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Es gibt doch nichts Schöneres als Familie … oder? Im heiteren Familienroman »Die Zweisteins – Familie formt den Charakter« von Bestseller-Autorin Regine Kölpin zieht Juna Zweistein mit ihrer eigenwilligen Familie in einen verschlafenen Küstenort an der Nordsee, um ihr Erbe, ein ziemlich marodes Hotel, anzutreten. Da sind Turbulenzen vorprogrammiert … Juna Zweistein ist Feuer und Flamme, als sie das alte Hotel ihrer Tante erbt, das im beschaulichen Tulpenboom an der Nordsee gleich neben dem Leuchtturm steht. Leider ist ihre Familie nicht ganz so begeistert: Bänker Matthis hängt an seinen Gewohnheiten, und für Teenager-Tochter Leona ist es eine Zumutung, aus Wilhelmshaven aufs Dorf ziehen zu sollen. Lediglich der 13-jährige Friedrich mit seinem Faible für Geschichte kann Tulpenboom etwas abgewinnen. Doch auch die Tulpenboomer sind sehr dafür, dass alles haargenau so bleibt, wie es ist. Inklusive des ungenutzten, renovierungsbedürftigen Hotels. Aber Juna setzt sich durch, und so starten die Zweisteins in ein neues Leben voller stürmischer Momente, in dem sie wohl oder übel alle an einem Strang ziehen müssen ... Heiterer Familienroman mit ganz viel Nordsee-Flair Wie die Zweisteins sich nach und nach in Tulpenboom einleben und gemeinsam so manche Herausforderung meistern, erzählt der Familienroman mit warmherzigem Humor. Dabei fängt Regine Kölpin, die selbst an der Nordsee lebt, die liebenswerten Eigenheiten Frieslands ebenso ein wie den Charme der kleinen Küstenorte und die Schönheit der Natur. Aus diesem Grund ist das Buchauch perfekt als Urlaubslektüre geeignet und genau das Richtige für alle, die sich (mit oder ohne Familie …) an die Nordsee träumen möchten.
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Seitenzahl: 362
Veröffentlichungsjahr: 2025
Regine Kölpin
Familie formt den Charakter
Roman
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Es gibt doch nichts Schöneres als Familie … oder?
Im heiteren Familienroman »Die Zweisteins – Familie formt den Charakter« von Bestseller-Autorin Regine Kölpin zieht Juna Zweistein mit ihrer eigenwilligen Familie in einen verschlafenen Küstenort an der Nordsee, um ihr Erbe, ein ziemlich marodes Hotel, anzutreten. Da sind Turbulenzen vorprogrammiert …
Juna Zweistein ist Feuer und Flamme, als sie das alte Hotel ihrer Tante erbt, das im beschaulichen Tulpenboom an der Nordsee gleich neben dem Leuchtturm steht. Leider ist ihre Familie nicht ganz so begeistert: Bänker Matthis hängt an seinen Gewohnheiten, und für Teenager-Tochter Leona ist es eine Zumutung, aus Wilhelmshaven aufs Dorf ziehen zu sollen. Lediglich der 13-jährige Friedrich mit seinem Faible für Geschichte kann Tulpenboom etwas abgewinnen. Doch auch die Tulpenboomer sind sehr dafür, dass alles haargenau so bleibt, wie es ist. Inklusive des ungenutzten, renovierungsbedürftigen Hotels. Aber Juna setzt sich durch, und so starten die Zweisteins in ein neues Leben voller stürmischer Momente, in dem sie wohl oder übel alle an einem Strang ziehen müssen ...
Heiterer Familienroman mit ganz viel Nordsee-Flair.
Wie die Zweisteins sich nach und nach in Tulpenboom einleben und gemeinsam so manche Herausforderung meistern, erzählt der Familienroman mit warmherzigem Humor. Dabei fängt Regine Kölpin, die selbst an der Nordsee lebt, die liebenswerten Eigenheiten Frieslands ebenso ein wie den Charme der kleinen Küstenorte und die Schönheit der Natur. Aus diesem Grund ist das Buch auch perfekt als Urlaubslektüre geeignet und genau das Richtige für alle, die sich (mit oder ohne Familie …) an die Nordsee träumen möchten.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
September
Nachwort und Danksagung
Es roch abstoßend.
Juna Zweistein konnte noch nicht einmal sagen, nach was es stank. Ein bisschen süßlich, ein wenig nach Sauerkraut und Bohnen und ganz tüchtig nach Kloreiniger.
Eine interessante Mischung für ein Erbe, schoss es ihr durch den Kopf. Ob ihre Tante sich das so vorgestellt hatte?
Hey, ich vermache meiner Nichte ein Gemäuer, dessen vorherrschender Duft dem meines Lieblingsklosteins gleicht.
»Ach, Tant Mine, was hast du dir bloß dabei gedacht?«, murmelte Juna und zupfte an einem verschlissenen Deckchen, das den Mottenlarven offensichtlich wunderbar geschmeckt hatte.
Sie ließ ihren Blick weiter schweifen. Alles war dreckig und heruntergekommen, in den Ecken klebten graue Spinnweben, die sich unter der Staublast zu fantasievollen Gebilden geformt hatten und dem Raum einen eigenartigen Charme verliehen.
Die Gardinen waren in den 1970er-Jahren sicher einst modern und schick gewesen. Jetzt hingen sie zerschlissen und verblasst an den Kiefernstangen und flehten Juna förmlich an, endlich abgenommen zu werden, um ihr trauriges Dasein zu beenden.
Es gibt für mich keinen Weg, das Erbe anzunehmen, auch wenn es bedeutet, dass der Schafzüchterverein das einst schöne HotelLinde erben wird, schoss es Juna durch den Kopf. Es muss von Grund auf saniert werden, bevor es wieder als Hotel fungieren kann. Wer soll das machen, und vor allem, wann soll ich das tun?
Dennoch konnte Juna den Blick nicht von den Räumen lassen.
Das ganze Gemäuer strahlte im ersten Moment eine unfassbare Tristesse aus, aber als sich die Sonne kurz durch die verschmutzten Fenster mogelte, die Staubkörner beinahe lustig vor sich hin tanzten, als würden sie Juna bitten, dem Ganzen doch eine Chance zu geben, wandelte sich ihre Sichtweise für einen Moment.
»Dem Ganzen eine Chance geben«, wiederholte sie ihre Gedanken laut.
Plötzlich sah sie die alten Möbel, deren Lack zwar an vielen Stellen abgebröckelt war, die aber dem Raum eine besondere Note gaben, mit ganz anderen Augen.
Etwas Nachhilfe, und sie würden wunderschön aussehen.
Juna entdeckte das Fischgrätparkett, dem ein Abschliff und eine vernünftige Versiegelung zu neuem Glanz verhelfen würden, sodass der Raum dadurch edel, ja, fast elegant wirken könnte. Ihr fiel der Stuck der Zimmerdecke auf, dem einfach nur ein frisches Weiß fehlte, um ihn fast königlich wirken zu lassen. Und wie wundervoll waren die einst weiß gestrichenen Sprossenfenster, auch wenn die Farbe überall bröckelte.
In dieser Sekunde verliebte Juna sich in das Gemäuer.
Es war nicht marode. Tant Mine hatte ihr einen wertvollen Schatz hinterlassen, der nur darauf wartete, von ihr mit jedem Detail entdeckt zu werden. Genau das hatte ihre Tante mit dem Erbe bezweckt.
Juna hörte die dunkle und immer angenehme Stimme ihrer Tante, und einen Moment lang wurde ihr warm ums Herz. Ja, sie hatten sich sehr gemocht. Leider hatte Juna in letzter Zeit selbst viel um die Ohren gehabt und nur wenig Zeit mit ihr verbracht. Und dann, ja, dann gab es Tant Mine einfach nicht mehr.
Aber sie hatte ihr dieses Hotel hinterlassen. Mit allem, was dazugehörte – und das war leider auch eine Menge Mist.
»Wenn ich mal nicht mehr bin, Juna, dann wird dir die Linde gehören, denn du bist die Einzige, der ich zutraue, dass du aus dem Laden richtig was machst. Du kannst das!«
Juna glaubte noch immer, Tant Mine sprechen zu hören.
Sie zuckte zusammen, weil es von irgendwoher knisterte.
Ihr war, als riefe ihr der Riss in der Wand zu, sie möge sich seiner annehmen und bitte nicht fortlaufen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, der tropfende Wasserhahn in der Küche würde förmlich danach schreien, repariert zu werden.
»Ich mag das Haus«, entfuhr es Juna, als sie versonnen über die Tischkante strich und prompt an einer Kante hängen blieb. »Es hat eine Seele, und es möchte wieder atmen und schön sein.«
»Nicht dein Ernst!« Mist, ihr Mann Matthis, den sie noch in der Abstellkammer neben der Küche wähnte, hatte ihre Worte vernommen und starrte sie mit vor Schreck geweiteten Augen an. »Das ist eine Bruchbude, die man nur abreißen kann.«
Warum sich in Juna nun der Widerstand massiv regte, konnte sie gar nicht sagen. War es die Tatsache, dass Matthis immer genau wusste, was richtig und was falsch war, und sich die Familie stets nach seinen Vorstellungen richtete? Oder war es die kurz aufgeploppte Idee, dieses alte Hotel wäre endlich mal etwas für sie ganz allein? Juna war sich plötzlich sicher, dass Tant Mine genau das im Sinn gehabt hatte. Immerhin war Juna ausgebildete Hotelfachfrau und wusste durchaus, wie es laufen musste.
»Erde an Juna?« Matthis stieß sie scherzhaft an. »Du überlegst nicht ernsthaft, das Erbe anzutreten, oder?«
Juna war über sich selbst überrascht, als sie sich antworten hörte: »Doch, Matthis. Aus dem Hotel kann ich was machen! Es ist ein Kleinod, denk nur an die wunderbare Lage!«
Matthis seufzte so laut, dass Juna befürchtete, die marode Decke könnte zu rieseln beginnen, weil sie diesem hohen und langen Ton nicht gewachsen war.
»Die wunderbare Lage?«, wiederholte Matthis. »Da drüben hat ein Bestatter sein Unternehmen!« Er wies auf die gegenüberliegende Straßenseite. »Das ist doch geschäftsschädigend.«
Juna presste die Lippen aufeinander.
Ja, dort lebte Familie Kaltfinger, die ihr Geschäft in der dritten Generation innehatte. Und sollte sich deren Sohn Paul, den Juna noch in Windeln kannte, dazu durchringen, das Bestattungsunternehmen weiterzuführen, wäre schon die vierte am Start. Das hatte Tant Mine wieder und wieder stolz erzählt. In Tulpenboom war man verwurzelt, nur wenige verließen das Dorf.
Juna mochte die Kaltfingers, auch wenn sie ihr stets etwas unheimlich gewesen waren. Der Seniorchef Heinrich hatte ihr oft Bonbons oder, wie man in Norddeutschland gern sagte, Bonschen zugesteckt. Allerdings musste Juna sie auf Anraten von Tant Mine immer wegwerfen, weil sie unsicher war, was er sonst so anfasste. Er hatte das Geschäft jedenfalls an seinen Sohn Mark weitergegeben.
Der Juniorchef war bei Junas und Matthis’ Ankunft gerade zu einem neuen Kunden losgefahren, und als Juna nun aus dem Fenster schaute, sah sie, dass er mit der eingesammelten Fracht im Eichensarg zurückkam. Er verschwand in Windeseile im Hinterhof.
Juna sah die Kaltfingers mit zunehmendem Alter allerdings gelassener als zu ihrer Kindheit. In den Genuss dieser Dienstleistung kam am Ende halt jeder.
Gut, das Schild im Schaufenster war etwas geschmacklos, und was Juna mit ihrem Deutsch-Leistungskurs schon immer gestört hatte, war die fehlende Metrik.
In geschwungenen Lettern war dort auf einer Kinderschultafel, umgeben von Urnen verschiedenster Art und Farben nebst Särgen in Spielzeuggröße, zu finden:
Gestorben wird immer,
bei uns mit besonderem Schimmer!
Juna hoffte inständig, dass der momentane Junior dieses Schild bald gegen ein zeitgemäßesaustauschte. Wenn sie erst das Hotel neu eröffnete, wäre es super, ihre Gäste in einem feinen Umfeld zu wähnen. Und mit Blick auf anspruchsvolle Werbung.
Da musste sie Matthis insgeheim recht geben. Ein Bestattungsinstitut in unmittelbarer Nachbarschaft eines zukünftigen schicken Hotels hatte wenig Vertrauenerweckendes.
»Dann diese Häuser daneben«, riss Matthis Juna erneut aus ihren Gedanken.
»Was hast du daran auszusetzen?«, fragte sie. »Links wohnt Frau Müller-Meyer, rechts Frau Schulze-Schmidt.«
Matthis antwortete nicht, wobei Juna auch so wusste, dass er von den völlig überfrachteten Fenstern, die unter der Dekolast zusammenzubrechen drohten, sprach. Sie waren mit allem möglichen Tand vollgestellt und mit diesen Retro-Window-Color-Bildchen zugeklebt, sodass man von drinnen sicher die Straße nicht mehr erkennen konnte.
Was mit einem Wohnsitz in Bestatternähe sicher manchmal von Vorteil war. In Tulpenboom war ohnehin so wenig los, dass es nicht einmal etwas zu tratschen gab, wenn man einen Blick auf die Straße hatte.
Zum Glück kannte Matthis die andere Geschichte nicht, er hätte nur noch fassungslos den Kopf geschüttelt. Es ging um das große Geheimnis, das gar keines war, weil ganz Tulpenboom davon wusste, und unter der Hand bestimmt bis heute diskutiert wurde.
Juna erinnerte sich nur zu gut an Tant Mines Erzählungen, denn damit hatte es tatsächlich mal was gegeben, das es weiterzugeben lohnte.
Frau Schulze-Schmidt war in dritter Ehe verheiratet.
Dies zum zweiten Mal mit einem Herrn Schmidt. Es wurde gemunkelt, dass sie ihn nur genommen hatte, weil sie dann ihren Bindestrich-Emanzennamen nicht ändern musste.
Den ersten Herrn Schmidt hatte Herr Kaltfinger in einer sehr ergreifenden Zeremonie mittels einer Seebestattung ganz würdevoll auf seinem letzten Weg begleitet, und er ruhte nun auf dem Wattboden, umgeben von den Nordseewellen.
Jedenfalls fand Frau Müller-Meyer, nachdem auch ihr Gemahl das Zeitliche gesegnet hatte (er war allerdings ihre erste Wahl), die Idee super, den Namen nicht grundsätzlich durch eine Wiederverheiratung ablegen zu müssen, sodass sie sich kurzfristig für einen namensgleichen Nachfolger entschieden hatte und auf diese Weise plante, weiter Müller-Meyer zu heißen.
Das war allerdings gehörig schiefgegangen.
Juna erinnerte sich an das hämische Gesicht von Tant Mine, als sie ihr von dem Fauxpas berichtet hatte.
Der zweite Gemahl von Frau Müller-Meyer hieß zwar wie ihr zweiter Namensteil, aber er schrieb sich anders als der ihres ersten Gemahls, nämlich mit i statt y. Also nicht Meyer, sondern Meier.
Frau Müller-Meyer schickte also den zweiten Herrn Meier wegen der falschen Schreibung zum Teufel, denn sie verspürte keine Lust auf einen bürokratischen Papierkrieg.
Nun lebte sie in wilder Ehe mit Herrn Sensemann, den sie laut Tant Mine auf keinen Fall heiraten wollte, denn die damit einhergehenden Assoziationen wollte sie niemandem im Dorf zumuten. Frau Müller-Meyer-Sensemann wäre einfach zu viel gewesen.
Herr Sensemann kam aus dem Pott und wurde von allen ohnehin nur Schorsch gerufen, und so lebte ganz Tulpenboom im stillen Einverständnis mit dieser Entscheidung. Eben weil man im Norden für einfache Lösungen war.
»Wir haben ja kein Mittelalter mehr«, hatte Tant Mine immer gesagt. »Da geht auch bei uns eine wilde Ehe.«
Juna musste innerlich selbst darüber lachen, dass ihr nun diese Alltagsbanalitäten wieder einfielen, obwohl es schon über ein Jahr her war, dass Tant Mine ihr davon erzählt hatte. Und dass es die immer gleichen Geschichten gewesen waren – eben weil es in diesem Dorf kaum eine Veränderung gab und man sich sogar beim Klatsch an die herkömmlichen Dinge halten musste.
»Du bist so tief in deine Gedanken versunken, ich schau mich mal weiter um«, hörte Juna Matthis sagen. »Mal sehen, ob ich auch nur ansatzweise etwas finde, was mir klarmacht, welchem Charme du gerade erliegst.«
»Mach das, ich muss mich erst weiter sammeln«, gab Juna zur Antwort. Sie öffnete ein Fenster und wandte den Blick nach rechts.
Dort schlurfte gerade Johann van der Broken entlang. Der alte Herr war eine gute Seele, und er trug seine Schuhe stets verkehrt herum, weil er der Ansicht war, seine Füße würden mit dieser Schuhstellung immerzu lächeln, und das bräuchte die Welt heutzutage.
So waren sie, die Tulpenboomer. Eigenartig, aber auch liebenswert. So nach und nach würde sie sich Juna wieder ins Gedächtnis rufen. Sollte sie das Hotel übernehmen, wären die Dörfler ein Teil ihrer Gäste, denn sie würden ihre Versammlungen hier abhalten, Hochzeiten feiern und einen üppigen Leichenschmaus einnehmen. Ohne den und ein paar Korn wurde in Tulpenboom niemand in die ewigen Jagdgründe entlassen.
»Juna, komm mal gedanklich wieder runter!« Matthis hatte seine Runde beendet. »Ich bin durch diese Bruchbude gegangen, habe keinen positiven Aspekt gefunden und denke, wir verlassen nun die heiligen Hallen, um uns zurück in unser gemütliches Zuhause zu begeben. Ein Zuhause ohne Spinnweben und abgebröckelten Putz.«
Juna schloss das Fenster. Danach hatte sie den Griff in der Hand.
»Wir müssten Unsummen reinstecken«, fuhr Matthis fort. »Ob das Hotel dann laufen würde, wissen wir doch gar nicht. Tulpenboom ist ein winziges Dorf ohne die nötige Infrastruktur, die wichtig ist, wenn man mit einem solchen Objekt Erfolg haben möchte. Der Ort ist, entschuldige bitte meine Direktheit, vollkommen verpennt. Wer bitte sollte hier Urlaub machen? Kein Wunder, dass Tant Mine die Linde schon vor drei Jahren aufgegeben und sie am Ende nur noch für Vereinsfeierlichkeiten zur Verfügung gestellt hat, bevor sie ganz schließen musste.«
Juna schob die Unterlippe vor und wies zum Fenster an der Stirnseite des Raumes. Von dort hatte man einen wunderbaren Blick über die Hauptstraße von Tulpenboom, die direkt zu einem pittoresken Hafen mit kleinen Kuttern und dem rot-weiß gestreiften Leuchtturm führte. Am Kai standen drei Einheimische und schauten den Fischern dabei zu, wie sie ihre Kutter zum Auslaufen fertig machten. Gleich würden sie im Hafencafé von Hanna Siebenkorn einen echten Ostfriesentee zu sich nehmen und dabei Apfelkuchen mit Sahne verzehren. Mehr Sorten gab es dort mangels Abnehmern nicht.
Wie lange war Juna nicht in Tulpenboom gewesen, und wie lange war es her, dass sie all das selbst genossen hatte? Tant Mine war die letzten sechs Monate ihres Lebens im Heim gewesen, und auch davor hatte Juna Tulpenboom nicht oft und nur kurz besucht.
Weil Matthis grundsätzlich recht hatte und es hier in der Tat etwas … ruhig war.
Juna hatte fast vergessen, wie ansprechend es hier aussah – und wie glücklich sie als Kind bei Tant Mine gewesen war.
»Gerade diese Abgeschiedenheit ist doch das, was viele mögen«, wandte Juna ein. »Es kommen ab und zu ein paar Radfahrer hierher, und ich bin davon überzeugt, sie würden in Tulpenboom übernachten, wenn es möglich wäre. Tant Mine hat das Hotel wegen ihres Alters halt vor zwei Jahren ganz schließen müssen, aber nun könnte ich es mit neuem Leben erwecken!«
Mit jedem Wort verstärkte sich Junas Willen, nicht sofort klein beizugeben.
»Das Ding taugt nur noch zum Abreißen.« Matthis machte einen Schritt in die Diele und klopfte gegen das marode Holzgeländer, das sich mit den vielen Lücken in den Streben recht abenteuerlich nach oben wand.
Juna schmerzte bei seinen Worten der ganze Körper. »Tant Mines Linde wird nicht abgerissen. Sie hat sie mir vermacht, und deshalb werde ich mein Erbe antreten. Das hier wird ein Schmuckstück. Ein Kleinod sondergleichen. Du wirst schon sehen!«
Ihr Mann runzelte kopfschüttelnd die Stirn. »Unser Lebensmittelpunkt ist die Stadt. Bis Tulpenboom fahren wir über eine halbe Stunde. Das allerdings nur bei Übertretung der Geschwindigkeit.«
»Leonie und Friedrich werden das Landleben lieben«, widersprach Juna. Ihr Blick schweifte erneut durch das verschmutzte Fenster in den Garten, der wie eine Parkanlage rund um das alte Hotel angelegt war. Sie könnten im Sommer draußen sitzen und nicht in der Etagenwohnung vor sich hin welken, wenn die Sonne unbarmherzig auf die Stadt knallte und alles unter der Hitze zu ersticken drohte. Gut, an der See war das ein eher seltener Umstand, aber die Vorstellung, einen Garten und eine Terrasse zu haben, gefiel Juna trotzdem.
Matthis schaute sie an, als wäre er mit einem Alien verheiratet und würde dessen Sprache nicht verstehen.
»Juna! Sie sind Stadtkinder! Wie sollten sie es denn cool finden, plötzlich auf dem Dorf zu leben, mitten in der Nacht aufstehen zu müssen, damit sie den Schulbus erreichen, und ihre Freunde kilometerweit entfernt leben? Das hier ist eine Schnapsidee!«
In Juna sträubte sich alles gegen Matthis’ Argumente, obwohl sie wusste, dass er prinzipiell recht hatte.
Sie war jedoch bereits jetzt davon überzeugt, dass die alte Linde unter ihren Händen zu neuer Schönheit erblühen und zu einem Touristenanziehungspunkt werden könnte. Endlich hätte sie nach den langen Jahren der Familienarbeit wieder eine Aufgabe, die sie ausfüllen würde.
»Friedrich und Leonie gehen immer mehr ihre eigenen Wege, und in ein paar Jahren sind sie aus dem Haus. Es wird Zeit, mir schon jetzt eine Aufgabe zu suchen, die mich ausfüllt. Ich kann ja nicht nur Socken waschen.«
Matthis runzelte die Stirn. »Dann bewirb dich auf eine Arbeitsstelle in deinem alten Beruf, aber bitte versteige dich nicht zu etwas, das Unsummen an Geld verschlingt!«
»Manchmal muss man eben mutige Entscheidungen treffen, das behauptest du doch selbst auch ständig.«
Jetzt zog Matthis ein vermeintliches Ass aus dem Ärmel, das Juna tatsächlich zusammenzucken ließ.
»Was ist mit Bienchen? Die wohnt hier nicht um die Ecke.«
Juna schluckte.
Bienchen hieß eigentlich Maja Boltenberg, und sie waren seit ihrem fünften Geburtstag wie Pech und Schwefel. Ihr Name rührte daher, dass sie gern Dinge beim Sprechen verkleinerte, der Diminutiv war ihr ständiger Begleiter. Aus Maja wurde nach dem bekannten Lied von Karel Gott die Biene und daraus dann eben das Bienchen.
Gemeinsam hatten sie jeden Liebeskummer bewältigt, jede schulische Hürde überwunden und Junas Kinder oft zusammen betreut. Bienchen war natürlich bei beiden Patentante. Sogar die pubertären Entgleisungen von Leonie und jetzt auch von Friedrich waren zu zweit wunderbar zu bewältigen. Zwischen Bienchen und Juna passte kein Blatt.
Zog Juna aber nach Tulpenboom, würde es eine Distanz von zwanzig Kilometern zwischen ihnen geben. Vorbei war es mit einem spontanen Klönschnack oder einem Filmabend mit den wunderbarsten Schmonzetten, die Matthis schon drei Tage vorher dazu veranlassten, sich an diesem Tag ein außerhäusliches Ereignis zu gönnen. Männersauna, ein Fußballspiel oder ein Kneipenabend mit seinen Freunden.
Juna müsste für derartige Aktivitäten mit dem Auto fahren, und es war an allen fünf Fingern abzuzählen, dass sie sich deswegen weniger treffen würden. Bienchen war faul, sie mochte es nicht, weite Wege zu haben. Juna würde zudem viel und auch am Abend arbeiten müssen. Das Hotel in Schwung halten …
»Na, jetzt kommst du doch ins Überlegen«, meinte Matthis zufrieden, weil er wohl davon ausging, dass Juna nun einsichtig war.
»Dafür finden wir eine Lösung. Wo ein Wille, da ein Weg«, tat Juna kund. Sie strahlte Matthis an. »Trete ich das Erbe nicht an, bekommt der Schafzüchterverein das Hotel! Das kannst du nicht wollen.«
»Immerhin können die Wolltierchen eben hier feudal übernachten«, knurrte Matthis. »Für die wäre das Hotel bestimmt eine Steigerung ihres bisherigen Aufenthaltsortes.«
Juna umfasste sein Handgelenk. »Ich erbe nur, wenn ich die Linde wieder zu einem Hotel umbaue. Tant Mine hat mir eine beträchtliche Summe für die Renovierung hinterlassen. Ich weiß nicht, woher sie einen solchen Reichtum hat, aber der Anwalt sagt, es ist alles in Ordnung.« Sie schluckte. »Leider eben nur unter dieser einen Bedingung. Das Geld soll für die Umbaumaßnahmen verwendet werden, und ich bekomme es nur dann, wenn ich das Hotel übernehme.«
»Wer weiß, welche krummen Dinger sie so gedreht hat«, grummelte Matthis. »Bisschen drüber war sie ja immer.«
Juna biss sich auf die Unterlippe, denn in dem Punkt musste sie ihrem Mann recht geben. Tant Mine war stets behangen gewesen wie ein amerikanischer Weihnachtsbaum, und ihre Lebensgefährten hätten vom Aussehen her alle dem nächstbesten Drogenkartell entsprungen sein können. Alle mindestens zwanzig Jahre jünger, Goldkettchen, behaarte Brust und häufig Tattoos auf den Unterarmen. Ob blond oder dunkel war Tant Mine egal gewesen. Hauptsache, sie sahen aus wie Zuhälter. Juna hatte nie nachgefragt, wo sie diese Kerle immer aufgetrieben hatte, denn lange war nie einer an ihrer Seite gewesen.
Allerdings war ihr bei einem Blick auf Tant Mines Handy mal aufgefallen, dass sie tinderte. Im Alter von Mitte siebzig fand Juna das so schräg, dass sie es nie thematisiert hatte.
»Dann lasset die Schäflein kommen«, riss Matthis sie aus den Gedanken. »Gönn ihnen etwas mehr Liegekomfort! So viel Geld kann Tant Mine dir gar nicht vererbt haben, als dass es sich lohnt, es in diese Ruine zu stecken. Das lass dir gesagt sein.«
Sprach’s und stürmte hinaus.
Juna stemmte die Fäuste in die Hüften.
Nein, sie würde die Linde zu ihrem Hotel machen. Egal, ob Matthis das wollte oder nicht. Dieses eine Mal würde es nach ihrem Willen gehen. Sie musste nur noch zusehen, wie sie ihrer Familie diesen Entschluss so gut verkaufen konnte, dass sie einfach zustimmte.
Mama, das ist nicht dein Ernst!«
Junas sechzehnjährige Tochter Leonie pfefferte die Gabel neben den Teller. Immerhin daneben, sonst wäre die Tomatensoße samt Parmesan wohl gegen die Wand gespritzt. Dabei handelte es sich um Leonies Leibspeise. Vegetarisch, mit viel Knoblauch, selbst wenn die unmittelbare Umgebung wie ihre Familie später unter der Geruchsbelästigung litt. Die Soße kam nicht aus dem Tetrapack, sondern war von Muttern handpüriert und mit den geforderten Gewürzen und Kräutern versehen. Vorsichtig nahm Leonie die Gabel wieder in die Hand und leckte sie ab.
»Du willst ernsthaft das Hotel aufbauen, und ich und Friedrich sollen mit dir nach Tulpenboom ziehen?«, hakte sie noch einmal nach.
»Ja, aber Papa soll natürlich auch mitkommen. Es wird wunderbar, da haben wir immer frische Luft«, erklärte Juna.
Leonie verzog das Gesicht. »Merkste selbst, dass deine Argumentationskette etwas dürftig ist, oder?« Sie lachte bitter auf. »Falls ich frische Luft möchte, kann ich in den Stadtpark gehen. Oder das Fenster öffnen, wenn ich auf keine Staubpartikelfreiheit bestehe. So einfach ist das!«
Gut, das Argument war eben nicht das ausschlagkräftigste. Da musste Juna schon mit mehr aufwarten. »In Tulpenboom haben wir das Meer vor der Nase, die Fischkutter und einen so schönen Leuchtturm!«
Mehr fiel Juna gerade nicht ein, obwohl sie selbst merkte, dass sie auf verdammt dünnem Eis lief.
Leonie verdrehte die Augen. Das konnte sie so intensiv, dass sie damit im Zirkus hätte auftreten können und Juna jedes Mal befürchtete, sie könnten den Weg zurück in die Ausgangsposition nicht finden.
»So was kann ich mir auch auf einem Kalender ansehen. Nein, Mama, da bin ich außen vor. Mit mir keinen Umzug nach Tulpenboom! In dieses schrecklich langweilige Nest. Da möchte ich nicht einmal tot überm Zaun hängen.« Leonie strich sich die rote Haarsträhne, die sich seit gestern in ihrem sonst raspelkurzen schwarzen Haar befand, zurück.
»Leonie!« Juna verlegte sich aufs Flehen. »Schau dir das Hotel wenigstens mal an! Du warst zum letzten Mal vor über vier Jahren in Tulpenboom, da kannst du dich doch kaum erinnern! Bestimmt hat sich auch was verändert!«
Leonie begann lauthals zu lachen. »In Tulpenboom? Da soll sich was verändert haben? Mama! Das ist ein Dorf, was irgendwer irgendwann mal dahin gebaut hat, und seitdem sind allenfalls ein paar neue Dachpfannen dazugekommen. Oder ein Pott Geranien.«
Juna hatte gewusst, dass es schwierig werden würde, aber so sehr? Da half nur betteln. »Bitte! Nur gucken!«
Leonie legte den Kopf schief. »Ach Mama!«
Immerhin hielt sie kurz inne und dachte nach. Mit sechzehn Jahren gelang ihr das nicht immer reibungslos, meist schoss sie ohne zu überlegen wild mit ihren Worten um sich, sodass das Gegenüber so manches Mal befürchtete, in den Patronenhagel eines Maschinengewehres gekommen zu sein.
Jetzt presste sie die Lippen zusammen und rang sich schließlich ab: »Das ganze Unterfangen ist fast so, als sollte ich auf den Mond ziehen. Dort ist, außer dem besagten Mann da oben, genauso wenig los. Krater. Tristesse. Das große Nix.« Sie seufzte laut. »Okay, angucken kann ich es mir ja. Dir zuliebe. Aber es wird sinnlos sein.«
Juna war sehr erleichtert, wenigstens dieses kleine Zugeständnis bekommen zu haben. Für ihre Tochter, die im Augenblick meist den Anschein erweckte, als wüsste sie selbst nicht so genau, was sie gut fand und was nicht, war das schon eine ganze Menge.
Friedrich zu überzeugen würde um einiges einfacher sein. Er war leichter zu begeistern, und meist sah er in Veränderungen eine Chance und begann sofort enthusiastisch zu bohren, damit er sich ein genaues Bild der Lage machen konnte.
»Wann willst du mit uns in dieses Timbuktu am A… der Welt reisen?« Leonie angelte nach einer letzten Nudel, die sie noch nicht verschlungen hatte, und legte den Kopf in den Nacken, um sie in den Mund gleiten zu lassen. Am Ende häufte sie sich noch eine ganze Portion auf den Teller. »Bin echt hungrig«, kommentierte sie.
»Wie wäre es mit morgen Nachmittag?«, schlug Juna vor.
Es war strahlender Sonnenschein angekündigt. Immerhin wären die Farben der Kutter besonders bunt, und das Meer würde in der Sonne glitzern. Vielleicht beeindruckte Leonie diese Schönheit ja.
»Gut, dann haben wir es schnell hinter uns, und wir können uns wieder aufs Wesentliche konzentrieren«, stimmte ihre Tochter zu.
Leonie schaufelte sich die restlichen Spaghetti in den Mund.
Bienchen wartete im Le Petit und hatte einen Aperol Spritz vor sich stehen.
Wie immer umarmten sich die beiden Freundinnen, küssten sich rechts und links auf die Wangen und strahlten einander an wie zwei Elektrizitätswerke kurz vor dem Durchbrennen.
»Herzelein, du hast also dein Erbe in Augenschein genommen?«, fragte Bienchen gleich.
»Ja, und ich würde das Hotel wirklich gern übernehmen.«
Bienchen rührte das Getränk mit dem Strohhalm und spitzte die Lippen.
Sie wartete ab, bis Juna ihren Spritz ebenfalls geordert hatte, und sagte dann: »Das würde bedeuten, dass wir so wie jetzt nicht mehr oft zusammensitzen können, korrekt?«
»Wir finden Wege«, behauptete Juna. »Für mich ist das eine unglaubliche Chance, weißt du? Endlich hätte ich eine wirkliche Aufgabe, könnte in meinem Beruf tätig sein …«
»Der feministische Grundgedanke, auch in einer Ehe auf eigenen Füßen zu stehen, hat tatsächlich was«, gab Bienchen zu. »Obwohl ich dich lieber bei mir in der Nähe behalten würde. Was sagt dein Männchen?«
Juna mochte es nicht besonders gern, wenn Bienchen Matthis als Männchen titulierte, aber es war zwecklos, es ihr abzugewöhnen.
»Matthis ist nicht so begeistert, wie ich es gehofft habe«, gab Juna zu und wusste, dass es die Untertreibung des Tages war. »Er liebt das Stadtleben und unsere Wohnung.«
»Außerdem liebt er es, dass sein Frauchen brav auf ihn wartet, ihm nach Feierabend das Essen kredenzt und ihm die Kinder vom Hals hält.«
Juna wand sich, weil Bienchen recht hatte, es sich genauso verhielt und es blöd war, das zuzugeben.
»Er wird sich umstellen müssen«, meinte ihre Freundin. Sie verstummte, weil Junas Aperol gebracht wurde. »Nun trink erst mal was, Schätzchen. Danach können wir klarer sehen und alles genau abwägen.«
Juna liebte Bienchen für genau solche Sätze. Sich erst mal was Gutes tun und dann weiterschauen. Für sie gab es immer eine Lösung, egal, wie aussichtslos die Lage schien.
Juna saugte am Strohhalm und genoss den bittersüßen Geschmack.
Sie nickten zustimmend, als die Bedienung ihnen ein paar Nüsse auf den Tisch stellte. Vom Tresen her winkte Raphaël. Juna mochte den Barkeeper. Er war ein wunderbarer Zuhörer, und sie war sicher, dass er nie auch nur das kleinste Sterbenswörtchen von dem weitererzählte, was er im Le Petit hörte oder erlebte.
»So, jetzt haben wir es gemütlich an diesem kleinen Tischchen«, begann Bienchen, »und wir können in Ruhe alles von rechts nach links und wieder zurück kauen.«
Sie überlegten hin und her, welche Vor- und Nachteile Junas Entschluss hätte, und suchten nach Möglichkeiten, wie die Schwierigkeiten zu lösen wären.
Bienchen bestellte beiden einen weiteren Spritz.
»Der geht noch, bevor wir ins Bettchen müssen«, sagte sie.
Juna war das recht, denn sie fühlte sich nach dem Gespräch in dieser vertrauten Atmosphäre schon erheblich besser.
»Du musst das machen«, sagte Bienchen schließlich. »Es ist wichtig für dich. Manchmal denke ich, dass du ganz schön klein geworden bist. Also versteh mich nicht falsch. Du bist eine wunderbare Mutter, und du wuppst das Familienleben meisterlich. Aber wo bleibst du, Juna Zweistein?«
Juna nagte auf der Unterlippe. »Genau das ist mir in dem alten Gebäude durch den Kopf gegangen. Es war, als hätte mich das Hotel gerufen und als wollte es mir deutlich machen, dass ich mir neben der Familie etwas Eigenes aufbauen kann. Etwas, das mir Freude macht und mich fordert. Ja, sogar an meine Grenzen bringt.«
»Deine Kinder sind groß, und es war ein schöner Lebensabschnitt, für alle da zu sein«, bestätigte Bienchen Junas Überlegungen. »Die Zeiten ändern sich eben. Du musst doch Leonie nicht mehr hinterherräumen oder Friedrichs Hausaufgaben beaufsichtigen. Noch sind wir jung und – so was von dran!«
Juna legte den Kopf fragend schief. »Willst du mir auch etwas sagen?«
»Perhaps«, meinte Bienchen grinsend.
»Nein!« Juna schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Raus mit der Sprache.«
»Nicht nur in deinem Leben stehen Veränderungen an. Ich habe mir ein Lädchen zugelegt, in dem ich zukünftig dänische Designermode verkaufen werde. Die Arbeit im Kaufhaus hat mir nicht mehr gefallen.«
»Du willst eine Boutique eröffnen?«, fragte Juna.
»Jep, wir zwei werden fortan Geschäftsfrauen sein.« Bienchen gab sich zerknirscht. »Ich hatte voll Schiss, mit dir darüber zu reden. Weil du immer so enthusiastisch mit deinem Familienleben warst. Allerdings wohl nie ganz ehrlich, wenn ich nun höre, wie sehr dich das Hotel fesselt.«
»Ich habe selbst erst in diesem alten Gemäuer bemerkt, wie sehr es mir fehlt, etwas für mich zu tun, was Sinn ergibt«, erklärte Juna. »Als ich in diesem alten Haus stand, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.« Sie musterte ihre Freundin. »Wann bist du zu der Erkenntnis gekommen, dass etwas Neues passieren muss?«
Bienchen glitt ein breites Grinsen übers Gesicht. »Es war ähnlich wie bei dir. Ich bin an dem Lädchen vorbeispaziert, und da kam es mir vor, als würde es mich rufen. Kurzerhand habe ich mit dem Makler telefoniert und Nägel mit Köpfen gemacht. Da ich aber allein bin, musste ich keinem Menschen darüber Rechenschaft ablegen.« Bienchen nagte an der Unterlippe. »Du solltest es deinen Kindern anders schmackhaft machen. Ihnen deutlich sagen, wie viel mehr Freiheiten sie ohne die Gluckenmama hätten. Schließlich kannst du sie dann als Vollzeithotelierin nicht mehr ganztags überwachen.«
Juna grinste breit. »Ich glucke offenbar zu wenig, weil Leonie alles andere als begeistert von der Idee ist. Friedrich nimmt es sehr gelassen.«
»Bei ihr liegt das kleine Widerständchen wohl eher am Umzug«, resümierte Bienchen. »Kein Teenie will freiwillig aufs Land ziehen, wenn er die Süße und Lebendigkeit der Stadt lieben gelernt hat. Lass dir gesagt sein: Sie wird sich dran gewöhnen, und alles fügt sich. Immerhin hat sie bald eine ausgeglichene und glückliche Mutter.«
»… die verlangen wird, dass die Prinzessin die Küche selbst aufräumt und das Bad putzt.«
»Das, meine Liebe, hättest du deinem Töchterchen schon eher beibringen müssen.«
Juna nickte. Ihre beiden waren wirklich sehr verwöhnt. Sie wechselte lieber das Thema, denn in Erziehungsfragen kamen sie als einziger Punkt nie ganz überein. Bienchen hatte eben keine eigenen Kinder und konnte einige Dinge nicht richtig beurteilen. In der Theorie war so manches anders als in der Praxis.
»Aber was wird aus uns? Unseren Treffen hier im Le Petit?«, fragte Juna dann doch.
»Die verlegen wir in deine Hotelbar!«, schlug Bienchen lachend vor. »Du sitzt doch an der Quelle, und für deine Freundin hast du bestimmt immer ein Zimmerchen frei, damit sie nicht Auto fahren muss.«
Juna drückte Bienchens Hand. »Hauptsache, wir bleiben Freundinnen.«
»Na ja, so ein Hotelchen und Lädchen sollten da wohl keine Stolpersteine sein.« Bienchen warf einen Blick auf die Uhr. »Lass uns austrinken und nach Hause gehen. Es ist schon spät, und wie es aussieht, liegt eine Menge vor uns, wofür ein Schönheitsschläfchen vonnöten sein wird.«
Juna hatte der Abend mit Bienchen gutgetan. Eine Freundin war manchmal Gold wert, und sie hatte ihr sehr geholfen, die Dinge klarer zu sehen.
Friedrichs Einstellung zu Junas Idee hatte sich trotz Leonies Versuchen, ihm deutlich zu machen, was für eine bescheuerte Idee ihre Mutter plante, nicht verändert.
»Möchtest du mitkommen, wenn ich Leonie das Hotel und das Dorf zeige?«
»Klaro, es geht schließlich auch um meine Zukunft«, antwortete ihr Sohn. »Es ist so lange her, dass ich in Tulpenboom war, dass ich mich nicht erinnern kann, wie es dort aussieht. Natürlich möchte ich unser neues Zuhause mit eigenen Augen kennenlernen.«
»Es ist ein totes Dorf«, erklärte Leonie, während sie sich in den Wagen setzten. »Nichts los, da möchte man nicht wohnen. Man gibt quasi seine Privatsphäre am Ortseingangsschild ab.«
»Warum denn das?« Juna startete den Motor ihres kleinen roten Fiat Panda, den sie liebevoll Teufelchen getauft hatte, weil er nicht immer ansprang oder oft nur auf wohliges Zureden.
»Weil im Dorf jeder, wirklich jeder über jeden alles weiß. Sogar, wann man aufs Klo geht oder ob man nach der Gartenarbeit geduscht hat«, antwortete Leonie düster.
Woher auch immer sie diese Weisheiten hatte.
»So schlimm ist es gar nicht«, versuchte Juna zu beschwichtigen, aber eine innere Stimme raunte ihr zu, dass es doch so war. Genau so.
Sie war froh, dass ihr Teufelchen zwar leicht seufzte, sich aber ruckelnd in Bewegung setzte. Das tat die Karre immer, weil sie etwas Vorlauf brauchte, ehe sie munter losschnurrte.
»Du übertreibst wie immer«, sagte Friedrich gerade. »Ich bilde mir stets eine eigene Meinung und lasse mich nicht im Vorfeld beeinflussen.« Wie so oft klang er etwas altklug.
Leonie zuckte die Achseln, steckte sich die Minikopfhörer in die Ohren und klinkte sich auf diese Weise für den Rest der Fahrt aus.
Sie hatten die Stadt inzwischen verlassen, und Teufelchen war in einen normalen Fahrmodus übergegangen.
»Tulpenboom hat übrigens eine interessante Vergangenheit«, erzählte Friedrich, denn natürlich hatte er sich sofort Auskünfte bei Google eingeholt und nachgesehen, welche geschichtlichen Ereignisse ihn nun erwarteten. Manchmal war er Juna mit seiner besserwisserischen Art ein wenig unheimlich. Welcher Jugendliche interessierte sich für so etwas? Friedrich besaß in der Rubrik unnützes Wissen ein ganzes Arsenal an Informationen. »Es ist voll historisch«, fuhr er fort. »Da steht eine alte Kirche mit einem geschnitzten Altar, eine Kutterregatta, die irgendein Graf im vorigen Jahrhundert ins Leben gerufen hat …«
»Voriges Jahrhundert ist relativ, Bro«, mischte sich Leonie ein. Mist, sie hatte trotz der Ohrstöpsel doch zugehört!
»Das ist lange her«, sagte Friedrich.
»Maximal etwas über zwanzig Jahre«, berichtigte seine Schwester ihn. »Wir sind jetzt im einundzwanzigsten Jahrhundert, das zwanzigste ist folglich noch gar nicht sooo lange vergangen. Also könnte es sein, dass deine Regatta recht neuzeitlich daherkommt.«
Friedrich krauste die Nase. »Kann sein, kann auch nicht sein. So ein Jahrhundert ist schließlich lang.«
Leonie zuckte mit den Schultern und wippte weiter im Takt ihrer Musik, die Juna nie so recht als solche deutete, weil sie überwiegend aus einer Ansammlung von unterschiedlichen Bässen bestand, die in einer wummernden Abfolge zu hören waren und sie gruselten.
»Lass mich weitererzählen!«, verlangte Friedrich und berichtete von großen Tulpenfeldern und einem alten Herrscher. Beides hatte etwas mit der Namensgebung von Tulpenboom zu tun, aber Juna hörte gar nicht richtig hin, weil sie sich in Gedanken bereits auf das Gespräch mit Matthis am Abend vorbereitete. Es gab noch reichlich Diskussionsbedarf.
Endlich tauchte in der Weite der grünen Marsch Tulpenboom auf. Der gotische Kirchturm reckte sich in den klarblauen Frühsommerhimmel. Die Häuschen, die sich darum gruppierten und rote Farbtupfer in die Graslandschaft setzten, boten ein romantisches Bild.
Juna setzte den Blinker. Schon bald hatten sie die Hauptstraße erreicht, wo das geerbte Hotel Linde zu finden war. Die Straße endete am Hafen mit dem rot-weiß gestreiften Leuchtturm. Daneben befand sich das Hafencafé.
Juna stoppte neben dem Hotelgebäude auf dem großen Parkplatz. »Da wären wir. Das ist Tant Mines Linde. Oder besser, jetzt gehört sie mir.«
»Schick«, sagte Friedrich, aber es klang eher höflich als überzeugt. Insgeheim musste Juna ihm recht geben, das Haus war nicht schick. Es wirkte auch von außen ungepflegt und heruntergekommen.
Leonie friemelte sich die Kopfhörer heraus und musterte die Linde mit einem vernichtenden Blick. »Zeig mal, was es zu zeigen gibt, damit wir ganz fix wieder den Abflug machen können.« Schwungvoll stieß sie die Autotür auf und sprang auf den Parkplatz.
Immerhin wurden sie von einem Taubenpärchen begrüßt, das nicht nur freundlich gurrte, sondern ihnen auch vor die Füße schiss.
»Ich dachte, hier kacken nur die Möwen«, murrte Leonie. »Und die treffen immer.«
Wie zur Bestätigung schloss sich eine vorüberfliegende Möwe dem Begrüßungsritual an, aber sie verzichtete freundlicherweise auf den weißen Klecks.
In dem Augenblick öffnete sich die Tür des Hauses Kaltfinger, und ein junger Mann mit schulterlangem lockigem Haar trat auf die Straße. Er trug eine enge verwaschene Jeans, darüber ein dunkelblaues Hemd. Die Füße schmückten weiße Turnschuhe, die keinen einzigen Fleck aufwiesen.
Das könnte glatt Paul sein, dachte Juna. Er sieht aus wie früher sein Vater. In Mark Kaltfinger war Juna nämlich mal schwer verliebt gewesen, aber Tant Mine hatte ihr davon abgeraten, weiter Gefühle zu investieren.
»Denk nur an sein Business«, hatte sie Juna damals gewarnt. »Er wird den Laden übernehmen, und du musst den ganzen Tag mit einer Leichenbittermiene herumlaufen und den Angehörigen Särge und Urnen empfehlen. Niemals ein falsches Wort zur falschen Zeit, Juna. Das könnte das Geschäft kosten.«
Als Mark Kaltfinger dann wirklich hatte fallen lassen, dass Tant Mine recht hatte, waren Junas heftige Gefühle, die sich offenbar nur auf die braunen Locken und Augen beschränkt hatten, in sich zusammengeschmolzen, und ein paar Jahre später war ihr Matthis begegnet.
Marks Frau Sabina war ein echter Engel, und sie fand sicher immer die richtigen Worte, wenn es darum ging, Trost zu spenden.
Paul schaute jetzt neugierig zu ihnen herüber.
»Kaugummi«, hauchte Leonie sofort. Fast als wäre sie eben vom Tod geküsst worden und müsse nun schnellstmöglich ins Leben zurück.
»Kaugummi?«, wiederholte Juna. »Wozu das?«
Dass Kaugummi bei Spontanverliebtheit wirkte, hatte sie noch gar nicht gewusst.
»Ist doch logisch! Ich habe gestern Knoblauch zu mir genommen, und ich stinke aus der letzten Pore. Das ist eine Katastrophe. Mama, warum hast du da so viel von dem Zeug reingeknallt?«
»Weil du es so wolltest?«
»Sonst machst du auch nicht immer das, was ich sage!«, empörte sich Leonie. »Nie tust du das! Warum jetzt, wo es überlebensnotwendig ist, dass mein Atem frisch und frei von üblen Gerüchen ist?«
Juna zuckte mit den Schultern und kramte aus den Untiefen ihrer Tasche eine Packung mit den passenden Streifen hervor, die sie Leonie wortlos reichte.
»Danke, eins hätte wohl auch nicht gereicht.« Ihre Tochter stopfte sich drei Kaugummis auf einmal in den Mund und begann, sie sofort in Windeseile zu zerkauen.
Herrgott, wollte sie Paul gleich küssend überfallen, oder warum dieses Theater?
Der junge Mann näherte sich dem Hotelparkplatz und musterte die drei neugierig.
»Moin«, sagte er nur.
»Hi«, begrüßte Leonie ihn betont lässig. Da sie heute einen extrem kurzen schwarzen Minirock mit Netzstrümpfen und einen royalblauen Neckholder trug, wirkte sie, zusammen mit der punkigen Frisur, wie ein entflogener Papagei.
»Sucht ihr was?«, fragte Paul.
Leonie lächelte ihn an und zeigte dabei ihr Zungenpiercing. Ob das als Flirtmethode zog, wusste Juna nicht.
»Meine Mum hat das Hotel geerbt«, hörte sie und glaubte, bei dem folgenden Satz ihren Ohren nicht zu trauen. »Wir ziehen in Kürze hierher.«
»Nach Tulpenboom?« Ihr Gegenüber wirkte bass erstaunt. »Nicht euer Ernst!« Anschließend verwendete er exakt dieselbe Argumentation wie Leonie bei der Ankündigung, was Juna vorhatte. »Hier möchte man echt nicht tot überm Zaun hängen, nicht mal, wenn man genau davon lebt. Na ja, und wohnen würde ich hier schon gar nicht freiwillig.«
Oje, schoss es Juna durch den Kopf. Da hatte Leonie gerade eine so wunderbare Aussage gemacht – gut, sie war einzig der Tatsache geschuldet, dass sie bei Paul Eindruck schinden wollte –, und ausgerechnet er sagte so negative Dinge über das Dorf.
Leonie schabte mit der Schuhspitze über den Schotter. »Wo wohnst du genau?«
»Da drüben.« Er zeigte zum Schaufenster des Bestattergeschäftes. »Ich bin Paul, und uns gehört der Laden. Selbst wenn hier nicht gerade der Bär tanzt, hat mein Vater genug zu tun. Die Leute in Tulpenboom sind überwiegend alt, und am Ende landen sie halt eines Tages bei uns. Notfalls nehmen wir auch die aus dem Nachbardorf, so rechnet es sich.«
»Euch gehört also das … Geschäft da drüben?«, hakte Leonie nach.
Juna befürchtete, dass diese Erkenntnis ihre eben noch positiven Vibes nun vollends zum Erliegen bringen würde.
Andererseits liebte Leonie das Morbide. Nur ob sie so weit gehen würde?
»Einen Beruf braucht ja jeder«, sagte sie diplomatisch. »Ich bin übrigens Leonie.«
Paul nickte. »Gut, wir sehen uns bestimmt bald wieder. Ich muss los. Tant Hanna, die hat da hinten ein Café am Hafen, benötigt meine Hilfe. Frag mich nicht, wobei. Wahrscheinlich langweilt sie sich. Unter der Woche hat sie kaum Gäste.«
Er winkte kurz und lief die Straße weiter Richtung Hafen. Leonie schaute ihm gedankenverloren nach.
»So, kommt bitte. Ich zeige euch, worum es geht.«
Junas Tochter schüttelte den Kopf. »Ins Hotel muss ich nicht mehr. Was soll ich mir in einer Bauruine anschauen? Ich sehe mir lieber Tulpenboom an.«
»Da würde ich gern mitkommen«, ließ sich Friedrich vernehmen. »Es wäre Mama gegenüber aber unhöflich, wenn wir nicht wenigstens einen Blick riskieren. Dann gehen wir alle gemeinsam durchs Dorf, okay?«
Sehnsüchtig schaute Leonie zum Hafen, aber sie gab widerstrebend nach.
Die Besichtigung des Hauses ging schnell, und so begaben sie sich anschließend alle drei auf den Weg durch Tulpenboom.
Zuerst erkundeten sie die Nebenstraßen, und schließlich blieben sie vor einer Villa stehen, die einem Geisterschloss ähnelte. Sie hatte vier Türmchen, mehrere Erker und war ähnlich wie ihr Hotel von einem parkähnlichen Garten umgeben. Während sich die Linde allerdings wunderbar in die norddeutsche Bauweise einfügte, wirkte die Villa wie ein Fremdkörper.
»Ist Tulpenboom ein Dorf der Bauruinen?«, fragte Friedrich skeptisch.
»Mehr gibt es nicht davon«, versicherte Juna. »Kommt, wir gehen zum Hafen, und dort essen wir im Café den legendären Apfelkuchen bei Hanna Siebenkorn.«
»Da wollte Paul doch eben hin«, frohlockte Leonie. »Dann los!«
Es war noch immer sehr warm, und Juna war froh, dass Hanna Siebenkorn draußen Tische aufgestellt hatte, sodass sie sich dorthin setzen und den Blick auf den Hafen genießen konnten.
Die Kutter und anderen Boote schaukelten sacht im Wasser, über ihnen kreischten Möwen, und Friedrich stieß einen begeisterten Schrei aus, als er einen Seehund aus dem Wasser schauen sah.
»Das ist Hugo«, erklärte die Wirtin und spannte den Sonnenschirm auf. »Der turnt hier schon ein paar Jahre rum, und manchmal begleiten ihn seine Frau oder ein Kumpel.«
»Woran erkennen Sie, dass es sich um ein und denselben Seehund handelt?«, erkundigte sich Friedrich sofort.
»Er winkt mit der Flosse«, gab Hanna Auskunft.
Sie klang so barsch, dass Friedrich offenbar nicht nachfragen mochte, ob sie ihn zum Narren hielt oder ob die Aussage stimmte. Er grub lediglich die unteren Zähne in die Oberlippe und wirkte tief in Gedanken versunken.
»Was darf ich denn bringen?« Die Wirtin zückte ihren Block.
»Für mich eine Tasse Kaffee und gern den Apfelkuchen«, bestellte Juna. »Was möchtet ihr?«
»Kuchen und Apfelschorle«, sagte Friedrich.
Leonie reckte den Hals, als würde sie nach Paul suchen, doch der war nirgendwo zu entdecken.
»Keinen Kuchen. Haben Sie Tee?«, fragte sie.
»Nur schwarzen Tee auf dem Stövchen mit Kluntjes und Wulkje.«
Leonie verzog das Gesicht. Juna wusste, dass sie chinesischen Entspannungstee oder das Bauchwunder aus Indien erwartet hatte, willigte dann aber ein.