Don Cavelli und der Gottesbeweis - David Conti - E-Book

Don Cavelli und der Gottesbeweis E-Book

David Conti

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Beschreibung

Muss die Wahrheit mit dem Tod bezahlt werden? Die ganze Welt blickt mit angehaltenem Atem auf den Vatikan: An der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften behandelt das diesjährige Symposium die alles entscheidende Frage, ob die Existenz Gottes wissenschaftlich bewiesen werden kann. Als Professor für die Geschichte des Vatikan kann Don Cavelli sich dies auf keinen Fall entgehen lassen – doch er hat nicht damit gerechnet, wie gefährlich die Wahrheit ist: Schon bald wird ein Wissenschaftler nach dem anderen Opfer rätselhafter Todesfälle. Gemeinsam mit Rosanna Valiani, einer jungen Reporterin von Radio Vaticano, geht Cavelli der Sache nach. Haben sich diese Wissenschaftler in ihrer Hybris tatsächlich den Zorn Gottes zugezogen? Der fesselnde 13. Band der Bestsellerreihe um den Vatikandetektiv wider Willen – alle Kriminalromane um Don Cavelli sind unabhängig voneinander lesbar.

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Seitenzahl: 251

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

 

Die ganze Welt blickt mit angehaltenem Atem auf den Vatikan: An der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften behandelt das diesjährige Symposium die alles entscheidende Frage, ob die Existenz Gottes wissenschaftlich bewiesen werden kann. Als Professor für die Geschichte des Vatikan kann Don Cavelli sich dies auf keinen Fall entgehen lassen – doch er hat nicht damit gerechnet, wie gefährlich die Wahrheit ist: Schon bald wird ein Wissenschaftler nach dem anderen Opfer rätselhafter Todesfälle. Gemeinsam mit Rosanna Valiani, einer jungen Reporterin von Radio Vaticano, geht Cavelli der Sache nach. Haben sich diese Wissenschaftler in ihrer Hybris tatsächlich den Zorn Gottes zugezogen?

Originalausgabe Oktober 2025

Copyright © der Originalausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (rb)

 

ISBN 978-3-69076-779-8

 

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David Conti

Don Cavelli und der Gottesbeweis

Die dreizehnte Mission

 

dotbooks.

Meine Forschungen haben ergeben, dass hinter all der Welt, mit der wir uns befassen, ein großer Orchesterdirigent sein muss, der alles lenkt und der unser Gutes will.

Albert Einstein

 

 

Zwischen Religion und Naturwissenschaft finden wir nirgends einen Widerspruch, wohl aber in den entscheidenden Punkten volle Übereinstimmung.

Max Planck

 

 

Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.

Werner Heisenberg

 

 

Wäre es nicht seltsam, wenn ein Universum, das keinen Zweck hat, völlig zufällig Menschen hervorbrächte, die so versessen sind auf einen Zweck?

Sir John Templeton

 

 

Naturwissenschaft und Religion in Gegensatz zu stellen,

ist Sache von Leuten, die schlecht unterrichtet sind.

In der einen wie der anderen Wissenschaft.

Chemiker und Nobelpreisträger Paul Sabatier

 

 

Gott, wenn es Dich gibt, zeig Dich mir!

Gebet des Agnostikers

 

 

Suchet, so werdet ihr finden.

Jesus

Prolog

 

Das Italien des neunzehnten Jahrhunderts war zu weiten Teilen geprägt von der Bewegung des Risorgimentos – der Wiedererstehung – welche die politische Einheit des Landes zum Ziel hatte. Schon seit 1849 war auf den Straßen Italiens immer öfter der Ausruf »Viva Verdi!« zu hören. Der bezog sich jedoch keineswegs auf den berühmten Komponisten, sondern stand für Vittorio Emanuele Re d‘Italia – Viktor Emanuel König von Italien. Zwischen 1860 und 1870 fand sich der Kirchenstaat, der unter der Oberhoheit des Papstes stand und große Teile Italiens umfasste, den erbitterten Angriffen des Freiheitskämpfers Giuseppe Garibaldi und des savoyischen Königshauses ausgesetzt. Daraufhin erließ Papst Pius IX. einen Aufruf an die Katholiken in aller Welt, ihm zu Hilfe zu eilen, und viele Tausende kamen. So entstand eine Art Fremdenlegion des Kirchenstaates. Eines dieser Korps waren die Päpstlichen Zuaven, deren Mitglieder sich aus allen Schichten der Bevölkerung rekrutierten, von Prinzen über wohlhabende Bürger bis hin zu Handwerkern und Bauern – insgesamt über viertausendfünfhundert Mann aus siebenundzwanzig Nationen, die sich in mehreren Schlachten so glänzend bewährten, dass der französische Schriftsteller Victor Hugo ihre Tapferkeit in seinem Gedicht Mentana rühmte.

Doch so viele Vatikanische Scudos der Kirchenstaat auch aufwendete, so viele gläubige Soldaten auch fielen, am Ende konnten letztlich auch die Zuaven nicht verhindern, dass das Schicksal des katholischen Imperiums besiegelt war und 1870 bis auf das Gebiet der Vatikanstadt schrumpfte. Der Papst bezeichnete sich selbst als »Gefangener im Vatikan« und verließ diesen fortan nicht mehr. Ein Zustand, der von seinen Nachfolgern fortgeführt wurde und der erst 1929 mit den Lateranverträgen mit Diktator Benito Mussolini ein Ende fand.

Die Päpstlichen Zuaven indes – für die, wie für alle Soldaten des Papstes, nach 1870 keine Verwendung mehr bestand – kehrten in ihre Heimatländer zurück. Doch im Gegensatz zu den anderen Regimentern lösten sie sich nicht einfach auf, sondern blieben in Bruderschaften verbunden – jederzeit bereit, dem Papst zur Verfügung zu stehen, sollte er sie eines Tages wieder brauchen ...

Erstes Buch

I

 

Don Cavelli saß auf dem Platz vor der ältesten katholischen Kirche in Rom, der Santa Maria ad Martyres, in einem seiner Lieblingscafés, trank einen heißen Caffè americano und wartete. Er mochte dieses Getränk, dessen Name aufgrund kultureller Unterschiede entstanden war. Als Ende des Zweiten Weltkriegs Rom zur offenen Stadt erklärt worden und von der amerikanischen Armee besetzt war, verwirrte es die G.I.s, dass sie einen Espresso serviert bekamen, wenn sie »Coffee« bestellten. Er war ihnen zu stark und zu wenig, so dass sie ihn mit viel heißem Wasser verdünnten. Ein neues Getränk war geboren, und die Italiener nannten es nach ihren »Erfindern«: Americano.

Cavelli kam immer gern hierher. Dieser relativ kleine Platz, der stets von Touristen überlaufen war, atmete römische Geschichte in vielen Facetten. Da war zum einen die Kirche selbst, obwohl sie fast jeder unter einem ganz anderen, nämlich ihrem ursprünglichen Namen kannte: das Pantheon. Dieser uralte Tempel, der jahrhundertelang für keine bestimmte Gottheit gedacht war, sondern pan-Theon – für alle Götter – bestimmt war und erst im Jahre 609 mittels eines exorzistischen Rituals zur christlichen Kirche geweiht wurde. Die äußerst prächtige Fassade war später geplündert worden. Die vergoldeten Platten der Kuppel waren in Konstantinopel gelandet und die Kupferplatten des Dachstuhls hatte Barberini-Papst Urban VIII. verwendet, um Kanonen für die Engelsburg zu gießen und das Ziborium im Petersdom zu errichten. Seither kursierte in Rom der bekannte Spruch: »Was die Barbaren nicht gestohlen haben, haben die Barberini gestohlen.« Die beiden riesigen Bronzetüren wogen jede 8,5 Tonnen und ließen sich dennoch leicht von einer einzigen Person öffnen. Das fast zweitausend Jahre alte Türschloss funktionierte immer noch. Andererseits war es kurios, dass die eingemeißelten Hieroglyphen auf dem ägyptischen Obelisken, der vor dem Pantheon auf einem Brunnen stand, willkürlich ausgedachter Humbug ohne Sinn waren, die man einfach aus optischen Gründen dort angebracht hatte. Genie und Blendertum hatten in Rom schon immer dicht beieinander gelegen, und oft war nur schwer zu erkennen, womit man es gerade zu tun hatte.

 

An einem der Nebentische saßen zwei ältere Damen vor zwei riesigen Eisbechern und tuschelten, während sie verstohlene Blicke zu Cavelli herüberwarfen. Er wusste, was in ihnen vorging. Es war nicht das erste Mal, dass er so etwas erlebte. Der gutaussehende schwarzhaarige Mann in dem cremefarbenen, leicht verknitterten Anzug kam ihnen irgendwie bekannt vor. Cavelli erinnerte viele Ältere an den früh verstorbenen französischen Filmschauspieler Gérard Philipe, auch wenn sie es nicht immer einordnen konnten. Cavelli winkte ihnen freundlich zu, worauf sie rot wurden und verschämt wegsahen.

Amüsiert dachte er an das Gespräch, dass er vor einigen Minuten geführt hatte. Eigentlich kannte er den Mann gar nicht, es war der Freund eines Kollegen von Cavelli, der wie er ebenfalls an der Sapienza in Rom als Professor unterrichtete, und Cavelli hatte sich in erster Linie darauf eingelassen, um den Kollegen nicht vor den Kopf zu stoßen, teilweise aber auch, weil man angedeutet hatte, dass es dabei um eine unentdeckte Reliquie von allergrößter Bedeutung aus dem Umfeld von Jesus Christus ginge. Das hatte Cavellis Neugier geweckt.

Schließlich war der junge Mann, der sich als Julio vorstellte, aufgetaucht – auf einem dieser Elektroroller, mit denen die jungen Leute heute unbeweglich wie Statuen lautlos durch die Städte schwebten, und fast zwanzig Minuten zu spät, was Cavelli ganz und gar nicht gefiel. Der junge Mann mit der seltsam asymmetrischen Frisur hatte einen Smoothie bestellt und dann zunächst einmal ausführlich von seiner Begeisterung für die Archäologie geschwärmt. Davon, dass er freiwillig bei den Ausgrabungen auf dem Monte Testaccio helfe, dem gewissermaßen achten Hügel Roms, der in der Antike als Müllhalde gedient hatte und in der sich auch heute noch jede Menge finden ließ, vor allem Tonscherben von alten Olivenöl-Amphoren. Noch immer bot der Monte Testaccio Archäologen jede Menge zu tun, denn er reichte nicht nur etwa fünfzig Meter in die Höhe, sondern auch fünfundvierzig Meter in die Tiefe. Cavelli hatte geduldig zugehört. Irgendwann war Julio schließlich verstummt und hatte sich misstrauisch umgesehen, ob jemand mithörte. »Aber darum geht es eigentlich gar nicht«, hatte er dann geraunt, während er sich weit über den Tisch zu Cavelli beugte. »In einem uralten Buch aus dem neunten Jahrhundert bin ich auf etwas wirklich Unglaubliches gestoßen.« Er machte eine Kunstpause, um die Spannung zu erhöhen. »Und zwar auf den Ort in Jerusalem, wo sich eine Reliquie erster Klasse befindet.«

Er ließ erneut einige Sekunden verstreichen, bevor er mit fast feierlicher Stimme fortfuhr: »Die Peitsche, mit der Jesus vor seiner Kreuzigung gegeißelt worden ist.«

Cavelli lehnte sich zurück. Er musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzulachen. Er wollte den jungen Mann, der nicht unsympathisch war, nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen, also wählte er seine Worte mit Bedacht: »Zunächst einmal, Julio, handelt es sich hier nicht um eine Reliquie erster Klasse. Das wären Knochen, Haare, Blut oder Ähnliches von Heiligen. Reliquien zweiter Klasse sind Kleidungsstücke beziehungsweise Teile davon sowie Gegenstände, die der Heilige besessen hat. In diesem Fall aber handelt es sich um einen Gegenstand, der mit Jesus in Berührung gekommen sein soll, und wäre somit eine Reliquie dritter Klasse.«

»Ja, gut, wie auch immer.« Julio machte eine ungeduldige Handbewegung, als wolle er Cavellis Worte fortwischen.

»Vor allem aber fürchte ich«, fuhr Cavelli behutsam fort, »dass es sich bei der Textstelle in Ihrem Buch entweder um einen Irrtum oder um ... nun ja ... Betrug handelt.«

Julio schüttelte widerwillig den Kopf. »Was? Nein. Weshalb denn?«

»Dies wäre in der Tat eine sensationelle Reliquie«, erklärte Cavelli. »Fast wie die Lanze, die der römische Soldat Longinus Jesus am Kreuz nach seinem Tod in die Seite gestochen hat. Sie wird in einem der Vierungspfeiler im Petersdom aufbewahrt. Seit Jahrhunderten ist diese Reliquie bekannt. Dass man von der Existenz der Geißel noch nie etwas gehört hat, macht es einfach extrem unwahrscheinlich, dass sie echt ist – oder überhaupt noch existiert.«

Julio hatte noch eine Weile herumdiskutiert und versucht, seinen Traum vom Sensationsfund zu retten, aber schließlich war er auf seinem Roller missmutig von dannen geschwebt.

Cavelli trank seinen Americano aus und lehnte sich zurück. Er hatte geholfen – wenn auch nicht so, wie man es sich wohl erhofft hatte. Viele Menschen waren einfach unglaublich naiv, daran hatte sich seit dem Mittelalter anscheinend nicht viel geändert, wo ein ganzer Geschäftszweig sich ausschließlich mit der Herstellung gefälschter Reliquien beschäftigte und sehr viel Geld damit verdient hatte. Die andere Naivität war, anzunehmen, dass Cavelli Experte für alles und jedes war, was mit Kirche und Glauben zusammenhing. Sicher, seine Familiengeschichte war eindrucksvoll: Im Jahre 1513 hatte sein Urahn – Capitano Umberto Cavelli – dem Papst Julius II., der den ursprünglichen Petersdom und mit ihm Dutzende von Papstgräbern abreißen und den heutigen Petersdom erbauen ließ, weil der alte nicht groß genug für das von ihm geplante Grabmal für sich selbst war und bei dem sich selbst sein nicht gerade zart besaiteter Zeitgenosse Niccolò Machiavelli fragte, ob dieser nicht komplett wahnsinnig sei, einen besonderen und offenbar überaus wertvollen Dienst erwiesen. Daraufhin hatte der Pontifex angeordnet, dass Umberto und alle seine Nachfahren liberatus ab ullis calamitatibus, also frei von allen Nöten, zu stellen seien und dies bis zum Jüngsten Tage. Dies beinhaltete unter anderem Wohnrecht im Vatikan, zahlreiche Privilegien und eine monumentale Summe Goldes, die innerhalb eines halben Jahrtausends mit Zins und Zinseszins zu einem so riesigen Vermögen angewachsen war, das kein Cavelli es jemals würde verschleudern können. Zudem war Cavelli, wie schon sein Vater Spiridon, Experte für die Geschichte des Vatikan und lehrte dieses Fach als Professor für ein symbolisches Salär von einem Euro pro Jahr an der Sapienza-Universität in Rom. Das hieß aber noch lange nicht, dass er auch Experte für Reliquien war. Entspannt ließ Cavelli seinen Blick über den Platz gleiten.

Aus einer der Wohnungen über dem Café drang Adriano Celentanos Song Prisencolinensinainciusol. Cavelli hatte Celentano immer sehr gemocht. Der Sänger hatte stets etwas ganz Eigenes gehabt, eine schräge Mischung aus Elvis Presley und Groucho Marx. In den siebziger Jahren hatte sich Adriano Celentano darüber geärgert, dass die Italiener fast nur Lieder aus den USA hörten, obwohl sie den Text gar nicht verstanden, und er hatte behauptet, dass alles, was amerikanisch klang, automatisch ein Hit würde. Daraufhin schrieb er Prisencolinensinainciusol, das außer dem englischen Wort »all right« nur sinnloses Kauderwelsch enthielt. Es war ein Riesenerfolg geworden. Cavellis Blick wanderte zu dem Obelisken mit den gefälschten Hieroglyphen und dachte, dass sich in zweitausend Jahren eigentlich nicht allzu viel geändert hatte in der Ewigen Stadt.

Er setzte seine Sonnenbrille auf, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und genoss den kühlen Wind und die Musik. Das Leben war schön. Dass sich das schon sehr bald dramatisch ändern würde, ahnte er noch nicht.

II

 

Man hätte fast meinen können, dass der Ort des Treffens mit einem speziellen Sinn für Symbolik ausgewählt worden sei, doch so war es nicht.

Sicher, die neun Männer, die in dem ultramodernen Raum, der von Leder, Stahl und Glas dominiert wurde, um einen langen Konferenztisch auf teuren Designerstühlen saßen, waren sich völlig gewiss, ein Leben zu führen, dass sie eines Tages in den Himmel führen würde, und hier in dem Penthouse im vierundachtzigsten Stock eines der höchsten Gebäude von São Paulo waren sie dem Himmel schon ausgesprochen nahe, doch diese Männer waren nicht für ihre Fantasie oder einen romantischen Sinn für Symbolik bekannt. Keiner von ihnen dachte in diesen Kategorien. São Paulo – benannt nach dem Heiligen Paulus, der ursprünglich Saulus hieß und ein strenger Christenverfolger war und von dem die Bibel berichtete, dass eine Begegnung mit dem auferstandenen Jesus ihn augenblicklich zum Gläubigen machte – war einfach eine sehr verkehrsreiche Stadt (Staus von zweihundert Kilometer Länge waren keine Seltenheit) und eine sehr gefährliche dazu. Überfälle auf offener Straße waren an der Tagesordnung. Wer es sich leisten konnte, reiste per Hubschrauber und schwebte somit im wahrsten Sinne des Wortes über den Dingen – den Dingen, mit denen sich der Pöbel tagtäglich konfrontiert sah, und mit Pöbel war jeder gemeint, der weniger als eine Million Dollar im Jahr verdiente. Abgesehen von New York fanden nirgendwo auf der Welt so viele Hubschrauberflüge statt wie hier, was São Paulo einen speziellen Spitznamen eingebracht hatte: Helicopter City.

Eine Zusammenkunft der Zehn wie heute fand höchst selten statt und nur wenn eine Situation von äußerster Dringlichkeit vorlag und dies war nun der Fall.

Die versammelten Teilnehmer in dem Konferenzraum waren eine internationale Gruppe. Keine zwei Männer kamen aus demselben Land. In wenigen Minuten würde das letzte noch fehlende Mitglied hinzustoßen. Wie auch die anderen würde er mit dem Hubschrauber anreisen, der dann auf dem speziellen Landeplatz der riesigen Dachterrasse landen würde.

Torquato Gregorini, der dieser Gruppe seit dreiundzwanzig Jahren als Colonnello vorstand, ein hagerer Mann Anfang achtzig mit silbergrauem Haar und einem eindrucksvollen Patrizierprofil mit Habichtsnase, saß bewegungslos mit ausdruckslosem Gesicht da und wartete ohne jedes erkennbare Zeichen von Ungeduld. Er wusste nur zwei Dinge über den Mann, der jeden Moment hier eintreffen würde: dass er der führende Experte auf seinem Gebiet war und dass er in der chinesischen Stadt Nagqu lebte, von der Torquato Gregorini bis vor sechs Wochen noch nie etwas gehört hatte. Er hatte es gegoogelt und zu seiner nicht geringen Überraschung festgestellt, dass es sich hierbei um die flächenmäßig größte Stadt der Welt handelte. Sie war fast zehnmal so groß wie die Schweiz. Gregorini misstraute solch riesigen Gebieten, es hieß, dass je kleiner eine Gemeinschaft war, desto konservativer war sie und umgekehrt. Dennoch vertraute Colonnello Gregorini dem zehnten Mann völlig, schließlich hatten vor seiner Aufnahme in den Rat der Zehn zwei Teilnehmer dieser Konferenz für ihn gebürgt. Und das war hier, anders als bei einem exklusiven Golfclub, keineswegs nur eine Formalität. Die beiden Bürgen wussten, dass es sie ihren Kopf kosten würde, sollte sich herausstellen, dass dieser Mann nicht vertrauenswürdig war.

Die Atmosphäre unter den Anwesenden hätte auf einen unbeteiligten Zuschauer vielleicht entspannt gewirkt. Einige rauchten, andere unterhielten sich leise, über den einen oder anderen Witz wurde gelacht, doch das täuschte; unter der Oberfläche herrschten Anspannung und Sorge. Irgendwo in der Ferne waren mehrere Polizeisirenen zu hören.

Dann wurde es plötzlich düster im Raum, ein Hubschrauber verdunkelte die Sonne, während er auf die Dachterrasse niederschwebte, und der infernalische Lärm machte jede Unterhaltung unmöglich. Ein Mann stieg aus, lief geduckt zu der großen Schiebefenstertür, während der Hubschrauber sich wieder in den Himmel erhob. Der Mann, ein hochgewachsener Asiate mit schmalen Gesichtszügen, schob die riesige gläserne Schiebetür zur Seite, trat ein und schloss sie wieder. Begrüßungen wurden ausgetauscht, Hände geschüttelt und einige Floskeln geäußert, der Asiate setzte sich auf den letzten freien Sessel. Dann erteilte Torquato Gregorini dem Neuankömmling das Wort. Dieser erhob sich von seinem Platz und umfasste mit klaren Worten das Problem, mit dem sie sich konfrontiert sahen. Die anderen verfolgten seine Äußerungen mit größter Konzentration und nickten zustimmend, obwohl er ihnen im Grunde nichts Neues sagte, aber zumindest tat es gut, noch einmal festzustellen, dass alle hier derselben Meinung waren und vor allem, dass der quälende Stillstand nun vorbei war. Endlich geschah etwas.

Der Neuankömmling machte eine kurze Pause und sah zuversichtlich in die Runde, bevor er fortfuhr: »Und hier ist nun die Lösung für unser Problem: Triacetontriperoxid, kurz: TATP. Ein Sprengstoff, der so hochexplosiv ist, dass er auch als die Mutter des Satans bekannt ist.«

Einige lachten amüsiert, andere wirkten angesichts dieses Vergleichs ein wenig angeekelt, doch der zehnte Mann ignorierte das eine wie das andere. »Schon ein kleiner Stoß, eine leichte Reibung, ein winziger Funke reicht aus, um ihn zur Explosion zu bringen – und dies sogar im feuchten Zustand. Es ist in etwa so stark wie TNT, aber anders als bei diesem ist bei TATP die Beschaffung der Komponenten völlig problemlos. Sie sind sämtlich völlig legal zu erwerben. Das bedeutet, wir können sie – falls nötig – in einzelnen Bestandteilen durch die Kontrollen bringen und erst danach, quasi im letzten Moment anmischen, was ohnehin sicherer wäre. Mit einem noch zu entwickelnden Prozedere benötigen wir nicht einmal einen klassischen Zünder, sondern die Zielpersonen werden den Sprengkörper – ohne es zu ahnen und ohne es zu beabsichtigen – selbst zünden.«

 

Er setzte sich und sah mit einer Mischung aus Stolz und Furcht in die Runde. Wie würden die anderen reagieren? Colonnello Gregorini war der Erste, der sich rührte, es fiel ihm schwer, seinen Enthusiasmus über diesen Vorschlag zu unterdrücken. Er hatte sich das alles weitaus schwieriger und komplizierter vorgestellt und er sah es bereits in seiner ganzen Pracht vor sich: Es erinnerte ihn an die riesigen apokalyptischen Brände von Los Angeles. Kalifornien war das Sodom und Gomorra der amerikanischen Bundesstaaten. Die gottlosen Menschen, die dort lebten, hatten lediglich bekommen, was sie verdient hatten. Immer weiter und weiter hatten sich die Flammen ausgebreitet, zum großen Teil deshalb, weil die korrupten linken Politiker vor Ort dafür gesorgt hatten, dass kein Löschwasser vorhanden gewesen war, als man es benötigte. Die Hydranten waren leer gewesen und Kalifornien war zum Vorhof der Hölle geworden. Gregorini musste an eine Bibelstelle aus dem Buch der Sprüche denken: »… das Feuer, das nie spricht: ›Es ist genug.‹« Doch inmitten dieses Infernos hatte es winzige Inseln gegeben, die das Feuer gnädig verschont hatte. Da eine kleine Kirche, hier eine Statue der Jungfrau von Guadalupe, dort ein Tabernakel. Gott sprach in aller Deutlichkeit zu den Menschen, doch viele – allzu viele – weigerten sich zuzuhören. Colonnello Gregorini blickte zu den anderen Konferenzteilnehmern. Allenthalben war Anerkennung und Zustimmung auf allen Gesichtern zu sehen.

Auf fast allen.

 

»So bewundernswert das alles auch sein mag ...«

Alle Köpfe wandten sich einem schmächtigen Mann aus Tschechien zu, der am unteren Ende des Tisches saß und bislang geschwiegen hatte. »Was unser Freund hier skizziert hat, ist zweifellos eine mögliche Lösung, eine technisch brillante, sicherlich ... inhaltlich jedoch – verzeihen Sie mir ...«, er lächelte schüchtern in die Runde und drehte nervös an dem Goldring auf seinem rechten kleinen Finger, »... primitiv. Wir benötigen keine Bombenexplosion. Was wir brauchen, ist etwas viel Gewaltigeres.«

Skepsis machte sich auf einigen Gesichtern breit. Etwas Gewaltigeres als eine Explosion? Wie sollte das gehen?

Der schmächtige Mann räusperte sich unbehaglich. »Gestatten Sie mir, Ihnen zu erläutern, was ich mir vorstelle.«

Es dauerte elf Minuten, währenddessen der Tscheche seine Gedanken detailliert darlegte. Als er geendet hatte, herrschte Stille. Niemand sagte etwas. Es war auch nicht nötig. Jedem war bewusst, dass dieser Plan in der Tat gewaltig war.

III

 

Die National Security Agency – NSA – in Maryland ist der größte Auslandsgeheimdienst der USA. Sein Sitz liegt in Fort Meade (auch Crypto City genannt), etwa dreißig Kilometer vor Washington. Sie hat mindestens vierzigtausend Mitarbeiter und verfügt über einen Etat von elf Milliarden Dollar – oder auch mehr (die genauen Zahlen sind in beiden Fällen Verschlusssache). Ihre Aufgabe ist es, weltweit jegliche Form von technischer Kommunikation zu überwachen. Ihre Arbeit ist so geheim, dass über viele Jahre hinweg bereits die Existenz dieses Dienstes geleugnet wurde, so dass man das Kürzel NSA innerhalb der Behörde scherzhaft als No such Agency (So eine Agentur gibt es nicht) oder Never say anything (Sag niemals etwas) umdeutete.

Das neunstöckige schwarze Hauptquartier – es existieren fünfzig weitere Gebäude – verfügt über eine spezielle Glasfassade, die jegliches Nachaußendringen von elektromagnetischen Signalen verhindert. Die Speicherkapazität des Datenauswertungszentrums beträgt rund eine Milliarde Terrabyte, was dem Inhalt von zweiundvierzig Billionen Aktenschränken entspricht.

Die NSA filtert elektronisch weltweit sämtliche Datenströme in Hinsicht auf bestimmte Schlüsselbegriffe wie Bombe, Präsident, Weißes Haus und zahllose weitere. Tauchen sie in einer Kommunikation auf, wird genauer hingesehen. Auch gibt es Abteilungen, die sich ausschließlich mit der Dechiffrierung von Codes befassen.

Doch nicht alle Codes lassen sich entschlüsseln. Es genügt schon, bestimmte Begriffe durch andere zu ersetzen. Ein Satz wie: »Ich hoffe, du hast Zeit, am 25. um 18:00 Uhr zu Tante Susans Geburtstag nach Miami zu kommen« kann alles Mögliche bedeuten. Tante Susans Geburtstag kann für das Ausführen eines Terroranschlags stehen. Miami kann auch San Francisco bedeuten, der 25. den 21., und 18:00 Uhr 10:00 Uhr. Hier kommt nun die Metadaten-Analyse ins Spiel. Hierbei werden nicht die direkten Daten, also die Inhalte von Mails oder Telefonaten betrachtet, sondern nur ihr Vorhandensein an sich. Wenn man zum Beispiel feststellt, dass unter diversen Terrorverdächtigen wenig untereinander kommuniziert wird, sondern dass alle sich immer an dieselbe Person wenden und diese Person wiederum mit allen anderen kommuniziert, darf man davon ausgehen, in dieser Person den Chef der Organisation ausgemacht zu haben. Wenn sich die Kommunikationshäufigkeit plötzlich sprunghaft erhöht und urplötzlich stoppt, ist mit einem unmittelbar bevorstehenden Terroranschlag zu rechnen, und so weiter und so weiter ...

 

Es war Dienstagnacht kurz vor vier, aber keine der hundertachtundzwanzig kleinen Boxen in dem riesigen Großraumbüro im vierten Stock des Hauptgebäudes in der Abteilung C2-6 war leer, in allen wurden gearbeitet. Agent Marvin Litvak saß ohne Schuhe und in einem T-Shirt mit der Aufschrift »Serenity Now!« – ein Zitat aus der Sitcom Seinfeld, bei dem es darum ging, sich mit Gewalt zu mehr Gelassenheit zu zwingen – und einem Pappbecher mit heißem Kaffee in der Hand an seinem winzigen Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm vor ihm. Eigentlich hatten alle Agenten der NSA einen Anzug zu tragen, doch bei den Analysten, die niemals in Kontakt mit der Öffentlichkeit kamen, wurde es nicht ganz so streng gehandhabt und in welchem Outfit die Nachtschicht ihren Dienst verrichtete, interessierte buchstäblich niemanden. Litvak war seit elf Jahren für die NSA tätig und inzwischen war alles Routine. Die große Sensation, wie man sie in Agentenfilmen sah, gab es nicht. Jeder hier arbeitete an winzigen Teilbereichen, an Mosaikstückchen, die erst sehr viel weiter oben in der Befehlskette ein Gesamtbild ergaben.

Zu Litvaks Aufgabenbereich gehörte unter anderem auch eine bestimmte internationale Gruppe mit Hauptsitz in Mailand, bei der er in den letzten Wochen eine verdächtige Vervielfachung von Mails und Telefonaten entdeckt hatte. Soeben hatte er einen entsprechenden Bericht an seinen Vorgesetzten abgefasst. Der wiederum würde diese Information nach eigenem Ermessen weiterleiten. Zunächst an einige der anderen vierundzwanzig US-Geheimdienste, aber vermutlich auch an den sogenannten Berner Club, den Chefs der Inlandsgeheimdienste der EU plus Norwegen und der Schweiz.

Was Litvak nicht wusste – und ihm auch egal gewesen wäre, wenn er es gewusst hätte – war, dass die Chefin der italienischen Agenzia Informazioni e Sicurezza Interna (AISI) diese Information unverzüglich an das Governatorat des Vatikan weitergeben würde.

IV

 

Es war so still in diesem Waldstück, nur die letzten Ausläufer eines Regenschauers tropften noch auf das Blätterdach über ihnen und irgendwo in weiter Ferne klopfte ein Specht. Petrichor, der Geruch von Regen, der auf trockene Erde fällt, hing in der Luft.

Wolodja Chasarow klappte sein kleines Taschenmesser auf und strich mit der Hand unsicher durch seinen rötlichen Vollbart. Dann seufzte er und ritzte sorgfältig ein Pentagramm in die Stirn des jungen Mannes mit den langen Haaren. Der junge Mann zuckte dabei nicht mit der Wimper, denn er war tot. Anschließend wiederholte Chasarow die Prozedur bei den anderen drei jungen Männern, die neben dem ersten auf dem feuchten Waldboden lagen und gleichgültig in die Baumwipfel starrten. Dann sah er zu seinen beiden Mitarbeitern hinüber, die ihm voller Entsetzen zusahen, und lächelte verkrampft: »Für den Fall der Fälle. Wenn man sie findet, wird man glauben, dass das hier etwas mit Satanismus zu tun hat.«

Die anderen beiden nickten unglücklich, niemand sagte etwas, das alles tat ihnen entsetzlich leid. Keiner hatte ihnen vorher gesagt, dass solche Monstrositäten zu ihren Aufgaben gehören würden. Als man ihnen die 9-mm-Makarow-Pistolen mit Schalldämpfer für den Fall der Fälle mitgegeben hatte, hätten sie im Traum nicht damit gerechnet, dass so ein Fall tatsächlich eintreten würde und dass sie vier junge Graffitisprayer, die lediglich das Pech gehabt hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein, unschädlich machen würden müssen – doch leider hatte es sein müssen.

Schweigend bedeckten sie die Leichen zusammen mit den Patronenhülsen mit nassem Laub und großen Ästen, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Natürlich wäre es viel sicherer gewesen, sie zu begraben, aber die drei hatten keine Schaufeln. Immerhin hatten sie die vier Körper über zwei Kilometer weit durch den Wald geschleift, was fast eineinhalb Stunden in Anspruch genommen hatte. Falls man sie irgendwann einmal finden würde, standen die Chancen gut, dass man sie nicht mit dem Ort ihres Todes in Verbindung bringen würde, zumal die drei Männer auf dem Rückweg mit Zweigen die Schleifspur, so gut es ging, beseitigt hatten. Aber vielleicht würde man die Leichen auch erst in ein paar Jahren finden, dann war es sowieso egal. Selbst in zwei Monaten war es schon kein Problem mehr. Aber bis dahin würden die drei Männer noch die Abgeschiedenheit hier draußen benötigen. Nicht nur, weil es illegal war, was sie hier taten, sondern auch ungeheuer gefährlich. Für beide Anforderungen hatte man hier draußen den perfekten Ort gefunden. Consonno lag mitten im Wald. Etwa fünfzig Kilometer von Mailand entfernt. Der ursprüngliche Ort hier war über tausend Jahre alt gewesen. 1962 hatte ein Unternehmer alle Aktien der Firma Real Consonno Brianza aufgekauft, was ihn zum Eigentümer der Stadt machte. Bis auf eine Kirche, ein Pfarrhaus und einen Friedhof wurde alles dem Erdboden gleichgemacht und man erbaute eine Art kleines Las Vegas. 1976 führte ein Erdrutsch dazu, dass der Ort nicht mehr zugänglich war. In der Folge verfiel der Ort und wurde schließlich zu einer 1,7 Millionen Quadratmeter großen Geisterstadt im Wald. Die im arabischen Stil erbaute, lang gestreckte Einkaufspassage mit den vielen Säulen sowie das Minarett waren inzwischen ebenso verfallen und mit Graffiti übersät wie alle anderen Gebäude hier und der alte Wasserturm schien nur noch aus Rost zu bestehen. Aber immerhin hatte man noch einen fabelhaften Blick über die Wälder im Tal und einige Dörfer. Nie nahm jemand den beschwerlichen Weg auf sich, hier herauszufahren, es lohnte sich einfach nicht, deshalb hatte man diesen Ort ausgewählt, mit Graffitisprayern hatte man nach all den Jahren nicht mehr gerechnet. Noch immer gellte Wolodja Chasarow das verzweifelte Um-Gnade-Betteln der vier jungen Männer in den Ohren und er fragte sich, ob er es je würde vergessen können. Doch die Sache, an der er und seine beiden Kollegen hier in der Abgeschiedenheit von Consonno arbeiteten, war einfach zu wichtig; ja wahrscheinlich war es das wichtigste Projekt, das es je gegeben hatte.

Als die drei Männer wieder die kleine Stadt erreichten, hatten sich die dunklen Wolken verzogen und die Sonne trocknete die Böden mit einer Kraft und Selbstverständlichkeit, als sei sie niemals weggewesen.

V

 

Monsignore Josef Mattlin betrat sein kleines Büro im Apostolischen Palast, das jeden Besucher, der es zum ersten Mal sah, durch seine geringe Größe und unspektakuläre Ausstattung, die sich auch in einem x-beliebigen Finanzamt hätte befinden können, überraschte, denn auch wenn sein schütteres Haar und seine leicht untersetze Figur Mattlin nicht gerade ehrfurchtsgebietend erscheinen ließen, war er doch der Erste Sekretär des Papstes und somit offiziell einer der mächtigsten Männer im Vatikan. De facto war er sogar der zweitmächtigste, da niemand wusste, ob eine Anweisung, die aus dem Apartemento erging, von ihm oder seiner Heiligkeit selbst kam und daher sicherheitshalber immer so behandelt wurde, als sei Letzteres der Fall.