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Es war der Plan Gottes die Zweite Welt zu schaffen um Einigkeit ob des gemeinsamen Wirkens unter seinen verbitterten Söhnen zu zeugen. Groß war die Schöpfung und vieles ward erreicht, kaum weniger jedoch zerstört und in unsägliches Leid geworfen. Unendlich dunkle Wolken verdichteten sich schon bald im Zentrum der jungen Welt. Im Herzen des aufziehenden Sturms stand Garantor, der verlorene Zwerg. Um ihn standen seine Kämpfer und auf Ihnen ruhte der Blick der Götter.
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Seitenzahl: 657
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Andreas Egger
Gott erschuf die Erde und mit ihr die Grundlagen jeglicher Evolution. Erst Pflanzen und später Tiere tummelten sich zur Freude Gottes auf seinem Planeten. Irgendwann gediehen Lebewesen, die aufrecht gingen. Im Laufe der Zeit entwickelten sie Intelligenz. Gott freute sich, dass aufgrund dessen, wie er die Welt formte und den Gesetzen, die er ihr auferlegte, diese Wesen, nach seinem Ebenbild geraten waren. Er ersah bald, dass dies die Krönung seiner Schöpfung war und ergötzte sich an ihrem Treiben. Kulturen entwickelten sich, Zivilisationen, Zusammenhalt und Krieg, Schönes wie Schlechtes. Gott lachte und weinte mit seinem Volk, beobachtete diese Wesen und gab ihnen einen Namen: Menschen.
Eines Tages sah er ein weibliches Menschlein von solcher Reinheit und Schönheit, dass er beschloss, es zu sich zu holen. Ihr gemeinsames Glück war grenzenlos und bald erwuchsen Kinder aus ihrer Liebe. Ihr erster Sohn war Aran, den zweiten nannten sie Naar und den dritten Gomod. Die Zeit verging, und die Menschenfrau Gottes wurde älter. Dennoch wollten sie noch ein gemeinsames Kind. Sie wurde im Laufe der Schwangerschaft krank. Gott konnte nichts gegen das Älterwerden seiner Geliebten und ihre Krankheit unternehmen. Würde er Hand an die Gesetze legen, welche ihr Leiden hervorriefen, müsste er die Gesetze seiner ganzen Schöpfung brechen und ändern. Dies würde die Welt zwangsläufig in Chaos stürzen, wenn nicht gar zerstören. Seine Verzweiflung wuchs. Hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seiner sterblichen Frau und der Freude und Verantwortung gegenüber seiner Schöpfung. Er beschloss darauf zu vertrauen, dass sie sich nach der Geburt ihres vierten Kindes erholen würde. Das Kind wurde geboren, doch die Frau war nicht stark genug. Ihre Krankheit und die Strapazen der Geburt töteten sie. Das Kind überlebte zwar, aber schon bald waren körperliche Verkrüppelungen zu erkennen. Gott war von Trauer zerfressen, die Liebe zu der von ihm geschaffenen Welt war gleichzeitig der Quell seines Zwiespalts und Schmerzes. Seine Söhne wuchsen zu starken Halbgöttern heran. Doch Gott konnte seine Augen nicht in Freude auf sie richten, denn der vierte Sohn, den er Gror nannte, litt unter seinen körperlichen Mängeln. Er war kleiner als Naar, aufgedunsen und kraftlos. Er hatte kurze, krumme Beine, gelbe Zähne und ein blindes Auge. Sein Geist war von Kindesbeinen an von Hass geprägt. Alles Gesunde und Reine war ihm zuwider, konnte er doch selbst niemals so sein. Die Freude an der von ihm geschaffenen Welt ging Gott verloren. Jedes Mal, wenn er auf sie niederblickte, erkannte er in seinem Volk sein totes Weib. Voller Gram wandte er sein Antlitz ab. Auch der Anblick seiner Söhne bereitete ihm immer größeren Kummer. Er liebte Aran und erfreute sich an der Unbekümmertheit des kleingewachsenen Naar. Doch der unnachgiebige Blick Gomods, der ihm nie verziehen hatte, dass er seiner Mutter nicht beigestanden hatte, und der unverhohlene Hass Grors machten ihn traurig und schwach. Eines Tages saß Gott mit Aran, seinem Ältesten zusammen. Er war der einzige seiner Söhne, der je verstanden hatte, nach welchen Gesetzen Gott wirkte, wie er Materie verdichtete zu Stein und Wasser. Auch war er der einzige, der darum wusste, wie die universelle Energie sich ersehen ließ, wie das schwache Auge den Fluss der Energie wahrnehmen konnte, wie man sich ihrer, durch Manifestation, in verschiedenster Form bedienen mochte. Sie sprachen über die beiden jüngsten Söhne und waren höchst bekümmert über die Bösartigkeit, mit der Gomod und vor allem Gror über Gott sprachen. Auch Aran wurde von ihnen kaum gebilligt. Schließlich war er der Liebling Gottes, sein Erstgeborener und sicherlich auch jener, der ihm am ähnlichsten war. Auch über die Menschen sprachen sie und über das traurige Schicksal Gottes, das es ihm verwehrte, Freude an seiner Schöpfung zu empfinden. Nach vielen fruchtlosen Gedanken, kam Aran die Idee, gemeinsam mit seinen Brüdern und seinem Vater eine neue Welt zu schaffen. Er hoffte darauf, dass sein Vater neue Freude finden möge und seine Brüder etwas schaffen konnten, das ihre Gedanken in andere Bahnen lenkte, als Unmut und Hass. Er hoffte darauf, dass dieses gemeinsame Wirken die Brüder zusammenführen würde. Gott überlegte und gab zu bedenken, dass er nicht mehr die Energie und Stärke habe, die er einstmals darauf verwendet hatte, um die Erde zu schaffen, und lehnte den Vorschlag deshalb ab. Die Zeit verstrich und die Situation änderte sich in keinster Weise. Im Gegenteil. Gomod sonderte sich spürbar ab und saß über dunklen Schriften, die weder seine Brüder noch sein Vater je zu Gesicht bekamen. Gror hingegen fing an, seine Wut und seinen Hass gegen Naar zu richten, da dieser der Schwächste der Brüder war. Damit war er das einfachste Opfer seiner verdorbenen Gedanken. Naar machte sich nicht viel daraus. Er war so bedenkenlos und frohgemut wie immer, vergalt den Hass Grors mit Belustigung und sarkastischen Witzen, was die Angespanntheit aller nur noch verstärkte. Als Gott dieser Entwicklung gewahr wurde, rief er nach Aran und beriet sich wiederum mit ihm. Wieder machte sein Sohn den Vorschlag, eine gemeinsame Welt zu schaffen. Gott dachte lange nach und fragte Aran dann, wie er diese Welt schaffen wolle und wie er seine Söhne einbeziehen könne. Keiner von ihnen, nicht einmal Aran, verfügte annähernd über die Macht, wie sie Gott zu eigen war. Aran hatte sich bereits darüber Gedanken gemacht. So erläuterte er Gott seinen Plan. Seiner Ansicht nach solle Gott eine neue Welt schaffen, die der ersten ähnlich sei. Jedoch solle jeder seiner Söhne ein eigenes Volk erschaffen und ein eigenes Land, in dem sie lebten. Gott könne die Wünsche und Gedanken seiner Söhne in sich aufnehmen und ihre Pläne in der zweiten Welt verwirklichen. Wieder war Gott im Zwiespalt. Er war sich nicht sicher, ob er so viel Kraft aufbringen könne. Andererseits wollte er nicht länger mit ansehen, wie seine Söhne sich immer fremder wurden. Die Liebe zu einer gemeinsamen Welt würde sie einen, so dachte er. Er versprach Aran alles zu überdenken und zog sich zurück. Seine Entscheidung kam rasch, denn er wagte zu hoffen, diese Welt würde auch ihm wieder Freude schenken. Er vergaß seine Schwäche und freudige Erwartung trübte sein Denken. Aran wurde beauftragt, seine Brüder zu rufen und alsbald saßen sie alle zusammen und Gott sprach zu ihnen über die zweite Welt. Mit ausladenden Gesten umschrieb er sein Vorhaben und die Rolle eines jeden seiner Söhne darin. Aran kannte den Plan, stand nur mit freudigem Lächeln da und harrte der Reaktionen seiner Brüder. Naar lachte laut auf. Für ihn war dies ein Spiel und er liebte Spiele. Gomod ließ seine Gedanken nicht erkennen, doch er willigte bereitwillig ein und versicherte seine Freude über dieses neue Betätigungsfeld. Gror saß da und ein böses Kichern drang über seine Lippen. Er sagte nichts, nickte nur. Durch seinen eigenen Enthusiasmus geblendet, erkannte Gott die Gefahr nicht. Aran jedoch hatte alles genau beobachtet und sprach am folgenden Tag zu Gott. Er berichtete von seiner Sorge darüber, dass ein Volk, geschaffen durch Gomods Hand, wahrscheinlich Probleme bereiten könne. „Möglicherweise führt er Übles im Schilde, vielleicht handelt er nicht im versöhnlichen Geist unserer edlen Absicht“, gab er zu bedenken. Auch hatte Gror mit Sicherheit keine guten Intentionen, dessen war sich Aran sicher. In diesem Punkt musste Gott ihm zustimmen. Wenn er sich auch über Gomods mögliche Vorhaben nur geringe Sorgen machte. Gott blickte Aran in die blauen Augen, sprach mit Bedacht zu ihm, beschwor ihn etwas zu ersinnen, was sicherstellen würde, dass das Gleichgewicht der zweiten Welt nicht über Gebühr strapaziert werde, etwa durch eine kriegerische Rasse, die Gror wohl erdenken mochte. Einmal entflammt für die Idee der zweiten Welt, wollte Gott nicht mehr davon ablassen. Das erkannte Aran, wenngleich er selbst nun nicht mehr so überzeugt war. Lange Zeit dachte er nach, sinnte über die Gesetze der Welt, überlegte sich Änderungen und neue Grundlagen. Nichts jedoch erschien ihm als ausreichend, als sicher genug, um es ohne Vorbehalt durchzuführen. Würde Gott die zweite Welt nach anderen Gesetzen erschaffen, waren die Folgen nicht abzusehen. Vielleicht würde die Natur selbst sich anders verhalten oder gar kein Leben dieser Art hervorbringen. Wahrscheinlicher aber war, dass die Rassen, die durch Gottes Kraft und den Vorstellungen seiner Söhne erschaffen werden sollten, sich anders verhielten als gedacht, oder andere Formen annehmen mussten. Auch war es schwer möglich, mehr als die grundlegenden Züge und Motivationen eines jeden einzelnen Volkes festzulegen, den Körperbau, den Glauben an ihren Erschaffer, das grundlegende Wissen um überleben zu können und die wesentlichen Fähigkeiten, die ihr Handeln und ihr Geschick prägen sollten. Alles Weitere musste jedes Volk für sich entdecken, sich entwickeln und gedeihen. Es war ohnehin schon alles kompliziert genug. Nein, die Gesetzte mussten bestehen bleiben. Überlegungen über die Motivationen seiner Brüder raubten Aran viel Zeit und Geduld. Immer unwahrscheinlicher erschien es ihm, dass diese Welt einfach Freude und Zusammenhalt schenken sollte. Zu sehr zweifelte er an Gomod, war sich sicher über Grors Hass, der durch dieses gemeinsame Wirken keinen Abklang fand. Im Gegenteil. Die zweite Welt würde ein Ventil für seine Wut sein. Hier könnte Gror zum ersten Mal Macht ausüben. Aran schauderte. Der Schlüssel zum Gleichgewicht der zweiten Welt musste in der Rasse liegen, die er selbst erschaffen durfte. Nichts ersah er als genügend. Er hatte sich sehr gefreut, eine Rasse nach seinem Geist zu erschaffen. Nun aber sah er sich gezwungen, ein Volk zu ersinnen, das nur dem Zweck diente, die anderen Rassen im Zaum zu halten. Diese Vorstellung gefiel ihm gar nicht. Er sprach zu Gott über seine Sorgen und Zweifel. Gott legte die Arme auf die Schulter des geliebten Sohns, dachte kurz nach und riet ihm, in der Liebe die Antworten zu finden, derer er bedurfte. Aran verstand nicht, wohl aber sinnte er über die Worte Gottes und deren richtige Auslegung. Es musste einen Weg geben, ein Volk zu erschaffen, welches die schwere Bürde der Verantwortung tragen konnte und gleichzeitig für das Schöne, Friedliche und Reine stand, welches sein Herz erfüllte. Eines Tages saß er da und beobachtete den Strom der Energie, der sich allumschließend, mal in materialisierter Form, mal in der Luft, durch ihn und in ihm ergoss. Behutsam verdichtete er mit seiner Hand Materie zu geistlosen Tieren und Pflanzen, nur um die Energie anschließend wieder in ihre ungebundene Form zurückgleiten zu lassen. So verbrachte er einige Zeit und sonnte sich in der ihn umschließenden, durchdringenden Kraft. Da endlich kam ihm der Gedanke, nach dem er gesucht hatte, aus dem Nichts, völlig unerwartet. Eilends lief er erneut zu seinem Vater, stellte sich vor ihn und sprach voller Freude: „Mein Volk soll durchdrungen sein von Liebe zu den Bäumen und dem freien Leben. Lachend vor Freude über der Sonne Antlitz und weinend über die Schändung des kleinsten Lebewesens. Meines Volkes Liebe zu allem Leben wird es gegen jeden einzelnen vorzugehen mahnen, der Übles in der Welt vollbringt.“ So sprach er zu Gott und jener hieß seinen Plan gut. „So will ich selbst ein Volk schaffen“, sprach er zu seinem Sohn. „Ein Volk, welches die Liebe zur Erde in sich trägt. Ein aufrechtes tapferes Volk, das keinen Schaden am Stein und der Erde zulässt. So werden unsere Völker gemeinsam das Gleichgewicht erhalten, getrieben durch ihre Liebe zur Welt. Aran war begeistert, Alle Zweifel waren verflogen. Er machte sich auf, um die richtigen Gedanken zu finden um sein Volk zu gestalten. Gott lächelte, während er anfing, die zweite Welt in seinem Geist zu formen. Die Anstrengung missachtend, arbeitete er lange und hart, während seine Söhne, jeder für sich, ihr Volk ersannen. Als der Tag anbrach, an dem Gott das letzte Gesetz um den Planeten gewoben hatte, das letzte Tier und die letzte Pflanze nach dem Vorbild der ersten Welt erschaffen hatte, war er müde und ausgezehrt. Es fehlte nur noch die Gestaltung des Landes selbst und die Rassen, die es nunmehr bevölkern sollten. Er holte seine Söhne zu sich. Trotz seiner Schwäche wollte er vollbringen, was zu vollbringen war. Sich auf Gomod zu seiner Rechten und Aran zu seiner Linken stützend, schloss Gott die Augen. Stumm formte er durch seinen Geist ein einfaches Land voller Hügel und einem mächtigen Berg in der Mitte. Aran sah auf die zweite Welt und erkannte, wie sie sich nach Gottes Gebot wandelte und Form annahm. Freudig jauchzte er, lachte vor Glück. Gott sah kurz auf, lächelte angestrengt, schloss wiederum die Augen und formte weiter. Kleine untersetzte Gestalten bildeten sich zwischen Steinen und Hügeln. Mit breiten Schultern, derben Gesichtszügen, voller Mut und Kraft, durchdrungen von Liebe zum Stein und der Welt selbst. Gott blickte wieder auf, stöhnte leise und sah in die Runde. Seine Söhne standen um ihn, voller Erwartung. Jeder mit seinen eigenen Zielen und Hoffnungen. Gott nahm die Hände von den Schultern Gomods und Arans, öffnete seinen Geist den Gedanken eines jeden einzelnen seiner Söhne, kanalisierte die allumfassende Energie des Seins, durch seinen Geist auf die zweite Welt und ließ sie nach den ihm eingegebenen Bildern wirken. Einer nach dem anderen, vollbrachten sie so das gemeinsame Werk. Nun war es an Aran. Er schuf ein herrliches Auenland mit riesigen dichten Wäldern, gesund und kraftvoll, sowie drei kleine Seen, klar wie der schönste Kristall, lebensspendend und rein. Das Volk, das er erdachte, war von mittlerer Größe, zierlich und schön, mit Augen, welche die Energie in der Luft ersehen konnten. Ein einfaches aber kluges Volk, voller Liebe zu den Bäumen, der Natur und allem was Leben in sich trug. Als er fertig war, machte er die Augen auf, blickte auf sein Werk und weinte vor Freude. Gomod war als nächster an der Reihe. Sein Land war außerhalb. Nicht weit vom Festland entfernt, aber dennoch, getrennt für sich selbst. Eine große Insel war es, mit Vulkanen und weiten Teilen toten Bodens. Ein kleiner, dunkler Wald war darauf, ansonsten aber kaum Leben oder Schönheit. Sein Volk wirkte ungeschlacht und brutal, mit gewaltigem Brustkorb, tierischem Gesicht, angewinkelten Beinen und Hufen, anstelle von Zehen. Voller blindem Stolz in der cholerischen Natur. Wenig gab er ihnen zu lieben, außer Sieg und Kampf. Gomod verspürte tief in seinem Herzen einen Zwiespalt, als er sein Volk erschuf. Er war unerwartet berührt durch die Energie und die Aufopferung, die sein Vater ihm angedeihen ließ. Er hatte nicht erwartet, dass diese versöhnliche Geste ihm etwas bedeuten könnte. Zum ersten Mal seit langem sah er in seinem Vater mehr, als den Mann der tatenlos zugesehen hatte, wie seine Mutter ein schmerzhaftes Ende fand. Insgeheim lachend hatte er dagestanden, als Aran und sein Vater ihm und seinen Brüdern von ihrem Plan berichtet hatten, eine zweite Welt zu schaffen. Damals hatte er vor, ein gewaltiges Kriegervolk zu erdenken, mit der Aufgabe durchs Land zu ziehen und dort Chaos und Verwüstung zu säen. Sollte es auch nur sein, um seinem Vater und seinem älteren Bruder die Freude an ihrer schönen kleinen Welt zu nehmen. So stand er nun da, manifestierte seine Gedanken durch Gottes Kraft. Er ließ seinem Volk Stolz und ein aufbrausendes Temperament als grundlegende Charakterzüge. Jedoch gab er ihnen keinen Antrieb. Weder Liebe noch Hass. Er gab ihrem Dasein keinen Sinn. Sein gerührtes Herz ließ nicht zu, dass er sie zu blinden Mördern formte. Er war zu verwirrt und unsicher und konnte ihnen nichts anderes eingeben. Zögerlich ließ er ab von seinen Gedanken und somit von seinem unvollständigen Werk. Er stand da, wartete und versuchte zu begreifen, was er angerichtet hatte. Böse feixte Gror. Seine Augen waren geschlossen, sein Geist fixiert auf das zu vollbringende Werk. Er hielt sich nicht lange mit der Gestaltung seines Landes auf und verschwendete lediglich wenige ungenaue Gedanken daran. Es war ihm egal wie das Land aussehen würde. Er wollte nur eines: riesige Wesen, voller Kraft und Brutalität. Hass, so unnachgiebig wie grundlos, Mordlust und Gier nach Fleisch, sollten ihr einfaches Denken bestimmen. Hier konnte er mächtig sein. Durch seine Kreaturen konnte er Gewalt und Morde begehen, die seinen Hass befriedigen würden. Seine Brüder würden ihn verachten, für das was er ihrer gemeinsamen Welt antat. Ein herrlicher Gedanke, war Verachtung doch viel leichter zu ertragen als das Mitleid das sie, die Gesunden, für ihn, den Geschundenen, empfinden mussten. Nach getanem Werk sah er auf, und blickte seine Brüder und seinen Vater an. Sie würden ihm heute zum letzten Mal mit Mitleid begegnen. Naar brütete die ganze Zeit in seinem Geist über allen möglichen Unfug, den er in diesem Spiel vollbringen konnte. Seine Brüder hatten ihre Gedanken gewirkt. Nur noch er war übrig. Er überlegte, kam jedoch zu keiner Entscheidung. Wahrlich, längst war Zeit genug verronnen, um sein Volk zu ersinnen. Dennoch war er zum Zeitpunkt, an dem er seine Gedanken wirken sollte, so weit wie er war, als Gott seine Söhne um sich sammelte und ihnen zum ersten Mal von der zweiten Welt berichtet hatte. Das Bild der ersten Welt erschien vor seinem inneren Auge. Naar sah die Bäume, die Menschen und den ganzen Planeten vor sich. Er wollte manche Elemente daraus entnehmen und in sein eigenes Land einbauen. Wollte sie mit irgendwelchen lustigen Dingen ergänzen, wollte Menschen mit riesigen Nasen und Ohren ersinnen, oder mit viel zu kurzen Beinen, oder sonst irgendwas. Wollte er in ihren Geist irgendwelche Flausen pflanzen, oder sie doch nur blöd grinsend durch die Welt toben lassen? Naar konnte sich nicht entscheiden. So sann er hin und her und mehr zurück als vor. Irgendwann vernahm er dumpf in seinem Geist Arans Stimme. Sie war sorgenschwer und mahnte ihn zur Eile. Gott konnte diesen riesigen Energiefluss nicht ewig aufrechterhalten. Das war sogar Naar verständlich, wiewohl es in seinem Leben wenig Verständliches gab. Hektik befiel ihn. Panik. Mit dem Bild der ersten Welt in seinem Geist, riss er die Augen auf, um zu sehen ob mit seinem Vater alles in Ordnung war. Sein kindgleicher Geist, so unbedacht wie emotionsgeladen, beschwor die Katastrophe hervor. Gott schrie auf und sackte auf die Knie, während gewaltige Energien durch ihn auf die zweite Welt niederfuhren, um sie nach Naars Gedanken zu gestalten. Viel zu klein war das Land, viel zu riesig die Kopie der ersten Welt. Gewaltige Erdmassen bildeten sich. Berge, Seen, Sümpfe und unendliche Risse in der Erde. Mit brachialer Gewalt zerrütteten Erdbeben die sich bildenden Landmassen. Menschen sprudelten wie Regentropfen auf die im Entstehen begriffene, aber schon gebrochene Welt nieder. Viele schon tot, oder lebend, nur um den Naturgewalten zu unterliegen und qualvoll zu sterben. Das alles geschah innerhalb kürzester Zeit. Naars Land war im Bestehen begriffen, doch plötzlich hörte die Schöpfung auf. Nichts bildete sich mehr. Nur die Erdbeben verwüsteten weiterhin die Landmassen. Die Energie wich aus Gottes Körper. Wenige Augenblicke kniete er noch da, mit weit aufgerissenen Augen, leblos, ausgehöhlt durch die Macht, welche er nicht mehr in der Lage war, zu lenken. Dann klappte er nach vorne, schlug mit dem Gesicht auf. Stille. Naar wimmerte lautlos. Er verstand nicht, was passiert war. Sogar Gror blickte verdutzt und stumm auf die Leiche seines Vaters. Rache war süß, aber das hatte er niemals erwartet. Er musste erst noch begreifen, dass er einen Sieg errungen hatte. So krank und grotesk dieser auch sein mochte. Aran zerriss das Schweigen, schluchzte und weinte um seinen Vater. Er ging zu ihm, drehte ihn auf den Rücken, nahm seinen Kopf in die Hände, klagte um ihn und um sich selbst. Gomod blieb ruhig. Er war schon die ganze Zeit über verwirrt, nun halb paralysiert. Jetzt sah er Gott an. Sah seinen Mund so weit offen wie seine Augen, wie er auf und ab wiegte in Arans flehenden Händen. „Das Werk ist vollbracht!“, sprach er stockend, fast emotionslos und fragte sich gleichzeitig, was er damit eigentlich sagen wollte.
Die letzten wärmenden Strahlen des Tages legten sich über das saftige Gras der Hügel, nördlich von Naars Zweifel. Gesunde, vor Kraft strotzende Pappeln säumten den einfachen Fuhrweg zur Linken, in den Blättern schon den ersten orangen Schimmer des Herbstes. Die nördlichsten Getreidefelder der Menschenstadt verschwanden gerade hinter der zuletzt überwundenen Anhöhe. Ein ängstliches Feldkaninchen huschte zur Seite, als es dem sich nähernden Lärm gewahr wurde. Das konstante, monotone Rasseln von Kettenhemden, Plattenpanzern und klirrenden Waffen erfüllte die Luft rund um den Trupp von gut fünfundzwanzig Mann, die müde vor sich hin marschierten. In ihrer Mitte fuhr ein Wagen, quietschend und knarrend. Zwei Maultiere zogen schwer schnaufend das Gefährt. Der Wagen selbst war aus einfachem, wenn auch solidem Eichenholz gefertigt. Der Händler Meisterlich saß auf dem Kutschbock und stierte ins Nichts, auch er müde vom langen Tag. Er drehte sich kurz um und schaute auf die offene Ladefläche. Die wertvolle Ladung war immer noch dort, wo er sie vor zwei Tagen in Naars Zweifel verstaut, mit Wolfsfellen bedeckt und mit geflochtenen Kuhlederbändern festgezurrt hatte. Es war schon fast zu einem Ritual geworden, sich umzudrehen. Meisterlich versicherte sich andauernd vom Vorhandensein seiner Fracht. Die grauen Haare wehten ihm in die Augen. Er strich sie stets mit der Linken zur Seite. Meisterlich war alt geworden und diese anstrengende Reise ließ ihn noch älter wirken. Vor gut zwei Mondwechseln war er von Naars Zweifel aus nach Westen in Richtung Rekars Ehr aufgebrochen. Der angeheuerte Söldnertrupp brachte ihn sicher zu den Zwergen. Dort machte er gute Geschäfte, denn er erwarb eine beträchtliche Anzahl an feinsten Schwertern und Äxten aus hartem Zwergenstahl. Auch die Rückreise nach Naars Zweifel verlief gut. Fast zu gut. Dies war Meisterlichs letzte Handelsreise. Er wollte nach Hause, nach Salzheim. Er wollte endlich seine Frau, seine Tochter und seine Freunde wiedersehen. Es gab bis jetzt nur einen einzigen Überfall. Nichts wirklich Bedrohliches. Ein kleiner Trupp schlecht bewaffneter Räuber hatte ihnen aufgelauert und war wenige Augenblicke später geflüchtet. Noch nicht einmal einen Oger hatte er in den vergangenen drei Mondwechseln gesehen. Und das, obwohl er mitten durch die Toten Sümpfe gezogen war. Dies war nicht nur die letzte, sondern auch die wichtigste Handelsreise seines Lebens. Noch nie waren so viele Goldmünzen im Spiel wie dieses Mal. Die Vorstellung, dass alles so einfach verlaufen würde, machte ihn unruhig. So einfach konnte es nicht sein. Nicht in diesen Zeiten. Durch eine leichte Linkskurve wollte der Weg nun um eine kleine Anhöhe herumführen. Die Schatten wurden immer länger. Die Nacht würde bald hereinbrechen. Der Zwerg, ein äußerst ruhiger, gleichwohl besonnener Mann, welcher den Trupp anführte, hob die Hand ohne sich umzudrehen und rief: „Halt!“ Verwundert knurrend kamen die Männer zum Stehen. Meisterlich hielt seinen Wagen an und blickte auf. Mit zusammengekniffenen Augen sah er nach vorne, konnte aber nicht mehr erkennen, als dass sich sein besoldeter Anführer mit einem seiner Gefolgsleute unterhielt. Wenig wurde gesagt, dann kurz genickt. Der Zwerg drehte sich zu seinen Männern und brüllte mit tiefer Stimme: „Wir lagern auf dem Hügel. Scheint der sicherste Platz weit und breit. Alle an ihre Aufgaben, und das nicht zu langsam! Cebrid! Warte! Nimm dir zwei Mann und hilf dem Händler, seinen Wagen auf den Hügel zu bringen. Die Maultiere haben genug geschunden.“ Der Mann, den der Zwerg Cebrid nannte, salutierte lässig, wobei sein schwerer Plattenpanzer laut schepperte. Dann fing er selbst an, nach einigen Männern zu brüllen und Befehle zu geben. Das Lager war schnell aufgebaut. Einige Männer brachten Holz und gingen dann anderen Beschäftigungen nach. Der Anführer selbst entfachte mit geübter Hand zwei Feuer mit einfachen Steinen, welche er von der Erde auflas. „Zwergisches Geschick für Feuer und Stein“, sinnierte der Händler anerkennend. Cebrid und zwei weitere Männer schoben den schweren Wagen langsam auf den Hügel. Meisterlich tat die ganze Zeit über nichts anderes, als die müden Tiere mit seiner Peitsche anzutreiben. Als sie endlich oben waren, streckte sich Meisterlich träge, spannte dann die Maultiere ab und gab ihnen zu fressen. Anschließend begab er sich langsam zu einer der lodernden Feuerstellen. Er grübelte ein wenig vor sich hin, seinen müden Blick auf den Zwerg gerichtet. Dieser stand einfach da, jeweils einen der Steine, die er zum Feuer machen benutzt hatte, in jeder Hand. Erschöpft blickte er in die Flammen. Oder war es Wehmut, die Meisterlich in seinem Gesicht sehen konnte? ‚Egal‘, dachte der Händler bei sich. Er hatte wenig Lust sich zu unterhalten und dann schon gar nicht mit dem schweigsamen Zwerg. Die wenigen Versuche, die er bis jetzt in diese Richtung unternommen hatte, unterband Garantor, wie jener sich nannte, gemeinhin mit wenigen Worten. Zu sehr schien er stets in seine Pflichten versunken. Die ersten Söldner hatten ihre täglichen Aufgaben erfüllt und saßen rund um eines der Feuer. Auf dem anderen zischten einige Fleischstücke in kleinen Pfannen. Zwei der Männer bereiteten dort ein karges Abendmahl. Drei Mann entzündeten Fackeln, postierten sich rings um das Lager und begannen die erste Wachschicht. Einer von ihnen, mit jugendlichem Gesicht und viel zu gut gekleidet für einen Söldner, teilte Wasserrationen aus. Auch diese waren knapp bemessen. Ein weiterer saß ein wenig abseits und präparierte im Halbdunkel einige Pfeile mit Harz. Begierig aßen die Mannen ihre spärlichen Rationen, welche aus Fleisch und getrocknetem Brot bestanden. Auch die Wachen holten sich ihren Anteil und verzehrten ihn auf ihren Posten. Es war eine laue Nacht. Kein Wind störte die Streiter. Nur hin und wieder von einzelnen Nebelschwaden verdeckt, leuchtete der Vollmond mild und beruhigend. Die Wachen der ersten Schicht weckten die Ablöse, legten die Waffen ab und begaben sich zur Ruhe. Meisterlich schlief schon lange. Er hatte in der vorangegangenen Nacht kaum Rast gefunden. Deswegen hatte er sofort nach dem Essen sein Lager bereitet und war sofort in einen tiefen Schlaf gefallen. Im Lager war Ruhe eingekehrt. Alles schlummerte regungslos oder ruhte sich aus, so gut es eben ging. Ab und zu war eine Eule zu hören, oder das weit entfernte Jaulen eines einsamen Wolfes. Einige der Männer schnarchten leise, andere wälzten sich von einer Seite zur anderen. Abgesehen von den Wachablösungen tat sich nichts mehr. Meisterlich erwachte beim ersten Tageslicht, reckte sich und gähnte laut. Die anderen im Lager waren noch nicht auf den Beinen. Er war einer der ersten, die wach geworden waren. Der bittersüße Geruch von abgebranntem Kirschholz stieg ihm in die Nase. Dünne Rauchschwaden zogen von den erlöschten Feuerstellen gen Himmel. Ein metallisches Schnarren, leise aber stetig, drang an sein Ohr. Meisterlich schaute sich um, und sah den Hünen Cebrid und seinen noch größeren Bruder Brube. Die beiden saßen an der Nordseite des Lagers. Offensichtlich gehörten sie zur dritten und letzten Wache. Das Schnarren kam von Brubes Schleifstein. Mit Geduld, ja gar zärtlicher Fürsorge, schärfte er seine Hellebarde. Cebrid saß daneben und putzte seinen Zweihänder liebevoll mit einem feinen Lappen. Sie unterhielten sich, während sie ihr Werk verrichteten und auf die Weiterreise warteten. Alle Knochen schmerzten Meisterlich, als er sich erhob. Das graue Haar aus den Augen wischend, begrüßte er den Tag mit erschöpftem Knurren. Er nickte den Wachen zu, welche ihn nunmehr bemerkt hatten, ging zu seinem Wagen und überprüfte die Fracht. Die morgendliche Schwere vertreibend, stand er einen Augenblick da. Danach machte er sich daran, die Maultiere wieder anzuspannen und seine spärlichen Habseligkeiten zu verstauen. Während er seine Decke um sein kleines Kissen rollte und auf den Wagen legte, hörte er das Brüllen des Zwergs. „Auf! ... Die Sonne steht schon am Himmel!“ Allzu lange Monologe waren nicht das, wofür sich ein Mitglied des kleinen Volkes rühmen konnte. Traumschwere Gesichter mühten sich auf die Füße, packten mit unwilligen Händen, fast mechanisch, das wenige an Ausrüstung zusammen. Murren und Gähnen lag in der Luft. Einige brauchten länger, andere waren schon marschbereit. Ein großer Krug machte die Runde. Jeder stärkte sich unmittelbar vor dem Abmarsch ein wenig mit Wasser und trockenem Brot. Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung und marschierte schnell den Hügel hinab. Zrak der Minotaurus bremste den Wagen von Händler Meisterlich ein wenig, indem er ihn mit seinen gewaltigen Armen am Ende der Ladefläche hielt und sich mit seinen stämmigen behuften Beinen gegen die Fahrtrichtung lehnte. So verhinderte er das Schnellerwerden des Gefährts. Mehrere Männer beobachteten sein Tun. Sicher, es war leichter, einen abwärts fahrenden Wagen zu bremsen, als ihn bergauf zu schieben. Dennoch war ein Schimmer von Neid oder Anerkennung in manchem Gesicht zu erkennen. Nun ließ Zrak den Wagen aus, schnaubte geräuschvoll durch seine breiten Nüstern und streckte seine Schultern. Knirschende Steine kündeten vom Ankommen des schweren Wagens auf dem schmalen Fuhrweg. Meisterlich machte es sich auf seinem Kutschbock so bequem wie möglich. Ein langer Tag wartete auf ihn. Die Sonne strahlte schon bald ruhig vom Himmel. Weder Wolken noch Wind wollten dem schönen Tag seinen spätsommerlichen Glanz rauben. Nach kurzem Marsch waren die letzten Hügel im Norden von Naars Zweifel überwunden. Weite Ebenen taten sich auf. Sie versprachen einen einfachen und vor allem sicheren Weg, bis hin zu Naars Auge, dem Mittelpunkt des Landes, dem manifestierten Versagen Naars, dem unendlichem Loch im Herzen der Welt. Mit allerlei Fährnissen behaftet, würde Naars Auge das schwierigste Teilstück ihrer Reise sein. Nahe den weit gestreckten Hängebrücken, welche die gewaltigen Klüfte um das „Auge“ passierbar machten. Mitten im Toten Land, mussten sie unweigerlich auf Oger treffen. Naars Auge lag aber noch in einiger Ferne. Mit lustigen Liedern über Frauen zweifelhaften Rufs, vertrieben sich einige der Männer die Zeit. Die Stimmung war gut, weit besser als am Tag zuvor. Mittlerweile, drei Tage nach dem Aufbruch aus Naars Zweifel, der Hauptstadt der Menschen, waren fast alle Mitglieder des Trupps wieder in bester körperlicher Verfassung. Die Stadt bot viel Abwechslung für Reisende. Zwei Tage war der Trupp dort verblieben. Während Garantor und der zweite die Ressourcen auffrischten, hatten die Menschen genügend Zeit, um ihre Familien zu besuchen. Vor allem aber, um alle möglichen leiblichen Genüsse auszukosten. So mancher wusste am Morgen der Weiterreise nicht mehr, ob er seinen Sold versoffen oder im Freudenhaus gelassen hatte. Zur Mittagszeit machten sie eine kleine Rast unter einem einsamen Apfelbaum. Ein wenig Wasser machte die Runde und mit großer Freude aßen die Mannen die vermutlich letzten Wildäpfel dieses Herbstes. Einige davon wanderten auch in ihre Rucksäcke. Als sie sich erhoben um ihren Weg fortzusetzen, erschien Brand aus westlicher Richtung. Der alte Bogenschütze trug ein leichtes Lächeln auf seinen schmalen Lippen. Keiner hatte überhaupt bemerkt, dass er aus dem Lager verschwunden war. Sein knorriger Eichenholzbogen lag locker über seiner linken Schulter. In der rechten Hand hielt er ein saftiges Wildhuhn und einen kleinen Rotfuchs, beide tot. Die Männer applaudierten bei diesem Anblick und johlten freudig. Viele klopften Brand auf die Schulter und gratulierten ihm zu seinem treffsicheren Auge. Freudige Erwartung auf das Abendessen trieb den Trupp an. So blieb die Stimmung den ganzen Tag über ausgelassen. Der Händler Meisterlich saß wie immer auf seinem Kutschbock und stierte von Zeit zu Zeit auf seine Ladung. Er war unruhig. Nur wenig der allgemein guten Stimmung färbte auf ihn ab. Er war immer noch müde. Schon viel zu lange müde. Sein Alter und der von ihm befürchtete Angriff von Räubern machten ihm zu schaffen. Zudem würden sie in einigen Tagen die östlichsten Ausläufer des Toten Sumpfes kreuzen. Es gab keinen anderen Weg nach Salzheim. Nur über die Brücken, welche dies unwirtliche Stück Land zusammenhielten. Meisterlich schauderte beim Gedanken an das Bevorstehende. Er hatte sie schon oft überquert, jedoch nur selten ohne Kampf oder eine wilde Flucht. Zu einfach war alles gelaufen. ‚Zu einfach’, dachte er immer wieder bei sich. Als sich die Sonne vom immer noch wolkenfreien Himmel verabschiedete, befahl Garantor das Lager ein wenig abseits des Weges aufzuschlagen. Wachen bezogen ihre Posten, lange Holzstöcke wurden mit Harz eingestrichen, um als Fackeln zu dienen. Der alte Bogenschütze Brand zog dem erlegten Fuchs das Fell ab und weidete ihn sorgfältig aus. Neben ihm saß der kleingewachsene Thef und rupfte das Wildhuhn. Der Zwerg entzündete die Feuerstellen, blickte sich dann im Lager um, und überprüfte, ob alle Arbeiten ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Alles lief bestens. Einige der Söldner hatten ihre Arbeiten schon erledigt und ruhten sich aus. Garantors breite Brust hob sich, als er anfing neue Befehle zu brüllen. „Kalad, Bloj, macht mal ´ne Halterung und zwei Spieße, damit wir die Viecher über‘s Feuer legen können! Dimite, sieh zu, dass du noch ein wenig Holz auftreibst!“ Sofort gingen die Genannten ans Werk. Dimite murrte ein wenig in seinen Bart, was ihm allerdings nichts half. Trotz seiner langen Zeit als Söldner hatte Dimite immer noch Probleme mit fremder Autorität. Er war nun seit gut dreißig Mondwechseln bei diesem Haufen und eines hatte er mittlerweile gelernt: Schreit der Zwerg, halt’s Maul und tue was er sagt. Eine wahrlich hilfreiche Grundregel. Blass und durchsichtig zeigten sich die ersten Sterne. Die Feuer loderten mit Zischen und Knistern ruhig unter einem gütigen Vollmond. Meisterlich saß an der großen Feuerstelle und bat Thef darum, das Wildhuhn grillen zu dürfen. Thef klopfte dem alten Händler auf die Schulter und stand auf. Es war nicht das erste Mal, dass Meisterlich ihm eine derartige Arbeit abnahm. Auf diese Weise konnte der alte Mann sich ein wenig ablenken. Außerdem verbesserte der Anblick des saftigen Tieres seine Stimmung. Gutes Essen war immer willkommen. Neben ihm saß Brand, immer noch mit seinem Fuchs beschäftigt. Auch dieser brutzelte über dem Feuer. Einer der jungen Rekruten stimmte ein Lied an und mehrere sangen mit. Brube lachte lauthals über einen mittelmäßigen Witz von Thef. Der Minotaur Zrak saß an der kleineren Feuerstelle und unterhielt sich nachdenklich mit Mauran Falkenflug, dem zweiten Mann im Lager. Lediglich Garantor saß abseits alleine da und stierte aus einigen Schritt Entfernung in die lodernden Flammen. Das Licht des Feuers reflektierte auf seinem Stahlhelm. Zuckende Lichtflecken erhellten die Schatten in seinem Gesicht. Seine derben Züge lagen unter buschigen, zusammengezogenen Augenbrauen versteckt. Keiner hätte seine Emotionen deuten können. Oder war er einfach nur müde und nachdenklich? Das Abendmahl hielt, was es versprach. Jeder erhielt neben Trockenfleisch und Brot, eine Portion des frischen Wilds. Genügend Wasser machte die Runde. Kurz vor der zweiten Wache schliefen die meisten der Mannen. Auch Meisterlich hatte sich, hoffend auf eine ruhige Nacht, hingelegt. Cebrid schürte zum Ende seiner Wache nochmals die Flammen und begab sich zur Ruhe. Obwohl er unruhig geschlafen hatte, erwachte der Händler erst spät. Die Sonne war schon halb aufgegangen und das Lager zum größten Teil zusammengeräumt. Eines der Feuer war erloschen, das andere züngelte noch schwach auf verkohltem Holz. Schnell stand er auf. Mit einem lauten Fluch fing er an, seine Sachen zu packen. Sein Rücken schmerzte ihn. Unverhofft kam Cebrid scheppernd zu ihm gerannt und half, die Maultiere anzuspannen. Kurz darauf waren sie wieder auf ihrem Weg. Ein leichter Wind zog von Osten her auf. Der Tag war sichtlich kälter als die vorangegangenen. Zwar leuchtete die Sonne immer noch von einem wolkenfreien Himmel, richtig wärmen wollte sie jedoch nicht mehr. Bis zum Horizont war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Die einfache Straße zog sich durch die Landschaft wie ein Schwertstreich. Das Gras, zum großen Teil gesund, wurde von immer mehr braunen Stellen durchzogen. Sträucher wehten im Wind. Vogelgezwitscher war rar. Nur einige Krähen saßen auf einer abgestorbenen Trauerweide, welche den Weg zur Linken säumte. Der Trupp kam in Bewegung. Es ging wieder konstant, aber nicht wirklich schnell voran. Dazu war Meisterlichs Karren zu schwer. Die Maultiere würden ein höheres Tempo nicht durchhalten. Auf jeden Fall waren die Mannen gut erholt, gut genährt und nicht allzu sehr gefordert. Die gute Stimmung des vergangenen Tages herrschte auch heute wieder unter ihnen. Kleinere Gruppierungen bildeten sich, Gespräche verschiedenster Art wurden geführt. Der alte Brand entfernte sich in nordwestliche Richtung von der Gruppe. Vielleicht konnte er irgendwas erbeuten. Mit gewaltigem Brüllen und weit ausholender Gestik, veranschaulichte Brube, wie er einst in einer Kneipe fünfzehn Mann zur Strecke gebracht hatte, weil einer von ihnen eine unangebrachte Bemerkung über seine Mutter gemacht hatte. Thef, seinen schwarzen Mantel lässig über die Schulter geschwungen, lachte laut. Veoen, ein junger Mann mittlerer Statur und ebensolchen Aussehens, wollte Brube gar bezichtigen, ihnen eine Lüge aufzutischen. Daraufhin wurde die Unterhaltung natürlich noch heftiger und mehrere Männer brachten sich und ihre Meinung mit ein. Die Diskussion währte den ganzen Vormittag. Enden sollte das ganze damit, dass Brube Veoen mit beiden Händen packte, den gut achtzig Stein schweren Mann von den Beinen riss und ihn auf seine, nicht unmaßgebliche, Augenhöhe hob. Hernach erklärte er nochmals eindringlich, dass er nicht lügen würde, wobei spürbarer Zorn in der Luft lag und die dicken Venen am Hals des Hünen hervortraten. Damit war die Sache vom Tisch. Keiner schien mehr die Intention einer Widerrede zu hegen. Meisterlich hörte dem Ganzen von Anfang an mit mildem Lächeln zu. In seinem langen Leben hatte er so manche Prahlerei miterlebt. Gerade überlegte er sich, ob er die Frage einbringen sollte, wie viel Bier Brube denn in der Kneipe konsumiert habe. Als Auftraggeber und zahlender Kunde, könnte er sich diese Dreistigkeit erlauben. Während er sich noch den passenden Wortlaut zurechtlegte, kam Zrak an seine Seite. Meisterlich drehte den Kopf zur Linken und grüßte ihn freundlich. Der Minotaur blähte die Nüstern, schnaubte laut aus. Mit dumpf tönender Stimme gab er zurück: „Naars Sohn, sei gegrüßt!“ Ein breites Grinsen lag nun auf Meisterlichs Gesicht. Den Hang der Minotauren zu den Göttern der Welt, hatte er nie verstanden. Zrak entging Meisterlichs Grinsen nicht. „Du lachst mich aus?!“, fragte er scharf nach, wobei sein mächtiges Organ sich noch einen Hauch gedämpfter vernehmen ließ. Schlagartig verschwand der belustigte Ausdruck des Händlers. „Nein mein Freund, nein. Ich habe mit den Göttern nur sehr wenig gemein, so wenig wie ich über sie weiß. Ich empfinde die Ansprache als Naars Sohn ungewohnt. Das ist alles.“ Zrak wand seinen Kopf nach vorne auf die Straße und nickte nachdenklich. Der Minotaur trug von einem Ohr zum anderen eine Bleikette aus einfachen kleinen Ringen. Sie schwang im Rhythmus seines Nickens zwischen Hals und Kopf, vor und zurück. Kurze Zeit verging, dann sprach der Minotaur wieder, ohne sich direkt an Meisterlich zu wenden: „Du fühlst dich nicht als Naars Sohn ... dennoch bist du Mensch ... dennoch lebst du das Leben, das er dir zugedacht ... auf die Art wie er es dich lehrte.“ Meisterlich war verwirrt. Das war doch keine Frage. Oder verstand er sie nur nicht? Unbehagen machte sich in ihm breit. Wie sollte er reagieren? Sollte er überhaupt reagieren? Nein, beschloss er. Was sollte er auch sagen? Das Beste war, still zu sein. Zrak ging noch eine Weile neben dem Wagen her und stierte auf Meisterlich. Irgendwann jedoch verstand er, dass er hier keine Antwort bekommen würde. So begab er sich in die Mitte des Trupps, marschierte jedoch für sich allein weiter. Mit erleichtertem Aufatmen sackten die Schultern des alten Händlers ein wenig ab, als er sich aus dieser unangenehmen Situation befreit sah. Im Laufe des Vormittags wurde der Wind ein wenig stärker, die Luft rauer. Die Straße blieb unverändert. Immer wieder knarrte der Wagen, als er einen Stein überwand. Als die Sonne ihren Zenit erreicht hatte, trat Mauran Falkenflug an Garantors Seite. Bei ihm angekommen, richtete er seinen Blick nach unten, hin zum Zwerg. „Seht“, sagte der gut gekleidete Mann und zeigte mit der Rechten in nordöstliche Richtung. „Hmmm ...“, erwiderte Garantor, während er den Horizont in der angegebenen Richtung mit den Augen absuchte. Schnell hatten seine scharfen Zwergenaugen das Ziel ausgemacht. In der tiefen Stimme Garantors schwang ein leicht besorgter Unterton mit, als er sprach: „Verdammt ... das ist Brand. Er rennt in unsere Richtung und hat kein Wild bei sich. Das könnte Ärger bedeuten.“ Mauran antwortete: „Ich kann ihn noch kaum erkennen, doch in der Tat, dieser unstete Lauf mag von Unannehmlichkeiten künden …“ Brand hatte schon viele Mondwechsel gezählt, war aber noch immer erstaunlich behände. Bald hatte er das Lager erreicht. Der Trupp blieb stehen, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ein wenig außer Atem, fing er an zu berichten: „Direkt auf der Straße ... ein Trupp Menschen nähert sich. Sie haben mich nicht gesehen. Es sind mindestens dreißig Mann, alle bewaffnet.“ Mauran wandte sich knapp an Garantor: „Ein Risiko! Was obliegt uns zu tun?“ Der Zwerg strich sich mit der Hand über den Bart und blinzelte nach Norden. „Kann sie noch nicht erkennen. Sind wahrscheinlich eh Händler.“ Mauran erwiderte: „Bedenkt die Möglichkeit einer Falle. So mancher Räubertrupp bedient sich derlei Spielereien.“ Mit dem üblichen Geschepper trat Cebrid vor und ergriff das Wort: „Reicht die Zeit für einen Umweg?“ Brand schüttelte den Kopf. Gleichzeitig brüllte Brube von hinten: „Ach, mein kleiner Bruder wieder, hehe. Brauchst keine Angst zu haben! Ich pass‘ ja auf dich auf.“ Der Riese grinste breit bei dieser Spöttelei, schnallte seine Hellebarde vom Rücken und marschierte demonstrativ zu seinem Bruder. Cebrid kniff nach Brubes Aussage Augen und Mund zusammen, um seinen Bruder nicht beleidigt anzuschreien. „Ruhe!!“, wetterte Garantor. „Verdammt ... wenn ich wen brauche der den Chef spielt, meld‘ ich mich!“, schrie er dann im selben Tonfall. Meisterlich saß unruhig auf seinem Kutschbock und beobachtete angespannt die Ereignisse. Garantor kam in Fahrt und brüllte mit der vollen Wucht seiner Befehlsgewalt mitten in den Trupp hinein: „Kampfformation! Aber keiner killt irgendwen oder irgendwas, bevor ich es befehle! Ist das klar?! Das ist eine reine Sicherheitsmaßnahme, also dreht hier nicht durch!“ Augenblicklich brachte sich der Trupp in Gefechtsstellung. Jeder war sich über seine Aufgabe im Klaren. Alles ging schnell und reibungslos vonstatten. Mauran Falkenflug sammelte die ihm unterstellten Mannen um sich, und bildete den rechten Flügel. Er bezog mit ihnen Position, ungefähr zehn Schritt von Garantor entfernt und einige Schritt nach vorne versetzt. Cebrid formte mit seinen Leuten den linken Flügel. Auch dieser war zehn Schritte entfernt vom Zwerg und ein wenig weiter vorne. Waffen rasselten. Das Stampfen schwerer Stiefel erfüllte die Luft. Meisterlich drehte auf Anordnung Brands seinen Wagen nach Süden und stellte sich zu seinen Maultieren. Die Unruhe in ihm nahm rapide zu. Brand selbst begab sich mit drei Bogenschützen des Trupps auf die Ladefläche des Wagens. Dort knieten er und ein anderer Schütze namens Gaal sich nieder und fingen an, Pfeile vor sich auszubreiten. Die beiden anderen standen hinter jenen, die knieten. Die Köcher gefüllt mit Pfeilen, die Bögen fest in den Händen und den ersten Pfeil leicht aufgelegt. Garantor stand einfach da. Er hatte nichts mehr zu befehlen. Zu seiner Linken stand Brube. Der rammte den Schaft seiner mächtigen Stangenwaffe vor sich in den Boden, wohl nur, um überflüssige Energie abzubauen. Rechts von Garantor stand Zrak, eine schwere zweischneidige Streitaxt aus einfachem Stahl in der rechten Hand. Lautes Schnauben brach konstant aus seinen Nüstern. Des Öfteren trat er mit dem linken Huf hart auf das steinige Erdreich. Hinter den dreien brachte sich Thef in Stellung. Seinen schwarzen Mantel legte er ruhig über die Schultern. Vom Hals bis zum Becken lief ein breiter Gürtel über seine schmale Brust. Eine hohe Anzahl feinster Wurfdolche aus Zwergenstahl war darin verborgen. Zwei einfache, gekrümmte Stahldolche hingen an der linken und rechten Hüfte. Die Zeit wollte nicht recht verstreichen. Garantor brüllte über die Schulter hinweg: „Meisterlich! Holt eure Handelsflagge raus und hisst das Ding!“ Erschrocken reagierte der Händler: „Natürlich ... natürlich ...“, pflichtete er hastig bei. Kurz darauf war der sich nähernde Trupp zu erkennen. Garantor ging zum Wagen und damit zu Meisterlich. Jener hatte seine grüne Flagge auf einem langen, dafür vorgesehenen Holzstock angebracht. „Gut“, sagte Garantor. Ohne weitere Worte nahm er das Banner aus Meisterlichs Händen und ging wieder nach vorne, an seine Position. Verhaltenes Schweigen und grimmige Gesichter prägten das Bild. Einige der unerfahrenen Rekruten fühlten sich sichtlich unwohl und warfen ihren Blick unsicher nach beiden Seiten. Der junge Bloj zitterte gar ein wenig. Er hielt sein Schwert krampfhaft in der Scheide umschlossen. Das konstante metallische Knacken von Schaft und Scheide verriet ihn. Bloj war im Flügel von Cebrid, und stand direkt neben ihm. Cebrid war ein Veteran vieler Schlachten. Väterlich legte er dem Jüngling die Hand auf die Schulter. Er drückte sie leicht, und gab Bloj zu verstehen, dass er nicht alleine war. Jener vergalt es mit einem dankbaren, wenn auch ein wenig gezwungen wirkendem Lächeln. Der Zwerg brummte in seinen Bart. Zrak blickte ihn fragend an. Als keine Antwort kam, fragte er schließlich: „Nun?“ Garantor murrte erneut und antwortete dann: „Hmmm ... entweder die sehen uns nicht, oder sie wollen sich nicht als Händler ausweisen.“ Zrak schnaubte laut und entgegnete mit erstaunlicher Gelassenheit: „Gib ihnen Zeit. Sie verfügen nicht über die Schärfe deiner Augen.“ Für ihn schien es einerlei, ob es einen Kampf auf Leben und Tod geben würde, oder nicht. Es dauerte nicht lange, bis alle den sich nähernden Trupp erkennen konnten. Meisterlich zitterte ein wenig, stand unruhig da und stierte nach vorne. Garantor drehte sich um und sprach bestimmt: „Sie haben die Handelsflagge gehisst!“ Entschlossen stand der Zwerg da. Nichts konnte ihn wirklich beunruhigen. Dafür hatte er schon viel zu viel erlebt. Auch Meisterlich hatte in den vielen Jahren als Händler so seine Erfahrungen gemacht. Dennoch stellte er nun das genaue Gegenteil zu dem entschlossenen Zwerg dar. Schnell atmend und zitternd ging er zu ihm und zusammen schritten sie nun aus, in Richtung des anderen Trupps. Langsam, ohne Hast. Ihnen direkt gegenüber, näherten sich zwei Personen. Würde sich alles als korrekt herausstellen, waren es der Händler und der Söldnerführer des anderen Trupps. „Alles klar?“, fragte Garantor seinen Auftraggeber, während er von den Lederschlaufen an seinen Schenkeln seine Kriegsaxt und den Streitkolben feinster zwergischer Machart löste. Der alte Händler zitterte immer noch, schaffte es jedoch, sich zu Garantor zu wenden und zu nicken. Meisterlich hatte den Zwerg nie im Kampfeinsatz gesehen. Dennoch traute er ihm viel zu und erwartete in ihm den gleich guten Kämpfer wie Führer. Nun waren die sich nähernden Männer kaum zwanzig Schritt von ihnen entfernt. Nur noch wenige Momente und beide Parteien würden stehenbleiben. Die Nahenden waren beide Menschen, als Händler und Söldner schon rein äußerlich zu erkennen. Der eine war großgewachsen und muskulös. Bewaffnet war er mit einem schweren Zweihänder, welchen er locker in beiden Händen vor seiner schwer gepanzerten Brust hielt. Der andere war eher hager und gut gekleidet. Dem Aussehen nach ein Händler, wenn auch bei weitem nicht so unruhig wie Meisterlich. Es war soweit. Die vier blieben stehen. Garantor stand kampfbereit da. Bald würden sie Gewissheit erlangen. Ruhig atmete er, seine Augen auf die vermeidlichen Gegner gerichtet. Es gab nichts zu sagen. Das war auch nicht nötig. Die Beine hatte der Zwerg leicht angewinkelt, als wolle er nach vorne springen. Er würde seiner Aufgabe gerecht werden. „Und?“, fragte er, ohne den Blick vom gegnerischen Krieger zu nehmen. Einen Moment geschah nichts. Garantor wollte eine Bewegung beim Händler gegenüber gesehen haben. Das konnte aber auch vom wehenden Wind herrühren. Meisterlich hatte seine Stimme wieder gefunden. „Es sind Händler.“ Erleichtert atmete er auf, sein Zittern ließ nach, und seine Schultern entspannten sich. Garantor lachte sein seltenes Lachen und schnallte die Waffen wieder an die Hüften. Die Stimmung war auf einmal wie umgekehrt. Von Angst oder Vorsicht keine Spur. Freundschaftlich nährten sich die vier einander. Mit gewichtslosem Schulterklopfen trafen sich die Händlerkollegen. Schwer schlugen die Handflächen der Söldner zusammen, als sie sich begrüßten. Der menschliche Söldner sagte erleichtert: „Ich versteh‘s nicht. Hast du was mitgekriegt?“ Noch einmal lachte Garantor laut und antwortete dann: „Nein, verdammt, nein. Mach die Arbeit, seit mehr Mondwechseln als die beiden Händler zusammen. Hab immer noch keine Ahnung was das für ´ne Zeichensprache, oder was auch immer ist!“ Beide Söldner lachten laut. Der Mensch mit dem Zweihänder packte selbigen weg und schrie seinen Mannen zu, dass sie kommen sollten. Garantor brüllte ebenfalls nach seinen Leuten. Bald standen alle zusammen und begrüßten sich gegenseitig. Informationen wurden ausgetauscht und es wurde viel gelacht. Meisterlich befragte seinen Kollegen nach möglichen Problemen, welche der weitere Marsch wohl bereithalten mochte. Jener konnte nur antworten, dass sie auf keine Hindernisse gestoßen waren seit sie aus Salzheim aufgebrochen waren. Ungläubig fragte Meisterlich nochmals nach. Er wollte wissen, wie sie ohne Schwierigkeiten an Naars Auge vorbeigekommen waren. Mit dem Lachen eines Mannes, der darum wusste, dass die größte Gefahr seiner Reise schadlos überstanden war, entgegnete der hagere Händler: „Nichts. Kein verdammter Oger ließ sich blicken. Wir sind einfach durchmarschiert.“ Meisterlich nahm diesen Umstand als schlechtes Omen auf. Nichts verlief so, wie er es erwartet hatte. „Keine Oger ...“, sagte Meisterlich und schüttelte leicht den Kopf ohne irgendjemanden anzusehen. In seinem Geist malte sich der alte Händler aus, wie sich alle Oger des Landes irgendwo versammelt hatten, dem einzigen Ziel folgend, ihm aufzulauern. Mit Absicht rührten sie sich nicht. Ihrer Dummheit und Kampflust zum Trotz, hielten sich alle zusammen irgendwo verschanzt, bis er ihnen endlich in die Arme laufen würde. Für einige Momente hatte er gar nicht registriert, was um ihn herum geschah. Zu sehr war er in seine paranoiden Gedanken vertieft. Der andere Händler hatte wohl irgendwas gesagt. Auf eine Antwort wartend, stand er nun da. Mit den Worten „Nicht normal ... viel zu einfach ...“, drehte sich Meisterlich um, und ging langsam zurück zu seinem Wagen. Der jüngere Händler stand perplex da, kratzte sich am Kopf, sagte noch: „Der spinnt!“, wandte sich zur Seite und fing eine Unterhaltung mit Mauran Falkenflug an, welcher eben freundlich grüßend an ihn herangetreten war. Ruhig zog die Sonne ihre Bahn und kam ein gutes Stück voran, ehe sich die Mannen lösen konnten. Der menschliche Söldnerführer hatte drei Flaschen Kartoffelbrand dabei. Von den Barbaren, wie er sagte. Sehr stark, dafür umso schlechter im Geschmack. Selbst Garantor konnte sich nicht lösen, bevor die Flaschen leergetrunken waren. Die Diskrepanz zwischen Pflicht und Schnaps war überhaupt eine oft diskutierte Frage bei den Zwergen. Und noch einmal lag eines seines seltenen Lächeln auf dem Zwergengesicht, als sie sich verabschiedeten. Irgendwie passte dieser Ausdruck gar nicht in das derbe Antlitz. Zu sehr waren die tiefen Furchen der Verantwortung und die schwere Bürde der Vergangenheit eingebrannt. Wieder waren sie in Bewegung und marschierten weiter. Weit würden sie nicht mehr kommen, ehe die Sonne untergehen würde. Dennoch versuchte Brand sein Glück nochmals auf der Jagd. Schnell entfernte er sich nach Nordwesten. Meisterlich tat, was er immer tat Er saß da und grübelte über die Begebenheiten. Ab und zu sah er kurz nach hinten auf die Ladefläche. Das war aber auch schon alles. Der Trupp marschierte locker voran. Einige unterhielten sich, andere schritten monoton aus, waren versunken in irgendwelche Gedanken. Die Nacht war schon angebrochen, als Brand zurückkam. Ihm war kein Glück beschieden. Mit leeren Händen betrat er das halb aufgebaute Lager und setzte sich hin, ohne etwas zu sagen. Keiner fragte ihn, warum er nichts erlegt hatte. Das würde auch nichts bringen. Dass er keinen Erfolg gehabt hatte, konnte man sehen und es war nicht nötig, ihn mit unnützen Fragen zu bedrängen. So verrichtete jeder seine Arbeit mit dem Wissen um ein kärgliches Abendmahl. Es war eine kalte Nacht. Der Wind frischte merklich auf. Jene die nicht Wache schieben mussten, wickelten sich in ihre Decken und schliefen unruhig. Garantor hatte eine zusätzliche Feuerstelle entzündet, um seinen Männern ein wenig mehr Wärme zu spenden. Lange saß der Zwerg da und betrachtete seinen Rekar-Stein. Dieses Wort, Rekar, stellte gleichermaßen den Namen für den Gott der Zwerge wie für den Stein, den ein jeder von ihnen bei sich trug. Es war der Stein, mit dem das Zwergenkind am liebsten spielte. Dieser Stein war das Symbol der Liebe zu Stein und Erdreich, Feuer und Metall. Es war der wichtigste Besitz eines jeden Zwergs. Niemals würde er freiwillig weggegeben werden. Garantors Rekar-Stein war ein einfacher Klumpen Eisenerz. Er trug ihn normalerweise an einer Lederschlinge um den Hals. Nun hielt er ihn in seiner Linken, fest umschlossen. Dumpf stierte er in die Flammen, die buschigen Augenbrauen zusammengezogen, die Lippen geschürzt. Die rechte Hand fuhr langsam, mit mechanischer Konstanz, über seinen Bart. Wie so oft saß er alleine da, und wie so oft wusste keiner um seine Gedanken. Es war keineswegs so, dass sich niemand zu ihm setzten wollte. Im Gegenteil. Ein jeder seiner Mannen hegte größten Respekt für ihn. Alle die mehr als einige Mondwechsel im Trupp waren, schätzten Garantor als hervorragenden Strategen und Kämpfer. Viele würden ihn sogar als Freund bezeichnen. Dennoch setzte sich keiner zu ihm. Der Zwerg schätzte keine Gesellschaft; schon gar nicht, wenn er am Feuer saß. Und alle wussten das. Irgendwann, kurz vor der dritten Wache, begab sich Garantor zur Ruhe und legte sich auf eine große Steinplatte mitten im Lager. Er streckte sich auf dem kalten Basalt, legte seine Handflächen auf den rauen Untergrund und schlief ein. Auch Meisterlich schlief. Wenn auch lange nicht so gut wie der Zwerg. Finstere Gedanken schlichen sich in seinen Geist. Visionen von Tod und Verderben ließen ihn immer wieder aufschrecken. Schweißgebadet quälte er sich durch die kalte Nacht. Am Morgen stand er sehr früh auf und entfernte sich ein wenig vom Lager in Richtung Naars Auge. Die Wachen im Norden und Nordosten verrichteten zu diesem Zeitpunkt Dimite und Kalad. Die beiden Söldner sahen zwar, wie sich Meisterlich aus dem Lager entfernte, unternahmen aber nichts dagegen. „Egal“, raunte Dimite durch seinen Bart an Kalad gerichtet. Auch jener hatte nichts dagegen. Der Tag war angebrochen und etwaige Gefahren der Nacht waren nicht mehr zu fürchten. Meisterlich blieb stehen und sah zu, wie die Sonne aufging. Die Nacht hatte ihn müde zurückgelassen. Getroffen stand der alte Mann da. Der Wind fuhr ihm in die Haare, blies sie ihm in die Augen. Das war Meisterlich egal. Er wischte sie nicht, wie gewöhnlich, aus dem Gesicht. Leichtes Fieber hatte ihn befallen, gesellte sich zu Angst und Ermattung. Keine aufmunternde Mischung für ein desolates Nervensystem wie das seine. Wolken zogen von Osten her auf. Es würde wohl bald regnen. Immer noch waren seine Augen nach Norden gerichtet, so als wolle er ersehen, was sich bei Naars Auge tat. Das Brüllen Garantors nach seinen Mannen zog an Meisterlichs Ohren vorbei. Das Lager machte sich zum Aufbruch bereit. Mit kräftiger Stimme gab der muskelbepackte Cebrid Anweisungen. Der Hüne war nach Mauran Falkenflug der dritte Mann der ziehenden Schar. Neben seinen erstklassigen kämpferischen Fähigkeiten zeichnete er sich vor allem durch ein beobachtendes Auge aus. Oft war er der erste, der einen Missstand erkannte und meistens behob er ihn ohne größeres Aufsehen. Auch jetzt war er es, der Meisterlichs seelische Verfassung richtig einschätzte und ihn auf die bestmögliche Art versuchte zu unterstützen. Schnell spannte er die Maultiere des Händlers an und übergab den Wagen samt Gespann an Kalad. Kurz bevor die Mannen weitermarschierten, ging Cebrid voran, um mit Meisterlich zu reden. „Morgen ...“, sagte er. Meisterlich antwortete nicht. Wenige Momente verstrichen. Immer noch wehte der Wind, unangenehm und stetig. Nachdem Cebrid den Händler eindringlich gemustert hatte, sprach er mit fester Stimme: „Wir werden durchkommen, sorgt euch nicht. Ihr habt den besten Trupp, den man für Geld kriegen kann.“ Der Händler sagte nichts, drehte sich aber langsam zu Cebrid. Er sah ihm in die Augen, die eigenen glasig und matt. Durchdringend musterte er Cebrid einige Zeit, als wolle er den Wahrheitsgehalt der Aussage prüfen. Cebrid begegnete dem Blick mit einem zuversichtlichem Lächeln. Nun sprach Meisterlich: „Es scheint alles so unwahrscheinlich. Der Händler, der uns begegnete ... er zog durch Naars Auge, ohne einen einzigen von Grors verfluchten Ogern zu treffen.“ Cebrid wollte antworten, aber Meisterlich war noch nicht fertig mit seinen Ausführungen. „Wir sind nach Rekars Ehr gezogen und wieder zurück. Ich hab die wertvollste Fracht, die sich je in meinem Besitz befand bei mir und keiner will sie mir nehmen ... das gibt es nicht!“ Die letzten Worte stieß er leicht hysterisch hervor. Cebrid nickte und erwiderte: „Ja, es ist höchst ungewöhnlich. Wir hatten praktisch keinen Kampf bis jetzt.“ Schnell fügte er noch hinzu: „Das will nicht heißen, dass wir bei Naars Auge auf eine Übermacht Oger treffen werden.“ Meisterlich straffte die Schultern, wie zum Trotz: „Ich habe mich mit allem abgefunden. So oder so, diese Reise wird ihr Ende bald finden.“ Mit diesen Worten drehte er sich nach Süden und wollte zum Lager zurückkehren. Cebrid packte den Händler an der Schulter und bedeutete mit festem Wort: „Wir sollten unser Glück schätzen, anstatt nach Grors Kreaturen zu flehen!“ Meisterlich wollte sich losreißen. Cebrid hielt ihn fest und sprach weiter: „Und eines sag ich euch. Gnade dem Oger, der auf uns trifft! Seit vollen achtzig Mondwechseln bin ich zusammen mit meinem Bruder Brube unter Garantors Söldnern. Kein Oger, den wir trafen hat überlebt, kein ...“
„Was für ein Ausblick ... bei Naar ...“ Kalad war mit dem jugendlich aussehenden Bogenschützen Gaal ein wenig über den verschlammten Steppenboden vorausmarschiert. So waren sie die ersten, die direkt neben dem Ausläufer von Naars Auge standen. Eine kalte Mittagssonne beleuchtete die Ebene und den Riss in der Welt. Die gewaltige Schlucht lag kaum fünf Schritt vor ihren Füßen und schlängelte sich südöstlich weiter ins Land hinein. Nach Norden wand sie sich hin zum Herzen der gespaltenen Welt, zu Naars Auge. Auch Gaal war sichtlich überwältigt und stierte mit offenem Mund auf den scheinbar unendlichen Abgrund. Die beiden jungen Söldner sahen zum ersten Mal in ihrem Leben eine der Klüfte im Land. Kalad ging bedächtig zwei kleine Schritte nach vorne und beugte sich leicht vornüber, um nach unten zu spähen. Leise sprach er, fast ehrfürchtig: „Mein Vater hat mir von Naars Auge erzählt, auch von den Schluchten, die zu ihm führen, hat er mir berichtet. Nie ... niemals hätte ich etwas derart Gewaltiges erwartet.“ Gaal hatte dem nichts hinzuzufügen. Er folgte mit seinen Augen dem schier unendlichem Nichts, das sich nach Norden wandte. Der restliche Trupp hatte sie beinahe eingeholt und mehrere der Männer kamen zu Kalad und Gaal. Brube war einer der ersten, die sich zu ihnen gesellten. Dunkel brummend, baute er sich hinter Gaal auf. Brube überragte den Bogenschützen um weit mehr als einen Kopf. Über Gaal hinweg betrachtete er den Abgrund. Ein faustgroßer Steinbrocken lag in seiner mächtigen Hand. Immer wieder warf er ihn hoch und fing ihn wieder auf. Nachdenklich stand er da, warf den Stein hoch und fing ihn wieder. Mit den Worten, „Das wollt‘ ich schon immer mal machen“, trennte er sich von dem Stein und schleuderte ihn über Gaal hinweg in den Abgrund. Andächtiges Schweigen breitete sich aus. Nichts passierte. Weitere Gefährten gesellten sich zu ihnen, aber kein Laut ertönte. Nur das leichte Säuseln des Windes war zu hören. Vom schweren Regen oder den krachenden Blitzen der letzten Tage war nichts mehr auszumachen. Einige wenige Wolken hingen noch vereinzelt am Himmel. Befreit von ihrer Last, verzogen sie sich langsam nach Süden. „Habt ihr gehört? ... Hört ihr?!“, flüsterte Kalad mit belegter Stimme. Keiner antwortete. Offensichtlich hatte keiner etwas gehört. Irgendwann riss Brube der Geduldsfaden. „Pahh!“, ließ er vernehmen, drehte sich um und folgte dem Rest des Trupps, welcher mittlerweile schon an ihnen vorbeigezogen war. Bald warteten nur noch jene, die als erste angekommen waren, vergebens auf den scheinbar unendlich fallenden Stein. Leise flüsterte Kalad: „Ich dachte ich hätte ihn aufkommen hören ... du nicht?“ Mit ebensolcher Stimme antwortete Gaal: „Nein, der fällt noch immer. Wenn du mich fragst, der kommt niemals an.“ Die beiden sahen sich kurz in die Augen und verließen dann ihren vergeblichen Horchposten. Geräuschvoll folgten sie den anderen auf dem matschigen Weg. Müde trotteten die Maultiere voran. Die großen Wagenräder waren von Schlamm und zum Teil schon verkrustetem Erdreich überzogen. Widerwillig schienen sie ihrer Aufgabe nachzukommen, knarrten und ächzten unentwegt. Auf dem Kutschbock saß Meisterlich und blickte müde auf die Söldner, die vor ihm marschierten. Selten benutzte er seine Peitsche. Ebenso träge wie seine Maultiere, schien Meisterlich Verständnis für die lethargische Ausführung ihrer Arbeit aufzubringen. Müde saß er da und wurde von Tag zu Tag immer erschöpfter. Es war nun der fünfte Morgen, seit sie den nach Naars Zweifel reisenden Händler mit seinen Söldnern getroffen hatten. Dennoch konnte er seinen Berufskollegen nicht aus seinem Geist drängen. So sehr er es auch versuchte, immer wieder dachte er an ihn und an Naars Auge. Immer schlechter schlief er in der Nacht und heute würde er mit Sicherheit auch keine Erholung finden. Spätestens morgen mussten sie Naars Auge erreichen. Es wurde allgemein wenig gesprochen. Schwer lag die gewaltige Schlucht auf der rechten Seite des Weges auf den Gemütern. Der träge Marsch ließ nunmehr wenig Freudiges zurück. Plötzlich riss Garantor den rechten Arm hoch und murrte über die Schulter nur ein dumpfes „Oger!!“ Die wenigen Wortwechsel verstummten, und die Mannen blieben ruckartig stehen. Bis auf Meisterlich. Er hatte wohl nichts gehört und fuhr stetig weiter. Mauran Falkenflug war einer der Hintersten im Trupp. Gerade hatte er sich noch mit Brand unterhalten. Nun lief er behände die wenigen Fuß zu Meisterlich, zerrte an den Zügeln der Maultiere und gab dem Händler ein Zeichen, dass er sich ruhig verhalten solle. Meisterlich erschrak, riss die Augen panisch auf. Seine Gesichtszüge erstarrten. Er verstand jedoch, um was es ging und bremste die murrenden Tiere mit festem Ruck ab. Dann lief Mauran nach vorne, an die Seite Garantors. Der Zwerg stand einfach da, schnüffelte in der Luft und blickte konzentriert geradeaus. Alles war ruhig. Keiner sprach. Alle sahen nach Norden und versuchten etwas zu erkennen. „Verdammtes Biest ... ich sehe dich“, raunte Garantor und richtete den Zeigefinger nach Norden, auf einen Punkt, den außer ihm wohl keiner ausmachen konnte. Das weite Land schien bis zum Horizont nichts als ein paar Felsen und einige wenige hagere Fichten zu beherbergen. Mauran blickte konzentriert nach Norden. „Wie viele an Zahl zeigten sich euch?“ Der aristokratische Zungenschlag Maurans schien genauso fehl am Platz, wie die Schnörkel und Strickmuster an seiner Kleidung. Garantor antwortete zögernd, jedoch keineswegs unsicher: „Es ist einer ... nur einer. Er ist ausgewachsen.“ Der Zwerg hob seinen Kopf ein wenig mehr in die Höhe, schnüffelte erneut. Kurz darauf sprach er weiter: „Ein Mann. Und wenn ich meinen Augen trauen kann, sitzt er einfach nur da, hinter einem Felsblock. Ich kann nur den Schädel erkennen. Er überragt den Fels.“ Mehrere Mannen standen um Garantor herum. Ein jeder wusste um seine gute Nase in Bezug auf Oger und an seiner Sehschärfe hatte schon längst keiner mehr Zweifel. Cebrid hatte seinen Zweihänder aus der Scheide gezogen und lehnte sich leicht auf ihn. Offensichtlich wusste er nicht recht, was zu tun war, oder was er sagen sollte. Ähnliche Gesichtsausdrücke waren in so manchem Antlitz festzustellen. Der Wind änderte leicht die Richtung. Garantor senkte seinen Kopf wieder auf normale Höhe und drehte sich zu Mauran Falkenflug. Mit der Rechten kratzte er sich am Bart während er sprach: „Verdammt! Was sucht ein einzelner Oger hier? Was macht er einen halben Tagesmarsch von seinem verdammten Sumpf entfernt?“ Von hinten meldete sich Brube: „Ich wette, der fette Trottel hat sich verlaufen.“ Ein kindliches Grinsen lag auf seinem Gesicht und mehrere Männer konnten sich ein bescheidenes Lächeln nicht verkneifen. Kurz blickte Garantor nach hinten, und sah grimmig in Brubes Augen. So schnell wie das Lächeln gekommen war, verschwand es wieder. „Verdammt ...“, murmelte der Zwerg nochmals. Cebrid hatte nun genug gegrübelt. „Du bist sicher, dass es nur einer ist?“, hakte er nach. Garantor antwortete schnippisch: „Du meinst die Frage ernst, oder?“ Verlegen kratzte sich Cebrid an der linken Wange. „‘tschuldigung ... ich versteh‘ bloß nicht, was ein Oger allein so weit im Süden tut. Ich dachte halt, ich frag nochmal ... Hätte ja sein können ...“ Cebrid sprach nicht mehr weiter. Wozu auch? Nichts Treffliches wollte sich in diese unsichere Ausführung einschleichen. Thef kam lautlos heran und stand auf einmal unbemerkt vor Garantor. Er war nur um weniges größer als der Zwerg und blickte ihm auf gerader Linie in die Augen, als er sprach: „Wo liegt das Problem? ... Gehen wir und schlachten das Schwein!“ Garantor schien diesen Plan als befriedigend zu erachten. Zustimmendes Nicken und geschürzte Lippen zeugten von seinem Einverständnis. „Guter Plan“, sagte er, und fügte nach kurzer Pause noch hinzu: „Ich hab zwar keine Ahnung was der Oger da macht, aber er ist alleine ... und er hat es nicht verdient zu leben!“ Garantor gab Anweisung, den Oger einzukreisen und ihn in die Zange zu nehmen. Mauran Falkenflug marschierte mit seinen Leuten zur Rechten und Cebrid zur Linken des Zwergs. Brand befand sich mit seinen Bogenschützen direkt hinter Garantor und prüfte während des Marschs einige Pfeile. Meisterlich fuhr ein Stück hinter seinen Söldnern. Hier war er sicher, so hoffte er wenigstens. Es war allgemein bekannt, dass Oger einfach blindlings angriffen, wenn sie auf andere Lebewesen des Landes trafen. Egal ob es Tod oder Sieg bedeuten sollte. Zielsicher führte Garantor seine Leute voran. Der Fächer seiner kleinen Armee wurde immer breiter. Immer weiter zogen sich die Söldner auseinander und immer näher kamen sie ihrem Ziel.