Doppelt oder nichts, sagt das Glück - Liane Mars - E-Book
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Doppelt oder nichts, sagt das Glück E-Book

Liane Mars

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Beschreibung

Als sich die Schwangeren Leonie und Emily im Geburtsvorbereitungskurs begegnen, prallen zwei Welten aufeinander. Emily ist sensibel und sehr darauf bedacht, bei ihrem ersten Baby alles richtig zu machen. Leonie hingegen sieht ihre Schwangerschaft eher pragmatisch. Mit Karriere, neuem Partner und Familienstreitigkeiten hat sie zu viel um die Ohren, um sich auch noch um Babyausstattung und Hebamme zu kümmern. Die einzige Gemeinsamkeit der Frauen scheint es zu sein, dass die Väter ihrer Kinder beide Peter heißen. Na, so ein Zufall.

Dann betritt Peter den Kursraum, und ihnen klappt die Kinnlade herunter. Offensichtlich stammen ihre ungeborenen Babys von ein- und demselben Peter! Und damit nimmt das Chaos seinen Lauf.

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Seitenzahl: 476

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Zum Buch

Als die schwangere Emily herausfindet, dass ihr Mann Peter noch mit einer zweiten Frau ein Kind bekommt, zerplatzt ihr Traum von einer heilen Familie. Peters Geliebte Leonie war bislang davon ausgegangen, seine feste Freundin zu sein, und ist nicht minder schockiert. Umgehend setzen beide Frauen Peter vor die Tür. Doch nun sind sie allein, und das in der empfindlichsten Phase ihres Lebens. Obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten, beschließen sie, sich zusammenzutun, um während der Schwangerschaften aufeinander achtzugeben. Überrascht stellen sie dabei fest, wie sehr sie aufeinander bauen können. Und dass eine heile Familie manchmal auch nur aus der besten Freundin bestehen kann.

Zur Autorin

Liane Mars schreibt seit Jahren Liebes- und Fantasyromane mit viel Romantik, skurrilen Orten und zauberhaften Heldinnen. Sie liebt überraschende Wendungen und wechselt gerne von düsteren Geheimnissen zu Dialogen zum Schmunzeln – Wohlfühlbücher, die einen fesseln und die Zeit vergessen lassen. Sie kommt aus dem Ruhrpott, mag das Sauerland sehr und natürlich Kaffee. Zusammen mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem Hund lebt sie in Schwerte.

Lieferbare Titel

Ein Kater für zwei Herzen Der Apfel fällt recht weit vom Stamm

© 2021 by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Covergestaltung von FAVORITBUERO, München Coverabbildung von GoodStudio, Amanita Silvicora, Oliver Hoffmann, Ann in the Uk / Shutterstock E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck ISBN E-Book 9783749951086www.harpercollins.de

Widmung

Für alle Hebammen und Geburtshelfer.

Danke, dass es euch gibt.

Für alle Schwangeren. Bald ist es so weit.

Für alle Eltern. Es ist alles nur eine Phase.

Und ganz besonders für die Männer und Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch. Ihr seid nicht allein.

Die heile Welt

EMILY

Seit gut zehn Minuten starrte Emily auf ihren Computerbildschirm. Sollte sie sich jetzt absichtlich diesen Virus herunterladen oder nicht? Sie wusste, dass ihr Vorhaben lächerlich war – und mehr als schräg. Aber ihr Ehemann Peter war seit drei Tagen nicht nach Hause gekommen, und sie war einsam. So einsam, dass sie auf wirklich bekloppte Ideen kam.

Tu es einfach, dachte sie grimmig. Sekunden später hatte ihr Zeigefinger auf die Maus geklickt und den Virus freigesetzt. Ihre Anti-Schadsoftware blinkte sofort hektisch auf, rief ihr eine Warnung nach der nächsten zu. Zufrieden löschte sie ihren Browserverlauf, verwischte sämtliche weitere Spuren und nahm ihr Handy in die Hand. Erst als das Freizeichen ertönte, entspannte sie sich.

Sie hatte es getan. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

»Emily«, begrüßte sie nur wenig später eine warmherzige, freundliche Männerstimme. »Von Ihnen habe ich aber schon lange nichts mehr gehört.«

Weil ich mich selbst auf Entzug gesetzt habe, dachte Emily still. Ihre kleine Schwärmerei für den smarten Computerspezialisten hatte aufhören müssen. Dringend. Besonders nachdem ihr Schwangerschaftstest endlich das ersehnte Ergebnis geliefert hatte. Von diesem Tag an hatte sie seine Nummer nicht mehr gewählt. Aber heute … Heute war sie schwach geworden.

Andere Leute aßen Schokolade, wenn sie unglücklich waren. Emily fing sich absichtlich einen Computervirus ein, um mit ihrem Fachmann darüber zu fachsimpeln.

»Hallo? Emily? Sind Sie noch dran?«

Emily blinzelte, um sich in die Wirklichkeit zurückzuholen. Sie hatte nie verstanden, warum er sie mit ihrem Vornamen ansprach und weiterhin siezte. Peinlicherweise hatte sie diese Eigenheit total süß gefunden und schweigend akzeptiert. »Ja, ich bin noch dran. Ich … also … Mir ist da ein kleines Unglück passiert. Ein Virus. Sie wissen schon.«

»Ich kenne niemanden, der so unglücklich herumklickt wie Sie.« Torsten Flocke seufzte tief auf, aber Emily konnte sein Lächeln in der Stimme hören. Ihr Herz flatterte sofort in der Brust, während in ihrem Kopf sämtliche Alarmglocken losbimmelten.

Du bist verheiratet. Du bekommst ein Kind. Du solltest nur für Peter schwärmen.

Sie wusste, dass ihr Handeln falsch war. Betrog sie Peter schon allein mit diesem Anruf? Vielleicht. Womöglich. Auf der anderen Seite redete sie doch nur mit dem Spezialisten. Das tat ja niemandem weh. Gut. Vor einem Jahr war Torsten Flocke ab und zu auch mal vorbeigekommen, aber das war rein geschäftlich gewesen. Emily hatte sehr darauf geachtet, nicht mit ihm zu flirten. Aber ein wenig bewundern und insgeheim anschmachten war nicht verboten. Oder?

Nach der dritten Fehlgeburt im Anschluss an die zweite künstliche Befruchtung war es ihr schlecht gegangen. Sehr schlecht. Sie war in ein so tiefes Loch gefallen, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie sich daraus hätte allein befreien sollen. Peter war nicht da gewesen und ihre Brüder eine schlechte Option, um über solch intime Frauenangelegenheiten zu sprechen. Torsten war in dieser Zeit ihre Rettungsleine zur Außenwelt gewesen. Da er keine Ahnung hatte, was los war, hatte er sie ganz normal behandelt und nicht wie ein rohes Ei. Er hatte ihr neue Projekte vorgeschlagen und sich zusammen mit ihr voller Eifer hineingestürzt.

Er hatte sie gerettet, ohne das zu wissen.

»Ich könnte in etwa einer halben Stunde bei Ihnen sein«, sagte Torsten in diesem Moment.

Emily erstarrte. Mit dieser Entwicklung hatte sie nicht gerechnet. Normalerweise telefonierten sie nur, und Torsten übernahm von seinem Computer aus die Kontrolle über ihren Laptop. Ihr hätte es auch schon völlig gereicht, seiner Stimme zu lauschen. Seinem Atmen. Selbst der Cursor war irgendwie sexy, wenn er ihn bewegte. Aber dass er vorbeikommen wollte – das war …

»Sehr gerne«, unterbrach sie ihre wilden Gedanken. »Ich setze Kaffee auf, wenn Sie mögen?«

»Super. Bis gleich.«

Dann legte Torsten einfach auf und überließ Emily der absoluten Stille in ihrem Zimmer. Sie starrte ihr Handy noch einen Moment an, bis sie es zurück neben ihren Laptop legte. Er kam zu ihr. Gleich. Beinahe sofort.

In Panik sprang sie auf. Sie trug nur einen Jogginganzug, und ihre Haare waren nicht frisiert, von ihrem ungeschminkten Gesicht mit dem Schlafsand in den Augenrändern ganz zu schweigen. Und ihre Wohnung … nein. Die war in Ordnung. Sie war eigentlich immer picobello aufgeräumt, immerhin konnte jederzeit Besuch vorbeikommen. Nur dass seit Wochen niemand zu Besuch gekommen war.

Wieso nur war sie in diese verflixte Stadt gezogen? Heiligenhafen war wunderschön, aber sie kannte hier niemanden und kam einfach nicht an die Einheimischen heran. Wann immer sie endlich jemanden getroffen hatte, den sie mochte, stellte der sich nur allzu schnell als Tourist heraus. Es war mühselig und einsam. Vor allem, weil sie die ersten drei Monate kaum aus dem Haus hatte gehen können. Die Schwangerschaftsübelkeit hatte sie im Griff gehabt.

Lagerkoller. So hatte es Peter irgendwann genannt. Er hatte den Begriff auf sich selbst bezogen, was natürlich lächerlich war. Er hatte Lagerkoller? Sie war es schließlich gewesen, die monatelang nicht das Haus hatte verlassen können.

Sie seufzte. Nein. An Peter wollte sie jetzt nicht denken. Das war eine Sache für sich. Um sich abzulenken, zog sie sich zum ersten Mal seit drei Tagen ein schickes Kleid an, kämmte sich die Haare und legte einen Hauch Make-up auf. Nicht so viel, dass es auffiel, aber genug, um frischer auszusehen.

Anschließend kochte sie Kaffee und legte Musik auf, die sie aber sofort wieder ausstellte. Zu albern. Nicht, dass Torsten noch dachte, sie wolle ihn verführen. Hastig räumte sie alle Kerzen im Raum fort und hängte sogar das filigrane Herz an der Wand ab. Sicher war sicher. Oder doch nicht? Jetzt sah die Stelle so kahl aus.

Sie war gerade dabei, ein neues, völlig unverfängliches Bild aufzuhängen, als es klingelte. Augenblicklich ließ sie alles stehen und liegen, eilte zur Tür und riss sie regelrecht auf.

Und da stand er. Torsten Flocke. Seine Haare waren seit ihrem letzten Treffen gewachsen und standen wirr zu Berge. Emily mochte dieses wilde Aussehen. Das war unkonventionell und sah so ganz anders aus als Peters sorgsam gekämmte Frisur. Ihr Ehemann hätte sich auch niemals einen Vollbart wachsen lassen. Torsten stand das ausgesprochen gut. Er sah dadurch hippiemäßig und unabhängig aus. Statt Anzug und Krawatte trug er Jeans und Holzfällerhemd. Das verdeckte auch seine kleinen Rettungsringe an den Hüften, die Emily aus irgendeinem Grund anziehender fand als jedes Sixpack.

Das müssen die Hormone sein. Sie dachte völlig irre Sachen.

Torsten lächelte so warm wie immer, allerdings verrutschte der Ausdruck ein ganz klein wenig, als sein Blick auf ihren sich sanft rundenden Bauch fiel. »Sie sind schwanger?«, rief er.

»Ja, im sechsten Monat. Darf ich vorstellen? Mein kleiner Schatz.« Sie legte die Hände auf ihren Bauch, als wolle sie ihr Baby umarmen. Oder beschützen. Dabei bemerkte sie, wie sie dunkelrot anlief. Wieso nur war ihr die Schwangerschaft auf einmal peinlich?

Ihr Baby bemerkte ihre Unruhe und protestierte auf seine Weise: Es trat einmal fest gegen die Bauchwand. Da es noch winzig klein war, spürte Emily den Tritt lediglich als kleines Flattern in ihrem Inneren. Sofort wurde sie ruhiger. Wann immer sie die Bewegung ihres Kindes spürte, schwappte eine Welle der Erleichterung über sie. Kein Wunder nach all dem Drama, um schwanger zu werden.

»Herzlichen Glückwunsch, Emily. Sie sehen ganz zauberhaft aus, wenn ich das so sagen darf«, sagte Torsten unvermittelt. »Ihnen steht das Baby sehr gut.« Er wackelte lustig mit den Augenbrauen und entlockte Emily auf diese Weise ein Lächeln. Die seltsame Stimmung verflog so schnell, wie sie gekommen war. »Im sechsten Monat? Dann wird das Baby ja ein … Lassen Sie mich kurz rechnen … ein Augustbaby!«

»Nein, es kommt im September, um genau zu sein, am zehnten.« Emily lachte, als sie Torstens Verwirrung bemerkte. »Ich weiß, ich weiß. Die meisten rechnen immer mit neun Monaten Schwangerschaft, aber so einfach ist es nicht. Ich bin vierzig Wochen schwanger, ausgehend vom Tag meiner letzten Periode. Bis zum Eisprung war ich aber eigentlich noch nicht schwanger, und bis ich es wusste, sind wieder zwei Wochen vergangen – quasi ein ganzer Monat, in dem ich noch nicht wusste, dass ich schwanger bin. Gerechnet wird aber trotzdem mit den vierzig Wochen, also zehn Monaten, allerdings nach dem Mondkalender.« Sie stockte, als sich Torstens Gesichtsausdruck seltsam veränderte. »Zu viele Informationen?«

»Also bei dem Wort Periode ist mein Hirn ausgestiegen. Zehnter September? Den Tag werde ich mir merken.«

Emily spürte, wie sie knallrot anlief. Ups. Zum Glück schien Torsten das nicht weiter tragisch zu finden. Er trat an ihr vorbei, zog völlig selbstverständlich seine Schuhe aus und lief auf rot-orange geringelten Socken zu ihrem Arbeitsbereich im hinteren Teil des Wohnzimmers. Emily hatte darauf bestanden, ihren zart geschwungenen Schreibtisch an genau dieser Stelle aufzubauen. Von dort konnte sie direkt auf das ruhig daliegende Meer, den Strand und die Möwen blicken. Es war Ende April, und die Sonne strahlte an einem wunderbar blauen Himmel zu ihnen herab.

In der Ferne zog ein Kutter am Horizont vorbei, und ein einsamer Kitesurfer versuchte sein Glück mit den lauen Winden. Noch weiter Richtung Naturschutzgebiet Graswarder sah sie einen Angler im Meer stehen. Sein Anblick war ihr mittlerweile mehr als vertraut. Der alte Mann stand ständig an dieser Stelle und fischte. Ob er jemals etwas gefangen hatte? Sie bezweifelte, dass Angeln an dieser Stelle überhaupt erlaubt war.

Ab und zu liefen Touristen an ihrem Haus vorüber. Die meisten waren auf dem Weg ins Naturschutzgebiet und dabei ganz entzückt von den historischen Strandvillen auf dem Graswarder. Die Halbinsel war ein schmaler Landstrich, der sich parallel zum Festland bis weit in die Ostsee erstreckte. Hier gab es die berühmten Salzwiesen, umgeben von feinen Sandstränden und endlosen Dünen.

Emily liebte diese Umgebung. Wo konnte sie besser kreativ sein als an diesem naturbelassenen Ort? Es war, als sei ihr neues Zuhause aus der Zeit gefallen.

Torsten unterbrach ihren Gedanken, indem er sich mit Schwung auf ihren auf alt getrimmten Arbeitssessel setzte und den Laptop aufklappte. Da Emily meist an den verschiedensten Orten arbeitete, war sie nie zu einem PC-Tower übergegangen. Sie musste in Bewegung sein, um kreativ zu denken. Sobald sie jedoch einen Plan von ihrem nächsten Blogpost hatte, kehrte sie an ihren Schreibtisch zurück. Ihr absoluter Lieblingsplatz. Besonders, wenn ihr hübscher Computerspezialist daran saß.

»Ich habe natürlich Ihren Blog verfolgt«, nahm Torsten das Gespräch auf, während er wie wild auf der Tastatur rumhämmerte. »Da erwähnen Sie Ihre Schwangerschaft mit keinem Wort.«

War das ein Vorwurf? Irrte sie sich, oder wirkte Torsten tatsächlich ein wenig konsterniert? Beinahe getroffen. Seltsam … oder … oh, nein! Er war doch nicht etwa ein Kinderhasser? Konnte sie sich derart in ihm geirrt haben?

»Ich hatte Angst, dass doch noch etwas schiefgeht. Und dann erschien mir kein Wort der Welt passend für mein kleines Wunder«, erzählte Emily. Sie zog sich einen ihrer Lesesessel heran und setzte sich dicht neben Torsten. Zu spät bemerkte sie, dass das zu aufdringlich erscheinen könnte, und versuchte, unauffällig nach hinten zu rutschen. Die Stuhlbeine knarzten laut über den Boden. Wie peinlich! »Ich habe aber an die zwanzig Posts über die Schwangerschaft fertiggestellt. Sie sind nur noch nicht veröffentlicht. Ich traue mich einfach nicht«, sagte sie mit hochrotem Kopf, um ihn abzulenken.

Torsten hörte mit seiner wilden Herumklickerei auf und sah sie an. »Darf ich mir die Posts gleich mal anschauen?«, fragte er. »Eine unabhängige Meinung könnte ganz hilfreich sein. So wie damals, als Sie über Ihren Hausumbau schreiben wollten.«

Wieder spürte Emily, wie sie rot wurde. Seine Frage war ihr unangenehm und äußerst willkommen zugleich. Sie freute sich darüber. Peter interessierte sich nicht für ihren Blog. Für ihn war das reine Spielerei. Ein Hobby, um der Langeweile als Hausfrau zu entkommen. »Such dir einen richtig Job«, sagte er stets grob, sobald sie zu viel darüber sprach. Früher war das anders gewesen. Früher hatte er sie unterstützt und ihr geholfen, wann immer es ging. Doch das war lange her.

»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Bitte entschuldigen Sie meine dreiste Frage«, sagte Torsten zerknirscht.

»Nein«, beeilte sich Emily zu sagen. »Ich freue mich über Ihr Interesse.« Bevor sie es sich anders überlegen konnte, hatte sie sich vorgebeugt und ihren Blog aufgerufen. Zwei Klicks später rollten ihre vorbereiteten Posts über den Bildschirm. »Ist mein Blog durch den Virus gefährdet?«, fragte sie besorgt.

»Nein. Das ist kein sonderlich bedrohlicher Virus. Er ist schon so gut wie ausradiert. Allerdings sollten Sie sich dringend um Ihre Suchmaschinenoptimierung kümmern. Sie erinnern sich an meinen Crashkurs? Sie haben bereits jetzt gute Klickzahlen, aber das könnte noch viel mehr sein. Ihr Onpage-SEO ist Kraut und Rüben und Ihr Offpage-SEO gar nicht vorhanden. Sie sollten …«

Emily hörte nicht mehr zu, sondern sah nur fasziniert Torstens Lippen zu. Sie waren schlank und schmal. Perfekt geschwungen. Und was sie an klugen Dingen hervorbrachten. Torsten war so schlau und so smart und …

»Ich hole Kaffee«, unterbrach sie ihn abrupt und sprang hektisch auf.

Torsten lachte dunkel und sexy. »Sorry. Ihre Ohren müssen bluten. Ich und meine Fachwörter. Wenn Sie es erlauben, kümmere ich mich mal ein bisschen um Ihren Blog.«

»Tun Sie sich keinen Zwang an. Sie dürfen gerne Ihre Fachwörter über meinem Blog ausschütten. Hauptsache, ich erkenne ihn danach noch wieder. Ich …« Ihr Handy klingelte. Automatisch nahm sie es vom Schreibtisch und ging ran. Es war Peter.

»Hey, Schatz. Sorry, dass ich mich erst jetzt melde, aber heute Abend komme ich nicht heim. Die Konferenz ist zwar vorbei, doch ich bin echt platt und schaffe die Strecke nicht zurück. Ich bleib noch eine Nacht und fahre dann in der Früh direkt zur Arbeit. Wir sehen uns morgen Abend, ja?«

Emily spürte, wie die Einsamkeit wie ein Tsunami heranrollte. Sie schluckte, um den sich sofort bildenden Kloß in der Kehle zu vertreiben. »Okay«, sagte sie schwach.

»Und am Samstag schaff’ ich es auch nicht zu diesem komischen Gebärkurs. Mein Chef hat mich dazu verdonnert, mit einem wichtigen Kunden golfen zu gehen. Ich soll ihn ein wenig bespaßen. Ist das sehr schlimm?«

»Nein. Ich … Ich hab den Schwangerschaftsvorbereitungskurs für Paare ohnehin storniert.«

Eine Pause entstand. »Okay … wieso das denn?«

»Weil du ohnehin nicht mit mir hingehen würdest und ich keine Lust hatte, als einzige Schwangere ohne Partner zwischen lauter glücklichen Paaren zu sitzen. Ich hab mir jetzt einen Kurs nur für angehende Mamas gebucht, und im Übrigen ist dieser Gebärkurs keineswegs komisch. Er ist wichtig. Für mich und dein ungeborenes Kind. Aber geh du ruhig golfen …« Ihre Stimme brach, und sie spürte, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Verflixte Hormone!

Torsten hatte mittlerweile aufgehört, sich mit dem Computer zu beschäftigen. Er sah besorgt zu ihr und zog eine einzelne Augenbraue in die Höhe. Automatisch konzentrierte sich Emily auf diesen schiefen Ausdruck in seinem Gesicht und wurde ruhiger.

»Was ist mit dem Kinderbettchen?«, sprach sie mit fester, vorwurfsvoller Stimme ins Telefon. »Das steht noch immer halb zusammengebaut im Zimmer rum. Du wolltest es schon letzten Samstag fertig zusammenzimmern. Ich kann nicht weiter dekorieren, solange es nicht steht. Und der Schrank ist noch immer verpackt.« Sie wusste, dass dieser Themenwechsel albern war, doch seit Tagen ging sie ins Kinderzimmer hinein und starrte fassungslos das Chaos an. Ein Sinnbild für ihre Beziehung. Peter war nun einmal, wie er war. Sie würde ihn nicht ändern, sondern musste damit leben.

»Ach, Schatz, du bist doch erst im sechsten Monat. Dafür haben wir noch massig Zeit. Das Baby kommt doch erst im September. Ich kümmere mich Sonntag drum. Versprochen. Es tut mir leid, dass ich momentan so wenig Zeit für dich habe«, sagte Peter zerknirscht. »Ich gelobe Besserung. Wirklich! Morgen Abend bin ich wieder bei dir. Dann können wir in Ruhe über alles reden. Ich muss jetzt auflegen. Bis morgen.«

»Bis morgen«, sagte Emily, ließ das Handy sinken und schaute zu Boden.

»Es ist völlig normal, dass Männer panische Angst vor Gebärkursen haben«, sagte Torsten vorsichtig. »Seien Sie nachsichtig mit Ihrem Mann. Mir läuft es bei der Bezeichnung ebenfalls eiskalt den Rücken runter. Das klingt schon ziemlich speziell.«

»Es ist ja auch ein Geburtsvorbereitungskurs und kein Gebärkurs. Wir lernen da richtiges Atmen, Kinderpflege, besuchen verschiedene Kreißsäle und … Ach, ist ja auch egal. Peter geht eh nicht mit mir hin. Das muss ich wohl allein machen. Genau wie das Aufbauen des Kinderbettchens.«

Torsten stand auf. So abrupt und plötzlich, dass Emily zusammenzuckte. Entschlossen krempelte er seine Ärmel hoch. »Wo?«

»Wo, was?«

»Wo ist das Bettchen?«

»Sie werden bestimmt nicht das Kinderbett zusammenbauen. Das wäre mir unangenehm.«

»Muss es nicht sein. Ich mache das gerne für meine Lieblingskundin. Also? Wo?«

Emily überlegte und wägte ihre Möglichkeiten ab. War es klug, sein Angebot anzunehmen? Vermutlich nicht. Auf der anderen Seite belastete es sie sehr, das Bettchen Tag für Tag in seinen Einzelteilen zu sehen. Sie hatte panische Angst, dass es niemals fertig werden würde. Nachts träumte sie sogar davon. Es übertrug sich auf ihre gesamte Stimmung. Auf ihren Alltag. War es da nicht besser, etwas gegen das dunkle Gefühl zu tun?

Entschlossen führte sie Torsten in das Zimmerchen, in das ihr kleines Baby bald einziehen durfte. Die Wickelkommode stand noch in einen Karton verpackt in der Ecke, genau wie der Schrank. Nur das Bett war halb zusammengezimmert. Überall lag Werkzeug herum.

Peter hatte angefangen, es aufzubauen, und zwischendurch die Lust daran verloren. Emily hatte sich bemüht, es selbst fertigzustellen, doch sie verstand nicht, was ihr Mann da veranstaltet hatte. Letztlich hatte sie aufgeben müssen.

Der Typ ist voll die Lusche, hörte sie in Gedanken ihren Bruder Jonathan brummen. Er hatte Peter von Anfang an nicht gemocht, im Gegensatz zu ihren anderen beiden Brüdern. Die hatten sich zumindest bemüht, ihn in der Familie willkommen zu heißen. Leider war Peter einfach zu anders. Vielleicht hatte sie ihn sich gerade deswegen ausgesucht: weil er das Gegenteil von ihrer Familie war. Gesetzt, gediegen, verkopft.

Torsten nahm sich die Bedienungsanleitung, studierte sie eingehend und begann dann, Einzelteile zusammenzuschrauben. Emily beobachtete ihn eine Weile, bis ihr etwas auffiel. »Sie haben keine Ahnung, was Sie da tun, oder?«, fragte sie schließlich.

Torsten ließ die zwei Bretter sinken, die er gerade in der Hand hielt, und sah sie an. »Ich bin Computerspezialist, und sosehr ich mich auch gegen das Klischee wehre: Ich bin ein echter Nerd. Gebrauchsanleitungen lese ich gerne, aber bei der praktischen Umsetzung – da hört es bei mir auf.« Er hielt den Schraubenzieher in die Höhe und wackelte damit herum. »Mit diesem Teil kann ich in etwa so gut umgehen wie Sie mit einem Antivirenprogramm.«

Die beiden starrten sich kurz an. Dann begannen sie zeitgleich zu lachen. »Geben Sie mal her«, sagte Emily. »Sie sagen mir, was ich womit zusammenbauen muss. Dann wird das schon werden.«

Torsten nickte. Auf einmal sah er sehr ernst aus. »Genau. Das wird schon werden.« Er lächelte, woraufhin Emilys Herz abermals verrutschte. Diesmal ließ sie das Gefühl zu und schämte sich nur ein klein wenig dafür.

LEONIE

Sie starrte seit etwa fünf Minuten wie betäubt die prunkvolle Einladungskarte ihrer Mutter Karin an. Sie war in einem handtellergroßen Päckchen angekommen, das schon allein eine Augenweide war. Mit Goldornamenten verziert stand dort Leonies Name mitsamt Adresse. In dem Päckchen befanden sich goldenes Seidenpapier, Rosenblätter und eine filigrane Karte, natürlich mit hübschen Bändern zusammengehalten. Wer verschickte so etwas?

Leonie hatte es noch immer nicht gewagt, die Karte aus dem Karton zu nehmen und zu lesen. Ihr reichte schon die Überschrift. Hochzeitseinladung. Oh, Mann. Womit hatte sie das schon wieder verdient?

»Bring es hinter dich«, flüsterte sie sich selbst zu. Normalerweise war sie stets die Erste, die sich traute, Herausforderungen anzunehmen. Das war schon immer so gewesen. Doch sobald ihre Eltern ins Spiel kamen, verwandelte sie sich in ein ängstliches, graues Mäuschen.

Mit einem Ruck zog sie die kunstvolle Karte hervor und öffnete sie. Urks! Es war eine Klappkarte. Goldener Flitter wirbelte auf, und ein Datum formte sich in 3-D-Optik. Sofort wurden Leonies Augen riesig.

Nein! Nein, nein, nein! Das hat Mama nicht gewagt!

Ihr Handy klingelte. Sie musste gar nicht sehen, wer anrief. Sie wusste es auch so. Widerstrebend drückte sie auf Lautsprecher.

»Hast du sie schon geöffnet?«, fragte ihre Mama aufgeregt und klang dabei wie ein kleines Kind vor einem Eisladen.

»Du willst mich doch verarschen«, brachte Leonie schwach hervor. »Erstens ist das knapp zwei Wochen vor meinem Entbindungstermin und zweitens … Mama! Da heiratet Papa schon.«

»Oh«, hauchte ihre Mutter scheinheilig. »Bist du denn schon so weit fortgeschritten mit deiner … äh … Schwangerschaft?«

Sie sprach das letzte Wort wie ein Schimpfwort aus. Ihre Mutter fand alles, was körperliche Veränderungen betraf, ekelig. Das galt sowohl für sprießende Pickel auf der Nase als auch für wachsende Babys in Bäuchen. Wie sie jemals selbst ein Kind hatte bekommen können, war Leonie bis heute ein Rätsel.

»Ich bin gerade in den sechsten Monat gekommen, um genau zu sein, kommt am siebzehnten September mein Baby. Also ja, ich bin so weit fortgeschritten«, sagte Leonie genervt. Wut war gut. Daran konnte sie sich festhalten, um dieses verrückte Gespräch zu überleben. »Aber das ist nicht einmal das Schlimmste. Wieso, in aller Welt, nimmst du denselben Hochzeitstermin wie Papa? Das Jahr hat dreihundertfünfundsechzig Tage. Hättest du dir nicht einen anderen aussuchen können als den vierten September?« Leonie war immer lauter geworden. So laut, dass ihre Sekretärin aufstand und mit einem mahnenden Blick die offene Tür schloss, die Leonies Büro vom Vorzimmer und dem Großraumbüro der restlichen Mitarbeiter trennte. Wenn die Chefin so drauf war, sollte das besser unbemerkt bleiben.

»Wir wollten unbedingt im Hotel Gezeiten in Kiel heiraten, und die hatten nur noch diesen einen Termin frei. Da waren wir machtlos.«

Leonie erstarrte. Nein! Das war doch nicht ihr Ernst. Heiratete nicht ihr Vater in demselben Hotel?

Leonie kniff sich mit den Fingern in den Nasenrücken und atmete tief durch. Ihre Mutter war mal wieder in ihrem Element. Wann immer sie konnte, wischte sie ihrem Vater eins aus. Das war auch der Grund, weshalb sich Leonie immer weiter von ihren Eltern entfernt hatte. Sie wäre sonst wahnsinnig geworden. Schon als Kind war sie Knautschzone, Vermittlerin und Abfangjäger ihrer Eltern gewesen. Sie hatten sich teilweise mit so heftigen Mitteln bekriegt, dass es schon kriminell wurde.

»Ich komme nicht«, sagte Leonie spontan.

»Was? Warum nicht?«

»Weil ich da vielleicht mein Kind bekomme. Ich werde schreiend im Kreißsaal rumliegen und deine Enkelin aus meiner Vagina pressen. Ergo werde ich sehr beschäftigt sein.« Sie hatte es absichtlich so bildhaft ausgedrückt, um ihre Mutter zu verunsichern. Schade, dass Leonie nicht sehen konnte, wie diese grün anlief.

Ihre Bürotür ging auf, und Peter kam herein. Niemand sonst wagte es, sie auf solch ruppige Weise zu stören. Peter hingegen hatte das noch nie gejuckt, und gerade das hatte sie von Anfang an an ihm gemocht. Er wusste, was er wollte.

Er zog fragend eine Augenbraue hoch, stolzierte wie selbstverständlich zu ihrem Schreibtisch und zog ihr die Karte aus den Händen. Als er erkannte, was los war, wurden seine Augen groß.

Oh ja, dachte Leonie bitter. Da baut sich gerade ein Sturm auf. Ein riesengroßer Monsterorkan.

Peter schob ihr kommentarlos sein Handy zu, auf dem eine Nachricht von ihrem Vater zu sehen war. Ich bring die Alte um, las Leonie. Na, prima. Ihr Papa hatte also schon von Mamas Vernichtungsschlag gehört.

»Ich muss Schluss machen«, sagte Leonie zu ihrer Mutter.

»Wag es nicht, mich einfach abzuwürgen. Du kannst doch nicht einfach sagen, dass du zu der Hochzeit deiner eigenen Mutter nicht kommen möchtest, und dann auflegen. So etwas gehört sich nicht, vor allem nicht als Trauzeugin. So habe ich dich nicht erzogen.«

»Stimmt, hast du nicht. Das hat Papa für dich erledigt. Du darfst ihm gerne dafür danken. Ich schreib dir später.« Hastig klickte sie auf Auflegen und warf ihr Handy so heftig auf die Schreibtischplatte, dass es darüber rutschte und auf der anderen Seite zu Boden segelte. Peter bückte sich fürsorglich und hob es für sie auf.

»Deine Eltern sind echt schräg«, sagte er amüsiert.

»Schräg? Sie sind die Hölle! Warum schreibt dir Papa überhaupt Nachrichten? Und woher weiß er von Mamas Hochzeitsplanungen?« Sie riss die Augen auf. »Nein! Die Hexe hat ihn eingeladen.«

Peter nickte bedächtig. »Angeblich als Friedensangebot. Um das Kriegsbeil zu begraben.«

Leonie stöhnte laut und legte die Hände über die Augen. »Oh, Gott! Und ich dachte schon, der anstehende Gebärkurs sei das Schlimmste in meinem momentanen Dasein.«

Dann erst wurde ihr bewusst, was ihre Mutter zwischen den Zeilen erwähnt hatte. Hatte sie etwa »Trauzeugin« gesagt? Auf keinen Fall.

Peter umrundete den Schreibtisch, trat hinter ihren Stuhl und massierte ihr sanft den Nacken. Dabei gab er ihr einen Kuss auf den Scheitel, was einen wohligen Schauer auslöste, der ihr durch den gesamten Körper fuhr. Augenblicklich wurde sie ruhiger. Diese Reaktion konnte nur Peter auslösen. Er ganz allein. Niemand sonst war in der Lage, ihr Temperament auf diese subtile Weise zu bändigen.

»Es wird alles gut werden«, flüsterte er ihr ins Ohr, woraufhin sich all die kleinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Ein wunderbares Gefühl.

Sie drehte ihren Kopf, und seine Lippen strichen zart über ihre Wange. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, genau wie ihre Atmung. Als sie sich jedoch noch weiter ihm zuwenden wollte, stieß ihr Bauch schmerzhaft gegen den Schreibtisch. Verdammt. Diese Unbeweglichkeit wurde immer schlimmer.

Wenn sie sich vorstellte, dass sie noch über vier Monate vor sich hatte, fragte sie sich langsam, wie dick ihr Bauch noch werden sollte. Sie hatte ja jetzt schon den Eindruck zu platzen.

Nur die Tritte störten sie nicht. Wann immer Mia kräftig rotierte, musste Leonie lächeln. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Einzigartig.

»Es heißt im übrigen Schwangerschaftsvorbereitungskurs, Schatz. Nicht Gebärkurs«, sagte Peter mit einem schelmischen Grinsen. Leonie schmolz sofort dahin. »Das hat mir ein Vögelchen gezwitschert.«

»Ich nenn’ es, wie ich will. Gebärkurs klingt viel passender. Nach Leid und Pein, Blut und ekligem Zeug.« Sie seufzte tief. »Vielleicht geh ich einfach nicht hin«, grübelte sie laut. »So ein Kaiserschnitt wäre doch ganz nett. Schnipp. Schnapp. Fertig. Am besten am vierten September, sodass ich auf keinen Fall zu diesen bekloppten Hochzeiten gehen muss.«

Sie schnappte sich ihr Handy und sah in einem alten Chatverlauf mit ihrem Vater nach. Verdammt. Ja. Er heiratete ebenfalls im Hotel Gezeiten, nur in einem anderen Saal. Stöhnend knallte sie ihren Kopf auf die Tischplatte. »Die werden mich rammdösig machen«, prophezeite sie.

»Oh, ja! Das werden sie, aber vielleicht lenkt dich das auch von deiner abnormen Panik vor sämtlichen Schwangerschaftsvorbereitungen ab. Du schaffst das, Schatz. Ich glaube fest an dich. Und wer weiß? Wenn du Glück hast, platzt deine Fruchtblase direkt beim Ja-Wort, und du kannst laut und völlig legal ›Nein, stopp‹ rufen.«

»Spinner«, sagte Leonie liebevoll und genoss das warme Gefühl in ihrem Inneren. All die Jahre über hatte sie nicht zugelassen, so zu fühlen. Sie hatte sich nicht verlieben wollen. Niemals! Doch dann war es passiert, und sie war vollkommen machtlos gewesen. An manchen Tagen bekam sie Angst davor, wie sehr sie diese Zweisamkeit genoss. Was, wenn ihre Beziehung mit Peter genauso in die Brüche ging wie die Ehe ihrer Eltern? Was, wenn ihr Kind ähnlich wie sie zwischen Vater und Mutter hin- und hergerissen werden würde? Wenn sie sich so hassten, dass kein vernünftiges Wort mehr möglich war?

Nein, dachte sie. Nicht mit Peter. Er und sie – sie waren das perfekte Paar. Da überlebte sie sogar diesen verflixten Gebärkurs.

Der Geburtsvorbereitungskurs

EMILY

»Hallo, ich bin Emily, achtundzwanzig Jahre jung und im sechsten Monat schwanger. Mein Mann Peter und ich lassen uns überraschen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Hauptsache gesund. Von diesem Kurs erwarte ich mehr Informationen über die Geburt, Tipps zur besseren Vorbereitung und hoffentlich neue, großartige Bekanntschaften.« Emily lächelte gewinnend in die Runde und freute sich über das freundliche Hallo der anderen Schwangeren und das Nicken der Leiterin. Ja, es war die richtige Entscheidung gewesen, den Geburtsvorbereitungskurs am Morgen zu nehmen. Hier waren Ehemänner verboten, sodass die Frauen unter sich waren. Peter wäre ohnehin nicht mitgekommen. Da hätte sie noch so lange auf ihn einreden können.

Allein der gestrige Abend hatte ihr gereicht. Peter war fürchterlich beleidigt gewesen, als er das aufgebaute Bettchen gesehen hatte. Das sei seine Aufgabe gewesen, hatte er geschimpft. Klar. Als ob.

Emily war immerhin so klug gewesen, ihm nicht zu sagen, mit wem sie es aufgebaut hatte. Das hätte nur Ärger gegeben. Also hatte sie seine übertriebene Entrüstung ignoriert und war duschen gegangen. Wenn er so drauf war, half kein Reden. Der kurze Besuch ihres Mannes hatte also nicht geholfen, ihrer Einsamkeit zu entfliehen. Daher setzte sie jetzt all ihre Hoffnung in diesen Kurs.

War das albern? Vielleicht. Aber langsam war Emily ratlos, wie sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen sollte. Vor allem, weil sie schon anfing, das Antreffen ihres Ehemannes zu Hause als Besuch zu bezeichnen. In Gedanken schüttelte Emily über sich selbst den Kopf. Es war wirklich höchste Zeit, dass sich etwas änderte.

Es musste doch möglich sein, Freundinnen in Heiligenhafen zu finden! Sie wollte dazugehören, Mitglied einer Gruppe sein. In ihrer alten Heimat in Münster war das kein Problem gewesen. Aber in Heiligenhafen fühlte sie sich wie eine Ente zwischen lauter Schwänen. Ihr ältester Bruder war der Meinung, das sei Peters Einfluss. »Der isoliert dich«, hatte er geschimpft. Emily ließ ihn in dem Glauben, wusste es aber besser. Nicht Peter isolierte sie. Das war ihre eigene Schuld. Doch damit war jetzt Schluss. Projekt »Freundinnen gewinnen« war gestartet.

Der Anfang war schon mal vielversprechend. Die Kursleiterin erwiderte Emilys Lächeln warm und überaus freundlich. Das war gut. Sehr gut. »Willkommen, Emily. Wir freuen uns, dich …«

Rumms. Die Tür wurde aufgestoßen und donnerte derart gegen die Wand, dass alle Anwesenden erschrocken zusammenzuckten. Im Türrahmen erschien eine große, schlanke Frau mit kugelrundem Bauch. In der Hand hielt sie einen Coffee-to-go-Becher, an ihrem Arm baumelte eine sündhaft teure Gucci-Handtasche, und sie trug derart hohe Pumps, dass sie für eine Schwangere definitiv verboten gehörten.

Sie hatte pechschwarzes Haar, dunkle, mit Kajal umrahmte Augen und das Auftreten einer Person, die wusste, was sie wollte. Emily kannte solche Frauen nur zu gut und hütete sich in der Regel davor, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Neben ihnen kam sie sich noch unbedeutender vor als ohnehin schon. Sie führten ihr vor Augen, was sie niemals sein konnte: eine selbstbewusste Geschäftsfrau, die Eindruck hinterließ. Vor allem bei Männern.

»Ist das hier der Gebärkurs der Hebammenschule?«, fragte der Neuankömmling. Für eine Frau hatte sie eine ungewöhnlich tiefe, raue Stimme.

»Wenn du den Geburtsvorbereitungskurs meinst, dann ja. Komm rein«, sagte die Kursleiterin verblüffend höflich. Wahrscheinlich war sie genau wie der Rest der Anwesenden eingeschüchtert von der imposanten Erscheinung und wollte keinen Ärger provozieren. »Aber die Schuhe musst du ausziehen«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. »Die kannst du draußen abstellen. Wegen des Teppichbodens …«

Die Neue musterte den flauschigen, sandfarbenen Teppich mit eher zweifelnder Miene, fügte sich aber mit einem leisen Seufzer. Sie hantierte eine Weile herum und wusste nicht so recht, wohin mit ihrem Kaffee, der überdimensionalen Handtasche und ihrem weiten schwarzen Mantel.

Endlich. Die hochgewachsene Frau hatte die hohen Hacken von den Füßen geschüttelt und kam mit großen Schritten zurück in den Raum stolziert.

»Neben Emily ist noch ein Platz frei«, sagte die Leiterin.

Emily zog sofort den Kopf ein, als sie die Blicke der Schwarzhaarigen auf sich spürte. Sie meinte, so etwas wie »Das hat mir gerade noch gefehlt« zu hören, war sich aber nicht sicher. Sofort spürte sie, wie ihr die Hitze in die Wangen schoss. Ihr sah man immer sofort an, was sie fühlte. Sobald sie nervös war, wurde sie rot. Wie unangenehm.

Die Neue durchquerte den kleinen Sitzkreis und kam zu ihr herüber. Die rötliche Morgensonne verlieh ihren dunklen Haaren einen unheimlichen Schimmer. Zum Glück war die Atmosphäre sonst freundlich, der Raum hell und luftig. Der Kurs fand im obersten Stock eines großen Hotels statt, sodass sie quasi über der Stadt thronten. Dank eines riesigen Panoramafensters blickten die Kursteilnehmerinnen über den Strand bis zum Meer. Links von ihnen erstreckte sich die futuristisch anmutende Seebrücke, die im Zickzack bis in die Ostsee hineinführte.

Unter normalen Umständen hätte Emily die Aussicht genossen, doch momentan war ihre Aufmerksamkeit anderweitig gefesselt. Von der schwarzhaarigen Frau.

»Wir sind gerade dabei, uns vorzustellen. Emily hat das schon getan. Dann bist du wohl an der Reihe«, sagte die Leiterin und nickte der Neuen aufmunternd zu.

Die hatte sich derweil mühsam auf der Yoga-Matte zurechtgeruckelt. Emily musste zugeben, dass es für Schwangere angenehmere Positionen gab, als auf dem Boden im Schneidersitz zu hocken. Die meisten Frauen des Kurses hatten das einfach so hingenommen. Der Neuankömmling hingegen nicht.

»Hilfe! Ich zahle fast hundert Euro für diesen Kurs, und da habt ihr nicht mal einen Stuhl für mich?«, schnaufte sie genervt. Sie trug einen recht kurzen Rock, der ihr beim Versuch, sich hinzusetzen, bedrohlich weit hinaufrutschte. Emily fand ihr Outfit außerordentlich schick, war aber froh über ihre eigene bequeme Sportkleidung.

»Wir wollen in diesem Kurs unseren Körper erkunden. Das geht nicht auf Stühlen«, erklärte die Leiterin noch immer mit einem Lächeln, doch es wirkte jetzt deutlich kühler. »Ich bin Annette, Hebamme seit neun Jahren, Mutter von vier Kindern und die Leiterin des Kurses. Stell dich doch einfach mal kurz vor, sodass wir uns besser unterhalten können.«

»Okay … Also ich bin Leonie. Sorry fürs Zuspätkommen.« Zum ersten Mal lächelte sie, und Emily musste zugeben, dass sie dadurch viel sympathischer wirkte. Vielleicht hatte der erste Eindruck ja doch getrogen.

Leonie. Ein schöner Name. Sie hätte ihre Tochter gerne so genannt – falls es denn ein Mädchen wurde –, doch Peter war seltsamerweise strikt dagegen gewesen. Er hatte sich sogar regelrecht gegen den Namen gewehrt.

»Beim nächsten Mal darfst du uns gerne einen veganen, glutenfreien Kuchen als Entschädigung für dein Zuspätkommen mitbringen«, sagte die Leiterin. »Erzähl noch ein bisschen mehr über dich.«

Leonies Lächeln verrutschte. Offenbar war sie sich nicht sicher, ob Annette scherzte. »Ich mag Kaffee, schön schwarz ohne Milch«, erklärte sie zögernd und grüßte mit ihrem Becher in die Runde. »Und … äh … Ich wohne hier in Heiligenhafen.«

Damit hatte sie wohl alles gesagt, denn sie nickte zufrieden und nahm einen Schluck aus ihrem Coffee-to-go-Becher. Emily war sprachlos. Das war die seltsamste Vorstellung, die sie je gehört hatte. Welche Schwangere stellte sich mit einem schwarzen Kaffee in der Hand vor und erwähnte noch nicht einmal ihr Baby im Bauch? In einem Schwangerschaftskurs? Unglaublich.

Auch Annette wirkte konsterniert und ließ Leonie nicht vom Haken. »Und dein Baby? Was ist damit? Erzähl doch mal – gerne auch von deinen Erwartungen an den Kurs und deinen Wünschen für die Zukunft.«

Leonie wurde rot. Offenbar wurde ihr nun bewusst, wie ihr Auftreten wirken musste. »Oh, das Baby«, sagte sie hastig. »Ja, also … Das hier drin ist Mia. Sie war eigentlich nicht geplant, aber jetzt ist es halt so. Sie wächst seit sechs Monaten vor sich hin, hat mich in den ersten drei Monaten seeehr oft kotzen lassen, wobei ich das viel zu spät als Schwangerschaftshinweis erkannt habe, und liegt seit etwa einem Monat recht unbequem auf meiner Milz oder was da auch immer so unangenehm ziept. Mein Geburtstermin ist der siebzehnte September, aber das halte ich ohnehin alles für Hexerei. Das Baby kommt, wenn es kommt. Was ich mir von dem Kurs erhoffe? Ich bin hier, um mich zu informieren und mir ein paar Tipps zu holen, wie ich die nächsten Monate überstehen soll und wie ich Mia ohne großes Gemetzel aus mir rausbekomme. Dabei schwanke ich noch zwischen natürlicher Geburt und Kaiserschnitt.«

Gegen ihren Willen war Emily fasziniert von dieser Frau. In ihrer Welt waren Leonies Ansichten recht ungewöhnlich. Zumindest sprach das niemand in der Öffentlichkeit so deutlich aus. Frauen, die einen Kaiserschnitt bevorzugten, verschwiegen das meist. Nichts wurde derart heiß diskutiert wie die Fragen nach der Art des Gebärens, des Stillens oder wie das Baby schlafen sollte. Scheinbar jeder, ob Mann oder Frau, hatte da eine feste Meinung. Zumindest empfand Emily es so. Sie hatte schnell gelernt, dass es besser war, regelkonform zu denken. Abweichungen in diesem Bereich wurden nur schwer akzeptiert.

Kein Wunder, dass der gesamte Kurs irritiert reagierte. Die Stille lastete schwer auf Emilys Nerven, und sie spürte, dass sich gerade ein Konflikt aufbaute. Ein Konflikt in ihrer heilen Welt. Das musste sie unbedingt verhindern.

»Mia soll die Kleine heißen?«, platzte Emily daher heraus und lenkte die Aufmerksamkeit von Leonie auf sich. »Das ist ein sehr schöner Name. Oder ist das nur der Arbeitstitel?«

»Arbeitstitel?«

»So wie Klaus-Peter, Motte oder Krümelchen. Viele nennen ihr kleines Wunder so, um den Namen nicht zu verraten.«

»Warum sollte ich den nicht sagen? Spätestens bei der Geburt erfahren ihn doch eh alle. Da kann ich jetzt schon mal damit anfangen.«

»Aber viele Familien diskutieren dann mit dir, ob der Name wirklich schön ist oder ob es nicht einen besseren gibt. Ist das Kind da, ist der Name gesetzt, und jeder findet ihn wunderbar – egal, wie ungewöhnlich er ist. Und was machst du, wenn es ein Junge wird?«

»Dann heißt er Markus. Aber in dem Fall würde meinem kleinen Sohn etwas Entscheidendes fehlen, was ich für ihn wirklich nicht hoffe.«

»Ärzte können sich beim Ultraschall auch mal irren.«

»Ein Bluttest aber weniger. Ich traue eher einer hochmodernen DNA-Analyse als einem verpixelten grauen Bildschirmausschnitt. Jetzt kann ich sicher sein, dass meine Mia nicht doch ein Milan wird.«

Emily gab auf. Mit Leonie zu diskutieren war zu anstrengend. Sie dachte einfach zu anders als sie. »Jedenfalls ist Mia ein schöner Name«, wiederholte Emily lahm und sah Annette bittend an, damit die das Gespräch wieder an sich nahm.

Die verstand die stumme Aufforderung sofort. »Ich denke, wir werden hier viele deiner Vorurteile widerlegen können, Leonie«, sagte sie. »Die natürliche Geburt ist einem Kaiserschnitt stets vorzuziehen, und mit der richtigen Vorbereitung wird es auch kein Gemetzel. Wichtig ist nur, sich darauf einzulassen. Das Gleiche gilt für das Stillen.«

»Ja, was das angeht«, hob Leonie an, doch Emily gab ihr rasch einen Rippenstoß. Es gab Dinge, die durfte man nicht öffentlich infrage stellen. Das Thema Stillen gehörte dazu.

Leonie warf Emily einen fragenden Blick zu. Sie verstand die Welt nicht mehr. Emily wartete, bis Annettes Aufmerksamkeit zur nächsten Mutter gewandert war, dann flüsterte sie ihr zu: »Egal, was du zum Thema Stillen zu sagen hast: Behalt es für dich. Mit Annette sitzt eine Stillberaterin der La Leche Liga vor dir.«

»La Leche Liga? Was zur Hölle ist das denn?«, entgegnete Leonie entsetzt. »Klingt wie eine Straßengang.«

Emily musste grinsen. Straßengang? Wie kam Leonie denn auf so etwas? In jedem Ratgeber wurde diese Liga mindestens einmal erwähnt. Oder konnte es sein … War es möglich … Hatte Leonie bisher etwa kein einziges Buch übers Kinderkriegen gelesen? Nein! So jemanden gab es nicht. Zumindest nicht in Emilys Welt.

»Diese Mütter helfen dir bei Stillproben«, erklärte Emily leise und fand mit einem Mal Gefallen an ihrer neuen Rolle der Lehrerin. In Gedanken notierte sie sich diese merkwürdige Begegnung als potenziellen neuen Blogbeitrag. Vielleicht konnte Leonie ihr ja doch nützlich werden. Sie dachte an Torstens Worte. Ihr Blog lief gut. Richtig gut. Und damit das so blieb, musste sie regelmäßig Content liefern. Das bedeutete aber auch, aus ihren alten Strukturen auszubrechen und sich auf Neues einlassen. Nur dadurch blieb man interessant. Um jedoch über Leonie berichten zu können, musste die erst einmal diese Stunde überleben, ohne gelyncht zu werden. Zeit, die Dame mal aufzuklären. »Wenn du dir nicht direkt eine Menge Feinde machen willst, bist du als Schwangere eine Stillbefürworterin. Sonst hast du sofort ganz viel Gegenwind. Aber keine Sorge: Ich habe Zeit und werde dir helfen. Wie Annette schon sagte: Ich bin Emily. Freut mich, dich kennenzulernen.«

LEONIE

Sie war in ihrem ganz persönlichen Horrorfilm gefangen. All ihre Vorurteile über Geburtsvorbereitungskurse waren innerhalb von fünf Minuten bestätigt worden. Ach, was sagte sie da? In zwei! Zugegeben, es war nicht besonders clever von ihr gewesen, zu spät zu kommen. Das war nie ein guter Einstieg in ein Seminar. Aber das Folgende überstieg all ihre Befürchtungen.

Wieso nur hatte Leonie sich von Peter dazu überreden lassen, diesen verflixten Kurs zu belegen? Ihr Bauchgefühl hatte sie eindringlich gewarnt. Sie passte nicht hierher und stach hervor wie ein Pfau unter Graugränsen. Fehlte ihr tatsächlich das berühmte Muttergen? Wieso nur konnte sie nicht einfach die Klappe halten und sich entspannt berieseln lassen? Stattdessen ging sie direkt auf Konfrontationskurs mit der Leiterin.

Eins stand fest: Sollte sie noch einmal ungeplant schwanger werden, würde Peter sich der Horde Übermuttis stellen müssen. Dann konnte er sich gerne mit der La Leche Liga herumplagen.

»Nachdem wir uns jetzt allesamt vorgestellt haben, wollen wir uns gegenseitig noch ein bisschen besser kennenlernen«, erklärte die Hebamme nun. »Findet euch doch bitte zu Paaren zusammen und interviewt eure Nachbarin. Thema eurer Fragen ist: euer kleines Wunder.«

Ich schwöre dir, wenn du Mia noch einmal »mein kleines Wunder« nennst, erwürge ich dich, dachte Leonie grimmig. Sie wandte sich nach links in der Hoffnung, dort eine normalere Gesprächspartnerin zu finden, doch sie blickte lediglich auf die Heizung. Zur rechten saß jedoch … Ach, verdammt! Da war ihr ja sogar die Heizung lieber.

»Leonie.« Emily lächelte scheinheilig. »Wie schön, dass wir zwei uns noch näher kennenlernen können.« Sie log so eindeutig, dass Leonie beinahe mit den Augen gerollt hätte. Sie waren in etwa so kompatibel wie die ISS mit der Titanic.

Aber es half ja alles nichts. Leonie musste da durch. Also los. »Freust du dich auf dein kleines Wunder?«, fragte sie vorsichtig und hoffte, keinen Seelenstriptease einer unbekannten Mutter ertragen zu müssen.

»Und wie. Aber ich habe auch Sorge, dass wir es nicht rechtzeitig ins Krankenhaus schaffen und …«

»Stopp«, rief Leonie und hob hastig die Hände. »Bitte überschütte mich nicht mit deinen Ängsten. Das ist wie eine ansteckende Krankheit: Kaum hört man davon, juckt es einen überall. Können wir nicht kurz über was anderes als Babys reden?«

»Aber dafür sind wir doch hier. Um über Babys zu reden. Ich dachte, hier wäre der richtige Ort dafür. Mein Mann will davon nichts hören.«

»Er redet mit dir nicht übers Kind?« Ohne es zu wollen, rollte sofort eine Welle des Mitgefühls heran. Seit Leonies Hormonhaushalt völlig durcheinandergeraten war, passierte ihr das ständig. Früher wäre ihr Emily so was von egal gewesen. Aber jetzt …

»Doch, ab und zu schon. Aber von Ängsten oder Unsicherheiten will er nichts hören. Ich vermute, er hat einfach selbst Panik und will das nicht zugeben. Wobei er schon seltsam reagiert hat, als ich ihm gesagt habe, ich sei schwanger. Als hätte ich ihm in den Magen geboxt. Dabei war das Baby durchaus geplant gewesen. Es hat nur länger gedauert als gedacht. Wie hat denn dein Mann reagiert? Wo es doch ungeplant gewesen ist.«

»Ich hab ihm drei Schnäpse hingestellt, hab es ihm gesagt und gewartet, bis er alle Schnäpse runtergespült hat. Danach war Peter leicht grün im Gesicht, hat sich aber gefreut.«

»Oh, dein Mann heißt Peter? Meiner auch. Da haben wir ja wenigstens eine Gemeinsamkeit.«

Ja, dachte Leonie bei sich. Bei dieser Gemeinsamkeit würde es vermutlich auch bleiben. »Mein Peter und ich sind nicht verheiratet. Als Scheidungskind hat man dazu wohl eine andere Einstellung. Ich war so froh, als sich meine Eltern endlich getrennt haben. Allerdings heiraten sie jetzt beide neue Partner. Das ist schon seltsam für mich.« Sie atmete tief durch, um das ungute Kribbeln in ihrer Magengegend auszublenden. Wann immer das Gespräch auf ihre Mutter kam, wurde ihr komisch. Da war sogar noch das Thema Gebären besser. Gleichzeitig fragte sie sich, warum sie Emily überhaupt solche privaten Dinge über sich erzählte. Das tat sie sonst nie. Emily hatte jedoch etwas an sich, das sie zum Reden verleitete. Etwas Vertrauenerweckendes, Freundliches.

»Also schön, Emily«, sagte Leonie ihrem Instinkt folgend. Vielleicht war es doch an der Zeit, sich ein wenig zu öffnen. Sonst überstand sie diesen Kurs niemals. »Du darfst mir was über deine Ängste erzählen. Schieß los!«

»Nein. Das will ich jetzt nicht mehr. Du hast recht. Das ist zu bedrückend. Lass uns lieber über etwas Positives reden.« Emily überlegte eine Weile, dann hellte sich ihr Gesicht auf, als ihr ein Thema einfiel. »Meine Beleghebamme wird jetzt Annette. Sie hat mir letzte Woche zugesagt. Zum Glück. Ich hatte schon Angst, keine mehr zu bekommen, denn die meisten begleiten kaum noch Geburten, sondern machen nur die Vor- und die Nachsorge. Ich bin so glücklich. Wie sieht es bei dir aus?«

»Äh …«, brachte Leonie schwach hervor. »Was zur Hölle ist eine Beleghebamme?«

Schockiert riss Emily die Augen auf. »Das ist deine Hebamme, die dich während der gesamten Geburt begleitet. Die ganze Zeit.«

»Die ganze Zeit? Wer will denn so was? Wenn ich Höllenqualen durchleide, will ich dabei nicht die ganze Zeit beobachtet werden. Das ist ja grässlich. Ich will gefälligst meine Ruhe.«

»Das ist nicht grässlich. Sie unterstützt dich und hilft dir. Das Tolle ist, dass du sie schon vorher kennengelernt hast. Sie kennt deine Bedürfnisse.«

»Aber ich kenne doch nicht mal selbst meine Bedürfnisse. Das ist schließlich meine erste Geburt. Deine etwa nicht?«

Emily runzelte die Stirn. Zum ersten Mal erahnte Leonie einen Hauch von Gereiztheit an ihrem Gegenüber. Aha. Dieses winzige Persönchen mit den blonden Engelslocken, den strahlend blauen Husky-Augen und den süßen Sommersprossen konnte also auch ärgerlich werden. Interessant. »Doch, das ist meine erste Geburt. Gerade deshalb ist es doch so wichtig, gut vorbereitet zu sein.«

Ein Kaiserschnitt, dachte Leonie sofort. Man gebe mir einen Kaiserschnitt. Dieses Gespräch wurde immer seltsamer. Gleich darauf erstarrte Leonie. Da schlich sich etwas in Emilys Augen, das sie beunruhigte. Ein seltsamer Ausdruck. Als sei ihr Gegenüber auf der Jagd …

»Sag bloß, du hast noch keine Hebamme«, flüsterte Emily, als müsse sie den Teufel persönlich aus ihr herausexorzieren.

»Äh … nein. Im Krankenhaus sind doch welche. Reicht das nicht?«

Man konnte den Ausdruck in Emilys Augen nur noch als pures Entsetzen bezeichnen. »Leonie, das ist doch nicht dein Ernst. Ich habe mich schon in der dreizehnten Woche um eine Hebamme bemüht und da kaum noch eine bekommen. Sie helfen dir nach der Geburt, wiegen dein Baby, zeigen dir das Stillen und stehen dir mit Rat und Tat zur Seite. Es gibt leider nur noch viel zu wenige von ihnen. Schrecklich, dabei ist das ein so wichtiger Beruf.«

Das zweifelte Leonie auch keineswegs an. Es tat ihr ja wirklich leid für alle Hebammen, aber … »In der dreizehnten Woche hatte ich noch keine Ahnung, dass ich schwanger bin. Ich weiß das erst seit zwei Monaten.«

Jetzt schlug Emily ernsthaft die Hand vor den Mund. Der Schock über diese Nachricht zeichnete sich deutlich in ihrem Gesicht ab. Sofort zog sich Leonies Magen zusammen. Sie hatte diese Reaktion schon oft gesehen, und sie tat noch immer weh. Ja, zugegeben. Mit den heutigen Möglichkeiten der Verhütung sollten solche Unfälle nicht geschehen, doch Mia war das Ergebnis einer lang anhaltenden Magen-Darm-Erkrankung. Wobei … Rückblickend war sie vermutlich DIE Magen-Darm-Erkrankung gewesen. Die typische Morgenübelkeit hatte Leonie schlicht falsch eingeordnet.

Okay. Genug gegrübelt, ermahnte Leonie sich selbst. Sie mochte die am schlechtesten vorbereitete Schwangere dieses Kurses sein, aber sie würde sich nicht wie eine Vollversagerin behandeln lassen. Vor Wut schossen ihr unvermittelt die Tränen in die Augen. Verdammte Hormone.

»Oh, Liebes. Nicht weinen. Wir werden das gemeinsam schaffen«, flüsterte Emily gerührt und zog sie ungefragt in die Arme. Leonie hing da wie ein nasser Sack und fragte sich, wie diese Wendung zustande gekommen war. Konnte dieser Tag noch verrückter werden?

Ja, er konnte.

Nachdem Emily und sie ein wenig miteinander geweint hatten und dafür von der Leiterin sogar getätschelt worden waren, ging es mit einfachen Atemübungen weiter. Die sorgten dafür, dass sich Leonies flatternde Nerven wieder beruhigten. Sport erdete sie. Sport beruhigte. Das war schon immer so gewesen. Wenn man denn diese Art der Bewegung Sport nennen durfte.

»Stellt euch vor, ihr zupft mit euren Schamlippen Blümchen von einer Wiese. Ihr müsst euch zunächst weeeit öffnen, um die Blume aufzunehmen. Jetzt verschließt ihr euch wieder, zupft die Knospe ab und hebt sie in die Höhe. Genau so, meine Damen.«

Leonies Ohren bluteten von dem, was sie da hörte. Sie warf einen verzweifelten Blick in die Runde, doch die meisten waren konzentriert bei der Sache. Nur Emily schmunzelte vor sich hin.

Nachdem sie die halbe imaginäre Wiese leergezupft hatten, bekam Annette mit ihnen Erbarmen. Sie läutete das Ende der Sitzung ein, stoppte die hinausstürmenden Schwangeren aber im letzten Moment. »Nächste Woche ist Männertag. Das ist das einzige Mal, dass die werdenden Väter mitkommen dürfen. Sie sollten das auch tun, um all ihre Fragen und Ängste zu äußern. Bis dahin solltet ihr eure Übungen zu Hause weitermachen, denn nur ein guter Beckenboden trägt euch sicher durch eine problemfreie Schwangerschaft.«

Nie im Leben bring ich Peter mit in diesen Kurs, dachte Leonie. Der bekommt davon das Trauma seines Lebens. Hastig überholte sie die anderen beim Hinausgehen, schlüpfte in ihre hohen Pumps und wollte aus dem Flur stürmen, ehe alle anderen Frauen ihn vollends verstopften, als ihr Handy in der Handtasche wild bimmelte. Sie warf einen Blick darauf, und schon war ihr klar: Dieser Tag war gelaufen. Obwohl sie noch umgeben von all den anderen Müttern war, ging sie ran. Diesen Anruf durfte sie nicht aufschieben. Damit machte sie es nur noch schlimmer.

»Ruf die Furie zurück«, giftete ihre Halbschwester Monika sie umgehend an.

»Es freut mich auch, dich zu hören, Monika«, antwortete Leonie betont freundlich. »Ich nehme an, du redest von meiner Mutter?«

»Genau die. Karin hat doch mit purer Absicht ihren Hochzeitstag auf den von Papa gelegt. Was soll das? Seit der Bekanntgabe bekomme ich empörte Anrufe von sämtlichen gemeinsamen Freunden. Ich bin Papas Trauzeugin, und als solche verlange ich: Stopp sie!«

Leonie blieb abrupt stehen. Oh Gott. Monika war Papas Trauzeugin. Dieser Tag wurde tatsächlich immer gruseliger. Da nahm sie lieber Peter mit zum Gebärkurs, als dass sie zu dieser Hochzeit erschien.

»Ich versuche es«, murmelte sie defensiv. »Aber sie zu stoppen ist schwierig. Außerdem ist der Tag generell für mich ungünstig.«

»Wieso?«

»Weil ich etwa eine Woche später mein Kind bekomme.«

Monika atmete zischend ein. »Leonie, dafür können wir nichts. Du weißt erst seit zwei Monaten von dieser Geburt. Wir planen die Hochzeit schon seit einem halben Jahr.«

»Ja, aber ihr könnt den Termin verschieben. Ich nicht«, erwiderte Leonie jetzt doch hitzig. Innerhalb von Sekunden hatten sie sich derart in der Wolle, dass Leonie schließlich einfach auflegte. Dann erst bemerkte sie ihren rebellierenden Organismus.

Ihr Herz schlug viel zu schnell, und ihr war schwindelig. Verdammt. Ausgerechnet jetzt, wo sie so dringend all ihre Kräfte brauchte, machte ihr der Körper einen Strich durch die Rechnung. Um sich vor all den anderen Frauen keine Blöße zu geben, schlich sie um die Ecke und setzte sich auf eine Wartebank vor den Aufzügen.

Tief durchatmen, dachte sie. Sie schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Der Anruf hatte sie mehr aufgeregt, als er sollte. Das Ziehen in ihrem Bauch wurde heftiger. Eine typische Reaktion, wenn sie gestresst war. Vor der Schwangerschaft hätte sie so ein Gespräch mit einem Wink abgetan. Jetzt aber brachte es sie komplett aus der Fassung.

Sie vernahm das typische Quietschen von Turnschuhen auf Linoleumfußboden. Die anderen verließen den Gang. Es wurde ruhiger.

Noch zweimal atmete Leonie tief ein und aus und stellte fest, dass die Übungen der Hebamme ihr dabei halfen, sich zu beruhigen. Wer hätte gedacht, dass es tatsächlich wirkte, wenn man sich auf sich selbst besann? Erst als ihr Herz nicht mehr wie das eines verschreckten Vögelchens flatterte, schlug sie die Augen wieder auf und quiekte vor Schreck. Emily stand direkt vor ihr und musterte sie mit stechendem Blick.

»Du bist grün im Gesicht«, sagte sie mit ihrer glockenhellen Stimme. »Alles okay?«

»Klar«, log Leonie und stand abrupt auf. Sofort war das Ziehen in ihrem Bauch zurück. Hatte sie sich den Magen verdorben? »Ich musste mich nur kurz setzen. Ui.« Ihr wurde schwindelig.

Hastig griff Emily nach ihrem Arm und stabilisierte sie. Leonie war das furchtbar unangenehm, doch leider blieb ihr nichts anderes übrig, als sich helfen zu lassen.

»Annette«, rief Emily in der gleichen Sekunde. »Annette? Kannst du mal kommen?«

»Pscht. Bist du verrückt? Ich bin froh, der Irren entkommen zu sein.«

»Diese Irre hat mehr Ahnung von Schwangerschaften als so mancher Arzt. Du siehst nicht gut aus, und sie kann dir helfen. Punkt. Jetzt zick nicht rum.«

Wow. Und so was musste sie sich von einer Elfe sagen lassen.

Leonies Handy brummte erneut. Sie warf einen raschen Blick aufs Display und spürte, wie ihr das Adrenalin erneut durch die Adern schoss. Ihre Mutter rief an. Natürlich. Wahrscheinlich hatte Monika direkt bei ihr durchgeklingelt und sie zur Schnecke gemacht.

»Vergiss deine Mama«, sagte Emily, die offenbar die Anzeige auf dem Display gelesen hatte. Sie nahm ihr erstaunlich vehement das Handy aus der Hand und warf es achtlos in Leonies Tasche. »Egal, was in deiner Familie gerade los ist: Du musst dich jetzt um dein Baby kümmern. Annette. Gut, dass du da bist.«

Annette war im Laufschritt zu ihnen geeilt und blieb vor ihnen stehen. Sie sah Leonie nur einmal kurz ins Gesicht, dann schnappte sie sich bereits ungefragt ihr Handgelenk und blickte auf die Uhr. »Hast du mit Schwangerschaftskomplikationen zu kämpfen?«, fragte sie mit ruhiger Stimme.

»Meine Schwangerschaft IST die Komplikation.«

Der Blick, der sie jetzt traf, war eisig. »Jetzt sei mal ernst, Leonie. Du magst hier ja einen auf tough machen, aber ich kenne Frauen wie dich. Lass mich raten: Du arbeitest fünfzig Stunden die Woche, hast eigentlich keine Zeit für eine Schwangerschaft und den Ausdruck ›Schwangersein ist keine Krankheit‹ zu deinem neuen Lebensmotto erkoren.«

»Und sie hat familiäre Probleme«, warf Emily wenig hilfreich ein.

»Hat dir dein Arzt schon mal Bettruhe angedroht?«, fragte Annette.

Leonie zog den Kopf ein. Einmal? Mindestens schon viermal. »Mir geht es gut«, sagte sie schwach.

»Emily? Kannst du Leonie zu ihrem Frauenarzt begleiten? Wenn du dich weigerst, Leonie, rufe ich direkt den Notruf. Ich würde dich ja selbst untersuchen, aber da du das vermutlich nicht zulassen wirst, sag ich es dir so: Du hast Wehen, meine Liebe. Ich brauche dir ja wohl nicht zu erklären, was das für dich und dein Baby im sechsten Monat bedeutet. Also los. Es ist wirklich dringend.«

Der Schuss vor den Bug

EMILY

Leonie saß wie eine Statue auf dem ungemütlichen Stuhl im Wartezimmer und rührte sich nicht. Sie war blass und noch immer leicht grün im Gesicht. Emily bemühte sich, sie nicht die ganze Zeit anzustarren.

Wie seltsam diese Situation war.

Ganz unvermittelt war sie die Retterin in der Not geworden. Ihre Brüder wären stolz auf sie gewesen. Die waren die fleischgewordenen Helden des Alltags – Emily hingegen normalerweise die graue Maus, die gerettet werden musste. Eigentlich hätte sie gedacht, dass sie sich bei ihrer Heldentat besser fühlen würde. Mutiger. Leider hatte sie hauptsächlich Angst um Mia.

»Es wird alles gut«, sagte sie vorsichtig zu Leonie. Sie warteten jetzt schon seit einer Stunde darauf, den Arzt zu sehen. Leonie hatte zunächst an den Wehenschreiber gemusst. Das allein hatte bereits endlos gedauert.

Emily wollte sich nicht beschweren, aber so langsam war sie müde und erschöpft. Die letzte Woche war emotional aufregend gewesen, von diesem Tag ganz zu schweigen. Leonie allein zu lassen, fiel ihr jedoch nicht im Traum ein.

»Hast du deinen Peter erreicht?«, wechselte sie das Thema.

»Ja. Er kommt heute Abend zu mir. Im Moment ist er noch unterwegs.«

Emily seufzte tief. »Was ist das nur mit den Männern? Wenn ich ein Kerl wäre, würde ich sofort alles stehen und liegen lassen und zu meiner Frau eilen.«

»Dem Baby geht es gut, Emily. Jetzt dramatisier nicht so. Selbst die Arzthelferin hat mit Blick auf den Wehenschreiber gesagt, dass es kein Notfall ist. Warum sollte ich Peter deswegen aus dem Meeting holen?«