Die verlorene Tochter - Soraya Lane - E-Book
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Die verlorene Tochter E-Book

Soraya Lane

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Beschreibung

Lassen Sie sich zum Träumen verführen: »Die verlorene Tochter« erzählt von einer emotionalen Spurensuche in Italien und zwei großen Liebesgeschichten und ist der 1. Teil der atmosphärischen Familiengeheimnis-Saga »Die verlorenen Töchter«. Wenn Lily zwischen Rebstöcken hindurchläuft, ist sie glücklich, und so hat sie sich mit ihrem Beruf als Winzerin einen Traum erfüllt. Kurz vor ihrer Abreise nach Italien, wo sie auf dem berühmten Weingut der Familie Rossi arbeiten möchte, wird Lily ein geheimnisvolles Erbstück ausgehändigt: Eine kleine hölzerne Schachtel mit dem Namen ihrer Großmutter darauf. Die Schachtel wurde in einem ehemaligen Londoner Frauenhaus gefunden, und sie enthält lediglich ein handgeschriebenes Rezept auf Italienisch und ein Programm des Mailänder Opernhauses von 1946. Was hat es damit auf sich? In Italien angekommen, beginnt Lily sofort mit der Spurensuche – unterstützt von Antonio, dem charmanten Sohn der Familie Rossi, kommt sie schließlich der ebenso erschütternden wie anrührenden Geschichte einer großen Liebe auf die Spur, die auch ihrem Leben eine neue Richtung weisen könnte ... Die neuseeländische Autorin Soraya Lane entführt mit ihren Familiengeheimnis-Romanen um sieben »verlorene Töchter« in die schönsten Winkel der Welt: Geheimnisvolle Erbstücke führen sieben junge Frauen auf die Spur eines tragischen Geheimnisses in ihrer Familie, zu schicksalhaften Liebesgeschichten und schließlich zu ihrer eigenen Zukunft.

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Seitenzahl: 504

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Soraya Lane

Die verlorene Tochter

Roman

Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Eine kleine hölzerne Schachtel mit dem Namen ihrer Großmutter darauf führt die 30-jährige Lily nach Italien: Die Schachtel wurde in einem ehemaligen Londoner Frauenhaus aus der Zeit des 2. Weltkriegs gefunden, und sie enthält lediglich ein handgeschriebenes Backrezept auf Italienisch und ein Programm des Mailänder Opernhauses von 1946. Was hat es damit auf sich?

Als angehende Winzerin nimmt Lily eine Stelle auf dem Weingut der Familie Martinelli an und fühlt sich schnell wie zu Hause. Unterstützt vom charmanten Antonio kommt Lily schließlich der ebenso erschütternden wie anrührenden Geschichte einer großen Liebe auf die Spur, die auch ihrem Leben eine neue Richtung weisen könnte …

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

Epilog

Ein Jahr später

Nachwort

Danksagung

Leseprobe zu Band 2: Die vermisste Tochter

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Im Gespräch mit der Autorin

Leseprobe »Die vermisste Tochter«

 

 

 

 

Für meine Lektorin Laura Deacon.

Danke, dass du vom ersten Moment anan diese Serie geglaubt hast.

Für diese Chance werde ich auf ewig dankbar sein.

Prolog

Comer See, 1946

Felix griff in seine Jacke. Estée hielt den Atem an.

»Estée, diesen Ring habe ich vor all den Jahren gekauft, einen Tag, nachdem ich dich auf der Bühne der Scala gesehen habe«, sagte er und hielt ihr eine kleine rote Samtschachtel entgegen. »Du bist die einzige Frau, die ich je geliebt habe.«

Sie hätte ihn sich so gern angesehen, hätte so gern im Anblick des Diamanten geschwelgt, den er für sie ausgesucht hatte, doch stattdessen griff sie nach seiner Hand und schloss sie sanft um die Schachtel. Er ist immer noch mit einer anderen Frau verlobt.

»Nein«, flüsterte Estée. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich möchte, dass du mir den Antrag erst machst, wenn du auch frei dafür bist.«

Sein Blick ließ den ihren nicht los, als er die Schachtel zurück in seine Tasche gleiten ließ. »Darf ich dich etwas fragen?«

Sie nickte. »Natürlich.«

»Hättest du Ja gesagt, wenn ich dich als Erste gefragt hätte?«

Die Tränen, die vorher ausgeblieben waren, füllten plötzlich ihre Augen. »Ja, Felix. Tausendmal ja. Du bist der einzige Mann, den ich je gewollt habe.«

1

London, Gegenwart

Lily Mackenzie stieß die Tür zu ihrer Wohnung auf, machte einen Schritt hinein und wuchtete Koffer und Reisetasche über die Schwelle.

»Hallo?«, rief sie, schob die Tür hinter sich mit dem Fuß zu und ließ alles zu Boden fallen.

Als sie keine Antwort erhielt, ging sie ins Wohnzimmer, sah sich um und stellte fest, dass sich in den vier Jahren, die sie von zu Hause fort gewesen war, nichts verändert hatte. Nicht die in warmem Weiß gestrichenen Wände, nicht die dicken Kissen auf dem Sofa und auch nicht der goldene Spiegel über dem Kamin, der den Hintergrund für die unzähligen gerahmten Fotos bildete, die auf dem Kaminsims standen.

Lily betrachtete die Bilder; aus den meisten strahlte ihr ihr eigenes breites Lächeln entgegen. Sie streckte die Hand aus, um ein Foto ihres Vaters zu berühren, und strich mit dem Daumen über sein Gesicht, bevor sie sich einem Bild ihrer Mutter zuwandte und ihr bewusst wurde, wie sehr sie sie vermisst hatte.

Als sie in die Küche ging, sah sie einen Zettel auf dem Küchentresen liegen. Sie nahm ihn hoch und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Tresen, während ihr Blick über die Worte schweifte.

 

Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen, Liebling, aber ich werde die nächsten Wochen in Italien verbringen, da das Wetter gerade so schön ist. Sehen wir uns dort? In Liebe, M.

 

Lily lachte leise und ließ den Zettel auf den Tresen fallen. Da stehe ich nun und hatte ein sehnlichst erhofftes Wiedersehen erwartet, und sie ist einfach nach Italien gefahren! Lily konnte es ihr nicht verübeln. Nachdem sie ins Ausland gezogen war, hatte sich ihre Mutter ein Leben ohne ihre einzige Tochter aufbauen müssen, und Lily war froh darüber, dass es ihr gelungen und sie glücklich war.

Ihr Blick fiel auf einen Stapel ungeöffneter Briefumschläge, die neben dem Toaster lagen. Die meisten Briefe waren an ihre Mutter adressiert, aber der unterste weckte Lilys Neugierde: An die Erben von Patricia Rhodes.

Lily drehte den Umschlag zwischen den Fingern und fragte sich, warum ihre Mutter einen Brief, der an die Erben ihrer Großmutter adressiert war, nicht geöffnet hatte. Der Brief kam von einer Anwaltskanzlei. Sie beschloss, einen Blick darauf zu werfen, und schob gähnend den Nagel unter das Siegel. Der Jetlag ihres 22-Stunden-Flugs holte sie allmählich ein. In Neuseeland, wo sie in den letzten Jahren gelebt hatte, war es jetzt fast Mitternacht, kein Wunder also, dass sie sich müde fühlte.

 

Zum Nachlass »Patricia Rhodes«

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir bitten um Ihre Anwesenheit in der Kanzlei von Williamson, Clark & Duncan in Paddington, London, am Freitag, den 26. August, um 9 Uhr, um einen Gegenstand aus dem Nachlass entgegenzunehmen. Bitte setzen Sie sich mit unserem Büro in Verbindung, um den Erhalt dieses Schreibens zu bestätigen.

 

Lily rieb sich die Augen und las die Worte erneut. Ihre Großmutter war gestorben, als sie noch ein Teenager war, vor mehr als einem Jahrzehnt, und ihren Namen hier zu lesen, jagte ihr einen ungewohnten Schauer über den Rücken. Sie hatte ihre Großmutter sehr geliebt, sie war eine der liebevollsten und gütigsten Frauen gewesen, die sie je gekannt hatte, und ein wenig schuldbewusst wurde ihr klar, wie lange sie schon nicht mehr an sie gedacht hatte, vor allem im Vergleich zu ihrem Vater. Lächelnd erinnerte sie sich daran, wie oft sie zusammen in der Sonne gesessen und Tee getrunken hatten, während Lily ihr alle ihre Teenager-Probleme erzählte.

Sie griff zu ihrem Handy und schickte schnell eine E-Mail an die Kanzlei mit der Bitte um weitere Informationen. Sie müssen sich geirrt haben. Mum hätte mir doch erzählt, wenn es etwas Ungeklärtes zum Nachlass gäbe, oder?

2

Lily schlug die Augen auf. Sie brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, wo sie sich befand, bevor sie sich auf die Ellbogen stützte. Schließlich schwang sie die Beine aus dem Bett und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Im Zimmer war es dunkel, aber aus dem Flur drang Licht herein, wo sie offensichtlich die Beleuchtung angelassen hatte. Als sie auf die Uhr neben ihrem Bett schaute, sah sie, dass es fast vier Uhr morgens war. Sie hatte den größten Teil des Tages und der Nacht durchgeschlummert. Allerdings fühlte sie sich keinen Deut besser, im Gegenteil, sie war benommener als zuvor.

Sie ging ins Badezimmer, spritzte sich Wasser ins Gesicht und betrachtete sich in dem runden Spiegel über dem Waschtisch. Ohne Make-up sah sie die hellen Sommersprossen, mit denen ihr Nasenrücken und ihre Wangen übersät waren, ein Tribut an das grelle Sonnenlicht Neuseelands. Sie berührte ihre Haut mit den Fingerspitzen und lächelte. Ihr neues sonnengebräuntes Aussehen gefiel ihr, zusammen mit den langen, dunklen, ungezähmten Locken wirkte sie jetzt eher wie ein Strand- als wie ein Stadtmädchen, und diese entspanntere Version ihrer selbst gefiel ihr außerordentlich gut. Sie hatte Jahre dafür gebraucht, sie zu finden, und würde dieses Ich nicht mehr aufgeben, nur weil sie gerade wieder in London war.

Lily nahm ihr Haar mit beiden Händen hoch und drehte es zu einem Knoten am Hinterkopf zusammen. Dann ging sie in die Küche, um ihr Handy zu suchen, und fand es auf dem Tresen, wo sie es am Abend zuvor hatte liegen lassen. Als sie ihre Mails überflog, sah sie eine Nachricht von einem ehemaligen Kollegen, zusammen mit dem Foto des Weinbergs, in dem sie gearbeitet hatte, die mit Netzen bedeckten Trauben und das vom Frost weiß gefärbte Gras. Sie lächelte und dachte daran, wie sie jeden Morgen, sobald das Restaurant öffnete, ihren Kaffee dort getrunken und auf die Reihen der Weinstöcke hinausgeblickt hatte, die sich so weit erstreckten, wie das Auge reichte. Lily seufzte. Vielleicht hätte sie doch in Neuseeland bleiben sollen, anstatt diese Stelle in Italien anzunehmen. Aber sie hatte sich vorgenommen, so viele Erfahrungen wie nur möglich in verschiedenen Regionen zu sammeln, bevor sie sich irgendwo niederließ. Sie klickte wieder auf den Posteingang und sah, dass eine Antwort der Anwaltskanzlei eingetroffen war.

 

Sehr geehrte Ms Mackenzie,

wir danken Ihnen für Ihre Kontaktaufnahme. Wir verstehen, dass Ihnen der Inhalt unserer Mitteilung rätselhaft erscheinen mag, aber wir halten es für das Beste, diese Angelegenheit persönlich mit Ihnen oder einem anderen Mitglied Ihrer Familie zu besprechen.

Bitte bestätigen Sie uns, ob Sie an dem Termin teilnehmen können; andernfalls werden wir einen neuen Termin mit Ihnen vereinbaren.

Mit freundlichen Grüßen

John Williamson, in Vertretung der Erben von Hope Berenson

 

Hope Berenson? Lily runzelte die Stirn. Hatte sie den Namen schon einmal gehört? Er kam ihr nicht bekannt vor, und sie wünschte sich, ihre Mutter stünde jetzt neben ihr und sie könnte sie fragen. Vielleicht war es jemand aus der Vergangenheit ihrer Großmutter? Vielleicht hatte jemand ihr etwas vermacht, ohne zu wissen, dass sie schon lange gestorben war? Sie hoffte nur, dass sie nach dem Termin nicht irgendeinen alten Staubfänger mit nach Hause schleppen musste.

Lily legte das Handy weg und beschloss, erst einmal Kaffee zu kochen. Sie brauchte dringend Koffein, um wach zu werden.

***

»Darling! Wie schön, deine Stimme zu hören!«

Lily lachte und drückte ihr Telefon ans Ohr, um die raue Stimme ihrer Mutter besser zu verstehen.

»Ich fasse es immer noch nicht, dass du ausgerechnet jetzt nach Italien fahren musstest!«, sagte Lily. »Ich hatte schon fast eine Willkommensparty erwartet.« Sie versuchte, sich ihre leichte Enttäuschung darüber, in eine leere Wohnung zurückgekehrt zu sein, nicht anmerken zu lassen – wenn ihre Mutter glücklich war, war sie es auch. Sie hatte den neuen Partner ihrer Mutter noch nicht kennengelernt, aber sie schienen ein wunderbares Leben zu führen.

»Liebling, ich weiß doch, wie sehr du es hasst, im Mittelpunkt zu stehen, da hätte ich doch wohl kaum eine Überraschungsparty für dich geplant.«

Sie hatte recht. Lily verabscheute solche Überraschungen, während ihre Mutter darin aufging. Sie hatte sich immer gefragt, ob vielleicht die Extravaganz ihrer Mutter für ihr eher schüchternes, introvertiertes Wesen verantwortlich war.

»Wann kommst du? Treffen wir uns noch am Comer See?«

»Ich komme in ein paar Wochen. Ich freue mich schon darauf, dich zu sehen, auch wenn es nur ein oder zwei Tage sein werden.«

»Wunderbar! Jetzt muss ich los, Liebling, wir wollen den Tag auf einer schönen Yacht verbringen. Aber bist du sicher, dass du deinen Flug nicht umbuchen und früher kommen kannst, um mehr Zeit mit uns zu verbringen?«

Lily schüttelte den Kopf, auch wenn ihre Mutter es nicht sehen konnte. Sie freute sich auf ihren Aufenthalt in Italien, aber sie scheute die Touristenmassen. Sie konnte es kaum erwarten, die Kultur aufzusaugen, durch die Weinberge zu wandern, die frische Luft einzuatmen und die Menschen zu treffen, die für die Ernte und die Herstellung des Weins verantwortlich waren. Sie wollte kleine Restaurants entdecken, über malerische Märkte schlendern und mit den Einheimischen in Kontakt kommen, statt sich in die Scharen der Touristen am Comer See einzureihen, die einen Blick auf George Clooney zu erhaschen suchten. Was lustigerweise genau das war, was ihre Mutter am liebsten tun würde.

»Ich muss erst noch ein paar Dinge in London erledigen, aber ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen«, sagte Lily. »Oh, und sagt dir der Name Hope Berenson etwas?«

»Nein, warum?«

»Hier liegt ein Brief von einem Anwalt, adressiert an Grandmas Erben.«

»Du weißt, wie ich mit Papierkram umgehe, Liebling. Ich muss wohl vergessen haben, den Brief aufzumachen.«

»Schon gut, ich finde heraus, was es damit auf sich hat, und sage dir Bescheid.«

»Ciao bella!«, trällerte ihre Mutter, bevor sie den Anruf beendete.

Einen Moment lang hielt Lily das Telefon noch in der Hand und stellte sich ihre Mutter in einem ihrer farbenfrohen Kaftane vor, üppig mit Schmuck behängt, während sie an Bord eines wunderschönen Schiffes ging. Sie freute sich wirklich für sie. Sie war eine wunderbare Mutter gewesen, hatte Lily als Kind immer an erste Stelle gesetzt und hatte nach dem Tod ihres Vaters alles zusammengehalten und sich um ihre kleine Familie gekümmert, bis Lily auf die Universität gegangen war. Doch so dankbar Lily auch war, dass ihre Mutter jemanden kennengelernt hatte, so aufgeregt war sie auch darüber, endlich den ersten Mann persönlich zu treffen, der nach dem Tod ihres Vaters das Herz ihrer Mutter hatte erobern können.

»Viel Spaß«, sagte sie noch zum Telefon, bevor sie es weglegte, und beschloss dann, erst einmal zu duschen. Sie drehte den Wasserhahn im Bad auf und wartete, bis das Wasser heiß wurde und Dampf den Raum erfüllte. Als sie in die Duschkabine trat, die Augen schloss und das warme Wasser über Gesicht und Körper laufen ließ, dachte sie immer noch über den Namen Hope Berenson nach.

Noch zwei Tage bis zu dem Termin, und sie wusste nicht, wie sie bis dahin die Neugierde ertragen sollte.

3

Lily saß im Wartebereich der Kanzlei von Williamson, Clark & Duncan, eine Zeitschrift auf dem Schoß, in der sie zu lesen vorgab. Sie blickte auf, als eine junge Frau hereinkam, und beobachtete, wie sie am Empfang stehen blieb und in gedämpftem Ton mit der freundlichen Assistentin sprach. Bevor sich die Frau umdrehte, senkte Lily schnell wieder den Blick auf ihre Zeitschrift. Es war seltsam: Nur ein Mann saß im Wartebereich, alle anderen Anwesenden waren Frauen in ihrem Alter, die schweigend dasaßen und in Zeitschriften blätterten.

Sie schaute auf die Uhr und schlug die Beine übereinander, als eine Stimme ihre Aufmerksamkeit erregte.

»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie alle als Gruppe anspreche«, sagte die Assistentin in diesem Moment, »aber könnten mir bitte Lily, Georgia, Claudia, Ella, Blake und Rose folgen?«

Lily wechselte Blicke mit einigen der anderen und fragte sich, was um alles in der Welt hier vor sich ging.

»Haben Sie eine Ahnung, was das hier soll?«, flüsterte Lily einer gut aussehenden blonden Frau zu, die neben ihr ging.

Die Blonde schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich frage mich allmählich, warum ich überhaupt gekommen bin.«

»Wir waren wohl alle neugierig«, sagte eine andere Frau, und Lily lächelte, als sie ihren Blick auffing. »Vielleicht sind wir hier, um Millionen zu erben! Oder wir werden entführt. Wie auch immer, ich bin insgeheim davon überzeugt, dass es sich um einen Betrug handelt.«

Lily lachte. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie in einer Anwaltskanzlei in Paddington mit verglasten Büroräumen kein grausames Ende nehmen würde, aber sie teilte die Skepsis.

Schließlich wurden sie in einen großen Konferenzraum geführt, in dem ein langer Tisch stand. Am Kopfende des Tisches erwartete sie ein gut gekleideter Mann in einem grauen Anzug. Zu seiner Linken saß eine Frau Mitte dreißig, ebenso tadellos gekleidet. Sie trug eine Seidenbluse zu einer schwarzen Hose mit hoher Taille, das Haar zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Trotz ihres schicken Äußeren wirkte sie nervös und blickte mit großen Augen um sich.

Nachdem Lily sich auf den ihr zugewiesenen Platz gesetzt hatte, verteilte die Assistentin, die sie in den Raum geführt hatte, Unterlagen. Niemand rührte zunächst Kekse, Kaffee oder Getränke an, die in der Mitte des Tisches standen, auch nicht, als die Assistentin sie dazu einlud, etwas davon zu nehmen.

Der Mann im grauen Anzug stand auf und ergriff lächelnd das Wort: »Ich möchte Sie alle herzlich willkommen heißen und Ihnen für Ihr Kommen danken«, sagte er. Sein Haar war grau, eine Nuance heller als sein Anzug, und wenn er sprach, wirkte er deutlich jünger. »Sie werden festgestellt haben, dass Sie heute zu sechst hier sind, und obwohl ich weiß, wie ungewöhnlich dies für Sie sein muss, war es in diesem Fall doch sinnvoll, Sie alle als Gruppe einzuladen.«

Lily musterte ihn, fragte sich zum hundertsten Mal, was hier vor sich ging.

»Ich bin John Williamson, und dies ist meine Klientin Mia Jones. Es war ihr Vorschlag, Sie alle heute hier zusammenzubringen, um dem Wunsch ihrer Tante Hope Berenson zu entsprechen. Unsere Kanzlei hat auch sie vor vielen Jahren vertreten.«

Lily griff nach dem Papier vor sich und strich mit den Fingern an den Rändern entlang, während sie zuhörte.

»Mia, möchten Sie jetzt übernehmen?«

Mia nickte und stand auf.

»Ich möchte mich ebenfalls bei Ihnen allen für Ihr Kommen bedanken und mich gleich entschuldigen, falls ich mich verhaspele: Ich bin es nicht gewohnt, vor so vielen Leuten zu sprechen«, begann sie mit einem nervösen Lächeln. »Ich muss gestehen, ich war schon den ganzen Morgen schrecklich aufgeregt.«

Lily lächelte, und es war fast so, als ob alle im Raum kollektiv ausatmeten und ein Teil der Anspannung von ihnen abfiel.

»Wie Sie gerade gehört haben, war Hope Berenson meine Tante. Sie hat lange Zeit ein privates Heim für unverheiratete Mütter und ihre Babys hier in London geführt, das Hope’s House. Sie war bekannt für ihre Diskretion, aber auch für ihre Güte, trotz der schwierigen Umstände in der damaligen Zeit.« Mia blickte sich im Raum um. »Sie fragen sich sicher, warum ich Ihnen das alles erzähle, aber glauben Sie mir, es wird bald einen Sinn ergeben.«

Lily beugte sich vor. Was konnte ihre Großmutter mit diesem Hope’s House zu tun haben? Soweit sie wusste, hatte sie nur ein Kind gehabt – ihren Vater. Gab es da draußen in der Welt noch ein anderes Kind aus den jüngeren Jahren ihrer Großmutter? Oder reichte die Verbindung weiter zurück?

»Das Haus steht schon seit vielen Jahren leer, aber nun soll es abgerissen werden, um Platz für eine neue Wohnsiedlung zu schaffen, also bin ich noch einmal dorthin zurückgegangen, um einen letzten Blick hineinzuwerfen und ein paar Sachen mitzunehmen.«

Lily blickte zu den anderen Frauen am Tisch, die alle Mia ansahen, die meisten mit gerunzelter Stirn oder hochgezogenen Augenbrauen, als ob auch sie versuchten, ihre persönliche Verbindung zu diesem Haus zu erahnen.

»Und was hat dieses alte Haus nun mit uns zu tun?«, fragte eine junge Frau mit braunen Haaren, die Lily gegenübersaß.

»Tut mir leid, damit hätte ich anfangen sollen«, entschuldigte Mia sich verlegen, erhob sich und ging zu einem Tisch im hinteren Teil des Raumes. »Im Büro meiner Tante, wo sie auch die Akten und so etwas aufbewahrte, lag ein Teppich, von dem ich wusste, dass meine Mutter ihn sehr geliebt hatte. Also wollte ich zumindest den Teppich mitnehmen und sehen, ob ich ihn nicht irgendwo gebrauchen konnte, statt ihn den Entrümplern zu überlassen. Als ich den Teppich aufrollte, sah ich etwas zwischen den Bodendielen glitzern. Und da ich nun mal bin, wie ich bin, bin ich noch einmal mit Werkzeug zurückgekommen, um nachzusehen, was sich da unter den Dielen befand.«

Ein Schauer durchlief Lily, und sie schluckte. Gespannt wartete sie auf den Rest der Geschichte und beobachtete, wie Mia eine kleine Schachtel von dem hinteren Tisch nahm.

»Als ich die erste Diele losgehebelt hatte, sah ich zwei staubige kleine Schachteln, und als ich die zweite beiseitezog, waren da noch mehr, alle in einer Reihe und mit einheitlich per Hand beschrifteten Etiketten versehen. Erst konnte ich mir keinen Reim darauf machen, was ich da entdeckt hatte, aber als ich sah, dass auf jeder Schachtel ein Name stand, wusste ich, dass ich sie nicht öffnen durfte, wie neugierig ich auch sein mochte.« Sie lächelte, als sie aufschaute und jeder von ihnen in die Augen sah, bevor sie fortfuhr. »Ich habe diese Schachteln mitgebracht, um sie Ihnen zu zeigen. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass meine Neugier Sie alle heute hier zusammengebracht hat.«

Vorsichtig holte Mia eine Schachtel nach der anderen nach vorne und reihte sie vor sich auf. Lily reckte den Hals, um die Aufschriften zu sehen. Und da erblickte sie es, klar und deutlich: Patricia Rhodes. Ungläubig schaute sie zu Mia auf, während der Anwalt das Wort ergriff. Warum steht der Name meiner Großmutter auf einer dieser Schachteln?

»Als Mia diese Schachteln fand, hat sie sie zu mir gebracht, und wir sind die alten Unterlagen ihrer Tante durchgegangen. Die Akten waren akribisch geführt, und obwohl sie eigentlich privat bleiben sollten, haben wir uns entschieden, nach den Namen auf den Schachteln zu suchen, um zu sehen, ob wir sie nicht ihren rechtmäßigen Besitzern zukommen lassen können.«

»Haben Sie eine davon geöffnet?«, fragte Lily und begegnete Mias Blick.

»Nein.« Mias Stimme wurde leiser als zuvor. »Deshalb habe ich Sie alle heute hergebeten, damit Sie selbst entscheiden können, ob Sie sie öffnen wollen oder nicht.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich weiß nicht, warum meine Tante die Schachteln nicht schon zu Lebzeiten ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben hat. Ich hielt es für meine Pflicht, es zumindest zu versuchen, und nun liegt es an Ihnen, ob sie versiegelt bleiben oder nicht.«

Lily verspürte den überwältigenden Drang aufzustehen und Mia in den Arm zu nehmen, doch dann sah sie, wie sich ihr Rücken straffte und der Moment der Verletzlichkeit so schnell verging, wie er gekommen war.

»Was wir nicht wissen«, sagte der Anwalt, stützte die Hände auf den Tisch und erhob sich langsam, »ist, ob es noch weitere Schachteln gab, die im Laufe der Jahre verteilt wurden. Entweder hatte Hope einen Grund, warum sie diese sieben nicht herausgegeben hat, oder niemand hat Anspruch darauf erhoben.«

»Oder sie fand es aus irgendeinem Grund besser, sie versteckt zu halten«, fügte Mia hinzu. »In diesem Fall habe ich vielleicht etwas aufgedeckt, das eigentlich hätte verborgen bleiben sollen.«

Der Anwalt räusperte sich. »Ja. Aber was auch immer der Grund ist, meine Pflicht ist es jetzt, sie ihren rechtmäßigen Besitzern auszuhändigen, oder in diesem Fall den Erben ihrer rechtmäßigen Besitzer.«

»Und Sie haben keine Ahnung, was da drin ist?«, fragte jemand von der gegenüberliegenden Seite des Tisches.

»Nein, das haben wir nicht«, antwortete Mia.

»So interessant das alles auch klingt, ich muss zurück zur Arbeit«, warf eine gut aussehende, dunkelhaarige Frau ein, die am weitesten von allen anderen entfernt saß. »Wenn Sie mir bitte die Schachtel mit dem Etikett Cara Montano reichen könnten, dann bin ich schon weg.«

Lily war überrascht, wie desinteressiert die Frau wirkte; sie hingegen brannte darauf, die Schachtel ihrer Großmutter zu öffnen und zu sehen, was sie enthielt.

»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte der Anwalt. »Falls Sie Fragen haben, zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren.«

Die Frau nickte, aber angesichts ihres Gesichtsausdrucks bezweifelte Lily, dass sie vorhatte, in Kontakt zu bleiben. Niemand sonst rührte sich, während sie ein Papier unterschrieb, ihren Lichtbildausweis vorzeigte, die kleine Schachtel in ihre übergroße Handtasche fallen ließ und mit großen Schritten hinausging. Lily hatte gesehen, dass sie Georgia hieß.

Der Anwalt räusperte sich. »Wenn Sie nun bitte alle nacheinander Ihre Namen nennen und die vor Ihnen liegenden Unterlagen unterschreiben würden, damit ich Ihnen die jeweiligen Schachteln aushändigen kann. Ich verstehe, dass einige von Ihnen heute noch Termine haben.«

Lily blieb sitzen, während sie das Schreiben vor sich überflog, und lächelte Mia an, als diese ihr einen Stift reichte. »Danke.« Sie unterschrieb und blickte dann auf. »Das ist alles ziemlich geheimnisvoll, nicht wahr?«

Mia lächelte, und als ihr Gesicht weicher wurde, dachte Lily, wie schön sie war.

»Ich weiß, wie seltsam diese ganze Situation ist, aber als ich gesehen habe, wie sorgfältig meine Tante die einzelnen Schachteln beschriftet hatte, konnte ich nicht anders. Ich musste einfach die rechtmäßigen Besitzer finden und hätte nicht damit leben können, wenn sie im Haus geblieben wären.«

Lily nickte. »Wie schade, dass sie so lange versteckt waren.«

Mia nahm Lilys Papiere an sich und reichte sie dem Anwalt, bevor sie ihr die kleine Schachtel gab. Sie war aus Holz und fest mit einer Schnur verschnürt, daran ein Schildchen, das den Empfänger eindeutig identifizierte. Lily betrachtete die ordentlichen Buchstaben, die den Namen ihrer Großmutter auf dem Etikett bildeten. Alle Schachteln waren in derselben fein säuberlichen Handschrift beschriftet, ganz offensichtlich von ein und derselben Person. Lily war versucht, an der Schnur zu ziehen und sie auf der Stelle zu lösen, doch stattdessen fuhr sie mit dem Daumen über den Deckel der Schachtel und ließ ihrer Fantasie freien Lauf und fragte sich abermals, welches Geheimnis wohl in der Schachtel verborgen sein mochte.

»Ich habe nichts weiter zu sagen, es sei denn, es gäbe noch Fragen …« Die Stimme des Anwalts holte Lily ins Hier und Jetzt zurück.

Lily schüttelte den Kopf und fing erneut Mias Blick auf, als sie aufsah. Irgendetwas an ihr erschien Lily bemerkenswert, vielleicht Einsamkeit, und als die Sitzung geschlossen wurde, ging sie zu ihr.

»Ich bin versucht, meins jetzt gleich zu öffnen«, sagte Lily. »Ich war noch nie gut mit Überraschungen.«

»Bevor Sie sie aufmachen, sollten Sie sich vergewissern, dass Sie die Vergangenheit wirklich aufdecken wollen. Wenn man erst einmal Bescheid weiß, kann das einiges verändern. Vielleicht entdecken Sie etwas über Ihre Familie, oder es ändert sich etwas an dem, was Sie über Ihre Großmutter zu wissen glaubten. Manche Geheimnisse bleiben besser im Verborgenen. Das war meine einzige Befürchtung, als ich Sie alle gesucht habe.«

Lily nickte. »Ich verstehe. Wenn ich ehrlich bin, ist es ein kleiner Schock zu wissen, dass meine Großmutter irgendwie mit all dem zu tun hat.«

Mia nickte. »Glauben Sie mir, ich weiß, wovon Sie reden. Bis vor Kurzem wusste ich kaum etwas darüber, aber meine Tante hat ein Tagebuch geführt, das ich ebenfalls bei den Schachteln versteckt gefunden habe. In den letzten Wochen habe ich viel darin gelesen. Dutzende von Frauen sind durch dieses Haus gegangen, einige, die ihre Babys loswerden wollten, und andere, die untröstlich darüber waren, dass sie ihr Kind weggeben mussten.« Sie hielt inne. »Vielleicht wurden die Mütter dazu ermutigt, etwas zurückzulassen, für den Fall, dass ihr Kind irgendwann nach Antworten sucht, nehme ich an.«

»Aber wenn so viele Frauen dort entbunden haben, hätte es dann nicht mehr Schachteln geben müssen?«, fragte Lily.

»Vielleicht«, antwortete Mia. »Aber vielleicht wurden deren Schachteln auch schon abgeholt. Vielleicht sind Ihre Großmütter diejenigen, die nie auf der Suche nach Antworten waren?«

»Oh, hat das jemand vergessen?«, fragte Lily und deutete auf eine übrig gebliebene Schachtel, während sie ihre eigene sicher in ihrer Handtasche verstaute.

»Nein, die siebte konnten wir nicht zuordnen«, sagte Mia. »Ich weiß nicht, warum ich sie überhaupt heute hergebracht habe, um ehrlich zu sein, aber es schien mir auch nicht richtig, es nicht zu tun.«

Lily starrte die Schachtel an, las den unbekannten Namen auf dem Schild und fragte sich, zu wem er wohl gehörte. Die Tatsache, dass die anderen Frauen gekommen waren, um ihre Sachen abzuholen, war an sich schon unglaublich, aber vermutlich waren sie einfach genauso neugierig gewesen wie sie selbst.

»Nochmals vielen Dank, dass Sie das auf sich genommen haben«, sagte Lily.

»Ich hoffe, Ihre Schachtel enthält nicht zu viele Überraschungen«, sagte Mia und winkte ihr zu.

Lily winkte zurück und ging hinaus, wobei sie einer anderen Frau zulächelte, die gleichzeitig mit ihr den Raum verließ. Vor zwei Tagen noch hatte sie einen Anflug von Heimweh nach einem Land gehabt, das eigentlich gar nicht ihre Heimat war, hatte die Menschen vermisst, mit denen sie die letzten vier Jahre zusammengelebt hatte, und war halb versucht gewesen, in ein Flugzeug zu steigen und zurückzukehren. Doch jetzt hatte sie plötzlich das Gefühl, in London genau am richtigen Ort zu sein: Wenn sie nicht nach Hause gekommen wäre, hätte sie nie die seltsame kleine Schachtel mit dem Namen ihrer Großmutter erhalten.

Sie hatte noch nie an so etwas wie Schicksal geglaubt, aber vielleicht war ja doch etwas dran.

4

Italien, 1937

Sie würde nie vergessen, wie es gewesen war, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.

Estée stand nach der Vorstellung auf einer Privatbühne, und ihr Herz klopfte so schnell, dass sie befürchtete, es könnte ihr aus der Brust springen. Das auserwählte Publikum klatschte und lächelte, als sie in einem tiefen Knicks versank, bevor sie sich wieder auf die Zehenspitzen stellte und anmutig von der Bühne trippelte. Sie hielt den Rücken gerade, die Arme ausgebreitet und lächelte, obwohl ihr Rücken, ihre Arme und ihre Füße schmerzten.

»Gut gemacht«, murmelte ihre Mutter, als sie Estée hinter der Bühne mit weit ausgebreiteten Armen empfing und ihr einen Kuss auf jede Wange gab, immer noch in Sichtweite des Publikums. »Sie sind begeistert.«

Estée wusste, was das bedeutete. Ihre Mutter wollte, dass alle es sahen, alle, die etwas bedeuteten. Heute war es darum gegangen, den einflussreichen Familien im Piemont und weit darüber hinaus zu zeigen, wie talentiert das Mädchen in ihrer Mitte war. Sie hatte auch gesehen, wie jemand ihrer Mutter vorhin Geld in die Hand gedrückt hatte, also wusste sie, dass ihre Familie für den Auftritt bezahlt worden war. Und der einzige Grund, warum ihre Mutter Zuneigung zeigte, bestand darin, dass immer noch alle sie sehen konnten. Sie versuchte, ihren Körper nicht starr zu halten und so zu tun, als sei es vollkommen normal, von ihr mit so viel Wärme in die Arme genommen zu werden.

Estée tanzte gern, und ihre Mutter erzählte oft die Geschichte von ihr als dem kleinen Mädchen, das bereits getanzt hatte, bevor es laufen konnte, obwohl sie wusste, dass diese Geschichte mehr als nur ein wenig ausgeschmückt war. Doch es stimmte, dass sie von klein auf gern getanzt hatte und ihr Talent schon bald erkannt worden war, nachdem sie mit dem Ballettunterricht angefangen hatte.

Als ihre Mutter begann, die Familien zu grüßen, die sich zum Gehen erhoben, stellte sich Estée neben sie. Ihre Haltung war makellos, sie fixierte ihr Lächeln, legte den Kopf leicht schief und versuchte, sittsam zu wirken. Gelegentlich hob sie die Hand zu einem perfekten Winken, ängstlich darauf bedacht, keine falsche Bewegung zu machen, für die sie später gestraft werden könnte.

Sie war diejenige, die das Glück ihrer Familie wenden sollte. Das Gewicht der Welt ihrer Familie lastete auf ihren Schultern, und manchmal drehte sich ihr bei dem Gedanken der Magen um, genauso schmerzhaft wie sonst, wenn ihr Körper nachts verzweifelt nach mehr Nahrung schrie. Obwohl sie den ganzen Tag trainierte, bekam sie nur das Allernotwendigste, um ihren Körper zu erhalten, kein Vergleich zu dem, was ihre Geschwister zu essen bekamen. Du musst zart bleiben, Estée, wie ein kleiner Vogel. Niemand findet eine fette kleine Tänzerin hübsch, nicht wahr?

Sie blickte an ihren Beinen hinunter, weil sie wusste, wie sehr sich ihre Mutter über jeden Zentimeter aufregte, den sie zulegte, obwohl sie gerade einmal zwölf Jahre alt war. Ihre Wadenmuskeln wurden von Monat zu Monat stärker, ein Resultat ihres Trainings und etwas, worauf sie laut ihrer Ballettlehrerin stolz sein sollte. Aber manchmal fragte sie sich, ob ihre Mutter Muskeln mit Fett verwechselte, denn je mehr sie jeden Tag tanzte, desto stärker wurden ihre Muskeln. Und desto weniger darf ich essen.

Ein Junge löste sich aus der Gruppe seiner Eltern und Geschwister und kam auf sie zu, und als sie ihn erblickte, vergaß Estée plötzlich ihren Magen. Dieser Junge hatte strahlende Augen, und sein Lächeln war irgendwie etwas ganz Besonderes, es erhellte sein ganzes Gesicht, ganz anders als bei den anderen, die nur aus Höflichkeit lächelten. Er grinste sie an, sie grinste zurück, und ihre perfekt beherrschte Haltung geriet ins Wanken.

Während sich seine Familie mit den Umstehenden unterhielt und ihre Mutter in ein Gespräch mit einer anderen Frau vertieft war, schob sich Estée näher an den Jungen heran und fragte sich, wer er wohl sein mochte. Sie ging nicht mehr zur Schule, und sie waren erst vor Kurzem wegen der Arbeit ihres Vaters ins Piemont gezogen, also kannte sie keines der Kinder hier. Nicht, dass ihre Mutter ihr erlaubt hätte, sie kennenzulernen. Sie durfte nichts tun, was sie vom Ballett ablenken könnte.

Als der Junge ihr zunickte und ihr bedeutete, dass sie ihm folgen sollte, konnte Estée nicht widerstehen und blickte seinem dunklen Kopf nach, als er durch die Menge verschwand. Wo wollte er hin? Und warum wollte er, dass sie ihm nachging?

Estée blickte zu ihrer Mutter und stellte fest, dass sie noch immer so sehr in ein Gespräch vertieft war, dass sie wohl kaum bemerken würde, wenn ihre kleine Ballerina kurz verschwand, und so schritt sie langsam durch die Menge und lächelte allen höflich zu, an denen sie vorbeikam. Und je mehr Schritte sie machte, desto mutiger fühlte sie sich, bis sie es schließlich geschafft hatte, den Raum zu verlassen. Ein Schauer durchlief sie, als sie in den Garten hinaustrat und die kühle Herbstluft auf ihre nackten Schultern traf. Sie hielt nach dem Jungen Ausschau, der sie so unglaublich faszinierte.

Da ist er.

Sie warf einen Blick über die Schulter, bevor sie zu ihm ging, halb in der Erwartung, dass ihre Mutter ihre Abwesenheit bereits bemerkt hatte und ihr nachgekommen war. Aber da war niemand hinter ihr. Sie schluckte, zögerte und überdachte ihre Entscheidung, ihm zu folgen. Sie wollte sich nicht ausmalen, was sie zu hören bekommen würde, wenn sie allein mit einem Jungen gesehen wurde. Manchmal fühlte sie sich noch wie ein kleines Mädchen, aber sie wusste, wie sie aussah: an der Schwelle zur Frau und leicht in der Lage, einem Mann im Vorübergehen den Kopf zu verdrehen, was bedeutete, dass sie mit niemandem allein sein sollte, ganz egal ob Mann oder Junge. Und doch ging sie weiter auf ihn zu.

»Hallo«, rief er und setzte sich auf eine Bank.

»Hallo«, antwortete sie und ließ sich vorsichtig neben ihm nieder. Sie wollte nicht zu dicht neben ihm sitzen und war verzweifelt bemüht, ihre Sittsamkeit in ihrem Tutu zu wahren.

Eine Weile lang saßen sie schweigend nebeneinander, und sie beobachtete, wie er geistesabwesend mit den Fingern an einem Grashalm zupfte, bevor er etwas aus seiner Tasche holte.

Neugierig beobachtete sie, wie er eine Zigarette hervorzog und sie sich zwischen die Lippen steckte, ein Streichholz anriss und einen Zug nahm. Er hustete ein wenig, was sie beide zum Lachen brachte, bevor er ihr die Zigarette anbot. Einen Moment lang hatte er so erwachsen gewirkt, aber jetzt konnte sie sehen, dass er nur ein Junge war, der sich als Mann ausgab; so wie sie ein Mädchen war, das vorgab, eine Frau zu sein. Sie wusste, dass er sie beeindrucken wollte, und fragte sich, ob er die Zigarette seinem Vater gestohlen hatte.

Estée zögerte, ihre Finger verkrampften sich, während sie gegen ihr besseres Wissen ankämpfte. Nimm sie einfach.

Sie hatte bereits die Stimme ihrer Mutter im Ohr und wusste, dass sie es nicht tun sollte, aber dieser Junge war etwas Besonderes, und sie war es so leid, immer nur zu tun, was ihre Mutter sagte. Er lächelte sie an. Sie war es gewöhnt, dass Männer flüsterten und sich gegenseitig anstießen, ihre Lobeshymnen und Anspielungen, die ihr Unwohlsein bereiteten, und sie war daran gewöhnt, dass Jungen versuchten, sie zu beeindrucken, und dabei so viel erzählten, als hörten sie sich vor allem gern selbst reden, aber bei ihm war das alles anders. Er wirkte offen und neugierig und strahlte eine Ruhe aus, die sie anzog.

Estée streckte die Hand aus, er rückte etwas näher und reichte ihr vorsichtig die Zigarette, wobei sich ihre Finger berührten. Sie hatte Filmstars auf der Leinwand elegant rauchen sehen und reiche Frauen nach den Ballettaufführungen, die noch glamouröser wirkten, wenn sie in Gesellschaft rauchten und dabei schicke Zigarettenspitzen nutzten. Sie versuchte, es ihnen gleichzutun, doch schon beim ersten Zug blieb ihr der Rauch im Hals stecken, und sie bekam einen Hustenanfall – nicht gerade die glamouröse Haltung, um die sie sich bemüht hatte.

Der Junge lächelte, aber er lachte nicht über ihre Ungeschicklichkeit. Stattdessen klopfte er ihr ein Mal auf den Rücken, dann zog er seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern und rückte noch ein wenig näher an sie heran. Sie kuschelte sich in seine Jacke ein, dankbar dafür, dass ihr der kalte Wind nicht mehr in die nackte Haut biss, und gleichzeitig verlegen darüber, wie selbstverständlich er sich zu ihr herübergebeugt hatte, um sie zu berühren.

»Warum mögen die alle so gerne?«, fragte sie, als sie ihm die Zigarette zurückgab. »Sie schmecken furchtbar.«

Er zuckte mit den Schultern, nahm einen weiteren Zug und blies den Rauch aus. »Man darf nur kleine Züge nehmen. Man gewöhnt sich daran.«

Aber sie war sich nicht sicher, ob er es überhaupt mochte oder ob er oft rauchte, denn sobald sie ihren Unmut ausgesprochen hatte, ließ er die Zigarette fallen und zerquetschte sie unter seinem Schuh. Vielleicht wollte er auch nur höflich sein.

»Ich bin Felix«, sagte er und reichte ihr die Hand.

»Estée«, sagte sie, nahm seine Hand und schüttelte sie leicht.

Sie lachten beide unbeholfen, ließen die Hände wieder sinken und blickten auf den Teich hinaus. Wären sie erwachsen gewesen, hätten sie sich auf die Wangen geküsst, aber sie steckten irgendwo dazwischen, und anscheinend war keiner von ihnen besonders gut darin, sich etwas vorzumachen.

»Tanzt du eigentlich gerne?«, fragte er und warf ihr einen Seitenblick zu, der von einem schüchternen Lächeln begleitet wurde.

»Ich liebe das Tanzen«, sagte sie und wusste, dass ihre Antwort sowohl zutiefst aufrichtig als auch gelogen war. Sie hatte das Tanzen einmal geliebt, aber sie war sich nicht mehr sicher, ob sie es noch so sehr liebte wie damals.

»Warum hast du dann vorhin so traurig ausgesehen?«

Sie spürte, wie ihre Augenbrauen vor Überraschung in die Höhe schnellten. »Wann denn? Ich war nicht traurig.«

»Ich glaube, du bist einfach gut darin, so zu tun, als wärst du glücklich«, sagte er. »Deine Augen sahen traurig aus, obwohl du gelächelt hast.«

Sie merkte sich, dass sie ihre Haltung verbessern musste, ihren Blick, ihr Blinzeln. Sie musste immer glücklich wirken, nicht nur beim Tanzen, sondern auch in Gesellschaft anderer.

Sie grub die Fingernägel in die Handflächen, während sie spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg. Wenn dieser Junge es schon bemerkt hatte, wie sollte sie dann anderen etwas vormachen?

Wenn ich nicht perfekt bin, schaffe ich es nie. Ich habe keine Zeit dafür, Zigaretten zu rauchen und mit Jungen zu reden. Was mache ich hier überhaupt?

»Warum tust du das?«, fragte er und griff nach ihrer Hand, als sie ihre Nägel so fest in die Haut drückte, dass es sie all ihre Willenskraft kostete, nicht aufzuschreien. »Warum tust du dir selbst weh?«

Sie riss ihre Hand weg, beschämt darüber, dass sie ertappt worden war.

»Ich tue gar nichts.«

Estée stand auf, schälte sich hastig aus seiner Jacke, und er fing sie auf, bevor sie ins Gras fiel. Sie hätte drinnen bleiben sollen, was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihm nachzulaufen?

»Ich darf eigentlich gar nicht hier sein«, sagte sie und strich mit den Fingern den rosafarbenen Tüll glatt.

»Darfst du dich nicht mal amüsieren?«, fragte er und zog seine Jacke nicht an, sondern hielt sie ihr hin, für den Fall, dass sie sie zurückhaben wollte.

»Nein«, sagte sie und konnte diesmal trotz aller Mühe ihre Traurigkeit nicht verbergen. »Ich darf mich nicht amüsieren. Ich darf nur tanzen.«

»Sag mir, wo du wohnst«, sagte er. »Manchmal schleiche ich mich nachts raus und gehe runter zum Fluss. Du könntest mitkommen, wenn du willst?«

Sie schüttelte den Kopf. Sie wusste es besser, als sich nachts mit irgendjemandem draußen herumzutreiben, und er war … wie alt konnte er sein, dreizehn? Vielleicht sogar vierzehn? Es wäre nicht in Ordnung. Wenn jemand sie sah, könnte das ihren Ruf für immer ruinieren. Und er sollte es auch besser wissen.

»Ich muss zurück«, sagte sie und war gleichzeitig versucht, sich dennoch wieder hinzusetzen. Sie kannte alle Gründe, warum sie gehen sollte, aber etwas in ihr wollte sie überzeugen, noch ein wenig zu bleiben.

Felix stand ebenfalls auf und legte ihr sanft seine Jacke wieder um die Schultern. »Falls du deine Meinung änderst, komm zu mir«, sagte er. »Bei mir bist du sicher, das verspreche ich dir. Manchmal gehe ich nachts allein spazieren, manchmal mit Freunden.«

Sie blickte in seine warmen, dunklen und unschuldigen Augen und wusste, dass er die Wahrheit sagte. In seinem Blick lag nichts Ruchloses, und sie fühlte sich auf eine Weise zu ihm hingezogen, die sie nie zuvor empfunden hatte. Ihr ganzes Leben hatte sich immer nur ums Tanzen gedreht, so dass sie immer viel alleine gewesen war. Entweder war sie in der Schule oder sie tanzte, und es gab keine Zeit für Freundinnen oder Jungen. Früher hatte sie aus Liebe zum Tanzen getanzt, aber diese Zeit war lange vorbei. Und jetzt war ihr sogar die Schule genommen worden.

Felix trat näher an sie heran, und etwas veränderte sich zwischen ihnen. Sie sah, wie sein Blick auf ihre Lippen fiel, wie diese freundlichen Augen zu den ihren zurückkehrten, als wollten sie fragen, ob es in Ordnung sei. Als er wieder zu Boden blickte, packte sie ihn am Hemd und ballte den Stoff in ihrer Hand zu einem Knäuel zusammen, zog ihn sanft zu sich heran und drückte ihre Lippen auf die seinen, so wie sie es sich bei einer erwachseneren Version von sich selbst vorstellte.

Ihre Zähne stießen gegeneinander, und ihre Münder bewegten sich unbeholfen, aber für eine Sekunde, nur eine einzige glückliche Sekunde, öffneten sich ihre Lippen und bewegten sich im Gleichtakt. Und zum ersten Mal schickte etwas anderes als das Tanzen einen Schock der Erwartung durch ihren Körper.

»Estée!«, drang es aus der Ferne zu ihr heran.

»Ich muss gehen«, flüsterte sie und ließ Felix los.

Als sie ihn anlächelte, wurden seine Wangen rot.

»Wirf einfach einen Kieselstein«, sagte er, als sie sich zurückzog. »Falls du mich wiedersehen willst, wirf einfach einen Kieselstein an mein Fenster. Unser Haus ist das große Haus mit dem Terrakotta-Dach am Ende der Stadt. Mein Zimmer ist oben, neben der großen Kastanie.«

Sie kannte das Haus, war auf dem Weg zu ihren Tanzstunden schon unzählige Male daran vorbeigegangen, und es war mit Abstand das größte in der ganzen Gegend, sodass es nicht zu übersehen war. Aber wie sehr sie ihn auch noch einmal küssen wollte, sie würde keine Versprechungen machen.

Estée grinste, als sie sich umdrehte und seine Jacke vorne zusammenhielt, während sie zu ihrer Mutter zurücklief. Sie hätte ihm die Jacke zurückgeben sollen, aber wenn sie sie behielt, hatte sie einen Grund, ihn noch einmal aufzusuchen.

»Estée!«, rief Felix ihr nach.

Sie drehte sich um, und ihre Blicke trafen sich.

»Ich hoffe, ich sehe dich noch mal tanzen.«

Sie grinste und winkte ihm kurz zu, bevor sie sich wieder umdrehte und loslief, wobei sie genau darauf achtete, nicht zu straucheln, um sich nicht den Knöchel zu verstauchen.

Bei all dem Durcheinander, das in ihren Gedanken herrschte, war eines sonnenklar: Sie würde auf jeden Fall einen Kieselstein an sein Fenster werfen, sie musste nur herausfinden, wie sie sich vorher aus ihrem eigenen Zimmer hinausschleichen konnte.

»Estée!«

»Ich komme, Mama!«, rief sie und lief zurück zum Haus.

Sie war atemlos, als sie bei ihrer Mutter ankam.

»Was ist denn los?«, fragte ihre Mutter, als Estée vor ihr stand und den Blick senkte. Halb fürchtete sie, dass ihre Lippen aussahen wie von einer Biene gestochen oder ihre Wangen zu stark gerötet waren.

Ihre Mutter packte sie grob am Kinn, drehte ihren Kopf hin und her und kniff die Augen kritisch zusammen. »Du bist ja ganz rot. Bist du etwa krank?« Sie legte die Hand auf Estées Stirn. »Du fühlst dich heiß an. Wo warst du? Ich konnte dich nirgends sehen.«

Da fiel Estée die Jacke wieder ein, und die Galle stieg ihr in die Kehle, als sie ihre Mutter anstarrte. Sie hätte sie ausziehen sollen, bevor sie wieder hineingegangen war. Jetzt würde ihre Mutter alles herausfinden.

»Und wem gehört die?«, fragte ihre Mutter und schnippte mit dem Nagel an ihre Schulter.

Estée wickelte sich enger in die Jacke. »Ich war nur kurz an der frischen Luft. Ich hab mich nicht ganz wohl gefühlt. Und da hat mir ein … ein netter Junge seine Jacke geliehen. Er hat gesehen, dass mir kalt war.«

Ihre Mutter schnaubte verächtlich, ein Geräusch, das sie nur zu gut beherrschte. »Was für ein Junge?«

»Er hieß Felix«, antwortete sie, da sie ihre Mutter nicht anlügen wollte.

»Felix Barbieri?«, fragte sie.

Estée zuckte mit den Schultern, überrascht, dass ihre Mutter ihn kannte, und erhielt für ihre Unverschämtheit einen scharfen Klaps auf die Hand. Ihre Mutter duldete kein Verhalten, das nicht von höchstem Respekt zeugte. Estées Haut brannte, aber sie hielt das Kinn hoch und weigerte sich, ihr zu zeigen, wie sehr der Hieb geschmerzt hatte.

»Warst du allein mit ihm?«

Estée senkte den Blick und nickte beschämt, denn sie wusste, dass sie keine Widerworte geben durfte. Hätte sie jetzt das Kinn weiter hochgehalten, hätte sie sich eine schallende Ohrfeige eingehandelt.

»Hast du eine Ahnung, was die Leute sagen werden, wenn sie dich ohne Aufsicht mit einem Jungen sehen?«, zischte sie. »Jungen wollen nur eines von Mädchen wie dir, Estée. Hast du mich verstanden? Was glaubst du, was für eine Zukunft du hättest, wenn jemand herumerzählte, dass die hübsche kleine Balletttänzerin ihre Zeit nichtsnutzig mit Jungen vertändelt?«

Estée schluckte, während ihre Schultern, ihre Hände, ihre Knie zu zittern begannen.

»Verstehst du, was ich sage?«

»Ja, Mama«, antwortete sie, als ihr die Jacke von den Schultern gerissen wurde.

Estée hatte eigentlich keine Ahnung, was Jungen von ihr wollen könnten, aber wenn es ein Kuss war, dann war sie diejenige, die daran schuld war, nicht Felix.

Ihre Mutter seufzte. »Du hättest es heute besser machen können, Estée. Du kannst es immer besser machen.«

Estées Tanz war perfekt gewesen, sie kannte die Abfolge wie ihre Westentasche, konnte sie im Schlaf tanzen, und das tat sie auch. Aber nichts war jemals gut genug für ihre Mutter.

»Ja, Mama«, antwortete sie, wohl wissend, dass es besser war, sich nicht über ihre Leistung zu streiten. Es war leichter, einfach das zu tun, was von ihr verlangt wurde.

Doch als ihre Mutter ihr den Rücken zudrehte und wegging, sprang sie schnell vor, nahm sich Felix’ Jacke, ballte sie zu einem Knäuel zusammen und eilte zu ihrer Tasche. Bevor sie die Jacke darin verstaute, hielt sich Estée die Jacke an die Nase und atmete ihren Geruch ein. Sie wurde mit frischem Zigarettenrauch und einer weiteren Note belohnt, vielleicht der Seife, die er benutzte, zitrusartig und frisch. Derselbe Geruch, der mir in die Nase gestiegen ist, als ich ihn an mich gezogen habe.

Sie stopfte die Jacke in ihre Tasche und zog den Reißverschluss zu.

Ich will diesen Jungen wieder küssen, und nichts wird mich davon abhalten.

5

Gegenwart

Lily lief die letzten paar Schritte zurück zu ihrer Wohnung, während der Regen in schweren Tropfen vom Himmel fiel.

Sie nahm zwei Stufen auf einmal und war ganz außer Atem, als sie die Wohnungstür aufriss und hinter sich wieder schloss. Die kleine Holzschachtel schien ein Loch in ihre Tasche zu brennen und darum zu betteln, geöffnet zu werden. Also stellte Lily ihre Handtasche auf den Tisch und zog die Schachtel heraus.

Sie hielt die Schachtel in der Hand und blickte sie nachdenklich an. Mia hatte angedeutet, dass sie wahrscheinlich einen Hinweis auf die Vergangenheit enthielt, aber das Problem war, dass sie nicht einmal wusste, ob es eine Vergangenheit gab, die es zu entdecken galt. Sie konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken, was Mia gesagt hatte. Werde ich es bereuen, wenn ich die Schachtel öffne und etwas über meine Vergangenheit herausfinde, das all die Jahre ein Geheimnis war?

Sie fuhr mit den Fingern über das Kärtchen mit dem Namen ihrer Großmutter und zupfte an der Schnur, mit der die Schachtel fest verschlossen war. Der Knoten war jedoch so straff, dass sie eine Schere holen musste. Als sie die Schnur durchschnitt und auf den Tisch fallen ließ, überlegte sie, wie lange sie unter den Bodendielen gelegen haben musste, und malte sich aus, wie diese geheimnisvolle Frau namens Hope das, was sich darin befand, gesichert hatte, bevor sie ein Stück Schnur abgeschnitten hatte, um die Schachtel damit zuzubinden.

Aber vielleicht hat diese Hope auch nie gesehen, was sich darin befindet. Vielleicht hat sie nur den Namen auf das Etikett geschrieben und die Schachtel versteckt?

Lily hob den Deckel ab und erwartete einen eng gefalteten Brief oder vielleicht eine Geburtsurkunde, doch stattdessen fand sie ein Stück bedrucktes Papier, offensichtlich von einem größeren Blatt abgerissen, vielleicht etwas Offiziellem, und alles, was sie erkannte, waren die Worte Teatro alla Scala in der Ecke. Sie kramte nach ihrem Handy, rief Google auf und gab den Namen ein. Stimmt ja, La Scala, das berühmte Opernhaus in Mailand.

Später würde sie versuchen, den Text online zu übersetzen, aber fürs Erste legte sie ihn beiseite. In der Schachtel befand sich noch ein weiteres Stück Papier, aber dieses war weicher, wie Briefpapier vielleicht, und es war von Hand beschrieben, die Tinte wesentlich verblasster als der gedruckte Text.

Sie starrte auf die Worte, bei denen es sich um ein Rezept zu handeln schien. Sie legte es beiseite, genervt, weil sie die Sprache nicht verstand, hob die Schachtel hoch und untersuchte sie sorgfältig, drehte und wendete sie, als erwartete sie, noch etwas anderes zu finden, ein geheimes Bodenfach vielleicht, aber es gab nichts weiter zu entdecken.

»Italienisch, hm?«, murmelte sie, als sie nach den beiden Blättern griff und sie sorgfältig wieder zusammenfaltete.

Bedeutete das, dass ihre Großmutter Italienerin gewesen war? Stammten Lilys tintenschwarzes Haar und die hübschen Gesichtszüge ihres Vaters daher? Hatte ihre Familie italienische Vorfahren, von denen sie bislang nichts gewusst hatte? Sie versuchte sich zu erinnern, ob ihre Großmutter einmal irgendetwas in diese Richtung gesagt oder getan hatte, dem sie, Lily, vielleicht keine Bedeutung beigemessen hatte. Oder hatte ihre Großmutter davon gewusst und es geheim gehalten, weil sie sich irgendwie für ihre Vergangenheit schämte?

Lily musste plötzlich lachen, als sie die Papiere zurück in die Schachtel legte und diese wieder in ihre Tasche steckte. Dad, und du hast dich immer gewundert, warum deine Mutter so aufbrausend war!

In diesem Moment piepte ihr Telefon. Sie nahm es zur Hand, ging ihre E-Mails durch und riss die Augen auf, als sie den Namen Roberto Martinelli erblickte – das war der Winzer aus der Region Como, zu dem sie in etwas mehr als einer Woche fahren wollte.

 

Lily,

ich hoffe, es geht Ihnen gut. Die Trauben reifen in diesem Jahr schneller als erwartet, deshalb brauchen wir Sie hier eventuell früher als geplant. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie es einrichten könnten, schon Montag anzureisen. Die Kosten für den umgebuchten Flug erstatten wir Ihnen selbstverständlich. Bitte entschuldigen Sie, dass das jetzt so kurzfristig kommt.

R.M.

 

Lily grinste. Vielleicht würde sie am Ende das Internet doch nicht zum Übersetzen brauchen. Wenn sie schon am Montag in Italien war, könnte sie einfach einen ihrer neuen Arbeitskollegen bitten, für sie zu übersetzen.

Sie antwortete Roberto und eilte dann in ihr Schlafzimmer, wo sie den riesigen Wäschestapel auf dem Boden betrachtete. Sie hatte nur noch weniger als achtundvierzig Stunden Zeit, um sich vorzubereiten und zu packen, und wenn alles nach Plan lief, würde sie mindestens ein paar Monate dort bleiben, also musste sie sich genau überlegen, was sie mitnahm. Aber Kleidung war jetzt ihre geringste Sorge. Sie konnte nicht aufhören, über Mailand und die Scala nachzudenken und darüber, welche Verbindung ihre Großmutter zu einem so berühmten Ort gehabt haben könnte.

6

Lily atmete tief die warme, feuchte Luft ein, als sie in den Sonnenschein trat. Italien. Endlich. Der Flug hatte sich im Vergleich zu ihrer letzten Langstreckenreise kurz angefühlt, es waren nur etwas mehr als zwei Stunden von London zum Flughafen Malpensa in der Nähe von Mailand, auch wenn sie jetzt mit dem Zug nach Como fahren musste. Sie schaute sich um und wünschte, sie hätte noch Zeit, Mailand zu erkunden.

Sie blieb einen Moment vor dem Flughafen stehen, schaltete ihr Telefon ein und überprüfte, von welchem Bahnsteig ihr Zug abfuhr. Während sie noch abwartete, ob irgendwelche Nachrichten eintrafen, schaute sie sich um. Sie war froh, dass sie ihr fließendes Maxikleid angezogen hatte, denn die Wärme des Tages umarmte sie. Ihr Nacken war etwas feucht, und sie hob ihr langes Haar mit beiden Händen an und wünschte, sie hätte es hochgebunden.

Dann piepte ihr Telefon, sie nahm die Hände aus den Haaren und scrollte schnell ihre Nachrichten durch. Eine stammte von ihrer Mutter, und sie tippte darauf, überrascht darüber, dass sie ihr überhaupt eine Textnachricht geschickt hatte. Sie waren zum Mittagessen verabredet, und Lily sollte bei ihr übernachten, bevor sie am Morgen zum Weingut aufbrach. Doch als sie einen Blick auf die Uhr warf, wurde ihr klar, dass sie das wohl kaum noch rechtzeitig schaffen konnte.

Sie sah ein Taxi vorbeifahren, nicht weit von der Stelle entfernt, wo sie stand, und stöhnte auf. Mit dem Taxi würde sie wohl kaum länger als fünfundvierzig Minuten bis nach Como brauchen, aber es würde wahrscheinlich auch sehr kostspielig werden.

Lily ließ das Handy in ihre Tasche gleiten und warf einen Blick auf die Schachtel, die sie sicher neben ihrer Brieftasche verstaut hatte. Es fiel ihr schwer, nicht daran zu denken, seit sie sie geöffnet hatte. Abgesehen von einer kurzen Internetrecherche zum Opernhaus La Scala hatte sie noch nichts Nützliches herausfinden können.

Ich könnte den Lunch sausen lassen und es mir einfach mal mit eigenen Augen ansehen. Sie schüttelte den Kopf und schalt sich innerlich für den Gedanken. Sie hatte ihre Mutter schon ewig nicht mehr gesehen! Außerdem, was sollte es bringen, selbst dorthin zu gehen? Sie hatte nichts außer dem Ausriss aus einem alten Programm, und sie konnte nicht einfach auf irgendjemanden zugehen und ihn fragen, ob er ihr helfen könnte – sie wusste ja nicht einmal, wonach sie suchte, und sie sprach kein Italienisch!

Sie schob ihre Tasche wieder über die Schulter und ging los, in die entgegengesetzte Richtung des Bahnhofs. Plötzlich erschien ihr der Gedanke an eine schnelle Fahrt, bei der sie den ganzen Rücksitz für sich allein hatte, überaus verlockend, selbst wenn es ein kleines Vermögen kosten sollte.

Lily winkte einem Taxi, das erste hielt nicht für sie an, aber das zweite tat es, und sie beugte sich hinunter, um den Fahrer durch das Fenster anzusprechen.

»Lago di Como?«, fragte sie.

»Si«, antwortete er mit einem breiten Lächeln und musterte sie aus dunklen Augen, was ihr eine leichte Röte in die Wangen trieb.

Innerhalb von Sekunden war er ausgestiegen und nahm ihr das Gepäck ab, während sie auf den Rücksitz kletterte und die Menschen betrachtete, die die Straße überquerten, das geschäftige Hin- und Herfahren der Autos, die zum Flughafen kamen oder wegfuhren. Als der Fahrer wieder hinter dem Steuer Platz genommen hatte, sah sie, wie er sie im Rückspiegel anschaute, und lächelte.

»Sprechen Sie Englisch?«, fragte sie.

Er nickte. »Ein wenig.«

»Mehr als ich Italienisch, da bin ich mir sicher.«

Sie blickte aus dem Fenster und fragte sich, wo genau das Opernhaus lag.

»Wie lange leben Sie schon in Mailand?«, fragte sie.

»Mein ganzes Leben«, sagte er, wobei sein Blick zwischen der Straße und dem Rückspiegel hin und her sprang.

»Kennen Sie sich mit der Scala aus?«, fragte sie und merkte in dem Moment, in dem sie es sagte, wie dumm ihre Frage war. Zweifellos brachte er jeden Tag Fahrgäste zu diesem berühmten Opernhaus!

»Es ist wunderschön, möchten Sie es erst noch besichtigen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich will da nicht hin, ich versuche nur, mehr darüber zu erfahren.« Sie wusste eigentlich nicht wirklich, was sie ihn überhaupt fragen wollte. »Ich glaube, meine Großmutter, oder vielleicht meine Urgroßmutter, hatte irgendeine Verbindung zur Scala. Ich bin mir allerdings nicht sicher, wie oder wann, aber vielleicht nach dem Krieg.«

Er lächelte sie an, und sie vermutete, dass er sie nicht verstand, dass sein Englisch vielleicht doch nicht gut genug war, um ihrem Geplapper zu folgen.

»War sie vielleicht eine Künstlerin, die dort aufgetreten ist, eine Tänzerin oder Sängerin?«, fragte er auf einmal.

Lily blickte überrascht auf. »Vielleicht«, stimmte sie zu.

»War Ihre Großmutter Italienerin?«, fragte er. »So hübsch, wie Sie aussehen, haben Sie doch bestimmt italienisches Blut, oder?«

Sie lachte. »Das glaube ich nicht, aber danke für das Kompliment. Sehr schmeichelhaft.«

Italienerin! Ha! Sie lachte in sich hinein. Sie war definitiv keine Italienerin, obwohl ihr der Gedanke daran in den letzten Tagen mehr als einmal durch den Kopf gegangen war. Aber so etwas würde ich doch wissen, oder?

***

Lily richtete sich auf, als der Wagen langsamer fuhr, blickte aus dem Fenster und sog alles in sich auf. Como war anders, als sie erwartet hatte, eher geschäftig als malerisch.

»Hier ist aber viel los«, sagte sie.

»Ja«, seufzte der Taxifahrer und klang traurig. »Wir brauchen die Touristen wegen ihres Geldes, aber wir hassen sie auch dafür.«

Sie verstand genau, was er meinte, denn sie konnte es mit eigenen Augen sehen. Es wimmelte nur so von Menschen, und es war noch nicht einmal Hochsommer.

»Sie haben angefangen, hier Häuser zu kaufen, und dann haben sie nie wieder damit aufgehört.«

Lily konnte sich kaum vorstellen, wie es für die Einheimischen sein musste, wenn all die Neureichen in ihr kleines Stückchen Paradies strömten. Wie zur Bestätigung ihrer Gedanken beobachtete sie die Schnellboote, die über den See rasten, und als der Taxifahrer ihr die Tür aufhielt, schlug ihr das ohrenbetäubende Dröhnen der Motoren entgegen.

»Porca miseria«, fluchte er, und sie stöhnte mitfühlend auf, weil sie seinen Schmerz verstand.

Sie befanden sich vor dem Eingang der Villa d’Este, dem Hotel, in dem ihre Mutter logierte und wo Lily sie heute besuchen sollte. Lily bezahlte, bevor sie ausstieg und feststellte, dass es noch etwas schwüler war als vorhin, während der Fahrer ihre Taschen aus dem Kofferraum hob. Die Temperatur war jedoch perfekt, und sie genoss die Wärme und die Sonne auf ihren Schultern. Schon bald würde sie das beste Essen ihres Lebens genießen, hervorragende Weine trinken und von wunderbaren Menschen umgeben sein. Neuseeland war großartig gewesen, aber von Italien versprach sie sich noch viel mehr.

Lily betrat die Halle, dankbar dafür, dass ihre Mutter sie einlud, denn die Preise konnten einem die Tränen in die Augen treiben, aber das Hotel war genauso schön, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte im Flugzeug darüber gelesen und wusste, dass es eines dieser familiengeführten Häuser voller altem Charme und noch älterem Geld war, und so überraschten sie die üppigen Kronleuchter nicht, die von den hohen Decken hingen.

Es war geradezu magisch.

»Darling!«

Noch bevor der Concierge ihr das Gepäck abnehmen konnte, wurde Lily von einer farbenfrohen Umarmung erfasst, umhüllte sie der leuchtend bunte Kaftan ihrer Mutter ebenso wie ihr Parfüm.

»Ich freue mich so«, sagte Lily und lächelte, als ihre Mutter kurz zurücktrat, bevor sie sie noch einmal fest umarmte.

»Sieh dich nur an! Du siehst fabelhaft aus.«

Lily blickte an sich herunter. »Wirklich? Ich glaube, du übertreibst.«

»Nicht deine Klamotten, aber du, sieh dich nur an.« Ihre Mum schüttelte den Kopf. »Deine Haut sieht toll aus, und deine Haare«, sie streckte die Hand aus und zerzauste Lilys Haar. »Versprich mir, dass du sie nicht abschneidest. Sie sehen so unglaublich aus in dieser Länge. Du siehst unglaublich aus.«

Lily hob instinktiv eine Hand an ihr Haar und fühlte sich wieder wie ein kleines Mädchen, als sie das Lob ihrer Mutter aufsaugte. Doch ihre Aufmerksamkeit richtete sich schnell auf den Mann, den ihre Mutter herüberwinkte und der bis dahin offensichtlich das Wiedersehen von einem Sessel aus beobachtet hatte, eine zusammengefaltete Zeitung auf dem Knie. Sie erkannte ihn sofort – Alan hatte sie schon oft bei Videotelefonaten gegrüßt, wenn sie aus dem Ausland mit ihrer Mutter gechattet hatte.

»Alan! Komm her!«, rief ihre Mutter strahlend.

»Wie schön, dich endlich persönlich kennenzulernen, Lily«, sagte Alan, als er zu ihnen kam.

»Mir geht es genauso«, antwortete sie und fand ihn gleich sympathisch, als er den Arm um ihre Mutter legte. Sie schienen glücklich miteinander zu sein, und so gern sie auch etwas Zeit allein mit ihrer Mutter verbracht hätte, so sehr hatte sie sich doch immer gewünscht, dass sie jemanden fand, mit dem sie den Rest ihres Lebens genießen konnte.

»Wir lassen deine Taschen gleich aufs Zimmer bringen, ja?«, sagte ihre Mutter. »Dann können wir zum Mittagessen gehen und das schöne Wetter genießen. Ich liebe es einfach, mich wie eine Einheimische zu fühlen.«

Lily unterdrückte ein Lachen. Einheimisch?