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Oberkommissar OIsen, inzwischen zum Hauptkommissar befördert und sein Adlatus Kriminalobermeister Schulzendorfer sind erneut die Haupthelden dieses Kriminalromanes. (Siehe Kriminalroman Mörderauge) Befördert und versetzt in ein neues Aufgabengebiet, müssen sie sich nicht nur mit einem Mord ohne scheinbares Motiv, ohne Zeugen und natürlich wieder ohne Spuren herumschlagen, sondern auch noch, mit Straftaten im polizeilichen Umfeld befassen. Hochspannung ist garantiert.
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2014
Wie immer, für Marion.
Peter Schlifka
DOPPELTOD
Kriminalroman
© 2014 Peter Schlifka
ISBN
978-3-7323-1641-0 (Paperback)
978-3-7323-1642-7 (Hardcover)
978-3-7323-1643-4 (e-Book)
Verlag: Buchtalent - eine Verlagsmarke der
tredition GmbH, Hamburg
www.buchtalent.de
www.tredition.de
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Personenverzeichnis
Kriminalhauptkommissar Olsen (bereits bekannt aus dem Buch „Mörderauge“)
Kriminalobermeister Schulzendorfer (sein Mitarbeiter, ebenfalls schon bekannt)
Kommissar Eberhard Koschinski, streitet alles ab
Oberkommissar Möller (Leiter Rauschgiftdezernat)
Kriminalrat Mertens (Leiter des Polizeiamtes)
Kommissar Neubert (Erkennungsdienst)
Frans, de Jong (Matrose, Rauschgifthändler)
Kerstin Berthold (Leiche)
Rolf Berthold (verstorbener Bruder der Ermordeten)
Herr Frank Krüger und Frau Anneliese Krüger (sie fand die Leiche)
Dr. Miskau (praktischer Arzt, untersuchte die Tote zuerst)
Dr. Manteuffel, liebt Mordwerkzeuge (Polizeiarzt)
Ingo Lorenz (Verlobter der Ermordeten)
Luise Schulz (Mieterin im Haus Uferweg 12, Hochparterre)
Karin Neupert (Mieterin im Haus Uferweg 12, Freundin der Hauswartsfrau)
Robert Mehler „Robby“ (Freund der Ermordeten und Geliebter der Neupert)
Elisabeth (Elli) Rachow, weiß über jeden etwas (Hauswartsfrau)
Petra Berthold, Mutter der Toten
Andreas Schröder, niemand mag ihn (Stiefvater der Toten)
Harry Pohl, hat ein Alibi (Mieter im Uferweg 12)
Gerald Dankert, Buchhalter der Hafenkontor AG und wichtiger Zeuge im Mordfall
Dunstig zogen die Frühnebel durch die regennassen Straßen. Von der Flussmündung wehte ein kalter, feuchter Nordostwind.
Die grauen Wolken hingen tief über der Stadt und verkündeten weiteren Regen.
Der Mann, der mit hochgeschlagenem Mantelkragen durch die Straßen eilte, war Kriminalhauptkommissar Frederik Olsen. Der „Schwede“, wie er von seinen Mitarbeitern und mittlerweile auch von der Presse wegen seines Namens und seines Aussehens genannt wurde. Olsen war kein Schwede. Sicher hatte er irgendwelche nordischen Wurzeln, die ihm aber nicht bekannt waren und ihn auch nicht interessierten.
Vor ziemlich einem Jahr war er an die Polizeidirektion der Stadt versetzt worden. Strafversetzt, wie er es bei sich nannte, was er aber seinen Mitarbeitern gegenüber niemals zugeben würde. Olsen war Mitarbeiter einer Spezialabteilung gewesen, die sich hauptsächlich mit der Aufklärung von Tötungsverbrechen beschäftigt hatte. Seine Aufklärungserfolge waren legendär.
Nach der unorthodoxen und auch gegen den Willen seiner Vorgesetzten durchgeführten Ermittlung im Fall des Messermörders wurde er wieder der Mordkommission zugeteilt.
Olsen musste innerlich grinsen, als er sich daran erinnerte. Erfolg heiligt eben doch die Mittel, dachte er.
Als er das Kriminalamt erreichte, fielen die ersten Regentropfen.
Das richtige Wetter, um sich hinter Aktenbergen zu verkriechen und den Feierabend abzuwarten. Der Schreibkram war sonst nicht seine Lieblingsbeschäftigung, musste aber erledigt werden. Außerdem gelangte man nicht selten durch mehrfaches Aktenstudium zu neuen Erkenntnissen. Trotzdem stand der Hauptkommissar lieber stundenlang zur Überwachung eines Tatverdächtigen in einem zugigen Hauseingang, als eine Stunde am Schreibtisch zu sitzen.
Bevor er nun seinen Mantel ablegte, trat Olsen gewohnheitsmäßig an sein Fenster.
Noch immer nicht konnte er sich an den neuen Ausblick gewöhnen. Der Blick aus dem Fenster seines alten Büros hatte ihn viel mehr fasziniert. Führte dieser doch auf einen Friedhof.
Olsen hatte oft an diesem Fenster gestanden und Beerdigungen oder Menschen bei der Grabpflege beobachtet. Das gab ihm ein Gefühl für die Endlichkeit des Lebens und den Zweck seines eigenen Seins, wie er einmal gegenüber Kriminalobermeister Schulzendorfer anführte. Dieser hatte ihn nur ungläubig angesehen, sich aber nicht dazu geäußert.
Sein jetziges Büro war in der Einrichtung und Größe ein Ebenbild des damaligen. Nur führte der Blick aus dem Fenster auf den Parkplatz der Polizeidirektion. Bedauerlicherweise gab es dort, abgesehen von den Autos der Mitarbeiter, nichts Interessantes zu sehen. Trotzdem konnte Hauptkommissar Olsen sich nicht von der liebgewordenen Gewohnheit trennen.
Eine Weile beobachtete Olsen noch das Herabrinnen der Regentropfen an der Scheibe, bevor er sich aufseufzend seinem Schreibtisch zuwandte. Wie jeden Morgen lagen dort im Eingangskorb die in der Nacht eingegangenen Ereignismeldungen. Gewissermaßen die in Papierform gebrachte Kriminalität einer Nacht in dieser Stadt. Im Stehen überflog Olsen mäßig interessiert die Meldungen. Es war das Übliche: Taschendiebstahl, Einbrüche, Zechprellerei, Körperverletzungen und Autodiebstahl. Und ausnahmsweise diesmal kein schwerer Raub, kein Totschlag oder Mord dabei. Von den letzteren hätte er aber sowieso schon Kenntnis gehabt.
Nur eine Meldung erregte die Aufmerksamkeit des Hauptkommissars.
Eine Meldung über eine Razzia in der Kakadu-Bar, ein ziemlich übel beleumdetes Lokal, das vorwiegend von Rauschgiftdealern und Zuhältern frequentiert wurde. Olsen las den knappen Text noch einmal. In der Kakadu-Bar hatte man den Bootsmann eines Überseeschiffes mit einem Päckchen Heroin geschnappt. Zusammen mit ihm war auch ein Mann namens Koschinski festgenommen worden. Hinter diesem Namen stand in Klammern: Kommissar im Einbruchsdezernat.
Ein Polizist, ein Kollege, verwickelt in eine solche Geschichte? Interessant, dachte Olsen. Aber nicht meine Sache. Das landet auf dem Tisch von Möller, Oberkommissar beim Rauschgiftdezernat.
Olsen setzte sich endlich hinter seinen Schreibtisch und griff nach der ersten Akte. Noch bevor er sie aufschlagen konnte, klingelte das Telefon. Ein Blick auf das Display zeigte ihm den Namen des Anrufers. Polizeirat Mertens. Olsen verzog das Gesicht. Seit seinem Aufstieg oder besser gesagt seiner Rückkehr zur Mordkommission hatte sich sein Verhältnis zum Chef zwar verbessert, aber von gegenseitiger Zuneigung konnte nicht die Rede sein.
„Sind Sie sehr beschäftigt, Olsen?“
„Es geht“, antwortete Olsen knapp.
„Könnten Sie mal kommen?“
„Gleich?“
„Wenn sich es machen lässt, bitte“, sagte der Polizeirat schon etwas ungeduldiger im Tonfall.
Eine Minute später hielt Olsen Polizeirat Mertens’ Sekretärin zurück, als diese aufspringen und ihn anmelden wollte. „Nur keine Umstände, ich werde erwartet.“ Ohne anzuklopfen öffnete er die mit Leder gepolsterte Tür. Polizeirat Mertens wies auf einen der Sessel. Es entstand eine kurze Pause. Olsen spürte, wie sein Gegenüber nach einen Anfang des Gespräches suchte.
„Wissen Sie, Olsen, warum ich mit Ihnen sprechen will?“, Polizeirat Mertens rieb sich unablässig die Hände. Eine Geste, für die er bekannt war und die nichts zu bedeuten hatte.
Olsen überging die rhetorische Frage. Er wartete ab.
Der Polizeirat forschte im Gesicht seines Hauptkommissars.
Er sah schütteres, strohblondes Haar, darunter ein scharfkantig geschnittenes Gesicht, einen Mund, der Entschlossenheit verriet, und zwei kühl blickende graue Augen, die an ihm vorbei zum Fenster hinausschauten.
Wenn er nur wüsste, was Olsen von ihm dachte. Der Polizeirat war im Amt alles andere als beliebt. Schon damals, als er Olsen kennengelernt hatte, fühlte er sich von ihm überrumpelt und übergangen. Zwar hatte Olsen mit seinen, wie es der Polizeirat bei sich nannte, unmöglichen polizeiunwürdigen Methoden Erfolg gehabt. Dennoch fühlte er sich diesem Unterstellten gegenüber immer etwas unsicher.
„Nein, Sie können nicht darauf kommen. Sie werden sich vielleicht wundern.“
„Möglich“, erwiderte Olsen gelassen. Innerlich war er allerdings nicht so ruhig, wie es den Anschein hatte. Was will der Alte nur von mir? fragte er sich.
Der Kriminalrat beugte sich etwas vor: „Haben Sie die Nachtmeldungen gelesen?“
„Das Übliche. Nichts Aufregendes, scheint mir.“
„Sagen Sie das nicht, Olsen. Es hat eine kleine Aufregung gegeben. Der Referent des Polizeipräsidenten hat sich eingeschaltet, Sie verstehen…“
Olsen verzog das Gesicht. Worauf will der Alte hinaus? fragte er sich.
Laut, aber ziemlich gleichgültig sagte er: „Sie meinen die Rauschgiftsache in der Kakadu-Bar? Oder irre ich mich?“
Polizeirat Mertens hob den Blick von seinen Händen. „Nein, Sie irren sich nicht, mein lieber Olsen. Genau das!“
Es war der allzu freundliche Ton, der den Hauptkommissar stutzig machte.
„Ja“, fuhr der Polizeirat vertraulich weiter fort, „es hat sich bis in höhere Etagen herumgesprochen. Ich selbst habe keine Ahnung wer sich da alles eingeschaltet hat. Ich weiß nur, dass Vorgesetzte von Kommissar Koschinski an höchster Stelle interveniert haben. Sie verstehen…“
Wieder zog Olsen es vor zu schweigen. Hoffentlich kommt der Alte bald auf den Punkt, dachte er.
Polizeirat Mertens nahm wieder das Wort. „Man fragt, warum wir diesen tüchtigen Beamten festhalten. Man spricht von übertriebener Maßnahme, von einem fatalen Irrtum der Polizei. Wenn das zutrifft, ist es für uns eine peinliche Sache. Sie verstehen…?“
Olsen hob die Schultern. „Was habe ich damit zu tun? Oberkommissar Möller vom Rauschgiftdezernat ist dafür zuständig, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.“
„Gut, ja gewiss. Aber Oberkommissar Möller ist heute nicht zum Dienst erschienen. Er hat sich krank gemeldet.“
Olsen verzog das Gesicht. Er ahnte, was da auf ihn zukam. „Das ist bedauerlich, aber immerhin gibt es noch vier Leute in seiner Abteilung. Ich möchte ungern in Möllers Ressort hineinpfuschen.“
„Aber, aber, lieber Olsen, von Hineinpfuschen kann überhaupt keine Rede sein.“ Polizeirat Mertens stand auf, trat ans Fenster und sprach, seinem Hauptkommissar den Rücken zuwendend, weiter: „Ja, glauben Sie denn, ich würde Sie von Ihrer Arbeit abhalten, wenn ich nicht vom Büro des Polizeipräsidenten einen zarten Wink bekommen hätte.“ Der Polizeirat drehte sich ruckartig um. „Man möchte, dass die Angelegenheit Koschinski sehr sorgfältig geprüft wird. Und umgehend, versteht sich.“
Olsen hob die Augenbrauen.
„Selbstverständlich unter Berücksichtigung des vorhandenen Beweismaterials“, sagte Polizeirat Mertens schnell. „Und das scheint mir recht dünn zu sein. Wie gesagt, ich bin nur flüchtig informiert. Der Bericht der Beamten, die Koschinski gegen zwei Uhr festnahmen, ist, wie Sie selbst wissen, äußerst knapp gehalten. Die eigentliche Vernehmung des Kommissars sollte heute Vormittag von Möller selbst oder seinen Leuten durchgeführt werden. Wie gesagt, er hat sich krank gemeldet und drei seiner Leute sind bereits in anderen Sachen unterwegs.“
Der Polizeirat beugte sich zu Olsen herab. „Und außerdem, ich zähle auf Ihr Können und natürlich auf Ihre Integrität.“
Ohne sich die Mühe zu machen, sein mürrisches Gesicht zu verbergen, brummte Olsen: „Meine Männer sind auch unterwegs.“
„Hilft alles nichts, Herr Hauptkommissar“, wurde der Polizeirat jetzt dienstlich, „Wir wollen, wir müssen, schnell Klarheit haben. Es genügt, so meine ich, wenn Sie nur Koschinski vernehmen. Mit dem anderen, diesem Matrosen, können sich Kleinschmidts Leute befassen.“
„Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes“, erwiderte der Hauptkommissar stirnrunzelnd.
„Machen Sie was daraus! Disponieren Sie, wie Sie es für richtig halten.“ Polizeirat Mertens blickte auf seine Armbanduhr. „Ich bin noch bis siebzehn Uhr im Hause. Vielleicht lässt sich die Angelegenheit bis dahin klären. Halten Sie mich auf dem Laufenden.“
*
Niemand im Kriminalamt hatte Hauptkommissar Olsen jemals eilig Treppen steigen oder gar den Korridor entlangstürmen sehen.
Diesmal aber verzichtete er auf den Paternoster und stürzte geradezu die Treppe in das zweite Stockwerk hinauf und den langen Flur hinunter bis zu seinem Büro.
Von der anderen Seite des Flures, vom Paternoster her, kam Kriminalobermeister Schulzendorfer völlig durchnässt auf ihn zu.
Olsen, der schon die Türklinke in der Hand hatte, sah seinen Mitarbeiter im letzten Augenblick und wartete, bis er heran war.
„Gut, dass du kommst. Wir haben eilige Arbeit. Vernehmung in einer Rauschgiftsache.“
Schulzendorfer sah seinen Chef verdutzt an. „Rauschgift? Was haben wir denn damit zu tun?“, sagte er gedehnt und schüttelte ungläubig den Kopf. „Und unsere eigene Arbeit?“
„Los, komm schon herein! Es lässt sich nicht ändern. Mir gefällt es auch nicht. Ist höherer Befehl“, sagte Olsen ziemlich ungehalten und hielt dem Kriminalobermeister die Tür auf.
Kurz erklärte er Schulzendorfer, worum es ging. „Ich will die Sache schnellstmöglich vom Tisch haben. Zum einen sind Rauschgiftsachen nun
wirklich nicht unser Metier und zum anderen ist es nicht angenehm, gegen einen Kollegen zu ermitteln. Aber Befehl ist Befehl, also versuchen wir, es wenigstens schnell hinter uns zu bringen.“
Dann scheuchte er Schulzendorfer zum Rauschgiftdezernat hinunter. „Lass dir die Unterlagen über Koschinski geben und bring das Päckchen Heroin mit.“
Fünf Minuten später war der Kriminalobermeister wieder zurück.
„Eben ist einer von Möllers Leuten zurückgekommen. Ich habe ihm gesagt, dass wir mit Koschinski anfangen. War doch richtig, Chef?“
Olsen nickte. „Geh wieder runter und bleib bei der Vernehmung des anderen dabei, bis das erledigt ist. Wenn ein Geständnis vorliegt, ruf mich sofort an.“
Als Schulzendorfer schon an der Tür war, rief er ihm noch nach: „Und sie sollen bei der Vernehmung Dampf machen. Der Polizeirat hätte gern bis halb fünf das Ergebnis. Und ich auch.“ Aber das letztere hörte Schulzendorfer schon nicht mehr.
Olsen las inzwischen den Bericht. Viel stand nicht drin. Unwillig schüttelte er den Kopf. Kürzer ging es nun wirklich nicht. Ich bin gespannt, was Koschinski und dieser Matrose uns auftischen werden, dachte er.
Er griff zum Telefon: „Lassen Sie Koschinski vorführen.“
Olsen legte sich die Unterlagen zurecht, schob seine Schreibtischlampe näher zum Schreibtischrand, drehte den Schirm etwas höher und drückte auf den Lichtschalter. Ich werde ihn mir genauer ansehen…
Koschinski war groß, größer noch als der schon hochgewachsene Hauptkommisssar, dabei starkknochig und muskulös. Er hatte dunkelblondes, an den Schläfen schon stark gelichtetes Haar, eine rote Gesichtsfarbe und auffallend helle, stechend blaue Augen. Sein schmallippiger Mund kontrastierte mit einer fleischigen, zu groß geratenen Nase.
Koschinski, der in der Mitte des Büros stehengeblieben war, sah erstaunlich gelassen auf Olsen herab. Er rückte dabei an seiner Krawatte, als stünde er vor einem Spiegel. Dann schob er ebenso gelassen seinen Ärmel zurück und sah übertrieben lange auf die Armbanduhr.
„Seit halb drei morgens, das sind annähernd zwölf Stunden, werde ich widerrechtlich festgehalten, ohne mir präzise zu sagen, warum. Ich protestiere gegen diese Behandlung!“
„Setzen Sie sich“, sagte der Kriminalhauptkommissar trocken.
Koschinski blieb ungerührt stehen. „Ich kenne die Polizeivorschriften und die Gesetze.“
„Umso besser! Setzen Sie sich“, wiederholte Olsen eine Nuance schärfer.
Koschinski setzte sich langsam auf den Stuhl, den der Hauptkommissar zuvor zurechtgerückt hatte. Selbst davon, dass er nun im hellen Lichtkreis der
Schreibtischlampe saß, schien er unbeeindruckt.
Olsen vermisste das Geräusch der aufprallenden Regentropfen. Der Regen hatte aufgehört. Trotzdem schien es, als ob die tiefhängenden, dunklen Wolken weiterhin jedes Licht verschlucken würden.
*
Die ersten Zeilen des Polizeiberichtes begannen wie alle Polizeiberichte, die von übermüdeten Männern in der Nacht formuliert werden: Eberhard Koschinski, 17. Juli 1969 in Mohrkirch geboren, Kommissar im Einbruchsdezernat, wurde in der Nacht vom vierzehnten zum fünfzehnten in der Kakadu-Bar….
Olsen, der anfangs eine Zeitlang im Einbruchsdezernat gearbeitet hatte, konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, diesem Mann hier schon einmal begegnet zu sein. Koschinski… Nein, diesen Namen hatte er noch nie gehört.
„Sie sind noch nicht lange hier in der Polizeidirektion?“
„Stimmt. Ich bin erst vor vier Monaten hierher versetzt worden. Und bevor Sie fragen… auf eigenen Wunsch.“
„Das interessiert mich nicht“, sagte Olsen abweisend. „Mich interessiert Frans de Jong. Seit wann kennen Sie ihn?“
„Frans de Jong? Kenne ich nicht. Nie den Namen gehört. Wer soll das sein, Olsen?“
„Hauptkommissar, bitte“, antwortete Olsen beiläufig. Es war eine unmissverständliche Absage an jegliche Kollegialität, die Koschinski vielleicht anstrebte. „De Jong oder nicht de Jong, möglicherweise hatte der Matrose einen Spitznamen, wie das so in Rauschgifthändlerkreisen üblich ist“, fuhr der Hauptkommissar gelassen fort.
„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ Koschinski zuckte die Schultern und wandte sich scheinbar gelangweilt dem Fenster zu.
„Sie wurden letzte Nacht in der Kakadu-Bar von verdeckten Ermittlern des Rauschgiftdezernats überrascht, als Sie vom Decksmann eines holländischen Frachters, nämlich Frans de Jong, ein Päckchen Heroin in Empfang nahmen.“
„Das ist nur zur Hälfte richtig und noch nicht bewiesen“, antwortete Koschinski ruhig und verschränkte dabei seine Arme.
„Dann erklären Sie, was richtig ist.“
„Der Mann, de Jong, wie Sie ihn nennen, schob mir ein Päckchen – das angeblich Heroin enthalten sollte – verdeckt in einer Zeitung über den Tisch zu und bot es mir zum Kauf an. Er wollte fünftausend haben.“ Koschinski machte eine Pause und eine abwertende Handbewegung dazu. „Ich bezweifele, ob es überhaupt Heroin war.“
„Wir sind sicher: Der Mann heißt Frans de Jong, und es ist Heroin“, sagte Olsen, obwohl ein Gutachten darüber, ob es sich wirklich um Heroin handelte, noch nicht vorlag.
„Und wenn“, sagte Koschinski geringschätzig. „Ich habe es jedenfalls nicht gewusst.“
„Auch nicht annehmen können? Sie sind Kommissar, Sie kennen die Gesetze. Also was soll’s“, sagte Olsen scharf. „Ein wildfremder Mann bietet Ihnen, dem Kommissar – was der andere ja nun wahrhaftig nicht wissen kann, eine bedenklich große Menge Heroin zum Kauf an. Mir scheint das ein ungewöhnlicher Zufall zu sein.“
„Was Sie meinen oder wie Sie darüber denken, ist Ihre Sache. Jedenfalls war es so.“ Koschinski überlegte. „Ja, richtig, der Mann war übrigens betrunken“, ergänzte er. „Zumindest angetrunken“, schränkte er ein.
Olsen rieb sich das Kinn. Auch davon stand nichts im Polizeibericht. Es war ärgerlich. Man hatte tatsächlich versäumt, das Heroin gleich untersuchen zu lassen und von de Jong eine Blutalkoholprobe zu nehmen.
Eberhard Koschinski schob den Knoten seiner Krawatte höher. Es war gewissermaßen eine demonstrative Geste. Er schien sich seiner Sache sicher.
„Ich saß mit dem Mann an einem Tisch und sah, wie viel er im Laufe des Abends trank.“
„An was für einem Tisch?“ hakte der Hauptkommissar ein.
Koschinski zeigte ein sorgloses Lächeln. „Was für eine Frage, Herr Hauptkommissar. An einem Tisch, wie sie in der Kakadu-Bar stehen“, erwiderte er in arrogantem Ton.
„Es gibt dort Tische für vier und für zwei Personen“, sagte Olsen ruhig. „Also bitte etwas genauer.“
„Ich saß allein mit ihm, wenn Sie das meinen.“
„Ich hätte gern möglichst alles präziser. Also gut, Sie saßen an einem kleinen Tisch. Soweit ich mich in der Kakadu-Bar auskenne, stehen die Zweipersonentische vorn an der Bühne, genauer gesagt, am Rande des Tanzparketts, das im Halbdunkel davor liegt.“ Olsen fixierte Koschinski. „So, und nun sagen Sie mir, Herr Koschinski, an welchem Tisch saßen Sie mit dem Decksmann de Jong?“
Olsen zog den Schubkasten am Schreibtisch heraus und kramte darin. Wie abwesend, ohne den Blick zu heben, sagte er zu seinem Gegenüber: „Lassen Sie sich Zeit zum Überlegen. Falls Sie sich nicht mehr erinnern sollten, aber das dürfte ja kaum der Fall sein, dann erkundigen wir uns in der Bar. Der Kellner und möglicherweise der Geschäftsführer werden es noch wissen. Schließlich wurden Sie beide nicht in einem leeren Hause festgenommen.“
Überraschend schnell erwiderte Koschinski: „Wir saßen an dem kleinen Tisch rechts außen. Das heißt, nicht gleich von Anfang an. Ich war nämlich zuerst da. Später tauchte der andere auf, dieser de Jong, wie Sie sagen. Er setzte sich unaufgefordert an meinen Tisch. Und wir kamen, wie das so ist, ins Gespräch.“
„Und dabei ging es um Heroin“, warf Olsen ein.
„Absolut vorbeigeschossen, Herr Hauptkommissar. Wir sprachen hauptsächlich, wie Sie sich vielleicht denken können und wie das unter alleinstehenden Männern in einer Bar üblich ist, von der Hauptnummer des Programms, von der großen Entkleidungsszene des Balletts.“
„Wie spät war es da? Übrigens, woher wussten Sie denn, dass de Jong ein alleinstehender Mann ist?“, fragte der Hauptkommissar nicht ohne Ironie. „Ja, woher?“ Es war gewissermaßen nebenher gesagt, es klang beinahe wie eine Verlegenheitsfrage, als sollte eine Pause ausgefüllt werden. Denn Olsen kramte wieder mit gesenktem Kopf in seiner Schublade. Als Koschinski nicht sofort antwortete, hob der Hauptkommissar den Kopf und blickte ihn fragend an. Ihm schien, als sei der plötzlich zerfahren, nervös. Koschinski rieb sich sein Kinn mit den inzwischen gesprossenen Bartstoppeln.
„Lassen Sie mich nachdenken“, antwortete er jetzt gedehnt.
„Aber ja. Sagen Sie nur ungefähr, wann es war. Kommt nicht auf die Minute an. Es ist nicht allzu wichtig.“
„Der andere kam etwa gegen Mitternacht, oder auch ein wenig später.“
„Wird er uns sicher sagen können. Aber wann betraten Sie die Kakadu-Bar?“
Diesmal brauchte Koschinski keine Zeit zum Überlegen. Während er einen am Mittelfinger steckenden klobigen goldfarbenen Ring spielerisch drehte, sagte er sofort: „Ich kam etwa zwischen zwanzig Uhr dreißig und einundzwanzig Uhr. Auf keinen Fall später.“
„Ist das nicht reichlich früh für die Kakadu-Bar?“
„Wie man’s nimmt“, erwiderte Koschinski salopp. „Eigentlich ja. Das richtige Programm beginnt erst um zweiundzwanzig Uhr. Aber ich wollte einen guten Platz haben. Es war kurz nach Programmwechsel, und man hatte mir gesagt, es sei große Klasse. Man müsse zeitig hingehen.“ Koschinski lächelte. „Sie verstehen.“
„Dass es kein guter Platz war, weil ziemlich außen und am Rand, darüber sind wir uns wohl einig.
Oder waren die guten Plätze schon alle besetzt, als Sie dort eintrafen?“
Koschinski versuchte in der Miene des Hautkommissars zu lesen, sah aber nur dessen unbewegtes, nahezu unbeteiligtes Gesicht.
„Was hat das alles mit dieser Sache zu tun?“, sagte er aufgebracht. „Ich kann mir in jeder Bar einen Platz aussuchen, der mir gefällt. Oder etwa nicht?“
„Können Sie. Niemand hat etwas dagegen. Sie können sich auch in der Kakadu-Bar die zweite Vorstellung ansehen, die, wie ich weiß, gegen ein Uhr nachts beginnt.“
„Also bitte“, antwortete Koschinski zufrieden.
„Ich bin ganz Ihrer Meinung“, erwiderte der Hauptkommissar friedfertig. Dann änderte sich sein Tonfall. Seine Stimme nahm an Lautstärke zu. „Aber wenn Sie schon seit einundzwanzig Uhr beziehungsweise noch früher anwesend waren und so lange an Ihrem Tisch einen Platz frei hielten, wie ich annehmen muss - und was ebenfalls nachgeprüft werden kann -, dann ziehe ich die Schlussfolgerung, dass Sie auf de Jong gewartet haben. Möglicherweise länger als vorgesehen und verabredet. De Jong hatte sich vielleicht aus irgendeinem Grund verspätet. War es so?“
Olsen beugte sich, gespannt auf die Antwort Koschinskis, nach vorn.
„Darf ich rauchen?“, fragte der schnell. Er tastete dabei schon seine Taschen ab und zog ein zerknittertes Zigarettenpäckchen hervor.
„Bei uns wird nicht geraucht“, wehrte der Hauptkommissar ab. „Sie bekommen nachher noch Gelegenheit zum Rauchen. Beantworten Sie jetzt bitte meine Fragen!“ Abwartend lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. Koschinski schob ohne Protest das Zigarettenpäckchen zurück und sagte nebenher: „Ihre Anschuldigung steht auf schwachen Füßen. Das alles passt vielleicht in Ihre Theorie, Hauptkommissar. Es beweist absolut nichts, und das wissen Sie auch. Diesen de Jong, ich sage es noch einmal, habe ich zum ersten Mal gesehen.“
„In der Bar, möglich. Und vorher?“
Eine Antwort auf diese Frage, die Koschinski sichtlich unbehaglich zu sein schien, unterblieb. In diesem Augenblick läutete das Telefon. Sollte das schon Schulzendorfer sein? Hatte Frans de Jong inzwischen ausgepackt? Olsen hob langsam den Hörer ab.
„Ja“, meldete er sich mit verhaltener Stimme. Zu seiner Enttäuschung war am anderen Ende Polizeirat Mertens. „Moment“, sagte Olsen. „Ich stelle um auf den Apparat im Nebenzimmer.“ Der Hauptkommissar ließ die Verbindungstür einen Spalt offen, durch den er Koschinski beobachten konnte.
„Wie sieht es aus, Olsen? Es ist gleich siebzehn Uhr.“ Die Stimme des Polizeirats klang ungehalten.
„Ich weiß“, antworte Olsen ungerührt, mit leiser Stimme. „Tut mir leid, aber wir sehen noch nicht völlig klar. Koschinski streitet alles ab. Es sei denn, Möllers Leute kommen mit dem Decksmann, diesem de Jong, weiter.“
Der Polizeirat räusperte sich. „Ist etwas an der Sache dran, Olsen? Ich meine, reicht es aus, dass wir Koschinski hierbehalten, um ihn dem Haftrichter vorzuführen? Denken Sie an die Frist, die eingehalten werden muss.“
„Ich weiß es nicht. Noch nicht. Mein Gefühl sagt ja. Koschinski ist aalglatt. Er kennt selbstverständlich sehr genau die Gesetze, die Strafprozessordnung und so weiter. Kein Wunder.“
„Gefühle wollen wir aus dem Spiel lassen, Olsen. Wenn an der Sache was dran ist, aber nicht ganz ausreichend - Sie verstehen, was ich meine, dann sollten wir uns seine Vorführung beim Haftrichter ersparen.“
„Noch reicht es nicht aus. Aber das kann sich ändern“, murmelte Hautkommissar Olsen.