Die Zeitlos-Trilogie 1: Das Flüstern der Zeit - Sandra Regnier - E-Book
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Die Zeitlos-Trilogie 1: Das Flüstern der Zeit E-Book

Sandra Regnier

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Beschreibung

Platzregen und Sturmwinde gehören für die englische Kleinstadt Lansbury und damit für die 17-jährige Meredith zum Alltag. Doch diese Gewitternacht ist anders. Unheimliche Kornkreise tauchen am Ortsrand auf, unerwartete Gestalten suchen Lansburys Steinkreis heim und dann ist da noch Merediths bester Freund Colin, der sie genau in dieser Nacht küsst, und mit dem nun nichts mehr so ist, wie es war. Irgendetwas ist in jener Nacht passiert, irgendetwas, das Zeit und Raum kurzfristig aufgehoben hat. Und ausgerechnet Meredith ist der Schlüssel zum Ganzen… //Alle Bände der Reihe: -- Zeitlos 1: Das Flüstern der Zeit -- Zeitlos 2: Die Wellen der Zeit -- Zeitlos 3: Die Flammen der Zeit// Die Zeitlos-Reihe ist abgeschlossen.

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OriginalausgabeVeröffentlicht im Carlsen VerlagApril 2015Copyright © 2015 Carlsen Verlag GmbH, HamburgText © Sandra Regnier, 2015Lektorat: Pia TrzcinskaUmschlagbild: shutterstock.com © happykanppy / Ilona5555 / pun photoUmschlaggestaltung: formlabor Corporate Design Taschenbuch: bell étageHerstellung: Gunta LauckSatz und E-Book-Umsetzung: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

ISBN 978-3-646-92741-2

Für unsere MütterRita und Luise

Prolog

Auch nach all den Jahren, die er bereits in diesem Zeitalter lebte, erstaunte es ihn immer wieder, wie sorglos die Menschen hier doch waren.

Alles war anders, und obwohl er sich schon an vieles gewöhnt hatte, gab es immer noch mehr, das ihn aufs Neue beeindruckte. Die Gerüche zum Beispiel. Hier roch fast alles gut und blumig. Die Frauen, die Seifen, die Wäsche, sogar die Toiletten.

Die Musik war seltsam rhythmisch, hart und exotisch. Sein Gehör hatte sich daran gewöhnt, aber mit dem modernen Tanzstil konnte er sich immer noch nicht anfreunden. Ganz im Gegensatz zu dem angenehmen Licht und den Mädchen, die in dieser Zeit wesentlich schöner waren als in der, in die er hineingeboren worden war. Heute Abend war die Musik lauter als normal und das Licht blinkte irritierend bunt über die Wände, verstärkt durch eine Spiegelkugel an der Decke.

Ein Mädchen mit langen, blonden Haaren lächelte ihn an. Ihre Lippen waren blutrot geschminkt und glänzten vielversprechend. Ihre Augen musterten ihn interessiert. Das war nicht ungewöhnlich. Sowohl in dieser Zeit als auch in seiner. Er hatte immer die Blicke der Frauen auf sich gezogen. Nur war in seiner Zeit ziemlich schnell eine Anstandsdame zwischen diese Blicke getreten.

Ja, er mochte die Frauen in diesem Zeitalter. Sie waren herrlich unkompliziert und entsprachen genau seinem Geschmack. Nicht wie die aus seiner Heimat, wo er höchstens mit den verheirateten hatte flirten können. Deren Töchter waren für ihn, den Zweitgeborenen, tabu gewesen.

Er lächelte zurück und sie begann sich im Takt der Musik aufreizend zu bewegen.

In seinem Innern zog sich etwas zusammen.

Das Mädchen tanzte langsam auf ihn zu. Ihr Blick war auf ihn fixiert. Sie bewegte ihre Hüften, ließ sie kreisen, hob die Arme über den Kopf. Das Shirt spannte über ihrer Brust.

Er spürte Flüssigkeit auf seine Hände tropfen.

Das Glas auf der Theke neben ihm war zersprungen. Das Bier lief durch die Scherben direkt auf seine Hände hinunter.

Er atmete tief durch und versuchte sich zu sammeln, damit nicht noch mehr Gläser zu zerspringen begannen.

»Hallo!« Die Blondine hatte ihn erreicht. Im schummrigen Licht konnte er sehen, dass ihre Wimpern unnatürlich dunkel und dicht waren. Aufregend. Sie roch nach einem schweren Parfüm, und obwohl sie schwitzte, roch sie sauber. Blumig. Angenehm.

»Wartest du auf jemanden?«

Er lächelte. »Nur auf dich.«

Sie krallte eine Hand in sein Shirt und zog ihn mit sich zur Tanzfläche. Dort schmiegte sie sich eng an ihn, die Arme auf seine Schultern gelegt. Er versuchte wie immer den direkten Hautkontakt zu vermeiden und umfasste deshalb die von einem engen Top umhüllte Mitte. Er hatte schon festgestellt, dass die meisten diese Berührung noch mehr mochten als Händchenhalten. Davon abgesehen vermied er das Händchenhalten immer.

Er versuchte ihren langsamen Schritten zu folgen, hob sie hoch, wie bei einer … Er stockte. Beinahe ließ er das Mädchen fallen. Das konnte nicht sein. Das war unmöglich. Hinter ihr, direkt ihm gegenüber schwebte eine Flasche über einer Musikbox.

»Wow, du bist ganz schön stark.«

Die Blondine umfasste seine von langen Ärmeln bedeckten Oberarme und drückte sie. Wenn sie wüsste, woher seine Muskeln stammten.

Er ließ das Mädchen in seinen Armen langsam zu Boden gleiten und zog sie dicht an seinen Körper. Im Schutz ihres langen, blonden Haares konnte er unter halb geschlossenen Lidern alles genau beobachten. Eine Hand griff nach der schwebenden Flasche. Eine zarte Hand. Sie gehörte dem Mädchen mit dunklem Pagenschnitt und einer dicken Brille. Er kannte sie. Er kannte sie seit seinem Eintreffen vor fünf Jahren, so wie er die meisten Menschen hier kannte. Sie war um einiges jünger als er und immer in Begleitung. Sie hatte nie besonders gewirkt. Bis jetzt. Er konnte sehen, wie sie sich besorgt umblickte und dann den Jungen an ihrer Seite in die Rippen knuffte.

Der Junge hatte ebenso dunkles, jedoch strubbeliges Haar und war einen Kopf größer als sie. Auch er war ihm bekannt. Das Mädchen, weit von der Schönheit entfernt, die sich eng an ihn schmiegte, aber doch irgendwie interessant, ließ die Flasche fallen. Doch anstatt dass sie am Boden zerbrach, blieb sie kurz vorher schon wieder in der Schwebe hängen. Abermals sah er das Mädchen den Jungen knuffen und jetzt schlug die Flasche auf den Boden auf. Wo sie vollkommen aufrecht stehen blieb. Das Mädchen bückte sich, wurde von jemandem angerempelt und verlor das Gleichgewicht. Die Flasche kippte um.

Er hätte gelacht, wenn die Situation nicht so brisant gewesen wäre.

Ihr Begleiter half ihr auf die Beine und er konnte genau erkennen, dass er dem Mädchen dabei nicht die Hand reichte, sondern sie über ihrem langärmligen Pulli am Ellbogen fasste und hochhob. Für jeden anderen musste es sehr behutsam wirken, aber für ihn, der etwas ahnte, schien es, als würde der Junge eine direkte Hautberührung vermeiden wollen. So wie er sie auch gern vermied. Er sah, wie der Junge sich zu dem Mädchen hinunterbeugte, als wolle er sie küssen.

Genau in diesem Moment ging das Licht aus, die Musik verstummte abrupt und in das Aufstöhnen der Anwesenden mischte sich ein Donnergrollen von außen. Auch das noch. Ein Stromausfall.

»Hast du Angst?«, fragte das Mädchen in seinen Armen, das er in der plötzlich eingetretenen Dunkelheit nicht mehr sehen konnte. Er spürte ihre Hand in seinem Haar und ihre Lippen an seinem Kinn. Bis jetzt waren es zum Glück nur die Lippen.

»Nein«, antwortete er nicht ganz ehrlich. Feuerzeuge flammten auf, aber deren spärliches Licht machte die Dunkelheit nur noch schwärzer. Dennoch nahm er wahr, dass das Mädchen mit der Brille und der dunkelhaarige Junge verschwunden waren.

Er schob die Blondine in seinen Armen zurück.

»Du brauchst keine Angst zu haben. Das ist nur ein Gewitter«, sagte sie und versuchte ihn wieder an sich zu ziehen. Dabei rutschte ihre Hand in seinen Nacken und sie berührte seine Haut. Er schüttelte sie ab, als habe ihre Berührung ihn verbrannt. Er musste weg. Er musste hier raus. Er musste das dunkelhaarige Pärchen finden.

Ein Donnerschlag krachte und er fühlte, wie er seine Kontrolle verlor. Panisch drängte er sich durch die Menge. Dabei konnte er den einen oder anderen Hautkontakt nicht verhindern. Bilder blitzten vor seinen Augen auf. Bilder, die er gern vermieden hätte. Und dann ertasteten seine den Weg suchenden Finger eine Hand. Im selben Moment donnerte es wieder mit voller Kraft. Die Wände schienen unter dem Knall zu beben. Die Feuerzeuge gingen aus. Und dennoch hatte ihn die Angst verlassen.

Die Empfindung, die ihn mit einem Mal durchströmte, war … schier überwältigend. Sanftmut. Reinheit. Ehrlichkeit. Aber vor allem ein überschwängliches Gefühl von Liebe, das sein Herz schier zerplatzen ließ. Wenn er vorhin noch gedacht hatte, er würde diese leichtlebigen Mädchen mögen, die sich unkompliziert und ohne große Gefühle auf kleine Abenteuer einließen, so widerrief dies seine eigene Einstellung schlagartig. Er fühlte Wärme und Geborgenheit, mehr als je zuvor in seinem Leben. Warum konnte er nicht erkennen, wer es war? Er konnte doch sonst immer die Gesichter sehen, die hinter den Empfindungen standen.

Jetzt donnerte es erneut und ihm wurde klar, dass dieses Gewitter eine besondere Kraft besaß. Eine Kraft, die seine schwächte. Ein zweiter Donner krachte, aber der Strom setzte wieder ein. Mit ihm die Musik und das Licht.

Gespannt blickte er zur Seite, doch neben ihm befand sich niemand mehr. Nur die Tür nach außen war angelehnt. Und die leere Bierflasche rollte auf dem Boden daneben umher.

Mit einem mulmigen Gefühl sah er zur Tür hinaus. Mulmig war noch zu nett ausgedrückt. Er fühlte eher einen Magenhieb. Es gab noch jemanden wie ihn. Jemanden, der sich als gefährlich entpuppen konnte. Und leider ließ es sich nicht ganz deutlich sagen, ob es sich um das Mädchen oder den Jungen handelte. Und welche Konsequenzen es für sein Dasein in dieser Zeit hatte.

1. Kapitel

Ich starrte in den Spiegel.

Sah ich anders aus? Fahrig strich ich über die paar verwirrten Strähnen in meinen schulterlangen Haaren, bis sie alle glatt und gleichmäßig lagen. Um es genau überprüfen zu können, setzte ich meine Brille auf und kontrollierte mein Spiegelbild, indem ich den Kopf einmal nach links und dann nach rechts drehte. Fast gleichmäßig. Die Strähne links drehte sich stets nach außen, nie nach innen. Ansonsten sah ich aus wie immer. Eine dunkelhaarige, nicht sehr spektakuläre Siebzehnjährige. Genau so wie vorgestern auch.

Allerdings fühlte ich mich nicht so.

Hätte nicht irgendwas anders sein müssen? Ein Leuchten? Ein Strahlen? Hinter den Gläsern meiner Hornbrille sah ich die gleichen grünen Augen wie immer. Kein besonderes Strahlen. Kein Funkeln. Nein, nichts leuchtete.

Warum auch? Ein Kuss löste ja keine wirkliche biologische oder chemische Veränderung im Körper aus.

Oder ich hatte einfach den Falschen geküsst.

»Meredith! Ich muss zur Arbeit! Bis heute Mittag!«

Mums Stimme tönte von unten und riss mich aus meinen Gedanken. Ein Blick auf die Uhr besagte, dass ich jetzt ebenfalls lossollte.

Ich schaute in den Spiegel. Wenigstens die Lippen hätten doch anders sein können. Ein wenig voller, Angelina-Jolie-mäßiger statt meines Kirsten-Dunst-Schmalmunds.

Enttäuscht wandte ich mich ab, schnappte mir meinen Rucksack, den ich wegen der vielen Hefte und Bücher nie zubekam, und lief die Treppe hinunter. Unten musste ich gleich wieder eine Vollbremsung hinlegen, denn sonst wäre ich mit Mum zusammengestoßen, die bereits an der Haustür stand. Und natürlich flogen durch den abrupten Halt sämtliche Bücher aus meinem Rucksack.

»Verdammt.«

»Man flucht nicht. Das bringt Unglück«, tadelte mich Mum sanft, bückte sich, sammelte die Bücher ein und schob sie so ordentlich in meinen Rucksack, dass er sich zum ersten Mal seit Wochen wieder schließen ließ.

»Ich gehe nur den halben Tag arbeiten«, erklärte sie dann und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Mach’s gut.«

Kaum war sie aus der Tür, eilte ich in die Küche, schnappte mir das von Mum bereitgelegte Sandwich und die Trinkflasche und verließ ebenfalls das Haus. Jetzt war ich wirklich knapp dran. Mist.

Unterwegs ließ ich den Samstag noch einmal Revue passieren und stolperte prompt über eine Unebenheit im Bürgersteig. Meine Trinkflasche fiel zu Boden.

»Man hört schon, wer da geht«, sagte eine wohlbekannte Stimme hinter mir. Ein helles Lachen folgte.

Dann holte Shakti mich ein. Ihre tiefschwarzen Haare fielen ihr glatt und glänzend bis auf den Po hinunter und ihre indische Herkunft wurde wie immer durch die farbenfrohen Klamotten und großen Ohrringe unterstrichen. Shakti und ich kannten uns schon seit der Einschulung und waren seitdem gut befreundet. In der Secondary School waren wir sogar noch enger zusammengerückt. Ohne sie und den Rest unserer Clique wäre mein bisheriges Leben undenkbar langweilig gewesen.

»Meredith Wisdom, wann lernst du endlich beim Gehen auf den Boden zu schauen, statt mit dem Kopf in der nächsten Physikformel zu hängen?«

»Hab ich nicht«, antwortete ich und schob meine verrutschte Brille wieder zurück aufs Nasenbein.

»Bei jedem anderen Mädchen würde ich ja behaupten, sie denke an einen Jungen. Aber da du es bist, bleibt höchstens noch die Mathematik. Ehrlich, du entsprichst dem Prototyp des zerstreuten Professors. Ich möchte einmal einen Tag erleben, an dem du nichts umschmeißt oder stolperst.«

»Na, vielen Dank auch«, sagte ich und hoffte damit meine Verlegenheit überspielen zu können. Sie hatte ja keine Ahnung, wie sehr sie gerade mitten ins Schwarze getroffen hatte. Wenngleich der Junge, an den ich dachte, sie mit Sicherheit überrascht hätte.

»Nicht böse sein, Meredith.« Sie tätschelte mir jovial den Rücken. »Irgendwann kommt bestimmt auch für dich der Richtige. Der, der mit dir gemeinsam Einsteins Relativitätstheorie überarbeitet und mit dem du dann im Schweizer CERN atomare Teilchen beschleunigen kannst.«

»Eigentlich hatte ich vor, einen Engländer zu heiraten und drei Kinder in die Welt zu setzen, um denen dann bei den Hausaufgaben helfen zu können, die alle anderen nie hinbekommen.«

Ich hörte Shakti seufzen. »Das war ein Scherz, Meredith.«

Ich grinste. »Das weiß ich doch. Ich habe auch einen Witz gemacht.«

Sie sah mich an und grinste dann unsicher zurück. Obwohl sie nicht humorlos war, war jeglicher Sarkasmus in ihrer Gegenwart eine vollkommene Verschwendung.

»Trägt Michael dich noch auf Händen?«, wechselte ich das Thema. Auch wenn es etwas gemein war, es klappte jedes Mal, Shakti auf ihren aktuellen Freund anzusprechen, wenn man das Thema wechseln wollte. In jenen war sie nämlich immer schrecklich verliebt und nach ein paar Monaten ganz schrecklich unglücklich, nur um letztendlich einen neuen absolut wunderbaren Jungen kennenzulernen. Michael war zwei Jahre älter als wir und ihr Traumboy Nr. 5 – wenn ich richtig mitgezählt hatte. Als wir das College erreichten, hatte mir Shakti quasi in Echtzeit ihr letztes Telefongespräch mit ihm geschildert.

Im Schulgebäude herrschte viel Betrieb. Auch wenn manche Kurse erst später anfingen, meine A-Level-Kurse begannen – leider – alle pünktlich um halb neun. Genau wie an der Secondary School früher. Shakti konnte drei Mal die Woche länger schlafen, weil sie andere Kurse besuchte. Ich hätte mich vielleicht auch lieber in Richtung Rechtswissenschaften orientieren sollen. Aber andererseits … Mathe und Physik lagen mir. Dabei musste ich nicht lange nachdenken, es funktionierte einfach.

»Sag mal, Meredith, wir haben Frühjahr. Möchtest du nicht mal was Helles anziehen? Ich glaube, Orange würde dir gut stehen.« Jetzt, wo das Thema Liebe erst einmal wieder durch war, kam Shaktis Lieblingsthema Nummer zwei an die Reihe. Shakti war, obwohl extrem bunt, immer chic. Und würde mich am liebsten komplett neu einkleiden. Leider wäre ich mir in diesen Farben vorgekommen wie eine Banane unter lauter Äpfeln.

Auf unserer vorherigen Schule hatten wir alle hellblaue Blusen mit Krawatte auf dunkelblauen Faltenröcken tragen müssen. Und bei unseren Ausflügen nach London sogar quietschgelbe Sweatshirts auf lila Jeans. Das waren meine einzigen Ausflüge in die Welt bunter Klamotten gewesen. Zum Glück war die Zeit der Schuluniformen jetzt seit einem Dreivierteljahr vorbei und damit meine bunte Zeit, egal was Shakti mir auch riet.

Wir kannten uns nun schon seit über zwölf Jahren. Wir, das bedeutete nicht nur Shakti und ich, sondern auch der Rest unserer Clique: Rebecca, Chris und Colin.

Colin. Seit unserer Kindheit verbrachten wir beinahe jeden Tag zusammen. Niemand kannte mich besser als er. Von meinen vier Freunden stand er mir am nächsten.

Und jetzt war nichts mehr wie vorher.

»Alles klar, Meredith? Colin und du seid am Samstag so schnell von der Party verschwunden, dass wir uns kurzzeitig richtig Sorgen gemacht haben.« Rebecca holte zu mir auf. Sie hatte mir gerade noch gefehlt. Im Gegensatz zur verträumt-verliebten Shakti war Rebecca immer hellwach. Ihr entging nie etwas. Nie.

»Ich hatte Kopfschmerzen«, log ich. Prüfend blickte sie mir ins Gesicht, nickte dann aber verständnisvoll. Leider hatte ich oft Kopfschmerzen. Gut, dass sie mir zumindest mal als Ausrede dienen konnten.

Wo war Colin?

Sonst stand er jeden Morgen vor dem Collegegebäude, um auf mich zu warten. Na bitte. Nichts war mehr wie sonst. Nicht mal auf seinen besten Freund konnte man sich verlassen.

»Ich glaube, ein Superhirn zu haben ist nicht immer einfach. Meine These ist ja immer noch, dass die grauen Zellen, von denen du mehr hast als andere, dir zu viel Druck bereiten, daher die Kopfschmerzen. Apropos graue Zellen: Hast du die Mathehausaufgaben fertig? Gibst du sie mir mal?«

Ich sah mich wieder um. Nichts. »Machst du je deine Hausaufgaben?« Ich war zu angespannt, um diplomatisch zu sein.

»Ich habe sie ja gemacht. Ich wollte nur vergleichen. Aber okay, dann frage ich halt jemand anderen.«

Eingeschnappt rauschte sie davon. Rebecca war schnell eingeschnappt, auch wenn es zum Glück selten länger als einen Tag anhielt. Letzteres lag wahrscheinlich an ihrem Vater, Vikar Hensley, der jeden Sonntag alles zum Thema Vergebung predigte.

Doch wo war Colin? Wieder schaute ich mich um.

Er sah mich zuerst.

Ich spürte seinen Blick im Rücken.

Das war nicht ungewöhnlich. Er war mein bester Freund und wir kannten uns so gut, dass ich oftmals schon wusste, wo er sich befand, bevor ich ihn überhaupt sah. Er war für mich wie der Bruder, den ich mir stets gewünscht hatte. Und ich hatte gedacht, ich sei für ihn die Schwester, die er gern gehabt hätte, anstelle seines dämlichen Bruders Theodor.

Hatte. Das war das entscheidende Wort.

Anscheinend hatte ich falsch gedacht.

Ich atmete tief durch und konnte nicht verhindern, dass mein Herz plötzlich schneller schlug.

Es ist doch nur Colin, versuchte ich mir einzureden, während ich mich umdrehte und ihn auf mich zukommen sah. Der gute alte Colin. Dein Colin.

Ich sah sein schwarzes Haar, wie immer etwas zu lang und zerzaust, unter dem die ein klein wenig abstehenden Ohren herauslugten. Aber seine blauen Augen blickten heute ganz anders und um seinen Mund spielte ein keckeres Lächeln als sonst. Normalerweise hätte ich angenommen, er amüsiere sich über etwas, doch dann sah ich das leichte Zucken seiner linken Augenbraue. Er war eindeutig nervös.

»Hey, Colin«, rief Shakti und jetzt erst wurde mir klar, dass sie immer noch neben mir stand. O Gott. Sie durfte keinesfalls erfahren, was vorgestern Abend geschehen war.

Doch es gab keine Zeit mehr, mich irgendwie vorzubereiten oder mir ein paar Worte zurechtzulegen. Ich ergriff Colins Ärmel und zog ihn in Richtung Chemieraum. Das Labor daneben wurde im Moment nicht benutzt, weil es umgebaut werden sollte. Der ideale Ort, um in Ruhe zu reden.

Am Türgriff blieb ich mit meinem Rucksackträger hängen. Ich versuchte ihn zu lösen und verhedderte mich noch mehr. Colin war es, der den Träger losmachte. Kaum befreit rannte ich förmlich ins Labor, zog Colin hinein und schloss die Tür hinter uns.

Jemand hatte vergessen die Jalousien hochzufahren, der Raum war dunkel und es roch nach ungesunden Chemikalien. Doch das war jetzt nebensächlich. Ich wandte mich Colin zu.

»Okay, Colin William Adams, lass es uns hinter uns bringen. Das mit Samstagabend. Kannst du mir bitte mal erklären, was das sollte?«

Das Zucken um seine Mundwinkel war verschwunden, wie auch das Lächeln in seinen Augen. O Gott, das war eindeutig zu überfallartig gewesen. Warum konnte ich nicht ein einziges Mal meinen vorlauten Mund halten? Aber Colin kannte mich besser als jeder andere. Er musste sich doch denken, dass er mich völlig aus dem Konzept gebracht hatte. Spätestens seit gestern, dem ersten Tag, an dem wir, seit wir im Besitz von Handys waren, nicht eine einzige WhatsApp-Nachricht ausgetauscht hatten.

»Meredith, ich …«

»Ich weiß schon. Diese Cola-Bier-Mischungen sind stärker als gedacht«, plapperte ich los. »Das liegt an dem Zucker der Cola. Er transportiert den Alkohol schneller ins Blut.«

»Du …«

»Aber ich habe aufgehört, als ich merkte, dass mir das Zeug zu Kopf stieg.«

»Ich …«

»Du hattest genau sechs. Mindestens vier zu viel. Offensichtlich. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass es dich dermaßen umhaut. Weißt du überhaupt noch was vom Rest des Abends?« Einen Moment lang setzte mein Herz aus. Was, wenn nicht? Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Vielleicht machte ich mich hier völlig umsonst zum Affen?

Er starrte mich an. Ein seltsames Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Das war doch wohl keine Enttäuschung, oder? Ich horchte erst gar nicht in mich hinein. »Na ja, vielleicht vergessen wir den Abend einfach. Jeder trinkt mal ein bisschen zu viel. Du kannst nur froh sein, dass es schon so spät war und dein Vater dich nicht erwischt hat. Ich bezweifle, dass ich dir um ein Uhr nachts noch zu Hilfe hätte eilen können. Abgesehen davon, dass Dr. Adams mir bestimmt lebenslanges Hausverbot erteilt hätte.«

Colins Vater, der einzige Arzt im Umkreis von fünfzehn Meilen, war bekannt für seine Strenge. Nicht nur seinen Kindern, sondern auch seinen Patienten gegenüber. Was er verordnete, wurde folgsam eingehalten. Sogar überzeugte Kettenraucher hörten nach einer Sprechstunde bei ihm schlagartig mit dem Rauchen auf. Er war eine Person, der man uneingeschränkt Respekt entgegenbrachte und mit dem man sich nicht anlegen wollte. Schon gar nicht als Sohn, dem wochenlanger Hausarrest drohte.

»Auf alle Fälle hätte dir dein Vater ein paar Wochen Hausarrest verordnet, wenn er dich erwischt hätte. Auf diesen Partys wird einfach zu viel Alkohol ausgeschenkt. Ich für meinen Teil werde beim nächsten Mal nur noch Bionade trinken, dann ist wenigstens gewährleistet, dass man genau weiß, was man tut und …«

»Meredith Sybill Wisdom, hör endlich auf zu schnattern!«

Ich verstummte und sah Colin groß an.

»Gib mir deine Hand.«

Womöglich wurden meine Augen noch größer. Colin berührte nur ungern jemanden. Auch mich nicht. Immer achtete er darauf, dass sich zumindest ein Stück Stoff zwischen ihm und den anderen befand. Das lag daran, dass er ein Geheimnis hatte.

Ein Geheimnis, das nur ich kannte. Nicht seine Mutter, nicht sein Bruder und schon gar nicht sein Vater. Ich war die Einzige.

Das hatte angefangen, als er zehn war. Er war bei seinem Großvater zu Besuch gewesen und erzählte mir im Nachhinein, dass jedes Mal, wenn sein Großvater ihn bei der Hand genommen hatte, er ihn reglos im Garten unter den Apfelbäumen liegen sah. Jener hatte schnell gemerkt, dass Colin seine Berührung als unangenehm empfand. Zum Abschied hatte er ihm übers Haar gestreichelt und geäußert, der Junge werde wohl groß, weil er nicht mehr seine Hand halten wolle. Dabei hatte Colin bloß diese Vision vermeiden wollen. Ein halbes Jahr später fand Colins Mutter ihren Vater tatsächlich reglos unter den Apfelbäumen wieder. Er hatte einen Herzinfarkt gehabt und starb wenige Tage darauf im Krankenhaus.

Als Colin etwas später eine Vision von seiner Nachbarin hatte, die sich auch bewahrheitete, kurz bevor sie starb, konnten wir an keinen Zufall mehr glauben. Wenn Colin die Haut eines anderen Menschen berührte, sah er ihn so, wie er kurz vor seinem Tod aussehen würde.

Meistens sah er die Menschen ein paar Tage vor dem Sterben, wie sie im Altenheim oder im Bett lagen. Aber manchmal sah er auch Schlimmeres. Daher mied Colin die Berührung von Menschen, aber es klappte eben nicht immer.

Ich wusste, dass er auch mich so sehen konnte, aber er hatte mir darüber nur verraten, dass ich kurz vor meinem Tod weiße Haare haben würde. Mein einziger Kommentar dazu war, dass ich irgendwann dann wohl zu schwach oder zu doof zum Haarefärben wäre, und damit war das Thema erledigt gewesen.

Ich wollte es eigentlich gar nicht wissen. Aber die weißen Haare beruhigten mich schon irgendwie.

Dennoch berührte Colin mich selten. Er sagte, er wolle lieber miterleben, wie ich alt werde, und es nicht jetzt schon sehen. Und wenn es nur für den Bruchteil einer Sekunde sei.

»Bitte, Meredith, gib mir deine Hand«, sagte Colin noch einmal. Zaghaft legte ich meine Finger in seine. Er umfasste sie. Sein Griff war warm, fest und angenehm.

Ich konnte ihm ansehen, dass er in sich hineinhorchte. Und dann war da auf einmal wieder dieses Lächeln. Nicht nur in seinen Augen. Auch auf seinem Mund. Noch immer hielt er meine Hand, doch jetzt zog er mich näher an sich heran. Dicht. So dicht, dass ich sehen konnte, dass er sich heute Morgen rasiert hatte. Ich konnte es sogar riechen. Er benutzte seit neuestem ein Aftershave mit einer etwas herberen Note. Es war ein wenig ungewohnt.

Colins andere Hand legte sich um meine Taille. Jetzt fühlte ich auch seine Körperwärme und mit einem Mal begann mein Herz unkontrolliert schnell zu klopfen.

»Colin? Was hat das zu bedeuten?« Meine Stimme überschlug sich ein wenig, denn nun beugte er sich zu mir herunter und ich konnte deutlich die hellen Punkte auf seiner Iris ausmachen, die seine Augen so intensiv blau schimmern ließen.

»Ich war nicht betrunken und ich weiß noch ganz genau, was Samstagabend passiert ist, Meredith«, sagte er und seine Stimme klang mit einem Mal kehlig. »Ich brauchte nur ein wenig Mut, um endlich das zu tun, was ich schon lange hatte tun wollen.«

Und dann senkte er seinen Kopf und berührte mit seinen Lippen die meinen. O Gott, wir taten es schon wieder.

Das war jetzt bereits der zweite Kuss in drei Tagen, dabei war ich vorher noch nie geküsst worden. Ich war nicht der Typ Mädchen, den Jungs ansprachen. Vielleicht durch meinen eher praktischen Pagenkopf. Vielleicht weil ich ein bisschen schlauer war als die meisten anderen Schüler am College. Vielleicht aber auch, weil Colin ständig in meiner Nähe war.

Und wie schon am Samstag war dieser Kuss einfach … einfach …

Der Schulgong ertönte und ich erschrak so heftig, dass meine Stirn gegen seine knallte.

Wir torkelten auseinander, jeder rieb sich die Stirn.

»Entschuldige«, sagte Colin und lächelte schief.

»Schon okay«, murmelte ich und wusste nicht, wofür genau er sich entschuldigte.

»Ich denke, das sollten wir bald einmal wiederholen.«

Ich sah auf, direkt in sein lächelndes Gesicht, und schluckte. Genau das hatte ich vermeiden wollen und dennoch hatte ich nichts getan, um es zu verhindern. Was war nur los mit mir? In meinem Magen bildete sich ein Loch, ähnlich dem Gefühl, wenn man Hunger bekam. Allerdings war das kein Hungergefühl, das man mit Fish and Chips hätte bekämpfen können. Ich wusste nicht, ob es überhaupt etwas gab, das es füllen würde.

Er griff nach meiner Hand und verschränkte unsere Finger. »Wir haben eindeutig viel zu lange damit gewartet.«

Ich wollte etwas erwidern, aber meine sonstige Redegewandtheit hatte mich komplett im Stich gelassen. Colin schien jedoch keine Probleme damit zu haben. »Ich kann es immer noch nicht glauben«, sagte er. »Aber ich sehe dich völlig normal, wenn ich dich berühre. Das hat wohl der Kuss ausgelöst.« Er wirkte dabei so froh, wie ich ihn sonst nur erlebte, wenn wir mit seinem Hund im Wald unterwegs waren.

Unbefangen, erleichtert, heiter. Ich fühlte das Loch in meinem Magen noch größer werden.

»Du siehst es nicht mehr?«, fragte ich schließlich dumpf. Colins Geheimnis begleitete ihn nun schon seit nahezu acht Jahren. »Wieso nicht? Ist das nicht ungewöhnlich?«

»Du fragst mich allen Ernstes, ob es nicht ungewöhnlich ist, dass ich keine Zukunftsvisionen mehr habe?«

Colin sah mich mit hochgezogenen Brauen an.

»Ja. Für dich ist es ungewöhnlich …«

»Sagt die angehende Physikerin, die sonst immer alles wissenschaftlich erklärt haben muss«, unterbrach er mich noch immer grinsend.

»Du weißt genau, dass ich deine Visionen immer ernst genommen habe und das auch ohne wissenschaftlichen Beweis.«

Jetzt war ich beleidigt. Wieso musste nur jeder auf meiner Vorliebe für Erklärungen herumreiten?

»Ich würde gern wissen, wieso du auf einmal von jetzt auf gleich keine Visionen mehr hast. Wie kann das so plötzlich abhandenkommen? Setzen Lippen eine chemische Reaktion frei?«

Colin rollte mit den Augen und seufzte laut.

»Mere, hörst du dich reden? Du analysierst schon wieder. Ich genieße es einfach. Die Bilder sind ja auch nicht gänzlich verschwunden. Ich sehe sie nur anders. Ich habe gestern Morgen Mum umarmt und ihr einen Kuss gegeben. Das Bild, das ich dabei sah, zeigte sie ganz normal, wie ich sie täglich sehe. Zum ersten Mal seit acht Jahren hatte ich sie nicht mit eingefallenem Gesicht, fehlenden Zähnen und Schläuchen in den Armen vor Augen. Bei Theo das Gleiche. Ich berührte ihn und sein Bild zeigte mir nur sein unverändert süffisantes Grinsen. Zwar nicht am Esstisch, an dem er eigentlich saß, sondern im Garten und in anderen Klamotten, aber immerhin.«

Ich verdrehte die Augen. Was Colin freundlicherweise als »süffisant« bezeichnete, nannte ich »hämisches Frettchengesicht«. Seinen Bruder Theodor wollte ich auch, ohne Visionen von Sterbenden zu haben, nicht anfassen.

Doch Colins Aussage schockierte mich. Nicht, dass ich es mir für ihn nicht wünschte. Seine eigene Mutter altersschwach mit Schläuchen an den Armen auf dem Sterbebett liegen zu sehen kam sicherlich einem Albtraum gleich. Oder Theodor – egal wie wenig ich ihn mochte – als erwachsenen Mann mit entstelltem Gesicht und starrem Blick in einer fremden Umgebung vor sich zu haben. Das Fehlen der schrecklichen Zukunftsvisionen war ungewöhnlich für Colin und verursachte mir eine Gänsehaut.

»Aber sonst ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich besorgt.

»Es ging mir nie besser«, verkündete er, schulterte seinen Rucksack und griff mit der freien Hand nach meiner.

Ich entzog sie ihm. Colin sah mich stirnrunzelnd an.

Verlegen räusperte ich mich. »Lässt du mich bitte erst mal über die ganze Sache klar werden, Colin? Das war alles sehr … sehr plötzlich für mich.«

Ich sah ihn schlucken und konnte nicht sagen, ob er es wirklich verstand oder gar enttäuscht war. Das sollte er nicht sein. Ich wollte ihn nicht enttäuschen.

»Du hast mich damit überrascht«, versuchte ich mich zu verteidigen. Ich nahm meinen Rucksack an mich und wollte ihn gerade aufheben, doch er flutschte mir durch die Finger und der Inhalt verteilte sich über den Boden.

Typisch, dachte ich und bückte mich, um alles mit fahrigen Bewegungen zusammenzuraffen. Wieso passten die Hefte und Bücher schon wieder nicht hinein? Sie hatten doch vorher gepasst.

Colin kniete sich neben mich, griff nach den Büchern und sortierte sie akribisch in den Rucksack hinein. Bei ihm passte alles wunderbar – wie bei Mum. Ich würde es wohl nie lernen. Das nervte mich. Das und dass ich nicht wusste, was Colin dachte.

»Heißt das, du magst mich nicht?«, fragte er leise, während seine Hände ein paar Kaugummi- und Bonbonpapierchen aufsammelten, die ebenfalls herausgekullert waren.

Ich starrte auf seinen Rücken. Das war so … unfair! Er wusste genau, dass ich ihn mochte. Das musste er wissen. Ich würde doch nicht zwölf Jahre lang beinahe täglich jede freie Minute mit jemandem verbringen, den ich nicht leiden konnte. Im Gegenteil! Theodor mochte ich nicht und das konnte jeder, der mich auch nur ein wenig kannte, direkt erkennen.

Colin war so was wie mein Seelengefährte. Er war das, was bei den meisten Mädchen die beste Freundin verkörperte. Nur, dass wir uns nicht über Jungs, Make-up oder Klamotten unterhielten. Daran hatte mir nie etwas gelegen – wie Rebecca und Shakti nie müde wurden mir vorzuhalten.

Mit Colin hatte ich den Wald erobert, Geschichten gelesen und nachgespielt, Filme geschaut. Wir hatten Experimente durchgeführt und die Bibliotheken durchstöbert, als wir das mit seinen Visionen entdeckten – und die anderen Fähigkeiten, die parallel zu den Visionen aufgetreten waren. Er hatte mir immer alles anvertrauen können. Immer. Aber das, was er am Samstag von sich preisgegeben hatte – beziehungsweise vorhin – , darüber hatte er nie ein Wort verloren.

Colin und ich hatten immer alles geteilt, uns alles erzählt.

Und trotzdem hatte es da etwas gegeben, das ich nicht gewusst, ja nicht einmal geahnt hatte.

»Colin, du weißt genau, dass ich dich mag.« Das Aber musste ich nicht hinzufügen. Das hörte er heraus.

Colin richtete sich auf und sah mir direkt ins Gesicht. »Aber nicht so?«

»Nein«, sagte ich und korrigierte mich sofort. »Vielleicht. Ich bin … überrascht. Ich meine, du hattest genügend Zeit, dir darüber Gedanken zu machen, und ich …«

»… und du hast mich immer nur als eine Art Bruder gesehen?« Colin richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

Wie immer, wenn er das tat, fühlte ich mich richtig klein. Colin war groß. Größer als die meisten Schüler am College.

Ich war mit meinen 1,72 Meter ziemlicher Durchschnitt, Colin jedoch ragte mehr als einen ganzen Kopf über mich hinaus. Meistens machte er sich ein bisschen kleiner als er war, damit es nicht so extrem auffiel, aber wenn ihn etwas ärgerte, reckte er sich. Das war noch nicht oft vorgekommen. Genau genommen erinnerte ich mich an zwei Situationen. In unserem dritten Jahr in der Grundschule – schon damals hatte er alle überragt – hatten ein paar Jungs die kleine Sarah Atkins verprügelt. Colin hatte sich dazwischengeworfen, die Jungs auseinandergezogen und sich dann zu voller Größe aufgerichtet. Da war er zum ersten Mal mit Respekt behandelt worden, weil er sich bis dahin immer nur geduckt und so ruhig verhalten hatte.

Beim zweiten Mal hatte ein älterer Schüler Shakti beleidigt. Das war bereits in der Secondary School gewesen. Der Idiot hatte sie eine indische Schlampe genannt und ihr Sachen an den Kopf geworfen, die niemand von uns je wiederholt hätte. Nicht einmal Rebecca. Als sich Colin vollkommen aufrecht vor Shakti stellte, hatte sich der Schüler sofort verkrümelt und seither einen weiten Bogen um uns gemacht.

Das hier war die dritte Situation. Und sie zeigte mir, wie aufgewühlt er war.

Ich fühlte mich mit einem Mal furchtbar mies. Aber Moment, warum sollte ich mich mies fühlen? Ich hatte ihn doch nicht um diesen Kuss gebeten!

»Colin, du bist mein bester Freund«, sagte ich verzweifelt. »Du hast beschlossen, dass daraus mehr werden soll, und ich bin einfach überrumpelt worden. Ich habe Angst, dass du unsere Freundschaft dadurch aufs Spiel setzt.«

Hinter mir klirrte es. Erschrocken drehte ich mich um. Ein Reagenzglas lag in seiner Holzfassung zerbrochen am Boden. Die darin enthaltene Flüssigkeit verbreitete eine größere Pfütze, als man nach dem Glas zu urteilen hätte annehmen können. Hier trat Colins zweite Fähigkeit zu Tage. Er konnte manche Gegenstände bewegen, ohne sie zu berühren. Nicht alle, aber sehr viele. Warum einige nicht, hatten wir noch immer nicht herausgefunden.

»Lass uns lieber rausgehen«, sagte Colin und öffnete die Tür.

O ja. Colin war definitiv aufgewühlt. Es war wirklich besser, das Labor schnell zu verlassen. Im Regal neben der Tür befanden sich noch viel mehr gefüllte Reagenzgläser.

2. Kapitel

Ich stand den ganzen Vormittag über neben mir. Die Geschehnisse im Labor wollten nicht in meinen Verstand und aus meinen Gedanken heraus.

Ich konnte in Chemie nicht die Eigenschaften von Benzol benennen und bei der Integralrechnung in Mathe versiebte ich die Aufgabe. Dinge, die ich normalerweise im Schlaf beherrschte.

Der Gong zur Mittagspause war Fluch und Segen zugleich. Ich liebäugelte zum ersten Mal in meinem Leben damit, mich krank zu stellen und nach Hause zu gehen. Aber dann würde Colin darauf bestehen, mich zu begleiten. Und die Lehrer würden das unterstützen, weil er mich immer nach Hause brachte. Was es nicht besser machte. Also trottete ich brav zur Cafeteria und belud mein Tablett mit dem üblichen Sandwich und Salat.

»Mann, war das ein Gewitter am Samstag.« Rebecca schien unseren morgendlichen Zusammenstoß vergessen zu haben und setzte sich mit ihrem mitgebrachten veganen Essen an unseren Tisch. »Als ich nach Hause kam, lag mein -Regal am Boden. So sehr hat’s gescheppert.«

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