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Zeit der Wende in Deutschland. Die Einheit Deutschlands – von vielen abgelehnt, von vielen gefeiert, bei manchen Gegenstand kühler Berechnungen. Zu diesen anderen zählt ein ehrgeiziger Unternehmer aus dem Westen. Gerd Ehrenfeld. Er will den neuen Markt im Osten nutzen, um sein in der alten Republik in die Diskussion geratenes Produkt verstärkt abzusetzen. Müllverbrennungsanlagen sind es, die er verkauft. Um an sein Ziel zu gelangen, braucht er die Unterstützung von Harald Rust. Auch er ist daran interessiert, auf unsaubere Weise Geld zu verdienen. Seine bis in die neue Zeit nicht entlarvte Vergangenheit bei der Staatssicherheit hat ihm Verbindungen eingebracht, die er kaltblütig nutzt. Über Ida Berentz, ein Opfer der Staatssicherheit, welches er noch immer missbraucht, stellt er den Kontakt zu Ehrenfeld her. In ihrer Geldgier schrecken die beiden Männer vor nichts zurück. Dabei kommt ein Konkurrent von Ehrenfeld, ein junger Ingenieur aus dem Osten, ums Leben. Die Kripo tappt zwar im Dunkeln. Ihre Machenschaften aber bleiben nicht verborgen. Auch Wolf Ehrenfeld, der Bruder von Gerd, ahnt etwas von seinem kriminellen Treiben. Er setzt sich daran, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dabei trifft er auf Ida Berentz. Von Siegern und Verlierern, vielen Verlierern, wird die Rede sein, aber der größte Verlierer wird die Umwelt sein. Denn der Bau des von der Stadt im Osten geplanten Verbrennungsmonstrums lässt sich trotz aufkommender Proteste westdeutscher Umweltverbände nicht verhindern. Ein spannender Ost-West-Krimi, der zudem den Faktor Umwelt thematisiert und die Leserschaft in Atem halten wird.
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Seitenzahl: 302
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Die Einheit Deutschlands – von vielen abgelehnt, von vielen gefeiert,
bei manchen Gegenstand kühler Berechnungen. Zu diesen anderen zählt ein ehrgeiziger Unternehmer aus dem Westen. Gerd Ehrenfeld.
Er will den neuen Markt im Osten nutzen, um sein in der alten Republik in die Diskussion geratenes Produkt verstärkt abzusetzen.
Müllverbrennungsanlagen sind es, die er verkauft.
Um an sein Ziel zu gelangen, braucht er die Unterstützung von Harald Rust. –
Auch er ist daran interessiert, auf unsaubere Weise Geld zu verdienen.
Seine bis in die neue Zeit nicht entlarvte Vergangenheit bei der Staatssicherheit hat ihm Verbindungen eingebracht, die er kaltblütig nutzt.
In ihrer Geldgier schrecken die beiden Männer vor nichts zurück.
Ihre Machenschaften aber bleiben nicht verborgen.
Auch Wolf Ehrenfeld, der Bruder von Gerd, ahnt etwas von seinem kriminellen Treiben.
Er setzt sich daran, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dabei trifft er auf Ida Berentz, ein Opfer der Staatssicherheit und anderer Interessen.
Ihr kommt in den Geschehnissen eine entscheidende Rolle zu.
Ob sie aber unter dem Druck der auf ihr lastenden Schuld noch handeln kann?
Ob man sie für die unter Zwang erfolgte Preisgabe von Informationen an die Stasi zur Rechenschaft ziehen wird?
Von Siegern und Verlierern, vielen Verlierern, wird die Rede sein, aber der größte Verlierer – das kann ohne Spannungsverlust gesagt werden – wird die Umwelt sein. Denn der Bau des von der Stadt im Osten geplanten Verbrennungsmonstrums lässt sich nicht verhindern und mit seiner Inbetriebnahme auch nicht der Ausstoß von jährlich hunderten von Tonnen, zum Teil hochgiftigen Schadstoffen... bei den schon vorhandenen Altlasten ein zum Himmel stinkendes Unrecht.
Doch auch im zwischenmenschlichen Bereich sind ungeheure Altlasten vorhanden, die von dem Wind der Veränderung nicht fortgeweht werden konnten.
***
Irgendwo im Osten Deutschlands, Anfang der 90 er Jahre
Die Tote war frühmorgens aus der kalten, grauen Elbe gezogen worden. Es hatte lange gedauert, bis die Identität festgestellt werden konnte. Die Todesursache allerdings blieb ungeklärt. Keine Auffälligkeiten feststellbar, die für ein Fremdverschulden sprachen. Geordnetes Leben, intaktes Umfeld. Kein Erklärungsansatz für einen Selbstmord oder für ein Verbrechen.
„Wieder so ein junges Ding.“
Hauptkommissar Jens Brückner musste an den anderen Todesfall in seinem Zuständigkeitsbereich denken. Keine acht Wochen lag er zurück.
„Was haben die all nur? Der Kohl hat uns doch blühende Landschaften verkündet. Da geht man doch nicht freiwillig aus dem kommenden Paradies.“
Den Satz sprach er nur zu sich selbst. Bitterer Sarkasmus. Ein Anflug der Hoffnungslosigkeit. Würde er auch in diesem Fall auf der Stelle treten, alles ein Rätsel für ihn bleiben?
Missmutig schluckte er den letzten Rest Kaffee runter und lief aus dem Büro.
*
Eine große Herausforderung stand bevor, einem Abenteuer gleich.
Gerd Ehrenfeld dachte an die Anfangszeit seines Unternehmerdaseins zurück.
Morgens schon hatte er nervös am Frühstückstisch gesessen und nicht viel runter gebracht.
Nun saß in seiner Limousine und war zur Abfahrt bereit.
„Du brauchst morgen Abend nicht auf mich zu warten. Es wird spät.“
Vera, seine Frau, die eilig angezogene Jacke mit den Händen zusammen haltend, nahm die Worte kommentarlos hin.
Sie hatte sich daran gewöhnt, dass die geschäftlichen Aktivitäten ihres Mannes vorgingen – Tag für Tag und Jahr für Jahr... alle Zeit ihres Lebens.
„Ich wünsche dir eine gute Fahrt“, sagte sie emotionslos.
Ein knapper Abschiedskuss noch, nicht mehr als eine Geste der Zugehörigkeit. Alles an echter Zuneigung war längst in ihr abgestorben.
Fad wie unsere Ehe. Gut, dass es noch andere Frauen in seinem Leben gab.
Ein Anflug von Nachdenklichkeit zeichnete sich auf Ehrenfelds Gesicht ab.
Eine Nachdenklichkeit, die nicht in Worte mündete. Anderen Dingen galt seine Aufmerksamkeit.
Er hatte wieder Blut gerochen, das Blut des Geldes.
Ohne noch etwas zu sagen, steuerte er den Wagen auf das große automatisch sich öffnende Tor zu.
Die Fahrt konnte beginnen. Die Fahrt in den Osten der Republik ... die Fahrt in das Land mit den neuen Möglichkeiten.
Möglichkeiten zumindest für ihn. – Mit der Wiedervereinigung hatte sich ein Markt für sein Unternehmen aufgetan, den es mit allen Mitteln zu erobern galt.
EG-Binnenmarkt hin, EG-Binnenmarkt her ... hier war eine Chance, wie sie sich vielleicht nicht mehr bieten würde.
Er musste sie nutzen ... unbedingt.
Mit dem Gefühl von Überlegenheit fuhr Ehrenfeld in das Gebiet der ehemaligen DDR ein.
Die Spuren der Trennung waren deutlich zu erkennen, obwohl damit begonnen worden war, die Narben zu schönen.
Auf der früheren Transitautobahn musste er das Tempo reduzieren – der Zustand der Fahrbahn war schlecht.
Vorbei ging es an den gepflasterten Ausfahrten, an kilometerlangen Äckern der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und an abgelegenen Ortschaften, an denen der Fortschritt genauso vorbeigerast war wie täglich die mehreren tausend Autos auf der Transitstrecke.
Provinz, dachte Ehrenfeld verächtlich.
Er schloss das nach dem Genuss einer Zigarillo geöffnete Seitenfenster, da ein süßlicher Geruch sich in dem Wagen breit machte.
Die Rückständigkeit des untergegangenen sozialistischen Einheitsstaates ließ grüßen.
Den Fortschritt hatte man wohl riechen, nicht aber sehen können, wie manch einer bitter gefrotzelt hatte.
Endlich gegen zehn Uhr am Morgen kam sein Ziel in Sichtweite.
Eine Stadt wie viele in Deutschland. Verfranste Ortsränder, Gewerbe-, Industriebetrieben und seelenlosen
Wohnsiedlungen Platz bietend, graue Fassaden immer enger werdender Häuserschluchten, zerrissener Asphalt, der Verkehr nur eine einzige Flucht.
Noch ehe Ehrenfeld in der Innenstadt eintraf, läutete im Vorzimmer des Büroleiters der städtischen Verwaltung das Telefon.
Ida Berentz hob den Hörer ab.
Eine vertraute Stimme, eine Stimme aber, die sie hasste. Sie gehörte dieser Bestie, ihrem gesichtslosen Feind, der sie noch immer unentwegt bedrängte.
Harald Rust, Angestellter eines Energieversorgungsbetriebes, war ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft.
Dies jedoch nur, da die Menschen nichts über seine frühere Agententätigkeit für den Staatssicherheitsdienst wussten. Nicht einmal seine Familie und seine Freunde hatten eine Ahnung.
Rust wirkte leicht kränklich. Sein fortwährendes Hüsteln trug dazu bei.
Mit der dürren Statur und seiner blassen Gesichtsfarbe erweckte er kaum den Eindruck, ein entschlossen zu Werke gehender Mensch zu sein.
Seine harte Stimme aber, sie passte nicht zu diesem Eindruck und ließ ihn am Telefon bestimmt und stark wirken.
Was seine berufliche Arbeit betraf, legte er nicht viel Tatkraft an den Tag, doch in seinem Wirken für die Staatssicherheit war er ambitioniert gewesen wie nirgendwo sonst.
In dem Bewusstsein, Nützliches für den Staat, für die Gemeinschaft, zu tun und von starker Hand gedeckt zu sein, hatte er viel Selbstbestätigung gefunden. Die Unsicherheit früherer Tage war verflogen gewesen. Und diese Unsicherheit in der Jugendzeit hatte es seinem von Partei und Staat hoch dekorierten Onkel leicht gemacht, ihn über Umwege auch für den Stasi zu gewinnen und ihn zum Spitzel zu krümmen.
Nach über zehn Jahren war er, da er kein Profil für einen raschen Aufstieg besaß, noch immer ein kleines Rädchen in der Unterdrückungsmaschinerie der SED gewesen ... ein ehrenamtlicher Führungsspitzel mit dem Decknamen Roman.
Es war ein undankbarer Job gewesen. – War einer der ihm anvertrauten Spitzel auf eine viel versprechende Fährte gestoßen, wurde er abgenabelt und von einem Führungsoffizier übernommen, der später oft genug die anfallenden Lorbeeren einheimste, während für ihn nicht viel an Anerkennung übrig blieb. Aber in seiner Funktion befand er sich auch nicht mehr auf der untersten Sprosse der Karriereleiter.
Es war eine notwendige Zwischenstation in seinem Bestreben, Führungsoffizier zu werden.
Leider waren ihm durch den Untergang des SED-Regimes alle Aussichten auf einen beruflichen Aufstieg verbaut worden.
Immerhin hatte er Kenntnisse und Verbindungen, die er verwerten und über Umwege in klingende Münze umsetzen konnte. Eine nach der ersten Verbitterung gereifte Erkenntnis.
Ida Berentz diente ihm als verlässliche Informationsquelle. Immer öfter aber musste er sich fragen, wie lange diese Verlässlichkeit noch gegeben sein würde.
Ida war dem Stasi in die Hände gefallen, nachdem ihr Freund im August 1989 die Chance genutzt hatte und dank der Großzügigkeit der ungarischen Grenzbeamten nach Österreich geflohen war.
Ida war heulend am Grenzzaun zurück geblieben.
Sie hatte nicht den Mut gefunden, von einem Moment zum anderen alles aufzugeben und ihrer Heimat den Rücken zuzudrehen.
Als sie wieder in die DDR zurückgekehrt war, hatte der Staatssicherheitsdienst leichtes Spiel gehabt.
„Ihr Freund hat Republikflucht begangen“, war ihr gesagt, ja angelastet worden, nachdem sie einer Vorladung zur Volkspolizei, Unangenehmes ahnend, Folge geleistet hatte. Gerade mal vier Tage waren seit ihrer Rückkehr ins Land gegangen.
„Sicher wissen sie, was darauf steht. Und sie können sich bestimmt auch leicht ausrechnen, was das für sie bedeutet, wenn im Zusammenhang mit ihrem Freund ihr Name fällt.“
„Aber was kann ich denn dafür?“
Ida war wie vor den Kopf geschlagen gewesen.
„Nichts ... aber trotzdem: die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses in der Verwaltung wird undenkbar sein. – Es sei denn ...“
Kurzes Schweigen. Der Mitarbeiter der Staatssicherheit hatte ein schmieriges Lächeln aufgesetzt.
„ ... sie nehmen unser Angebot an.“
Ida hatte geahnt, wie dieses Angebot aussah. Sie sollte Spitzel für den Stasi werden, sollte über das, was sie im Amt mitbekam, Auskunft erteilen, sollte Kollegen denunzieren, sollte zur Verräterin werden.
In ihr hatte sich alles verkrampft. Einen Moment war sie nahe daran gewesen, aufzustehen und zu sagen: „Stecken sie sich ihr Angebot doch wer weiß wohin!“
Aber als das erste Aufschäumen ihrer Wut vorüber war, hatte sie die Dinge klarer gesehen.
Gegen diese Schweine, diese Verbrecher, die hier bei trübem Licht im kahl ausgestatteten Hinterzimmer der Vopo saßen und mit ihr unter einer Decke steckten, war sie machtlos.
Sie hatte schon genug über die rüden und immerzu erfolgreichen Methoden der Staatssicherheit gehört. – Wenn sie nicht mitspielte, würden sie kurzen Prozess machen.
„Ich weiß nicht, auf was sie hinauswollen“, hatte sie noch gesagt.
„Nun, dann will ich ihnen unser Angebot erläutern.“
Mit einem Grinsen hatte ihr der Stasi-Offizier diese Antwort gegeben.
Daraufhin war er deutlich geworden ... sehr deutlich sogar. Ida hatte schließlich eine Bedenkzeit erhalten, die sie dann unter einem Vorwand noch einmal um ein paar Tage hatte verlängern können.
Die Staatssicherheit wusste, dass die Leute, denen sie zusetzte, ungeheure Kämpfe mit sich austrugen.
Schließlich hatte sie sich dem Druck gebeugt, wie es wohl viele in vergleichbarer Situation auch getan hätten, und zögerlich damit begonnen, Informationen preiszugeben. Sie war zu einem Inoffiziellen Mitarbeiter geworden, zu einem IMS, wobei das S für Sicherheit stand.
Heute arbeitete Ida Berentz zufriedenstellend. Ja, trotz Vereinigung und dem offiziellen Ende der staatlichen Untergrundtätigkeit wurde sie noch immer missbraucht.
Sie lieferte Rust, der sich ihr schon nach kurzer Zeit als Verbindungsmann vorgestellt hatte, viele Berichte.
Ob wichtige oder unwichtige Informationen, der ehemalige Stasi-Agent, der der für die Kirche, den Staatsapparat und andere Bereiche zuständigen Hauptabteilung 20 angehört hatte, war an allem interessiert. – Es konnte nichts so belanglos sein, als dass man es nicht irgendwie noch verwerten konnte.
Rust war auch über das Projekt in Sachen Müllverbrennung unterrichtet worden, ebenso darüber, dass ein Angebot aus dem Westen vorlag und ein gewisser Ehrenfeld eingeladen war, um sein Konzept zu erläutern.
„Hat der Termin noch Bestand?“, wollte Rust wissen.
„Ja, heute um elf wird Ehrenfeld kommen.“
Wenn Ida Berentz mit Rust redete, fielen ihre Antworten knapp aus.
Zu diesem namenlosen Erpresser, den sie auch nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte, was aber für ein Wiedererkennen bis in alle Ewigkeit ausgereicht hätte, konnte sie keine Beziehung entwickeln.
Sie hatte immer das Gefühl, mit einem seelenlosen Ungeheuer, nicht anders präsentierte er sich ihr, zu sprechen.
„Wissen sie schon, ob er über Nacht bleiben wird?“
„Nein!“
Rust gab sich mit ihrer Antwort zufrieden.
„Gut, ich melde mich später noch einmal“, sagte er und legte den Hörer auf.
Als Gerd Ehrenfeld in die Stadt einfuhr – ein Macher der neuen Generation wie er hatte keinen Fahrer nötig -, sah er die alten, verdreckten Hinweisschilder, die ihm den Weg zur Stadtverwaltung wiesen.
Doch er hatte nicht vor, ohne Umwege dorthin zu fahren. Es war noch Zeit übrig für eine kleine Demonstration. Interesse an der Stadt, den Menschen und den dortigen Zuständen hatte er keines. Er wollte sich zur Schau stellen. Tatsächlich richtete sich das Augenmerk der Leute auf ihn.
Er zog den Wagen in den unteren Gängen hoch, rauschte über das Kopfsteinpflaster der Straßen, überholte Trabbis und andere Kleinwagen genauso mühelos wie verkehrswidrig.
Endlich fuhr er auf dem Parkplatz der Verwaltung vor. Eine Anzahl von Leuten versammelte sich an den Fenstern, um das Fahrzeug und den Typen, der sich dieses leisten konnte, in Augenschein zu nehmen.
Ehrenfeld genoss es, im Mittelpunkt zu stehen.
Ja, schaut nur, dachte er. Schaut nur, was euer viel gepriesener Sozialismus euch vorenthalten hat.
An der Information erkundigte er sich nach dem Weg zur Chefetage.
Er sollte sich bei der Büroleitung melden.
Zwangsläufig begegnete er Ida Berentz.
Donnerwetter, so etwas hatte er hier nicht erwartet. Die war ein Abenteuer wert.
Automatisiertes Mannesdenken. Von Jugend an ihm zu eigen.
Er hatte sich noch kein Bild von den Frauen hier machen können, aber diese übertraf seine Vorstellungen bei weitem.
„Guten Tag, zu wem möchten sie bitte?“
Ganz sicher auch zu dir, durchzuckte es ihn.
„Ehrenfeld ... Gerd Ehrenfeld mein Name. Ich habe um elf Uhr einen Termin hier im Haus.“
Auffällig, ja schamlos musterte er sie. Ida verspürte sofort Unbehagen. – Widerlicher Typ.
„Warten sie bitte, ich melde sie bei Herrn Kempin an.“
Keinerlei Emotion in ihrem Ausdruck.
Wenig später kam ihr der Büroleiter blass und zerstreut ins Vorzimmer nachgelaufen.
„Ah ja, Herr Ehrenfeld. - Angenehm, Kempin.“
Er drückte dem Besucher aus dem Westen kraftlos die Hand, begleitet von der Frage: „Hatten sie eine gute Fahrt?“
„Bei diesen Straßen hier...?“
„Ja, ja, es liegt vieles im Argen. – Sie haben schon etwas von der Stadt gesehen?“
„Nein“, antwortete Ehrenfeld. „Erst das Geschäft, dann das Plaisir.“
Belanglose Antwort auf seichtes Geschwätz. Kempin konnte mit der Antwort nicht viel anfangen.
„Wir wollen gleich hinüber gehen“, sagte er. „Ich brauche nur meine Akten. – Wo habe ich sie ... ah ja.“
Ehrenfeld nutzte die Abwesenheit des Büroleiters, um noch einmal Ida Berentz anzusprechen.
„Sagen sie, Frau ... „
„... Berentz.“
„Ja, Frau Berentz. Haben sie nicht Zeit heute Abend? Sie könnten mir ein wenig die Stadt zeigen.“
Ida glaubte, nicht richtig zu hören.
„Sie bleiben über Nacht?“, fragte sie ausweichend.
„Ja, hatte ich eigentlich vor. Aber sagen sie ...“
Kempin kam zurück. – Gott sei Dank, dachte Ida. Ehrenfeld warf ihr noch einen viel sagenden Blick zu; dann gingen die beiden Männer.
Kurz darauf fanden sie sich in dem im Gegensatz zu den anderen Räumlichkeiten leidlich geschmackvoll eingerichteten Dienstzimmer des Bürgermeisters ein. Ein alter Schinken hing über der Garnitur, auf der sich Gerd Ehrenfeld nach entsprechender Bitte niederließ. Der Bürgermeister, ein entschlossen wirkender Mann mit cholerischen Zügen, stellte die anderen im Raum befindlichen Leute vor.
Viel Prominenz, aber wenig Klasse, dachte Ehrenfeld. Dabei war das mit der Prominenz auch noch geschmeichelt. Er kam sich wie ein Ausstellungsstück vor, fühlte sich von allen Seiten neugierig angegafft.
„Sinn unseres Zusammenkommens soll sein, dass sie uns ihr Konzept für die Hausmüllbeseitigung, die hier wie auch anderswo immer problematischer wird, näher bringen. Ihr Angebot wirft so viele Fragen auf, dass die damit befassten Fachleute der von uns beauftragten Ingenieurgesellschaft vor Abgabe ihrer Stellungnahme unbedingt ein informatives Gespräch mit ihnen gewünscht haben. – Zum Ablauf darf ich bemerken, Herr Ehrenfeld, dass heute Nachmittag zunächst eine Unterredung hier im Hause stattfinden wird. – Herr Kempin, ich hoffe, die entsprechenden Vorbereitungen sind getroffen - ...“ Eifriges Kopfnicken seitens des Angesprochenen.
„...und dass für morgen ein Ortstermin anberaumt ist. Die genauen Zeiten werden sie später noch erfahren. Nun aber bitte ich sie, uns als den politisch Hauptverantwortlichen einen kurzen Bericht abzugeben, sprich: ihr Konzept in groben Umrissen darzustellen.“
Ehrenfeld nahm das Wort gerne an sich.
Lange genug hatte er schon den Statisten gespielt. „Meine Herren, zunächst darf ich ihnen dafür danken, dass sie Interesse an meiner Philosophie der Müllbeseitigung bekundet und mich hier zu diesem Termin am heutigen Tage eingeladen haben. Eins darf ich vorweg bemerken: Mein Angebot wird sie in höchstem Maße zufrieden stellen. Mein Name bürgt dafür. Ehrenfeld-Anlagen, Ehrenfeld-Qualität! Alles aus einer Hand, ausschließlich Verwendung erprobter Systeme, keine Verzögerung von Bauabschnitt zu Bauabschnitt, optimales Preis-Leistungs-Verhältnis. – Nun, wie sieht die Konzeption der Ehrenfeld Anlagenbau GmbH aus?“
In bewährter Manier machte Ehrenfeld den bedeutungsschwer dreinschauenden Politköpfen das Projekt verständlich.
Er vermied es, ins Fachchinesisch zu verfallen, und konnte daher das Interesse seiner Zuhörer wach halten.
„Die Verbesserung gegenüber konventionellen Verfahren liegt darin begründet, dass durch das Verbrennen der Abfälle bei niedrigeren Temperaturen und unter Luftentzug die Schadstoffemissionen um ein erhebliches Maß reduziert werden. Bei den überaus kritischen Verhältnissen, die hier vorherrschen, ist dies ein entscheidender Aspekt. Ich halte es deshalb für dringend erforderlich, dass hier eine von den herkömmlichen Anlagetypen gravierend abweichende Verschwelungsanlage gebaut wird. Eine bessere Alternative gibt es nicht!“
Während Ehrenfeld weiterhin die Vorzüge des von seinem Unternehmen nach langer Entwicklungszeit frisch konzipierten Müllofens anpries und derart ins Schwärmen geriet wie zu jener Zeit, als er den Betrieb aus dem Nichts aufbaute und sich die Hacken ablief, um an Kundschaft zu kommen, musste Ida Berentz sich wieder mit Rust, ihrem Peiniger, abgeben.
„Konnten sie inzwischen in Erfahrung bringen, ob er hier noch länger bleibt?“
„Ich denke schon ...“
„Was heißt das?“
„Ja, er hat mich gefragt, ob ich am Abend Zeit hätte, ihm die Stadt zu zeigen.“
„Das ist gut“, äußerte Rust nach einem Moment des Überlegens. „Denken sie schon mal nach, was für einen Fummel sie heute Abend anziehen.“
„Ich verstehe nicht“, entgegnete Ida, obwohl sie instinktiv ahnte, was ihr Widersacher im Schilde führte.
Die Erklärung folgte auf dem Fuß.
„Ganz einfach! Sie nehmen sich seiner an und gehen mit ihm in das Lokal gegenüber dem Museum ... in den Berliner Hof. – Ich tauche dann später auf und treffe sie – rein zufällig natürlich. Wir führen ein Gespräch wie unter alten Freunden ... und den Rest lassen sie mich mal machen.“
Wie unter alten Freunden ... Ida hätte schreien können. Die unterschiedlichsten Gedanken durchzuckten sie.
„Uhrzeit, sagen wir: halb neun“, ergänzte Harald Rust mit einem Blick auf seine Uhr. „Und enttäuschen sie mich bitte nicht.“
Ida wusste, wie sie das zu verstehen hatte.
Damit war das Gespräch beendet. Sie hielt den Hörer noch einige Sekunden in der Hand, so als könnte er sich noch einmal melden.
Er kann mich mal, durchfuhr es sie.
Mit diesem dickbäuchigen Wessi ausgehen und Süßholz raspeln – das kam gar nicht in Frage.
Überhaupt, so konnte es nicht mehr weitergehen.
Sie hatte es satt, sich benutzen zu lassen. Die Zeiten hatten sich doch geändert.
Überall hob man Stasi-Nester aus, deckte man Seilschaften auf.
Wie konnte dieses Stasi-Schwein nur die Unverfrorenheit besitzen, weiterhin Kontakt zu ihr zu halten und sie für seine Zwecke zu missbrauchen?
All ihre Hoffnungen, die in den Tagen und Wochen der Revolution geweckt worden waren, hatten sich zerschlagen. Die Hoffnung, dass jeder dieser Verbrecher seiner gerechten Bestrafung zugeführt würde.
Nein, nur auf dem Papier hatte sich etwas geändert.
Ansonsten war alles beim Alten geblieben.
Die saßen noch alle fest in ihren Sätteln.
Und sie war ihrem Erpresser weiterhin schutzlos ausgeliefert.
Die einzige Chance, die sie hatte, war es, fortzuziehen und irgendwo in der Fremde neu anzufangen.
Dafür fehlte ihr bislang der Mut, noch dazu sie sich in der Vorstellung verrannte, dass ihr Peiniger sich rächen und die Verwaltung über ihr Tun informieren würde. Die damit verbundenen strafrechtlichen Konsequenzen schreckten sie ab.
Und diese Angst hielt sie auch davon ab, den Gedanken in sich reifen zu lassen, das Wiedersehen mit ihrem Gegner zu nutzen. Nein, sie konnte ihn unmöglich bei der Polizei anzeigen.
Aber warum präsentiert er sich mir überhaupt? Was ist die Erklärung dafür? Geldnot vielleicht?
Sie wusste es nicht. Egal, am Ende würde sie ihm weiter ausgeliefert sein.
Hätte sie damals bloß den Mut aufgebracht, der Stasi die Stirn zu bieten!
Ein paar Monate nur ... und sie wäre heute ein freier Mensch gewesen.
Aber hätte sie es wissen können, dass dieses verhasste System so kurz vor dem Zusammenbruch gestanden hatte? Unkritisch wie sie trotz ihres Hasses gewesen war, hatte sie nicht die leiseste Ahnung gehabt.
Doch auch ohne das Wissen oder zumindest die Ahnung um den bevorstehenden Untergang der Diktatur hatte es viele gegeben, die in den offenen Widerstand gegangen waren, denen es nichts mehr ausgemacht hatte, auf die Rolle zu kommen, in das Blickfeld der Stasi zu geraten, die das Risiko nicht gescheut hatten, verhaftet zu werden oder Repressalien ausgesetzt zu sein, die einfach zu viel schon hinunter geschluckt und an sich gehalten hatten, die wegen der vielen Demütigungen und Erniedrigungen im Alltag die Kontrolle über sich, das dem Überlebenstrieb gleichkommende Sich-Anpassen-Können und somit ihre Maske des Biedermanns im Revolutionsfrack eingebüßt hatten.
Sie aber hatte sich nicht gewehrt und dazu hinreißen lassen, eine Verräterin zu werden.
Dafür hasste sie sich.
Während Ida Berentz sich mit Selbstvorwürfen traktierte, wurde Ehrenfeld nicht müde, sein Konzept in höchsten Tönen zu loben.
Gewissensbisse hatte er keine. Millionen waren von ihm in die Entwicklung gesteckt worden. Nun galt es, Kohle zu machen. – Was interessierten ihn die alarmierenden Berichte über die Schadstoffe, die von solchen wie den von ihm gebauten Müllverbrennungsanlagen in die Umwelt abgegeben wurden.
Dass trotz des Einbaues von teuren Dioxinfiltern dieser Giftstoff neben so vielen anderen entwich und Anwohner – und längst nicht nur die - Gefahren ausgesetzt waren und womöglich Schäden an ihrer Gesundheit hinzunehmen hatten, war bedauerliches Pech.
Aber ein gewisses Lebensrisiko musste halt jeder eingehen. Fortschritt ohne irgendeinen Preis gab es nicht.
Außerdem konnten doch all diese Krankheiten wie etwa Asthma, Nerven – und Nierenleiden, Pseudo-Krupp, Bronchitis, Allergien und nicht zuletzt Krebs, welche die Ärzte in der Nähe von Verbrennungsanlagen angeblich verstärkt konstatiert hatten, auch durch tausend andere Schadstoffquellen hervorgerufen worden sein.
Vergiftung von Wasser, Böden, Menschen und Tieren durch die Verbrennung von Müll – eine böswillige, durch nichts belegte Anklage. Eine Geschäftsschädigung ohnegleichen, die von Amts wegen verfolgt gehört hätte.
Dieses grüne Pack, das solche Phrasen in die Welt setzte, das machte sich doch keine Gedanken um den Bedarf moderner Müllbeseitigungsanlagen.
Dass überall der Entsorgungsnotstand drohte, dass man nicht mehr wusste, wohin mit dem ganzen Müll, das berührte diese Neunmalklugen doch in Wahrheit gar nicht.
Gut, dieses Sero-System, auf das sie oft hinwiesen, dieses System in der früheren DDR, das bislang wertvolle Rohstoffe vor der Fahrt auf die Mülldeponien bewahrt hatte, war – soviel er darüber wusste – nicht schlecht gewesen, doch wenn auch auf diese Weise vor der Wende im Osten knapp unter zwei Millionen Tonnen Glas, Altpapier, Kunststoffe und Metalle Jahr für Jahr dem Wirtschaftskreislauf wieder zugeführt worden waren, konnte man dies doch nur als den Tropfen auf den heißen Stein ansehen.
Überall im Osten drohte der Müllinfarkt.
In den nächsten Jahren mussten hier Dutzende von Müllverbrennungsanlagen gebaut werden – da ging kein Weg daran vorbei.
Die Vermeidung von Müll im allgemeinen und von giftigem Abfall insbesondere war zwar ein frommer, aber kaum rasch in die Tat umzusetzender und für ihn gefährlicher Wunsch der Grünen, doch er vertraute darauf, dass die Einsicht der Menschen in die Dinge und ihr Verhalten sich erst dann änderte, wenn ihnen das Wasser bis über die Lippen stand.
Bis dahin würde sich sein Engagement gelohnt haben, würde er genügend Verbrennungsanlagen gebaut und genügend Gewinn gemacht haben.
Dass die von den Müllöfen erzeugten Millionen Tonnen Verbrennungsrückstände nur auf zweifelhafte Weise, zum Beispiel im Straßenbau, verwendet werden konnten, war nicht sein Problem.
Ob die ganze Müllverbrennung – wie von Kritikern behauptet- schließlich nur ein Aufschub des Abfallentsorgungsproblems war, das später viel schwieriger zu lösen sein würde, das bescherte ihm kein Kopfzerbrechen.
Nach mir die Sintflut, so sein immerwährender Gedanke. Um die Gesundheit all der Menschen, um die seines Umfeldes, seiner Familie, seines Sohnes, ja selbst um die eigene war er nicht besorgt.
Hauptsache, es gab etwas zu verdienen. – Und was man verkaufte, war doch gleich – ob Waffen, Drogen oder Dreckschleudern.
Geld stank nicht.
Raffen, raffen ... immer nur raffen.
Das war der alleinige Lebensinhalt dieser noch nicht einmal eine Nasenlänge vorausschauenden Männer, denen man gern so viel Weitblick bescheinigte und die man fast ungehindert gewähren ließ.
Bald war Ehrenfeld auch bei seinem Lieblingsthema angelangt.
„Sprechen wir nun aber die finanzielle Seite an“, äußerte er und erntete dafür Zustimmung.
„Ja, denn sie birgt das größte Problem!“
Der Bürgermeister wies darauf hin, dass neben diversen, zum Teil aus dem Ausland stammenden Angeboten für Einzelgewerke noch zwei weitere, alle Gewerke umfassenden Angebote vorliegen würden.
„Das eine davon ist allein deshalb schon von Interesse, weil es ausschließlich den Einsatz von solchen Betrieben vorsieht, die von der Treuhand GmbH privatisiert worden sind. – Was natürlich hier an dieser Stelle der Erwähnung bedarf, ist die Tatsache, dass die beiden anderen Angebote mit einem wesentlich günstigeren Preis abschließen als das ihrige, Herr Ehrenfeld. Ich verrate damit sicherlich keine Geheimnisse, auch wenn die gesetzlichen Bestimmungen eine solche Information an sich verbieten.“
Während der Ausführungen des Bürgermeisters hatte sich Ehrenfelds Miene zusehends verfinstert.
Er witterte Gefahr.
„Leistung hat eben seinen Preis“, sagte er lakonisch, dabei innerlich darum ringend, unbeeindruckt wirken zu wollen. „Bei einem Projekt dieser Größenordnung ist ein Ansatz von rund 180 Millionen Mark sicherlich gerechtfertigt. Außerdem bezweifele ich mit allem Nachdruck, dass die Angebote vom Konzept her überhaupt vergleichbar sind!“
Ein Ingenieur an der Seite des Bürgermeisters beeilte sich, dem zuzustimmen.
„Das ist in der Tat so! Der in ihrem Angebot für die Müllverbrennung dargelegte Leistungsumfang ist beträchtlich und wird von keinem anderen Anbieter auch nur annähernd erreicht.“
Der Bürgermeister schaltete sich wieder in das Gespräch ein.
„Ja, und dennoch will alles bezahlt sein! – Wo soll das Geld bloß herkommen? Sollen wir etwa den Leuten hohe Müllgebühren abverlangen? Wo die Masse lediglich über ein Einkommen verfügt, das gerade dem Sozialhilfeniveau der westlichen Länder entspricht.“
Ehrenfeld brachte die Milliarden ins Spiel, die von Bonn für die Umweltsanierung im Osten veranschlagt worden waren.
„Aus diesem Topf sollte doch etwas für ihr Projekt abfallen“, bemerkte er.
Der Bürgermeister winkte ab.
„Keine müde Mark in Sicht, Herr Ehrenfeld! Mit dem von Ihnen angesprochenen Geld sollen ganz andere Missstände angegangen werden. Der Name Bitterfeld zum Beispiel wird ihnen genug sagen.“
Nervös fingerte er sich eine Zigarette aus der angebrochenen Packung, die vor ihm lag.
Dann nahm er wieder Blickkontakt zu dem Industriellen auf und fuhr fort.
„Auch wenn wir einen nicht ganz unerheblichen Teil der Kosten mit Zuschüssen abdecken können, kümmern die da oben sich nicht groß darum, dass wir bald keinen Deponieraum mehr zur Verfügung haben. – Eine Zeitlang mussten wir schon den Müll auf die in den benachbarten Kreisen vorhandenen Deponien bringen. Für teures Geld, versteht sich.“
Aha, Knete ist also vorhanden, dachte Ehrenfeld. Drückt mir bloß nicht auf die Tränendrüsen. Preisnachlass ist nicht drin.
„Früher zu Honeckers Zeiten gab es bei der Abfallbeseitigung keine Probleme“, äußerte der Bürgermeister beinahe wehmütig.
„Von oben wurde verordnet, wo die Abfälle, darunter auch Tausende von Tonnen Sondermüll westdeutscher Großfirmen, hinzukommen hatten. Manchmal auch an Standorte, für die kein Gutachten vorlag.“
Ehrenfeld spitzte die Ohren, aber nicht den Mund. – Schweigend hörte er das mit an, was ihm schon lange bekannt war.
Für harte Devisen hatte die DDR jeden, aber wirklich jeden Müll abgenommen und ihn auf ihrem Territorium abgelagert. Oft genug unsachgemäß und zu Lasten der eigenen Bevölkerung, doch wer wollte dagegen zu Felde ziehen?
„Die Folgen sehen sie heute“, sagte der Bürgermeister. „Verseuchte Böden, vergiftete Flüsse. Und keine vernünftige Planung, die eine geordnete, konventionelle Beseitigung der Abfälle auf Dauer ermöglicht. Deshalb muss die Verbrennungsanlage nun so schnell wie möglich kommen. Die Angelegenheit pressiert!“
„Gibt es keine Proteste in der Bevölkerung?“, fragte Ehrenfeld. „Haben sich keine Bürgerinitiativen gegen das Projekt formiert?
„Wo denken sie hin?“, entgegnete der Bürgermeister. „Die Leute sind froh, dass sich endlich eine annehmbare Lösung für das Problem abzeichnet. – Die planerischen Verfahren konnten reibungslos durchgezogen werden. Allein einige Umweltschutzgruppen aus dem Westen beginnen sich für das Vorhaben zu interessieren.“
Ehrenfeld war erstaunt, obwohl er um die Obrigkeitshörigkeit, von der weite Teile der hiesigen Bevölkerung durch das jahrzehntelange Einwirken des diktatorischen Systems erfasst worden waren, hätte wissen müssen.
Solche Verhältnisse müssten wir auch bei uns haben, dachte er.
Dann würden so manche Anlagen ein paar Jahre früher und andere überhaupt erst in Betrieb genommen werden.
Man sprach noch eine weitere Viertelstunde über Belanglosigkeiten, ehe dann der Bürgermeister zu Tisch bat.
Der Büroleiter nahm sich des Industriellen an.
„Wir haben ein nettes Restaurant ... gerade um die Ecke eigentlich. Wir wollen es uns nicht nehmen lassen, sie dorthin einzuladen. Erst muss ich aber noch meinen Mantel im Büro holen.“
Ehrenfeld nutzte die unerwartete Chance, ein paar Augenblicke mit Ida Berentz reden zu können.
„Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet“, sagte er.
„Ob ich heute Abend Zeit hätte, ihnen die Stadt zu zeigen? „Genau.“
Ehrenfeld fieberte der Antwort entgegen.
„Nun, das lässt sich vielleicht machen. Hatte anderweitig eine Verabredung, die hat sich aber erledigt.“
Ihr Langeweile demonstrierender Ton beeindruckte Ehrenfeld nicht.
Die Annahme des Angebots rechnete er seiner Ausstrahlung zu. In seiner aufkommenden Erregung bemerkte er weder Schein noch Wirklichkeit.
Er sah sich schon in irgendeinem Bett mit ihr liegen. – O Mann, wenn sie halbwegs das hielt, was sie versprach, konnte er sich auf was gefasst machen.
Nach acht am Abend trafen sie im „Berliner Hof“ ein. Harald Rust hatte angekündigt, nach ihnen zu kommen. Entgegen seiner Ankündigung saß er aber schon in einem unauffälligen Winkel im Bereich der Theke.
Er war immer vor der vereinbarten Zeit am Ort. Es war eine Vorsichtsmaßnahme. Er wollte die Entwicklung der Dinge im Blick haben.
Die beiden setzten sich an einen der Tische im hinteren Bereich des Restaurants. Ida Berentz schaute sich nervös um, hatte aber noch keine Notiz von ihm genommen.
Doch da ... ihre Blicke streiften sich.
Rust begann zu grinsen, und Ida schaute hastig wieder weg. Über tote Briefkästen hielt sie Kontakt zu ihm und er über Telefon zu ihr.
Einmal erst hatte sie ihn gesehen. Und doch hatte sie ihn gleich wieder erkannt.
So ein Gesicht vergaß man nicht.
Rust nahm sich Zeit für sein Vorhaben. Er ließ die beiden erst einmal speisen.
Nur keine Eile – der Wessi sollte nicht bemerken, dass das Nachfolgende abgekartet war.
Ida Berentz hatte keinen Appetit, war ungeduldig.
Warum kommt er nicht, fragte sie sich.
Sie hielt die Blicke von Ehrenfeld und sein schmieriges Gefasel, das seine Einfuhr an Essen begleitete, nicht mehr aus.
So sehr sie ihren Erpresser auch hasste, jetzt kam er ihr wie ein Erlöser vor.
Endlich stand Rust auf.
Er richtete seine Schritte hin zur Toilette.
Sein Weg führte ihn an dem Tisch, an dem die beiden saßen, vorbei.
„Nein, was für ein Zufall! Ida ... Du?!“
Ida Berentz stockte einen Augenblick. Auch Rust wurde sich schlagartig der Misere bewusst. – Sie kannte ja gar nicht seinen Namen.
Hoffentlich verdarb sie jetzt nicht alles.
Doch Ida rettete die Situation.
„Guten Abend, Richard. – Du bist es doch ... Richard? Mensch, wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen?“
Sie gaben sich die Hand.
Ida versetzte es einen Stich.
In Rusts Augen lag ein Anflug von Drohung.
Eine ordentliche Fehlspekulation hatte ihn so weit gebracht, sich ihr zu präsentieren.
Er brauchte dringend Geld.
Auch Ehrenfeld wurde beiläufig von Rust begrüßt.
„Bin gleich zurück!“
Er schaute in Richtung Toilette und verschwand.
Ehrenfeld sah seine Chancen schwinden.
Woher sie den Typ kennen würde, wollte er wissen.
„Wir haben uns bei der FDJ, der Freien Deutschen Jugend, kennen gelernt.“
Ehrenfeld entgegnete nichts, hoffte nur inständig, dass der Kerl sich bald wieder aus dem Staub machen würde.
Doch dieser Richard dachte gar nicht daran, sich rasch zu verabschieden.
Er rief den Kellner für eine Bestellung herbei und bestritt die Unterhaltung im übrigen fast allein.
Ehrenfeld fiel auf, dass Ida Berentz sehr gezwungen wirkte. Wenn die beiden gute Bekannte sind, dachte er, dann bin ich der beste Freund vom Papst.
Endlich beteiligte ihn Rust an dem Gespräch.
„Darf ich sie fragen, woher sie kommen?“.
„Aus der Nähe von Koblenz, wenn ihnen das vielleicht was sagt.“
Koblenz... ganz klar, das sagte ihm was. – Im Zentrum des Operationsgebietes, so wie die Bundesrepublik im Stasi-Jargon bezeichnet wurde, gelegen. Ehemals größte westeuropäische Garnisonsstadt.
Das Wissen hatte er irgendwann einmal in einer der zahllosen Unterrichtsstunden bei der NVA erworben.
„Koblenz ... Deutsches Eck und so.“
„Erraten.“
„Und sie sind geschäftlich hier?“
Ehrenfeld fühlte sich genervt.
„Ja, Urlaub macht man nämlich besser anderswo“, erwiderte er trocken.
„Da haben sie recht. Allein die Luft verleidet einem schon alles. – Aber das mit der Umwelt soll ja jetzt alles besser werden.“
Rust wusste den Faden zu spinnen, ließ sich durch die Feindesblicke von Ehrenfeld und Ida Berentz nicht aus dem Konzept bringen.
Zu viel war in den letzten Wochen passiert, als dass diese Situation ihm über den Kopf wachsen konnte.
„Erlauben sie mir zu fragen, ob sie auch in dieser Hinsicht tätig sind?“
„Sind sie Hellseher?“
„Das nicht, aber ...“
„Schon gut, lassen wir jetzt das Geschäftliche beiseite“, fiel Ehrenfeld ihm ins Wort.
„Ich möchte mit der Dame hier einen schönen Abend verbringen!“
O ja, er konnte direkt werden!
Bei diesem Wink mit dem Zaunpfahl lächelte Rust gequält. Er musste eine andere Gangart wählen, musste durchdringen lassen, dass er im Bilde war.
„Aber es wäre für ihre geschäftlichen Interessen sicherlich von Nutzen, wenn sie über Beziehungen verfügen würden.“
„Danke, ich habe meine Beziehungen.“
„Auch hier?“
Ehrenfeld spürte, dass sein Gegenüber an mehr als einem harmlosen Gespräch interessiert war.
Wenn überhaupt, dann morgen. Jetzt auf keinen Fall. Er hatte ein Prachtweib an seiner Seite sitzen. Diese Chance wollte er sich nicht entgehen lassen.
„Hier natürlich nicht“, antwortete er. „Ich brauche auch keine Beziehungen!“
Rust blieb hartnäckig.
„Das kann ich nicht glauben, dass sie als Geschäftsmann so denken. – Ohne Beziehungen läuft nichts; das müssten sie doch besser wissen als ich.“
Ehrenfeld quittierte die Aussage mit Schweigen und sah auf die Uhr.
Eine beklemmende Stille trat ein.
Es ist soweit, dachte Rust. Ich muss die Karten auf den Tisch bringen.
„Ich frage mich nur“, äußerte er, „was sie gegen die günstigeren Angebote ausrichten wollen.“
„Woher wissen sie ...?“
Ehrenfeld war sichtlich überrascht.
Ein vielsagender Blick von Rust hinüber zu Ida Berentz gab ihm rasch die Antwort.
„Ah, so läuft das also hier.“
Der aufdringliche Fremde begann für ihn interessant zu werden.
Seine Gedanken beschäftigten sich augenblicklich nur noch mit ihm.
Das Thema Ida Berentz war – vorerst zumindest – für ihn abgehakt.
Wie sie da auch am Tisch saß, reglos und blass, hatte sie bald keinen Reiz mehr für ihn.
„Ich weiß, was sie an den Mann bringen wollen“, gab Rust von sich, „und weiß auch, dass sie ohne meine Hilfe keine Chance haben, sich zu behaupten.“
Ehrenfeld bemühte sich, kühlen Kopf zu bewahren.
„Spielen wir mit offenen Karten!“, sagte er.
Rust zeigte sich einverstanden und fing an, sein Wissen offen zu legen.
„Außer ihrem Angebot sind noch zwei weitere, die man als konkurrenzfähig einstufen kann, eingereicht worden. Der eine Anbieter ist mir bekannt. Da kann ich Einfluss nehmen.- Den anderen kenne ich nicht, aber den werden wir auch schon klein kriegen!“
„Was verschafft ihnen die Gewissheit, dass ich ohne ihr Zutun chancenlos bin?“
„Nun, eine Differenz von 21 beziehungsweise 18 Millionen Mark ist kein Pappenstiel.“
Der Kerl scheint verdammt gut informiert zu sein, dachte Ehrenfeld.
Er warf einen verächtlichen Blick auf Ida Berentz.
Warum hat das Biest ihm nur die Informationen besorgt? Wollte sie aus ihrem Wissen Kapital schlagen? – Nein, dann hätte sie sich jetzt anders präsentiert.
Er spürte, dass sie in seiner Hand war.
„Außerdem würde, sollte eins der anderen Angebote berücksichtigt werden, die Konjunktur hier angekurbelt werden“, äußerte Rust.
„Bei der katastrophal schlechten Wirtschaftslage und den vielen Arbeitslosen ist dies ein wichtiger Punkt.“
Ida Berentz wohnte dem Gespräch zwischen den beiden Männern mit versteinerter Miene bei.
Was hatte sie bloß angerichtet? – Gerade waren diese beiden Kriminellen dabei, eine Riesenschweinerei auszuhecken. Zum Nachteil der hier arbeitenden oder Arbeit suchenden Menschen.
Die Verantwortung dafür, sie lag auch bei ihr.
Sie hatte diese Männer zusammengebracht. Ohne ihr Mitwirken wären sie sich nie begegnet.
Ihr Blick richtete sich kurz auf einen Zeitungsständer in der Ecke auf dem Weg zur Toilette. Tageszeitungen. Bilder junger Frauen auf einer Titelseite. Die Gesichter konnte sie nicht erkennen. Schon gar nicht war sie in der Lage, den dazu gehörenden Text zu lesen.
Die Polizei arbeitete fieberhaft an der Aufklärung der beiden in der Elbe ertrunkenen Frauen. Wer konnte eine Beobachtung melden, weiter führende Angaben machen? Ida ahnte nicht, wie sehr die Geschicke der Toten ihrem eigenen ähnelten.
Ihr Blick wandte sich wieder den beiden Männern zu, die über sie zusammengekommen waren.
„Angenommen, ich würde sie bitten, mir in der Angelegenheit behilflich zu sein. Es würde doch kein Freundschaftsdienst werden?“
Rust erkannte, worauf Ehrenfeld hinauswollte.
„Von Freundschaft reden wir später“, sagte er.
„Erst kommt das Geschäft. – Ich denke, dass bei einem Projekt in dieser Größenordnung eine Million nicht zuviel verlangt ist.“