Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 673 - Katja von Seeberg - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 673 E-Book

Katja von Seeberg

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Beschreibung

Nach dem frühen Tod ihrer Eltern ist Piroschka von Camerone bei ihrer strengen Tante Immanuela auf Gut Bergholm aufgewachsen. Jetzt, mit einundzwanzig, soll Piroschka nach und nach die Leitung des Guts übernehmen, um eine unabhängige Frau zu sein, wenn sie einst ihr Erbe antritt.
Die Tante ahnt nicht, dass Piroschka seit ihrem sechzehnten Lebensjahr in den Majorettsherrn vom Falkenhof verliebt ist. Bei einem heimlichen Ausritt ist sie damals dem Baron vom Nachbargut begegnet, und seitdem hat sie ihn nie vergessen können.
Als Piroschka ihn nun durch Zufall wiedersieht, bittet Magnus von Falkenhof sie völlig überraschend, seine Frau zu werden. Die Tante tobt, als sie davon erfährt, denn Baron von Falkenhof steht vor dem Ruin, sein überstürzter Antrag ist offensichtlich sein letzter Versuch, sein Vermögen zu retten. Wenn Piroschka diesen Mitgiftjäger wirklich heiratet, wird Tante Immanuela sie sofort enterben! Und so stellt sie den Baron vor die Wahl: Er kann sich mit Piroschka vermählen, aber dann wird er ein mittelloses Mädchen zur Frau haben und sein Gut verlieren ...


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Inhalt

Cover

Sein schlechter Leumund

Vorschau

Impressum

Sein schlechter Leumund

Ist der Majoratsherr vom Falkenhof ein gerissener Mitgiftjäger?

Nach dem frühen Tod ihrer Eltern ist Piroschka von Camerone bei ihrer strengen Tante Immanuela auf Gut Bergholm aufgewachsen. Jetzt, mit einundzwanzig, soll Piroschka nach und nach die Leitung des Guts übernehmen, um eine unabhängige Frau zu sein, wenn sie einst ihr Erbe antritt.

Die Tante ahnt nicht, dass Piroschka seit ihrem sechzehnten Lebensjahr in den Majorettsherrn vom Falkenhof verliebt ist. Bei einem heimlichen Ausritt ist sie damals dem Baron vom Nachbargut begegnet, und seitdem hat sie ihn nie vergessen können.

Als Piroschka ihn nun durch Zufall wiedersieht, bittet Magnus von Falkenhof sie völlig überraschend, seine Frau zu werden. Die Tante tobt, als sie davon erfährt, denn Baron von Falkenhof steht vor dem Ruin, sein überstürzter Antrag ist offensichtlich sein letzter Versuch, sein Vermögen zu retten. Wenn Piroschka diesen Mitgiftjäger wirklich heiratet, wird Tante Immanuela sie sofort enterben! Und so stellt sie den Baron vor die Wahl: Er kann sich mit Piroschka vermählen, aber dann wird er ein mittelloses Mädchen zur Frau haben und sein Gut verlieren ...

»Piroschka ist hässlich und wird hässlich bleiben, rothaarig und sommersprossig.« Tante Immanuela hatte einen kriegerischen Ausdruck im Gesicht, als sie ihre Schwester Leopoldine ansah. »Sie wird ihre Reitstunden einstellen, denn es ist nicht nötig, dass sie vom Reiten auch noch krumme Beine bekommt.«

Tante Leopoldine wusste aus langjähriger Erfahrung, dass ein Widerspruch gegen einmal getroffene Entscheidungen Tante Immanuelas unmöglich war.

Es war kein Vergnügen für ein kleines Waisenmädchen, von Immanuela Baronin von Bergholm erzogen zu werden. Piroschkas Eltern waren bei einem Trabrennen tödlich verunglückt.

Damals war Piroschka fünf Jahre alt gewesen, ein dralles, winziges Ding mit roten Rattenschwänzchen, braunen Haselnussaugen und unglaublich vielen Sommersprossen.

Die beiden ungleichen Schwestern saßen auf der Terrasse des Gutshauses und waren mit Beerenlesen beschäftigt, einer scheußlichen Beschäftigung, wie Tante Leopoldine fand. Man bekam so hässliche Hände davon.

»Piroschka wird nie einen Mann bekommen«, äußerte Tante Immanuela jetzt angriffslustig. »Allenfalls einen Mitgiftjäger, der es auf ihr Erbe abgesehen hat.«

»Wenn er sie glücklich macht, wäre das nicht weiter schlimm. Besser jedenfalls, als eine alte Jungfer zu werden.«

Tante Immanuelas schwarze Augen blickten so stechend wie zwei geschliffene Dolche.

»Solange ich lebe, wird sich kein Mitgiftjäger an das unglückliche Wurm heranschleichen, das schwöre ich dir, und ich hoffe, es werden mir noch ein paar Jährchen vergönnt sein. Schließlich ist es mein Erbe, um das es geht.«

»Ja, das ist natürlich richtig«, pflichtete Tante Leopoldine ihr bei, denn sie war ja nur eine arme, abhängige Verwandte, die bei ihrer Schwester das Gnadenbrot erhielt.

»Nach meinem Tode«, fuhr Tante Immanuela energisch fort, »wird Piroschka einmal sehr reich sein. Reich und unabhängig. Ich finde, das ist das Erstrebenswerteste, was es in diesem Leben gibt.«

»Damit hast du wahrscheinlich recht«, stimmte Tante Leopoldine ihr seufzend zu. »Aber ich hoffe doch, dass Piroschka eines Tages einen Mann findet, der sie aus ehrlichem Herzen und echter Liebe heraus freit.«

♥♥♥

Piroschkas Gesicht war blass vor Schreck, als sie sich leise von ihrem heimlichen Lauscherposten in der Buchsbaumhecke unterhalb der Terrasse entfernte. Erst dann fing sie zu laufen an, als gelte es ihr Leben.

Sie rannte querfeldein über die Wiese und erreichte nach einer Weile die Pferdekoppel.

Die Pferde! Es war schrecklich. Piroschka liebte die Pferde so sehr. Tante Leopoldine hatte recht, die Pferde waren Piroschkas ganzes Glück.

Sie lehnte den Kopf an das hölzerne Gatter. Ihre Lieblinge grasten friedlich im Schatten der alten Bäume. Es war ein wunderschöner Tag. Pralles Sonnenlicht lag über den sommersatten Wiesen und Weiden. Kein Wölkchen war am Himmel zu sehen. Aber Piroschka war es, als sei es urplötzlich Nacht geworden. Tränen standen in ihren Augen.

Bisher hatte sie sich noch nie den Kopf darüber zerbrochen, ob sie schön oder hässlich war. Auch die Tatsache, dass sie einmal eine reiche Erbin sein würde, beeindruckte sie nicht sonderlich. Genauso wenig machte es ihr etwas aus, dass sie vermutlich nie einen Mann bekommen würde.

Aber dass sie keine Reitstunden mehr nehmen durfte, das war furchtbar!

Ich mag Tante Immanuela nicht mehr, dachte Piroschka, sie ist kein guter Mensch, sonst könnte sie mir die Reitstunden nicht verbieten. Sie hat kein Herz, deshalb haben auch die Knechte und Mägde alle Angst vor ihr. Wenn sie ein Herz hätte, dann würde sie es niemals fertigbringen, mir meine Pferde fortzunehmen.

Langsam hob sie den Kopf, ihr war blitzartig ein Gedanke gekommen. Ihr kleines Gesicht war nass von Tränen, aber ihre braunen Haselnussaugen funkelten plötzlich.

Fortnehmen, das war der Gedanke, der Piroschka gekommen war, kann sie mir die Pferde ja nicht, denn sie sind da, sie gehören zum Gut. Die Reitstunden verbieten, das ist etwas ganz anderes.

Vorsichtig fing sie an, über den Zaun zu klettern. Einen Riss in der Hose konnte sie sich jetzt nicht leisten. Piroschka lief immer in Hosen herum, erstaunlicherweise hatte Tante Immanuela dagegen nichts einzuwenden, obwohl sie sonst streng darauf achtete, dass Piroschka sich »mädchenhaft« benahm, wie sie das auszudrücken pflegte.

An diesem Nachmittag trug Piroschka knapp sitzende lodengrüne Kniehosen, das war genau das Richtige für das, was sie vorhatte. Die Bluse war weiß und wurde in der schmalen Taille von einem grünen Ledergürtel zusammengehalten.

Vielleicht kam es von der schneeweißen Bluse, dass Piroschka so braun gebrannt aussah, als läge sie den ganzen Tag in der Sonne. Das war natürlich keineswegs der Fall, denn der Tag war genau und streng eingeteilt und enthielt viele Pflichten, auch während der Ferien.

Die von Tante Immanuela geschmähten roten Haare züngelten, zu einem kessen Pferdeschweif gebunden, wie eine rote Flamme über den schmalen Rücken.

Vorsichtig pirschte Piroschka sich an eine friedlich grasende Stute heran.

»Brav, Braunchen«, lobte sie sanft, als die Stute nur den Kopf etwas hob und weitergraste. Zärtlich kraulte sie den Hals des Tieres. »Wollen wir beide es einmal miteinander versuchen? Ich werde auch sehr vorsichtig sein. Du brauchst wirklich keine Angst vor mir zu haben.«

Braunchen war, das wusste Piroschka, zwar keineswegs die Sanfteste der Koppel, aber sie war gutmütig, kein »Verbrecher«, wie Tante Immanuela ungebärdige, wilde oder gar bösartige Pferde nannte. Das gab es nämlich unter den Pferden auch.

Braunchen war nichts von alledem. Aber eigenwillig, das war sie doch, und auf keinen Fall ließ sie sich einfach alles gefallen.

Als Piroschka sich nun ziemlich unvermutet auf ihren Rücken setzte, wieherte sie, bäumte sich auf und hatte keinen besseren Einfall, als ihre Reiterin abwerfen zu wollen. Aber da war sie an die Falsche geraten. So schnell gab Piroschka nicht auf.

»So beruhige dich doch, Braunchen«, redete sie der Stute zu. »Ich will doch nichts Böses. Nur einen kleinen Ausritt, verstehst du? Wir beide ganz allein.«

Ohne Sattel und Zaumzeug war es sehr schwierig, nicht herunterzufallen. Aber Piroschka hatte ihre bisherigen wenigen Reitstunden gut genutzt.

Nach einem kurzen Kampf gab Braunchen auf. Sie trabten über die Koppel.

»Na, siehst du, das geht doch prima«, lobte Piroschka. Dann kam der Zaun. Sie hielt sich an Braunchens Hals fest. »Meinst du, das werden wir schaffen?«

Braunchen schaffte es spielend. Und dann trabten sie über die Wiese in den Wald hinein. Es war herrlich!

Piroschka genoss diesen heimlichen Ausritt in vollen Zügen. Ihre rote Mähne flatterte im Wind. Sie wusste nicht, was sie mehr freute: die Tatsache, dass sie nicht vom Pferd gefallen war, oder aber die Tatsache, dass es ihr gelungen war, Tante Immanuela ein Schnippchen zu schlagen.

»Ich brauche die Reitstunden ja gar nicht mehr, Braunchen«, jubelte sie. »Ich schaffe es auch ohne Reitstunden! Wer will mich daran hindern, jeden Tag heimlich auszureiten?«

Der Wald war zu Ende. Sie stoben über Wiesen und Weiden, es war wundervoll, und Piroschka kam sich wie eine Windsbraut vor.

Aber da stand plötzlich ein Zaun im Wege. Ein dummer, alberner Lattenzaun. Braunchen stutzte, Piroschka verpasste den rechten Augenblick, Braunchen setzte zum Sprung an, sie kamen auch hinüber – nur raste Braunchen allein weiter, während Piroschka verdutzt auf der Erde saß.

Das wäre alles nicht so schlimm gewesen, denn schließlich konnte man wieder aufstehen und Braunchen irgendwie einfangen. Aber erklang eine tiefe, lachende Männerstimme.

»Hotz, was für ein Vogel ist denn da ins Netz gegangen?«

Piroschka sah verwirrt auf, mitten hinein in ein Paar lachende, blitzende Männeraugen. Sie gehörten zu einem sonnengebräunten, rassigen Männergesicht mit dunklen Brauen.

Nie wurde Piroschka zorniger, als wenn man sie bei einer Niederlage ertappte.

»Hotz!«, äffte sie ihn wütend nach. »Vögel gehen nicht ins Netz. Höchstens Fische.«

Er lachte nur noch mehr. Es war unsagbar peinlich.

Piroschka stand schleunigst auf und versuchte sich zu achtunggebietender Höhe aufzurichten, aber das war leider vergebene Liebesmühe, denn sie reichte diesem männlichen Scheusal höchstens bis zur Schulter.

»Sind Sie eigentlich noch nie vom Pferd gefallen?«, fragte sie angriffslustig.

»Doch«, gab er mit entwaffnender Offenheit zu.

»Dann möchte ich wissen, was Sie so irrsinnig komisch finden.«

Er gab sich große Mühe, ein ernstes Gesicht zu machen, aber um seinen schön geschnittenen Mund zuckte ein amüsiertes Lächeln.

Piroschka betrachtete ihn unter gerunzelten Brauen. Er sah wirklich fabelhaft aus, aber er war ein Scheusal, sonst hätte er nicht so ironisch gelächelt. Sie klopfte sich Staub und Gras von den Hosen.

»Was machen Sie überhaupt hier?«

»Oh, ich gehöre hierher.«

Piroschka hob mit einem erschrockenen Ruck den Kopf. Natürlich hatte sie bei ihrem abenteuerlichen Ritt nicht auf den Weg geachtet und war der festen Meinung gewesen, sich noch auf Bergholmschem Grund und Boden zu befinden.

»Ist das hier vielleicht Adelsholm?«, erkundigte sie sich vorsichtig. Mit den Adelsholmschen stand Tante Immanuela nämlich nicht auf sehr gutem nachbarlichem Fuß.

»Nein, das ist Falkenhof.«

Piroschka klappte den Mund auf vor Überraschung. Falkenhof. Sollte das Scheusal am Ende der Majoratsherr sein? Aber nein, der kümmerte sich ja nie um das Gut, das ihm nur durch Erbfolge zugefallen war und das ihn überhaupt nicht interessierte. Er zigeunerte immer in der Welt herum, hatte Tante Immanuela einmal gesagt, und das Gut verkomme unterdessen.

»Sind Sie Gast hier?«

Wieder zuckte dieses abscheuliche, infame Lächeln um seine Augen. Dabei machte er eine tadellose Verbeugung.

»Magnus von Falkenhof«, stellte er sich vor.

Er war tatsächlich der Majoratsherr. Piroschka wurde es schwarz vor Augen. Da hatte sie sich ja eine fürchterliche Blamage geleistet. Wo war nur Braunchen? Am liebsten wäre sie einfach auf und davon, aber das ging natürlich nicht ohne die Stute, die irgendwo am anderen Ende des Lattenzauns wiehernd im Kreis herumsprang.

»Die beruhigt sich schon wieder«, meinte der Majoratsherr, der Piroschkas Blick gefolgt war. »Am besten lässt man sie eine Weile ganz in Ruhe, dann kommt sie schon von selber zurück. Übrigens mein Kompliment, Sie müssen eine schneidige Reiterin sein, wenn Sie es ohne Sattel und Zaumzeug wagen, diese Stute zu reiten!«

»Eben nicht«, murmelte Piroschka. »Ich bin überhaupt noch keine Reiterin.« Und auf einmal brach ihr ganzer Jammer aus ihr heraus. »Ich habe erst ein paar Reitstunden gehabt. Aber ich liebe Pferde so sehr. Und jetzt will mir Tante Immanuela das Reiten verbieten, damit ich nicht auch noch krumme Beine bekomme. Sie findet, ich sei schon hässlich genug.«

Es war sonderbar, jetzt lachte er nicht amüsiert, sondern er fing an, sie aufmerksam zu betrachten.

»Ich kann Tante Immanuelas Meinung nicht teilen«, meinte er schließlich, als er seine Prüfung offensichtlich abgeschlossen hatte. »Ich finde, Sie sehen ganz passabel aus.«

»Ach, das ist mir vollkommen egal«, erklärte Piroschka und warf die rote Mähne zurück. »Ich möchte nur reiten!« Ihre Haselnussaugen blitzten. »Und ich schaffe es schon, auch ohne Reitstunden, verlassen Sie sich darauf.«

»Ich zweifle nicht daran. Darf ich übrigens erfahren, wie der Fisch heißt?«

Sie hätte beinahe lachen müssen, aber sie beherrschte sich gerade noch rechtzeitig.

»Ich bin Piroschka.«

»Ein zauberhafter Name.«

»Machen Sie sich lustig über mich?«

»Keineswegs. Ich finde den Namen wirklich hübsch.«

»Tante Immanuela findet ihn abscheulich. Sie behauptet, kein vernünftiger Christenmensch könne seine Tochter Piroschka nennen. Aber das kommt nur daher, weil sie meine Mutter nie leiden mochte.«

»Sie haben keine Mutter mehr?«

Piroschka wurde auf einmal sehr ernst.

»Nein. Meine Eltern sind schon vor vielen Jahren tödlich verunglückt.«

»Das tut mir leid.«

»Das ist nett von Ihnen. Aber es geht mir nicht schlecht, das müssen Sie nicht glauben. Ich habe es sehr gut in Bergholm.«

Er äußerte sich nicht dazu, und Piroschka sagte auch nichts mehr, denn so besonders gut hatte sie es, wenn man es genau nahm, ja auch wieder nicht bei der strengen Tante Immanuela.

Sie versuchte, Braunchen herbeizulocken, aber Braunchen graste unterdessen friedlich, als befände sie sich auf der heimischen Koppel.

»Wollen Sie wirklich wieder aufsteigen?«, fragte er interessiert.

»Natürlich. Wie soll ich denn sonst nach Hause kommen?«

»Ich mache Ihnen das Gatter auf, zu weiteren Sprüngen würde ich die Stute jetzt nicht mehr reizen. Übrigens – ich bin ein passionierter Reiter. Wenn Sie Lust haben, können Sie doch gelegentlich herüberkommen, dann können wir ein bisschen zusammen trainieren.«

Piroschkas Augen leuchteten auf. Das war eine verwegene Idee.

»Leben Sie denn jetzt hier?«, fragte sie. »Ich dachte, Sie zigeunern in der Welt herum?«

Er lachte. »Die nächsten Monate werde ich hier verbringen. Wenn Sie also Lust haben – Sie sind in Falkenhof jederzeit willkommen.« Er legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Selbstverständlich streng geheim.«

»Ich muss es mir überlegen«, meinte Piroschka, und jetzt sah sie ihrerseits das Scheusal sehr prüfend an. Was sie beruhigte, war die Tatsache, dass er schon ein uralter Mann war. Mindestens fünfundzwanzig Jahre.

Braunchen war inzwischen näher gekommen.

»Ich halte sie fest«, sagte der Majoratsherr vom Falkenhof, »dann können Sie leichter aufsteigen.«

»Vielen Dank.« Es ärgerte sie, dass sie sich ständig bei ihm für irgendetwas bedanken musste. Zum Glück klappte es mit dem Aufsitzen tadellos.

Magnus von Falkenhof redete beruhigend auf die Stute ein. Er begleitete die beiden zum Gatter und öffnete es.

»Wenn Sie über den Feldweg reiten, sind Sie in fünf Minuten zu Hause.«

Ich muss wie verrückt im Kreis herumgeritten sein, dachte Piroschka ärgerlich. Nein, jetzt bedankte sie sich nicht mehr. Sie sagte nur »Adieu« und sprengte davon, wobei sie inbrünstig zu allen guten Geistern flehte, dass sie nicht wieder herunterfiel, solange sie den Blicken des Scheusals nicht entschwunden war.

Der Majoratsherr stand noch eine ganze Weile da und sah Piroschka nach.

»Wer hätte gedacht, einen so seltenen Vogel hier zu finden«, murmelte er. »Der reinste Cowboy!«

Und wieder lag das amüsierte Lächeln in seinen dunklen Augen, die noch immer Piroschka nachsahen, auch nachdem ihre rote Mähne längst verschwunden war.

♥♥♥

Die Mahlzeiten in Gut Bergholm waren eine hoffnungslos langweilige Angelegenheit, vor allem abends. Tante Immanuela war immer müde und Tante Leopoldine aus unerfindlichen Gründen meistens etwas melancholisch.

Das Speisezimmer war eigentlich recht gemütlich. Es hatte holzgetäfelte Wände und eine weiße, rustikale Decke, die von dunklen Querbalken durchzogen war. Die Bauernmöbel waren sehr alt, kunstvoll geschnitzt und bemalt, und sie waren, wie Tante Immanuela stolz behauptete, ein Vermögen wert.

Der runde Tisch stand in der Mitte, und um die trauliche Ampel, die darüber hing, kreisten zwei Nachtfalter, die durch das weit geöffnete Fenster hereingekommen waren.

»Wo hast du dich eigentlich heute Nachmittag herumgetrieben, Piroschka?«, fragte Tante Immanuela, als sie zu ihrem dritten Käsebrot griff.

Piroschka zuckte zusammen.

»Oh, ich bin draußen herumgestrolcht.«

»Bei den Pferden vermutlich?«, erkundigte sich Tante Immanuela, und sie tauschte dabei einen bedeutungsvollen Blick mit Tante Leopoldine.

»Bei den Koppeln auch, ja«, gab Piroschka zu. Sie senkte sittsam den Blick auf ihren Teller, auf dem ein Salamibrötchen lag, denn sie wusste schließlich, was vermutlich kommen würde.

»Dieser Käse ist knochentrocken«, stellte Tante Immanuela fest. Solche nebensächlichen Bemerkungen machte sie meistens, bevor sie etwas besonders Wichtiges sagte. »Mein liebes Kind, wir haben heute Nachmittag beschlossen, dass du in Zukunft keine Reitstunden mehr bekommen wirst.«

Das war eine infame Verleumdung, Piroschka wusste es besser: Tante Immanuela ganz allein hatte es beschlossen. Tante Leopoldine hatte nichts davon wissen wollen.

»Nun, was hast du dazu zu sagen?«

»Nichts«, murmelte Piroschka und starrte auf das Salamibrötchen. In diesem Augenblick war sie felsenfest entschlossen, jeden Tag zu dem Falkenhof hinüberzugehen, um dort eisern zu trainieren.

»Es ist erfreulich, dass du so vernünftig bist«, sagte Tante Immanuela.

Piroschka schwieg, und Tante Leopoldine starrte verbissen auf ihren Teller.

»Ich hatte nämlich befürchtet«, nahm Tante Immanuela nach einer Weile das Gespräch wieder auf, »dass du nicht vernünftig sein könntest, Piroschka.«

Tante Leopoldine stieß plötzlich einen spitzen Schrei aus, weil einer der Nachtfalter sich an der Ampel die Flügel versengt hatte und auf den Tisch gefallen war.

»Sei doch nicht hysterisch, Leopoldine.« Tante Immanuela schüttelte den Kopf.

»Ich kann es nun einmal nicht sehen, wenn die armen Tiere sich zu Tode flattern und man sitzt seelenruhig dabei und isst.«

»Also schön, Piroschka, mache das Licht aus, damit diese unseligen Falter wieder ins Freie finden«, gebot Tante Immanuela mit einem abgrundtiefen Seufzer. »Wenn sie draußen sind, kannst du die Fenster schließen.«

Während Piroschka die Lampe löschte und geduldig wartete, bis die Falter von der matten Helligkeit der Steinlaternen draußen angezogen wurden und hinausflatterten, machten Tante Immanuelas Gedanken einen sonderbaren Sprung.

»Der Falkenhofsche soll zurückgekommen sein«, bemerkte sie zu Tante Leopoldine.

»Der Majoratsherr?«, erkundigte sich Tante Leopoldine wie elektrisiert.

»Derselbige. Ich habe es von der Mamsell gehört. Er soll beabsichtigen, für einige Monate hierzubleiben, um sich endlich um sein verlottertes Erbe zu kümmern.«