Dies Irae - Torsten Clauß - E-Book

Dies Irae E-Book

Torsten Clauß

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Beschreibung

Der Anfang vom Ende ... Ein mysteriöses Monster, ein erschütternder Anschlag und ein tödliches Virus. Die extremistische Sekte Kyrie Eleison, die all das zu verantworten hat, verfolgt einen unheilvollen Plan: Die Ausrottung der gesamten Menschheit. Damit wird sie sogar für den übermächtigen Konzern Solv Tech International zur Gefahr. Damien Koke, der seine letzte Begegnung mit dem Konzern nur knapp überlebt hat, muss nun neue Verbündete um sich scharen. Er weiß, dass Kyrie Eleison um jeden Preis aufgehalten werden muss. Doch wäre er dafür sogar bereit, eine Allianz mit Solv Tech International einzugehen?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Dies Irae

Erster Teil

Zweiter Teil

Dritter Teil

Impressum

f

Dies Irae

A Tale Of A Legacy

Buch 2

von

Torsten Clauß

Text und Cover Copyright © Torsten Clauß 2017 Alle Rechte vorbehalten.

Herausgeber: Torsten Schädel

Adolf-Amberg-Str. 16

63579 Freigericht

Mail: [email protected]

Coverdesign: Shewan Karim

Dies Irae

A Tale Of A Legacy

Buch 2

von

Torsten Clauß

Bisher in dieser Reihe erschienen:

Band 1: Liam

Band 2: Dies Irae

Was bisher geschah …

Überspringen

Die achtzehnjährige Kate Talley hat sich mit Solv Tech International angelegt, dem mächtigsten und mörderischsten Konzern der Welt. Nicht absichtlich: Sie hat nur aus Versehen das wichtigste Experiment des Unternehmens gestohlen. Liam, so dessen Name, kann sich zwar leider nicht mehr an sein Leben vor seiner Befreiung erinnern, hat aber durch die ihm implantierte Nanotechnologie die Fähigkeit erlangt, Raum und Zeit zu manipulieren.

Der CEO von Solv Tech International, Alexander J. Solva, und dessen Sicherheitschef, Raymond Beauford, beginnen eine skrupellose Hetzjagd, bei der Kates Vater getötet wird. Liam und Kate hingegen werden von Damien Koke gerettet, einem Millionär aus Miami – und Gründungsmitglied einer Widerstandsbewegung mit dem Ziel, die Machenschaften von Solv Tech zu beenden. Weitere Mitglieder sind der New Yorker Polizist Kevin Endres, der Frankfurter Hacker Daniel Kleis und ein Maulwurf innerhalb des Konzerns, den die anderen nur als »Bionix« kennen.

Kate, Liam und Damien gelingt es, sich nach Deutschland abzusetzen. Dort offenbart Daniel ihnen brisante Informationen, die er mit Bionix' Hilfe von den Solv Tech-Servern gestohlen hat: Der Konzern hat unter der Bezeichnung Latura einen tödlichen Virus entwickelt und plant dessen Verkauf an Extremisten, um anschließend mit dem Verkauf des Gegenmittels ein Vermögen zu verdienen. Der Widerstand will diese Informationen veröffentlichen, um Solv Tech International zu Fall zu bringen.

Unterdessen hat setzt Solva seinen Leibwächter und Attentäter, den Engel Nr. 3, auf Kate und Liam an. Der kaltblütige und düstere Killer wird bei seiner Arbeit stets von einer zynischen Stimme in seinem Kopf begleitet, die sich selbst Niki nennt. Der Engel spürt den Widerstand in Frankfurt auf, tötet neben zahlreichen Unbeteiligten auch Daniel Kleis und zerstört die Latura-Daten. Auch 3s eigene Geliebte, Tamara, fällt ihm dabei als Kollateralschaden zum Opfer. Aufgrund seines ›besonnenen‹ Charakters und Nikis fürsorglicher Intervention projiziert er die Schuld für diesen Verlust jedoch auf Liam. Als die beiden erneut aufeinander treffen, wird Liam von seinen Freunden getrennt und scheinbar getötet.

Kate und Damien fliehen über den Landweg nach Griechenland. Unterdessen trifft Kevin Endres in New York auf Liam, dem es dank seiner Fähigkeiten gelungen ist, dem Engel Nr. 3 mittels Teleportation zu entkommen. Gemeinsam planen sie einen Einbruch im Solv Tech International Hauptgebäude, um die verlorenen Latura-Daten wiederzubeschaffen. Alexander Solva empfängt den Führer der Sekte Kýrie eléison, der durch die Geschehnisse in Deutschland auf 3 aufmerksam geworden ist: Aaron Damenz, begleitet von seiner Leibwächterin Nadja. Auf seinen Wunsch hin lässt Solva Nadja die Implantate einsetzen, aus denen auch 3 einen Teil seiner übermenschlichen Kraft bezieht. Im Gegenzug erklärt Damenz sich bereit, Kate und Damien in Europa aufzuspüren und auszuliefern.

Nr. 3 erfährt nach seiner Rückkehr von Nadja, dass sie einem Mann begegnet sein will, der ihm zum Verwechseln ähnlich sähe. Da die Protagonisten des Engelsprogramms Klone waren und die Engel Nr. 1, 2 und 4 seinerzeit von ihm selbst getötet wurden, schließt 3 nun aus Nadjas Aussage, dass es einen fünften Klon gibt, den Solva ihm verheimlicht. Unterdessen brechen Kevin und Liam mithilfe seiner Fähigkeiten in das Solv Tech-Hauptgebäude ein und treffen auf die Wissenschaftlerin Tracy Rush, die sich als Bionix zu erkennen gibt und Liams Vergangenheit enthüllt: Sein richtiger Name ist Ryan Hudson, Tracys Verlobter. Sie waren zusammen mit ihrem Bruder Quentin, Ryans besten Freund, an dem sogenannten Invisible Hawk-Projekt beteiligt, dem Liam seine Fähigkeiten verdankt. Quentin hatte als erster Prototyp gedient, geriet jedoch durch den vom Experiment verursachten Gedächtnisverlust außer Kontrolle und floh durch eine Teleportation. Ryan stellte sich als zweiter Prototyp zur Verfügung, um Quentin wieder aufspüren zu können. Tracy übernahm daraufhin die Rolle des Bionix, die ursprünglich Ryan innehatte, initiierte seine Befreiung und den Diebstahl der Latura-Daten.

Kate und Damien werden zwischenzeitlich auf ihrem Weg nach Griechenland in Österreich von Kýrie eléison-Anhängern entführt, nach New York transportiert und dort an Solva übergeben. Bei der Infiltration des Solv Tech International-Hauptgebäudes werden Tracy und Liam von Kevin getrennt. Während Kevin die Uniform eines Wachmanns anlegt und versucht, seine Freunde von der Sicherheitszentrale aus zu unterstützen, enthüllt Tracy Liam den Ursprung der Technologie für das Invisible Hawk-Projekt: Sie wurde in den fossilen Überresten einer außerirdischen Lebensform entdeckt, erforscht und kopiert. Das Fossil selbst ist von den Mitarbeitern auf den Namen ›Niki‹ getauft worden. Über die Überwachungskameras im Sicherheitszentrum entdeckt Kevin unterdessen Damien und Kate in einem Verhörraum und befreit sie. Schließlich alarmieren aber Liam und Tracy beim erneuten Kopieren der Latura-Daten Solva und Beauford, so dass der Sicherheitsdienst im Gebäude ausschwärmt.

Nr. 3 stellt Solva wegen Nr. 5 zur Rede. Der CEO bietet ihm die gewünschten Antworten und seine Freiheit im Gegenzug für Liams Liquidierung an. Kevin, Kate und Damien schaffen es fast aus dem Gebäude zu entkommen, werden aber von Beaufords Leuten eingekesselt. Nur Kevin schafft es mit der Hilfe seines plötzlich auftauchenden NYPD-Partners Thomas Briggs vom Gelände zu fliehen, wird dabei aber schwer verwundet. Zur gleichen Zeit stellt der Engel Nr. 3 Liam in einem der wissenschaftlichen Labore und tötet Tracy. Ein harter Kampf zwischen den beiden entbrennt, den der Engel am Ende knapp für sich entscheiden kann. 3s Tötungsbefehl wird kurz vor der Vollstreckung telefonisch von Solva aufgehoben und der Engel eskortiert Liam stattdessen auf das Dach des Gebäudes, wo Damien und Kate von Solva und Beauford festgehalten werden.

Solva bietet Liam die Freiheit seiner Freunde im Gegenzug für seine Kooperationsbereitschaft und die Latura-Daten an. Als Liam einwilligt und sich von ihm einen Hemmstoff für seine Fähigkeiten injizieren lässt, bricht Solva jedoch sein Wort und Nr. 3 wirft Kate, von seinem Rachedurst angetrieben, vom Dach. Unter dem verzweifelten letzten Einsatz seiner Fähigkeit springt Liam ihr hinterher und fängt sie in der Luft. Während ihres gemeinsamen Sturzes wird Liam von Niki kontaktiert, der ihm einen Ausweg anbietet, dafür aber einen Vertrauensvorschuss verlangt.

Nach wochenlanger Folter und Verhören wird Damien Koke von einem Solv Tech-Einsatzkommando, angeführt von Raymond Beauford, in eine Wüste gebracht und dort gekreuzigt.

Glossar

Aaron Damenz – Oberhaupt der Sekte Kýrie eléison

Alexander J. Solva – Eigentümer und CEO von STI

Alina – Söldnerin, Chatpseudonym „Azrael“

Antonio Cacciari – Italienischer Globetrotter

Black Rapidz – New Yorker Straßengang. Mitglieder (u.a.): Ace (Anführer), Daddy Doc, Charly, Sam, Spector

Camille Bander – Führendes Kýrie eléison-Mitglied

Charles Spooner – Söldner und Scharfschütze

Curtis Blige– Unterweltboss, Auftraggeber der Black Rapidz

Damien Koke / Starret – Überlebender Widerstandskämpfer

Delta-Team – STI-Security Gruppe im Sunrise Building. Mitglieder: Ashley Bannon, Collin Boyle (Gruppenführer), Jannis Heuzeroth, Kanan Shah, Rico Creevis, Terry Smagdabrown

Engel Nr. 3 –Klonprodukt des Engelsprogramms von STI

Engel Nr. 5 – Klonprodukt des Engelsprogramms von STI

Engelsprogramm– Supersoldaten-Klonprojekt von STI

Fenrir– Führendes Kýrie eléison-Mitglied

Invisible Hawk – STI-Projekt zur Raumzeit-Manipulation

Jack Rohwood – Leitender CIA-Agent (Commander)

Jaqcues Bander – Führendes Kýrie eléison-Mitglied

Jessica Hadad – Israelische Journalistin

Julius Snyder – Söldner und Schwertkämpfer

Kate Talley – Befreite Liam und geriet ins Visier von STI

Kevin Endres / Weesore – Ehemaliger NYPD Detective

Konrad Sandman – CIA-Agent

Konstantin Chibarvk –Kýrie eléison-Mitglied, ehemaliger KGB-Agent

Kýrie eléison – Christlich-extremistische Sekte

Latura – Von STI geschaffenes Killervirus

Liam – Invisible Hawk-Testsubjekt, befreit von Kate Talley

Lukas Wolf – Deutscher Globetrotter

Menschmaschine – Kriegsmaschine der ehem. UdSSR

MSF – Ärzte ohne Grenzen. Mitglieder in Nigeria (u.a.): Hector, Miquel, Valentina

Nadja – Leibwächterin von Aaron Damenz

Niki – Körperlose Stimme, Begleiter von Nr. 3

Morris Kings – New Yorker Straßengang. Mitglieder (u.a.): Bone, RJ

Sergej Tupolew – Russischer Waffenhändler

Raymond Beauford – Sicherheitschef von STI

Sean Cooper – Bühnenmagier, Künstlername „Loki“

Scott Clayer – Stellvertreter von Raymond Beauford

Solv Tech International (STI ) – Mächtiger Nanotechkonzern

Sunrise Building – STI-Gebäude in São Paulo, Brasilien

Terry Smagdabrown – STI-Security, Sunrise-Delta Team

Thomas Briggs – Ehemaliger NYPD-Partner von Kevin

Erster Teil

Prolog

Manhattan, New York – vor zehn Jahren

Patient Nr. 5 öffnete die Augen und blinzelte in die Dunkelheit. Es war das erste Erwachen seines Lebens. Die Sinneseindrücke, die ihn überfielen, waren so überwältigend, wie es die eines Kindes bei der Geburt sein mussten. Allerdings war dies eine Geburt der etwas anderen Art.

Er hörte von weit her Schreie, roch Angst und Blut und sah mit geschärftem Blick das Zimmer, in dem er sich befand. Es war nicht besonders groß und das Bett, in dem er lag, war der einzige Einrichtungsgegenstand. Sein kleines Reich wurde von vier farblosen Wänden eingegrenzt. In der Gegenüberliegenden war eine Tür eingelassen.

Wie in Trance setzte er sich auf. Wo war er?

Er hob seine Hände von der Bettdecke und betrachtete die blasse Haut. Wer war er?

Patient Nr. 5 stieg aus dem Bett und brachte seine ersten, zittrigen Schritte zustande. Immer mehr Sinneseindrücke überfluteten ihn. Er spürte den kalten Fliesenboden unter seinen Füßen und den Lufthauch der Klimaanlage auf seiner Haut. Vorsichtig bewegte er sich zu der Wand mit der Tür hin und lehnte sich daran. Glattes Metall. Ein weiteres neues Gefühl.

Die Tür war verschlossen, eine Glasluke in Gesichtshöhe die einzige Verbindung zur Außenwelt. Doch auch die half ihm nicht weiter: Das Glas war von der anderen Seite mit einer roten Flüssigkeit benetzt, die es undurchsichtig machte. Nr. 5 legte das Ohr ans Metall und lauschte. Er hörte, wie die ganze Welt hinter dieser Tür stattfand. Schritte, Wimmern, Schüsse, Krachen. Er konnte hören, was überall dort draußen vor sich ging, während er hier drinnen eingesperrt war. Warum hatte man ihm das angetan? Und was ging dort draußen vor sich? Wütend kniff er die Augen zusammen und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür. Er musste raus hier!

Als er sich umdrehte und seine Augen wieder öffnete, fiel sein Blick auf das Krankenbett. Entschlossen trat er darauf zu und packte es am Gestell. Es war im Boden verankert, doch er spürte bereits nach kurzem Ziehen, wie die Fixierung nachgab. Mit einem kraftbündelnden Schrei riss er es endgültig aus dem Boden heraus und warf es mit Wucht gegen die Tür. Das Gestell prallte dumpf donnernd daran ab, Matratze und Bettzeug flogen durch den Raum. Nr. 5 packte das Bett noch einmal und schob es nun mit aller Wucht wie einen Rammbock gegen die Tür. Metall traf laut auf Metall. Und noch einmal! Diesmal dellte sich die Tür unter der enormen Kraft etwas ein. Doch auch das Gestell bog sich und drohte zu bersten. Er versuchte es erneut und hörte die Angeln knirschen. Fast geschafft!

Als Nr. 5 das Gestell zum vierten Mal gegen die Tür schlug, brachen die Stangen, die es zusammen hielten. Er fiel mit dem hinteren Teil des Bettes nach vorne und wurde beinahe von einer gebrochenen Stange aufgespießt. Die Tür hing immer noch in den Angeln. Wütend rappelte der Patient sich auf, stieß die Überreste des Bettgestells aus dem Weg und versetzte der hartnäckigen Tür einen Tritt, der sie dann tatsächlich aus den Angeln warf. Mit einem lauten Knall fiel sie in den Flur, der nur durch eine Notbeleuchtung erhellt war. Schnaufend trat Nr. 5 aus seiner einstigen Zelle heraus ins matte Licht. Endlich war er raus aus der Dunkelheit!

Er blickte sich um. Die herausgetretene Tür wäre in dem Chaos hier draußen gar nicht aufgefallen. Es sah aus wie ein Schlachtfeld: Lange Blutspuren zogen sich über die Wände und bildeten Lachen auf dem Boden. Tote Ärzte, Schwestern und Sicherheitsmänner säumten die Gänge. Rechts von ihm fand sich ein umgestoßener Wagen. Laborwerkzeuge und Arztbestecke lagen auf dem Boden verstreut. Weit in der Ferne war ein Stromkabel aus der Wandverkleidung gerissen worden und tauchte die Umgebung funkensprühend in ein blaues Flackern. Nr. 5 bückte sich nach dem Arztbesteck und hob ein Skalpell vom Boden auf. Die Waffe fest umklammert folgte er dem Gang in Richtung des blauen Flackerns. Er schlich an dem Stromkabel vorbei und gelangte zu einer Weggabelung. Ein Schild an der Wand wies ihm den Weg ins Treppenhaus. Er hätte es gar nicht gebraucht, denn hier lösten sich aus einer der Lachen blutige Abdrücke von nackten Füßen, die genau diesen Weg einschlugen. Er folgte der Spur zum Treppenhaus und tatsächlich stand auch die Tür zu den Treppen offen. Wer immer das Massaker angerichtet hatte, schien ebenfalls auf dem Weg nach draußen zu sein.

Ein gedämpftes Schluchzen riss 5 aus seinen Gedanken. Er schaute sich um. Rechts von der Tür zum Treppenhaus fand sich eine weitere, die mit »Lager« beschriftet war. Mit dem Skalpell in Griffbereitschaft stieß er sie auf und tastete sich ins Innere des Raumes. Dieser war voll mit großen Regalen, die allesamt mit schweren Kisten und Containern beladen waren. Er hörte einen weiteren Schluchzer, gefolgt von einem ansteigenden Wimmern und folgte dem Geräusch, bis er in einer der Ecken des Raumes einen zusammengekauerten Mann erkannte.

»Nein«, flüsterte der. »Nicht du! Bitte … bitte nicht. Tu mir nicht weh!« Er hielt die Arme schützend vor sein Gesicht.

Desinteressiert wandte der Patient sich von dem Häufchen Elend am Boden ab und betrachtete einen der Container aus weiß lackiertem Metall, die sich in dem Regal vor ihm befanden. In der Lackierung war ein Logo eingearbeitet.

„Was bedeutet dieses Zeichen?“, fragte 5 den Mann am Boden.

Der war zu sehr damit beschäftigt sich selbst zu schützen, als dass er hätte sehen können was gemeint war. Er wimmerte weiterhin leise vor sich hin und flehte um sein Leben.

Nr. 5 wollte seine Frage bereits wiederholen, als ein neues Geräusch an sein Ohr drang: Ein Krachen, begleitet von splitterndem Glas. Der Patient fuhr herum und versuchte die Quelle des Geräusches zu orten. Es hallte aus dem Treppenhaus nach oben. Abermals festigte er seinen Griff um das Skalpell, rannte aus dem Lagerraum hinaus in den Flur und von dort durch das Treppenhaus nach unten. Er konnte jeden einzelnen seiner Schritte hören, während er die vier Treppen zum Erdgeschoss überwand und dort durch die offene Tür in die Lobby schlich.

Die Empfangshalle war von großen, rechteckigen Säulen und schweren Sitzbänken gesäumt. Auch hier unten war es dunkel. Nur eine kleine Lampe auf dem Empfangstresen links neben ihm erhellte den Raum. Ein kühler, feuchter Wind wehte herein. Die Ursache dafür fand sich in der zertrümmerten Glastür, die den Eingang des Gebäudes bildete. Draußen regnete es in Strömen und vor der Tür konnte er vage zwei Personen erkennen, die sich gegenüber standen. Einer von ihnen schien etwas wackelig auf den Beinen und hielt eine Waffe in der Hand. Der andere überragte den ersten um mindestens einen Kopf, allerdings konnte 5 ihn nur von hinten sehen. Eine große, hagere Gestalt, die mit ihrer blassen Haut im Zwielicht dieser späten Stunde fast wie ein Geist wirkte. Der Patient beschloss, hinter dem Tresen in Deckung zu gehen.

Der Kleinere von den beiden fluchte leise und fragte dann: »Was wird hier gespielt?«

5 lauschte angestrengt der Antwort des Großen, doch er konnte beim besten Willen nicht verstehen, was der da von sich gab. Wenn er überhaupt etwas sagte.

»Was machen Sie hier?«, führte der Erste das Gespräch fort.

»Ich … Ich muss hier weg!«

»Nein, Freundchen. Du bleibst schön hier!«

Die beiden schienen sich zu streiten oder zumindest gekonnt aneinander vorbei zu reden. Doch Nr. 5 ahnte worum es bei dieser Diskussion ging. Er war sich inzwischen sicher, dass der große, blasse Mann für das Massaker im zweiten Stock verantwortlich war.

Wie um seine Vermutung zu bestätigen, sagte der Große schließlich: »Sie sind tot …«

»Wer ist tot?«, fragte der andere.

»Sie sind alle tot!«, wiederholte der Große die Worte wie in Trance. »Ich muss hier weg!«

Mit einem Mal platschten Schritte auf der nassen Straße. Der Mörder versuchte zu fliehen. Der Mann mit der Waffe fluchte erneut, bevor auch seine Schritte durch die Nacht hallten.

Nr. 5 blieb noch eine Weile hinter dem Tresen sitzen, während die Schritte der beiden in der Ferne verklangen. Schließlich spähte er aus seiner Deckung hervor und stellte fest, dass er endlich allein war. Behutsam richtete er sich auf, spazierte durch die Lobby und stieg durch das große Loch in der Glasfront. Kaltes Wasser traf seine Haut, als er ins Freie trat. Er schloss die Augen und atmete die frische Luft tief ein. Der Geruch des Regens stieg ihm in die Nase. Hier draußen gab es so viele neue Empfindungen. 5 streckte den Kopf nach oben und schaute in den Himmel. Dunkle Wolken hingen tief und bedrohlich über den Hausdächern. Dicke Regentropfen prasselten aus dieser schweren Wand auf die Erde herab. Dann sah der Patient sich die Straße an. Sie war mit Splittern der geborstenen Scheibe übersät und wenige Meter von ihm entfernt lag eine der Sitzbänke aus der Lobby auf der Straße. Die Alarmanlage eines nahestehenden Autos ereiferte sich noch immer über die Erschütterung. Zumindest war jetzt klar, was die Scheibe durchschlagen hatte. Aber wer vermochte es, ein so schweres Ding zu werfen?

Er dachte nach und kam zu dem Schluss, dass das so schwer nicht sein konnte. Immerhin hatte er selbst die Tür seines Gefängnisses ja auch aus den Angeln gerissen.

Nr. 5 breitete die Arme aus, trat auf die Straße und genoss den kühlen Regen auf der Haut. Dann folgte er dem Verlauf der Straße und wanderte hinein in den Großstadtdschungel. Ein eigenartiges Gefühl überkam ihn. Er fühlte sich wie ein Vogel, der seine Flügel ausbreitete und davonflog. Es war, als wäre er ein Mensch mit Flügeln. Ein Mensch mit Flügeln, der hoch über diesen Regenwolken durch das nächtliche Firmament flog. Er beschloss, dieses Gefühl ›Freiheit‹ zu nennen.

- 1 -

Syrische Wüste, Jordanien– Heute

In einer öden und toten Landschaft stand ein grausames Mahnmal. Es war ein großes Kreuz aus Holz, das man hier in den Wüstenboden getrieben hatte. An diesem Kreuz hing ein Mann an der Schwelle zum Jenseits. Sein Körper war ausgedorrt, heruntergekommen und abgemagert. An einer Kette um seinen Hals hing ein kleines Ebenbild von ihm: Ein gekreuzigter Jesus aus Kristall. Unter ihm war der sonst so trockene Boden feucht von seinem Erbrochenen. Er hatte viel Blut und Wasser verloren und befand sich inzwischen in einem Delirium der Schmerzen, das ihn nicht schlafen ließ, ihn jedoch gleichzeitig jede Energie zum Wachsein nahm. Er halluzinierte und krächzte leise Selbstgespräche. Er befand sich bereits am Rande des Wahnsinns, doch würde der ihn nicht vor dem Tod ereilen können. Dies gehörte zu den Dingen, über die er hier, mit Sonne und Sand allein gelassen, nachdachte. Konnte er nach seinem Tod mit einem Ende der Schmerzen rechnen oder würde er bis in alle Ewigkeit leiden?

Hatte der Wahnsinn ihn schon befallen?

Wenn ja, würde er nach seinem Tod von ihm ablassen?

Niemand hatte je behauptet, dass tote Seelen nicht irrsinnig sein konnten! Vielleicht bestand ja genau darin die Hölle. Für immer und ewig dem eigenen Wahnsinn ausgesetzt zu sein. Dann musste der Himmel wohl bedeuten, dass man die Ewigkeit mit all seinen Hoffnungen und Träumen verbringen konnte. Doch musste eine Ewigkeit im Glück nicht zwangsweise auch auf den Verlust des Verstandes hinaus laufen?

»So gesehen, kommen wir wohl alle irgendwann in die Hölle«, krächzte der Mann und lachte leise.

Allerdings gab es da noch etwas anderes, worüber er sich Gedanken machte: Die Umstände, unter denen er in diese Situation gekommen war. Er war einmal ein ganz anderer Mensch gewesen. Jemand, der nicht stinkend am Rand von Tod und Wahnsinn an einem Kreuz in der Wüste über seinem eigenen Erbrochenen hing. Er war einmal ein Junge voller Ambitionen und Potential gewesen. Ein Junge mit Zukunft und Familie. Auch war er vor noch nicht allzu langer Zeit ein hilfsbereiter Mann mit Idealen gewesen. Ein Mann mit Geld und Freunden. Doch er hatte sich mit dem größten und mächtigsten Konzern der Welt angelegt und dafür mit allem bezahlt, was er einst sein Eigen genannt hatte. Sein Geld befand sich in Zwischenzeit wahrscheinlich schon im Besitz der Firma oder der Regierung. Als ob das ein Unterschied gemacht hätte! Seine Freunde waren alle tot, genau wie seine Familie. Ebenso seine Zukunft.

Man hatte ihm alles genommen. Die Verantwortlichen waren ungestraft davon gekommen und genossen ihr schönes Leben.

In einem öden, toten Land stand ein großes Kreuz wie das von Jesus Christus. Auch an diesem Kreuz hing ein Mann. Ein Mann namens Damien Koke.

Lukas nahm eine Hand vom Steuer des Jeeps, fuhr damit unter das Gestell seiner Brille und rieb sich die Augen, als er im Flimmern der Sonne das merkwürdige Gebilde erblickte.

Was zum Teufel war das?

In etwa zweihundert Metern Entfernung stand etwas mitten in der Wüste, das tatsächlich wie ein Kreuz aussah. Von angespannter Erregung getrieben stieß er Antonio an, der auf dem Beifahrersitz eingenickt war.

»Ich hab nix gemacht!«, rief der erschrocken aus, als er aus seinem Nickerchen erwachte.

»Ganz ruhig, Tony«, lachte Lukas. »Niemand hat dich verhaftet.«

»Warum weckst du mich dann?«

»Siehst du das da vorne?«, fragte der Fahrer und deutete auf das Kreuz.

Nun bemerkte auch Antonio das Mahnmal. »Was ist das?«

»Ich habe keine Ahnung.« Lukas kniff die Augen zusammen. »Sieht wie ein Kreuz aus, findest du nicht?«

»Heilige Mutter, du hast recht! Das ist ein Zeichen, Luke! Ein böses Omen!«

»Hör auf mit den Witzen«, lachte Lukas.

Er hob den Kompass vom Armaturenbrett und überprüfte, ob sie noch in die richtige Richtung fuhren. Das war nur vorsichtig, denn sich hier draußen abseits aller Straßen zu verfahren, wäre sehr gefährlich gewesen. Zufrieden registrierte er, dass ihre Richtung noch stimmte. Dann warf er noch einen Blick auf das Kreuz, da nun bei näherer Betrachtung eindeutig als solches erkennbar war. Doch was machte es hier draußen?

»Was meinst du?« Sein italienischer Freund stieß ihn mit dem Ellenbogen an. »Sehen wir uns das mal an?«

Lukas runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht. Ich habe ein ungutes Gefühl.«

»Angst vor einem Kreuz?«, hänselte Antonio den Deutschen. »Wer bist du? Der Antichrist?«

»Haha. Ich glaube einfach, dass wir keinen Umweg fahren sollten. Wenn wir hier draußen festsitzen, haben wir ein echtes Problem!«

»Schon gut, schon gut«, lachte Antonio. »Das nächste Mal nehme ich meine kleine Schwester mit. Die hat mehr Mut als du.«

Lukas beschloss, dem Kreuz keine Beachtung mehr zu schenken und daran vorbei zu fahren. Währenddessen lehnte sich sein Freund ans Fenster und betrachtete das Kreuz, das sie nun in fünfzehn Metern Entfernung umrundeten. Als er einen Einblick darauf erhielt, was an der anderen Seite hing, weiteten sich seine Augen vor Schreck.

»Heilige Mutter!«, stieß er aus und schreckte vom Fenster weg.

Lukas verriss erschrocken das Lenkrad und der Jeep geriet ins Trudeln. Nach einer kurzen Schleuderfahrt brachte er ihn endlich zum Stehen.

»Verdammt, Tony! Was ist denn los mit dir?«, schrie er seinen Freund an.

Der hörte ihn nicht, sondern riss die Beifahrertür auf und stürzte aus dem Wagen.

»Oh, Gott!«, schrie er draußen angekommen. »Heilige Mutter Gottes!«

Entsetzt ging er einen Schritt zurück und stieß gegen die Tür.

»Was ist denn los?«, fragte Lukas, öffnete die Fahrertür und stieg ebenfalls nach draußen. Er brauchte einen Moment, bis er erkannte, was seinen Freund so entsetzte. Dann stieß auch er einen Schrei aus.

An dem Kreuz hing ein Mann. Er war an dem Holz festgebunden und Blut rann aus zahlreichen Wunden an ihm herab. An seiner Brust zog sich eine Spur von Erbrochenem herunter und rundete den schaurigen Anblick der blutigen und verdreckten Gestalt ab.

»Verdammt!«, spie Lukas hervor. »Was läuft hier für ein kranker Mist?«

»Da hängt ein Mann, Luke!«, stammelte Antonio. »Da hängt ein Mann an dem Kreuz!«

Lukas war zu überwältigt von dem grauenerregenden Fund, um noch etwas zu sagen. Und es kam noch viel schlimmer: Wie in einem lebendig gewordenen Alptraum bewegte der Tote seinen Kopf, um sich die beiden Besucher anzusehen. Er war jedoch zu schwach, um ihn mehr als einen Zentimeter anzuheben und ließ ihn wieder hängen.

»Oh, Himmel«, rief Antonio und stampfte vom Schrecken überwältigt auf dem Boden. »Er bewegt sich! Er bewegt sich!«

Lukas war für einen Moment paralysiert. Dann überwand er seine Angst und ihm wurde klar, was diese Bewegung bedeutete.

»Er lebt noch!« Er stieß sich von dem Jeep ab, umrundete ihn und rannte zu dem Kreuz hin.

»Hey! Was machst du?«, wollte Antonio wissen. »Bleib hier!«

Doch Lukas hatte den Ort des Grauens bereits erreicht. Ehrfürchtig trat er vor das Kreuz und sah zu dem armen Teufel auf, der daran hing. Ein zotteliger Bart wuchs aus seinem Gesicht. Die Haare waren verfilzt und standen in alle Richtungen ab. Für einen Moment glaubte er, dem Sohn Gottes gegenüber zu stehen. Dann überwand er sich ein weiteres Mal und trat in die Pfütze Mageninhalt am Fuße des Kreuzes.

»Alles wird gut!«, flüsterte er dem Leidenden zu. Dann winkte er Antonio zu sich.

»Komm schon!«, rief er seinem Freund zu. »Hilf mir!«

Völlig perplex sah Antonio ihn an.

»Ich brauche eine Leiter!«, rief Lukas.

»Wir haben keine!«

»Dann fahr den Jeep hierher! Und hol den Verbandskasten raus … und etwas womit wir ihn losschneiden können.«

»Okay. Natürlich.« Endlich setzte Antonio sich in Bewegung.

»Beeil dich!«, drängte Lukas. »Er stirbt sonst!«

- 2 -

Im Verlauf des zweiten Weltkriegs kehrten zahlreiche Soldaten verletzt oder verstümmelt von der Front in die Heimat zurück. Bei ihrem Anblick spezialisierte sich der Arzt James Solva darauf, Prothesen und Medikamente zu entwickeln, die den Verwundeten das Leben fortan erleichtern sollten. Damit legte er den Grundstein für einen der größten Industriekonzerne unserer Zeit.

James’ Sohn, Cornelius Solva, setzte das Werk seines Vaters fort. Durch die Entwicklung von günstigeren Prothesen, die sich auch weniger wohlhabende Veteranen und Zivilbürger ohne staatliche Förderung leisten konnten, hatte er einen lukrativen Markt für sich entdeckt und »Solva Technologies« wurde zu einer profitablen Firma mit weltweitem Einfluss.

Nach dem Tod von Cornelius Solva erbte dessen Sohn Alexander James Solva das Unternehmen. Er brachte es fertig, den Gewinn von »Solv Tech International«, wie die Firma fortan hieß, ins Unermessliche zu treiben, indem er die Produktpalette von Prothesen über Implantate bis hin zu Mikroprozessoren und Nanomaschinen erweiterte und die Geschäfte über den Weltmarkt ausdehnte. Nach der Expansion war Solv Tech International zu einem Milliardenunternehmen herangewachsen und Alexander J. Solva begann, an der Börse andere Unternehmen aufzukaufen. Zunehmend mehr Firmen wurden von Solv Tech International übernommen und somit Teil eines Konzerns, der sich schließlich in alle Bereiche der Weltwirtschaft erstreckte.

Allerdings hätte der jüngste Sohn der Solva-Dynastie allein mit der Herstellung von medizinischen Produkten nicht in so kurzer Zeit ein derart gewaltiges Imperium aufbauen können. Die Haupteinnahmequellen der Firma lagen nicht mehr in den offiziellen Produkten und auch nicht in den bekannten technologischen Errungenschaften. Insgeheim entwickelte Solv Tech International nun auch moderne Waffen jedweder Art. Neue Generationen von Gewehren, Schusswaffen mit computergesteuerter Zielerfassung, intelligente Munition, chemische und biologische Kampfstoffe ebenso wie aggressive Mutationen, Modifikationen des menschlichen Genmaterials und Technologien, die direkt Einfluss auf die Gesetze der Physik nahmen. Solva fand seine rentabelsten Abnehmer in der Rüstungsindustrie und beim Militär aber auch in reichen, militanten Organisationen und einzelnen, privaten Abnehmern. Bei all dem verfolgte Alexander J. Solva stets seine eigenen Ziele. Ziele, für die er und seine rechte Hand Raymond Beauford sogar über Leichen gingen.

Während der Blütezeit des Unternehmens begannen die Arbeiten an einer vollkommen neuartigen Waffe: Engel. Das Engelsprogramm hatte zum Ziel, eine neue Generation von Kriegern zu erschaffen, die gewöhnlichen Soldaten in jeder Beziehung überlegen sein sollten. Die Forschung begann in den Entschlüsselungen der Erbanlagen des Menschen und der anschließenden Modifizierung von auserlesenem, besonderen Erbgut. Auf diese Weise wurde eine Reihe von Klonen gezüchtet, die als Prototypen für das Engelsprogramm fungierten. Von Geburt an dem Menschen an Kraft, Schnelligkeit, Intelligenz und Reflexen überlegen, wurden die Klone zur Basis für weitere Forschungen und Modifikationen. Zur Verstärkung der Vitalität wurde den Prototypen in operativen Eingriffen eine Reihe von Implantaten in Arm- und Beinmuskulatur, sowie an den Nervenknoten und im Kleinhirn eingepflanzt. Belastbarkeit, Reaktion, Gleichgewichtssinn und Motorik der späteren Engel wurden so perfektioniert. Allerdings kam es im Verlauf des Projekts zu einem folgenschweren Vorfall, bei dem scheinbar alle Prototypen bis auf einen vernichtet wurden. Der einzige verbliebene Engel, Prototyp Nr. 3, wurde fortan Mitarbeiter bei Solv Tech International und bewies seine überragenden Fähigkeiten als Solvas persönlicher Leibwächter und Auftragskiller.

Fünf Jahre nach dem Scheitern des Engelsprogramms wagte sich Solva an die wahrscheinlich bahnbrechendste Entwicklung in der Geschichte seiner Firma: Er startete das Invisible Hawk-Projekt. Die Forschungen unter diesem Codenamen verfolgten in den nächsten vier Jahren ein nahezu unglaubliches Ziel: Mit einer fremden Technologie als Grundlage, schufen die Wissenschaftler der Firma ein Implantat, das ein Konglomerat von Nanomaschinen generierte. Dieses ermöglichte es dem Träger, die vier Dimensionen der Raumzeit durch reine Gedankenkraft zu verformen. Mit Hilfe solcher Krümmungen war es den freiwilligen Versuchspersonen Quentin Rush und Ryan Hudson möglich, den Raum so zu verändern, dass sie große Entfernungen überwinden konnten, ohne die notwendige Distanz zurücklegen zu müssen. Eine Fähigkeit, die der Einfachheit halber als »Teleportation« bezeichnet werden konnte. Des Weiteren waren beide in der Lage, gefährliche Gravitationsfelder zu erzeugen und sogar den Fluss der Zeit zu beeinflussen. Solva hatte mit dieser Entwicklung den Schlüssel zu einer gottesgleichen Macht entdeckt und er hatte bereits große Pläne damit. Die Versuchspersonen allerdings bezahlten ihre neu gewonnenen Fähigkeiten mit dem Verlust ihres Gedächtnisses.

Sehr zu Solvas Missfallen kam es schließlich auch bei diesem Projekt zu Problemen: Quentin Rush, die erste Versuchsperson für den Invisible Hawk, verschwand während einer Vorführung spurlos mithilfe einer Teleportation und wurde seitdem nie wieder gesehen. Ryan Hudson, der im narkotisierten Zustand zu einem Hochsicherheitslabor in Alabama transportiert werden sollte, ging während eben diesem Transport ebenfalls verloren. Eher zufällig hatte ihn die Tochter eines Hafenarbeiters, eine junge Frau namens Kate Talley, aus seiner Gefangenschaft befreit und war dadurch ins Visier von Solv Tech International geraten. Da Hudson sein Gedächtnis und seine Identität durch das Invisible Hawk-Projekt verloren hatte, gab Kate ihm den Namen Liam.

Die beiden Flüchtigen verbündeten sich mit Damien Koke. Der Millionär aus Miami gehörte zu einer Widerstandsgruppe, die sich dem Kampf gegen Solv Tech verschrieben hatte. Neben Damien selbst gehörten ihr der deutsche Hacker Daniel Kleis, der NYPD-Detective Kevin Endres und die Solv Tech-Wissenschaftlerin Tracy Rush an. Letzte hatte sich als Quentin Rushs Schwester und Ryan Hudsons Verlobte gegen die Firma gewandt und agierte unter dem Pseudonym »Bionix« als Maulwurf für den Widerstand.

Mit Liams Flucht entbrannte für sie alle ein Kampf ums Überleben, der sie quer über die Ostküste der USA bis nach Deutschland und Österreich und wieder zurück führte. Auf diesem Weg gerieten sie mehrfach in Konfrontation mit dem Sicherheitsdienst der Firma – und auch mit dem Engel Nr. 3, Solvas Attentäter, durch dessen Hand Daniel Kleis und Tracy Rush ihr Leben ließen. Auch Liam und Kate stürzten letztendlich von der Spitze des Solv Tech International Hauptgebäudes in ihr Verderben. Kevin Endres schaffte es als Einziger, schwer verletzt zu entkommen, während Alexander Solva sich für den übrig gebliebenen Damien Koke eine besondere Grausamkeit ausdachte.

»Ich verlor bereits nach wenigen Tagen das Zeitgefühl, deswegen kann ich nicht sagen ob sie mich Wochen oder sogar Monate gefangen hielten.« Damiens Erzählung neigte sich dem Ende zu. »Sie folterten mich. Haben mich mit Drogen vollgepumpt und wollten von mir wissen, für wen wir gearbeitet haben, was unser Ziel war und wer von uns noch am Leben ist.«

Er machte eine Pause, um ein paar Mal tief ein- und auszuatmen. Allein das Erzählen war bereits eine extreme Anstrengung für ihn. »Jeder hat seine Grenzen. Ich glaube, ich habe Kevin verraten.«

Damien hustete trocken und Lukas nahm diese Geste zum Anlass, ihm noch einen Schluck Wasser zu geben. Er füllte das Glas neu auf und führte es an den Mund des Verwundeten, da der zu schwach war, es alleine zu halten.

»Irgendwann sind sie dann mit mir raus zum Flughafen gefahren und haben mich wie ein Frachtstück verladen. Sie wollten nach Jerusalem, das weiß ich noch. Auf den Weg dorthin haben sie mich in der Wüste abgesetzt. Sie bauten in aller Ruhe das Kreuz auf und banden mich daran fest. Dann verschwanden sie«, schloss Damien seine grausige Geschichte.

Sie befanden sich in einem überfüllten Krankenzimmer und seit Damien zum ersten Mal dankbar in die Gesichter seiner Retter geblickt hatte, war mehr als eine Stunde vergangen, in der er ihnen seine Geschichte erzählt hatte. Lukas und Antonio hatten die ganze Zeit über an seinem Bett gesessen und aufmerksam zugehört.

Die Rettung war für Damien Koke keine Minute zu früh gekommen. Nachdem die beiden Europäer es geschafft hatten, ihn von dem Kreuz zu holen und seine Wunden notdürftig zu verbinden, hatten sie ihn auf direktem Weg nach Amman ins Krankenhaus gebracht. Mehr als einmal hatte Damien unterwegs das Bewusstsein verloren und damit bei seinen Rettern die Befürchtung geweckt, dass er gestorben war. Doch dank Lukas’ gutem Orientierungssinn und Antonios vorsichtigen Ohrfeigen, die ihn wach hielten, schaffte Damien es, durchzuhalten bis sie endlich in Amman waren.

Nach der Operation hatte er zwei Tage im Koma gelegen und seit seinem ersten Erwachen war ein weiterer Tag vergangen. Antonio Cacciari und Lukas Gregor Wolf bewiesen während dieser Zeit ein erstaunliches Verantwortungsbewusstsein, indem sie sich in einem Hotel in der Nähe niederließen und Damien einmal pro Tag einen Besuch abstatteten. Die beiden Europäer waren ihres Zeichens Weltenbummler und Abenteurer. Nach einer monatelangen Rundreise durch Afrika (von Ägypten aus über Libyen, Tschad und Zentralafrika durch den Kongo und über Tansania entlang der Ostküste zur arabischen Halbinsel) befanden sie sich nun auf dem Weg nach Asien. Da sie keinen Zeitplan verfolgten, konnten sie es sich erlauben, die Genesung von Damien Koke zu verfolgen. Die Rettung eines Gekreuzigten war schließlich etwas, was man nicht alle Tage erlebte und daher sowohl die Verzögerung, als auch einen ausführlichen Eintrag in Lukas Reisetagebuch wert.

»Eine sehr … eindrucksvolle Geschichte«, sagte Lukas schließlich vorsichtig. Er vermied es, Damien bei diesen Worten anzusehen.

»Ihr glaubt mir nicht, oder?«, krächzte der.

Der Deutsche und der Italiener sahen einander fragend und einschätzend an. Sie wussten nicht so recht, was sie von der Geschichte ihres neuen Freundes halten sollten. Niemand wusste genau, wie lange er da draußen an dem Kreuz gehangen hatte und wie weit der Wahnsinn ihn an seinem Marterpfahl angenagt hatte. Alles was er ihnen erzählt hatte klang, gelinde gesagt, absolut verrückt: Auftragskiller mit übermenschlichen Kräften, Menschen, die wie Frachtgut in Kisten transportiert wurden und die über Fähigkeiten von unvorstellbarem Ausmaß verfügten. Dennoch gab es auch Dinge in Damiens Geschichte, die bewiesen, dass er sich mit seinen Gedanken zumindest noch teilweise in der realen Welt befand. Solv Tech International war den beiden Freunden ein Begriff und sie kannten auch einige der Gerüchte, die um den Konzern kursierten. Das Erzählte deckte sich außerdem mit dem Anschlag am Frankfurter Flughafen vor einem Monat, bei dem zwei Dutzend Menschen ums Leben gekommen waren. Falls seine Geschichte der Wahrheit entsprechen sollte, lieferte sie die Antworten auf alle Fragen zu dieser Gewalttat, die die Behörden noch heute beschäftigten. Nach der Erzählung von Damien Koke war ein namenloser Killer der Firma für das Massaker verantwortlich. Ein Mann mit nahezu übermenschlicher Kraft, der eines der unglaublichsten Elemente dieser Geschichte bildete.

Die von Damien geschilderten Geschehnisse waren tatsächlich nur schwer zu glauben, das konnten weder Lukas noch Antonio abstreiten. Aber die Umstände unter denen sie den Amerikaner kennengelernt hatten, waren schließlich ebenfalls unfassbar.

»Ich weiß nicht«, antwortete Antonio schließlich auf die Frage, die Damien in den Raum geworfen hatte. »Das Ganze klingt schon ganz schön verrückt.« Der entrüstete Blick, den Damien ihm aus dem Krankenbett heraus zuwarf, veranlasste ihn, seine Zweifel zu entschärfen. »Allerdings haben wir auf unseren Reisen auch schon einige verrückte Dinge erlebt!«

Lukas legte ein verschmitztes Lächeln auf. »Ja, ich erinnere mich da an einen vorlauten Italiener, der sich unbedingt mit einer Horde Paviane anlegen musste.«

»Die haben angefangen!«

Die Albernheiten der Freunde halfen Damien aus seiner bedrückenden Stimmung und ermöglichten ihm zum ersten Mal seit seiner Zeit mit Liam und Kate etwas Gelassenheit. Schon bald hatten sie die Rollen getauscht, so dass er nun zum interessierten Zuhörer wurde, während Lukas und Antonio ihm von ihren gemeinsamen Reisen und Abenteuern erzählten.

Er blieb noch für den Rest der Woche im Krankenhaus, bevor man ihn an einem angenehm warmen Sonntagabend entließ und er gemeinsam mit seinen neuen Freunden das Hotel aufsuchte in dem diese wohnten. Sie hatten ihm ein Zimmer reserviert und noch am selben Abend führte Lukas ihn in das einzige Badezimmer des Gebäudes. Er zeigte ihm den Umgang mit seinem Rasiermesser, damit er endlich den Wildwuchs in seinem Gesicht loswerden konnte.

»Ich hab in der Tasche noch eine Schere«, erklärte Lukas, während er ihm das Messer reichte. »Vielleicht solltest du die Mähne erst einmal damit stutzen, bevor du dich mit dem Rasiermesser dran wagst.«

»Danke.« Damien betrachtete gründlich die Klinge in seiner Hand. »Ich glaube, ich habe mich in den letzten Jahren zu sehr an meinen elektrischen Rasierapparat gewöhnt.«

Lukas lachte freundlich. »Ich habe da draußen schon so manche Landsleute getroffen, Urlauber und Touristen, die genau das gleiche sagten. Aber wenn man immer auf Achse ist und nur selten Gelegenheiten zum Einkaufen hat, merkt man erst so richtig was für ein Verschleiß man an Hygienegütern hat.«

»Darum das Rasiermesser.«

»Richtig. Es ist robuster und man kann es öfter verwenden. Wenn die Klinge stumpf wird, kann man sie schärfen, anstatt eine neue kaufen zu müssen.« Er stieß einen leisen Triumphruf aus, als er die Schere fand. »Selbstverständlich braucht man mehr Geschick und muss etwas vorsichtiger sein, um sich nicht zu schneiden. Aber man gewöhnt sich daran.«

Lukas hatte sich ganz offensichtlich daran gewöhnt. Er war schon viel herumgekommen und sah trotz seines von Luxus entbehrten Lebens sehr gepflegt aus. Die Haare trug er kurzgeschnitten hatte die sonnengebräunte Haut seines Gesichtes stets glattrasiert. Er stand damit im krassen Gegensatz zu Antonio, der seine mittellangen, schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte und scheinbar immer einen Dreitagebart trug. In seinen Zügen lag außerdem ebenso viel Zurückhaltung, wie Antonio das Selbstbewusstsein ins Gesicht geschrieben stand. Damien bedankte sich erneut und nahm die Schere entgegen.

Vorsichtig fuhr er mit den Schneiden in das gekräuselte Barthaar und schnitt mehrere Locken ab. Lukas gab ein keckes Lachen von sich, bevor er das Bad verließ und den Amerikaner seiner längst überfälligen Rasur überließ.

Eine Viertelstunde später trat ein sauberer und frisch rasierter Damien Koke aus dem Badezimmer, der mit der heruntergekommenen Version seiner selbst kaum noch etwas gemein hatte. Die Haare waren gekämmt und entfilzt und der Bart war verschwunden. Lediglich einen fein säuberlich gestutzten Streifen am Kinn hatte Damien stehen lassen.

»Wesentlich besser«, verkündete Lukas, als er seine Tasche mit den Hygieneartikeln zurückbekam. »Nettes Bärtchen. Trägst du das schon immer?«

»Nein. Ich habe es als Zeichen für ein neues Leben stehen lassen. Es ist jetzt schon das zweite Mal, dass ich einen Schlussstrich ziehen muss.«

Lukas nickte geknickt. Er zweifelte inzwischen nicht mehr (oder zumindest kaum noch) an Damiens Geschichte und wusste daher auch über den Tod seines Vaters Bescheid. Es waren Angestellte von Solv Tech International gewesen, die Damiens Vater vor Jahren ermordet hatten.

»Ich habe hier noch etwas«, sagte Lukas schließlich und hielt Damien die rechte Faust hin.

Zwischen den geschlossenen Fingern ragte eine Kette hervor und als Lukas die Hand öffnete, kam darin ein kleines, kristallenes Kreuz zum Vorschein. In den Schmuck war ein mit sehr viel Liebe zum Detail gestalteter Jesus eingearbeitet, der mit Dornenkrone und herabhängendem Kopf unfassbar gemartert aussah. Das Bildnis weckte in ihm unangenehme Erinnerungen an seine eigene Kreuzigung.

»Danke …« Er nahm das Kreuz verwirrt entgegen. »Aber … weshalb schenkst du mir das?«

Er erwartete, dass das Präsent eine mahnende Erinnerung darstellen sollte, wenngleich eine etwas Geschmacklose. Doch Lukas Antwort ließ ihn stirnrunzelnd aufblicken. »Du hattest es um den Hals, als wir dich gefunden haben. Im Krankenhaus haben die Ärzte es dir abgenommen und mir gegeben und ich dachte, du möchtest es gerne wieder zurück.«

»Ich hatte es um den Hals?« Damien kramte in seinen Erinnerungen, doch das Kreuz kam darin nicht vor. Er hatte es noch nie zuvor gesehen und wusste auch nicht woher es kam. Es gehörte ganz sicher nicht ihm!

»Danke«, sagte er dann trotzdem, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Er entwirrte die Kette und hing es sich um den Hals. »Ich scheine wohl doch noch nicht ganz fit zu sein. Meine Erinnerung spielt mir anscheinend noch ein paar kleine Streiche.«

»Ist ja auch verständlich«, entgegnete Lukas ihm zurückhaltend und entschied sich für einen Themenwechsel. »Antonio ist draußen im Hof. Lass uns zu ihm gehen.«

Damien nickte, steckte das Kreuz unter sein Shirt und ließ sich von seinem neuen Freund durch die Flure hinaus zum Hinterhof des Hotels führen. Antonio Cacciari saß dort tatsächlich auf einer Holzbank an der Wand und genoss den Abend mit dem Inhalt seines Flachmannes.

»Diese Stunde«, sagte er, als die Neuankömmlinge sich neben ihn setzten, »ist die angenehmste des ganzen Tages. Die Temperaturen werden erträglich und die Sonne versinkt am Horizont. Dabei taucht sie ihn in dieses malerische Rot.“

Er reichte Damien den Flachmann. Der roch kurz daran und stellte fest, dass der Inhalt nicht wie erwartet Schnaps oder Whisky war, sondern ein Gebräu, das wie ein Wald nach einem Regenschauer roch.

»Was ist das?«

»Medizin«, antwortete Antonio. »Hilft, die inneren Dämonen zu vertreiben.«

Damien nahm einen Schluck. Die Flüssigkeit schmeckte prickelnd und rann ihm wie ein milder Schnaps die Kehle hinab, wobei sie aber auf ihrem Weg eine brennende Spur hinter sich her zog. Er setzte den Flachmann leicht hustend ab und reichte ihm Lukas. Der aber lehnte ab.

»Ich habe keine Dämonen, die bekämpft werden müssen«, erklärte er lächelnd und gab das Gefäß an seinen italienischen Freund zurück.

»Jeder Mensch hat seine Dämonen, Luke«, korrigierte Antonio ihn scheinbar eingeschnappt. »Wenn du sie nicht bekämpfst, werden sie dich eines Tages verzehren.«

Er hatte diese Worte an Lukas gerichtet, doch seltsamerweise fühlte Damien sich mehr davon angesprochen. Seine Dämonen brannten wie Feuer in ihm und kämpften darum, endlich zu erwachen. Daran konnte selbst Antonios seltsames Getränk nichts ändern. Hass und Rachegelüste waren im Laufe seiner Genesung entflammt und lenkten seine Gedanken. Immer wieder versank er in beunruhigenden Tagträumen, die sich meistens um den gewaltsamen Tod eines ganz bestimmten Mannes drehten. Der Mann, der seinen Vater ermordet hatte und der ihn selbst draußen in der Wüste an dieses Kreuz hatte binden lassen. Der Sicherheitschef von Solv Tech International, Raymond Beauford. Noch am Tag seiner Kreuzigung hatte Damien ihm versprochen, dass er ihn eines Tages finden und umbringen würde – und er hatte das dringende Bedürfnis dieses Versprechen wahr zu machen.

Wie um das Gespräch auf genau dieses Thema zu lenken, fragte Lukas: »Was willst du jetzt tun?«

»Ich weiß noch nicht, was ich tun kann. Doch ich habe nicht vor, den Kampf hier enden zu lassen.«

»Du willst also weitermachen?« Antonio zog eine Augenbraue hoch. »Obwohl es dich fast das Leben gekostet hat?«

»Ich habe alle Menschen verloren, die mir etwas bedeutet haben.«

Damien schloss die Augen und wie jedes Mal, wenn er das tat, sah er seine Freunde in ihren letzten Momenten vor sich.

Seinen Vater, dem er nach einem Streit an dessen Ausgrabungsstelle in der Painted Desert den Rücken zugewandt hatte. Kurz bevor Raymond Beauford und sein Mörderkommando im Lager auftauchten.

Das Entsetzten in den Augen von Daniel Kleis, als der Engel Nr. 3 ihm mit seinem Schwert den Arm abgetrennt hatte. Das Erlöschen eben dieser angsterfüllten Augen, als er am Blutverlust starb.

Kate Talley, als der gleiche Mörder sie vom Dach des Solv Tech International Hauptgebäudes warf. Und Liam, der ihr hinterher sprang.

Das, was ihnen geschehen war, empfand Damien als besonders tragisch. Er war überzeugt davon, dass zwischen Liam und Kate zärtliche Gefühle entstanden waren. Nun würden sie niemals die Gelegenheit haben, einander zu gestehen was sie empfanden.

Dann war da auch noch Kevin. Er war zwar verletzt worden, hatte es aber dennoch geschafft, zu fliehen. Doch Damien zweifelte, dass der Polizist noch am Leben war. Schließlich hatte er selbst den Angestellten der Firma unter Folter den Namen seines Freundes verraten.

»Ich werde nicht zulassen, dass sie umsonst gestorben sind«, sagte er schließlich. »Ich werde nicht zulassen, dass Solva gewinnt und noch mehr Menschen wegen ihm sterben.«

»Und wie willst du das anstellen?«, fragte Lukas besorgt. »Willst du dich wieder auf die gleiche Weise mit ihm anlegen und noch einmal verlieren?«

»Ich schätze mal, damit wird er nicht rechnen.« Damiens Mund verzog sich zu einem unheimlichen Lächeln. »Immerhin hält er mich für tot.«

Antonio legte den Kopf schief und schenkte ihm einen zweifelnden Blick. »Aber wo willst du anfangen ihn zu bekämpfen?«

»Das ist eine gute Frage. Ich habe leider keine Ahnung, was er vorhat. Doch ich habe zumindest ein paar Anhaltspunkte.«

»Und die wären?«

»Zum einen wäre da Latura: In den Dateien, die Daniel und Bionix uns aus den Archiven der Firma besorgt haben, fanden sich Aufzeichnungen über ein tödliches Virus. Wir gehen davon aus, dass Solva es als Biowaffe an eine terroristische Sekte verkaufen will.«

»Eine Sekte?«, wiederholte Antonio unwirsch. »Die Biowaffen kauft? Um was zu tun?«

»Wer leidet, sucht einen Schuldigen«, sinnierte Lukas. »Wenn man sich das Leiden unseres erkrankten Planeten betrachtet ist der Schuldige wohl offensichtlich.«

»Du willst sagen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die das innige Bedürfnis haben, ihre eigene Gattung auszurotten?« Der Italiener schnaubte. »Das ist doch Unsinn!«

»Bei all dem Terror, Hass und den heiligen Kriegen findest du diesen Gedanken wirklich so abwegig?«, hielt Damien dagegen.

»Das könnte auch religiöse Motive haben«, stimmte Lukas ihm zu. »Die Prophezeiung des Weltendes ist in jeder Religion verankert und die Predigung dieses Szenarios verleitet so einige zu dem Schluss, dass es langsam an der Zeit dafür ist.«

»Du willst sagen, du nimmst das ernst?«, entfuhr es Antonio.

»Ich sage nur, dass ich es nicht für unmöglich halte. Erinnere dich nur an den Trubel um diesen Maya-Kalender. Die Menschen zelebrieren die Apokalypse regelrecht. Ich glaube, sie wollen sie auch ein bisschen … und manche vielleicht ein bisschen mehr als andere.«

»Ihr seid doch alle beide verrückt«, murmelte Antonio und nahm einen großen Schluck aus seinem Flachmann.

Ohne seinen Freund zu beachten, fragte Lukas Damien: »Hast du noch weitere Hinweise?«

Der Amerikaner nickte. »Kate und ich wollten Deutschland nach diesem Horror in Frankfurt verlassen und untertauchen. Wir wurden in Österreich von einem maskierten Kommando gefangen genommen und nach New York zu Alexander Solva verschleppt. Dieses Kommando unterstand nicht Solva selbst, sondern einer anderen Gruppe, mit der er offenbar Geschäfte macht.«

»Du denkst an die Sekte?«

Damien nickte. Antonio, der ihrer Unterhaltung weiterhin mit Interesse folgte, sich dies aber nicht anmerken lassen wollte, schnaubte abfällig.

»Ich wurde im Zuge der Entführung bewusstlos geschlagen, deswegen habe ich von diesen Leuten nicht allzu viel mitbekommen. Doch es war eine Gruppe von gemischter Nationalität. Der Anführer des Kommandos war Franzose, sein Akzent war unverkennbar. Außerdem hat Kate mir anvertraut, dass die Männer sich über eine Reihe von geplanten Anschlägen unterhalten haben.«

»Und du glaubst, dass es sich dabei um die Freisetzung des Virus handelt?«

»Wurde im vergangenen Monat von irgendwelchen anderen Anschlägen berichtet?«

Diesmal war es Antonio, der eine Antwort gab, um sich wieder an der Unterhaltung zu beteiligen. »Wir bekommen die Nachrichten aus aller Welt immer nur in sehr unregelmäßigen Abständen mit. Aber soweit ich weiß ist das, was am Flughafen von Frankfurt passiert ist, die einzige Anschlagsmeldung der jüngsten Zeit.«

»Was bedeutet, dass meine damaligen Entführer ihren Anschlag noch nicht verübt haben«, schlussfolgerte Damien. »Höchstwahrscheinlich, weil sie noch auf etwas warten.«

»Du meinst, eine Lieferung von Solv Tech International?«

»Das Latura-Virus. Laut den Labordaten hat dieser Erreger enorme Mortalitäts- und Ansteckungsraten. Die zivilisierte Welt würde von der Krankheit überrannt werden. Und wenn sie ausbricht, führt sie so schnell zum Tode, dass es niemanden mehr gelänge, noch rechtzeitig ein Gegenmittel zu finden.«

Lukas legte seine Stirn in tiefe Denkfalten. »Wenn es stimmt was du sagst, steht uns eine Pandemie bevor.«

»Findet ihr nicht, dass ihr ein wenig übertreibt?«, mischte Antonio sich ein. »Ich meine, es wäre doch ein wenig kurzsichtig von diesem Solva, wenn er ein Virus verkauft, das die ganze Menschheit auslöschen kann.«

Damien gab ihm recht: »Solva mag ein eiskalter Mistkerl sein, doch er ist kein Idiot. Genau aus diesem Grund wartet die Sekte noch immer auf ihre Biowaffe. Solv Tech International wird das Virus erst verkaufen, wenn sie ein wirksames Gegenmittel entwickelt haben. Wenn die Krankheit ausbricht, wird Solva als einziger über das Heilmittel verfügen. Er wird den Marktpreis frei festlegen können und aus der Katastrophe einen Milliardengewinn schlagen.«

Antonio und Lukas sahen ihn entgeistert an.

»Das ist doch Wahnsinn!«, rief Antonio schließlich, der für einen Moment seine Zweifel voll und ganz vergaß. »Millionen Menschen werden sterben!«

»So kaltblütig kann niemand sein«, stimmte Lukas ihm zu.

»Seid ihr bereit, euer Leben darauf zu verwetten? Das Leben eurer Familien? Und das eurer Freunde?«

»Das ist Wahnsinn!«, wiederholte Antonio. »Das muss an die Öffentlichkeit!«

»Glaubst du, auch nur ein Mensch würde das glauben? Und selbst wenn: Was wollen die schon machen um die Katastrophe aufzuhalten? Sich gegen ein Virus rüsten, über das sie nicht das Geringste wissen? Das Einzige was wir damit erreichen könnten, wäre eine Massenpanik.«

»Aber was dann?«

»Der Spur folgen und Solvas Plan sabotieren, wo es nur geht.«

»Das ist Selbstmord!«

Auch Lukas schaltete sich ein: »Selbst wenn es eine Möglichkeit gäbe, diese Katastrophe zu verhindern: Wo willst du mit deinem Kampf anfangen?«

»Ich weiß nicht, wo der Kampf beginnen wird«, erwiderte Damien. »Doch ich weiß, wo meine Suche beginnt.«

»Wo soll das sein?«, hakte Antonio nach.

»Jerusalem.«

Die Europäer verstanden, was er meinte. Als Raymond Beauford und sein Gefolge ihn in der Wüste gekreuzigt hatten, waren sie auf dem Weg nach Jerusalem gewesen, das hatte Damien bereits erwähnt. Es war eine vage Spur, doch vielleicht würden sich dort Hinweise über die Käufer des Virus finden lassen.

»Wann willst du aufbrechen?«, fragte Lukas schließlich mit einem seltsam traurigen Unterton.

»So schnell es geht.«

»Weißt du, wie du nach Jerusalem kommen willst?«

»Nein. Aber ich werde einen Weg finden.«

»Du befindest dich ohne Geld oder Papiere in einem fremden Land. Das wird nicht einfach.«

»Natürlich nicht. Doch ich habe keine Wahl. Es muss getan werden.«

Lukas wandte sich Antonio zu und suchte seinen Blick. Der verstand sofort, worum sein Freund ihn bitten wollte.

»Vergiss es, Luke. Das ist Wahnsinn! Diese ganze Geschichte ist einfach viel zu verrückt. Wenn sie stimmt, sollten wir das zum Anlass nehmen, uns da nicht einzumischen.«

»Tony …«

»Ich hänge am Leben!«

Damien machte eine beschwichtigende Geste mit der Hand. »Streitet euch nicht über eure Verantwortung. Ihr habt mir schon genug geholfen. Außerdem ist das nicht euer Kampf.« Er stand auf und marschierte durch den Hof zurück in Richtung Hotel.

Gerade als er die hölzerne Tür öffnete, rief Antonio: »Warte!«

Damien drehte sich halb zu ihm und bekam gerade noch mit, wie der Italiener einen Schluck aus seinem Flachmann nahm, um seine inneren Dämonen zu vertreiben.

»Wir machen es zu unserem Kampf!«, sagte er, als er das Getränk absetzte.

Obwohl er etwas anderes behauptet hatte, war Damien durchaus froh über die angebotene Hilfe. Er lächelte erleichtert.

»Morgen Vormittag decken wir uns mit Vorräten ein und am Nachmittag reisen wir ab. Ruh’ dich also gut aus«, riet Lukas, der das gleiche, erleichterte Lächeln im Gesicht trug.

»Danke«, entgegnete Damien.

»Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Auch Antonio hob noch einmal seinen Flachmann zum Gruß.

»Bis morgen«, sagte er, bevor er noch einen Schluck trank.

Nachdem Damien gegangen war, saßen die beiden Freunde noch eine Weile ihm Hof. Die Nacht war hereingebrochen und brachte angenehme Erfrischung.

»Was sagst du dazu, Tony?«, fragte Lukas schließlich. »Ein neues Abenteuer wartet auf uns.«

Doch Antonio konnte die Begeisterung seines Freundes nicht teilen. »Ich hoffe nur«, erwiderte er, »dass wir es auch überleben, um noch davon erzählen zu können.«

- 3 -

Der Mann im Spiegel hatte seit langem nicht so gut ausgesehen. Erschöpfung und Stress waren aus seinen Zügen verschwunden. Die Haut war frisch gewaschen und glatt rasiert, die dunkelblonden Haare sorgfältig gekämmt. Zufrieden mit seinem Äußeren schüttete Alexander J. Solva einen Schuss Rasierwasser in seine Handfläche und trug die Flüssigkeit auf sein Gesicht auf. Er stand mit nacktem Oberkörper im Badezimmer seines Penthouses und blickte mit hohen Erwartungen auf den anbrechenden Tag. Heute sollten sich die Mühen und die viele Arbeit der vergangenen Monate und Jahre endlich auszahlen. Er zog das gestreifte Hemd an, das er sich aus seinem Kleiderschrank zurechtgelegt hatte. Seine Krawatte band er mit einem routinierten Windsor Knoten. Anschließend verließ er das Badezimmer und kehrte in sein Schlafzimmer zurück, wo sein Jackett auf dem Bett bereit lag. Nachdem er es angezogen und zugeknöpft hatte, überprüfte er noch einmal den Sitz seiner Krawatte, bevor er die Wohnung verließ.

Das Solv Tech-Hauptgebäude bildete einen Teil des Großstadtdschungels von Manhattan. Die größte Besonderheit des Bauwerkes bestand darin, dass der Hauptteil nach dem achtzigsten Stockwerk endete. Darüber begann der Turm: Ein kleineres Segment von dreißig Metern Höhe. Dieser Teil des Gebäudes war die Heimat für viele Arbeitskräfte von Solv Tech International, deren Schichten sehr flexibel verteilt waren und die das Gebäude daher nur selten verließen. Allen voran waren im Turm die Wissenschaftler des C-Sektors untergebracht. Jener geheimen Forschungsabteilung, welche die bahnbrechendsten Entwicklungen der Firma, wie zum Beispiel den Invisible Hawk, hervorgebracht hatte. Um den Turm herum befand sich unter einer gläsernen Kuppel ein exotischer Garten auf dem Dach des Hauptsegmentes. Dieser bot den hier lebenden Mitarbeitern eine entspannende Naturatmosphäre in schwindelerregender Höhe vor dem Panorama der Stadt. Solvas Penthouse lag im obersten Stockwerk dieses Turmes, der darüber hinaus nur noch von einem Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach gekrönt wurde.

Solva stieg in einen der beiden Turmaufzüge und fuhr hinab in das achtzigste Stockwerk: Der Chefetage. Hier befanden sich die Büros aller Führungskräfte und außerdem eine Schleuse, die der einzige Zugang zum streng geheimen C-Sektor war.

In der Chefetage angekommen, machte Solva sich auf den Weg in sein Büro. Er begab sich durch den Vorraum und grüßte seine neue Sekretärin im Vorbeigehen. Während er das Alarmsystem deaktivierte, teilte sie ihm die für ihn hinterlassenen Nachrichten und seine Termine für diesen Tag mit. Darunter befand sich auch ein besonderes Geschäftsessen mit einem besonderen Partner. Allerdings war das kein Termin, an den sie ihn erinnern musste, denn er war der Grund für seine gute Laune an diesem Tag. Solva stand ein großes Geschäft mit seinem Freund Aaron Damenz bevor, das den Auftakt zu einem noch größeren Geschäft bildete.

Schließlich hatte die Sekretärin noch eine letzte Nachricht für ihn, die ihn einen Augenblick innehalten und seine gute Laune vergessen ließ: »Da fällt mir ein: Nr. 3 wollte Sie sprechen.«

Solva sah sie missmutig an. »Hat er gesagt, wann?«

»Heute Vormittag, noch vor Ihrem Termin. Ich habe ihm gesagt, dass Sie heute Mittag ein wichtiges Geschäftsessen haben und er hat sich flexibel gezeigt.«

Die Nachricht von Flexibilität in Bezug auf den starrköpfigen 3 verblüffte Solva ein wenig. Anscheinend hatte auch der Engel heute einen guten Tag. Er wusste natürlich, warum 3 ihn sprechen wollte. Vor kurzer Zeit war es zwischen ihnen zu einigen Vertrauensbrüchen gekommen und der Engel hatte nun vor, aus Solvas Diensten auszutreten. Doch zuvor musste Solva noch ein Versprechen einhalten, dass er ihm gegeben hatte.

»Danke«, brachte er seiner Sekretärin schließlich entgegen. »Wenn er kommt, schicken Sie ihn direkt zu mir.«

»Ja, Mr. Solva.«

Er betrat sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Gedankenverloren ging er zu seinem Platz, ließ sich nieder und schaltete seinen Computer ein. Während der Rechner hochfuhr, legte Solva nachdenklich die Fingerspitzen aufeinander und betrachtete mit regem Interesse den Bildschirm. Dann schüttelte er den Moment der Starre ab, griff nach einer der Schubladen in seinem Schreibtisch und zog sie auf. Darin lag eine rote Mappe, die er extra für dieses Gespräch mit 3 angelegt hatte. Sie enthielt alle Informationen, die seine Agenten im Laufe des vergangenen Monats recherchiert und zusammengetragen hatten. Die gesamte Mappe drehte sich um den möglichen Aufenthaltsort einer bestimmten Person. Das war Solvas Versprechen an 3 im Gegenzug für dessen Hilfe gewesen.

Es klopfte an der Tür und Solva rechnete bereits damit, dass nun das Gespräch mit dem Engel anstand. Doch stattdessen war es sein Sicherheitschef Raymond Beauford, der nun das Büro betrat.

Beauford war ein dunkelhäutiger Mann Ende dreißig mit militärischen Kurzhaarschnitt und muskelbepackten Körper. Er hatte einen cremefarbenen Anzug an, der seinem Modegeschmack nicht annähernd so entsprach, wie die Solv Tech-Uniform, die er sonst immer während der Arbeit trug.

»Guten Morgen, Alex«, grüßte Beauford ihn.

»Guten Morgen, Ray.« Solva schob die Schublade mit der roten Mappe wieder zu.

»Heute ist dein großer Tag, nicht wahr?«, lächelte der Sicherheitschef, während er näher kam und Solva gegenüber Platz nahm. »Bist du schon aufgeregt?«

»Wie ein Kind am Weihnachtsabend.«

»Kein Wunder, bei dem Geschenk.«

»Ein Geschenk war das bestimmt nicht. Wir haben schwer dafür arbeiten und eine Menge Unannehmlichkeiten durchstehen müssen.«

»Nun, das hat sich doch gelohnt, nicht wahr?«

Solva lächelte bestätigend und lenkte anschließend das Thema wieder auf die Arbeit. »Hast du schon alle Vorbereitungen abgeschlossen?«

Beauford nickte. »Der Transport von Latura erfolgt in sieben Hochsicherheitsbehältern. Sobald du das Geschäft mit Damenz abgeschlossen hast, bringen wir sie einzeln zu den verschiedenen Abholpunkten. Jeder Behälter wird von einem drei Mann starken Team in einem unauffälligen PKW transportiert. Die Fahrzeuge werden von mehreren Bodeneinheiten eskortiert, die in der ganzen Stadt verteilt sind. Dazu kommen drei Helikopter, die den gesamten Einsatz von der Luft aus überwachen. Diese Verteilung unserer Einheiten ermöglicht uns einen guten Überblick über die Verkehrssituationen und damit auch eine flexible Koordinierung des Transports.«

»Du hast ja wirklich an alles gedacht, mein Freund.«

»Was ist mit den Abholpunkten?«

»Damenz wird sie erst bekannt geben, wenn das Geschäft abgeschlossen ist. Vermutlich wählt er sie spontan aus.«

Beauford rieb sich das Kinn, doch er sagte nichts weiter. Diese Antwort hatte er erwartet. Der Sicherheitschef wollte sich bereits wieder von Solva verabschieden, als der noch einen weiteren Punkt des bevorstehenden Handels ansprach, der ihm auf dem Herzen lag.

»Kann ich mich heute Mittag auf dich verlassen?«

»Hätte ich mich sonst in diesen Anzug gezwängt?«, antwortete Beauford mit einem Lächeln.

Solva erwiderte die Geste. Nachdem er nun nicht mehr auf 3 zählen konnte, benötigte er einen neuen Leibwächter. Doch solange er keinen gefunden hatte, musste Beauford diese Aufgabe übernehmen. Dazu gehörte auch, dass er ihn bei seinem Geschäftsessen mit Damenz begleiten würde. Solva genehmigte sich einen Moment ehrlicher Dankbarkeit dafür. Raymond Beauford war nicht nur sein Sicherheitschef, sondern auch sein ältester und treuester Freund – und der einzige Mensch, dem er blind vertraute.

»Danke, Ray.«

»Kein Problem, Alex«, antwortete Beauford ohne sein selbstbewusstes Lächeln auch nur eine Sekunde zu lösen. Er stand auf, um das Büro zu verlassen.

Der Sicherheitschef hatte die Tür schon fast erreicht, als diese sich vor ihm auftat und eine dritte Person das Büro betrat. Die Stimmung schwang sofort um und es schien, als würde das Thermometer augenblicklich um zehn Grad fallen. Der Engel Nr. 3 stand in der Tür und betrachtete den Sicherheitschef, der ihm gegenüber stand, mit einem bösartigen Lächeln.

»Sieh mal einer an«, sagte 3 mit rauer Stimme. »Selbst die Ausgeburt der Inkompetenz findet sich so früh am Morgen schon hier ein. Man könnte meinen, heute steht eine Betriebsfeier an, zu der ich nicht eingeladen wurde.«

Beauford reagierte nicht auf die Provokation seines Gegenübers und betrachtete ihn finster. Er und 3 hatten sich noch nie leiden können und inzwischen war diese Antipathie in blanken Hass ausgewachsen. Bei den Vorfällen, die sich vor einem Monat hier im Hauptgebäude ereignet hatten, war Beaufords Stellvertreter Christian Delaney ums Leben gekommen. Ein Mann mit der glänzenden Disziplin und Ausdauer eines Elitesoldaten sowie dem kühlen Verstand eines Militärtaktikers. Beauford hatte ihn im Laufe ihrer gemeinsamen Arbeit schätzen gelernt und sogar begonnen, eine Art Sohn in ihm zu sehen. Die genauen Umstände von Delaneys Ableben hatte man nie klären können, doch Beauford war sich inzwischen absolut sicher, dass Nr. 3 den Tod seines Stellvertreters zu verantworten hatte.

Ohne den Hass zu beachten, der in den Augen des Sicherheitschefs loderte, fuhr 3 mit seiner Provokation fort. »Tut mir leid, wenn ich eure kleine Privatbesprechung störe, aber ich habe etwas mit deiner Freundin zu besprechen.«

»Du nimmst dir zu viel heraus«, knurrte Beauford.

»Lass gut sein«, beschwichtigte Solva seinen Freund. »3 steht nicht mehr in meinen Diensten und nach diesem Gespräch wird er uns für immer verlassen.«

»Ich verstehe«, entgegnete Beauford, ohne den Blick von 3 abzuwenden. »Soll ich hier bleiben?«

»Danke für das Angebot, Ray. Aber ich komme zurecht.«