorgeschlagen hast, anstatt auf Nummer sicher zu gehen.«
»Entweder ganz oder gar nicht, richtig?«, scherzte Blake.
»Ganz oder gar nicht«, wiederholte Deborah seufzend. »Es kommt mir vor, als wäre das zurzeit das Motto meines Arbeitslebens.« Sie unterbrach das Gespräch, um den Wein zu bestellen, bevor sie sich wieder Blake zuwandte. »Sollen wir auch gleich das Essen bestellen? Dann werden wir nicht noch einmal unterbrochen.«
Blake überflog schnell die Karte. »Gibt es etwas, das du empfiehlst?«
»Wir könnten beide die Schweinekoteletts nehmen und ein paar Beilagen dazu? Vielleicht die knusprigen Kartoffeln und die in Salz gebackene Rote Beete? Die sind doch immer gut.«
»Hört sich prima an.«
Nachdem der Kellner gegangen war, stützte sich Deborah mit verschränkten Armen auf den Tisch und beugte sich vor. »Fang noch mal ganz von vorne an, Blake. Ich muss genau wissen, wie das alles zustande kam und wie wir diese Serie aufziehen wollen. Was ist das Format und wie wird sich jede Folge entwickeln? Hast du schon eine Vorstellung davon, wann du den ersten Artikel fertig haben könntest?«
Blake holte tief Luft, dankbar dafür, dass der Wein so schnell gekommen war und sie einen großen Schluck nehmen konnte, bevor sie antworten musste. Es fühlte sich plötzlich sehr danach an, als würde der gesamte Erfolg der Zeitschrift auf ihren Schultern lasten und von ihrer Fähigkeit abhängen, eine marathonwürdige Reihe von Artikeln abzuliefern. Außerdem konnte sie nur hoffen, dass die Leute überhaupt etwas über ihr Familienrätsel lesen wollten.
Sie griff in ihre Tasche, nahm das kleine Kästchen heraus, das sie heute Vormittag nach der Redaktionssitzung geholt hatte, und ließ die Finger über die glatten Kanten gleiten. Vorhin hatte sie sich erst an den Schreibtisch gesetzt, um ihre Idee schriftlich festzuhalten, aber dann war ihr aufgegangen, dass sie Deborah die Hinweise zeigen musste, und sie hatte ihre Zeit lieber darauf verwendet, kurz nach Hause zu fahren, um das Kästchen zu holen. Es war immer beeindruckend, Dinge aus der Vergangenheit zu sehen, besonders, wenn sie so sorgfältig zusammengestellt waren.
»Das ist es«, verkündete Blake und schob das Kästchen über den Tisch. Sie hatte das Band, mit dem es verschlossen gewesen war, als sie es bekommen hatte, wieder darumgebunden und den Zettel mit dem Namen ihrer Großmutter wieder daran befestigt, sodass Deborah nacherleben konnte, wie es für sie gewesen war, als sie es zum allerersten Mal geöffnet hatte. Sie wollte, dass sie es genauso sah, wie ihre Urgroßmutter es vor all den Jahren zurückgelassen hatte.
»Darf ich?«, fragte Deborah und legte ihre Finger zögernd an das Band.
Blake nickte. »Letztes Jahr bekam ich einen Brief von einer Anwaltskanzlei. Besser gesagt, meine Mutter hat ihn bekommen, aber ich habe eine Generalvollmacht, daher wird alles mir zugeschickt.« Deborah wusste genug über Blakes Familie, um zu verstehen, warum sie sich um die Angelegenheiten ihrer Mutter kümmerte, und Blake war ihr dankbar, dass sie nicht nachfragte. Sie konnte stundenlang von ihrer Schwester oder ihrem Bruder erzählen, aber über ihre Mutter zu sprechen, war ihr immer unangenehm.
»Und dieser Brief?«, fragte Deborah, als sie das Band weglegte und zu Blake aufblickte. »Stand darin etwas von dem Kästchen?«
»Nein, darin wurde ich nur um Anwesenheit bei einem Termin gebeten, was mir damals natürlich sehr ungewöhnlich erschien.« Blake beobachtete Deborahs Gesicht, als sie den Inhalt der Schachtel entdeckte, zuerst die Skizze eines Kleides auf einem zusammengefalteten Stück Papier herausnahm und dann ein Stück Stoff, wobei ihre Finger auf der Seide verharrten. Auch Blake erinnerte sich an das erste Mal, als sie es berührt hatte, es hatte sich unglaublich weich und luxuriös angefühlt. »Bevor ich geantwortet habe, habe ich Recherchen über die Anwaltskanzlei angestellt, und als ich mich davon überzeugt hatte, dass sie seriös war, beschloss ich, unvoreingenommen hinzugehen. In der Kanzlei wurde mir dann allerdings gleich klar, dass der Termin nicht nur für mich war, sondern auch für einige andere Frauen, die den gleichen Brief erhalten hatten. Man hatte uns alle zum selben Termin einbestellt.«
Sie würde diesen Tag nie vergessen, an dem sie die anderen Frauen gesehen hatte, die gleichzeitig mit ihr erfuhren, dass es in ihrer Familiengeschichte ein Geheimnis gab. Blake erinnerte sich noch, wie ungläubig sie auf das Kästchen gestarrt hatte, das mit dem Namen ihrer Großmutter beschriftet war. Sie erinnerte sich daran, wie sich ihre Finger bei der Übergabe um die kleine Holzschachtel geschlossen hatten und sie die unmittelbare Verbindung zu ihrer Großmutter gespürt hatte. Das Gefühl überwältigte sie immer noch.
Sie hatte wegschauen müssen, hatte die Kanzlei verlassen, ohne sich auch nur zu bedanken, weil sie den Schmerz, solch einen Schatz zu entdecken, ohne Grandma an ihrer Seite zu haben, kaum ertrug.
Deb hielt die Skizze hoch, schüttelte den Kopf und riss Blake aus ihren Gedanken. »Wirklich außergewöhnlich. Wie alt das wohl ist?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber um die siebzig Jahre? Vielleicht älter?«
»Sprich weiter, erzähle mir von dem Termin.«
»Eine Frau war dabei – Mia –, sie stellte sich als Nichte von Hope Berenson vor, die hier in London eine Einrichtung namens Hope’s House betrieben hat, wo ledige Mütter ihre Babys zur Welt bringen und Adoptiveltern für die Babys gefunden werden konnten. Die Anwaltskanzlei hat diese Hope zu deren Lebzeiten vertreten.«
Blake trank einen Schluck Wein, bevor sie das Glas abstellte und nach dem kleinen, handgeschriebenen Namensschild griff, das noch an dem Band hing. Sie ließ die Finger darüber gleiten, während sie sich daran erinnerte, was Mia ihnen an diesem Tag berichtet hatte.
»Diese Mia hatte unter den Bodendielen des Hauses eine Ansammlung von Kästchen gefunden, alle gleich. Ihre Tante war vor einer Weile gestorben, und da das Haus abgerissen werden sollte, war sie noch einmal dort gewesen, um sicherzugehen, dass nichts Persönliches zurückgeblieben war«, sagte Blake. »Jedes Kästchen hatte ein Namensschild, und auf dem hier stand der Name meiner Großmutter. Im Ganzen waren es sieben.«
»Und deine Verbindung zu dem Haus …« Deborahs Frage hing in der Luft, als Blake sie ansah.
»So, wie ich es verstehe, wurde meine Großmutter dort geboren, und ihre Mutter, meine Urgroßmutter, hat ihr dieses kleine Kästchen hinterlassen, nachdem sie sie zur Welt gebracht hat. Wohl in der Hoffnung, dass ihre Tochter es eines Tages bekommen und vielleicht herausfinden würde, wer sie war.«
Blake konnte sehen, dass Deborah Tränen in die Augen traten, und blinzelte ihre eigenen weg. Der Gedanke an eine Mutter, die ihr Kind zurücklassen musste, war so berührend, vor allem, wenn sie ihr nichts außer einem Kästchen mit ein paar Kleinigkeiten vermachen konnte. Blake wusste nicht, ob ihre Urgroßmutter ihr Kind freiwillig zur Adoption freigegeben hatte oder ob das damals einfach so gehandhabt wurde. Allerdings wusste sie, dass Deborah selbst kleine Kinder hatte, weswegen ihr solche Geschichten zweifellos noch näher gingen.
»Wusste irgendjemand in deiner Familie von der Adoption, oder war sie geheim gehalten worden?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand davon wusste, außerdem ist meine Großmutter schon vor Jahren gestorben, es gibt niemanden, den ich fragen könnte«, antwortete Blake und lehnte sich zurück, als der Kellner ihre Wassergläser auffüllte. »Ich glaube, die anderen Frauen im Raum waren genauso überrascht, also vermute ich, dass es allen beteiligten Familien verheimlicht worden war. Keines der adoptierten Kinder wusste wohl, dass etwas für sie hinterlassen worden war, oder überhaupt, dass sie adoptiert worden waren.«
»Wie viele andere Frauen waren noch bei dem Termin anwesend?«, wollte Deborah wissen.
»Sechs, mich eingeschlossen. Hopes Nichte Mia hat uns von ihrer Tante erzählt, dann bat uns der Anwalt, uns noch mal auszuweisen, bevor wir ein Dokument unterschreiben mussten, und dann bekam jede ihre Schachtel ausgehändigt.« Sie hielt inne, um noch einen Schluck Wein zu trinken. »Ein Kästchen lag noch da, ohne dass jemand es beanspruchte, und Mia sagte, sie habe nichts darüber herausfinden können, wem es hinterlassen worden war. Aber die anderen wurden alle verteilt, dann sind wir alle wieder gegangen und …«
»Und du hast das alles einfach für dich behalten? Es ist so viel Zeit vergangen, und das Ganze ist dir noch immer ein Rätsel? Warum hast du nicht längst versucht, das Geheimnis aufzudecken?«
Blake schluckte, weil sie diese Frage nicht beantworten wollte. Seit ihre Großmutter gestorben war, fiel es ihr unendlich schwer, sich allem zu stellen, was mit ihrer Familie oder deren Vergangenheit zu tun hatte. Sie war sich unsicher gewesen, ob sie die Geheimnisse ihrer Großmutter überhaupt aufdecken wollte. Auch wenn ihr Tod schon über zehn Jahre zurücklag.
»Ich denke, ich wusste einfach nicht, wo ich anfangen sollte«, sagte Blake schließlich. Sie zeigte auf die Hinweise, die Deborah gerade noch einmal inspizierte. »Ich habe diese Zeichnung wohl schon hundert Mal aus der Schachtel genommen und sie angesehen, habe versucht herauszufinden, was sie bedeutet und wie ich das mit meiner Vergangenheit in Verbindung bringen kann, aber weiter bin ich nicht gekommen. Aber mir ist klar geworden, dass sie für meine Urgroßmutter von äußerster Wichtigkeit gewesen sein muss, wenn sie sie zurückgelassen hat. Sonst hat sie ja ihrer Tochter, die sie vielleicht eines Tages suchen würde, gar nichts hinterlassen, also musste sie das damals für einen ganz offensichtlichen Hinweis gehalten haben.« Ich habe bisher einfach nicht den Mut aufgebracht, mich damit zu befassen.
»Wenn wir mal davon ausgehen, dass diese Zeichnung ihr Entwurf war und sie ihn signiert hat, bedeutet das, andere hätten ihn zur damaligen Zeit zweifelsfrei wiedererkannt? Meinst du das?«
»Oder vielleicht, dass sie hoffte, er wäre wiedererkennbar, wenn ihre Tochter die Zeichnung fand? Vielleicht hat sie ihr Baby weggegeben, um sich ihre Träume zu erfüllen.« Blake hatte sich das so oft im Kopf herumgehen lassen, landete aber immer nur bei der Schlussfolgerung, dass ihre Urgroßmutter damals in der Modewelt wohlbekannt gewesen sein musste. Warum sonst hätte sie einen Hinweis mit ihrer Unterschrift hinterlassen sollen?
Da kam ihr Essen, und Blake bedankte sich beim Kellner, während Deborah das Papier wieder sorgfältig zusammenfaltete und in die Schachtel zurücklegte. Für das Stück Stoff brauchte sie länger, drehte und wendete es in der Hand, bevor sie es schließlich seufzend auf das Papier legte.
»Kommt es mir nur so vor, oder duftet das Kästchen ganz leicht nach Rosen?«, fragte sie. »Oder bilde ich mir das ein?«
Blake nahm die Schachtel in die Hand und roch daran. Deborah hatte recht, sie duftete tatsächlich ein wenig nach Rosen. Sie hatte schon vorher gedacht, dass ihr der Geruch bekannt vorkam, aber sie hatte ihn nicht genau benennen können. Jetzt wusste sie es.
»Das bildest du dir nicht bloß ein. Ich kann auch Rosen riechen. Beinahe, als hätte jemand Parfum in die Schachtel getröpfelt, und etwas von dem Duft hängt sogar nach all diesen Jahren noch daran.«
»Es ist wirklich faszinierend, ich glaube, unsere Leserinnen würden die Story lieben. Du hast völlig recht, das könnte eine dieser Geschichten werden, zu denen die Leute immer wieder zurückkehren, weil sie erfahren wollen, wie sie weitergeht. Es gibt keine andere Website, auf der sie etwas zu der Geschichte herausfinden könnten oder wie die Story zu Ende geht. Sie würden dich in Echtzeit auf dieses Abenteuer begleiten.«
Blake nahm Messer und Gabel zur Hand. Das Essen roch köstlich. »Ich kann ein Aber heraushören«, sagte sie, bevor sie sich den ersten Bissen in den Mund steckte. Es war göttlich, und sie beschloss, sich öfter einmal eine schöne Mahlzeit auswärts zu leisten. Sie verbrachte so viel Zeit damit, sich um Geld zu sorgen, und sparte, als wäre sie immer noch das kleine Mädchen, das nichts zu essen im Kühlschrank hatte. Das verlieh einem außergewöhnlichen Essen wie diesem hier noch mehr Bedeutung.
Deborah seufzte. »Die Frage ist nicht, ob ich mich darauf einlasse oder nicht, darauf lautet die Antwort eindeutig Ja. Das Problem ist, ob und wie du das Rätsel entwirren kannst. Wenn du bisher noch nicht gewusst hast, wo du anfangen sollst, wird sich daran bis Montag etwas ändern, wenn ich dir sage, dass du loslegen kannst?« Sie steckte sich eine Gabel voll Essen in den Mund.
Blake schluckte. Natürlich hatte sie sich diese Frage bereits selbst gestellt. »Du müsstest mir ein paar Türen öffnen«, erklärte sie. »Ich muss wissen, ob ich deinen Namen beziehungsweise den Namen unserer Zeitschrift benutzen darf, um Designer oder Modemacher anzusprechen.«
»Weil du denkst, dass jemand von ihnen die Signatur unter der Zeichnung wiedererkennen könnte?«
Blake schmunzelte. »Genau.«
»Also, dann hast du offiziell die Erlaubnis, in meinem Namen anzufragen. Wenn es dir hilft, kann ich sogar im Vorfeld anrufen«, sagte Deborah, während sie versuchte, die Aufmerksamkeit ihres Kellners zu erheischen, um mehr Wein zu bestellen. »Ich werde dem Vorstand berichten, dass diese Story unser Aufhänger für das neue Format wird, natürlich mit meiner vollen Unterstützung, aber ich glaube, es wird ihnen gefallen. Jetzt lass uns das Essen genießen, und dann sagen wir allen im Büro, dass wir uns hier stundenlang den Kopf zerbrochen haben. Ich habe jedenfalls nicht vor, heute noch mal in die Redaktion zurückzugehen und eine weitere Sitzung zu durchleiden.«
Blake lachte und legte sich ein paar Beilagen auf den Teller. Sie wünschte sich nur, sie hätte Deborah schon früher von dem kleinen Kästchen erzählt.
Doch als sie die Schachtel vorsichtig wieder in ihre Tasche steckte, spürte sie einen Stich im Herzen. Hätte ich ihr vielleicht überhaupt nicht davon erzählen sollen?
Blake deckte den Tisch für vier Personen, dann eilte sie zurück in die Küche. Sie öffnete die Backofentür, um hineinzusehen, und der Duft nach Huhn und Ofengemüse erfüllte das Zimmer. Als Heranwachsende hatte sie immer davon geträumt, in ein Zuhause zu kommen, in dem es nach Hausmannskost oder Gebäck duftete, obwohl sie die Male, die das tatsächlich geschehen war, wahrscheinlich an einer Hand abzählen konnte. Manchmal hatte ihre Mutter manisch das Haus geputzt, bis der Geruch von Chlor schwer in der Luft hing, und etwas Gutes zum Abendessen gekocht. Am nächsten Tag saß sie dann aber wieder zusammengesackt im Sessel oder schaffte es nicht, aus dem Bett zu kommen, und es blieb Blake überlassen, Brot und Milch zu rationieren, um mit dem, was sie hatten, möglichst weit zu kommen.
Als Älteste erinnerte sie sich daran, wie es früher gewesen war, als sie noch eine funktionierende Familie gewesen waren, aber es fiel ihr immer schwerer, diese Erinnerungen im Gedächtnis zu behalten, seit sie allmählich in die Rolle des Familienoberhaupts geraten war. Auch jetzt noch verspürte sie den Drang, ihre Geschwister mit Essen zu versorgen und auf sie aufzupassen, damit sie wussten, wie sehr sie geliebt wurden, obwohl sie inzwischen alle erwachsen waren und ihr eigenes Leben führten. Auch deshalb war sie, lange nachdem ihr Bruder und ihre Schwester ausgezogen waren, in dem verwohnten Drei-Zimmer-Apartment ihrer Kindheit geblieben: Sie sollten immer einen Ort haben, an den sie zurückkehren konnten, falls sie es brauchten.
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür, und ihre Schwester rief: »Blake! Ich bin da!«
Blake vergaß das Huhn im Ofen und eilte hinaus, um sie zu begrüßen. Seit drei Monaten hatte sie Abby nicht gesehen, und ihre Stimme zu hören, beruhigte sie, als hätte etwas in ihrem Leben gefehlt, das nun endlich wieder da war.
»Es ist so schön, dich wiederzusehen.« Blake fiel in der Eile, ihre Schwester zu umarmen, beinah über deren Koffer, dann hielt sie sie lange fest.
»Ich freue mich auch«, sagte Abby. »Mein Gott, wie ich deine Kochkunst vermisst habe. Irgendwas riecht hier ganz toll, wie immer.«
Blake strahlte und hielt sie eine Armlänge von sich entfernt, um sie genau zu betrachten. »Ich habe dich noch nie so braun gesehen, und dein Haar sieht nach Strand aus. Gefällt mir sehr gut.« Gewöhnlich war es unvermeidlich, dass die Leute sie als Schwestern erkannten, mit dem gleichen langen, dunkelblonden Haar und den schokoladenbraunen Augen, aber Abby hatte sich in eine blondere, goldenere Version ihrer selbst verwandelt.
»Australien steht mir eben«, sagte Abby. »Ich wäre sehr gern noch länger geblieben.«
Sie gingen um das Gepäck herum in die Küche, wobei Abby aufgeregt von ihrer Reise erzählte und Blake eine Flasche Wein öffnete und zwei Gläser einschenkte. Blake war nie gereist, wohingegen Abby Länder abhakte, als wollte sie vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag jede Ecke der Welt gesehen haben.
»Also, was gibt’s Neues bei dir?«, fragte Abby, als sie schließlich innehielt, um Atem zu holen.
»Eigentlich nichts«, sagte Blake. »Nur Arbeit und noch mehr Arbeit, du kennst mich ja.«
»Allmählich solltest du wirklich auch mal anfangen, die Welt kennenzulernen, das weißt du, oder?«
Blake lachte. »Eines Tages mache ich das schon noch. Aber jetzt möchte ich dich erst mal verwöhnen und dann alles über die letzten drei Monate von dir hören.«
Im selben Moment klopfte es wieder an der Tür. Kurz darauf stand ihr Bruder Tom mit ihnen in der Küche. Erst nachdem Blake ihn umarmt und zugesehen hatte, wie er Abby hochhob, fiel ihr auf, dass er allein gekommen war.
»Wo ist denn Jen?«, fragte Blake und sah ihm über die Schulter, als könnte seine Freundin noch im Flur stehen oder sich vielleicht hinter ihm verstecken. »Ich dachte, sie würde auch kommen.«
»Ah, wir haben uns getrennt.« Tom zuckte die Achseln, als wäre es nicht wichtig. »Tut mir leid, ich hätte dir sagen sollen, dass sie nicht kommt.«
»Aber sie war doch so nett!« Blake stöhnte.
Er zuckte noch einmal die Achseln, und Blake wechselte einen Blick mit Abby, dankbar, dass sie sich gegenseitig bestätigen konnten, wie verrückt ihr Bruder war. Er hatte kein Problem damit, nette Frauen kennenzulernen, aber er hatte definitiv ein Problem damit, eine Beziehung länger als drei Monate aufrechtzuerhalten. Meistens kam es Blake so vor, als wäre sie mehr in sie verliebt als er.
»Hast du Bier?«, fragte Tom.
Blake nickte. Als würde nicht immer welches auf ihn warten. »Im Kühlschrank. Bedien dich.«
Sie machte sich nicht die Mühe zu fragen, was mit Jen geschehen war; sie wusste, er würde es ihr erst sagen, wenn die Zeit reif war, also ließ sie ihre Geschwister sich gegenseitig aufs Laufende bringen, während sie das Huhn aus dem Ofen holte und sie die kleinen gerösteten Gemüseschnitze und Kartoffeln bewunderte, die sie darum herum drapiert hatte. Sie waren alle goldbraun, die Kartoffeln am Rand leicht knusprig, genau, wie alle sie mochten.
»Ist das die Schachtel von dem Anwalt?«, fragte Abby, als Tom verschwand, wahrscheinlich ins Wohnzimmer, um den Fernseher anzumachen.
»Das ist sie.«
»Hast du dir wieder den Kopf über die Hinweise zerbrochen?«
Blake sah zu Abby hinüber, beobachtete, wie sie das Kästchen in den Händen drehte. »Ich frage mich einfach, worum es dabei geht und was diese Hinweise mit uns als Familie zu tun haben.«
»Weißt du, dieses Ding erinnert mich irgendwie an dich«, sagte Abby. »Die Skizze und das Stück Stoff wirken wie für dich gemacht. Hast du das auch schon mal gedacht oder bin das nur ich?«
Blake richtete das Huhn fertig an und ließ es auf der Arbeitsplatte stehen, dann trat sie neben ihre Schwester und sah sich mit ihr die Hinweise an. Abby hatte nicht unrecht, der Inhalt der Schachtel wirkte tatsächlich, als könnte er speziell für sie hinterlassen worden sein. Sie griff nach der Zeichnung und musterte sie, obwohl sie sie längst in allen Einzelheiten kannte. Jahrelang hatte sie davon geträumt, Modeschöpferin zu werden, auch wenn ihre Entwürfe nie so vollendet gewesen waren wie dieser hier, mochte er noch so alt sein. Aber die Linienführung der Zeichnung kam ihr trotzdem beinahe vertraut vor – sie wusste, dass dies auch daran liegen konnte, dass sie die Skizze schon so oft und so lange betrachtet hatte. Dennoch konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass die Verbindung tiefer reichte. Sie fuhr mit den Fingern den Umriss des Entwurfs nach und stellte sich vor, sie hätte ihn selbst erschaffen.
»Glaubst du wirklich, dass die Person, die das hier gezeichnet hat, mit uns verwandt ist?«, riss Abby sie aus ihren Gedanken.
Blake lehnte sich an ihre Schwester, und ihre Schultern schmiegten sich aneinander, als sie das Stück Papier weiter drehte und wendete. »Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich meine, es könnte sein, aber vielleicht führt die Spur auch in eine andere Richtung. Vielleicht wollte diejenige, die es zurückgelassen hat, einfach nur, dass ihre Tochter die Person findet, die den Entwurf gezeichnet hat. Vielleicht ist es diese Person, die Informationen über unsere Familie hat.«
Abby hob das Stück Stoff aus feinem, grauem, seidigem Samt hoch, und Blake fragte sich, ob es einen Zusammenhang zwischen Stoff und Zeichnung gab. Sie konnte sich bildlich vorstellen, wie ein größeres Stück davon über das Design auf dem Bild drapiert wurde, beinahe, als würde es vor ihren Augen zum Leben erweckt.
Sie stellte sich vor, wie provokativ das Kleid vor Jahrzehnten gewirkt haben musste. Es war vorn tief ausgeschnitten und schmiegte sich auf eine Art und Weise an den Körper, die damals sehr außergewöhnlich gewesen sein musste, ganz klar dazu gedacht, die weibliche Form herauszustreichen.
»Hast du dein altes Skizzenbuch noch? Von damals, als wir noch jünger waren?«, fragte Abby.
Blake legte den Stoff weg und ging wieder zur Arbeitsfläche, sah nach, ob das Essen wirklich perfekt angerichtet war, bevor sie nach Tom rief, dass er kommen und es zum Tisch tragen sollte. »Ich glaube, ja. Ich habe seit Jahren nicht mehr hineingesehen, aber irgendwo hier muss es ja sein.«
»Du hast ständig darin gezeichnet. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem ich in dein Zimmer geschlichen bin, um es mir anzusehen, weil ich dachte, dass es ein Tagebuch ist, und ich all deine Teenagergeheimnisse erfahren wollte. Ich war entschlossen, alles zu lesen, was du über Jungs geschrieben oder was du mit deinen Freundinnen unternommen hast oder was auch immer große Mädchen sonst so machten.«
»Und stattdessen hast du einen Berg von Zeichnungen gefunden.« Blake lachte. »Damals fand ich sie toll, aber rückblickend bin ich mir sicher, dass sie ganz scheußlich waren. Ich war ganz besessen davon, all die Kleider zu zeichnen, die ich mir gewünscht habe, all die Dinge, die ich genäht hätte, wenn wir eine bessere Nähmaschine gehabt oder gekauft hätten, wenn Geld dafür da gewesen wäre.«
»Hey, wie die Entwürfe aussahen, habe ich kaum bemerkt. Ich war nur am Boden zerstört, weil ich in dein Zimmer geschlichen bin und nichts über deine Freunde lesen konnte und immer noch nicht wusste, ob du sie geküsst hattest oder nicht.«
Blake machte sich nicht die Mühe, ihrer Schwester zu erzählen, dass es gar keine Freunde gegeben hatte, über die sie hätte schreiben können, selbst wenn sie gewollt hätte – sie war so damit beschäftigt gewesen, dafür zu sorgen, dass ihre Geschwister zur Schule gingen und nicht merkten, wie unfähig ihre Mutter war. Ihr ganzes Streben richtete sich danach, ihren Geschwistern ein normales Leben zu bieten und zu verhindern, dass die anderen Kinder in der Schule mitbekamen, wie gestört ihre Familie war.
Es war schon schlimm genug, dass sie ihren Vater verloren hatten, als sie noch klein waren, aber eine Mutter zu haben, die nicht für sie sorgen konnte, war demütigend gewesen – erst als sie älter waren und bei ihrer Mutter eine schwere Depression diagnostiziert wurde, hatte sie verstanden, warum sie so selten für sie da gewesen war.
Blakes Handy pingte mit einer Textnachricht, und sie nahm es vom Küchentresen.
»Du hast offiziell grünes Licht. Du kannst gleich Montag anfangen, die erste Story ist Ende nächster Woche fällig, also leg los!«
Blake schluckte. Nichts besser als ein bisschen Druck.
»Was ist los? Du siehst aus, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen. Es geht nicht um Mum, oder? Bitte sag, dass es nicht um Mum geht.«
Blake schüttelte den Kopf. »Nein, es geht nicht um Mum.«
Abby sah sie mit leicht alarmiertem Gesichtsausdruck an, als Blake endlich aufblickte. »Ich habe das hier«, sagte sie und zeigte auf die Hinweise, die vor Abby ausgebreitet lagen, »meiner Chefredakteurin vorgeschlagen. Ich dachte, es könnte eine gute Story werden.«
»Es könnte eine tolle Story werden«, sagte Abby, bevor sie eine Grimasse zog. »Falls du es schaffst, die Hinweise zu entschlüsseln. Kannst du die Hinweise entschlüsseln?«
»Genau darum mache ich mir gerade Sorgen«, entgegnete Blake und stöhnte, aber erst nachdem sie Deborah mit einem Daumen-hoch-Emoji geantwortet hatte, als wäre dies eine Story wie all die anderen, die sie bereits geschrieben hatte. Als wäre sie nicht plötzlich zutiefst verängstigt angesichts des Ausblicks auf die nächsten Wochen.
»Was, wenn ich nicht liefern kann?«, fragte sie, mehr an sich selbst gewandt als auf der Suche nach einer echten Antwort. »Was, wenn ich nichts herausfinde? Was, wenn ich die ersten beiden Artikel schreibe und dann nicht mehr weiterkomme?« Mit einem Mal war ihr nach Hyperventilieren zumute.
»Du kriegst das hin, das tust du immer«, sagte Abby. »Und ehrlich gesagt? Ich glaube, es wird dir guttun. Stell dir vor, was du alles rausfinden könntest! Es könnte alles verändern, was wir über die Vergangenheit unserer Familie wissen.«
»Und du hast auch nichts dagegen?«, fragte Blake. »Schließlich handelt es sich auch um dein Erbe. Ob das etwas ist, was du erforschen möchtest oder ob nicht, ob du willst, dass ich damit an die Öffentlichkeit gehe, oder ob du meinst, wir sollten das alles privat lassen …«
Abby legte die Hände auf Blakes Schultern. »Du tust, was du immer tust. Denk nicht zu viel darüber nach. Du brauchst weder meine Erlaubnis noch die von irgendjemand anderem.«
Blake erwiderte ihren Blick. Abby hatte recht; sie war außergewöhnlich gut darin, zu viel über alles nachzudenken. So kam das, wenn man sich immer um alle anderen sorgte.
Abby schüttelte den Kopf, ohne die Hände von Blakes Schultern zu nehmen. »Okay, ich habe das Gefühl, du musst es von mir hören, also sage ich es dir jetzt: Ich finde, es ist eine tolle Idee, wenn du willst, kannst du das von den Dächern rufen, und ich finde es fantastisch, dass du das machst. Okay?«
»Danke«, sagte sie und schmiegte ihren Kopf an eine von Abbys Händen. »Mir ist nur gerade aufgegangen, dass ich es nicht mit dir besprochen habe, dabei hätte ich das tun sollen. Es ist doch nicht nur meine Geschichte.«
»Weißt du, es war mir ernst, als ich vorhin meinte, dass ich fast den Eindruck habe, die Hinweise wären speziell für dich hinterlassen worden«, sagte Abby und trat zurück, sodass sie einen Schluck Wein trinken konnte. »Mir kommt es wirklich vor, als solltest genau du die Geschichte erzählen. Du und Grandma, ihr hattet eine ganz besondere Beziehung, und sie hat dich immer zum Zeichnen ermutigt. Sie würde sich freuen.«
»Meinst du wirklich?«
Abby zwinkerte Tränen weg, weshalb sich auch Blake über die Augen wischte. Sie hatten ihre Grandma sehr lieb gehabt, und als sie gestorben war, war es für sie alle schwer gewesen.
»Das meine ich nicht nur. Ich weiß es.«
Blake griff wieder nach ihrem Handy und sah, dass Deborah ebenfalls ein Daumen-hoch-Emoji geschickt hatte.
»Keine Arbeit, nicht heute Abend«, sagte Abby, nahm Blake das Handy ab und legte es außerhalb ihrer Reichweite auf den Küchentresen. »Jetzt lass uns Wein trinken und dieses Huhn essen, das so unglaublich gut riecht. Irgendwann wirst du mir beibringen, wie man so gut kocht. Ich meine, nur für den Fall, dass du beschließt, durch die Welt zu reisen, und uns dem Hungertod preisgibst.«
Sie lachten beide.
»Nicht lustig«, sagte Blake.
»Eigentlich schon. Manchmal tust du, als wären wir immer noch Kinder, um die du dich kümmern musst.«
»Hey, Abs, kommt endlich rüber, ich möchte alles über Australien hören!«, rief Tom aus dem angrenzenden Zimmer und machte so ihrem Gespräch ein Ende.
Abby zwinkerte Blake zu, nahm die beiden Gläser und ging aus der Küche, wobei sie ihr bedeutete, sie solle mitkommen. Und so tat Blake, was sie immer tat: Sie nahm den riesigen Teller mit Essen, der eine kleine Armee hätte satt machen können, obwohl sie doch ihren Bruder gebeten hatte, ihn zu tragen, und setzte sich zu ihren Geschwistern, um sie so lange zu füttern, bis sie beinahe platzten, und sich alles über ihre Abenteuer erzählen zu lassen. Über ihr eigenes Leben konnte sie später noch in Panik geraten.
Nachdem sie zwei Stunden lang alles über Abbys Abenteuer in Übersee erfahren und mit angehört hatte, wie ihre jüngeren Geschwister eine Reise für später im Jahr planten, neigte sich Blakes Abend mit ihrer Familie dem Ende zu. Es war so schön, wenn sie alle zusammen waren, besonders weil in den letzten paar Monaten immer nur Tom und manchmal Jen bei ihr gewesen waren, doch jetzt war es Zeit, aufzuräumen und ins Bett zu fallen.
»Dinner nächsten Sonntag?«, fragte Abby, als sie an der Tür standen. »Sag doch bitte, dass wir es immer noch jeden Sonntag machen?«
Blake grinste. »Das bleibt so. Ich werde den Rest meines Lebens sonntags für euch Dinner kochen, solange ihr nicht beschließt, mir dieses Amt abzunehmen. Was, nur um es mal kurz festzuhalten, fantastisch wäre.«
Sie wussten alle, dass sie scherzte – sie würde es hassen, die Aufgabe, sie alle zu bekochen, abgeben zu müssen. Kochen war ihre Sprache der Liebe und würde es immer bleiben; zumindest konnte sie es sich nicht anders vorstellen.
»Lasagne«, sagte Tom und platzierte im Vorbeigehen einen Kuss auf ihre Stirn, bevor er sie so lieb anlächelte, dass sie nicht widerstehen konnte. »Bitte.«
»Dann gibt es Lasagne«, bestätigte Blake. »Und wenn du darüber sprechen willst, wie …«
»Will ich nicht«, gab er zurück und senkte den Kopf wie ein Teenager, der gerade eine Stunde Sexualkunde bekommen sollte. »Ich brauche nichts weiter als deine Kochkünste, schon geht’s mir wieder gut.«
Sie nickte. »Verstanden.« Sie waren schon immer besser darin gewesen, ihre Gefühle herunterzuschlucken als sie auszusprechen. Essen war der Kitt, der ihre Familie zusammengehalten hatte, als sie noch klein waren. Damit waren sie dem Gefühl begegnet, dass ihr Leben aus den Fugen geriet, und damit hatten sie verhindert, dass sie sich voneinander entfernten, als sie erwachsen wurden und verschiedene Lebenswege einschlugen. Was auch immer passierte, das Dinner am Sonntagabend war ein fixer Termin in ihren Kalendern geblieben. Manchmal kamen Freunde oder Freundinnen mit, manchmal waren es nur sie drei, aber sie alle hüteten ihre Familienessen, als wäre es überlebenswichtig, und immer war Blake die Gastgeberin.
»Du machst es doch, ja, Blake?«, fragte Abby und umarmte sie noch einmal fest. »Das mit dem Aufdecken der Hinweise?«
Sie erwiderte die Umarmung. »Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt würde ich meinen Job verlieren, wenn ich es nicht täte. Also ja, ich mache es. Und ich verspreche, dich auf dem Laufenden zu halten, wenn es irgendwelche Entwicklungen gibt.«
»Ich habe euch beide vorhin flüstern gehört«, sagte Tom und lehnte sich mit einem schiefen Lächeln auf dem Gesicht an den Türrahmen. »Nur damit du’s weißt, ich finde es auch gut, dass du es machen willst. Grandma hätte sich gefreut.«
»Danke, Tom«, sagte Blake, wieder ganz gerührt. »Das bedeutet mir viel, wirklich.«
»Nun, wenn es irgendwas gibt, das wir tun können, um dir zu helfen, oder wenn du einfach mal jemanden brauchst, der dir zuhört …« Abby sah ihr in die Augen. »Du musst nicht alles allein regeln. Ich glaube, das will ich damit sagen. Ich möchte dir gern helfen, und Tom geht’s genauso.«
