Dirty Thoughts. Jenna & Cal - Megan Erickson - E-Book

Dirty Thoughts. Jenna & Cal E-Book

Megan Erickson

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Beschreibung

Sie hat ihn verlassen, doch er hat nie aufgehört, sie zu lieben... Mit allem hätte Cal gerechnet, aber nicht damit, dass Jenna nach über zehn Jahren plötzlich in seiner Autowerkstatt steht. In der Highschool waren die beiden ein Paar, doch dann ging Jenna weg. Verließ Cal, der sich um seine kleinen Brüder kümmerte und die Werkstatt seines Vaters am Leben hielt. Und jetzt ist sie wieder da, als selbstbewusste Frau frisch aus New York, um in der Firma ihres Vaters zu arbeiten. Und auch aus dem Jungen Cal ist ein tougher Mann geworden, der nicht nur über einer Motorhaube verdammt heiß aussieht, sondern eigentlich einen sehr weichen Kern hat. Von der Anziehung zwischen ihnen ist nichts verloren gegangen. Aber immer noch stehen die Ereignisse von damals zwischen ihnen. Doch dieses Mal lässt Jenna nicht zu, dass ihr Glück zerstört wird.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Das Buch

Cal Payton ist Meister darin, Autos zu reparieren – und die Leute mit seiner schroffen Art von sich fernzuhalten. Bis seine Jugendliebe Jenna MacMillan plötzlich bei ihm in der Autowerkstatt auftaucht – selbstbewusst und wunderschön – und ihm auf der Stelle den Atem raubt. Jenna ist nicht sicher, ob es eine gute Idee war, mit ihrem Wagen ausgerechnet zu Cal in die Werkstatt zu fahren. Als sie dann aber vor ihm steht, ist es augenblicklich um sie geschehen – seine Augen, seine Stimme nehmen sie sofort in den Bann. Ganz zu schweigen von seinem ölverschmierten weißen Shirt. Obwohl zehn Jahre vergangen sind, entfacht sofort das alte Feuer zwischen ihnen. Doch ihre gemeinsame Vergangenheit hat Narben hinterlassen. Als Jenna sich damals nach der Highschool in die weite Welt aufmachte, ließ sie Cal zurück. Er musste sich um die Werkstatt seines Vaters und um seine jüngeren Brüder kümmern. Wird es Jenna gelingen, ihm zu zeigen, wie ernst es ihr diesmal ist?

Die Autorin

Megan Erickson arbeitete als Journalistin und berichtete über das wahre Leben. Bis sie merkte, dass sie lieber ihre eigenen Happy-Endings schreiben wollte. Seither schreibt sie New Adult, Sexy Romance und Gay Romance. Sie lebt mir ihrem Mann, zwei Kindern und zwei Katzen in Pennsylvania. Homepage der Autorin: meganerickson.org

Von Megan Erickson ist in unserem Hause bereits erschienen:

Dirty Talk – Ivy & Brent

Megan Erickson

DIRTY THOUGHTS

Jenna & Cal

Roman

Aus dem Amerikanischen von Sybille Uplegger

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1510-2

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017© 2015 by Megan EricksonThis edition published by arrangement with Avon Impulse,an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.Titel der amerikanischen Originalausgabe: Dirty Thoughts. A Mechanics of Love NovelUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, München

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Für alle, die ihren Mann ein bisschen schmutzig mögen …

Kapitel 1

Als das Gitarren-Intro zu »Welcome to the Jungle« von den Wänden der Werkstatt widerhallte, seufzte Cal Payton und wappnete sich für das, was unweigerlich folgen würde. Und tatsächlich, schon wenige Takte später fiel sein Bruder Brent lautstark und schief in das Lied mit ein. Es klang nur unwesentlich besser, als wenn er volltrunken Karaoke sang. Ja, auch das hatte Cal schon zu hören bekommen. Öfter, als ihm lieb gewesen wäre.

Er stieß ein unterdrücktes Knurren aus. Sein Bruder grölte weiterhin unverdrossen Axl Rose, und wäre Cal nicht unter diesem verfluchten Subaru beschäftigt gewesen, hätte er Brent einen Schraubenschlüssel an den Kopf geworfen.

»Hey!«, brüllte Cal.

Ein seliger Augenblick der Stille. »Was ist denn?«, kam Brents Stimme von irgendwo weiter hinten. Wahrscheinlich arbeitete er in der Werkstattgrube neben ihm.

»Wer singt den Song?«

»Ist die Frage ernst gemeint?« Brents Stimme war näher gekommen. »Das sind Guns N’ Roses, Mann. Der legendäre Axl Rose.«

»Ach ja? Und warum lässt du ihn dann nicht in Ruhe seine Arbeit machen?«

Eine Pause. »Leck mich doch.« Die Schritte seines Bruders verklangen. Wenig später wurde das Radio aufgedreht, und Brent sang noch inbrünstiger mit.

Cal stöhnte und klopfte sich mit dem Steckschlüssel gegen die Stirn, als könne er dadurch Brents zunehmend lauter werdenden Gesang ausblenden. Er schwor sich, einen iPod und Kopfhörer anzuschaffen, bevor er seinen Bruder noch irgendwann mit einem Montiereisen erschlug.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Auto zu, das er gerade reparierte. Dem Kunden war im Leerlauf ein lautes Klappern aufgefallen, und Cal hatte festgestellt, dass eins der Hitzeschilde an der Abdeckung der Auspuffanlage lockersaß. Aber das ließ sich leicht beheben. Cal befestigte eine Schlauchschelle am Rohr des Vergasers, damit das Schild nicht mehr wackelte. Es war keine zwingend notwendige Reparatur, aber die Graingers waren Stammkunden bei Payton and Sons Automotive und schickten ihnen alljährlich zu Weihnachten zwei Eimer Popcorn in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Er und Brent zankten sich dann immer um den Eimer mit Karamell-Popcorn, während ihr Vater das Butter-Popcorn für sich allein hatte.

Cal zog die Schelle fest und klopfte probehalber mit der Faust gegen den Vergaser. Kein Klappern mehr.

Er kletterte aus der Grube und tätschelte die Karosserie des Subaru. Durch zusammengekniffene Augen spähte er zu der Uhr an der Wand. Gleich Feierabend. Ihr Vater, dem die Hälfte der Werkstatt gehörte – Cal und Brent waren zu gleichen Teilen Besitzer der anderen Hälfte –, war schon nach Hause gefahren.

Cal räumte seine Werkzeuge weg und schenkte Brent, der mittlerweile einen Pearl-Jam-Song angestimmt hatte, bewusst keine Beachtung. Er rieb sich die Schläfen und wischte sich die Schweißtropfen aus dem Gesicht. Hinter der Werkstatt gab es einen Raum mit einem kleinen Tisch und einem Kühlschrank, und auf den nahm Cal Kurs, um sich ein Wasser zu holen. Zwar hatten sie im Sommer die großen Türen der Werkstatt geöffnet, aber heute war die Luft stickig und schwül. Die amerikanische Flagge draußen auf dem Hof hing schlaff in der stillen Luft.

Cal trug bei der Arbeit einen Blaumann, den er normalerweise geschlossen ließ, um seine Haut vor heißen Auspuffrohren und herumliegenden scharfen oder spitzen Werkzeugen zu schützen. Doch als er nun nach hinten in Richtung Pausenraum ging, streifte er sich das Oberteil ab, so dass es ihm locker um die Hüften hing. Darunter trug er ein weißes T-Shirt, das im Zuge eines langen Arbeitstages trotz des Blaumanns einige Ölflecke abbekommen hatte.

Im Pausenraum nahm er sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und lehnte sich gegen die Wand. Er schraubte den Deckel ab, setzte die Flasche an die Lippen und trank die Hälfte in einem einzigen tiefen Zug aus. Sobald die Graingers ihren Subaru abgeholt hatten, konnte er Feierabend machen und nach Hause fahren. Allein – ein bis vor kurzem ungekannter Luxus. Früher hatte er sich eine Wohnung mit Brent geteilt, und das war auch ganz in Ordnung gewesen, bis er irgendwann festgestellt hatte, dass er annähernd dreißig Jahre alt war und immer noch mit seinem jüngeren Bruder zusammenlebte. Er war sparsam, eine Eigenschaft, wegen der Brent ihn oft verspottete, aber die ihm nun zugutekam, denn er hatte genügend Geld beiseitegelegt, um die Anzahlung für ein kleines Haus zu leisten. Es hatte eine Garage, so dass er an seinem Motorrad schrauben konnte, wenn seine Zeit es erlaubte – was nicht oft vorkam, aber immerhin. Natürlich wäre es noch besser, wenn sein Vater endlich aufhören würde, ständig über ihn bestimmen zu wollen, und ihm erlaubte, auch in der Werkstatt Motorräder zu reparieren. Aber Jack Payton wollte »keine Biker« bei sich im Betrieb haben und ignorierte dabei, dass sein eigener Sohn eine Harley-Davidson Softail fuhr.

Cals Handy vibrierte in der Beintasche seines Blaumanns. Er fischte es heraus und las den Namen auf dem Display. Es war Max, sein jüngster Bruder. Mit einem Seufzer nahm er ab.

»Ja?«

»Cal!«, rief Max überschwänglich.

»Ja, du hast mich angerufen.«

»Was läuft so bei dir?«

»Ich arbeite.«

»Du arbeitest ja immer.« Max schnaubte.

Cal trank noch einen Schluck von seinem Wasser. »So machen die Leute das eben.«

»Hey, ich arbeite auch.«

»Du spielst mit Jugendlichen Dodgeball.« Cal wusste natürlich, dass Max in seinem Job als Sportlehrer an einer Highschool im Osten von Pennsylvania noch sehr viel mehr leistete als das, aber es machte einfach Spaß, ihn zu ärgern. Cal grinste. Es war das erste Mal an diesem Tag.

»Hey, ich musste diese Woche an besagte Jugendliche Deo und Kondome verteilen, also halt gefälligst den Ball flach«, sagte Max.

»Kondome?«

»Ja, die Schulleitung ist hier ziemlich liberal«, murmelte Max.

»Hm«, machte Cal und kratzte sich am Kopf. Als er jung gewesen war, hatten sie an seiner Schule definitiv keine Verhütungsmittel ausgegeben.

»Aber ist ja auch nicht so wichtig«, meinte Max.

»Stimmt. Was brauchst du?«

»Woher willst du wissen, dass ich was brauche?«

»Warum solltest du sonst anrufen?«

»Weil ich deine sonore Stimme hören will?«

Cal lachte trocken.

»Ich wollte nur wissen, ob du schon irgendwelche Pläne für deinen Geb… Aua!« In der Leitung war ein Rascheln zu hören, dann Gemurmel und eine hellere Stimme im Hintergrund. Kurz darauf meldete Max sich zurück. »Sorry. Lea hat mich gehauen, weil sie findet, ich gehe das völlig falsch an.«

Cal schmunzelte. Lea war Max’ Verlobte, und sie war eine sehr temperamentvolle Person.

»Wir würden dich gerne besuchen kommen und mit dir an deinem Geburtstag was unternehmen. Alle zusammen.« Max räusperte sich. »Du kannst auch jemanden mitbringen, wenn du magst.«

Jemanden mitbringen. Wann hatte er das letzte Mal eine Frau mitgebracht? Wann hatte er sich überhaupt das letzte Mal mit einer Frau getroffen? »Wenn wir zu fünft sind, reicht mir das.«

»Das heißt also, du bist einverstanden? Dass wir zusammen feiern? Ich meine, immerhin wirst du dreißig, alter Knabe.«

Cal ließ das alter Knabe unkommentiert. »Sicher, klingt gut.« Er zögerte. »Danke.«

Max schien zufrieden. Er berichtete von seiner Arbeit und das Neueste aus der Nachbarschaft. Cal trank sein Wasser und lauschte den weitschweifigen Erzählungen seines Bruders. Max war nicht immer so unbeschwert gewesen. Cal hatte sein Bestes getan, nachdem ihre Mutter die Familie kurz nach Max’ Geburt verlassen hatte. Ihr Vater hatte sich vor lauter Wut und Verbitterung ganz in seine Arbeit in der Autowerkstatt vergraben, also hatte Cal als Ältester notgedrungen die Aufgabe übernommen, seine wilden jüngeren Geschwister zu bändigen.

Er selbst fand, dass er dabei keine besonders gute Arbeit geleistet hatte. Seine Brüder hatten wohl eher trotz, nicht dank seiner Erziehungsversuche überlebt. Brent schlug immer noch hin und wieder über die Stränge, und Max war nur deshalb ruhiger geworden, weil er auf dem College Lea kennengelernt hatte. Doch Cal versuchte, nicht auf seinem Versagen herumzureiten, sondern sich stattdessen darüber zu freuen, dass sie alle lebendig und wohlauf waren.

Das war auch der Grund, weshalb er so viel Wert darauf legte, endlich seine eigenen vier Wände zu haben. Er brauchte Zeit und Raum für sich. Seit dem zarten Alter von sechs Jahren hatte er die Rolle eines Ersatzvaters gespielt. Allmählich war es genug.

Doch als er auflegte und das Handy zurück in die Tasche steckte, verspürte er trotz allem ein wohliges Gefühl im Bauch, das vorher noch nicht da gewesen war. Er drehte den Flaschendeckel zwischen den Fingern und trank den letzten Schluck Wasser. Im selben Moment steckte Brent den Kopf zur Tür herein. »Hey.«

Cal zog auffordernd die Augenbrauen hoch.

»Jemand fragt nach dir.«

Cal warf die leere Flasche in den Müll. »Die Graingers?«

»Nee, die waren eben schon da. Haben nur schnell ihren Subaru abgeholt und sind gleich wieder weg. Eine neue Kundin.«

Cal schaltete das Licht im Pausenraum aus und folgte seinem Bruder in die Werkstatt. »Wir schließen gleich. Ist es ein Notfall? Oder eine Stammkundin?« Er zog einen Lappen aus seiner Tasche und wischte sich die ölverschmierten Hände ab. Er überlegte, ob er sie vielleicht lieber waschen sollte, für den Fall, dass diese neue Kundin ihm die Hand geben wollte.

Brent gab keine Antwort auf seine Fragen, ja, er sah seinen Bruder nicht einmal an. Cal verspürte eine innere Unruhe aufsteigen. »Brent …«

Sein Bruder drehte sich um und breitete die Arme aus. »Ich glaube, es ist besser, wenn du das übernimmst.«

Cal blinzelte in die Sonne. Als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, waren die Beine das Erste, was er sah. Schon in dem Moment wusste er Bescheid. Verdammt noch mal, er wusste es einfach, denn wie oft hatte er im Unterricht gesessen, auf diese Beine im kurzen Röckchen gestarrt und davon geträumt, endlich wieder zwischen ihnen zu liegen? Oft.

Sein Blick wanderte die nackten Schenkel hinauf bis zu einer sehr knappen Jeansshorts, einem Tanktop, das den Blick auf ein üppiges Dekolleté freigab, und dann weiter bis zu ihrem Gesicht. Ein Gesicht, das er niemals vergessen würde, solange er lebte.

Er hatte nicht im Traum damit gerechnet, Jenna MacMillan je wiederzusehen. Und jetzt stand sie mit ihrer dunklen schulterlangen Lockenmähne leibhaftig vor ihm in seiner Werkstatt, neben einem Dodge Charger.

Scheiße.

***

Also gut, zugegeben: Jenna hatte von Anfang an gewusst, dass es eine blöde Idee war. Deshalb hatte sie ja auch die ganze Fahrt über versucht, es sich auszureden. Als sie an einer roten Ampel halten musste und halblaut vor sich hin murmelte, hatte der ältere Herr in der Fahrspur neben ihr sie angesehen, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf.

Womit er recht hatte. Sie hatte vollkommen den Verstand verloren.

Es war annähernd zehn Jahre her, dass sie Cal Payton zuletzt gesehen hatte, und trotzdem genügte ein einziger Blick in diese silbergrauen Augen, und sie fühlte sich wieder wie das achtzehnjährige Mädchen, das unsterblich in ihn verliebt gewesen war.

Schon auf der Schule war Cal ein Blickfang gewesen, aber verdammt noch mal, das Alter hatte es gut mit ihm gemeint. Er hatte schon damals Muskeln gehabt und war nie in diese schlaksige Phase gekommen, die manche pubertierende Jungs nach einem Wachstumsschub durchmachten.

Aber jetzt … Also … Jetzt sah Cal regelrecht verboten aus, wie er da so auf dem Werkstatthof stand, das Oberteil seines Blaumanns um die Hüften. Darunter trug er ein weißes T-Shirt, das so eng an seinem Körper anlag, dass es wie aufgemalt aussah. Sie konnte darunter seinen Waschbrettbauch sehen und die Kontur seiner Brustmuskeln. Ein länglicher Ölfleck am Ärmel lenkte ihre Aufmerksamkeit auf seinen beachtlichen Bizeps und die muskulösen, von dicken Venen durchzogenen Unterarme. Stemmte er die Autos, oder was? Zum Glück war es heiß heute, da fielen ihre glühenden Wangen nicht weiter auf.

Und er starrte sie an, mit diesen Augen, die noch haargenau so aussahen wie früher. Cal hatte sich nie viel aus Umgangsformen gemacht. Er schaute den Leuten immer ins Gesicht, und zwar oft so lange, dass es unangenehm wurde. Er musste erst sein Gegenüber ausloten, ehe er ein Wort sagte.

Sie fragte sich, ob sie seiner Musterung standhielt. Es war lange her, seit sie sich gesehen hatten, und bei ihrer letzten Begegnung war er außer sich gewesen vor Wut.

Sie war diejenige, die zu ihm gekommen war. Sie wollte etwas von ihm. Am besten, sie erklärte ihm einfach ihr Anliegen, auch wenn sie jetzt sehr gerne einen Drink gehabt hätte. Einen starken.

»Hi, Cal.« Sie setzte ein Lächeln auf, das garantiert ein bisschen verkrampft aussah.

Er stand da, die Füße in den dicken Stiefeln schulterbreit auseinander. Beim Klang ihrer Stimme zuckte er kurz zusammen. Dann hörte er endlich auf, sie anzustarren. Sein Blick ging zu dem Wagen, der neben ihr stand, dann zurück zu ihr. »Jenna.«

Seine Stimme. Gott, wie hatte sie seine Stimme vergessen können? Sie war tief und geschmeidig mit einer leicht scharfen Note wie mexikanische Schokolade. In ihrem Bauch breitete sich ein warmes Gefühl aus, und sie bekam eine Gänsehaut.

Sie räusperte sich, als er auf sie zukam, wobei sein Blick abwechselnd auf ihr und dem Auto ruhte. Brent stand ein Stückchen abseits und beobachtete die Szene mit vor der Brust verschränkten Armen. Er zwinkerte ihr zu. Sie überspielte ihr Grinsen, indem sie die Lippen spitzte und die Augen verdrehte. Brent war attraktiv, aber eine Nervensäge. Gut zu wissen, dass sich manches nie änderte. »Hey, Brent.«

»Na, Jenna? Gut schaust du aus.«

Cals Kopf schnellte zu seinem Bruder herum. »Geh wieder an die Arbeit.«

Brent salutierte lässig und grinste sie noch ein letztes Mal wissend an, bevor er sich in seine Werkstattgrube trollte.

Als sie sich danach wieder Cal zuwandte, fuhr sie vor Schreck zusammen. Er war ihr unbemerkt ganz nahe gekommen, beinahe fühlte sie sich bedrängt. Sein Blick bohrte sich förmlich in sie hinein.

»Was machst du hier, Jenna?«

Die Frage an sich hatte nichts Vorwurfsvolles, sie hätte auch aus höflichem Interesse gestellt werden können, doch die wahre Absicht dahinter wurde am Tonfall deutlich. Noch hielt er sich zurück – bis Jenna ihm einen Grund gab, die Daumenschrauben anzusetzen.

Sie wusste nicht genau, was er meinte: Wollte er wissen, was sie hier in seiner Werkstatt machte, oder weshalb sie in der Stadt war. Sie entschied sich, zuerst die einfachere der beiden Fragen zu beantworten.

Sie deutete auf das Auto. »Ich, also … Ich glaube, die Radlager müssen erneuert werden. Ich weiß, ich hätte auch woanders hingehen können, aber …« Sie wollte ihm nicht sagen, dass der Wagen Dylan gehörte, der ihn so lange vernachlässigt hatte, bis fast die Vorderräder abfielen. Sosehr ihr Bruder das Auto auch liebte, er war ein Idiot, und obendrein hasste er Cal. Sie war relativ sicher, dass das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.

»Ich möchte einfach, dass es vernünftig repariert wird, und jeder weiß ja, dass eure Werkstatt die beste ist.« Das immerhin entsprach der Wahrheit. Die Paytons hatten in Tory einen ausgezeichneten Ruf.

Aber Cal war nicht der Typ, der sich schnell zufriedengab. Seine Augen wurden schmal, und er stemmte die Hände in die Seiten, was Jennas Aufmerksamkeit erneut auf die Muskeln an seinen Armen lenkte. »Woher willst du wissen, ob wir immer noch die beste Werkstatt sind, wenn du seit zehn Jahren nicht mehr hier warst?«

Mann. Konnte er nicht einfach nicken und den Schlüssel nehmen? Sie hielt ihn in der Hand und umklammerte ihn so fest, dass sich der Bart schmerzhaft in ihre Handfläche grub. Sie lockerte ihren Griff. »Weil dein Vater früher auch schon der Beste war, und weil ich weiß, dass du alles, was du machst, perfekt machst.« Sie verstummte. Bei ihrer letzten Begegnung hatten Cals Augen vor Wut beinahe Funken gesprüht, aber wenigstens hatte er irgendeine Emotion gezeigt. Dieser starre, leere Blick war unerträglich. Sie wusste, wie seine Augen aussahen, wenn er lächelte, wie sich die Haut in den Augenwinkeln dann in winzige Fältchen legte und das Silbergrau seiner Iris funkelte.

Sie kam zu dem Schluss, dass es ein Fehler gewesen war herzukommen. Sie hatte ihrem Bruder angeboten, den Wagen in die Werkstatt zu bringen, während er auswärts unterwegs war. Und obwohl sie wusste, dass Cal inzwischen für seinen Vater arbeitete, hatte sie damit gerechnet, auf Jack zu treffen. Der war zwar ein Widerling, trotzdem hätte sie tausendmal lieber mit ihm zu tun gehabt als mit Cal. Die Situation war wahnsinnig unangenehm.

»Ach weißt du, vergiss es einfach. Ich kann auch …«

Er riss ihr den Schlüssel aus der Hand. Einfach. Aus. Der. Hand.

»He!« Sie stemmte eine Hand in die Hüfte, doch er würdigte sie keines Blickes. Stattdessen spielte er mit dem Schlüsselring. »Klaust du immer die Schlüssel deiner Kunden?«

Er legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue. Der kleinste Hauch eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel. »Nicht gewohnheitsmäßig.«

»Dann bin ich wohl was Besonderes?« Sie flirtete mit ihm. Flirtete sie mit ihm? O Gott, ja. Sie flirtete mit ihrem Exfreund von der Highschool, dem Mann, mit dem sie zum ersten Mal Sex gehabt hatte; dem Mann, dessen Herz sie gebrochen hatte, als sie eine der schwersten Entscheidungen ihres Lebens hatte treffen müssen. Und nicht nur sein Herz, auch ihr eigenes.

Er senkte ganz kurz den Blick, dann sah er ihr wieder ins Gesicht. »Klar. Du bist was Besonderes.«

Er drehte sich um und begutachtete den Wagen, während sie dastand und seinen Rücken anstarrte. Er hatte … er hatte zurückgeflirtet, oder? Cal flirtete sonst nie. Er sagte das, was er meinte, und dann handelte er dementsprechend. Aber flirten? Cal?

Sie schüttelte den Kopf. Es war über zehn Jahre her. Bestimmt war in seinem Leben einiges passiert, während sie auswärts studiert und dann den Job in New York angenommen hatte. Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, was dieser Flirtversuch zu bedeuten hatte, zumal sie für immer nach Tory zurückgekehrt war.

Nur, dass er das ja gar nicht wusste.

»Du meinst also, die Radlager müssen ausgetauscht werden, ja?« Cal strich mit der Hand über die Motorhaube. Aus diesem Blickwinkel sah sie nichts als das Spiel seiner harten Muskeln unter dem T-Shirt. Sie riss sich am Riemen und antwortete: »Ja, da ist immer dieses Geräusch; du weißt schon, so ein Grummeln.«

Er nickte.

Der einzige Grund, weshalb sie sich mit der Materie auskannte, war, dass sie als Teenager unzählige Wochenenden und freie Sommernachmittage damit zugebracht hatte, sich im Bikini auf dem Rasen zu sonnen, während Cal in der Einfahrt an seinem Auto, einem alten schwarzen Camaro, herumschraubte. Auf die Weise hatte sie viel über Autos gelernt, und einiges davon war hängengeblieben.

»Soll er auch zur Inspektion?« Cal stand an der Beifahrertür.

»Was?«

Er zeigte auf den Aufkleber an der Windschutzscheibe. »Ich kann das gleich mit erledigen, wenn du willst. Nächsten Monat wäre er sowieso fällig.«

Sie öffnete den Mund, um ja zu sagen. Aber dann würde sie ihm Fahrzeugschein und Fahrzeugbrief aushändigen müssen, und er wusste ja nicht, dass es Dylans Wagen war. »Nein, nein, das ist nicht nötig.«

Er runzelte die Stirn. »Wieso nicht?«

»Ich, also …«

Er öffnete die Beifahrertür und beugte sich ins Wageninnere.

»Was machst du da?« Sie ging um den Wagen herum und war in dem Moment bei ihm, als er die Papiere aus dem Handschuhfach holte. Sie blieb stehen und knetete ihre Finger. Gleich würde er es wissen, in drei … zwei …

Er bückte sich und warf die Papiere zurück ins Handschuhfach. »Ich hab ihn morgen Abend fertig.« Mit diesen Worten drehte er sich um und marschierte in Richtung Büro davon.

Er musste den Namen gelesen haben, oder? Alles andere war vollkommen unwahrscheinlich. Sie lief ihm nach.

»Cal, ich …«

Er blieb stehen und drehte sich um. »Soll dich jemand fahren?«

»Was?«

»Brauchst du jemanden, der dich mitnimmt … nach Hause, oder wo auch immer du hinwillst?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich gehe rüber zu Delilah. Sie kann mich dann heimfahren.«

Sein Blick ging zu dem Laden auf der anderen Straßenseite, dann wieder zu Jenna. Er nickte. »Okay.«

Sie setzte erneut an. »Cal …«

»Holst du ihn morgen ab, oder macht das dein Bruder?«

Das Zucken des Muskels in seinem Kiefer war das einzige Anzeichen für seine Verärgerung.

»Tut mir leid, ich hätte es dir sagen sollen …«

Er schüttelte den Kopf. »Du musst mir gar nichts sagen. Du hast mich gebeten, ein Auto zu reparieren …«

»Ja, aber du und Dylan, ihr mögt euch nicht …«

Wieder zuckte der Muskel in seiner Wange. »Sicher, das stimmt, aber was denkst du denn von mir? Dass ich ausraste und seinen Wagen demoliere?«

Äh, nein. »Nein, ich …«

Wieder schüttelte er den Kopf, und als er sprach, war sein Tonfall ein wenig sanfter. »Du hättest es mir nicht zu verschweigen brauchen. Ich bin nicht mehr achtzehn. Ich hab mich besser im Griff als früher.«

Sie kam sich schäbig vor. Und wie ein Trottel. Sie war auch nicht mehr die, die sie mit achtzehn gewesen war, insofern hätte sie nicht einfach davon ausgehen dürfen, dass Cal immer noch derselbe Hitzkopf war. »Cal, es tut mir wirklich leid, ich …«

Er winkte ab. »Mach dir deswegen keinen Kopf, Sonnenschein.«

Bei dem Kosenamen fuhr ein Kribbeln wie von einem elektrischen Schlag durch ihren Körper. Sie hatte ihn so lange nicht mehr gehört, dass sie ihn schon beinahe vergessen hatte. Ihr Körper allerdings schien sich noch sehr gut daran zu erinnern, wie sie früher immer dahingeschmolzen war, wenn Cal sie so genannt hatte.

Er schien genauso überrascht wie sie. Seine Augen weiteten sich ein klein wenig, dann wurde seine Miene verschlossen.

»Ist ja auch egal«, sagte er leise. »Wir machen morgen um achtzehn Uhr zu. Wäre schön, wenn du ihn vorher noch abholst.« Er klimperte mit dem Schlüssel und warf ihr einen letzten abschätzenden Blick zu, bevor er im Werkstattbüro verschwand.

Sie blieb völlig durcheinander auf dem Hof zurück.

Sie hätte wissen müssen, dass Cal Payton sie immer noch umhauen konnte.

Kapitel 2

Delilahs Drawers lag gegenüber von Payton and Sons in einer kleinen Ladenzeile, die außerdem noch einen Subway, einen Schnäppchenmarkt und ein beliebtes mexikanisches Restaurant beherbergte.

Jennas Freundin Delilah hatte die Secondhandboutique Delilahs Drawers kurz nach ihrem Highschool-Abschluss eröffnet. Ihr hatte die Alliteration gefallen, außerdem fand sie das Wortspiel hübsch – als würden die Kunden in ihren Schubladen nach gebrauchten Kleidern stöbern. Sie hatte den Gewerbeschein bereits ausgefüllt und das Werbematerial drucken lassen, als jemand sie darüber aufklärte, dass die meisten bei dem Wort »drawers« nicht an Schubladen, sondern an »Unterhöschen« dachten.

Aber Delilah war Delilah. Sie behielt den Namen bei. Mittlerweile war sie seit zehn Jahren im Geschäft, und inzwischen redete niemand mehr darüber. Es verirrten sich ohnehin nicht sehr viele Besucher von außerhalb nach Tory. Delilahs Käuferschaft bestand hauptsächlich aus Stammkundinnen. Der zweite Secondhandladen in der Gegend, den es schon gegeben hatte, als Jenna noch klein gewesen war, verkaufte Kindersachen, weshalb Delilah sich auf hochwertige Damenbekleidung und Accessoires spezialisiert hatte.

Die Glocke über der Tür bimmelte, als Jenna eintrat.

»Bin gleich da!«, kam eine Stimme aus dem Büro.

»Lass dir ruhig Zeit!«, rief Jenna zurück und schlenderte zur Kasse, um sich das anzusehen, was ihr an Delilahs Boutique immer am besten gefiel – die Schmuckauslage. Jenna hatte eine Schwäche für große Ohrringe, und nach der Begegnung mit Cal wäre eine Shopping-Therapie nicht das Schlechteste. Es war naiv gewesen zu glauben, dass sie das Wiedersehen einfach so wegstecken würde. Aber es war so lange her, dass sie ein Paar gewesen waren, sie hatten sich seit Ewigkeiten nicht gesehen. Die Erkenntnis, dass sein Anblick immer noch eine Woge der Erregung in ihr auslösen konnte, war regelrecht ein Schock gewesen. All die alten Gefühle waren wohl doch nicht so tot, wie sie immer geglaubt hatte – sie hatten lediglich geschlafen. Und jetzt hatte sie ihn auch noch unabsichtlich beleidigt, weil sie eine peinliche Situation vermeiden wollte. Gut gemacht, Jenna. So war die Situation kein bisschen peinlich.

Sie seufzte und nahm ein Paar goldene Chandelier-Ohrringe mit Steinen aus Jade-Imitat in die Hand. Die würden perfekt zu dem cremefarbenen Top passen, das sie gerade bestellt hatte …

»Hey.«

Jenna lächelte ihre Freundin an. Delilah war eine Schönheit, auch wenn sie nur einen Meter fünfzig maß. Ihre Eltern hatten sie als Baby aus China adoptiert. Jenna war alles andere als großgewachsen, aber neben Delilah wirkte sie wie ein Linebacker. Heute trug Delilah ein ärmelloses Kleid aus marineblauem Jersey, dazu Sandalen im Gladiatoren-Stil und eine lange Korallenkette.

»Hey«, erwiderte Jenna und umarmte ihre Freundin fest. »Ich hab dich vermisst.«

Delilah drückte sie und löste sich dann von ihr. »Ich dich auch. Toll, dass du zurück bist und wir endlich wieder Zeit miteinander verbringen können.«

Zurück. Ein komisches Wort. Sie hatte nie vorgehabt, nach Tory zurückzukommen. Sie war in New York auf die Uni gegangen und hatte danach drei Jahre dort gearbeitet. Eigentlich wollte sie in New York bleiben, doch irgendwann war ihr klargeworden, dass sie nicht glücklich war. Sosehr sie die Stadt auch liebte, der Druck, die vielen Menschen, die hohen Lebenshaltungskosten – all das hatte sie mit der Zeit sattgehabt. Trotzdem war es ihr schwergefallen, ihre Zelte abzubrechen. Sie hatte Angst vor dem Gefühl des Scheiterns gehabt. Doch dann hatte ihr Vater ihr eine Stelle als PR-Chefin in seiner Finanzberatungsfirma in Tory angeboten, und sie hatte zugesagt. Nach einem Prozess wegen Diskriminierung – den ihr Vater am Ende gewonnen hatte – war der Ruf der Firma angeschlagen. Ihr Vater hatte die alte Maxime bemüht, dass eine Familie immer zusammenhalten müsse, und nun war sie hier.

Wieder in Tory zu sein hatte einige der alten Träume neu zum Leben erweckt – ein schönes Haus mit Garten in der Vorstadt. Einen Mann. Kinder. Als Kind hatte sie nie eine enge Beziehung zu ihrer Familie gehabt. Sie hatten in einem großen Haus gelebt – die ideale Ausrede, möglichst wenig miteinander in Kontakt zu kommen. Bei Cal war es ganz anders gewesen. Obwohl Jack sich aus der Erziehung seiner Söhne weitestgehend herausgehalten hatte, waren die Brüder sehr vertraut miteinander gewesen. Das hatte sie bewundert, sie sogar darum beneidet. Damals in der Schule hatte Cal immer davon geträumt, mit ihr eine Familie zu gründen. Er war fest entschlossen gewesen, es besser zu machen als seine Eltern.

Aber das war lange her, und mit der Zeit war der Traum in Vergessenheit geraten und hatte Staub angesetzt. Wenn sie genau hinsah, konnte sie ihn noch erkennen. Das Wiedersehen mit Cal hatte bereits einige der Spinnweben weggewischt, unter denen er verborgen lag.

Sie war seit einer Woche wieder in der Stadt und hatte sich in einer hübschen Gegend ein kleines Haus im Kolonialstil gemietet – für den Übergang, bis sie wusste, wo sie dauerhaft wohnen wollte.

Am Montag wäre ihr erster Arbeitstag, und Jenna hatte sich vorgenommen, sich gleich kopfüber in ihre neue Aufgabe zu stürzen, den Ruf von MacMillan Investments wieder aufzubauen. Nicht, dass ihr die Firma besonders am Herzen gelegen hätte, aber sie gehörte ihrer Familie, und letzten Endes stand auch ihr Name auf dem Briefkopf.

Aber das konnte noch ein bisschen warten. Jetzt würde sie erst mal Zeit mit ihrer ältesten und besten Freundin verbringen.

Jenna machte eine ausladende Handbewegung. »Sieht toll aus hier drin. Laufen die Geschäfte?«

Delilah betrachtete eine transparente Tunika auf dem Kleiderständer neben sich. »Ja, ganz ordentlich. Tory macht sich langsam. Immer mehr Läden eröffnen, und das bedeutet mehr Leute – Leute mit Geld.« Sie zwinkerte Jenna zu. »Aber sie kaufen trotzdem gerne preiswert ein.«

»Du hast ja auch tolle Sachen.«

»Ich habe ganz exzellente Sachen.« Delilah schnippte mit den Fingern und trat zu einem anderen Kleiderständer, wo sie rasch die Bügel auseinanderschob. »Wo wir gerade davon sprechen – ich habe kürzlich ein neues Kleid reinbekommen, und mein erster Gedanke war, wie phantastisch es an Jenna aussehen würde.«

»Ach, Delilah …«

Wieder ein Fingerschnippen. »Wo habe ich bloß meinen Kopf? Ich habe es doch extra beiseitegelegt, damit es niemand kauft.«

Sie ging um den Kassentresen herum und bückte sich. Kurz darauf hielt sie grinsend ein ärmelloses Kleid in die Höhe. Der Stoff hatte ein Fischgrätmuster in Grün und Creme. »Siehst du? Ist es nicht ein Traum? Es gibt sogar einen kleinen grünen Gürtel dazu.«

Jenna befühlte das Material, das wunderbar leicht und fließend war. »Ich könnte das zur Arbeit tragen, zusammen mit meinen …«

Delilah schüttelte den Kopf. »Nein. Wie wär’s, wenn du es trägst, wenn wir morgen Abend gemeinsam ausgehen?«

Morgen war Donnerstag, und Jenna würde erst ab Montag früh aufstehen müssen. Sie zog die Augenbrauen hoch. »War das eine Frage oder ein Befehl?«

Delilah zuckte mit keiner Wimper. »Ein Befehl natürlich.«

Jenna grinste. »War ja klar.«

»Komm schon.« Delilah schlenkerte das Kleid. »Ich weiß, du bist die New Yorker Schickimicki-Drinks gewohnt, und hier gibt es nur stinknormale Tory-Drinks, aber es wird dich schon nicht umbringen, wenn du deine Messlatte ein kleines bisschen tiefer legst.«

Jenna lachte. »Ach, hör bloß auf. Sosehr es mir in New York gefallen hat, da gab es niemanden wie dich.« Vielleicht war das auch ein Grund gewesen, weshalb es ihr so leicht gefallen war, Abschied von der großen Stadt zu nehmen und nach Hause zurückzukehren.

Delilah tat so, als würde sie sich eine Träne wegwischen. »Du findest aber auch immer die richtigen Worte.«

Jenna wackelte mit den Fingern. »Okay, dann sag mal, was das Teil kosten soll, und du bist es los.«

»Na ja, ich würde es dir auch …«

Jenna schüttelte den Kopf und fischte ihr Portemonnaie aus der Handtasche. »Stopp. Wehe, du gibst mir das Kleid umsonst, Delilah Jenkins. Wehe.«

Ihre Freundin kniff die Lippen aufeinander. »Von mir aus.«

»Gut. Und leg noch die goldenen Chandelier-Ohrringe drauf.«

Während Jenna die Kreditkartenquittung unterschrieb, lehnte sich Delilah auf den Tresen und stützte das Kinn in die Hände. »Also. Cal Payton.«

»Cal Payton«, wiederholte Jenna. Es war ein vertrautes Gefühl, den Namen mit den Lippen zu formen, als hätten diese es all die Jahre über nicht vergessen.

»Wie hat er reagiert, als du das Auto von Dillgurke abgegeben hast?«

Jenna schob Delilah die Quittung hin, die sie in die Kasse legte. »Nenn ihn nicht Dillgurke.«

»Das oder Dylan die Dumpfbacke. Du hast die Wahl.«

Jenna musste sich das Lachen verkneifen. »Dann noch lieber Dillgurke.«

Delilah strahlte, sichtlich erfreut, den Streit für sich entschieden zu haben.

Jenna lehnte eine Hüfte gegen den Tresen, verschränkte die Arme vor der Brust und berichtete Delilah, was vor der Werkstatt passiert war. Sie erwähnte auch, wie sie Cal verletzt hatte.

Delilah machte große Augen. »Hm.«

»Was soll das bedeuten, hm?«

»Wow.«

»Und was bedeutet wow?«

Delilah legte die Stirn in Falten.

Jenna fuchtelte mit den Händen. »Kannst du auch reden?«

Delilah zuckte die Achseln und hob die Hände, Handflächen nach oben. »Keine Ahnung, was ich sagen soll. Das ist irgendwie merkwürdig. Es ist merkwürdig, dass Cal so emotional reagiert hat, und es ist merkwürdig, dass es ihn überhaupt gejuckt hat. Und es ist supermerkwürdig, dass er ehrlich zu dir war.«

Jenna kaute auf der Innenseite ihrer Wange herum. »Gut merkwürdig oder schlecht merkwürdig?«

Delilah überlegte eine Weile. »Ich würde sagen, gut. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht …« Sie unterbrach sich, und ihr Blick schweifte ab. »Um Cal. Nicht, dass ich oft mit ihm reden oder ihm begegnen würde, aber auf mich wirkt es so, als würde er immer mehr so werden wie … na ja …« Delilah verzog das Gesicht. »Wie Jack.«

Jenna biss sich so heftig auf die Wange, dass sie vor Schmerz nach Luft schnappte. Jack Payton, Cals Vater, war ein verbitterter alter Griesgram. Wenigstens damals, als sie mit Cal zusammen gewesen war. »Und Jack ist …«

Delilah schüttelte den Kopf. »Er ist nicht schlimmer geworden, aber auch nicht besser.«

Jenna seufzte und knibbelte an einem Preisetikett, das auf dem Tresen klebte. »Das habe ich mir für Cal nie gewünscht.«

»Ich weiß, Süße.«

Sie sah auf. »Aber Cal wollte nie aus Tory weg. Er wollte hierbleiben. Ich finde, ich habe die richtige Entscheidung getroffen. Ich wollte nicht sein Leben ruinieren. Und meins auch nicht.«

Delilah legte ihre Hand auf Jennas. »Es lohnt sich nicht, in der Vergangenheit zu wühlen. Das weißt du doch. Ändern lässt sich jetzt ohnehin nichts mehr.«

Jenna schluckte. Ihr graute vor der nächsten Frage, aber sie stellte sie trotzdem. »Hat er … hat er eine Freundin?« Sie konnte sich nicht erinnern, einen Ehering an seinem Finger gesehen zu haben.

»Keine Ahnung. Glaube nicht. Ehrlich gesagt, sehe ich ihn nicht oft. Es ist eine kleine Stadt, aber der meiste Klatsch dreht sich um Brent, nicht Cal. Obwohl sie die beiden begehrtesten Junggesellen in Tory sind.«

Jenna wusste nicht, welchen Beziehungsstatus sie für Cal bevorzugt hätte. Obwohl der Gedanke, Cal könnte in einer festen Beziehung sein, weh tat, betrübte es sie nicht weniger, ihn allein zu wissen.

»Ich hasse das, Delilah. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das alles noch so … frisch ist.« Sie sah in die braunen Augen ihrer Freundin. »Ich dachte, die Zeit hätte die Wunden geheilt.«

Delilahs Miene wurde sanfter. »Ich …«

Jennas Telefon klingelte, und der vertrauliche Moment war vorbei. Sie fischte es aus der Handtasche und verdrehte die Augen. »Tut mir leid, aber es ist Dylan. Da muss ich rangehen.«

Delilah winkte ab. »Schon klar. Ich muss sowieso noch die Kasse machen, bevor wir loskönnen. Sag Dillgurke einen schönen Gruß von mir.«

Jenna schnaubte, dann nahm sie ab. »Hallo?«

»Hey, hast du meinen Wagen zur Reparatur gebracht?«

Jenna umklammerte fest das Handy, um nicht mit einer gehässigen Erwiderung herauszuplatzen. Ihr Bruder war eigentlich kein schlechter Kerl. Er hatte einfach nur einen beklagenswerten Mangel an sozialer Kompetenz. »Ja, ich habe ihn abgegeben, morgen Abend ist er fertig. Ich kann ihn für dich abholen.«

Eine Pause. »Wo hast du ihn hingebracht?«

»Also …«

»Du bist zu ihm gefahren, stimmt’s?«

Jenna wurde wütend. »Ja, bin ich. Weil wir alle wissen, dass es die beste Werkstatt in der Stadt ist, und ich keine Lust hatte, eine Stunde bis zur nächsten Vertragswerkstatt zu fahren.«

»Wetten, er steckt ein Kondom in meinen Tank?«

»Werd erwachsen, Dylan.« Langsam reichte es Jenna. Ihr Bruder war vierunddreißig Jahre alt, und es wurde höchste Zeit, dass er sich entsprechend benahm. »Cal ist ein Profi, er behandelt dich wie jeden anderen Kunden auch. Wenn du tatsächlich ein Kondom in deinem Tank finden solltest, habe ich es da reingesteckt!« Sie legte auf und atmete tief durch.

Ein ersticktes Geräusch ließ sie aufblicken. Delilah hatte die Augen weit aufgerissen. »Hast du gerade deinem Bruder zu verstehen gegeben, dass er dich mal kann?«

Jenna verzog das Gesicht und bereute, dass sie sich von ihrem Zorn hatte hinreißen lassen. »Mist. Wahrscheinlich sollte ich zurückrufen und mich bei ihm entschuldigen, was?«

Ihr Finger schwebte über dem Handy.

Delilah langte über den Tresen und riss es ihr aus der Hand. »Wage es ja nicht, Jenna MacMillan. Ich bin stolz auf dich, dass du Dillgurke endlich mal die Meinung gesagt hast. Mann, das war das Beste, was ich seit einer ganzen Weile gehört habe.«

Jenna fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich habe achtzehn Jahre mit seinem unmöglichen Verhalten gelebt. Ich hab’s satt. So darf er nicht mit mir reden.«

Delilah zog die Augenbrauen hoch. »So darf er nicht mit dir reden, oder so darf er nicht über Cal reden?«

Jenna öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Dann machte sie ihn wieder auf. »Ach. Ist doch auch egal.«

Delilah grinste wissend. »Ein wahres Wort. Ich mache schnell die Kasse, dann fahr ich dich nach Hause.«

»Können wir unterwegs noch irgendwo halten und eine Flasche Wein besorgen?«

»Klar doch, Süße.«

Jenna besaß noch gar keine Weingläser. Vielleicht würde sie direkt aus der Flasche trinken.

***

Cal hatte es sich gerade mit einer Flasche Bier in seinem Ruhesessel gemütlich gemacht, als jemand gegen seine Haustür hämmerte. Er verfolgte weiterhin das Baseballspiel im Fernsehen und wartete ab. Beim zweiten Mal war das Klopfen schon lauter. Er wartete noch ein wenig, horchte. Schließlich stellte er mit einem Seufzer sein Bier auf den Couchtisch und ging zur Tür. Er schob den Riegel zurück, schloss auf, machte dann sofort wieder kehrt und ging zurück zu seinem Sessel. Er hörte die Tür hinter sich ins Schloss fallen, dann zweimal ein dumpfes Poltern, als Brent sich die Stiefel auszog.

Cal nahm seine Bierflasche und setzte sich wieder hin. Er hörte, wie Brent in die Küche tappte und sich ebenfalls ein Bier aus dem Kühlschrank holte. Schränke wurden geöffnet und geschlossen. Cal verdrehte die Augen. Er wusste genau, dass Brent nach etwas Essbarem suchte. Sein Bruder wohnte nach wie vor in der Wohnung, die sie sich bis vor kurzem geteilt hatten. Es war eine schöne Wohnung, außerdem hatte Brent jetzt ein extra Zimmer für den Computerkram, mit dem er sich in seiner Freizeit beschäftigte. Und Cal … Cal brauchte dringend einen Ort für sich allein. Er wollte eine Garage und einen Garten und eine Terrasse, auf der er den Grill aufstellen konnte. All das hatte er in dem zweigeschossigen Haus auf dem knapp einen halben Hektar großen Grundstück gefunden. Es hatte schon einige Jahre auf dem Buckel, aber viele der nötigen Renovierungsarbeiten konnte er selbst erledigen. Er hatte keine unmittelbaren Nachbarn. Er konnte sogar nackt im Garten herumlaufen. Nicht, dass er das wollte, aber wenn er es gewollt hätte, wäre es kein Problem gewesen. Das Haus war unterkellert und hatte im Erdgeschoss ein Wohnzimmer, ein Gästebad sowie eine schöne Küche mit einer Kochinsel und Zugang zu einer kleinen Terrasse. Oben befanden sich zwei Schlafzimmer und ein weiteres Bad mit einer geräumigen Dusche. Er liebte diese Dusche.

Das Haus war den Kredit wert, den er dafür aufgenommen hatte, allerdings wünschte er manchmal, er hätte die Adresse vor seinem Bruder geheim gehalten.

Brent kam ins Wohnzimmer geschlendert, die Flasche an den Lippen. Er setzte sie ab und wischte sich mit dem Handrücken den Mund. »Na?«

Cals Augen wurden schmal. »Ich bin aus gutem Grund ausgezogen. Ich möchte meine Ruhe.«

»Ich bin ganz ruhig.«

»Erstens: Du kannst gar nicht ruhig sein. Und zweitens: Mit ruhig meine ich: allein.«

Brent ließ sich auf die Couch fallen. »Komm schon, in Wahrheit meinst du das doch gar nicht so.«

»O doch.«

Brent ignorierte ihn. »Mir ist langweilig.«

»Dann schaff dir einen Hund an.«

Brent verfügte über ein selektives Gehör. Das war nichts Neues. »Warum reden wir nicht lieber über Jenna MacMillan?« Er wackelte auffordernd mit den Augenbrauen.

Cal wusste, dass sein Bruder ihn bloß provozieren wollte, trotzdem hätte er ihm zu gerne das Grinsen aus dem Gesicht gewischt. »Das ist wirklich das Letzte, worüber ich reden will.«

»Zugegeben, in der Schule war sie ja schon scharf. Diese Beine, diese Haare … Aber jetzt ist sie noch viel schärfer.«

Cal knurrte in sein Bier.

»Wir reden doch nur.«

»Nein, du redest. Ich versuche mich auf das Spiel zu konzentrieren.«

Brents Blick zuckte kurz zum Fernseher. »Äh, du magst keine der beiden Mannschaften.«

»Ich weiß nicht. Ich hab so das Gefühl, dass ich sie im Moment sogar sehr mag.«

»Wie auch immer. Hast du vor, deswegen was zu unternehmen?«

»Weswegen?«

»Tu nicht so blöd.«

Cal seufzte. »Es hat damals nicht funktioniert, und heute würde es auch nicht funktionieren. Lass es einfach gut sein, ja?« Er fragte sich, wem diese Aufforderung galt – Brent oder ihm selbst? Er hatte alles getan, um den dummen, wütenden, impulsiven Jungen, der seine Zukunft versaut hatte, hinter sich zu lassen. Der Junge, der das Beste verspielt hatte, was ihm je im Leben passiert war.

Zehn Jahre lang hatte er geglaubt, dass dieser Junge Geschichte wäre. Ende, aus. Gestorben und begraben unter einem geregelten, überschaubaren Dasein, in dem Cal seine Gefühle streng unter Verschluss hielt.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass die einzige Unwägbarkeit seines Lebens plötzlich wieder auftauchen und all die alten Wunden erneut aufreißen würde. Jenna sah immer noch den aggressiven, unbeherrschten Teenager in ihm. Sie hatte sich nicht einmal getraut, ihm zu sagen, dass der Charger eigentlich Dylan gehörte.

Und das Schlimmste war, dass es ihn gewurmt hatte. Es hatte sich unter seine Haut gebohrt wie ein Splitter und war schmerzhaft genug gewesen, dass er das Bedürfnis verspürt hatte, die Sache richtigzustellen.

Warum hatte er nicht einfach den Mund gehalten? Er konnte doch sonst so gut schweigen.

Nur eben nicht bei Jenna. In ihrer Gegenwart hatte er sich noch nie beherrschen können. Ihr hatte er immer alles offenbart. Sie war früher sein ganzer Lebensinhalt gewesen, so wie er es weder davor noch danach je wieder erlebt hatte. Mit Ausnahme seiner Familie konnte niemand derart extreme Emotionen in ihm wecken. Zum Glück. Denn das wollte er auch gar nicht.

Aber dann hatte es gerade mal zehn beschissene Minuten in Jennas Gegenwart gebraucht, und schon waren die Leichen der Vergangenheit an die Oberfläche getrieben. Er hatte sich so schutzlos gefühlt, als läge er auf dem Rücken und würde ihr seinen verletzlichen Bauch präsentieren. Das war gefährlich. Das war sogar sehr gefährlich.

Er kniff die Augen zusammen und kippte sein Bier hinunter. Als er danach zu Brent sah, verzog der das Gesicht. »Vielleicht hätte ich lieber die Klappe halten sollen.«

»Meinst du?«

»Ich wusste ja nicht, dass da noch …«

»Da ist nichts!« Cal wurde laut, und Brent zuckte zusammen. Cal atmete tief durch, dann sprach er mit beherrschter Stimme weiter. »Da ist nichts mehr. Okay? Keine Ahnung, wieso Jenna in der Stadt ist, aber nachdem ich die Karre ihres Bruders repariert hab, geht sie bestimmt wieder dahin zurück, wo sie hergekommen ist. Es war nett, sie mal wiederzusehen, das ist alles.«

Brent schluckte. »Und was, wenn sie … für länger hier ist?«

»Ist sie nicht.« Das konnte gar nicht sein. Da war er sich hundertprozentig sicher. Das zwischen ihnen war aus und vorbei. Sie hier, in Tory. Allein.

Nicht mit ihm.

Jenna hatte sich immer eine Familie gewünscht. Einen Mann und Kinder und Katzen und all das, was er nicht mehr wollte.

Sein Vater hatte sich aus dem Familienleben zurückgezogen, nachdem ihre Mutter abgehauen war, deshalb war Cal lange Zeit allein für seine Brüder verantwortlich gewesen. Er hatte es nicht eilig, noch einmal die Vaterrolle einzunehmen. Damit war er durch. Er wollte einfach abends von der Arbeit kommen, die Ruhe genießen, sein Bier trinken, ungesundes Essen essen und niemandem Rechenschaft schuldig sein.

Damals, als er mit Jenna zusammen gewesen war, hatte er oft darüber nachgedacht, wie es wäre, mit ihr eine Familie zu haben. Und vielleicht wäre es sogar dazu gekommen, wenn sie nicht Schluss gemacht hätte.

Jetzt hatte er seine Entscheidung getroffen, an der er nicht rütteln würde. Er hatte seinen engsten Familienkreis, und der bildete die feste Außengrenze seiner Welt. Er verfolgte andere Ziele als noch mit achtzehn – ganz andere. Er hatte sich auf ein Leben als Single eingestellt, und es wäre schon ein Wunder nötig, um ihn von diesem Kurs abzubringen.

Obwohl Jenna MacMillan in seinem Leben durchaus so etwas wie ein Wunder gewesen war. Allein ihr Anblick hatte viele der alten Gefühle von einer glücklichen Zukunft inmitten einer eigenen Familie wieder hochkommen lassen. Er seufzte. »Können wir jetzt bitte einfach unser Bier trinken und das Spiel anschauen?«

Brent schürzte die Lippen. »Okay.«

Die Stille hielt ganze fünf Minuten an, bevor Brent anfing, von der Frau zu erzählen, mit der er letzte Woche ausgegangen war. Cal beschloss, seinem Bruder definitiv zu Weihnachten einen Hund zu schenken.

Kapitel 3

Familie. Immer war es seine gottverdammte Familie, die ihn so sehr reizte, dass er mit den Zähnen knirschte und die Fäuste ballte. Die diesen weißglühenden Zorn in seinem Innern entfachte. Wenigstens hatte er gelernt, sich nach außen hin nichts anmerken zu lassen. »Du weißt, dass ich alle nötigen Lizenzen habe. Ich verstehe nicht, weshalb du dich so vehement dagegen sperrst.«

Sein Vater bequemte sich nicht einmal, sich zu ihm umzudrehen, sondern kramte weiter in der Werkzeugschublade.

»Das hab ich dir doch schon erklärt.«

»Ach ja?«, sagte Cal. »Dann erklär es mir noch einmal.«

Sein Dad wandte sich um und starrte ihn an. Manchmal nach seiner morgendlichen Dusche wischte Cal das Kondenswasser vom Spiegel, schaute sich in die Augen und fragte sich, ob es bei ihrem Anblick die Menschen wohl auch kalt überlief.

»Ich hab’s dir gesagt. Ich führe diese Werkstatt seit fast vierzig Jahren, ich will nichts verändern. Und wenn du sie nach meinem Tod vor die Wand fährst, komme ich als Gespenst wieder und mach dir die Hölle heiß.«

»Als hättest du eine Seele«, brummte Cal.

Die Lippen seines Vaters zuckten. »Das hab ich gehört.«

»Ich habe ja auch nicht geflüstert.«

»Ich will mit Motorrädern nichts am Hut haben. Ich will nicht, dass sie Platz in der Werkstatt wegnehmen …«

»Ich habe dir doch erklärt, dass wir eine spezielle Werkstattgrube anbauen könnten …«

»Wir können deine Arbeitskraft nicht entbehren. Ich brauche dich für die Autos …«

»Wir könnten noch jemanden einstellen …«

»Außerdem mag ich die Art von Kunden nicht, und überhaupt will ich damit nichts zu tun haben.«

Cal fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Ein Teil der Werkstatt gehört auch mir.«

»Aber mir gehört der größere Teil.« Damit wandte sich sein Vater ab und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Inhalt der Schublade.

So beendete sein Vater oft seine Unterhaltungen. In der Familie Payton wurde ein Gespräch nicht mit höflichen Formeln zum Abschluss gebracht. Warum seinen Atem auf solche Feinheiten verschwenden, wenn es doch viel einfacher war, dem Gesprächspartner den Rücken zuzukehren?

Cal ging. Er war die Diskutiererei ohnehin leid. Außerdem hatte Brent schon wieder angefangen zu singen, und Cal bekam Kopfschmerzen.

Er ging durch die Hintertür nach draußen und zündete sich eine Zigarette an. Payton and Sons lag in der Hauptstraße von Tory, umgeben von Ladenzeilen, mehreren Tankstellen, einem Bed and Breakfast und einem Supermarkt. Sie hatten vier Gruben in ihrer Werkstatt, dazu noch ein kleines Büro und den Pausenraum. Cal war ungeheuer stolz auf den Betrieb, und wenn er ehrlich war, auch stolz auf seinen Vater. Ihre Mutter Jill hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen, als sie gegangen war. Sie hatte der ganzen Familie den Boden unter den Füßen weggerissen. Jack und Cal hatte ihr Fortgang am härtesten getroffen. Er war zu der Zeit sechs Jahre alt gewesen, deshalb konnte er sich besser an sie erinnern als Brent oder Max. Er wusste noch, wie es gewesen war, eine Mutter zu haben. Wie sie ihm und Brent jedes Jahr zu Weihnachten die gleichen Schlafanzüge geschenkt hatte. Wie gern sie gelacht hatte. Er hatte sie schrecklich vermisst, als sie weggegangen war und kurz darauf einen anderen Mann in Kalifornien geheiratet hatte.

Sicher, das Zusammenleben mit Jack war kein Zuckerschlecken, aber indem sie ihren Mann verließ, ließ sie auch ihre Söhne im Stich. Das Einzige, was Cal noch mit ihr verband, waren die Grußkarten, die sie zu wichtigen Feiertagen oder an seinem Geburtstag schickte und auf denen immer Alles Liebe, Jill stand. Sie waren nicht viel mehr als Salz in seinen Wunden.

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