Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit - Smilla Johansson - E-Book
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Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit E-Book

Smilla Johansson

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Beschreibung

Ich bin das Lichtkind der Götter Asgards und ich bin gekommen, um euch in der dunkelsten Stunde die Hoffnung zu schenken. Linea die Kaltherzige ist nicht länger dieselbe Frau, die Norwe-gen verließ. Im Laufe ihrer abenteuerlichen Reise hat sie erkannt, dass es nicht bloß nach Freiheit zu streben gilt. Da gibt es noch so vieles, was ihr Herz ersehnt: Freundschaft, Familie und … Liebe. Doch womöglich kommt diese Erkenntnis zu spät, denn die finale Schlacht um Vinland steht bevor. Und sollte Linea dabei für mehr als ihre eigene Freiheit kämpfen, könnte das Schicksal aller Neun Welten besiegelt sein …

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte

Prolog

Teil 1 - Trauer und Hoffnung

Kapitel 1 - Linea

Kapitel 2 - Linea

Kapitel 3 - Linea

Kapitel 4 - Freydís

Kapitel 5 - Freydís

Kapitel 6 - Kjell

Kapitel 7 - Kjell

Kapitel 8 - Kjell

Kapitel 9 - Linea

Kapitel 10 - Linea

Kapitel 11 - Kjell

Kapitel 12 - Linea

Teil 2 - Geist der Ahnen

Kapitel 13 - Linea

Kapitel 14 - Kjell

Kapitel 15 - Kjell

Kapitel 16 - Linea

Kapitel 17 - Linea

Kapitel 18 - Linea

Kapitel 19 - Linea

Kapitel 20 - Kjell

Kapitel 21 - Kjell

Kapitel 22 - Linea

Kapitel 23 - Linea

Kapitel 24 - Freydís

Kapitel 25 - Kjell

Kapitel 26 - Kjell

Kapitel 27 - Linea

Kapitel 28 - Freydís

Teil 3 - Liebendes Herz

Kapitel 29 - Linea

Kapitel 30 - Linea

Kapitel 31 - Linea

Kapitel 32 - Freydís

Kapitel 33 - Kjell

Kapitel 34 - Kjell

Kapitel 35 - Linea

Kapitel 36 - Linea

Kapitel 37 - Linea

Kapitel 38 - Linea

Kapitel 39 - Linea

Kapitel 40 - Linea

Epilog

Playlist

Schlusswort

Dank

Glossar

 

Smilla Johansson

 

 

Die Wikinger von Vinland

Band 3: Umkämpfte Freiheit

 

Fantasy

 

 

 

Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit

Ich bin das Lichtkind der Götter Asgards und ich bin gekommen, um euch in der dunkelsten Stunde die Hoffnung zu schenken.

 

Linea die Kaltherzige ist nicht länger dieselbe Frau, die Norwegen verließ. Im Laufe ihrer abenteuerlichen Reise hat sie erkannt, dass es nicht bloß nach Freiheit zu streben gilt. Da gibt es noch so vieles, was ihr Herz ersehnt: Freundschaft, Familie und … Liebe. Doch womöglich kommt diese Erkenntnis zu spät, denn die finale Schlacht um Vinland steht bevor. Und sollte Linea dabei für mehr als ihre eigene Freiheit kämpfen, könnte das Schicksal aller Neun Welten besiegelt sein …

 

 

Die Autorin

Smilla Johansson, Jahrgang 1998, lebt mit ihrer Familie in der kleinen Stadt Bocholt an der niederländischen Grenze. Benannt nach der bekannten Ermittlerin aus Peter Høegs Kriminalroman Fräulein Smillas Gespür für Schnee hatte sie kaum eine andere Wahl, als sich in der Welt der Bücher zuhause zu fühlen. Ein besonderes Faible hat sie für historische Romane, Fantasy aller Art und Krimis.

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, März 2022

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2022

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

Korrektorat Druckfahne: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-237-3

ISBN (epub): 978-3-03896-238-0

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für Kim,

weil auch in dir

das Herz eines Wikingers schlägt.

Prolog

 

Dunkel und bedrohlich türmten sich die Wolken am Himmel auf und ein eisiger Wind fegte über die steinerne Terrasse vor dem großen Saal. Oðin klammerte sich an das kahle Gerüst und starrte schweigend auf die Welt hinab.

Äußerlich war es kein ungewöhnliches Bild. Er stand oft hier und hing seinen Gedanken nach. So wie der Sturm vor den Fenstern tobte, aus denen die anderen Götter blickten, so stürmte es in seinem Inneren. Seit dem Tag, der sein Schicksal besiegelt und ihm seine Naivität, seine Fehler vor Augen geführt hatte, hatte er sich nicht mehr dazu in der Lage gesehen, den Göttern entgegenzutreten. Bis jetzt.

Bis zum heutigen Tag, an dem Forseti sie alle zum Thing zusammengerufen hatte, weil etwas in Midgard wütete, von dem sie sich nicht länger abwenden konnten. Etwas, das ihnen allen nicht entgangen war, doch nur Oðin wusste wirklich, welche Gefahr es für die Neun Welten barg. Der Welten Übel in der größten der Neun, geführt von den schwächsten Geschöpfen, wie alle Götter stets zu sagen pflegten.

Oðin wollte ihnen beweisen, dass nicht alle Menschen schwach, zumindest nicht dazu bestimmt waren, für immer ihrer Schwäche zu erliegen. Denn selbst die Götter waren nicht ohne Makel.

Das hatte er schmerzhaft lernen müssen und noch immer bereute Oðin seine Fehler. Seine Unwissenheit und Naivität, die nun über ihr aller Leben entscheiden würden. Er konnte nur hoffen, dass er die richtige Wahl getroffen hatte und dass sie dazu in der Lage war, ihre Bestimmung zu erfüllen und seine Fehler zu korrigieren.

Hinter ihm erklang ein leises Knirschen, allerdings widerstand er dem Drang, sich umzudrehen. Oðin hörte allein an den festen Schritten, welcher seiner Mitgötter zu ihm auf die Terrasse getreten war, und es wunderte ihn nicht.

»Ein Sturm zieht auf«, sprach Forseti bedächtig und legte ebenfalls die Hände auf die Balustrade. Der Gott der Gerechtigkeit wandte sich dem Allvater zu. »Sag mir, Oðin, ist das bereits der Anfang vom Ende? Die allgegenwärtige Finsternis, die das große Übel der Ragnarøk vorausschickt?«

Forseti wählte seine Worte weise und zurückhaltend, doch Oðin entging der darin liegende Vorwurf nicht. Er atmete tief ein, zögerte mit seiner Antwort.

Ein greller Blitz durchzuckte den Himmel und der knallende Donner vibrierte durch den kalten Stein unter seinen Händen.

»Ich weiß es nicht«, gestand Oðin schließlich leise, mied aber den Blick des Jüngeren. »Selbst ich vermag die Fäden der Weberinnen nicht zu verfolgen, wenn sie sich im Dunkeln verlieren.«

»Und dennoch hast du einen Plan«, entgegnete Forseti und schaute ebenfalls in die Ferne. »Ich verstehe, dass du diese Bürde nicht mit den anderen teilen magst – ich als höchster Vertreter unseres Rechts habe jedoch Anspruch auf die Wahrheit. Also sage mir, was dein geheimnisvolles Gebaren zu bedeuten hat.«

Forseti klang nun nicht mehr ruhig und verständnisvoll, sondern verärgert und fordernd, und auch das konnte Oðin ihm nicht verübeln, wenngleich es keine Lösung für dieses Problem gab.

»Kein Seher der Menschen verfügt von sich aus über die Kräfte, die den unseren ebenbürtig oder ähnlich sind«, fuhr Forseti unbeirrt fort. »Es bedarf göttlicher Kraft, um etwas zu erschaffen. Ebenso bedarf es selbiger, um Geschaffenes zu zerstören.« Der Gott der Gerechtigkeit verstummte, er hatte sein Ziel erreicht.

Oðin drehte sich ruckartig zu ihm um. Einen Moment lang verhakten sich ihre Blicke ineinander und Oðin war sich sicher, dass er Forseti nicht so leicht abspeisen konnte wie die anderen Götter. Bereits mit seinen nächsten Worten bestätigte sich diese Vermutung.

»Ich werde dich nicht nach deiner Verbindung zu dieser Seherin fragen, doch lass mich dir in aller Dringlichkeit sagen, dass nur du es beenden kannst. Du meinst, du kannst nur Leben geben, aber willst gleichzeitig nicht das Leben der Seherin nehmen? So erkläre mir, wie kannst du ihr guten Gewissens neues Leben schenken, wenn es doch bedeutet, dass du das Leben eines anderen nehmen musst? Worin liegt da der Unterschied?«

Der Allvater dachte einen Moment über die Worte Forsetis nach. Er hatte natürlich recht und trotzdem beherrschten Oðin die Zuversicht und das Vertrauen.

»Der Unterschied ist nicht, was gegeben oder genommen wird«, sagte Oðin und sah erneut dem grauen Himmel entgegen. »Der Unterschied ist, was daraus erwächst. Aus dem, was selbst die tiefste Verzweiflung und Aussichtslosigkeit überdauert und an das wir uns in diesen Zeiten alle klammern sollten.«

»Und was ist es?«, fragte Forseti skeptisch und trommelte mit den Fingern auf das Geländer.

»Hoffnung«, antwortete Oðin und seine Finger entspannten sich allmählich. »Hoffnung ist die Stärke der Menschen, erwachsen aus ihrer Kurzlebigkeit und ihrem unerschütterlichen Glauben an das Gute. Es sind die Menschen, auf die wir nun vertrauen müssen.«

Lange Zeit herrschte Schweigen zwischen ihnen, allein die Geräusche des Naturschauspiels am Himmel erfüllten die Stille, was Oðin nur recht war. Er hegte keinen Groll gegen Forseti, weil er den Menschen nichts zutraute, der Gott der Gerechtigkeit wusste es einfach nicht besser. Hatte sich nie die Mühe gemacht, das Leben, die Entscheidungen eines Menschen zu beobachten oder nachvollziehen zu wollen.

Aber er, der Allvater, hatte beobachtet und unter allen Menschen in Midgard hatte er die eine gefunden, die selbst am dunkelsten Abgrund der Verzweiflung stets das Licht der Hoffnung hatte aufleuchten lassen. Die unerbittlich darum kämpfte, ihre Ziele zu erreichen. Die aus jeder Niederlage, jedem Rückschlag noch stärker hervorging.

Er hatte jene gefunden, der er auch ohne sein Zutun Göttliches zutraute. Jene, die er dazu bestimmt hatte, sie alle zu retten.

»Hoffnung liegt bei den Menschen«, wiederholte Oðin leise und gewahrte mit Erleichterung, wie ein feiner, heller Lichtstrahl die Wolkendecke durchbrach und auf das Langschiff fiel, auf dem das Mädchen ruhig schlief.

Ein trauriges Lächeln eroberte seine Züge, als er dem Sturm den Rücken kehrte und zurück in den großen Saal ging.

Teil 1 - Trauer und Hoffnung

 

Kapitel 1 - Linea

 

Unerbittlich prasselte der Regen auf Linea nieder, tränkte ihre Kleidung und verklebte ihr die langen Haare auf dem Kopf. Die ersehnte Kälte blieb jedoch aus. Der Regen war mild an dieser Küste, genauso wie der Wind, der zwar nicht weniger stark, aber längst nicht so schneidend und eisig war wie in ihrer Heimat.

Heimat.

Was war das überhaupt? Linea schnaubte und zog die nächste Masche am Fischernetz fest. Ihre Hände zitterten und mit dem Gedanken an Skogbyen kehrte der Schmerz zurück. Um ihn zu betäuben, biss sie sich so fest auf die Wange, bis sich der vertraute Geschmack von Blut auf ihrer Zunge ausbreitete.

Sie hatte sich verboten, auch nur einen weiteren Gedanken an Skogbyen, an ihre Vergangenheit zu verschwenden. Ihre Zukunft war das, was zählte. Ihr Verstand wusste es, ihr Herz jedoch wollte diesem Weg nicht folgen, sondern klammerte sich immer noch schmerzhaft an das, was gewesen war.

An Skogbyen zu denken, bedeutete auch, an Hákon zu denken. An Rutmar, Valdarr, Jella und Avid. An all die namenlosen Männer, deren Leben ihre Herrschaft bereits gefordert hatte. Die Last ihrer Tode ruhte schwer auf Lineas Schultern, drückte sie nieder und fraß sich wie brennendes Pech in ihr Gewissen.

Die Zurückgefallenen werden zurückgelassen.

Sie wusste, dass gerade ihr Ziehvater Valdarr und ihm voran ihr bester Freund Hákon ihr diese Worte nun vorwerfen würden. Doch an Hákon zu denken, schmerzte Linea am meisten.

Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich gehabt. Hätte hier in Vinland neu anfangen sollen, fern von seiner Vergangenheit und dem schlechten Ruf, den sein Vater Rutmar auf ihn übertragen hatte. Aber vor allem hätte er nicht sterben müssen.

Das Ziehen in ihrer Brust wurde immer stärker. Linea ließ das Netz und die Knochennadel sinken. Sie schloss die Augen, blinzelte krampfhaft gegen die Tränen an, die sich erneut ihren Platz erkämpften.

Es war ihre Schuld. Es gab nichts und niemanden, der ihr diese Schuld nehmen konnte. Hákon war nicht für sie gestorben, so wie er es Magnus gegenüber geschworen hatte; er war wegen ihr gestorben. Durch ihre Hand, was der ganzen Situation zusätzliche Schwere verlieh. Und trotzdem war es umsonst gewesen.

Sein Herz hatte Linea nicht von dem grausamen Pakt mit der Seherin erlöst.

Es hatte einige Tage gedauert, in denen Linea für Stunden am Ufer gestanden und stumm aufs Meer gestarrt hatte, bis sie endlich begriffen hatte, was das alles bedeutete: Hákon mochte sie seiner Ansicht nach geliebt haben, doch nicht auf die Art und Weise, die ihn zu dem Einen gemacht hätte, dessen Herz für den Frieden und die Freiheit der Welt geopfert werden sollte.

Linea schluckte schwer, zwang sich aber dazu, das Netz wieder aufzunehmen. Die Arbeit erledigte sich nicht von selbst und so hatte sie wenigstens das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Ihre Gedanken weilten fortwährend bei Hákon und dem, was sie erst durch die Verschmähung seines Herzens durch Yngvild erfahren hatte.

Sie konnte nicht leugnen, dass sich seit dem Tag etwas an ihrem besten Freund verändert hatte, an dem verkündet worden war, dass sie Rutmar heiraten würde. Und auch Magnus’ Beobachtungen hatten ihr Übriges zu ihrer Vermutung beigetragen.

Hákon hatte sie nie geliebt. Er war eifersüchtig auf seinen Vater gewesen und von dieser Eifersucht, die ihn innerlich mit jedem Tag mehr zerfressen haben musste, hatte er sich dem Wahn entgegentragen lassen.

Niemand außer ihm sollte Ansprüche auf Linea erheben dürfen. Mochte es anfänglich noch kindliche Liebe, Zuneigung oder Bewunderung gewesen sein – Linea konnte es nicht genau sagen –, so hatten der Neid und die Eifersucht alle Aufrichtigkeit verdrängt und seine tiefgründigen Gefühle waren der oberflächlichen Obsession gewichen. Er war mit der Zeit immer mehr wie sein Vater geworden. Linea hatte es gespürt, als sie ihm zuletzt gegenübergestanden hatte. Der Trauer konnte sie sich trotzdem nicht entziehen.

So böse und kaltblütig Hákon auch geworden war, er war stets ihr bester Freund geblieben, den sie wie einen Bruder geliebt hatte und dessen Verlust schwerer wog als der jedes anderen Mannes, der für sie auf dem Schlachtfeld sein Leben gelassen hatte und um den sie nun trauerte.

Linea schämte sich. Sie schämte sich in Grund und Boden dafür, dass sie sich von seinen Worten, dem Geständnis seiner Liebe, hatte überzeugen lassen, obwohl sie gewusst hatte, welche Konsequenzen diese Offenbarung nach sich zog. Schämte sich dafür, dass sie ihn dann auch noch für ihre Zwecke manipuliert hatte, nur damit es für sie leichter wurde, ihn zu töten.

Hákon mochte sich in seinen letzten Tagen nicht als guter, gerechter oder gnädiger Mann gezeigt haben, aber er war nicht das gewesen, wozu Linea ihn gemacht hatte: ein Opfer. Sein Tod war sinnlos und unnötig. Er hätte nicht sterben müssen.

Dennoch hatte sie ihn getötet und war durch Yngvild auf unerbittlich harte Art eines Besseren belehrt worden. Sie hatte geglaubt, zu erkennen, was Liebe ist, und nur deswegen war es zu dieser Verwechslung gekommen. Doch in Wahrheit hatte sie keine Ahnung, und ihrer Unwissenheit war es zuzuschreiben, dass Hákon nun an Oðins Tafel saß.

Es war ein Fehler gewesen, ein Fehler, wie ihn selbst der Allvater einst begangen hatte. Mit diesem Gedanken kehrten auch die Zweifel in Linea zurück. Das Schicksal aller Neun Welten lastete fortwährend auf ihren Schultern und sie war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde, den Einen zu finden und auch noch zu töten.

Kaltherzig hin oder her, sie hatte genug von all dem Tod, dem Krieg und dem Leid, das sie über die Menschen brachte, denen sie begegnete. Ihr Ziel schien unerreichbarer denn je. Ihre Freiheit, wegen der sie ursprünglich diese ganzen Widrigkeiten auf sich genommen hatte, war mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt worden und mit ihr der Glaube und die Hoffnung, dass sie diese überhaupt jemals erreichen würde.

Die allgemeine Lage hatte sich nach ihrer Ankunft in Vinland auch nicht wirklich verbessert – im Gegenteil. Ihr Feind war erneut geflüchtet und hatte ihre Mutter als Geisel genommen, ihre Streitkräfte waren geschlagen und zerstreut worden, und der Einzige, dem sie zugetraut hätte, sie aus dem inneren Kreis des Feindes heraus zu unterstützen, war tot.

Kjell.

Eine tiefschwarze Leere breitete sich in Linea aus, verdrängte sämtliche Emotionen, überlagerte selbst die erdrückende Trauer und die nagenden Schuldgefühle. Sie spürte nichts mehr. Nicht den Regen auf ihrer Haut. Nicht das raue Netz, das durch ihre Finger glitt, und nicht die Tränen, die sich ihren Weg über ihre Wangen suchten. Nur die dunkle Leere, die so mächtig war, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte.

Seit Tagen fühlte Linea nichts anderes, beschäftigte sich Tag und Nacht mit kleinen, unterstützenden Aufgaben, um wenigstens den Anschein zu erwecken, dass sie noch nicht aufgegeben hatte, aber eigentlich war es längst passiert. Sie wusste nicht, wann sie zuletzt geschlafen hatte. Fürchtete sich davor, die Kontrolle zu verlieren und von den Toten heimgesucht zu werden, die sich mit klagenden Stimmen an ihr rächen wollten.

Das Einzige, was sie hin und wieder aus ihrer Trance zu reißen vermochte, war der Schmerz. Wenn sie sich beim Arbeiten mit Messer oder Nadel in den Finger schnitt, sich beim Kampftraining mit den Männern zu spät verteidigte oder sich beim Kochen verbrannte, weil sie nicht auf das wachsende Feuer achtete.

Der Schmerz durchschnitt die Leere wie eine gleißende Flamme und katapultierte sie zurück ins Hier und Jetzt, wenngleich nur für kurze Zeit. Doch es reichte, um den letzten Schritt über die Klippe noch einen weiteren Tag hinauszuzögern.

Die Dämmerung war längst hereingebrochen, als Linea endlich das letzte reparierte Netz zur Seite legte, aufstand und sich streckte, bis ihre Rückenwirbel protestierend knackten. Sosehr sie sich auch bemühte, konnte sie das folgende Gähnen nicht unterdrücken.

Zeit war bedeutungslos geworden, schien nicht mehr zu sein als endlose Augenblicke, die sie zum Abwarten und Ausharren verdammten. Trotzdem fand sie keine Ruhe. Obwohl jede Faser ihres Körpers vor Erschöpfung schrie und die Müdigkeit mit dunklen Fingern nach ihr griff, rappelte sie sich auf, schnappte sich die beiden Wurfäxte und schlug den Weg zu der großen Wiese ein, auf der sich die Männer im Kampf übten, wann immer die freie Zeit es ihnen erlaubte.

Heute war der Platz allerdings vollkommen verwaist. Nur die mit Stroh gefütterten Holzpuppen, die der Schiffsbauer ihnen zum Training gezimmert hatte, leisteten ihr an diesem Abend Gesellschaft.

Linea entzündete einige Fackeln, sodass ihre Ziele nicht gänzlich im Dunkeln lagen, und griff nach den Äxten.

Mit jedem Treffer, jedem dumpfen Geräusch, wenn Metall auf Holz traf, gewann sie etwas von ihrer Leichtigkeit zurück, die in den letzten Tagen durchgehend von der Wut zurückgedrängt worden war. Mit jedem Wurf ließ das Zittern ihrer Hände ein wenig mehr nach, wenngleich ihre Arme schon nach ein paar Minuten anfingen zu brennen, als stünden sie lichterloh in Flammen.

Noch bevor die ersten Fackeln verbrannt waren, hatte Linea in ihren gewohnten Rhythmus zurückgefunden.

Zielen, werfen.

Zielen, werfen, losgehen, Äxte einsammeln, zurückgehen.

Zielen, werfen.

Die Monotonie dieser Übung half ihr, die Gedanken auszublenden und sich nur auf sich, die Waffen und ihren starren Gegner zu konzentrieren.

Irgendwann versiegten auch die letzten Tränen, und die erdrückenden Schuldgefühle krochen langsam in den tiefschwarzen Abgrund zurück, aus dem sie gekommen waren. Doch Linea dachte gar nicht daran, jetzt aufzuhören.

Was würde geschehen, wenn sie zur Ruhe kam, sich ihre Gedanken wieder eine andere Beschäftigung suchen würden?

Nicht denken.

Zielen, werfen.

Zielen, werfen.

»Wenn du den armen Kerl noch mal an derselben Stelle triffst, fällt er auseinander«, hörte sie unvermittelt eine Stimme hinter sich und erschrak so sehr, dass ihr Wurf das Ziel um einige Schritte verfehlte.

Resignierend seufzte sie, ließ die zweite Axt, die sie bereits erhoben hatte, sinken und starrte konzentriert auf die Figur vor ihr.

»Was willst du hier, Magnus?«

Sie hörte, wie er langsam durch das feuchte Gras auf sie zukam und dicht hinter ihr stehen blieb. Linea führte ihren Wurf dennoch aus, traf die Holzpuppe aber nur an der Schulter.

»Ich wollte die Pferde füttern«, antwortete er tonlos und Linea war überzeugt davon, dass er soeben unbekümmert mit den Schultern gezuckt hatte. Sie glaubte ihm nicht.

»So spät noch?«, hakte sie skeptisch nach und drehte sich nun doch mit verschränkten Armen zu ihm um.

»Spät?«, echote Magnus und zog die Brauen hoch. »Die Sonne geht schon auf.«

Sie runzelte die Stirn und schielte an ihrem Freund vorbei. Tatsächlich sah sie über den Ruinen einen hellen Schleier am Himmel aufsteigen. Die Nacht war wie im Flug vergangen, so sehr war Linea in ihre Kampfübungen versunken gewesen.

Magnus betrachtete sie mit traurigem Blick und seufzte leise.

»Das muss aufhören, Linea«, sagte er und trat noch einen Schritt auf sie zu.

Sie reckte nur trotzig das Kinn in die Höhe. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

Das erwartete Grinsen auf den jungen Zügen ihres Gegenübers blieb aus. Magnus sah ungewohnt ernst und nachdenklich drein. Halb erwartete Linea, dass er jeden Moment auf ihre Tat und Hákons Tod zu sprechen käme, doch er überraschte sie.

»Glaub nicht, ich hätte es nicht bemerkt«, hielt er entschlossen dagegen. »Du schläfst nicht mehr, isst kaum noch und redest mit niemandem außer mit den Männern, wenn du sie zum Kampf herausforderst. Das kann nicht deine Lösung sein.«

Sie erwiderte nichts, wich allerdings seinem Blick aus. Er hatte recht. In einer dunklen Ecke ihres Verstandes fühlte sie die Gewissensbisse erneut aufkommen.

»Du bist erschöpft und müde, du …«

»Ich bin nicht müde!«, begehrte sie auf.

»Lüg mich nicht an«, sagte er ruhig. »Ich weiß genau, was du durchmachst. Was glaubst du, wie es mir ging, als Hákon und ich … als ich erfahren habe, wie mein Vater gestorben ist?« Er schloss kurz die Augen, musste schwer schlucken, behielt aber offensichtlich die Kontrolle über seine Emotionen.

Linea ballte die Fäuste. Dass Kárr auf diese grausame Art hatte sterben müssen, war ebenfalls ihre Schuld, auch wenn jeder ihr etwas anderes sagte. Sie fühlte sich verantwortlich und das würde ihr wohl nie jemand nehmen können.

»Ich bin nicht …«, setzte Linea zu einer erneuten Verteidigung ihres Verhaltens an, doch Magnus unterbrach sie.

»Beweise es mir.«

Linea schnaubte und wollte sich abwenden, da packte er sie an den Schultern.

»Beweise mir, dass du nicht zu müde oder erschöpft bist und immer noch so gut kämpfen kannst wie ein ausgeschlafener Krieger am Morgen der Schlacht«, forderte er. Sein entschlossener Blick ließ keine Widerworte zu. »Kämpfe gegen mich und falls du mich besiegst, werde ich dich in Ruhe lassen. Verlierst du, kommst du mit, redest mit mir und tust, was ich dir sage.«

Linea knirschte mit den Zähnen, willigte aber ein und das nicht nur, weil ihr Stolz es ihr gebot, sondern vor allem, weil sie sich nicht auch noch mit dem einzigen Freund zerstreiten wollte, der ihr geblieben war.

»In Ordnung«, sagte sie gepresst und ignorierte das einsetzende Zittern ihrer Knie, als sie sich umdrehte, um die beiden Äxte einzusammeln.

Magnus bewaffnete sich in der Zwischenzeit ebenfalls mit seinen gewohnten Waffen: Speer und Schild.

Linea beobachtete seine Bewegungen genau, als sie langsam aufeinander zugingen und sich zu umkreisen begannen.

Sie erinnerte sich an die zahlreichen Übungskämpfe, die sie in Skogbyen gegeneinander ausgefochten hatten. Im Nahkampf hatte sie bisher nur zwei Mal gegen Magnus verloren.

Das erste Mal war überhaupt ihr erster Kampf gewesen. Sie waren gerade erst sechs oder sieben Jahre alt gewesen. Magnus hatte mit Hákon schon öfter gekämpft und demnach mehr Ausdauer gehabt als sie.

Beim zweiten Mal hatte sie nur verloren, weil Hákon ihr im entscheidenden Moment ein Bein gestellt hatte, um Magnus’ kämpferische Ehre zu retten. Er hätte es einfach nicht ertragen, wenn sein Schildbruder von einem kleinen, schmächtigen Mädchen besiegt worden wäre. Danach allerdings hatte Magnus keines der Duelle gegen sie mehr gewonnen und auch Hákon hatte immer häufiger gegen Linea verloren.

Diesmal jedoch verlief es nicht so gut für sie. Der Kampf war innerhalb weniger Wimpernschläge vorbei, noch ehe er richtig begonnen hatte. Als Magnus einen Angriff auf ihre linke Flanke antäuschte und sie mit einem Ausfallschritt seinem Speer ausweichen wollte, stolperte sie über eine hervorstehende Wurzel und fiel der Länge nach auf den Rücken.

Sofort war Magnus über ihr, drückte mit seinem Fuß ihre Schulter auf den Boden und hielt ihr die Spitze des Speeres an die entblößte Kehle.

Für einen Moment sahen sie sich schweigend an. Das zufriedene Funkeln in seinen Augen schien Linea zu verspotten. Ergeben schloss sie die Lider und stöhnte leise.

»Du bist besiegt«, unterstrich Magnus das Offensichtliche und nahm den Fuß von ihrer Schulter. Linea öffnete die Augen wieder und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen.

»Gib mir deine Waffen, die wirst du nun erst mal nicht mehr brauchen.«

Widerwillig folgte sie seiner Anweisung und händigte ihm die beiden Wurfäxte aus.

»Die zwei Dolche aus deinen Stiefeln hätte ich auch gerne«, sagte Magnus und grinste überlegen.

»Das ist nicht dein Ernst«, grummelte Linea, bückte sich aber wie geheißen und zog die Dolche hervor, als er auffordernd mit den Fingern schnipste. Sie reichte ihm die Waffen, die er sich an den Gürtel steckte.

»Und jetzt komm mit«, kommandierte er weiter und schritt zügig über die Wiese auf die provisorisch errichteten Ställe zu, die sich am Rand der Ruinensiedlung befanden.

Linea stöhnte erneut genervt auf.

Er meint das wirklich ernst, dachte sie kopfschüttelnd und trottete langsam hinter ihrem Freund her.

Kapitel 2 - Linea

 

Magnus schloss die Tore hinter sich und bedeutete Linea, sich auf eins der Lager zu setzen, die entlang der Boxengasse aufgebaut worden waren. Neugierig sah sie sich um. Bisher hatte sie noch keinen Fuß über die Schwelle dieses Provisoriums gesetzt und im selben Atemzug stellte sie sich die Frage nach dem Warum. Eine wirkliche Antwort hatte sie nicht.

Fast zehn Tage waren seit dem Kampf in Rikkagat vergangen. So lange schon harrte Linea mit ihren Verbündeten hier in den Ruinen Helgisnes’, dem Dorf ihres Vaters, aus und trotzdem hatte sie die Ställe, die ihr in Skogbyen immer ein Zufluchtsort gewesen waren, gemieden. Wieso?

Vielleicht, weil es auch in Skogbyen stets Magnus’ Territorium gewesen war und sie ihn nicht hatte stören wollen?

Vielleicht, weil der Geruch nach Stroh und Pferd sie an die gemeinsamen Jagdausflüge mit Hákon erinnerte und sie noch nicht die Kraft dazu hatte, sich ihrer Trauer in Gegenwart ihres Freundes zu stellen, der mit Sicherheit ebenso um Hákon trauerte?

Linea wusste es nicht und es war ihr egal. In dem Moment, in dem sie sich von Magnus auf die dünne Matte am Boden drücken ließ, brach die Erschöpfung vollends über sie herein. Sie streckte die Beine aus, lehnte den Kopf an die Wand in ihrem Rücken und schloss die Augen. Wartete im Stillen darauf, dass Magnus sie mit Fragen und wohlgemeinten Phrasen zum Reden bringen wollte, doch nichts dergleichen geschah.

Linea, zu müde, um die Augen wieder zu öffnen, hörte ein lautes Scharren gefolgt von einem Rascheln, welches sie eindeutig dem Stroh in der Box gegenüber von sich zuordnete. Magnus musste angefangen haben, sich um die Pferde zu kümmern, genauso wie er es gesagt hatte.

Noch immer sprach er kein Wort und obwohl Linea gegen die Müdigkeit in ihren Gliedern ankämpfte, die sich auch in ihrem Kopf niederlassen wollte, fühlte sie die Ungeduld in sich aufsteigen.

Was bezweckte er damit, sie erst im Kampf zu demütigen und dann ruhigzustellen? Wollte er gar nicht wirklich mit ihr reden?

»Du solltest schlafen, Linea«, richtete Magnus endlich das Wort an sie und hielt, den Geräuschen nach zu urteilen, in seiner Bewegung inne.

»Wozu?«, brachte sie kraftlos über die Lippen. »Ich will nicht«, schob sie hinterher und öffnete nun doch die Lider.

Linea schaute zu Magnus hinüber und verspürte sofort einen unangenehmen, wenngleich auch vertrauten Druck auf der Brust, als sie sah, wie tief die Sorgenfalten auf seiner Stirn geworden waren. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab, er wirkte abgekämpft und ruhelos und seine Bewegungen waren längst nicht so schwungvoll, wie Linea es von ihm gewohnt war.

Ja, Magnus war immer der stille und nachdenkliche Typ gewesen, aber dass es ihm selbst so schlecht ging und auch ihn offenbar düstere Gedanken umtrieben, hatte Linea in den letzten Tagen nicht bemerkt. Wie auch, wo sie nahezu allen Leuten aus dem Weg gegangen war?

»Ich will nicht schlafen«, wiederholte sie und zog damit seinen Blick wieder auf sich. »Ich will nicht, dass … Ich kann nicht ertragen, wenn …« Sie brach ab, biss sich auf die Lippe, als ihr Herz erneut zu rasen begann, weil sich die grausamen Bilder in ihr Bewusstsein schoben.

»Ich weiß«, sagte Magnus leise und stoppte damit ihre Gedanken fürs Erste. In seiner Stimme klang so viel Ehrlichkeit, so viel Verständnis mit, dass es ihr schier die Worte raubte.

Er wandte den Blick ab, aber ihr entging nicht, wie sich seine Hände um den Stiel der Mistgabel verkrampften und er die Schultern leicht anzog. Und in diesem Moment wurde Linea erstmalig so richtig bewusst, dass nicht nur sie einen Freund verloren hatte. Dass der gleiche Schmerz, den sie seit Hákons Tod verspürte, auch in Magnus mit jeder schlaflosen Nacht stärker wurde und an seinem Willen zerrte, überhaupt noch einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Wie schwer muss es ihn getroffen haben, so kurz nach seinen Eltern auch noch seinen Schildbruder zu verlieren? Noch dazu durch mich – durch die Hand der gemeinsamen Freundin?

Da waren sie wieder, die Gewissensbisse, die Linea seither plagten und die sie einfach nicht loswerden konnte – vielleicht auch gar nicht loswerden wollte, weil sie das Einzige waren, was ihr noch das Gefühl gab, zu leben.

Magnus’ fürsorgliches und verständnisvolles Verhalten verwirrte sie wie nichts anderes bisher. Nach dem, was sie getan hatte, hätte sie alles verstanden. Wenn er auf sie losgegangen wäre. Wenn er ihr Vorwürfe machen, selbst wenn er fordern würde, dass sie sich Finnbogi ausliefern sollte.

Aber Magnus sagte nichts dazu. Er musste sie hassen, nachdem sie sich nicht mal für den Tod seiner Familie entschuldigt und anschließend auch noch sein Vertrauen missbraucht und ihren gemeinsamen Freund getötet hatte. Und trotzdem sorgte er sich um sie? Wollte ihr anscheinend helfen, diese Lasten zu schultern? Ihr, die doch an allem die alleinige Schuld trug. Wieso?

»Magnus, ich …«, setzte Linea erneut an, ohne überhaupt zu wissen, was sie sagen wollte. »Warum tust du das?«

Als er langsam die Mistgabel an die Wand lehnte und zögerlich ein paar Schritte in ihre Richtung machte, hielt Linea unwillkürlich den Atem an. Ihre Blicke verhakten sich für einen kurzen Moment ineinander, dann setzte er sich neben sie auf das Lager und zog die Knie bis unters Kinn an.

»Ich will dich nicht auch noch verlieren, Linea. Nicht schon wieder«, flüsterte er und in seinen Augen schimmerten Tränen, die Linea das Herz schwer werden ließen.

Sie schwieg, während sie über die Worte nachdachte, deren Echo träge zwischen ihnen nachklang.

»Was meinst du damit, schon wieder?«, fragte sie irritiert und wandte sich ihm zu.

Magnus lächelte scheu. »Du hast es immer noch nicht verstanden, oder?«

Lineas Muskeln verspannten sich schlagartig. Was gab es denn noch, für das sie einfach blind zu sein schien? Was offenbar jedem außer ihr selbst klar war?

Magnus hingegen entspannte sich nun sichtlich und zwirbelte gedankenverloren einen Strohhalm zwischen den Fingern.

»Du bist die Einzige, die mir von meiner Familie noch geblieben ist«, murmelte er und seine Stimme, die mit einem Mal so ungewohnt dunkel klang, jagte ihr eine Gänsehaut über die nackten Arme. »Mit anzusehen, wie du die Schuld an allem auf dich nimmst, selbst für Dinge, die auch ohne dein Zutun geschehen wären, ist schlimmer als alles andere, und ich mache mir Sorgen um dich.« Er hielt kurz inne, wartete auf eine Reaktion von ihr, doch Lineas Kopf war plötzlich wie leer gefegt. Sie war immer noch überrumpelt von seiner Fürsorge.

»Ich verstehe nicht …«

Er lächelte wieder und ließ den Strohhalm fallen, um stattdessen nach ihrer Hand zu greifen.

»Ich will nicht mit ansehen, wie du dich selbst aufgibst«, sagte er entschlossen. »Du hast, seitdem du die Wahrheit über deine Vergangenheit erfahren hast, jede Minute dafür gekämpft, frei zu sein und deine Familie zu finden. Und das, obwohl du nicht mal wusstest, ob sie überhaupt noch lebt«, fuhr er fort und allmählich kamen ihre Gedanken wieder in Fahrt.

Seine Hand schloss sich um ihre und Linea schaute darauf, um sich nicht zu sehr von seinem intensiven Blick ablenken zu lassen.

»Du hast so vieles auf dich genommen, so viele Hürden überwunden. Du hast gekämpft wie ein Berserker, Linea. Niemand hätte dir diese Stärke zugetraut und doch hast du alle überzeugt.« Stolz klang in seiner Stimme mit. Linea war zutiefst gerührt von dem Vertrauen, das er ihr entgegenbrachte. »Warum sollte ich nun nicht um meine Familie, um dich, kämpfen? Wer, wenn nicht du, könnte es verstehen?«, setzte er nach und schob sich wieder in ihr Sichtfeld.

Wenngleich Linea nicht wieder weinen wollte, entglitt ihr die Kontrolle über ihre Emotionen, so sehr berührten sie Magnus’ Worte. Gleichzeitig spürte sie die Hoffnungslosigkeit in sich pulsieren, die auch durch das Vertrauen ihres besten Freundes nicht verdrängt werden konnte.

Es war ihr unbegreiflich, wie Magnus selbst jetzt, nach allem, was passiert war, immer noch entschlossen war zu kämpfen. Überzeugt davon war, dass sie diesen Kampf gewinnen konnten, dass Kämpfen überhaupt der richtige Weg war. Dass er noch nicht aufgegeben hatte.

»Wofür kämpfen wir, Magnus?«, brachte sie stockend hervor. »Woher nimmst du die Kraft, weiterzumachen, wenn wir doch nicht gewinnen können?«

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann richtete Magnus sich auf und zog ihren zitternden Körper in eine feste Umarmung.

»Weil Aufgeben dich auch nicht weiterbringt«, sagte er schlicht. »Hoffnung gibt es immer und sie stirbt erst mit dem Letzten, der an seine Ziele glaubt. Es ist vielleicht kein einfacher Weg, trotzdem gibt es ihn. Gerade du bist schon so weit auf ihm gewandert wie niemand sonst, Linea.«

»Und so viele sind meinetwegen auf diesem Weg gestorben«, hielt sie dagegen und schluchzte leise an seiner Schulter.

»Aber du kannst ihrem Tod einen Sinn geben, indem du ihn bis zum Ende gehst, dein Ziel erreichst und voller Ehrfurcht auf das zurückblickst, was du geschafft hast. Freydís lebt und Finnbogi ist geschwächt, dein Ziel liegt so nah vor dir«, bestärkte Magnus und schob sie ein Stück zurück, um ihr in die Augen sehen zu können. »Und was am wichtigsten ist, du bist nicht allein. Du musst diesen Weg nicht alleine gehen, so wie du es die letzten Tage über versucht hast. Jeder Mann in diesem Dorf ist bereit, dir aus freien Stücken zu helfen, dich zu unterstützen und am Ende gemeinsam mit dir zu siegen und zu feiern. Wirf das nicht weg, nur weil dir die Nornen an diesem Punkt eine tiefe Schlucht in den Weg gelegt haben. Verlier dich nicht in der Einsamkeit und lass dir von den Schatten der Vergangenheit nicht die Hoffnung auf die Zukunft nehmen.«

Er machte eine kurze Pause, schien sich nicht an ihren Tränen zu stören. Sein Griff um ihren Körper verstärkte sich, als er sie wieder an sich zog und sie wie von selbst den Kopf auf seiner Schulter ablegte.

»Du bist stärker als das. Du bist Linea die Kaltherzige. Die Frau, vor der die stärksten Männer Norwegens zittern. Du bist der einzige Mensch der Neun Welten, dem sogar die Götter ihr Schicksal anvertrauen, wenn ich dich richtig verstanden habe. Sag mir also, wer, wenn nicht du, sollte sein Ziel jemals erreichen können?«, beendete er sein Bekenntnis.

Die Wärme, die von seinen Worten ausging, drang ihr tief unter die Haut, durchströmte sie und verdrängte die kalte Bitterkeit aus ihrem Herzen.

»Und wenn du uns lässt, werden wir dich alle auf deinem Weg begleiten«, fügte er hinzu und Linea wollte ihm sagen, dass er nie wieder aufhören sollte zu reden. Jedes seiner Worte sandte ihr wohlige Schauder über den Körper, brachte ihr Stück für Stück die Hoffnung und die Zuversicht zurück, dass all dem ein Körnchen Wahrheit inne ruhte.

Sein Vertrauen in sie war wie das rettende Licht am Ende des endlosen Tunnels, der sie mit seiner Finsternis ein für alle Mal hatte verschlucken wollen. Zwar war sie ihm noch lange nicht entkommen, das spürte sie genauso wie die düsteren Gedanken und die Trauer um Hákon, die sie wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens begleiten würden, aber Magnus’ Worte hatten es geschafft, ihrem Weg wieder die Richtung zu zeigen.

Magnus hatte sie an die Hand genommen und ihr geduldig offenbart, warum sie weiterkämpfen musste. Dass dies noch lange nicht das Ende sein konnte, weil sie sich tief in ihrem Herzen noch immer nach ihrer Freiheit sehnte, sie noch immer hoffte, danach strebte, ihre Mutter zu befreien.

Linea schluckte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Entschlossen suchte sie seinen Blick und nickte ihm dankend zu. Ihr fehlten die Worte, um auszudrücken, welches Chaos gerade in ihr tobte und wie dankbar sie Magnus war.

Wer weiß, was ohne ihn und seine Zuversicht aus mir geworden wäre?

»Wir können eigentlich sofort anfangen, uns einen Plan auszudenken«, schlug er vor und ein flüchtiges Grinsen huschte über seine Züge.

»Aber?«, fragte Linea und musste ebenfalls lächeln.

»Aber zuerst machen wir wieder einen Menschen aus dir«, sagte Magnus und erhob sich.

Linea sah ihn skeptisch an, ließ sich allerdings von ihm auf die Füße ziehen.

»Vertrau mir, danach wird es dir schon viel besser gehen.«

Kapitel 3 - Linea

 

Natürlich behielt Magnus auch dieses Mal recht. Nachdem er Linea zurück ins Langhaus geführt, sie etwas Ordentliches gegessen, sich gewaschen und ausgiebig geschlafen hatte, erwachte sie erst am nächsten Morgen. Zwar hatte der nahezu traumlose Schlaf sie zur Ruhe kommen lassen, doch wirklich erholt fühlte sie sich nicht.

Ihre Muskeln schmerzten bei jeder Bewegung und auch ihre Gedanken wollten nicht so richtig in Fahrt kommen. Trotzdem überwand sie sich und stand auf. Magnus hatte ihr – woher auch immer – eine saubere Hose und eine Tunika besorgt, die ihr viel zu groß waren, aber sie beschwerte sich nicht.

Im Hauptraum saßen bereits alle an einer großen Kiste, die ihnen als provisorischer Tisch diente. Linea wurde ganz flau im Magen, als ihr Blick auf die vier Männer fiel, die sich leise unterhielten. Von den vieren kannte sie eigentlich nur Magnus.

Aus den Erzählungen ihrer Freunde schloss sie jedoch, dass der große Mann ganz rechts mit dem roten Bart, der ihm geflochten bis auf die Brust hing, Grímar der Eiserne sein musste. Der schwere Eisenhelm, der sein Gesicht komplett umschloss, machte es Linea unmöglich, seine Gesichtszüge zu erkennen. Der Kendtmann der Frihet war der einzige Anführer von der Truppe, die Sven Hákon und Magnus zur Unterstützung mit auf die Expedition gegeben hatte. Demnach mussten die beiden Kleineren mit den auffälligen schlohweißen Haaren die Brüder Eylir und Viðor sein, die ihre Freunde in Grönland getroffen hatten. Obwohl sie sich bis auf die weißen Haare in ihrem Aussehen kaum glichen, spürte Linea, dass die Zwillinge eine ganz besondere Verbindung zueinander hatten. Als sie eintrat, musterte sie der eine mit düsterem und ernstem Blick, während der andere ihr eher neugierig den Kopf zuwandte.

Linea fühlte sich erneut unwohl bei dem Gedanken daran, wie undankbar sie sich in den letzten Tagen verhalten hatte. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich ihren Rettern vorzustellen. Geschweige denn ihnen zu erzählen, was mit Hákon geschehen war. Warum sie ihn getötet hatte. Sie glaubte nicht, dass Magnus ihnen etwas von dem Blutpakt und dessen Preis erzählt hatte, aber sicher war sie nicht. Vielleicht rührte ihre Scheu, sich nun zu ihnen zu setzen, genau daher. Weil sie für Uneingeweihte keinen Grund, keine Erklärung für ihre Tat vorbringen konnte. Allerdings gab es für sie kein Zurück mehr.

Nervös räusperte sie sich, nicht wissend, wie sie sich sonst bemerkbar machen sollte. Es erschien Linea unangebracht, ihr Gespräch einfach so zu unterbrechen und mit der Tür ins Haus zu fallen. Zumal sie nicht wusste, ob alle damit einverstanden waren, wenn sie ihre alte Position als Anführerin wieder einnehmen wollte.

Linea fühlte sich in diesem Moment eher wie ein unerwünschter Gast in einer Runde Fremder, die ihr vor allem skeptisch begegnen würden. Zu ihrem Glück hatte Magnus’ Gehörsinn nichts von seiner Schärfe eingebüßt. Er bemerkte sie, wandte sich ihr sogleich zu und winkte sie einladend herbei.

Sie kam seiner Aufforderung nach und bemühte sich um eine aufrechte Haltung, die ihr wenigstens etwas von ihrer alten Sicherheit zurückgab.

Magnus rückte auf der Bank ein Stück zur Seite und sie ließ sich neben ihn fallen. Einer nach dem anderen nickten ihr die Männer zu und Linea erwiderte die Geste angespannt.

Warum bin ich schon wieder so aufgeregt?

Wie von selbst fand ihre Hand den Weg zu ihrem Ohrring und langsam drehte sie ihn hin und her. Als niemand Anstalten machte, das Gespräch zu eröffnen, und sämtliche Blicke auf ihr ruhten, atmete Linea tief ein und ergriff das Wort.

»Ich … ich möchte mich zuerst bei euch allen bedanken«, begann sie stockend und hoffte, dass sich die nächsten Worte so aufrichtig anhörten, wie sie diese meinte. »Ich hatte zwar immer gehofft, dass jemand zu meiner Befreiung kommen würde, aber wirklich daran geglaubt habe ich nicht. Ich möchte mich dafür bedanken, dass ihr alle einen erneuten Kampf auf euch genommen habt, ohne zu wissen, ob ich überhaupt noch am Leben war.«

Sie sah jedem der Männer kurz in die Augen, bevor sie an Magnus hängen blieb. Er nickte und schenkte ihr ein Lächeln. Im nächsten Moment spürte sie seine warme Hand in ihrem Rücken, die ihr zusätzlich Kraft für die nächsten Worte gab und gleichzeitig etwas von ihrer Aufregung nahm.

»Vor allem möchte ich mich bei euch entschuldigen«, sprach Linea weiter, schaffte es jedoch nicht vollständig, das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie sich die Männer aufrichteten und gespannt zu ihr herübersahen. »Wie ich mich die letzten Tage über verhalten habe, war undankbar und feige. Kein Anführer, egal wie groß die Niederlage auch war, sollte sich so verhalten und seine Leute im Stich lassen. Als ich Jarl wurde, habe ich mir geschworen, mit gutem Beispiel voranzugehen und …« Sie hielt inne.

Zwar hatte sie keiner ihrer Zuhörer unterbrochen, doch Linea erinnerte sich daran, dass Worte nie die große Stärke der Krieger gewesen waren. Vielmehr bestimmten die Taten, die sie auf dem Schlachtfeld folgen ließen, die Größe und den Wert eines jeden. Dass die jeweiligen Befehlshaber der einzelnen Gruppen, die sich zu dieser Mission zusammengeschlossen hatten, vereint an diesem Tisch saßen, sollte eigentlich dafür sprechen, dass sie sich ihrer Unterstützung noch immer gewiss sein konnte.

Dennoch war es Linea als Jarl ein Bedürfnis, klarzustellen, dass sie diese Loyalität ihr gegenüber keineswegs als selbstverständlich erachtete. Immerhin hatte sie kein Recht, als Jarl eines fremden Dorfes über sie oder ihre Krieger zu bestimmen. Hätten sie beschlossen, in die Heimat zurückzukehren, hätte niemand sie aufhalten können; Linea am allerwenigsten.

»Was ich sagen will, ist eigentlich nur, dass ich es jedem Mann freistelle, ob er bleiben und kämpfen oder zu seiner Familie zurückkehren möchte. Ich werde niemanden in diesen Kampf zwingen, dem das Risiko zu groß erscheint. Denn ich weiß nicht, ob wir diesen Kampf überhaupt gewinnen können oder ob …«

Ein tiefes Seufzen ihr gegenüber unterbrach sie. »Wir sind alle noch hier, oder nicht, Mädchen?«, meldete sich einer der Brüder zu Wort.

Magnus neben ihr nickte zustimmend. »Und wirklich verloren haben wir auch nicht«, fügte er hinzu.

Linea runzelte verwirrt die Stirn. Daraufhin brach der andere Bruder in leises Gekicher aus.

Das muss also Viðor sein, dachte Linea, die sich flüchtig an die Beschreibung erinnerte, die Hákon ihr vor einer gefühlten Ewigkeit von den Brüdern gegeben hatte.

»Ich glaube, die Kleine hat selbst vergessen, wer sie ist.«

Linea wollte gerade widersprechen, da knuffte Magnus sie leicht in die Seite und fiel in Viðors Lachen mit ein.

»Du bist hier, Linea. Unser Ziel war es, dich und Freydís zu befreien. Du bist hier, Freydís ist bei Finnbogi. Ein gerechtes Unentschieden, wenn man so will.«

Verblüfft sah sie Magnus an. So hatte sie das noch nie gesehen. Immerhin hatte sich damit ihre Sorge, dass die Männer sie nicht weiter unterstützen würden, in Luft aufgelöst. Sie würden sich nun wirklich um eine Strategie für ihren Feldzug kümmern können.

»Vielleicht ist genau das ihr Problem, welches wir zuerst angehen sollten«, meinte Grímar, der sich bisher schweigend im Hintergrund gehalten hatte. »Linea, Ihr solltet die Karten offen auf den Tisch legen. Was wollen wir mit einem erneuten Angriff erreichen?«

Sobald er seine Frage präzisiert hatte, brach lauter Tumult los, da jeder etwas anderes aussprach. Die darauffolgende Diskussion war so wortstark, dass Linea sich unwillkürlich die Hände auf die Ohren presste, das Lächeln aber nicht zurückhalten konnte.

Mit tiefen Stimmen und wilden Gesten versuchte jeder der vier, seine Meinung als am wichtigsten darzustellen. Linea ergriff kurzerhand die Initiative, um wieder Ordnung in diesen Haufen zu bringen. Sie verhielten sich gerade wie kleine Jungen.

Sie stand auf, zog eine der Äxte von ihrem Gürtel und hieb sie mit aller Kraft mitten auf den Tisch. Schlagartig kehrte Ruhe ein und alle Köpfe wandten sich ihr zu, Magnus verschmitzt grinsend, die anderen verwirrt und ungläubig.

»Eins nach dem anderen«, sagte sie. »Grímar hat recht. Als Erstes müssen wir klarstellen, was wir überhaupt erreichen wollen. Nacheinander, bitte!«, fügte sie schnell hinzu, als sich die ersten Münder öffneten, um ihr zu antworten. Linea stützte sich auf der Tischplatte ab und deutete zuerst auf Grímar. »Was ist dein Ziel?«

Er überlegte kurz. Linea wartete gespannt auf seine Vorstellung. Vor allem war sie neugierig zu erfahren, was ihn in Vinland hielt. Seine Mission war genau genommen bereits abgeschlossen, da sie Linea aus der Gefangenschaft befreit hatten, und er hätte mit der Frihet und seinen Leuten längst heimkehren können.

»Ein neues Leben unter Eurer Führung beginnen, Jarl Linea«, sprach er sie plötzlich höflich mit ihrem Titel an.

»Was?«, entglitt es Linea fassungslos. Auch Magnus wandte sich ihm überrascht zu.

»Das musst du uns erklären«, sagte Eylir, der sich nachdenklich mit den Fingern durch den weißen Bart fuhr.

Grímar nickte knapp, sah aber weiterhin nur Linea an. »Nachdem Magnus und Hákon sich aus Skogbyen befreit hatten und in Irastatt mit Sven ein Bündnis eingegangen waren, war mir sofort klar, dass Sven sich nicht würde aufhalten lassen, und meinen Männern ging es genauso.«

»Was meinst du?«, hakte sie nach und schielte kurz zu Magnus hinüber, der jedoch durch nichts verriet, ob er etwas über Grímars Motive wusste.

»Als Gegenleistung für die Unterstützung seines Onkels bot Hákon Sven den Thron Skogbyens an. Von da an war es für Sven selbstverständlich, sich zu Größerem aufzuschwingen.«

»König von Norwegen«, murmelte Linea und erinnerte sich an die Fehde der Brüder Sven und Rutmar mit den Ragnarssons aus Halvsfjord, einem Dorf etwas weiter südlich von Skogbyen, die durch nichts anderes als den Plan zum Sturz des Königs ausgelöst worden war.

Grímar nickte nur wieder. »Wir einfachen Krieger mögen vielleicht nicht die schlausten sein«, gab er zu. »Doch ich hatte nicht geplant, mein Leben für einen größenwahnsinnigen Hochverräter aufs Spiel zu setzen. In Irastatt fand ich viele, die derselben Meinung waren. Es war also nicht schwer, genug Freiwillige zusammenzurufen, als Sven der Forderung Hákons nachkommen musste. Wenn in Norwegen der Krieg ausbricht, wollen wir so weit weg davon sein wie nur möglich«, stellte er klar und sah sie entschlossen an.

»Aber … warum ich?«, versuchte sie, seine Worte zu verarbeiten, da sie es immer noch nicht ganz verstand.

Jetzt lächelte Grímar und lehnte sich entspannt an die Wand in seinem Rücken. »Euer Ruf eilte Euch schon in Norwegen voraus, mein Jarl. Allerdings passte er nie zu dem, was man sich hinter verschlossenen Türen erzählte. Dass Ihr zwar mit eiserner Hand und ohne Kompromisse jene führt, die sich Euch anschließen, Ihr es trotzdem jedem Mann freistellt, ob er unter Eurem Wappen fahren will. Von solcher Großzügigkeit, solchem Vertrauen war seit den Tagen Eures Großvaters nicht mehr die Rede, der ähnlich große Ziele anstrebte und sie mit viel Erfolg meisterte. Es ist uns eine Ehre, nun der Enkelin Eirík Rauðes zu dienen.«

Kurz legte sich Schweigen über den Tisch. Linea brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Von diesem Gelöbnis war sie mehr als überrumpelt.

»Das … das ist … ich danke dir, Grímar. Und ich hoffe sehr, dass ihr eure Entscheidung nicht bereuen werdet. Ihr seid herzlich willkommen.«

»Da wir gerade von ihm gesprochen haben, wo ist der junge Hákon?«, stellte Viðor die Frage, die Linea so lange wie möglich hatte hinauszögern wollen. Dennoch spürte sie, dass sie ihren Verbündeten eine Antwort schuldete.

Sie schürzte die Lippen. Wie viel durfte sie riskieren zu erzählen?

»Hákon ist …« Doch sie fand kein passendes Ende für ihren Satz.

Zu ihrer Überraschung lehnte sich Magnus in diesem Moment vor und nahm den Faden wieder auf. »Er ist nicht länger Teil dieser Unternehmung. Unsere Wege haben sich getrennt.«

Die Schlichtheit dieser Aussage ließ die Männer vorerst verstummen, wenngleich ihnen die Fragen ins Gesicht geschrieben standen.

Linea war dankbar für die diplomatische Lösung, die Magnus gefunden hatte. Sie wollte es am liebsten dabei belassen und den Männern nicht die Zeit geben, weiter über die Bedeutung dieser Aussage nachzudenken. Daher richtete sie die Aufmerksamkeit rasch auf die Brüder, um ihre Wünsche und Ziele in Erfahrung zu bringen.

»Eylir, Viðor. Was ist mit euch?«

Die beiden warfen sich einen kurzen Blick zu.

Eylir antwortete mit einem tiefen Knurren. »Freydís befreien und den Bastard Finnbogi töten natürlich.«

»Und wenn wir nebenbei Rikkagat übernehmen können, wehren wir uns auch nicht dagegen«, fügte Viðor mit einem breiten Grinsen hinzu. »Wir würden gerne hier in Vinland bleiben.«

Linea nickte. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Dann wandte sie sich an Magnus.

Er räusperte sich und zeigte eine amüsierte Miene. »Ist Überleben vielleicht ein bisschen zu vermessen?«, fragte er und zuckte zaghaft mit den Schultern.

Darauf wusste Linea nichts zu sagen und auch keiner der anderen kommentierte Magnus’ Frage. Ihnen war allen bewusst, dass es eine gewagte Unternehmung mit ungewissem Ausgang werden würde.

»Wenn wir es darüber hinaus schaffen, eine neue Siedlung zu errichten, bin ich mehr als glücklich«, fügte er hinzu.

Linea atmete erleichtert auf, auch wenn sie das Gefühl nicht loswurde, dass Magnus seine wahren Absichten hier vor allen nicht offenbaren wollte. Vielleicht würde sie später eine andere Gelegenheit bekommen, ihn danach zu fragen.

»Gut, wir können also festhalten, dass …«, wollte sie ihre Ziele zusammenfassen, doch Eylir fuhr ihr dazwischen.

»Was ist mit dir, Linea? Wir würden gerne wissen, was dich außer deiner Mutter noch zurücktreibt.«

Alle Blicke in der Runde richteten sich erneut auf sie. Linea wich ihnen unangenehm berührt aus.

Verdammt, ich dachte, ich kann dem aus dem Weg gehen.

Sie seufzte und ließ sich wieder auf der Bank nieder.

»Magnus hat da so was angedeutet, dass Ihr noch ein anderes Ziel habt?«, bohrte nun auch Grímar weiter nach.

Neben ihr zog Magnus den hochroten Kopf zwischen die Schultern, als sie ihn mit einem scharfen Blick bedachte.

»Was hast du ihnen erzählt?«, wandte sie sich an ihren Freund, spürte aber gleichzeitig, wie das Blutamulett unter ihrer Tunika schlagartig warm wurde. Unwillkürlich griff sie danach und holte es an der Kette hervor, damit es ihr nicht wieder die Haut verbrannte.

»Noch nichts«, nuschelte Magnus.

Linea verdrehte die Augen. »Offenbar genug«, zischte sie und rieb sich die pochenden Schläfen, überlegte fieberhaft, wie sie die Männer überzeugen konnte, ohne zu viel von dem Pakt mit Yngvild und Oðin ins Spiel bringen zu müssen.

Denn dann würde sie auch die Sache mit Hákons plötzlichem Verschwinden erneut ansprechen müssen.

»Hört zu«, richtete sie das Wort an die Gruppe. »Magnus hat recht. Ich habe noch einen anderen Auftrag, aber euch jetzt alle Kleinigkeiten zu erklären, dauert eindeutig zu lange, und es betrifft weder euch noch eure Leute und auch nicht den Kampf gegen Finnbogi. Nur so viel sei gesagt: Ich muss etwas … finden, von dem ich nicht einmal sicher weiß, ob es überhaupt in Rikkagat ist«, formulierte sie schwammig und schickte rasch ein Stoßgebet an Oðin, dass es den Männern Information genug war.

Da keiner etwas dazu sagte oder nach weiteren Angaben verlangte, wollte Linea die Zusammenfassung der Ziele wiederaufnehmen, wurde allerdings erneut von Viðor daran gehindert.

»Was ist mit Finnbogis Thane, diesem Kjell Alríksson? Hákon sagte, er hätte dich in Finnbogis Namen entführt. Sollen wir ihn sofort töten oder ihn gefangen nehmen? Vielleicht können wir ihn ebenfalls als Druckmittel gebrauchen.«

Als Kjells Name fiel, horchte Linea auf, nur um sogleich enttäuscht in sich zusammenzusinken. »Kjell ist tot«, sagte sie tonlos, schaffte es aber nicht, Viðor anzusehen, aus Angst, nicht verbergen zu können, was das für sie bedeutete.

»Nein, ist er nicht«, widersprach nun Eylir, als wäre es selbstverständlich. »Einer meiner Männer, Ólaf, der geholfen hat, unsere Verletzten zu bergen, und erst gut eine Fackel nach uns Rikkagat verlassen hat, sah, wie sie ihn wegschleppten. Da hat er noch gelebt.«

Es war, als hätte jemand einen Eimer Eiswasser in Lineas Eingeweiden ausgekippt. Ein unkontrolliertes Zittern durchlief ihren Körper und ihr blieb die Luft weg.

Was?! Das kann nicht sein … das bedeutet doch … nein!

Ihre Gedanken spielten verrückt. Angst und Hoffnung rangen verbittert um die Vorherrschaft und ein dröhnendes Pochen setzte sich in ihren Ohren fest, das Linea erst nach einigen Wimpernschlägen als ihren eigenen Herzschlag erkannte.

Kjell sollte noch am Leben sein?

»Wie sicher bist du dir?«, fragte Magnus nicht weniger fassungslos als Linea. Offenbar hatte er verstanden, was das für sie und ihren Auftrag bedeutete. Dass es vielleicht noch eine Chance für sie gab, die Welt zu retten.

Gleichzeitig rang eine leise Stimme in ihrem Unterbewusstsein um Aufmerksamkeit, die ihr auf grausame Art und Weise klarzumachen versuchte, dass, sollte Kjell wirklich der Eine sein, Linea auch ihn würde töten müssen.

Aber im Moment überwogen Erleichterung und Dankbarkeit und die Freude darüber, dass sie ihn wiedersehen, er vielleicht sogar mit ihr gegen Finnbogi kämpfen würde. Und vielleicht, ganz vielleicht konnten sie gemeinsam sogar eine Möglichkeit finden, dem tödlichen Schicksal des Blutpaktes zu entgehen.

Doch Linea versuchte, sich nicht zu sehr von ihrer Euphorie mitreißen zu lassen. Dass Ólaf Kjell zuletzt lebendig gesehen haben wollte, bedeutete nicht, dass er es immer noch war. Vor allem dann nicht, wenn er schwer verletzt oder sein Verrat an Finnbogi bei seinen Leuten bekannt geworden sein sollte.

»Todsicher«, sagte Eylir trocken, ohne auf die makabre Ironie seiner Worte Rücksicht zu nehmen.

In Lineas Hals bildete sich ein dicker Kloß, der ihr das Atmen erschwerte, aber noch hatte sie die Kontrolle. Noch wehrte sie sich dagegen, bemühte sich darum, Herr ihrer Sinne zu bleiben.

»Er wird auf keinen Fall getötet«, rief sie schrill und sprang sofort wieder auf die Füße.

Ruckartig wandten sich alle Köpfe ihr zu. Linea spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.

Glücklicherweise schien keiner der Männer ihren Ausbruch und vor allem die Panik in ihrer Stimme richtig zu deuten. Magnus reagierte geistesgegenwärtig, packte sie am Arm und drückte sie zurück auf die Bank.

»Wir werden ihn befreien und anschließend unsererseits als Geisel nehmen«, präzisierte er Lineas Anweisungen.

»Warum geht ihr denn davon aus, dass sie ihn wie einen Gefangenen behandeln?«, wollte Grímar wissen. Seine Miene verdüsterte sich.

Linea bemerkte die mahlenden Kieferbewegungen ihres Freundes neben ihr, Magnus war sich offenbar unsicher, wie er es erklären sollte, ohne Lineas Verbindung zu Kjell anzusprechen. Doch nun war Linea selbst wieder im Spiel und nahm ihrem Freund die Erklärung ab.

»Er hat mich auf der Reise hierher … anders behandelt, als es für Gefangene anscheinend üblich ist. Vielleicht hat er sich dadurch gewisse Gefälligkeiten meinerseits erhofft«, sagte sie und war selbst überrascht davon, wie kaltherzig, wie teilnahmslos ihre Stimme auf einmal klang, obwohl ihr Herz immer noch verräterisch laut schlug. »Auf jeden Fall hat sein Verhalten schon auf dem Schiff zu einigen Unstimmigkeiten zwischen ihm und den anderen Männern geführt. Wenn sie ihn als Verräter sehen, hätten sie keinen Grund mehr, ihn nicht zu töten. Aber er könnte uns mit seinem Wissen über Finnbogi und Rikkagat überaus nützlich sein«, erklärte sie weiter und beobachtete zufrieden, wie die drei sich vielsagende Blicke zuwarfen.

Typisch Mann, dachte sie nur und hätte am liebsten die Augen verdreht.

»In Ordnung«, meldete sich Eylir als Erster zu Wort. »Wir werden dafür sorgen, dass wir ihn möglichst unversehrt in die Finger bekommen. Vielleicht kann er uns auch sagen, wohin Finnbogi mit deiner Mutter geflüchtet ist.«

»Richtig. Er wird wohl kaum so dumm sein und sich immer noch in Rikkagat aufhalten«, stimmte Viðor seinem Bruder zu und Grímar murmelte etwas Ähnliches.

»Also, wie sehen die nächsten Schritte aus?«, fragte er in die Runde und erneut sah Linea sich vier fragenden Augenpaaren gegenüber.

Anders als zu Beginn des Gesprächs hatte sie nun aber eine recht genaue Vorstellung von dem, was als Nächstes getan werden musste.

»Ihr könnt euch am besten mit euren Leuten besprechen und zusammentragen, wie die Lage ist. Wie viele Krieger haben wir, was fehlt uns noch an Ausrüstung und Vorräten? Ich werde in der Zwischenzeit mit Ólaf reden und versuchen, alles über Kjells Verbleib in Rikkagat herauszufinden«, wies Linea an und stand sofort auf.

Jetzt, da die Hoffnung zu ihr zurückgekehrt war, hielt sie nichts mehr auf ihrem Platz. Die Ungeduld machte sich erneut in ihr breit und wollte sie am liebsten noch innerhalb der nächsten Fackel zum Aufbruch zwingen.

Da keiner der Männer etwas einzuwenden hatte, verabschiedete Linea sich rasch und stürmte mit Magnus auf den Fersen aus dem Langhaus.

Kapitel 4 - Freydís

 

Am späten Vormittag erreichten sie unter der Führung Finnbogis die kleine Siedlung der Skrælingr, die sich in ein seichtes Tal am Ufer eines Flusses schmiegte. Es hatte ihren Entführer keine Mühe gekostet, das Duell zu gewinnen, welches Freydís auf dem Weg hierher provoziert hatte. Nach der Anstrengung und den intensiven Kämpfen, die sie im Langhaus bereits ausgefochten hatte, waren ihre Reserven erschöpfter gewesen, als sie dachte. Ein gezielter Faustschlag ins Gesicht hatte ausgereicht und Freydís war sofort ohnmächtig geworden.

Nun war ihr linkes Auge so zugeschwollen, dass sie auf der Seite nichts sehen konnte. Man hatte ihr die Hände erneut gefesselt und Halfdan hatte sich ihren reglosen Körper über die Schulter geworfen. Als Freydís wieder zu sich gekommen war, hatten sie den größten Teil des Weges schon hinter sich gebracht.

Finnbogi hatte sich gefreut wie ein kleines Kind, als er bemerkte, dass sie wieder bei Bewusstsein war. Er übernahm höchstpersönlich den Strick, der ihre Hände zusammenband, und zog sie jetzt wie einen ungehorsamen Hund hinter sich her, während sie in das flache Tal hinabstiegen.

Freydís gab sich unterdessen alle Mühe, vollkommen gleichgültig zu wirken, so als hätte sie mit alldem nichts zu tun – und eigentlich war es genau so. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, zu welchen Mitteln Finnbogi greifen würde, um die Ureinwohner dieses Landes erneut zu unterwerfen.

Das schlechte Gewissen meldete sich schwach in ihrem Unterbewusstsein, als sie sich daran erinnerte, wie ihre letzte Begegnung mit diesem Volk verlaufen war. Welchen Schrecken sie den Männern und Frauen mit ihrer Tat eingejagt, welche Angst sie in ihren Herzen gesät haben musste. Und genau diese Angst wollte Finnbogi nun für seine Zwecke ausnutzen.

Für Freydís war klar, dass sie nichts dergleichen erneut tun würde. Diese Menschen waren unschuldig – heute wie damals –, und auch wenn sie vor so vielen Jahren nur ihre Leute beschützt hatte, würde sie heute keine Waffe mehr gegen die Skrælingr erheben.

Angespannt schaute sie ihrem Ziel entgegen. Über einigen der Unterkünfte, die auf die Entfernung eher großen Zelten ähnelten, kringelten sich dünne Rauchsäulen. Diese Siedlung war eindeutig bewohnt. Freydís’ Hoffnung, dass Finnbogi den Weg umsonst gegangen war, verpuffte leise im Nichts.

Kurze Zeit später erreichten sie das Dorf. Wenngleich Freydís sich sicher war, dass ihre kleine Gruppe von den gut getarnten Spähern gesehen worden war, lagen die Behausungen in vollkommener Stille da. Niemand hielt sie an der Grenze der Zelte auf, die mehr oder weniger in einer kreisförmigen Formation aufgestellt waren.

Keine Kinder rannten fröhlich lachend durch die seichten Wellen des Flusses, keine Männer saßen in schmuckreichen Gewändern im Zentrum an der offenen Feuerstelle und meditierten. Bis auf die Rauchsäulen, die selbst vom lauen Wind schnell verweht wurden, deutete nichts auf die Existenz von Menschen in dieser Siedlung hin. Trotzdem wusste Freydís, dass sie nicht allein und vor allem nicht willkommen waren.

Sie vermochte nicht zu sagen, woher dieses seltsame Gefühl kam, das ihre Brust zuschnürte, aber sie war sich sicher, etwas zu fühlen. Eine düstere Atmosphäre lag über dieser Siedlung und Freydís nahm sie wahr. Spürte die Zurückweisung, einem wachsenden Schatten gleich, der sich als dunkler Nebel vor ihren Geist schob. Etwas, dessen sie sich beim letzten Mal nicht bewusst gewesen war, das sich jedoch so natürlich und vertraut anfühlte, als wäre es schon immer da gewesen.

Dies war ein magischer Ort und sie waren die Fremden, die ihn mit ihrem unerlaubten Eindringen entweihten.

Mit jedem Schritt, den sie auf das Zentrum zugingen, wuchs dieses Gefühl in ihr, bis es schließlich so stark war, dass Freydís intuitiv stehen blieb. Das Seil an ihren Händen spannte sich. Nun blieben auch Finnbogi und seine vier Begleiter stehen und drehten sich mit finsteren Gesichtern zu ihr um.

»Los, weiter«, knurrte einer von ihnen und ruckte kräftig an dem Seil, aber Freydís rührte sich nicht.

Durch die stumme Finsternis, die sich in ihr ausbreitete, dröhnte das Pochen ihres Herzens in ihren Ohren. Kraftvoll und gleichmäßig, wie ein stetiger Rhythmus, geschlagen auf fellbespannten Trommeln.

»Fühlt ihr das auch?«, fragte sie atemlos und vergaß für den Moment, dass sie alles um sich herum hatte ignorieren wollen. Ihre Stimme vibrierte seltsam in ihrem Hals und auch ihr Klang hatte sich verändert, sie hörte sich rauchig, gleichzeitig aber gedämpft an, als läge ein dickes Stück Stoff über ihrem Mund.

Dennoch war es keine Angst, die sie verspürte, eher so etwas wie Respekt. Bewunderung vielleicht. Oder Ehrfurcht? Sie wusste es nicht.