Die Wiki-Revolution - Wätzold Plaum - E-Book

Die Wiki-Revolution E-Book

Wätzold Plaum

4,5

Beschreibung

Ob der Erfolg der Piratenpartei, die wiederentflammte Anti-Atombewegung oder der Protest gegen "Stuttgart 21" - mehr und mehr Menschen bekunden ihren Unmut über die Politik der etablierten Parteien. Die Demokratie hat den Rückwärtsgang eingelegt, hierzulande und anderswo. Und über allem schweben die Schatten der größten Staatsschuldenkrise seit Jahrzehnten. Wätzold Plaum analysiert die erstarrten Verhältnisse der gesellschaftspolitischen Gegenwart und zeigt: Phasen der Lähmung, wie wir sie erleben, sind oft Vorboten einer sich anbahnenden Revolution. Heute ermöglicht das Internet neue Formen der Demokratie, versinnbildlichen WikiLeaks und Wikipedia das Prinzip, das diesem Wandel zugrunde liegt. Und die Piratenpartei will die kulturellen und technologischen Errungenschaften parlamentarisch festigen. So intelligent wie originell macht Wätzold Plaum die Vision einer Wikirepublik für jedermann fassbar und nimmt die Leser mit auf seinem Weg dorthin.

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Wätzold Plaum

Die Wiki-Revolution

Absturz und Neustart der westlichen Demokratie

Rotbuch Verlag

Bildnachweis: Siehe hier © Courtesy of the Computer History Museum;

Siehe hier © Piratenpartei Deutschland Landesverband Bayern.

Nicht in allen Fällen konnten die Rechte geklärt werden.

Berechtigte Ansprüche bleiben gewahrt.

eISBN: 978-3-86789-531-6

1. Auflage

© 2012 by Rotbuch Verlag, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

Rotbuch Verlag GmbH

Alexanderstraße 1

10178 Berlin

Tel. 01805 / 30 99 99

(0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)

www.rotbuch.de

Inhalt

Die Ausgangslage

TEIL I: DIE GEGENWART IN DER KONZERNREPUBLIK

1: HerausforderungWikiLeaks

Die Idee hinterWikiLeaks

Das Dilemma der Revolution

Der arabische Frühling – Vorbote der Wiki-Revolution?

2: Netzguerilla

Computer und Freiheit

Die Geschichte von UNIX

Initiative für freie Software

Der Weg in die Politik

Cypherpunks

Wikipedia und die Piratenpartei

Die historische Tragweite der Wiki-Revolution

3: Konzernrepublik und Wiki-Republik

Die Konzernrepublik

Sicherheit – die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten

Public Relations – die Kunst der Intransparenz

Politische Korrektheit – neudeutscher Konformismus

Globalisimus – »Harmonisierung« im Namen des Zentralismus

Wiki-Republik in Sicht!

Die Kathedrale und der Basar, oder: Warum Linux ein Erfolg wurde

Raymonds acht goldene Regeln der Wiki-Republik

4: Postmoderne und Politik

Das Jahr 1977

Parteien in der Gegenwart

Die Geschichte der politischen Parteien in Deutschland

Eine veränderte politische Kultur

5: Gutenbergs Enkel

Konzernmedien

Medien, Macht und Kapital

Eine Medienrevolution hat begonnen

Die Buchdruck-Revolution

Historische Dimensionen: Ein Vergleich

6: Die Krise des Kapitalismus

Verschuldung und Zins – eine Geschichte des Scheiterns

Das Ende des Ostblocks

Die Französische Revolution als Verschuldungskrise

Abgewirtschaftet

Steigende Vermögenskonzentration

Arbeitslosigkeit

Überschuldung

Das Verschuldungsproblem unter der Lupe

Folgen der Verschuldung

Europa am Scheideweg

Die europäische Verschuldungskrise

Wohin die Reise geht

TEIL II: DIE ZUKUNFT IN DER WIKI-REPUBLIK

7: Flüssige Demokratie oder Demokratie 2.0

Direkter Parlamentarismus

Konzepte einer Internet-Demokratie

Politikfeldparlamente

Bündnisse

Neue Formen des Diskurses

Die Umsetzung einer internetbasierten Demokratie

Direkter Parlamentarismus in der Praxis

»Schritt für Schritt ins Paradies«

Mehrheitswahl versus Verhältniswahl

Der Parteienstaat und das Ende der Parteien

8: Ein politischer Kompass für die Wiki-Revolution

Das Ende des Rechts-Links-Schemas

Nationalismus und Internationalismus

Eine unkonventionelle Allianz

Eine Landkarte der Ideologien

Kant und die drei Schulen

Das politische Wertedreieck

Eine freiere Gesellschaft

9: Die Grundwerte der Wiki-Republik

Individualität

Bürgerrechte verteidigen

Informationelle Selbstbestimmung

Transparenz – der gläserne Staat

Pluralität

Subsidiarität

10: Wiki-Wirtschaft

Business 2.0

»Das Wunder von Wörgl«

Peer-to-Peer-Kredite und Bitcoins

Zwei Formen der Marktwirtschaft

Eigentum 2.0

Sozialismus – staatliche Unternehmen

Konservativismus – Unternehmen in Privathand

Liberalismus – genossenschaftliche Unternehmen

Das ökonomische Wertedreieck

Geld 2.0

Schwundgeld

Vollgeld

Währungspluralismus

Der Weg aus der Krise

11: Wiki-Schulen und Wiki-Unis

Der Ausverkauf des Bildungswesens

Vom Phlegma des Bildungswesens

Struktureller Konservativismus der Bildungseinrichtungen

Eine Frage der Macht

Die Probleme digitalisierter Pädagogik

Wiki-Unis

Zukunft der Bildung – Bildung der Zukunft

12: Wiki-Medien

Internet killed the Videostar

Vorreiter Musikindustrie?

Neue Strukturen braucht das Land

Zeit aufzuwachen

Anmerkungen

Weiterführende Literatur

Danksagung

Für Justine

Die Ausgangslage

Wir leben in beklemmenden Zeiten. Die Welt um uns befindet sich im Umbruch. Dieser Umbruch hat viele Gesichter: politische, ökonomische, kulturelle. Zwei davon sind WikiLeaks und Wikipedia. Beide sind eng verknüpft mit dem Leitmedium der Zukunft, dem Internet. Beide stehen für eine grundlegende Veränderung unserer Kultur. Sie stehen für eine Revolution, die Wiki-Revolution.

Gewiss, im 20. Jahrhundert gab es viele Revolutionen. Noch größer ist die Zahl der belanglosen Ereignisse, die von irgendeiner PR zu einer solchen hochgejubelt wurden. Es ist daher nicht selbstverständlich zur ursprünglichen Bedeutung der Revolution als einer »gesellschaftlichen und politischen Totaländerung« vorzudringen. Die grundlegende These dieses Buches besteht darin, dass die Menschheit, wenigstens aber die »westliche Welt«, an der Schwelle zu einer solchen Totaländerung steht.

Wie der Buchdruck zu Beginn der Neuzeit ist das Internet heute das Medium einer geistigen Avantgarde, die das Tor zu einem neuen Zeitalter aufstößt. Dazu kommt, dass das politische System der westlichen Staaten in einer fundamentalen Krise steckt. Diese Krise hat zwei Aspekte: Durch eine Verschuldungskrise historischen Ausmaßes droht allen westlichen Staaten der ökonomische Kollaps. Im historischen Vergleich wird klar, dass dies regelmäßig ein entscheidender Begleitumstand von Revolutionen war. Auch passt das System der repräsentativen Parteiendemokratie nicht mehr zum politischen Denken der Menschen. Sie fühlen sich immer weniger durch diejenigen repräsentiert, die sie wählen, und drängen auf stärkere direkte Beteiligung, etwa in Form von Bürgerentscheiden.

Revolutionen geschehen nicht zufällig. Ihnen gehen in der Regel Phasen der Erstarrung voraus. Der Sowjetkommunismus unter Breschnew schien für die Ewigkeit zementiert und brach doch wenige Jahre nach dem Tod des Diktators wie ein Kartenhaus zusammen. In den Jahrzehnte währenden autokratischen Regimen von Tunesiens Ben Ali und Ägyptens Husni Mubarak scheint dieses Muster erneut wirksam geworden zu sein. So gesehen, wird die Anfang der 90er Jahre von Francis Fukuyama aufgestellte These vom »Ende der Geschichte« vielleicht einmal als Vorbote eines sich anbahnenden grundlegenden Wandels der westlichen Welt erachtet werden. Einen Augenblick lang schien der Gedanke Fukuyamas durchaus treffend. Nach dem Fall des Ostblocks war die Menschheit für ein paar Jahre tatsächlich einem gesellschaftspolitischem Endzustand nahe. Marktwirtschaft und Demokratie, jene bis heute zitierten Verheißungen aufgeklärten Fortschritts, schienen den Sieg davongetragen zu haben – ein Endzustand, der pessimistisch als eben die genannte Erstarrung begriffen werden könnte.

Die Kehrseite dieses Sieges war, dass das »westliche Gesellschaftsmodell« sich seitdem nicht mehr gegen Konkurrenz zu behaupten hatte. Der Kapitalismus hat eine ideologische Monopolstellung errungen. Der Monopolist musste sich nicht mehr anstrengen. Die Qualität des Angebots sank. Diese ökonomische Faustregel bestätigt sich auch in der Politik.

Wenn die Demokratie also nominell über den Kommunismus gesiegt hatte, so verkam dieser Sieg sehr bald zu einem Pyrrhussieg. Die Demokratie hat den Rückwärtsgang eingelegt, in Deutschland und anderswo. Unter dem Firnis politisch korrekter Grundgesetztreue gärt es schon lange.1 Noch sind sie zahlreich, die Ulrich Wickerts, die halb moralisierend, halb flehend an das Volk appellieren, doch ja zur Wahl zu gehen. Doch diese Appelle klingen von Jahr zu Jahr hilfloser, ihre Verkünder von Jahr zu Jahr resignierter. Sinkende Wahlbeteiligungen verweisen auf vieles. Etwa darauf, dass der bürgerliche Konsens, der letztlich unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung trägt, nach und nach schmaler wird. Immer mehr erscheint unsere Gesellschaftsordnung nicht mehr als gut, sondern nur mehr als das geringere Übel. Auch mangels Alternativen.

Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Den westlichen Demokratien läuft die Gefolgschaft davon. Es gibt mehrere, zunehmend an Gewicht gewinnende gesellschaftliche Gruppen, die nicht mehr als aktive Stütze unserer öffentlichen Ordnung anzusehen sind.

Ein seit Jahrzehnten wachsender Teil der Bevölkerung fristet sein Dasein mit staatlichen Almosen und muss tagtäglich erfahren, dass er zwar geduldet, aber nicht wirklich erwünscht ist. Der Segen, nicht weiter sinken zu müssen als auf Hartz-IV-Niveau, verwandelt sich für diese Menschen in dem Augenblick zum Fluch, wenn klar wird, dass es – auch dank des zweiten Arbeitsmarktes – schwer ist, das Leben am Existenzminimum zu verlassen. Selbst wenn man Arbeit hat. Das Motto für das obere Drittel der Gesellschaft »Arbeit muss sich wieder lohnen« gilt auch für das untere Drittel. Menschen, deren Dasein sich zwischen Jobcenter, Aldi und RTL2 abspielt, denen die Gesellschaft täglich zu verstehen gibt, nur für einen Hungerlohn oder gar nicht mehr zu gebrauchen zu sein, Menschen, die tagtäglich erfahren, noch nicht einmal ihr eigenes Schicksal zum Besseren wenden zu können, werden kaum den Idealismus aufbringen, diese Hoffnung bezogen auf das Gemeinwesen hegen zu können. Politisches Engagement ist von ihnen kaum zu erwarten.

Lange Zeit aus historisch motivierter Rücksicht tabuisiert, dämmert es mittlerweile auch linken Zeitgenossen, dass eine multiethnische Gesellschaft nur dann funktionieren kann, wenn alle Beteiligten bereit sind, sich auf einen kulturellen Minimalkonsens zu einigen. Auch das Immigrationsland USA hätte andernfalls nicht zu der kulturellen und geopolitischen Hegemonialmacht werden können, die es Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg war. Viele Migranten, vor allem orientalischer Herkunft, sind nicht Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Vielleicht schlägt hier ein nomadisches Erbe durch, Heimat nur in den eigenen vier Wänden zu finden, seien es die eines Zeltes oder einer Mietwohnung. Eine Heimat, die dann eben auch eine türkische oder arabische sein kann, ganz gleich in welchem Staat man sich befindet. Diese Menschen partizipieren nicht an der Bundesrepublik und nicht an dem, was das einzige ökonomische Kapital dieses Landes darstellt: eine auf Tradition fußende intellektuelle Kultur, deren Verbindung von Unternehmertum und Wissenschaft, von Individualismus und Kollektivismus Deutschland stets zu einem Ort der Ideen machte.

Die Debatte um Migration, Parallelgesellschaften und Integration nimmt an Intensität zu, allerdings auch an Nervosität. Das zeigte der Fall Sarrazin nur allzu deutlich. Integration, so wird klar, kostet Geld und kann nicht erzwungen werden. Die Religion des Islam trägt eminent politischen Charakter, das wird von dem an die Trennung von Staat und Kirche gewohnten Europäer häufig übersehen. Milieus, in denen die Scharia als einzig legitime Basis von Staat und Gesellschaft angesehen wird, sind mit der christlich-abendländischen wie mit der wissenschaftlich-aufklärerischen Tradition Europas, auf der auch das Grundgesetz beruht, nicht vereinbar.

Doch auch viele, die scheinbar in der Mitte der Gesellschaft leben, fühlen sich ihr längst nicht mehr verpflichtet. Es sind dies all jene, für die Marktwirtschaft vor allem die Lösung einer simplen mathematischen Optimierungsaufgabe darstellt: die Optimierung des Shareholdervalues, des Einkommens, des persönlichen Bonus. Freie Marktwirtschaft ist Kultur. Nicht umsonst gibt es den Begriff Unternehmenskultur. Gewiss – unternehmerische Tätigkeit heißt zunächst einmal nicht mehr als die entgeltliche Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen. Doch unternehmerische Tätigkeit meint auch die Gestaltung des Lebensraumes, in dem die Arbeitenden die meiste Zeit des Tages verbringen. Sie bedeutet Sorge um das Wohl der Menschen. Dafür sind Kreativität, Engagement, Risikobereitschaft und Idealismus notwendig. All das ist weit mehr als das Streben nach dem maximalen Profit. Es geschieht in gesellschaftlicher, kultureller und historischer Hinsicht nicht voraussetzungslos und ist mit Verantwortung verbunden.

Die gesellschaftliche Desintegration vollzieht sich schleichend. Ebenso schleichend laufen zur Gewohnheit gewordene bürgerliche Freiheiten Gefahr, sich zu verflüchtigen. Diese schmerzhafte Erfahrung mussten die westlichen Gesellschaften in den letzten Jahren machen. Ein zur Parole ausgegebener »Kampf gegen den Terrorismus« wird nur allzu oft betrieben auf Kosten grundlegender Bürgerrechte. Zugleich droht ein zunehmend krankhafter Kapitalismus die bürgerliche Mitte unserer Gesellschaft ökonomisch auszuhöhlen. Der Westen hat seinen Glanz endgültig verloren.

Noch reagieren die Menschen auf diese Missstände überwiegend passiv. Noch ziehen sie sich zurück, bleiben zunehmend den Wahlurnen fern. Misstrauen und Resignation sind immer häufiger als politische Grundbefindlichkeiten auszumachen. Man könnte meinen, das Volk sei ignorant. Aber das war es zu anderen Zeiten auch. Die Klage über geistige Scheuklappen ist häufig gleichbedeutend mit der uralten Klage der Intellektuellen über die Nichtintellektuellen. Man könnte schlussfolgern, die Menschen seien heute unpolitischer als früher. Und gewiss ist jene politisch aufgeladene Atmosphäre der späten 60er bis frühen 80er Vergangenheit. Doch das muss nicht unbedingt von Nachteil sein.

Die 68er stießen das Kreuz vom privaten Altar der weltanschaulichen Geborgenheit. Den Altar schafften sie nicht ab. Die Säulenheiligen hießen nun eben Mao und Marx. Politik war Religionsersatz. Ist nun aber eine Generation, bei der das nicht so ist, deswegen schon unpolitisch? Nein. Die weltanschauliche Entschärfung des politischen Diskurses ist im Gegenteil ein bedeutender Fortschritt. Denn wo in Wahrheit nicht über politische Sachfragen diskutiert wird, sondern über weltanschauliche Geborgenheitssysteme, da ist eben der politische Diskurs nur teilweise aufgeklärt.

Das Volk ist nicht prinzipiell schlechter als früher. Die allgemein verbreitete Politikverdrossenheit liegt nicht darin begründet, dass mit dem Volk etwas nicht stimmt. Die Menschen sind nicht der Politik an sich überdrüssig, sondern der Politik, die ihnen angeboten wird. Die Fehler sind in der politischen Kultur und dem politischen System unseres Landes und allgemein des Westens zu suchen. Von diesen Fehlern handelt dieses Buch unter anderem. Es wird um die Erstarrung der westlichen Demokratie gehen und wie sie überwunden werden kann. Es wird um das neue Leitmedium Internet gehen und wie es neue Formen der Demokratie ermöglicht. Es wird um die Bedeutung einer historischen Schwelle gehen, an der wir uns gegenwärtig befinden und um Ähnlichkeiten zu vergangenen Revolutionszeitaltern. In letzter Konsequenz wird also darüber verhandelt, dass den westlichen Staaten insgesamt Umwälzungen von revolutionärem Ausmaße bevorstehen.

Ein Kennzeichen der sich andeutenden Revolution, der Wiki-Revolution, ist die zentrale Bedeutung des Internets und der neuen Medien. Sie werden unsere politische Kultur grundlegend und nachhaltig verändern. Dieser Wandel hat längst begonnen. Ein erstes unübersehbares Zeichen war der plötzliche stürmische Zulauf für die Piratenpartei nach der Europawahl 2009. Von gut 1 000 Mitgliedern Mitte 2009 stieg deren Zahl bis Anfang 2010 auf über 10 000 an.

Bei der Bundestagswahl im September 2009 schließlich war die Partei mit einem Ergebnis von knapp zwei Prozent unerwartet erfolgreich. Vor gut zwei Jahren war dieses Ergebnis eher ein Schauspiel am Rande, denn am Wahlabend tauchte die Farbe Orange in den Balkendiagrammen der Fernsehsender nicht auf. Anders war dies am 18. September 2011 bei der Landtagswahl in Berlin. Mit sensationellen 8,9 Prozent zog die Piratenpartei in das Abgeordnetenhaus des achtgrößten Bundeslandes ein. Dass dies mehr als ein lokales Ereignis war, zeigte eine Forsa-Umfrage wenige Tage später. Bundesweit erhielten die Piraten bei der Sonntagsfrage ein Ergebnis von sieben Prozent.2 Entscheidend ist, dass die orange Partei die erste politische Kraft darstellt, welche sich ausdrücklich zum Internet als dem bevorzugten Raum der politischen Aktion und Agitation bekennt.

2006 war nicht nur das Gründungsjahr der Piratenpartei, sondern auch das eines weiteren Projektes, das 2010 für einen Paukenschlag sorgen sollte: die Enthüllungsplattform WikiLeaks. Ein gutes Dutzend Internet-Aktivisten forderte die Weltmacht USA heraus und schaffte es mehrfach auf die Titelseiten der Weltpresse. Stärker noch als bei der Piratenpartei wurde deutlich, dass wir uns mitten in einem Informationskrieg befinden. Das Internet ist zu einem zentralen Schlachtfeld der informatorischen Kriegsführung geworden. Hier tummeln sich Regierungen, Blogger, Hacker-Gruppen und Geheimdienste und kämpfen um die Vorherrschaft im neuronalen Gewebe der Menschheit. Facebook, Twitter und eben auch WikiLeaks sind längst bevorzugte Instrumente der politischen Agitation geworden – von welcher Seite auch immer.

Das allein wäre schon aufregend genug. Zusammen mit der Entfremdung breiter Teile der Bevölkerung von der Politik ergibt sich eine explosive Mischung. Der Parteienproporz repräsentiert schon lange nicht mehr das Meinungsbild der Bevölkerung. Die etablierten Parteien sind von Teilhabern am politischen Meinungsbildungsprozess zu einem Kartell der erlaubten Überzeugungen geworden. Dieses Meinungskartell aber zementiert vor allem das Bestehende. Die Systemfrage stellt sich nicht. Denken wir nur einmal daran, wie Politiker über Demokratie reden. Es ist eines ihrer Lieblingswörter – besonders auch in seiner Verneinung, wenn es darum geht, politisch unliebsame Staaten oder Bewegungen zu diskreditieren. Gleichwohl wird Demokratie meist synonym mit dem bestehenden politischen System gebraucht. Demokratie heißt im Sprachgebrauch unserer Politiker Demokratie, so wie sie in der Gegenwart in westlichen Ländern in Form des repräsentativen Parlamentarismus und des Parteienwesens besteht. Das ist aber eine höchst spezifische Art von Demokratie. Sie stellt beileibe nicht die einzige Möglichkeit dar, den uns zur Gewohnheit gewordenen Minimalstandard an humanitären Grundrechten zu garantieren. Damit aber ist der Begriff Demokratie ins Gegenteil verkehrt. Denn Demokratie heißt gerade, dass die politische Wirklichkeit gestaltbar ist. Und das gilt auch und besonders für die konkrete Weise, in der Demokratie sich verwirklicht.

Der Protest gegen Stuttgart 21 und die 2010 neu entfachte Anti-Atomkraft-Bewegung zeigen eines: Die Bürgerinnen und Bürger wachen langsam auf. Sie nehmen die bestehenden Verhältnisse nicht mehr länger hin und rebellieren gegen eine Politik, in der echte Debatten zunehmend Mangelware geworden sind und die den Bürger allzu oft außen vor lässt. Die Politik der Gegenwart muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ihren despotischen Charakter durch leicht durchschaubare Worthülsen wie »alternativlos« oder »Sachzwang« zu verschleiern. In der von Menschen gemachten Politik ist nichts alternativlos. Und seit jeher verbargen sich totalitäre Ideologeme hinter angeblich naturgesetzlicher Notwendigkeit. Vonseiten der Politik wäre es naiv anzunehmen, dass dies dem Bürger verborgen bliebe. Der Demokratie auf Abwegen – damit haben wir es zu tun – soll ein Name gegeben werden. Ich bezeichne diese Zustände als Konzernrepublik. Und diese Konzernrepublik gilt es zu überwinden.

Es ist das Hauptanliegen dieses Buches, eine Horizonterweiterung in unserem Demokratieverständnis zu bewirken. Mehr Demokratie wagen – dieses Motto ist aktueller denn je und heißt vor allem auch: andere Formen der Demokratie wagen. Demokratie kann so viel mehr bedeuten, als wir heute in unserer Konzernrepublik vorfinden. Wir leben bei weitem nicht in der besten aller möglichen Welten. Wir können aber entscheidend dazu beitragen, dass unsere Welt ein gutes Stück besser wird. Dazu bietet die Gegenwart eine einmalige, bisher so nicht da gewesene Chance. Die Chance zu einem grundlegenden Wandel der politischen Verhältnisse. Wir machen uns im zweiten Teil dieses Buches auf die Suche nach einer Utopie. Dieser Utopie wollen wir auch einen Namen geben. Ich nenne sie die Utopie von der Wiki-Republik.

TEIL I

DIE GEGENWART IN DER KONZERNREPUBLIK

1

HerausforderungWikiLeaks

Die Wiki-Revolution hat mehrerlei Aspekte. In vielen Bereichen hat sie schon angefangen. Die Mitmach-Enzyklopädie Wikipedia hat in Sachen Popularität längst Brockhaus und Co. auf die hinteren Plätze verwiesen. Die Piratenpartei beginnt damit, die Parteienlandschaft in Deutschland umzukrempeln. Die Blogosphäre ist in ihrer Gesamtheit längst wichtiger für die politische Meinungsbildung als die »Tagesschau«. Und doch hat sich an einem zentralen Punkt erstaunlich wenig verändert: an der ökonomischen und politischen Grundordnung des Westens. Ein Konflikt, der genau auf der Frontlinie der Wiki-Revolution liegt, ist die Auseinandersetzung um die Enthüllungsplattform .

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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