Doctor Who: Geschichten des Grauens - Diverse - E-Book

Doctor Who: Geschichten des Grauens E-Book

Diverse

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Beschreibung

Eine Sammlung von zwölf illustrierten Abenteuern voller furchterregender Doctor Who-Ungeheuer und -Schurken – pünktlich zu Halloween! In jeder Kurzgeschichte muss der Doktor in einer seiner Inkarnationen eine andere schreckenerregende Nemesis überlisten! Natürlich haben auch die liebsten Freunde und Begleiter des Doktors – wie Sarah Jane, Jo und Ace – ihre Auftritte. Zu dieser unheimlichen Anthologie haben beigetragen: Jacqueline Rayner, Mike Tucker, Paul Magrs, Richard Dungworth, Scott Handcock und Craig Donaghy. Illustriert wurde sie von Rohan Eason.

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Seitenzahl: 327

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INHALT

1.MORD IM DUNKELN

von Jacqueline Rayner

2.DER FEIND VOR DER TÜR

von Mike Tucker

3.DAS MONSTER IM WALD

von Paul Magrs

4.ETWAS BÖSES KOMMT DAHER

von Richard Dungworth

5.DAS MAL DER MEDUSA

von Mike Tucker

6.SÜSSES, SONST GIBT’S SAURES

von Jacqueline Rayner

7.DAS LEBENDE BILD

von Scott Handcock

8.ORGANISMUS 96

von Paul Magrs

9.DER FLICKEN-PIERROT

von Scott Handcock

10.BLUTFEHDE

von Richard Dungworth

11.DER NEBEL DES LEIDS

von Craig Donaghy

12.BABY SCHLAFMÜTZE

von Craig Donaghy

DER ERSTE DOKTOR

MORD IM DUNKELN

Geschrieben von Jacqueline Rayner

In der Dunkelheit sah man nur zwei glühende Augen und einen furchterregenden Mund voller Reißzähne. Dodo schrie auf – dann begann sie zu lachen und rannte los. Der Doktor und Steven folgten ihr etwas langsamer.

»Es ist nur ein geschnitzter Kürbis«, rief sie. »Jetzt verstehe ich auch, warum man die früher benutzt hat, um böse Geister zu vertreiben. Die sind echt gruselig.«

In der Ferne flackerten stecknadelgroß noch weitere feuerhelle Augen. Dodo eilte voraus. »Ich glaube, sie markieren einen Weg«, bemerkte sie. »Ja, da bin ich mir sicher. Kommt, wir folgen ihnen!«

Der Doktor und Steven waren von dieser Idee alles andere als begeistert. Da ihnen aber sonst nichts übrig blieb, als zur TARDIS zurückzukehren, gingen sie weiter, während Dodo ihnen immer wieder neue Beobachtungen zurief.

»Ich glaube, ich kann da vorn ein Haus sehen … Der Weg führt dorthin, wie es aussieht … Oh, es ist ein großes Haus, ein Anwesen! Wer da wohl wohnt? Moment, ich sehe jemanden am Fenster. Es ist …«

Für einen Moment hatte sie sich so weit entfernt, dass ihre Gefährten sie nicht mehr sehen konnten. Als ein Schrei durch das Dunkel hallte, stürmte Steven ihr nach. Ein paar Sekunden später hatte er sie eingeholt und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter, während sie das Gesicht in seiner Brust verbarg.

»Was ist passiert?«, fragte er eindringlich und suchte die Dunkelheit nach einer unmittelbaren Bedrohung ab. Doch er fand keine.

»Oh, Steven, es war schrecklich! Ein Monster!«

»Wo?«

Dodo hob den Kopf und schaute zurück zum Anwesen. »Oh, es war dort, Steven. Ganz bestimmt! Ein Gesicht im Fenster! Das Gesicht eines Monsters! Mit nur einem Auge! Ich dachte, es wäre … na ja, du wirst mich wahrscheinlich auslachen, aber ich dachte, es wäre ein Monoid.«

Steven lachte tatsächlich, doch es war ein sanftes Lachen. Eines, das sie beruhigen und nicht belächeln sollte. »Ein Monoid! Nun ja, ich weiß zwar nicht, wo wir sind, aber Refusis II wird es wohl nicht sein, denke ich! Und ohnehin ist jetzt nichts mehr zu sehen, nicht einmal ein Licht. Ich glaube nicht, dass jemand zu Hause ist.«

»Es war dort, was immer es auch war. Es hat den Vorhang beiseitegeschoben, und da habe ich es gesehen.«

Der Doktor, der ziemlich außer Puste war, hatte sie inzwischen eingeholt. Auch er zerstreute Dodos Befürchtungen. »Ein Monoid? Meine Güte, nein. Das hast du dir nur eingebildet, Kind. Reine Einbildung!«

»Vielleicht …«, sagte Dodo, obwohl sie genau wusste, dass das nicht stimmte. Es mochte vielleicht kein Monoid gewesen sein – einer der grünen einäugigen Kontrahenten, denen sie auf einem ihrer jüngsten Abenteuer begegnet waren –, doch etwas war dort gewesen.

Die drei gingen weiter in Richtung des Anwesens. Dodo war jetzt zu nervös, um allein vorauszulaufen. Die leuchtenden Kürbisse führten sie zu einer riesigen schwarzen Holztür, an der ein Klopfer in der Form eines Löwenkopfes prangte. Im flackernden Schein der Laternen wirkte dieser alles andere als einladend.

Dodo streckte eine Hand nach dem Klopfer aus, zog sie dann aber ängstlich wieder zurück. »Ich glaube, ich möchte das doch nicht«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir umkehren.«

»Unsinn, Kind!«, erwiderte der Doktor. »Wir müssen beweisen, dass es hier keine Monster gibt!« Er griff an ihr vorbei und ließ mit dem metallischen Ring ein energisches Rat-a-tat-tat ertönen.

Die Tür schwang wie in einem Horrorfilm mit einem lang gezogenen Knarzen auf. Eine Gestalt stand in der Türöffnung, und nun war es der Doktor, der den Atem scharf einsog. Zwischen kunstvoll bestickten Gewändern und einem Mandarinhut blickte ihnen ein ausdrucksloses, blasses Gesicht entgegen. Doch es war zu ausdruckslos, zu blass …

Der Doktor prustete laut los und wandte sich an Dodo. »Für einen Moment dachte ich selbst … aber es ist nur eine Maske! Mehr nicht. Es sind alles Masken!«

»Eine Kostümparty!«, rief Dodo völlig verzückt. »Das ist ja toll.«

Der maskierte Mandarin machte eine einladende Handbewegung, und die drei Freunde betraten das Haus. Der Doktor deutete auf eine Gestalt in grünem Ogerkostüm und Maske, deren einziges Auge sie anzustarren schien. »Da, siehst du! Das ist genauso wenig ein Monoid, wie dieser Geselle hier der Himmlische Spielzeugmacher ist, oder dieser Herr da drüben«, er zeigte auf einen Mann mit Cowboyhut, »einer der Revolverhelden, denen wir neulich begegnet sind!«

Sie befanden sich in einem großen, von zahllosen Kerzen erleuchteten Saal. Maskierte, kostümierte Gestalten reihten sich ringsum an den Wänden entlang – liefen nicht umher, wie man es bei einer Party erwarten würde, sondern beobachteten und warteten. In der Mitte des Raums saßen mehrere Kinder starr wie Statuen in einem Kreis, allesamt ebenfalls kostümiert. Die Tür, die hinter den Neuankömmlingen knarzend ins Schloss fiel, war das einzige Geräusch weit und breit.

Wie aus dem Nichts erfüllte schrille Musik den Saal. Ein maskierter, in bunte Tracht gehüllter Violinist schabte stürmisch mit dem Bogen über die Saiten, und die Musik, die dabei im Saal widerhallte, schien lauter als überhaupt möglich. Die Kinder hatten sich erhoben und tanzten. Eine winzige Hexe walzte mit einer kleinen Vogelscheuche, während eine bandagierte Mumie von einem Fuß auf den nächsten hüpfte und eine schwarze Katze um sie alle herumgaloppierte. Auch die Erwachsenen bewegten sich nun, tanzten allerdings nicht, sondern beobachteten weiterhin nur. Ein Vampir kam zu den Neuankömmlingen herüber und hielt ihnen einen Kelch hin, der mit einer tiefroten Flüssigkeit gefüllt war. »Fledermausblut«, flüsterte er, die Stimme gedämpft durch die mit Fangzähnen besetzte Maske. Alarmiert drehte sich Dodo zum Doktor.

»Früchtepunsch, meine Liebe«, beschwichtigte er sie, nachdem er daran gerochen hatte, und die drei nahmen ein paar tiefe Schlucke.

Dodo sah dem Violinisten anerkennend zu. »Ich habe in der Schule angefangen, die Violine zu lernen«, sagte sie. »Ich bin nicht viel weiter gekommen als ›Funkel, Funkel, kleiner Stern‹. Wäre ich nur dabeigeblieben. Er spielt fantastisch.« Doch während sie sprach, verstummte die Musik. Der Violinist erstarrte, und alle anderen mit ihm.

»Ich glaube, die Musik kontrolliert sie«, raunte Dodo dem Doktor zu, plötzlich verängstigt.

»Du hast recht«, erwiderte der Doktor gelassen. »Zumindest auf gewisse Weise. Hast du noch nie etwas von Stopptanz gehört?«

Sie grinste. »Oh, aber natürlich! Meinst du, sie würden mich mitspielen lassen?«

Obwohl sie auch diese Worte geflüstert hatte, musste ihre Stimme in der Stille hörbar gewesen sein, denn nur einen Augenblick später hatte ein ägyptischer Pharao auch schon ihre Hand ergriffen und zog sie in die Mitte des Raums zwischen die noch immer erstarrten Kinder. Als die Musik wieder einsetzte, nahm Dodo ein als Ballerina verkleidetes Mädchen und einen mit Ketten behangenen Jungen, der wie ein Ghul aussah, bei den Händen und tanzte gemeinsam mit ihnen los.

Die Musik stoppte erneut. Alle erstarrten, nur ein kleiner roter Teufel tanzte unachtsam weiter. Der Pharao, der Dodo auf die Tanzfläche geführt hatte, packte den Jungen am Arm und führte ihn davon. Dodo bemitleidete ihn – wie peinlich, als Erstes auszuscheiden! – und blickte sich nach ihm um, sobald der Tanz weiterging. Mit seinem Kostüm war er leicht zu entdecken, und sie sah, wie er durch eine abgelegene Tür hinausgebracht wurde.

Das Spiel ging weiter. Immer mehr Kinder schafften es nicht, ihre Posen zu halten, und wurden eines nach dem anderen aus dem Saal geführt. Bald waren nur noch Dodo und sechs andere übrig. Als die Musik verstummte, war die kleine Ballerina neben Dodo gerade dabei, eine Pirouette zu drehen, und geriet nun ins Wanken. Wortlos ergriff einer der erwachsenen Zombies ihren Arm und zerrte sie davon. Die Ballerina keuchte vor Schmerz, und Dodo eilte ihnen nach, um sie zu verteidigen: »He, du tust ihr weh!«

Der Zombie ignorierte Dodo. Einer der anderen tat das jedoch nicht und schnappte sich ihren Arm, um nun auch sie in dieselbe Richtung davonzuziehen. »Hey!«, beschwerte sie sich erneut.

Er sah sie an, doch seine Augen wirkten genauso leblos wie die Maske, durch die sie hindurchblickten. Dodo erschauderte und stolperte neben ihm her.

Plötzlich riss jemand seine Hand von ihrem Arm. »Lass sie los«, verlangte Steven.

Der Zombie wandte sich dem Neuling zu. »Aber sie hat sich bewegt«, sagte er, und Dodo musste beinahe lachen. Seine Stimme klang weinerlich, geradezu bockig, und erinnerte sie daran, dass sie lediglich ein Spiel spielten und sie verloren hatte. Das hier waren nur Menschen auf einer Halloween-Party und nicht das Schloss eines Monsters. Nicht jeder Ort, an den die TARDIS sie brachte, war gefährlich.

»Er hat recht, Steven, ich habe mich bewegt«, sagte sie schulterzuckend.

Der Zombie bedeutete ihr mit einer Geste mitzukommen, und sie folgte ihm aus dem Saal, nun allerdings in Begleitung von Steven, der immer noch misstrauisch aussah.

Sie betraten einen kleineren Raum – also, zumindest kleiner als der riesige Saal von eben, aber dennoch bestimmt achtmal so groß wie der Raum, den ihre Großtante weiterhin beharrlich die ›gute Stube‹ nannte, der größte Raum in Dodos Haus auf der Erde. Lustigerweise lag auch hier ein leichter Geruch von Großtante in der Luft: eine Mischung aus Lavendel und Kerzenwachs, der Duft langweiliger Sonntagnachmittage in Wimbledon. Sie drehte sich um und wollte Steven etwas sagen, doch er wurde bereits durch eine andere Tür geführt, und Dodo fiel auf, dass alle Kinder in diesem Zimmer Mädchen waren. Da der Zombie darauf bestand, setzte sie sich auf den Boden neben ihre Freundin, die Ballerina. »Was passiert jetzt?«, flüsterte sie. Das Mädchen zuckte nur mit den Achseln.

Eine Hexe mit grüner Perücke und ein Skelett mit fluoreszierenden, aufgemalten Knochen stellten sich in die Mitte des Kreises, je einen Korb in der Hand. Die Hexe griff in ihren hinein und zog einen Apfel hervor, der rot und grün glänzte.

Der Apfel aus Schneewittchen, dachte Dodo. Eine Seite ungefährlich, die andere vergiftet. Sie unterdrückte den Drang zurückzuweichen, als die Hexe ihn ihr anbot. Doch es war nur ein Apfel. Nur ein ganz gewöhnlicher Apfel. Sie nahm ihn entgegen.

Dann stellte sich das Skelett vor sie, ließ die aufgemalten Fingerknochen in seinen Korb sinken und holte ein Messer heraus. Ein riesiges, scharfes Messer. Sie keuchte erschrocken auf, doch das Skelett fing an zu lachen – ein beunruhigender Anblick, da sich sein grinsender Kiefer dabei kein Stück bewegte. Dann drehte er das Messer um und hielt ihr den Griff hin.

»Es ist ein Spiel«, erklärte ihr die Ballerina, während auch sie einen Apfel und ein Messer entgegennahm. Sie schien ein wenig genervt von ihr, der Teenagerin, die sich mehr wie ein verängstigtes Kind benahm als die anwesenden Kinder selbst. »Du musst den Apfel in einem Stück schälen, ohne dass die Schale dabei abreißt. Dann schmeißt du die Schale über deine Schulter, und sie zeigt dir den Anfangsbuchstaben der Person, die du einmal heiraten wirst.«

»Oh, das klingt lustig!«, sagte Dodo, auch wenn sie sich nicht vollkommen sicher war, ob sie überhaupt einmal irgendwen heiraten wollte. Schließlich musste man aufhören, durch Raum und Zeit zu reisen, wenn man heiratete. Es sei denn, man fand einen äußerst verständnisvollen Partner.

Sie begann, den Apfel zu schälen. Beim ersten Versuch rutschte sie nach einer halben Umdrehung mit dem Messer ab, und von der Schale blieb nur ein trauriger schlapper Stummel übrig, der niemandem etwas nützte. Nachdem die Hexe sich über diese Verschwendung mokiert hatte, ließ sie sich schließlich überzeugen, ihr ein neues Stück Obst zu geben.

Die kleine Ballerina war unterdessen in Rekordzeit fertig geworden, die erste unter den Mädchen, die es geschafft hatte. Sie schleuderte die Schale über die Schulter und rief dabei: »Apfelschale, Apfelschale, wer wird mich lieben?«

Die anderen Kinder rückten näher, um sich das Ergebnis anzusehen. »Es ist ein T!«, entschieden sie schließlich.

Die Ballerina war völlig ekstatisch. »Vielleicht ist es Tommy! Oder Timothy! Oder Tony!«

Die nächsten Mädchen waren mit dem Schälen fertig und fanden heraus, dass sie jemanden mit einem D oder M oder S heiraten würden. Dodo versuchte, ihr aufgeregtes Geschrei auszublenden, während sie sich auf ihre eigene Aufgabe konzentrierte. Endlich gelang es ihr, eine einzelne unversehrte Schalenspirale hervorzubringen. Sie tat es den anderen gleich, rief: »Apfelschale, Apfelschale, wer wird mich lieben?«, und warf sie sich über die Schulter. Sie drehte sich um – und sog scharf die Luft ein.

Die Schale hatte keinen Buchstaben geformt. Vor ihr lag, ganz eindeutig, der Umriss eines Totenschädels.

»Was ist das?«, fragte eines der Mädchen. »Ein merkwürdiges A vielleicht?«

Dodo schüttelte nur den Kopf, während sie weiterhin die Schale anstarrte.

»Vielleicht ein misslungenes Q?«, überlegte ein anderes Mädchen und entfachte eine Diskussion darüber, ob es überhaupt irgendwelche Jungennamen gab, die mit Q begannen.

Doch auf keinen Fall war das ein A oder ein Q. Es war eindeutig ein Totenkopf, eine unmögliche Kombination aus Kurven und Schatten, die aus einer einzigen Linie einen Schädel formten, und sie verstand nicht, warum die anderen es nicht ebenfalls sahen.

Mit dem Tod … verheiratet?

Nein, das ergab keinen Sinn.

Vielleicht gab es in ihrer Zukunft keine Hochzeit, sondern nur den Tod?

Sie zitterte. »Was für ein albernes Spiel«, sagte sie. »Ich hoffe, das nächste macht mehr Spaß.«

»Ich glaube, das wird es«, erwiderte das Skelett.

Als alle Mädchen fertig waren, wurden die Apfelreste weggeräumt, und eine neue Gestalt betrat den Raum. Der Mann trug weder eine Maske noch war sein Gesicht zu sehen. Ein Hemd mit gerüschter Halskrause verbarg seinen Kopf und erweckte den Eindruck, er wäre enthauptet worden. Eine Kopfattrappe klemmte unter seinem Arm.

»Ahh, der kopflose Reiter!«, sagte Dodo.

»Er hat doch gar kein Pferd«, bemerkte die Ballerina, doch Dodo ignorierte sie.

Die Hexe und das Skelett trugen einen aus Holz geschnitzten Stuhl in die Kreismitte. Der kopflose, pferdlose Reiter nahm darauf Platz und legte den Kopf in den Schoß. Der Stuhl war aus Ebenholz gefertigt, die Lehne und das Sitzkissen aus rotem Satin, und sah weniger nach einem Stuhl als einem Sarg zum Sitzen aus.

Jetzt werde ich langsam lächerlich, rügte sich Dodo selbst bei dem Gedanken. Wer hat denn jemals schon von so etwas gehört? Sie lächelte dem Mann zu und ermahnte sich streng, nicht noch mehr solch alberner Gedanken mit ihr durchgehen zu lassen.

»Ein Mann ist gestorben«, verkündete der Reiter, und Dodo lächelte weiter, weil dies offensichtlich Teil des Spiels war und keine Ankündigung eines wahren Todesfalls. »Wir wissen nicht, wie. Der einzige Hinweis, der zurückgelassen wurde, ist der Leichnam selbst.«

Die Mädchen im Kreis kicherten und schauderten.

»Es ist unsere Aufgabe, die Überreste des Toten für sich sprechen zu lassen und die Wahrheit zu enthüllen. Möge die Autopsie beginnen!«

Leise, nervöse Aufschreie erfüllten den Raum, als sich dieser in Dunkelheit hüllte. »Zuerst die Augen!«, sagte der Mann, und Dodo schrie ebenfalls auf, als zwei schleimige Objekte plötzlich in ihre Hände fielen.

»Hier, nimm«, sagte sie an die stockfinstere Schwärze zu ihrer Linken gerichtet, wo, wie sie wusste, die kleine Ballerina war. Sie keuchte, als Dodo die Kugeln an sie weiterreichte.

»Keine Sorge«, sagte Dodo. »Ich habe das schon mal gespielt. Das sind nur geschälte Trauben oder so.«

»Die sind zu groß, um Trauben zu sein«, merkte das Mädchen an.

»Nun gut, dann sind es vielleicht … ich weiß auch nicht. Aprikosen, oder Pflaumen. Ihh!« Das letzte Geräusch entfuhr ihr, als etwas Neues in ihren Händen landete: ein Gewirr glitschiger Stränge. »Bestimmt Spaghetti«, sagte sie gerade, da verkündete der kopflose Reiter: »Und nun seine Eingeweide!«

Das Spiel ging weiter, und immer mehr schleimige und seltsame Dinge wurden herumgereicht – »Seine Leber! Seine Finger! Sein Herz!« –, bis es Zeit war für das große Finale: »Sein Gehirn!«

Ein kalter, klebriger Klumpen mit Beulen und Furchen landete in Dodos ausgestreckter Hand. »Blumenkohl?«, vermutete sie laut.

Da erklang ein tiefes, grollendes, unangenehmes Lachen. Mit einem Mal flammten mehrere im Raum verteilte Kerzen auf. Das Licht war schwach, doch Dodo konnte eindeutig erkennen, dass das, was sie in den Händen hielt, grau und verschrumpelt war.

Das war kein Blumenkohl.

Sie blickte zu dem kopflosen Reiter hinüber, der immer noch lachte. Das Gelächter kam ganz eindeutig von dem abgetrennten Kopf, der auf seinen Knien lag.

In diesem Moment wurde Dodo bewusst, dass dies definitiv doch keine gewöhnliche Party war, und sie schrie.

Steven befand sich ebenfalls in einem separaten Raum, zusammen mit all den anderen Jungen, die beim Stopptanz mitgespielt und verloren hatten. Von der Decke hingen in regelmäßigen Abständen Seile, an deren Enden jeweils ein rosa glasierter, ringförmiger Donut festgebunden war. Steven, dem Halloween-Partys völlig fremd waren – immerhin lagen zwischen seiner Kindheit und Dodos, die im zwanzigsten Jahrhundert aufgewachsen war, Welten –, starrte dieses Gebilde nur verwirrt an und fragte sich, ob dies eine exzentrische Form der Raumgestaltung sein sollte. Doch als ein maskierter Cowboy »Und los!« schrie und alle Jungs sich mit fest hinter dem Rücken verschränkten Händen vorstürzten, dauerte es nicht lange, bis er begriff, dass dies ein Spiel war. Eines, bei dem sie versuchen mussten, von einem der schwingenden Donuts abzubeißen, während sie nur ihre Zähne benutzten. Da Steven sich nicht viel aus Spielen oder aus süßem Gebäck machte, rührte er sich nicht.

Einige Donuts waren schon leicht angeknabbert, doch es dauerte noch eine Weile, bevor es dem Ersten gelang, ein richtiges Stück herauszubeißen. »Ich hab’s geschafft!«, rief ein kleiner Junge in Astronautenmontur (Steven gefiel das Kostüm, auch wenn ihm der Raumanzug lächerlich primitiv vorkam).

»Ich hab’s …« Der nächste Siegesjubel endete mit einem angewiderten Aufschrei. Überall im Raum fingen Jungen an zu schreien, als ihre Zähne sich in die Donuts gruben und eine rote Substanz daraus hervorquoll.

»Was in aller Welt ist das?«, verlangte Steven zu wissen.

»Nur Marmelade, nichts weiter«, sagte der Cowboy. »Damit sind Donuts gefüllt, wusstest du das nicht?«

»Ich habe noch nie ein Kind so auf Marmelade reagieren sehen!« Steven machte einen Schritt vor, doch der Cowboy stellte sich ihm in den Weg.

»Das ist nur Marmelade«, wiederholte er.

»So flüssig ist Marmelade nicht«, protestierte Steven. Er versuchte, einen Schritt an dem Cowboy vorbei zu machen, wurde aber erneut ausgebremst. Hinter dem Cowboy räumte ein Mann mit Vampirmaske die übrigen Donuts davon, während die Jungs, von denen manche immer noch bestürzt dreinblickten, sich wieder auf den Boden setzten und die Beine überkreuzten.

»Das Spiel ist vorbei, und es war Marmelade«, sagte der Cowboy und bedeutete Steven, sich ebenfalls hinzusetzen. Unsicher, wie er reagieren sollte, gab er der Anweisung schließlich widerwillig nach.

Der Vampir und der Cowboy zogen nun eine große, mit Wasser gefüllte Wanne in die Mitte des Raums. Äpfel schwammen an der Oberfläche. Wieder hatte Steven keine Ahnung, was es damit auf sich hatte. Brauchten die Früchte ein Bad?

Der Cowboy bat den Jungen im Raumanzug herzukommen, doch Steven sprang auf und versperrte ihm den Weg. »Oh nein«, sagte er. »Ich glaube, diesmal fang ich besser an. Nur falls wieder eine fiese Überraschung auf uns wartet.« Er marschierte zur Wanne hinüber und blickte auf die Äpfel hinab. »Also … was soll ich hier genau tun?«

»Das nennt sich Apfeltauchen«, antwortete der junge Astronaut. »Du musst einen der Äpfel herausfischen, aber nur mit deinen Zähnen.«

»Was sollen diese ganzen Spielchen, bei denen man nur die Zähne benutzen darf?«, murrte Steven. Er beugte sich über die Wanne – und zwei Paar Arme packten ihn. Steven, überrumpelt und aus dem Gleichgewicht gebracht, konnte den Vampir und Cowboy nicht daran hindern, seine Handgelenke zusammenzubinden.

»Nur um sicherzustellen, dass du nicht schummelst«, sagte der Cowboy. Seine Maske zeigte ein dauerhaftes Grinsen, und Steven war sich sicher, dass derselbe selbstgefällige Ausdruck auch auf dem wahren Gesicht darunter lag.

»Ich schummle nicht«, knurrte Steven durch zusammengebissene Zähne. Er kniete sich hin, bleckte die Zähne und nahm einen Apfel ins Visier.

Der Apfel bleckte ebenfalls die Zähne.

Steven schrie laut auf, als ein Dutzend Stücke Obst sich in seine Nase, Ohren und Wangen verbissen. Irgendwie gelang es ihnen, ihn hinunter ins Wasser zu zerren. Ein Apfel verkeilte sich in seinem noch immer offen stehenden Mund. Er versuchte zu atmen, aber sein Kopf war jetzt unter Wasser.

Doch so schnell geriet Steven nicht in Panik; schließlich mussten Weltraumpiloten stets einen kühlen Kopf bewahren können. Er hörte auf, um sich zu schlagen, entspannte sich, und als er tiefer in die Wanne hineingezogen wurde, hob er ein Knie auf deren Rand und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Das war weder ein leichtes noch ein elegantes Manöver, aber erfolgreich. Steven landete auf dem Rücken, triefend nass, die umgedrehte Wanne über ihm, aber er konnte wieder atmen. Reißzähne fletschende Äpfel trieben auf der Wasserlache, die sich um ihn herum ausbreitete, durch den Raum, und als Steven sich auf die Knie hochstemmte, war er erfreut zu sehen, dass sich manche von ihnen bereits an den Zehen und Knöcheln des Vampirs und des Cowboys zu schaffen machten.

Dann hörte er einen Schrei. Dodo!

Steven kam auf die Beine, schlitterte und rutschte auf die Tür zu. »Dodo! Ich komme!«, brüllte er, nur um festzustellen, dass er die Tür überhaupt nicht öffnen konnte. Die Hände waren ihm noch immer hinter dem Rücken zusammengebunden. »Halte durch!«

Die Tür öffnete sich von außen, und Dodo stand vor ihm. »Oh, Steven! Bin ich froh … Was ist mit deinem Gesicht passiert?«

»Bind mich erst mal los, okay?« Steven drehte sich um und hielt, so gut es ging, seine gefesselten Handgelenke hoch. »Wir müssen den Doktor finden! Etwas sehr Merkwürdiges geht hier vor sich.«

»Das musst du mir nicht sagen! Ich hatte eben noch ein Gehir… Ahh!« Dodo schrie überrascht auf, als der kopflose Reiter, den Kopf unter den Arm geklemmt, sie von hinten packte.

Aber Dodo hatte Stevens Stricke weit genug gelockert, dass er die nun abschütteln konnte. Er schnappte sich einen der um sich beißenden Äpfel und schleuderte ihn auf Dodos Geiselnehmer. Der Körper des Reiters ließ sie los … und seinen Kopf ebenso. Kreischend rollte dieser davon, während die Jungen aus Stevens und die Mädchen aus Dodos Raum anfingen, den Reiter, den Vampir, den Cowboy, die Hexe und das Skelett mit Dingen – vorwiegend Äpfeln, aber auch dem ein oder anderen Körperteil – zu bewerfen.

»Komm, holen wir den Doktor«, sagte Steven, der Dodos Hand hielt, um ihr durch das Gedränge hindurchzuhelfen.

»Aber die Kinder …«, setzte sie an.

»Die kommen schon zurecht, wie’s aussieht. Außerdem helfen wir ihnen am meisten, indem wir den Doktor finden.«

Gemeinsam rannten sie zurück in den riesigen Saal. Und stellten überrascht fest, dass es dort beinahe genauso aussah wie zuvor. Der Doktor nippte noch immer an einem Kelch, in ein Gespräch mit Frankensteins Monster vertieft. Dodo und Steven eilten zu ihm hinüber. »Doktor!«

Der Doktor hielt eine Hand hoch – als wären sie Kinder, denen er beibringen musste, die Erwachsenen nicht zu unterbrechen. »Geduld, meine Lieben. Nun, gnädiger Herr …«

»Doktor!« Dodo packte ihn am Mantelärmel. »Es ist wichtig!«

Den Kopf schüttelnd, schnalzte der Doktor tadelnd mit der Zunge und entschuldigte sich bei dem Monster: »Verzeihen Sie, mein Wertester.« Dann wandte er sich ihnen zu. »Nun? Was ist denn so wichtig, hm?«

»Etwas wirklich Gruseliges geht hier vor sich, Doktor«, sagte Dodo.

Er warf ihr einen nachsichtigen, mitleidigen Blick zu. »Mein Kind! Das ist eine Halloween-Party, sich zu fürchten, ist der ganze Sinn und Zweck daran.«

»Aber nicht so«, entgegnete Steven. »Ich wurde von Äpfeln angegriffen!« Er sah die Miene des Doktors, einerseits ungläubig, andererseits kurz davor loszulachen. »Das war nicht lustig, hörst du?«

Sie erzählten ihm, was passiert war, und wollten der Sache gerade auf den Grund gehen, da ertönte eine laute Stimme: »Es wird Zeit für das finale Spiel!«

Alle verstummten bei der Ankündigung und drehten sich dem Sprecher zu, einer Gestalt, die von Kopf bis Fuß mit einem Laken bedeckt war, ein Geist wie aus einem Cartoon.

»Mord im Dunkeln!«, fuhr der Geist fort. »Und alle machen mit!«

Die Tür am anderen Ende des Saals öffnete sich, und die Kinder kamen allesamt lachend und aufgeregt hereingerannt. Von der Verwirrung, dem Chaos oder der Angst, von der Dodo und Steven dem Doktor gerade berichtet hatten, keine Spur.

»Jeder zieht eine Rolle, nach dem Zufallsprinzip.« Die maskierten Gestalten fingen an, durch die Schar an Kindern hindurchzulaufen und ihnen mit weißen, runden Plättchen gefüllte Hüte hinzuhalten.

»Ich möchte nicht spielen«, sagte Dodo, als ein Ghul ihr seinen Hut entgegenstreckte, doch er ließ nicht locker. »Nein! Ich mach da nicht mit.«

»Ich glaube, du solltest besser eins nehmen«, raunte Steven ihr hinter dem Rücken zu. Sie drehte sich um und sah zwei maskierte römische Soldaten, die den Doktor mit ihren viel zu echt aussehenden Kurzschwertern bedrohten. Er hatte bereits ein Plättchen genommen und Steven ebenso. Widerwillig tat Dodo es ihnen gleich. Sie konnte gerade noch erkennen, dass darauf nichts geschrieben stand als ein Fragezeichen, da erloschen alle Kerzen.

Ein Schrei ertönte, lang und durchdringend, doch ob von einem Mann, einer Frau oder einem Kind, konnte sie nicht sagen. Dann spürte sie, wie jemand sie anrempelte.

Fast augenblicklich flammten die Kerzen wieder wie von selbst auf.

Jetzt war es Dodo, die entsetzt aufschrie. Alles um sie herum hatte sich innerhalb dieser wenigen Sekunden verändert.

Steven, der Doktor und sie waren nun vollständig von allen anwesenden, maskierten Gestalten umzingelt. Dem Scharfschützen, dem kopflosen Reiter, dem Geist, dem Violinisten, dem Skelett, dem Mandarin, dem einäugigen Oger – allen. Und hinter dem Kreis …

Lagen die Kinder, jedes einzelne von ihnen, auf dem Boden.

»Sind sie …?«, hauchte Dodo, unfähig, das Wort »tot« laut auszusprechen.

»Sie tun nur so, das ist Teil des Spiels«, sagte Steven. »Sie sind die Opfer.« Er klang überzeugend, doch sie wusste, dass er genauso sehr sich selbst überzeugen wollte wie sie.

»Wer ist der Detektiv?«, donnerte der mit dem Laken bedeckte Geist.

Wortlos hielt der Doktor sein Plättchen hoch. Darauf stand deutlich das Wort DETEKTIV geschrieben.

»Nun müssen Sie den Mörder finden, Doktor. Das sollte nicht allzu schwierig sein, bei nur zwei Verdächtigen.«

Dodo blickte auf das Plättchen in ihrer Hand hinab, das mit dem Fragezeichen. Sie drehte es um. Auf der anderen Seite stand MÖRDER. Steven hielt sein Plättchen in die Runde, das mit dem ihrem identisch war.

»Untersuchen Sie die Verdächtigen, Doktor«, sagte der Geist. »Dann fällen Sie eine Entscheidung. Doch überlegen Sie sich die Antwort gut, nur einer Ihrer Freunde kann ungestraft davonkommen.«

»Und was passiert mit dem anderen, hm?«, verlangte der Doktor zu wissen.

»Der Schuldige muss bestraft werden.«

»Das ist doch lächerlich!«, entfuhr es Steven. »Weder Dodo noch ich haben irgendjemandem etwas angetan. Der Doktor weiß das und alle anderen auch!«

»So sind die Spielregeln. Ihr habt unsere Einladung angenommen und euch unserer Feier angeschlossen, also müsst ihr euch auch an die Regeln halten. Sonst werdet ihr dafür büßen. Entscheiden Sie, Doktor. Wer hat die Gäste ermordet? Einer von Ihren Freunden wird bestraft, der andere freigelassen.«

Dodo war schlecht vor Angst. Sie unterdrückte ein panisches Schluchzen und griff in ihre Tasche, auf der Suche nach einem Taschentuch.

Doch sie spürte noch etwas anderes. Mit Entsetzen zog sie ein blaues Fläschchen hervor, das mit einem Totenkopf markiert war.

»War es Miss Chaplet, die den Punsch vergiftet hat?«

»Das muss mir jemand in die Tasche gesteckt haben, als ich angerempelt wurde!«, rief Dodo entrüstet. »Das gehört mir nicht!«

»Oder war es Mr Taylor, der Drogen in die Getränke gemischt hat?«

Steven holte, ohne etwas zu sagen, ein identisch aussehendes blaues Fläschchen aus seiner Tasche.

Der Geist brüllte: »Entscheiden Sie, Doktor!«

Die Menge machte einen Schritt auf sie zu, die Arme ausgestreckt, bereit, den Schuldigen zu ergreifen.

»Ich war es!«, entgegnete Steven plötzlich. »Ich habe es getan. Da habt ihr eure Antwort. Bitte, Doktor.«

Dodo durchfuhr eine unbeschreibliche Woge der Dankbarkeit, aber natürlich konnte sie ihn das nicht tun lassen. »Nein«, sagte sie eindringlich. »Doktor, ich war es. Ich … ich habe sie vergiftet.«

Der Doktor sah sie an, begegnete ihrem Blick. »Es tut mir leid, Liebes.« Dann wandte er sich wieder an den Geist. »Nun gut«, sagte er. »Meine Antwort steht fest. Der Mörder ist … dort!« Doch er deutete weder auf Dodo noch auf Steven. Er wirbelte zu dem Mandarin herum und riss ihm die Gummimaske vom Gesicht. Darunter kam ein nahezu identisches Ebenbild zum Vorschein – eines, das Dodo erkannte. Eines, das sie erst neulich gesehen hatten, als sie seiner Welt der Spiele und Sinnestäuschungen entkommen waren. Der Himmlische Spielzeugmacher.

»Direkt vor unserer Nase versteckt, hm?«, sagte der Doktor. »Doch wer hätte es auch sonst sein können? Wer sonst würde solche verschrobenen Spielchen spielen?«

»Gut gemacht, Doktor«, antwortete der Himmlische Spielzeugmacher. »Doch Ihre Antwort ist ungültig. Meine Puppen«, er machte eine Geste und alle um sie herum zogen sich die Masken ab, um ihre rudimentären Gesichter, mit drei Punkten und einem Halbkreis als Augen, Nase und Mund, zu enthüllen, »wissen, dass die Spielregeln befolgt werden müssen, und zwar bis zum Schluss. Sie erwarten Ihre Entscheidung. Steven oder Dodo?«

»Die Spielregeln müssen befolgt werden, hm? Also gut, wenn es sein muss. Ich hätte allerdings noch eine Bitte. Einen Musikwunsch! ›Funkel, Funkel, kleiner Stern!‹«

Der Himmlische Spielzeugmacher sah den Doktor an, als hätte er den Verstand verloren. Steven schien es genauso zu gehen.

Doch Dodo verstand auf einmal! Sie schnappte sich die Geige und den Bogen des Violinisten und begann fieberhaft, dem Instrument die einzige Melodie abzuringen, die sie kannte. Die Puppen rückten einen Schritt näher.

»Wir spielen wieder Stopptanz!«, erklärte der Doktor. »Und sobald die Musik verstummt, darf sich niemand mehr bewegen!« Dodo hielt gehorsam (und erleichtert) inne.

Alle Puppen erstarrten, und der Doktor brüllte: »Dodo, Steven, lauft!«

Die drei rannten los, durch die erstarrten Gestalten hindurch und vorbei an den Kindern auf dem Boden, die nun nichts weiter als schlaffe Püppchen aus Stoff und Garn waren.

»Stopptanz ist vorbei! Wir spielen noch immer Mord im Dunkeln!«, hörten sie den Spielzeugmacher seine Marionetten anschreien, als sie gerade durch die riesige Holztür hindurchsprinteten. »Schnappt sie euch!«

Aber der Doktor, Steven und Dodo waren bereits draußen. Die Kürbislaternen leuchteten noch immer, und sie eilten den Weg entlang, den sie vorhin gekommen waren, weg vom Anwesen und zurück in Richtung der TARDIS.

»Wie sind wir bloß davongekommen?«, fragte Dodo, als sie endlich in Sicherheit waren. »Haben wir das Spiel gewonnen? Ich dachte, der Spielzeugmacher zerstört seine eigene Welt und alles, was sich darin befindet, wenn er geschlagen wird.«

»Wir haben Mord im Dunkeln gewonnen«, erwiderte der Doktor. »Ich habe den wahren Täter entlarvt – den Spielzeugmacher selbst. Ein neues Spiel zu beginnen, hat genügend Chaos verursacht, dass wir entkommen konnten.«

»Ah, verstehe«, sagte Dodo, die sich gar nicht so sicher war, dass sie es tatsächlich verstand. Doch jetzt zählte nur, dass sie zurück in der TARDIS waren. »Ich hatte schon gedacht, dass wir ihn eine Weile los wären, nachdem wir ihn neulich besiegt hatten – zumindest etwas länger.«

»Zeit bedeutet nichts für jemanden wie ihn«, sagte der Doktor. »Er könnte eintausend Jahre an diesem Plan getüftelt haben, seit wir ihn zuletzt gesehen haben, auch wenn für uns nur ein paar Tage vergangen sind.«

»Wenn er so lange dafür gebraucht hat, sollte man meinen, er hätte sich was Besseres einfallen lassen«, warf Steven ein. »Eine schreckliche Kinderparty!«

»Von der wir aber nur knapp entkommen sind!«, merkte Dodo an.

»Ach, papperlapapp«, sagte der Doktor. »So knapp war es nun auch wieder nicht. Außerdem sind wir entkommen. Nur das zählt.«

Dodo erschauderte. »Lasst uns nie wieder hierherkommen, okay?«

»Ganz bestimmt nicht!«, stimmte Steven zu.

Hätte einer von ihnen allerdings auf den Bildschirm des Scanners geblickt, hätten sie ein blaues Licht aufflackern sehen und den Umriss einer weiteren Polizeinotrufzelle, die dabei war, sich zu materialisieren.

Der Kampf zwischen dem Doktor und dem Spielzeugmacher würde niemals enden …

DER ZWEITE DOKTOR

DER FEIND VOR DER TÜR

Geschrieben von Mike Tucker

»Boah, das ist ja unglaublich. Wie viele Räume kann es in solch einer winzigen Kiste geben?«

Ben lachte. Dass das Innere der TARDIS Jamie verwirrte, konnte er verstehen. Selbst Ben, der sich für einen gut informierten Londoner des zwanzigsten Jahrhunderts hielt, fand die TARDIS schwer zu begreifen. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, wie es einem jungen schottischen Dudelsackspieler gehen musste, der dem Schlachtfeld von Culloden im Jahr 1746 entsprungen war.

»Wir haben aufgehört zu zählen«, sagte Polly. »Ben und ich haben uns ein wenig umgesehen, als wir das erste Mal an Bord gekommen sind …«

»Und uns dabei beinahe verlaufen, dank dir!«, rügte Ben.

Polly streckte ihm die Zunge heraus. »Wir haben doch wieder zurückgefunden, irgendwann.«

»Japp, aber nur, weil der Doktor uns gesucht und zurückgebracht hat«, erwiderte Ben.

»Na ja, das ist nur passiert, weil alles noch neu war! Diesmal weiß ich ganz genau, wo wir lang müssen. Kommt schon.«

Sie ergriff Jamie bei der Hand und lief einen weiteren Korridor entlang. Die Wände waren übersät mit den seltsamen, kreisrunden Vertiefungen, die man überall in der TARDIS antraf. Bevor er ihnen folgte, betrachtete Ben seine Umgebung noch einmal eingehend. Er hatte Polly zwar nur ein wenig necken wollen, das änderte aber nichts an der Tatsache, dass sie bislang immer wieder willkürlich eine Richtung ausgewählt hatte, ohne genau zu wissen, wo sie sie hinführte. Wäre Ben der Anführer dieser kleinen Expedition, hätte er sich zumindest irgendein System ausgedacht: einmal links abbiegen, dann rechts, dann wieder links – oder so ähnlich. Polly hingegen entschied einfach spontan, welchen Korridor sie nahmen.

Wenigstens sahen die endlosen Flure dank der Angewohnheit des Doktors, in allen möglichen Zeiten und Orten ungewöhnliche Gegenstände zu sammeln, nicht alle identisch aus. Selbst hier, fernab vom Kontrollraum der Zeitmaschine, lehnte eine uralte Kohlenschütte an der Wand, und aus einer Packkiste lugte etwas hervor, das aussah wie ein Einrad. Der Doktor hielt nicht gerade die größte Ordnung auf seinem Schiff.

Sobald Ben überzeugt war, sich genügend Merkmale eingeprägt zu haben, die ihm, wenn es so weit war, helfen würden, den Rückweg zu finden, folgte er den anderen.

Pollys ansteckendes Lachen hallte vor ihm durch den Flur.

Als Ben die beiden endlich eingeholt hatte, versuchte Polly gerade angestrengt, eine Tür zu öffnen. Diese unterschied sich deutlich von all den anderen Türen, die sie bislang gefunden hatten. Während die anderen allesamt metallisch und flach gewesen waren, bestand diese aus dunklem Holz, in das ein rundes, edles Buntglasfenster eingelassen worden war.

»Sie gibt einfach nicht nach«, sagte Polly, die Schulter gegen die Tür gestemmt. »Ben, komm her. Kannst du sie für mich öffnen?«

Bevor er ihrer Bitte nachkommen konnte, hatte Jamie auch schon einen Schritt auf sie zu gemacht und Polly beiseitegeschoben. »Mach Platz, Liebes. Du brauchst einen Highlander, der das für dich übernimmt, nicht irgend so einen dahergelaufenen Engländer.«

Vor ein paar Wochen hätte Ben eine derartige Beleidigung wahrscheinlich nicht einfach durchgehen lassen, doch seit er mit dem Doktor herumreiste, hatten sich einige seiner schroffen Seemannskanten anscheinend geglättet. Und wenn der Neuling sich vor der Lady blamieren wollte, ihm sollte es recht sein.

»Na gut, dann lass mal sehen, was du kannst.« Ben verschränkte die Arme und lehnte sich lässig gegen die Wand des Korridors.

Jamie rieb sich vorbereitend demonstrativ die Hände, dann warf er sich gegen die Tür. Seine Wadenmuskeln wölbten sich, als er sich mit aller Kraft dagegenstemmte. Es gelang ihm nicht, die unnachgiebige Tür auch nur einen Spaltbreit zu öffnen.

Ben, der ihn amüsiert beobachtete, wollte Jamie gerade anbieten, ihm zu zeigen, wie es richtig ging, da schwang die Tür zu ihrer aller Überraschung – vor allem Jamies – unvermittelt auf.

Ben musste ein Lachen unterdrücken, als der junge Schotte vornüber durch die Türöffnung stolperte, gefolgt von einem lauten Krachen im Raum dahinter.

»Jamie!«, schrie Polly. »Geht’s dir gut?«

Auch sie verschwand durch die Tür, und Ben eilte ihr hinterher. Der Raum, in dem sie sich befanden, war dunkel und staubig. Polly versuchte gerade, Jamie wieder auf die Beine zu ziehen.

»Sehr elegant«, neckte Ben und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen.

»Aye, na ja, ich hab nicht damit gerechnet, dass die sich so leicht öffnen lässt.« Jamie blickte verlegen drein, während er sich den Staub und die Spinnweben vom Hemd klopfte. »Was ist das überhaupt für ein Ort?« Er sah sich neugierig um. »Dieser Schreibtisch sieht aus wie die Kontroll…«, er suchte einen Moment nach dem ihm unvertrauten Wort, »…konsole des Doktors.«

»He, er hat recht, Ben. Sieh doch.« Polly ließ den Blick ebenfalls verblüfft umherschweifen. »Es sieht tatsächlich aus wie eine kleinere Version des Kontrollraums.«

Ben musste ihnen recht geben. Die Räume sahen sich in der Tat ausgesprochen ähnlich – abgesehen davon, dass anstelle der gewohnten weißen Wände und leuchtenden Kontrollanzeigen hier alles aus dunklem Holz und Buntglas bestand. Bevor Ben jedoch vorschlagen konnte, ein wenig Vorsicht walten zu lassen, war Polly bereits zu dem konsolenähnlichen Schreibtisch in der Mitte des Raums hinübergegangen und hatte eines der sechs an Scharnieren befestigten Bedienfelder geöffnet.

Ein energetisches Summen ertönte, und Licht flutete den Raum.

Polly jauchzte begeistert.

Ben war dagegen weitaus weniger enthusiastisch. »Bist du dir sicher, dass du damit herumspielen solltest, Duchess?«

»Ach, komm schon. Es ist ja nicht so, als würde ich irgendwelche Knöpfe drücken, nicht wahr?«, antwortete Polly.

Jamie starrte auf die Reihen der beleuchtenden Schalter, die nun, da die Klappe des Bedienfelds offen stand, sichtbar waren. »Was meint ihr, wofür die alle gut sind?«

Ben zuckte mit den Schultern. »Back-up-Bedienelemente für die Navigation oder so. Ich schätze, der Doktor kann die TARDIS von diesem wie auch von dem anderen Kontrollraum aus steuern.«

»Und das da?« Jamie deutete mit dem Kopf auf einen kreisrunden Spiegel, der an einem silbernen Ständer oben aus der hölzernen Konsole herausragte.

Ben runzelte die Stirn. »Das sieht aus wie ein Rasierspiegel.«

»Glaubt ihr, der Doktor kommt hierher, um seinen Bart zu trimmen?« Polly lachte.

»Der Doktor hat gar keinen Bart«, merkte Jamie an.

»Dieser Doktor nicht«, sagte Polly. »Wer weiß, ob einer der vorherigen einen hatte?«

Vor Kurzem hatten Ben und Polly miterlebt, wie der Doktor sein gesamtes äußeres Erscheinungsbild geändert hatte. Ben hätte das niemals für möglich gehalten, wenn es nicht unmittelbar vor seinen Augen passiert wäre.

Polly ignorierte den verwirrten Ausdruck auf Jamies Gesicht und fing an, sich genauer umzusehen. Ben blickte bewundernd um sich; die TARDIS steckte wirklich voller Überraschungen. Zwei Kontrollräume, das sah dem Doktor mal wieder ähnlich. Er fragte sich, was sie sonst noch alles finden würden, wenn sie die TARDIS nur lang genug erkundeten …

»Ben! Komm her und sieh dir das an.« Pollys aufgeregte Stimme riss ihn aus den Gedanken. Sie kniete vor einer großen Holzkiste am anderen Ende des Raums.

»Was hast du jetzt wieder entdeckt, Duchess?«

Ben ließ Jamie, der noch immer mit verwunderter Faszination die bunt blinkenden Lichter der Konsole anstarrte, stehen und lief zu Polly hinüber. Sie war gerade dabei, etwas aus der Kiste herauszuziehen. Als er näher kam, hielt sie ihm ihr Fundstück mit leuchtenden Augen hin. Ben nahm es ihr ab. Es war ein hölzernes Brett, die Oberfläche zerschrammt und ausgeblichen. Die Ränder waren allesamt mit simplen, aufgemalten Symbolen verziert, die die Sonne, den Mond und andere undefinierbare Planeten darstellten. In der Mitte des Bretts standen die sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets, die Ziffern null bis neun und die drei Worte ›Ja‹, ›Nein‹ und ›Ende‹.

Ben, der nicht wusste, was er da vor sich sah, runzelte die Stirn. »Keinen blassen Schimmer, was das ist, Pol. Soll das ein Brettspiel sein?«