Ruppi - Joachim Gerlach - E-Book

Ruppi E-Book

Joachim Gerlach

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Beschreibung

Drei bislang fest im beruflichen Leben stehende Mittvierziger werden im Zuge der politischen und wirtschaftlichen Neuordnung der ehemaligen DDR beruflich und familiär aus den Bahnen geworfen. Alle drei versuchen, jeder auf seine Art, wieder existenzielle Selbstständigkeit zu erringen und diese zu festigen. Alle drei scheitern, nicht zuletzt der Umstände wegen. Am Ende verknüfpen sich ihre Wege, um mit kriminellen Mitteln einen Ausweg aus ihrer Misere zu finden, was für die Hauptfigur Ruppi zur tragischen Katastrophe führt. Ein Vierteljahrhundert nach dem Beitritt der DDR zum Staatsgebiet der BRD fragen sich Politiker, Historiker und Journalisten entsetzt, woraus plötzlich die Wut auf das politische Establishment unter massiven Teilen der Bevölkerung in großen Teilen des Beitrittgsgebietes entstammt. Antworten darauf finden sich auch in dieser Novelle.

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Seitenzahl: 61

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Gert Holstein

Ruppi

Eine ostdeutsche Kriminal-Novelle

Vom gleichen Autor als ebook erhältlich:

Geschichten aus einem anderen Land

Aufschwung Ost – die neue Arbeitswelt

Teil I

Der Einfachheit halber werde ich ihn Ruppi nennen. Eigentlich heißt er Ruprecht und das mit Nachnamen. Seine Vornamen kennt er wahrscheinlich selbst nicht mehr, denn seit er denken kann, sprechen ihn alle nur mit Ruppi an, seine Frau darin eingeschlossen. Letztere jedoch mit einer Ausnahme: Wenn sie danach erschöpft und zufrieden beieinander liegen, nennt sie ihn bei seinem Vornamen: „Ach, Hans-Jürgen!“ und kuschelte sich noch ein Stückchen enger an ihn.

Lehrer und Vorgesetzte in der Armee freilich bevorzugten andere, den Umständen eher gemäße Anreden. Jedoch liegen diese Lebensabschnitte weit im Dunstkreis der Erinnerungen schon eine Ewigkeit zurück, weswegen ich mich mit ihnen auch nicht weiter aufhalten will. Anzumerken sei nur, dass Ruppi nach dem Abitur in Ermangelung anderer Berufsvorstellungen sich für drei Jahre zu den Fallschirmjägern meldete. Zwar hatte er auch einen richtigen Beruf erlernt, war fast gleichzeitig mit der Hochschulreife zum Facharbeiter für Automatenherstellung avanciert. Allerdings konnte er sich um nichts in der Welt vorstellen, in dieser Mühle der Eintönigkeit bis zum Lebensende sein berufliches Dasein zu fristen. Das Problem dabei: es fehlte ihm an überzeugenden Alternativen. Deshalb erst einmal Fallschirmjäger, nach drei Jahren wird man weiter sehen. Aus drei Jahren wurden sechs, aus sechs zehn. Immer wieder verlängert wegen fehlender Alternativen bis er endlich genug hatte vom Militär. Es folgte ein Hochschulstudium der Wirtschaftswissenschaft, abgekürzt „WiWi“. Ein Wissenschaftszweig, welcher an der eigentlich technisch orientierten Universität von den angehenden Technikern und Mathematikern abfällig zu „HiWi - Hilfswissenschaft“ degradiert wurde. Bei Lichte besehen hatten die nicht einmal unrecht, Ruppi war sich seines Dünnbrett-Studiums sehr wohl bewusst. Nur waren die Bedingungen, mit Hilfe von WiWi-HiWi schneller auf dem Einkommensweg voranzukommen, für ihn weitaus günstiger als in einer der technischen Disziplinen. Da hätte er in irgendeinem Betrieb erst einmal wieder ganz von vorn anfangen müssen. Mit erheblichen finanziellen Konsequenzen. Negativen versteht sich.

Ruppis Erwägungen sollten sich auszahlen. Schon sein erstes Arbeitsfeld nach Studienabschluss wurde mit weit über eintausend Mark vergütet, seine Ex-Kommilitonen stiegen mit allerhöchstens 700 ein. Die zehnjährige Armeedienstzeit zahlte sich auch aus, mit einem Problem allerdings: man setzte Erwartungen in ihn. Erwartungen, die in Führungspositionen mündeten. Erwartungen, die Ruppi nicht erwidern konnte, nicht erwidern wollte, und folgerichtig nicht erwiderte. Sehr zum Verdruss seiner Gemahlin freilich, denn die vierköpfigen Familie wollte nach deren Vorstellungen standesgemäß ernährt, eingekleidet und auch sonst rundum versorgt werden. Ruppis individuelle Befindlichkeiten waren da fehl am Platz.

Aber er setzte sich durch, gegen den strammen Druck derer, die ihn ihren Maßstäben gemäß in gegebene Hierarchieebenen einschichten wollten, gegen den sanften Druck seiner Gemahlin, die höhere Einkommensvorstellung mit sich trug. Auch wenn es Blessuren kostete, ziemlich deftige sogar. Am Ende landete er in einer ihn durchaus befriedigenden beruflichen Nische. Er landete im Reich der sich auch im Ländchen trotz aller Hindernisse wirtschaftlicher und mentaler Natur immer mehr breit machenden Computertechnik. Unter den Blinden seiner Erwerbseinrichtung avancierte er zum einäugigen König. Irgendwann heftete man ihm dafür sogar noch einen staatlichen Orden an die Brust, aber da war es bis zur Wende nicht mehr weit. Orden und Urkunden gab es zuhauf, gleichwenn es mit der allgemeinen Bedarfsdeckung nicht unbedingt zum Besten stand. Ruppi hätte es lieber gesehen, sie hätten Wege gefunden, all das Ordensblech in kapazitätsträchtige Speicher für Computer zu verwandeln.

Die Wende selbst verwandelte stattdessen seine bisherige Einkommensquelle zuerst in einToll- und kurz darauf in Totenhaus. Um die eintausend Beschäftigte verschwanden schon einmal samt und sonders in der sogenannten Warteschleife, aus der sie trotz allem mit viel Geduld ertragenen Wartens nicht mehr auf ihren alten Arbeitsplatz zurückkehrten, auch nicht auf einen der gewendeten. Denn so viele Leute wie bislang benötigte man in der neuen Behörde nun doch nicht mehr. Ruppi überstand zwei Jahre der Siebungen und Umstrukturierungen und flog dann dennoch raus. EDV-Arbeit wurde im endlich wieder geeinten Landvon Spezialisten außerhalb der Behörden erledigt. Ob diese wirklich effizienter waren, konnte Ruppi nicht ermitteln, denn der Zugang zu seinem einstigen Arbeitsplatz blieb ihm fortan verwehrt. Es kümmerte ihn auch nicht im Geringsten, denn er hatte plötzlich ganz andere Aufgaben zu meistern: Es galt, schleunigst wieder Anschluss an einen regulären Arbeitsplatz, welcher in etwa seiner Qualifikation und seinen fachlichen Befähigungen entsprach, zu finden. Das freilich stellte sich als komplizierter heraus als gedacht. Bewerbung folgte auf Bewerbung, die Rückantworten blieben aus. Verordnete Vorsprachen beim Arbeitsamt erbrachten außer eindringlichster Belehrungen, sich nur immer mit Elan um Arbeit zu bemühen, nichts. Arbeitsplätze vermochte das Amt offensichtlich auch nicht zu backen. Es schien lediglich das Elend zu verwalten, das aber mit aller Hingabe und allem Nachdruck. Hinreichend in Wochenendschulungen auf die neue Kundschaft vorbereitet, konnte es durchaus geschehen, dass eine ehemalige Fleischverkäuferin und nunmehrige Fallbetreuerin den ehemaligen Hauptabteilungsleiter eines auch international agierenden Maschinenbaubetriebes und nunmehrigen Arbeitslosen darüber aufklärte, wie er sich zu einem Vorstellungsgespräch zu kleiden und benehmen hätte. Auch an Drohungen, zuweilen versteckt, zuweilen offen, mangelte es nicht. Ein Wort schwebte gleich einem Damoklesschwert über allen, welche nachwendig notgedrungen das Amt aufsuchen mussten: Leistungskürzung!

Ruppi hatte mittlerweile die Mitte der Vierzig überschritten, bewegte sich zügigen Schrittes auf die Fünfzig zu, und hatte ein Berufsprofil, mit dem man im Beitrittsgebiet die Wiesen pflastern konnte. Ökonom mit ostalgisch angestaubten Computer-Kenntnissen, wer braucht denn so was! Es nutzte auch nichts, dass er sich über ein Jahr akademisch fortbilden ließ. Jedenfalls nicht ihm. Der Inhaber des privaten Fortbildungsinstitutes, bei welchem Ruppi sein einstiges Studium, radikal verkürzt um den Themenkreis „Marxismus-Leninismus“, dafür erweitert um die Themenkreise „Bewerbertraining“, „Rollen- und Funktionsspiele“ und andere wesentliche Erfordernisse der neuen Arbeitswelten im Schnelldurchlauf meisterte, baute noch während Ruppis Verweilzeit im Fortbildungsinstitut nicht nur für sich sondern auch gleich für seinen gerade flügge gewordenen Nachwuchs wunderschöne Häuschen in einer der im Beitrittsgebiet wie die Pilze aus dem Boden schießenden Wohnsiedlungen. Da staunte Ruppi nicht schlecht!