Rache aus zweiter Hand - Peter Schlifka - E-Book

Rache aus zweiter Hand E-Book

Peter Schlifka

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Beschreibung

Eine Frau wird vergewaltigt, sie und ihr ungeborenes Kind ermordet. Ihr Ehemann verletzt. Die Polizei kennt die Täter, kann ihrer aber nicht habhaft werden, da diese sich ins Ausland abgesetzt haben. Die Polizei ist machtlos. Völlig verzweifelt sinnt der Mann auf Rache. Eine Organisation tritt an ihn heran, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Straftäter zu verfolgen, die durch die Justiz nicht belangt werden können, oder wo ein ausreichendes Strafmaß gesetzlich nicht möglich ist. Ziel der Organisation ist es Menschen zu helfen, die begangenes Unrecht nicht auf sich beruhen lassen wollen. Der Mann sagt zu! Die Handlung des Buches, sowie alle Personen, deren Taten und Äußerungen sind frei erfunden. Dieses Buch hat auch nicht die Absicht bestimmte Personen oder Personengruppen zu diskriminieren, sondern will aufzeigen, wozu Menschen fähig sein könnten, wenn ihnen furchtbares Leid angetan wird. Das Rechtsystem in der demokratischen Welt lässt der Selbstjustiz keinen Raum und das ist auch gut so. Aber es sollte alle Möglichkeiten der Strafverfolgung ausnutzen, nicht nur um Verbrecher zu bestrafen, sondern auch um die Menschen vor ihnen zu schützen. Denn was wäre wenn…

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Seitenzahl: 316

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Peter Schlifka

Racheaus zweiter Hand

Thriller

Anmerkung :

Die Handlung des Buches, sowie alle Personen, deren Taten und Äußerungen sind frei erfunden. Dieses Buch hat auch nicht die Absicht bestimmte Personen oder Personengruppen zu diskriminieren, sondern will aufzeigen, wozu Menschen fähig sein könnten, wenn ihnen furchtbares Leid angetan wird.

Das Rechtsystem in der demokratischen Welt lässt der Selbstjustiz keinen Raum und das ist auch gut so.

Aber es sollte alle Möglichkeiten der Strafverfolgung ausnutzen, nicht nur um Verbrecher zu bestrafen, sondern auch um die Menschen vor ihnen zu schützen.

Denn was wäre wenn…

© 2022 Peter Schlifka

ISBN Softcover: 978-3-347-59817-1

ISBN Hardcover: 978-3-347-59818-8

ISBN E-Book: 978-3-347-59819-5

Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Auge um Auge, Zahn um Zahn(Altes Testament, 2. Buch Mose 21,24)

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Artikel 20, Absatz 3)

Wer nach Rache strebt, hält seine eigenen Wunden offen.(Francis Bacon, englischer Philosoph)

Autobahn A 24 Berlin-Hamburg

Auf der Autobahn fuhren im Sekundentakt die großen Laster vorbei in Richtung Norden.

Die Reifen erzeugten ein zischendes Geräusch auf dem Asphalt und gelegentlich war ein ungeduldiges Hupen zu hören, wenn ein Fahrzeug einem anderen nicht schnell genug an dieser Kolonne vorbeifuhr.

Alle hatten es eilig an diesen ersten warmen Frühlingstagen. Der Himmel ringsherum war blau. Nur am Horizont zeigten sich vereinzelte Federwolken.

Die Landschaft, die von der Autobahn wie mit einem Messer durchschnitten war, lag flach und mit erstem Grün bedeckt vor den fahrenden Autos.

Die drei Männer, die unter der Autobahnbrücke lagerten hatten keinen Blick dafür übrig. Weder für die Landschaft, noch für die vorbei rasenden Fahrzeuge. Ein Stück von ihnen entfernt, auf dem Randstreifen standen zwei Autos. Ein 5 er BMW und ein VW GTI. Beim BMW war die Motorhaube hochgeklappt. Die Männer sahen irgendwie uniformiert aus, mit ihren schwarzen, wie gegeelt wirkenden Haaren und den kurz gehaltenen Vollbärten. Auch ihre Bekleidung, Lederjacke und weißes Shirt trugen zu diesem Eindruck bei.

„Scheißidee das. Es ist saukalt und außerdem stinklangweilig.“ Der etwa zwanzigjährige Mann stand auf und schlang die Arme um seinen dürr wirkenden Körper.

Sein schmales Gesicht verzog sich verärgert. Seine fettigen schwarzen Haare lagen wie angeklatscht auf seinen Kopf und der schmale Schnurrbart unter seiner, vermutlich bereits mehrfach gebrochenen Nase, sah aus wie angeklebt.

„Halt endlich die Klappe Ali, hier trink einen Schluck dann wird dir warm.“

Der große, stämmige, trug eine randlose Brille. Er erhob sich halb aus seiner liegenden Stellung und trank nahm erst selbst einen großen Schluck aus der Wodkaflasche ehe er sie weiterreichte. Der Dürre wehrte ab.

„Du hast keinen Respekt vor Allahs Geboten. In der Hölle wirst du schmoren. Genau wie Mahmoud. Der isst sogar Schwein.“ Der Dürre schüttelte sich vor Abscheu.

„Und warum bist du dann mit uns zusammen?“ lachte der Stämmige.

„Ihr seid meine Freunde, seid Familie. Ich werde euch schon auf den Pfad Allahs zurückbringen. Das ist dann eine gute Tat, sagt der Mullah.“

Der Stämmige lachte schallend.

„Aber in einem hast du Recht, es ist stinklangweilig. Wir wollten doch auf unserer Fahrt ein paar Weiber aufreißen. Wie weit wollen wir denn noch fahren?“, wandte er sich an den dritten Mann.

„Genau“, warf der Dürre ein. „Außerdem wollten wir unterwegs unsere Kasse aufbessern. Außerdem wenn wir hier noch lange halten, haben uns die Bullen am Arsch.“

Mit den letzten Worten wandte er sich an den Dritten. Dieser schnippte seine Zigarettenkippe in Richtung Autobahn und stand langsam auf.

Er war deutlich kleiner als die beiden anderen und hatte mit seinen schwarzen Haaren und der stämmigen Gestalt eine entfernte Ähnlichkeit mit dem ersten Mann. Nur war er offensichtlich etliche Jahre älter.

„Die Bullen können uns mal. Wir haben eine Panne. Na und? Außerdem haben wir einen Migrationshintergrund, wie das jetzt so schön heißt. Das gibt Pluspunkte.“ Er grinste hinterhältig.

„Die Deutschen wissen gar nicht, wie blöd sie sind. Du musst Ausländer sein, oder schwul, behindert, am besten alles zusammen. Dann lebt man hier auf Staatskosten. Aber eigentlich sind wir ja Deutsche, wir sind hier geboren. Nicht einmal richtig türkisch reden können wir.“

„Mir hat mal jemand gesagt, eine Ratte die in einem Pferdestall geboren wurde, ist nicht automatisch ein Pferd, sagte Amir kopfschüttelnd. „Dem habe ich es aber gegeben. Acht Wochen lag er im Krankenhaus. Die Narben vom meinem Messer hat er heute noch. Von wegen Ratte. Leider wollte der Richter von Notwehr nichts wissen…immerhin kam ich mit 20 Stunden sozialer Arbeit davon. Da bin ich aber nicht oft hingegangen.“

„Dafür kann deine Großmutter kein Deutsch, obwohl sie schon mehr als vierzig Jahren hier lebt“, warf der Stämmige lachend ein. „Und wenn du es genau wissen willst, wir sind Türken und werden es immer bleiben, mit oder ohne deutschen Pass.“

Die beiden anderen nickten beifällig.

Amir war trotzdem nicht zufrieden.

„Was wollen wir nun hier?“

„Halts Maul Amir“, entgegnete Mahmoud unwirsch. Ihr wisst genau, dass wir uns in der näheren Umgebung nichts mehr leisten können. Deshalb doch unsere Ausfahrt. Weg von Berlin, weg von Neukölln. Wieder mal andere Luft schnuppern. Da wo uns keiner kennt. In zwei Stunden wird es dunkel. Bis dahin sind wir in Hamburg. Wir knacken den einen oder anderen Kiosk, schnappen uns das Bargeld, Schnaps und Zigaretten und, mal sehen, vielleicht finden wir das eine oder andere Püppchen.“ Er grinste und entblößte dabei eine Reihe Zähne denen der mittlere obere Schneidezahn fehlte.

„He, was soll das denn wieder?“ Seine Worte galten Ali.

„Du kannst es einfach nicht lassen, Ali?“

Dieser stand mit einer Sprayflasche in der Hand am Brückenpfeiler und sprayte mit grüner Farbe - Allah il Allah - an die Mauer.

„Ich verewige mich nun einmal gerne“ kicherte er und beendete den letzten Buchstaben mit kühnem Schwung. „Außerdem kann man das den Ungläubigen nicht oft genug sagen.“

„Du hättest die Koranschule besuchen und Vorbeter werden sollen“, herrschte der Ältere seinen Kumpan an.

„Los jetzt, wir fahren.“

Sein befehlsgewohntes Auftreten verriet, dass er der Anführer der Bande war.

Dem entsprechend folgenden ihm die beiden anderen zwar murrend, aber gehorsam.

„Ich fahre jetzt!“ Amir stellte sich herausfordernd vor dem BMW.

„Hast Du das gehört, Ali?“ Der Anführer wandte sich an den anderen. Dieser rückte wortlos an seiner Brille herum, fiel aber pflichtschuldigst in dessen lautes Lachen ein.

Dann wandte sich der Wortführer an den Stämmigen.

„Du spinnst wohl! Hab ich jemals jemanden mit meiner Karre fahren lassen? Außerdem bist Du sowieso die Fleppen los. Steig jetzt bei Ali ein, Amir, und mach keine Zicken.“

„Aber Du bist mein Cousin. Bitte Mahmoud, nur eine Weile!“

„Nenn mich nicht immer Mahmoud, für dich bin ich der Boss, genau wie für die anderen. Ob Cousin oder nicht.“ Der Boss warf die Motorhaube runter, setzte sich in den BMW und startete den Motor.

„Nun macht schon. Amir du fährst mit Ali. Nächste Ausfahrt für uns ist Hamburg. Wie besprochen Ausfahrt Hamburg- Stillhorn. Das sind nur noch knapp zweihundert Kilometer. Man sieht sich Leute“

Mit durchdrehenden Reifen und ohne sich um das Hupen der Autofahrer zu kümmern, schwang der Boss seinen schweren Wagen in den Sicherheitsabstand zwischen zwei Fahrzeuge, wechselte auf die Überholspur und raste davon.

„Den holen wir nie wieder ein.“ Amir sah seinem Cousin trübsinnig hinterher.

„Was sollen wir eigentlich in Hamburg? Hat er Dir was Genaueres erzählt?“

„Der Boss schweigt sich gerne aus“ Ali öffnete die Fahrertür seinen Volkswagen. „Frag nicht so viel, er weiß schon was er will. Und Du weißt, er wartet nicht gerne. Also komm.“

Er stieg ein, wartete bis der Jüngere auf dem Beifahrersitz angeschnallt war und nutze eine Lücke im Verkehr um auf die Autobahn zu kommen.

*

Hamburg

Die Stadt kam langsam zur Ruhe. Es war zwar noch hell, aber bereits kühl genug um die letzten Spaziergänger aus dem Stadtpark zu vertreiben. Zuerst verschwanden die jungen Frauen mit ihren Kinderwagen und selbst die hartnäckigsten Sonnenanbeter gaben langsam auf.

Nur hier und da führte noch jemand seinen Hund über die weit verschlungenen Parkwege.

Restaurant Parkaue stand auf dem Schild über den Eingang, der mitten im Park gelegenen Gaststätte. Wobei das Attribut Gaststätte für dieses Etablissement reichlich übertrieben war.

Es handelte sich eher um einen größeren Kiosk mit Biergarten, beides sah schon reichlich heruntergekommen aus.

Die Holzhütte hätte schon lange einen neuen Anstrich gebraucht. Die Glasscheibe des Kastens, in dem eigentlich eine Speisekarte hängen sollte, war zerschlage und etliche der Laternen im Biergarten waren längst zur Zielscheibe Zerstörungswütiger geworden.

Auch die Tische und Klappstühle im Biergarten sahen aus, als wenn sie schon seit Jahrzehnten ihren Dienst taten.

Alles das schien den untersetzten, kräftig wirkenden Mann mit nicht zu stören. Hingebungsvoll scheuerte er mit einem, nicht mehr sehr sauberen Lappen die Tische im Biergarten, von denen nur noch zwei besetzt waren. Aber das war an einen Donnerstagabend nicht anders zu erwarten. Ab Morgen und übers Wochenende würde das schon anders aussehen, sofern das gute Wetter anhielt.

„He, Paule! Bring uns noch zwei Helle und für mich einen Kurzen und für Helga einen…na du weißt schon. Irgendwas Süßes für meine Helga.“ Der Mann lachte meckernd.

Der, Paule genannte, Wirt seufzte auf und wies auf das Schild neben dem Eingang. Oktober bis Mai bis 18.00 Uhr geöffnet. Wie zum Beweis erklangen aus der Ferne sechs Glockenschläge.

„Feierabend. Ich komme gleich abkassieren.“

Der junge Mann am Nebentisch trank hastig sein Bierglas aus und zückte seine Geldbörse. Paule nahm ihm das Geld für das eine Bier ab, an dem sich der junge Mann seit einer Stunde festgehalten hatte. Solche Gäste liebe ich, dachte Paule. Stundenlang auf den Laptop rumklimpern, aber kaum was trinken. Trinkgeld ist auch keins zu erwarten.

„Mensch Paule“, dröhnte der Mann mit dem meckernden Lachen. Ich denke, du bringst uns noch was, damit mein Engel so richtig in Fahrt kommt.“ Wieder ertönte das meckernde Lachen. Paule antwortete nicht, sondern legte wortlos den Kassenbon auf den Tisch und nahm, ebenso wortlos das Geld entgegen. Immerhin war diesmal ein, wenn auch kleines, Trinkgeld dabei.

„Mann, Mann, Mann Paule. Seit du keinen Gehilfen mehr hast bist du völlig überarbeitet“.

Jetzt kam doch Leben in den Wirt.

„Hör mir auf mit dem Kümmeltürken. Hat sich gedrückt wo er konnte. Ramadan hier, Mittagsgebet dort. Dabei hat der nicht mal an seinen Allah geglaubt. Hat gesoffen wie ein Loch und mehr Bratwürste verdrückt als verkauft. Ich war froh ihn wieder loszuwerden. Dabei hat er mich dann auch noch beklaut. Fünfzig Euro aus der Kasse. Weg“.

„Warum stellst du keinen Neuen ein?“

Der Wirt machte eine wegwerfende Geste. „Will doch keiner mehr arbeiten heutzutage. Und einen Muselmanen hole ich mir nicht noch einmal auf den Hals.“

„Nun übertreib mal nicht, Paul. Als ich noch in meiner Bude malocht habe, kannte ich auch ein paar von denen. Die waren gar nicht so übel und haben gearbeitet wie alle anderen auch. Meist noch besser.“

„Dir gegenüber wird das denen nicht schwergefallen sein“, winkte der Wirt ab. Der Gast lachte nur.

„Na dann, bis Morgen, Paule.“

Den Arm um seine Helga gelegt, zog der Mann leicht schlingernd ab.

Endlich, dachte der Wirt. Andererseits sind das die Stammkunden, von denen ich lebe. Er sicherte die Stühle seines Biergartens mit Ketten an den Tischen und zog sich dann in seinen Kiosk zurück. Hier gab es immerhin noch einen Tresen mit Bierhahn, drei Tische mit Stühlen und zwei Stehtische. Im Nebenraum, eigentlich mehr eine Abstellkammer, stand ein alter Schreibtisch neben einem Schrank mit Aktenordnern und einem Regal an der Wand, auf der eine Mikrowelle ihr Dasein fristete. Aber dieses Gerät, war die Ursache, dass er seinen Ausschank Restaurant nannte. Damit machte er die Bockwurst und die Buletten warm, die außer Brot und Kartoffelsalat, auf der Speisekarte standen.

Hier drin gab es nicht mehr viel für ihn zu erledigen. Er nahm aus der Kasse die Einnahmen des heutigen Tages, Dank des schönen Wetters, fast zweihundert Euro. Wie fast jeden Tag legte er das Geld in eine eiserne Kassette, deren Schlüssel er sorgsam in seiner Geldbörse barg. Die Kassette wiederum stellte er in die Mikrowelle. Ein Versteck von dem er annahm, dass niemand außer ihm davon wusste. Ein kurzer Blick in die Runde, dann verließ er den Kiosk, schloss die Tür ab und fuhr mit seinem Fahrrad in die zunehmende Dunkelheit.

*

Hamburg

Inzwischen war es richtig dunkel geworden. Niemand beachtete die drei Männer, die rauchend auf einer Parkbank in der Nähe des Restaurants „Parkaue“ saßen.

„Der Alte ist endlich weg. Wir warten noch ein paar Minuten, vielleicht hat er ja was vergessen und kommt noch einmal zurück, dann gehen wir rein.“

Mahmoud schnippte seinen Zigarettenstummel im hohen Bogen auf den Parkweg.

„Wie bist du denn auf den Laden gekommen, Mah…eh Boss?“

„Ihr wisst doch, wir, also meine Eltern und Geschwister, haben mal in Hamburg gewohnt. Mein Alter hat damals auf der Werft malocht. Schön blöd gewesen der Alte“, er lachte verächtlich auf.

Ali schaute verwundert auf.

„Und wie ist er so schnell reich geworden? Ihr habt doch dutzende von Geschäften in Berlin.“

Mahmoud grinste selbstgefällig.

„Er hat sich mit seinem Bruder in Frankfurt am Main zusammengetan. Sie machen Geschäfte.“ Mahmoud unterbrach sich und fuhr ihn an:

„Aber das geht dich nichts an.“

„Ja. Ist ja schon gut. Aber was hat das mit dem Laden hier zu tun?“ Ali konnte vor Aufregung nicht stillsitzen.

Na, ich habe mir damals hier als Aushilfe ein paar Piepen verdient und nebenbei das eine oder andere abgezweigt. Bis mir der Wirt auf die Schliche gekommen ist.“

„Er hat dich rausgeschmissen stimmt’s?“ Amir schrie fast vor Schadenfreude.

Mahmoud sah ihn finster an. „Ja, und dafür wird er jetzt büßen. Ich weiß wo er das Geld versteckt.“

Ali mischte sich ein. „Viel kann im Laufe eines Tages nicht rumkommen. Das lohnt sich bestimmt nicht“, zweifelte er.

„Das glaubst du.“ Mahmoud reckte sich genüsslich. „Wenn der Alte sich nicht sehr geändert hat, liegen dort die Tageseinnahmen der ganzen Woche. Der Alte ist nämlich faul. Bis zur Bank ist es weit, und da er sowieso täglich Wechselgeld braucht, versteckt er die Scheinchen bis Freitagabend im Laden. Und welchen Tag haben wir heute?“, legte er verschmitzt nach. Er stand auf und reckte sich.

„Na?“

„Donnerstag!“, antworteten Ali und Amir wie aus einem Munde.

„Ok, los jetzt.“ Mahmoud, wieder ganz der große Boss, erteilte seine Befehle.

„Amir, die Lampe“, sagte er und zeigte auf die einzige noch intakte Straßenlaterne unmittelbar am Eingang zum Biergarten. Amir verstand sofort, suchte sich einen Stein und klirrend senkte sich die Dunkelheit über den Kiosk und den Biergarten.

„Zieht euch die Handschuhe an und wartet hier, falls jemand kommt, gebt ihr mir ein Zeichen.“ Mahmoud schaute sich noch einmal um und ging gemächlich auf den Kiosk zu.

Kaum zwei Minuten später rief er halblaut.

„Los kommt.“

Zu dritt standen sie im Schankraum des Kioskes und sahen sich im Schein von Mahmouds Taschenlampe um.

„Und wo ist nun die Kohle“, fragte Ali ungeduldig.

„Kohle sehe ich nicht, aber Wodka.“ Amir drehte knackend eine Flasche auf und nahm einen großen Schluck. Ali verdrehte die Augen.

„Still!“ Mahmoud schaltet die Taschenlampe aus. Im Dunkeln, war jetzt überlaut, das aufgeregte Atmen der Männer zu hören.

„Was ist los?“, flüstert Amir.

„Ich glaube ich habe Stimmen gehört.“ Mahmoud schlich auf Zehenspitzen zur Tür. „Da draußen ist jemand.“

Ali schaute vorsichtig aus dem Fenster und lachte halblaut auf.

„Ein Liebespaar. Er versucht sie gerade auf einem Gartentisch flach zu legen, aber sie will anscheinend nicht. Vielleicht sollten wir rausgehen und mithelfen.“

„Ja. Geil. Gehen wir.“ Amir schien die Idee gut zu finden.

Aber der Boss dachte anders darüber. „Erst die Kohle.“

„Sie sind weitergezogen“, ließ sich Ali nach einer Weile vernehmen.

„Wo ist denn nun das große Geld?“

„Nebenan.“ Mahmoud öffnete die Tür zum Nebenraum und zeigte mit großer Geste auf die Mikrowelle. „Dort.“

Die beiden schauten ihn ungläubig an.

„Na los“, ermunterte er sie grinsend.

Ali öffnete die Mikrowelle.

„He“, sagte er, nahm die Geldkassette heraus und wiegte sie abschätzend in der Hand. „Wird schwer aufzukriegen sein.“

Mahmoud grinste immer noch.

„Sag bloß, du weißt auch wo der Schlüssel ist?“

Mahmoud grinste weiter. „Den trägt der Alte mit sich herum. Aber er hat nie herausbekommen, wo der zweite Schlüssel abgeblieben ist. Und da er nicht nur faul, sondern auch geizig ist, hat er sich keine neue Kassette zugelegt.“

Er griff in die Hosentasche und holte den Schlüssel raus.

„Da ist er.“

Amir schüttelte den Kopf.

„Und warum sind wir erst jetzt hergefahren?“

Mahmoud tippte sich bedeutungsvoll an die Stirn. „Weil der Laden im Winter nichts abwirft. Darum. Jetzt gab es die ersten warmen Tage. Es müsste sich also lohnen.“

Ali stellte die Kassette auf den Tresen. „Mach auf.“

Als der Deckel hochklappte beugten sich die drei erwartungsvoll vor. Als erster fand Amir die Sprache wieder.

„Mann, da bekomme ich ja mehr Harz4.“

Mahmoud griff hinein, holt die Handvoll Euros heraus und zählte durch. Viel zu zählen gab es nicht. Dreihundertachzig Euro und ein paar einzelne Münzen.

„Scheiße! Nur das Wechselgeld und die Tageseinnahmen von heute. Der Alte hat seine Gewohnheiten doch gewechselt. Na für das Benzin reicht es.“ Mahmoud steckte die Scheine ein.

" Los wir hauen ab“.

*

HamburgStadtteil Stillhorn

Dunkel war es geworden über den Stadtteil Hamburg-Stillhorn. Dunkel und so still, wie der Name es schon anzeigte.

„Mann, Boss! Hier ist doch nichts los.“ Ali tänzelte ungeduldig hin und her. „Die ganze lange Fahrt für nichts und wieder nichts.“

„Ganz ruhig Ali. Oder musst du pünktlich nach Hause zu deiner Alten ins Bett.“ Wieder lachte Mahmoud meckernd.

Drohend baute Ali sich vor ihm auf.

„Meine Alte habe ich im Griff. Die macht was ich ihr sage. Die ist froh wenn ich überhaupt nach Hause komme. Aber es wäre schön etwas Geld mitzubringen.“

Mahmoud wich keinen Schritt zurück.

„Stimmt ja, deine Aische verdient das Geld. Sie hält dich wohl kurz?“

„Außerdem trägt sie kein Kopftuch. Die Leute reden schon darüber in der Moschee. Du hast sie nicht im Griff.“

„Blödsinn.“

Ali wand sich.

„Sie kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Und ja, sie hat einen guten Job. Mir ist das recht und egal ob sie das Geld mit oder ohne Kopftuch nach Hause bringt.“

Mahmoud lenkte ein.

„Mir ist das alles auch egal. Ich will nur nicht die Fahrt umsonst gemacht haben. Wir fahren in Richtung Blankenese. Da gibt es bestimmt ein paar Läden, die richtig Kohle haben. Tankstellen oder so was.“

Er straffte sich und kehrte wieder den großen Boss heraus.

„Los jetzt.“

Mahmoud stieg in den BMW und winkte aus dem offenen Fenster.

„Fahrt mir nach“, schrie er.

„Na los.“ Ali seufzte und stieg mit Amir ein.

„Halt wieder an!“ Amir schrie es fast heraus. Ali stieg auf die Bremse. „Was ist los, spinnst du?“

„Schnell. Gib dem Boss ein Lichtzeichen, fahr ein paar Meter zurück und mach dann das Licht aus.“ Amir zitterte richtig vor Aufregung.

Mahmoud schien schnell kapiert zu haben, dass etwas nicht stimmte. Er wendete den BMW und hielt neben den Beiden.

„Was soll der Blödsinn? Warum habt ihr angehalten? Hier ist doch nichts.“

Amirs Stimme kam jetzt zischend, stoßweise.

„Da hinten, siehst du den leeren Parkplatz an der Schwimmhalle. Eine Frau…noch jung. Bitte Mahmoud. Du hast versprochen, wir reißen noch ein paar Weiber auf.“

„Die ist doch schwanger“, sagte Mahmoud verächtlich.

„Uns egal, was Ali?“

Ali nickte mit leuchtenden Augen.

„Dann haben die so schöne pralle Titten.“

Mahmoud überlegte kurz. Er war der Boss und musste seinen Männern auch mal was gönnen.

„Ok. Schnappen wir sie uns. Amir du passt auf, dass keiner kommt.“

Amir war empört.

„Ich habe sie zuerst gesehen. Mahmoud, das kannst du nicht machen. Ich will auch dran!“, schrie er fast.

„Ja, Ja. Sollst du auch. Aber einer muss aufpassen. Du bist der jüngste. Also, ich nehme die Frau zuerst, danach Ali. Dann halte ich Wache und du bist dran.“

Amir wollte noch einmal aufbegehren, fügte sich aber schnell Mahmouds finsteren Blick.

„Ok, aber beeilt euch“, murmelte er und sah zu, wie sich Mahmoud und Ali, durch die Büsche, die den Parkplatz umgaben, seitwärts auf die Frau zubewegten. Er bemerkte, wie die Frau immer wieder nervös auf ihre Armbanduhr blickte. Die wartet doch auf jemanden dachte er und schaute sich ängstlich um. Plötzlich sah er, wie Mahmoud und Ali hinter der Frau auftauchten. Mahmoud umschlang mit den Armen den Oberkörper der Frau und hielt ihr den Mund zu. Mehr als ein erstickter Schrei war nicht zu hören. Ali umfasste die Füße der Frau und gemeinsam zerrten sie sie ins Gebüsch.

Amir sah wieder unruhig um sich, konnte aber sein Kopfkino nicht ganz ausschalten. Gespannt lauschte er auf die Geräusche aus dem Gebüsch. Immer wieder drang ein gedämpfter Hilferuf der Frau an sein Ohr. Die schaffen es nicht, die Alte ruhig zu stellen dachte er belustigt. Ob Mahmoud schon fertig war? Amir zitterte jetzt richtig vor Ungeduld. Er stellte sich vor, wie er sich auf den warmen, weichen Körper der Frau…

Amir fuhr herum. Verdammt, jetzt hatte er doch überhört, dass ein Auto auf den Parkplatz der Schwimmhalle fuhr und anhielt. Zu spät um seine Cousins noch zu warnen. Amir duckte sich hinter dem Baum, an dem er stand.

Ein Mann stieg aus dem Auto, schaute sich suchend um. Amir zuckte zusammen. Jetzt ertönte wieder ein gedämpfter Hilferuf der Frau. Der Mann hatte den Ruf auch gehört, denn er zuckte zusammen und stürzte sich in das Gebüsch.

„Scheiße“, murmelte Amir. Zog sein Messer, ein sogenanntes Butterfly, und rannte so schnell er konnte zu Gebüsch. Rasch übersah er die Situation. Ali lag mit heruntergezogener Hose auf dem entblößten Unterleib der Frau, Mahmoud kniete hinter dem Kopf der Frau und hielt ihr abwechselnd die Arme fest und den Mund zu. Allerding schien er sichtlich Mühe damit zu haben. Mahmoud ist also schon fertig, durchfuhr es Amir unnötigerweise. Dann konzentrierte er sich auf den Mann der neben Ali kniete und versuchte diesen von der Frau zu ziehen.

Wie in Zeitlupe sah er wie Mahmoud nach einem Feldstein neben sich griff und ihn dem Mann auf den Kopf schlug. Amir besann sich und stach auf den Mann ein. Dieser rollte zu Seite und blieb reglos liegen. Die Frau wimmerte leise vor sich hin, sah aber mit offenen, angstvollen Augen von einem zum anderen. Mahmoud starrte eine Weile blicklos vor sich hin. Dann raffte er sich auf und schlug übergangslos mit dem Feldstein auf den Kopf der Frau. Einmal. Zweimal.

„Los! Jetzt weg hier“, schrie er, zerrte Ali hoch und rannte in Richtung Straße zu ihren abgestellten Autos. Amir schaute noch einmal auf die beiden reglos daliegenden Gestalten, bevor er sein Messer einklappte und seinen Cousins folgte.

*

HamburgFriedhof Ohlsdorf

Es regnet nicht, es hätte regnen sollen, warum regnet es nicht. Es regnet immer auf Beerdigungen. Der Himmel sollte weinen. Mir fehlten die Tränen.

Der Himmel ist blau, völlig wolkenlos. Das ist selten für diese Gegend.

Es ist auch zu warm für Anfang April. Mein Mantel beengt mich, Der ungewohnte Binder drückt mir die Luft ab.

Was für Gedanken gehen mir nur durch den Kopf. Als wenn es nicht egal wäre wie es mir geht. Das Auto rumpelt auf dem Kopfsteinpflaster.

Ich schaue wieder geradeaus, starre auf den Hinterkopf meines Schwiegervaters und bemerke zum ersten Mal wie alt er geworden ist in den sechs Jahren seit wir uns kennen. Weiß die dünnen Haare, tief gefurcht der Hals.

Wir haben uns nie besonders gemocht. Vielleicht weil ich ihm zu proletarisch war, dem Herrn Postrat AD.

Dabei habe ich studiert, Betriebswirtschaft nur, aber immerhin. Und viel Geld verdient seit meinem Einstieg in das lukrative Geschäft mit Immobilien an der Nordsee und nach dem Mauerfall auch an der Ostsee. Immer mehr Menschen wollen sich am Meer einkaufen. Ob Ferienhaus oder Sommerwohnung, Geld schien genug dazu sein.

Und es fiel ein Teil davon für uns ab, mehr als genug für Miriam und für mich und das Baby.

Meine Gedanken sind schon wieder verworren. Es wird kein Baby geben. Es gibt auch Miriam nicht mehr. Nur noch mich und meine Gedanken.

Schwiegermutter berührt leicht meine Hand. „Wie geht es dir Junge?“

Dabei meint sie eigentlich: Wirst du es durchstehen?

Sie hat sich um alles allein gekümmert. Genau so effizient wie sie seit über fünfzig Jahren den Haushalt des Herrn Postrates führt, hat sie die Beerdigung arrangiert. Alles was notwendig war hat sie erledigt. Aufrecht, ruhig und besonnen wie immer. Nur ihre Augen sind rotgerändert und umschattet. Ein herzliches Verhältnis hatte ich auch zu Ihr nicht. Immerhin hatte sie es soweit gebracht, dass ich Mutter zu ihr sage. Da war sie hartnäckig, stur eben wie die Menschen hier so sind. Was sich gehört, muss eben sein.

Ich habe mich gefügt, Miriams wegen und um des lieben Friedens willen. Das „Mutter“ kam mir anfangs ja auch schwer von den Lippen.

Wenigstens wurde nicht verlangt, dass ich Richard mit Vater anrede.

Richard nannte ich ihn auch nur im Gespräch mit Miriam. Bei ihm habe ich eine Anrede stets vermieden. Er übrigens auch. Ohne Titel war ich ihm wohl nicht gut genug. Er hat es nie verwunden, dass Miriam mich dem Sohn seines Amtsbruders aus Bremen vorgezogen hat. Der war Zahnklempner und Doktor.

Meine Miriam. Ich habe es bis heute nicht kapiert, was sie an mir besonderes gesehen hat.

Ich war gerade zwei Monate in Hamburg und damit begonnen mich an die neue Umgebung und den selbstständigen Job in der Immobilienbranche zu gewöhnen.

Ein großer Kneipengänger war ich nie. Eher der bodenständische Familienmensch. Aber an diesen Abend fiel mir die Decke auf den Kopf.

Ich klappte also meinen Laptop zu und beschloss mich in der Umgebung umzusehen.

Irgendein nettes Lokal schwebte mir vor, wo ich in Ruhe gelegentlich ein Glas Wein trinken und nebenher am Laptop arbeiten konnte.

Damals wohnte ich in der Nähe des Kaiserhafens. Die Gaststätte hieß Back Yard und entpuppte sich als gemütliches Restaurant mit einer recht ansehnlichen Speisekarte, schneller Bedienung und ruhigen Gästen.

Sie lag gleich neben dem St. Joseph Hospital und damals ahnte ich nicht, dass das was hier so wunderbar beginnen sollte, hier auch enden würde.

Ich gewöhnte mir an, zweimal in der Woche dort den Abend zu verbringen.

Bereits in der zweiten Woche sah ich sie. Groß, schlank, wunderbare, wohlgeformte Beine die kein Ende zu nehmen schienen, blonde Locken. Ein Traum, mein Traum. Ich war chancenlos, das war mir von vorne herein klar.

Es hatte keinen Sinn es auch nur zu probieren. Schon gar nicht als ich bemerkte, wie sie nonchalant über einen Annäherungsversuch eines mutigen Jünglings hinweg ging. Aber träumen, träumen und anschauen das erlaubte ich mir. Sie war schon ein besonderer Anblick.

Sie kam jeden Donnerstag, setzte sich auf ihren Platz an der Tür, trank zwei Glas Wein und las in einen Buch.

Ich saß in meiner Ecke, trank meinen Wein und schaute kaum noch auf den Monitor.

Ehe ich es mir versah war ich bis über beide Ohren verliebt. Ich konnte den Blick nicht abwenden und schmiedete verrückte Pläne sie kennen zu lernen, die ich einen nach dem anderen wieder verwarf.

Am vierten oder fünften Donnerstag ging sie an ihren Tisch vorüber und direkt auf mich zu.

Setzte sich und fragte:

„Woran arbeitest Du da seit Wochen“

Vier Monate später waren wir verheiratet. Viel zu schnell fanden ihre Eltern, aber auch alle anderen die wir kannten. Uns konnte es nicht schnell genug gehen. Nur ein Kind ließ auf sich warten. Miriam, die Lehrerin an der Gesamtschule war, mochte Kinder sehr und wünschte sich gleich drei Kinder. Ich erinnere mich noch genau an den Abend vor fünf Monaten. Wir kannten uns jetzt schon über sechs Jahre. Doch als ich an diesen Abend nach Hause kam sah Miriam aus wie immer. Wunderschön wie ich nach wie vor fand. Und doch war plötzlich alles anders.

„Du musst das Gästezimmer ausräumen und renovieren“, sagte sie.

Ich Trottel begriff nicht gleich was sie damit sagen wollte. Unser Glück war vollkommen.

Schwiegervaters Renault holperte über eine Bodenwelle und ich fühlte wieder die Hand meiner Schwiegermutter. Sie hielt mir ein Taschentuch hin und ich merkte jetzt erst wie mir die Tränen nun doch die Erinnerungen aus dem Gehirn schwemmten.

Verschwommen sah ich, dass wir durch die Einfahrt des Friedhofes fuhren.

„Fahr bis zum Ende des Parkplatzes, wir haben noch Zeit, Richard“ gebot sie.

Und zu mir:

“Wir werden es gemeinsam durchstehen“.

Ich begann die Fassung wieder zu finden und trocknete mein Gesicht.

Richard hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt. Nicht nur heute. Seit er vom Tod seiner einzigen Tochter wusste hatte er nicht mehr das Wort an mich gerichtet.

Ich begriff, dass er mir die Schuld an Miriams Tod gab. Aber diese Schuld gab ich mir schon selber. Regelmäßig hatte ich Miriam an den Freitagabenden von der Schwimmhalle abgeholt, an diesem einen Tag hatte ich es versäumt rechtzeitig loszufahren. Ich verfluchte mich dafür, suchte die Schuld bei allen und jeden, konnte aber doch nichts anderes tun als mir einzugestehen, dass ich wegen meiner Nachlässigkeit alles verloren habe.

Richard drehte sich zu mir um. Jetzt kommt es, dachte ich, jetzt wird er mich anklagen, verfluchen, vielleicht auch schlagen. Zu recht. Doch er sah mich nur an und erstaunt bemerkte ich wie seine Augen in Tränen schwammen.

„Lasst uns gehen“ sagte er.

In diesem Moment begriff ich, dass er nicht anders fühlte als ich, dass er mit seiner Trauer kämpfte, sie nur nicht nach außen dringen lassen wollte.

Wir sahen uns stumm an. Dann nickte ich und stieg aus.

Vor uns breitete sich der Friedhof mit seinen regelmäßigen Reihen von Grabsteinen aus. Wie oft bin ich hier vorbeigefahren, ohne einen Blick darauf zu werfen und ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden wie viele

menschliche Schicksale hier begraben sind. Ich wusste auch, dass sich das Familiengrab meiner Schwiegereltern hier befand, aber weder Miriam noch ich hatten uns je darum gekümmert. Wir hatten uns mit der Zukunft beschäftigt, nicht mit Gedanken an Tod und Trennung.

Beim Aussteigen stieß ich schmerzhaft mit der Schulter gegen den Türholm und konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Da war sie wieder die Wunde. Nur ein sauberer Stich in den Oberarmmuskel, kein Knochen, keine Sehnen verletzt. Glück gehabt, wie der behandelnde Arzt im Krankenhaus sagte. Glück gehabt?

Ist es Glück, wenn man hilflos zusehen muss wie diese Tiere über Miriam herfielen. Der Schlag auf den Kopf war mir wie eine Gnade erschienen.

„Mein aufrichtiges Beileid“.

Pfarrer Friedrich nahm meine Rechte in beide Hände und schaute mir mitfühlend ins Gesicht. Dann wies er mit einer Geste auf die offene Tür der Kapelle. „Bitte, kommen sie, es ist alles bereit“

Bereit? Ich war nicht bereit. An der Türschwelle blieb ich stehen, drehte mich um und sah wie hilfesuchend über den Friedhof. Das erste frische Grün leuchtete in der Sonne, die Vögel sangen. Das Ertönen der Glocke störte das Bild. Dieser sonst friedvolle Ton, der an anderen Tagen zum Alltag gehörte, erschien mir jetzt unheilvoll und grausam. Die Menschen an den Gräbern schienen ähnlich zu empfinden. Sie streckten die gebeugten Rücken und schauten herüber.

Wie gerne würde ich jetzt dort bei ihnen sein.

„Bitte“

Die leise Stimme des Pfarrers drang an mein Ohr.

Jetzt musste ich mich umdrehen, konnte es nicht länger hinauszögern. Ich wollte den Sarg nicht sehen. Mir nicht vorstellen wie Miriam dort drin lag. Der Gedanke war unerträglich.

Da stand er auf seinen Katafalk, von Blumengebinden, Sträußen und Kränzen bedeckt. Hinter mir knarrte die Kapellentür. Dumpf schlug die Tür ins Schloss.

Ich zuckte zusammen. Es erschien mir alles so unwirklich, wie in einem Traum schien sich die Zeit zu verlangsamen.

Hell war er, der Sarg, freundliches helles Holz mit einer schönen Maserung. Nur die Form war es die erschreckte und der Gedanke, dass darin jemand liegt.

Ich sah den Sarg jetzt zum ersten Mal –und zum letzten Mal - kam mir in den Sinn.

Die Schwiegereltern hatten sich um alles gekümmert, alle Formalitäten erledigt.

Anders als ich wussten sie wohl was zu tun ist.

Erst jetzt spürte ich, dass die Augen aller Trauergäste auf mich gerichtet waren.

Leise Orgelmusik füllte den Raum.

„Lasset uns beten“

Wieder war es die sanfte Stimme des Pfarrers die mich vorwärtsschob an die Seite meiner Schwiegermutter.

Füßescharrend erhoben sich die Trauergäste. Das Gebet hörte ich wie durch Watte. Aus weiter Ferne drang undeutlich die Stimme des Pfarrers und die murmelnden Wiederholungen der Betenden zu mir durch. Irgendwann merke ich dass ich saß. Wieder erklang Musik und wieder hörte ich undeutlich die Stimme des Pfarrers. Ich fühlte mehr als dass ich sie sah, die mitleidig auf mich gerichteten Blicke. Den direkten Blick auf den Sarg vermied ich. Mein Blick fraß sich

fest am Aufdruck einer Kranzschleife. „Ruhe in Frieden“ Dieser Worte kreisten unaufhörlich in meinen Kopf. In Frieden ruhen. Ruhen. Frieden.

Wieder stand ich mechanisch mit den Anderen auf um die Hände zum Gebet zu falten. Irgendwann endlich öffneten sich die Türflügel der Kapelle. Die Sonne flutete in dichten Schwaden herein und erwärmte das klamme Innere. Die Menschen strömten hinaus zum Licht. Weg vom Tod hin zum Leben. Hier und da sah ich in wie erlöst wirkende Gesichter, die sich schamhaft von mir abwandten. Auch für mich war es wie eine Erlösung, hinauszutreten, die klare Luft zu atmen. Dabei wusste ich, dass mir das Schlimmste noch bevorstand

Ich schaute hinüber zu der Stelle, an der ich vorhin schon die frisch ausgehobene Grube sehen musste. Sie schien jetzt den Mittelpunkt des Friedhofes zu bilden, der alles an sich heranzog.

Wie verloren stand die kleine Schar der Trauergäste herum und wartete. Auf den Sarg ,der jetzt durch die Träger auf den bereitstehenden Plattenwagen gehoben und langsam in Richtung dieses Mittelpunktes rollte.

Bis jetzt war wieder kein Wort zwischen Schwiegereltern und mir gefallen. Was gab es auch zu sagen. Schwiegermutters Gesicht war verquollen, die Augen schwammen rot in Tränen. Ihre Hände umkrampften ein nasses Taschentuch.

„Gib ihm die Blume“, wandte sie sich an Schwiegervater der mit versteinertem Gesicht vor sich hin schritt. Erst jetzt bemerkte ich, dass er die ganze Zeit etwas eingewickelt bei sich trug.

„Miriams Lieblingsblume. Ich bin sicher sie würde es wollen, dass Du ihr die Blume mitgibst“

Ich sollte die Blume auf den Sarg werfen.

„Ja, danke“ war alles was ich herausbrachte. Schwiegervater sah sich

vergeblich nach einem Papierkorb um, stopfte sich das Einwickelpapier schließlich in die Manteltasche.

Eine rote Orchidee. Seit ich Miriam die erste rote Orchidee schenkte war sie ihre Lieblingsblume. Eigentlich wollte ich zum ersten richtigen Date eine rote Rose mitbringen. Die Verkäuferin im Blumenladen machte ein wissendes Gesicht und sagte schelmisch lächelnd „Lasst Rosen sprechen“. Daraufhin erschien mir die Rose unpassend und aufdringlich. Ich gab sie der verdutzten Verkäuferin zurück und kaufte eine rote Orchidee.

Seitdem ist die rote Orchidee unser Zeichen der Liebe geblieben.

Die Sonne schien immer noch warm und es roch nach Gras und frischer Erde.

Die Glocke läutete wieder.

Bevor der Sarg sich in die Erde senkte sprach der Pfarrer die üblichen Gebete.

Ich sah das Geschehen jetzt überdeutlich. Hörte wie die Trageschlaufen knarrten, ein Vogel am Himmel schrie, ich sah den Sarg in die Tiefe sinken.

Pfarrer Friedrichs gab mit der Hand ein Zeichen, ich verstand und trat an den Rand des Grabes. Ringsherum versank alles. Diesen Moment hatte ich in den letzten Tagen am meisten gefürchtet. Und jetzt? Jetzt konnte ich nicht mit Miriam reden. Zu viele andere standen dabei.

„Für Dich“, flüsterte ich heiser und ließ die Orchidee auf den Sarg fallen.

Beim Umdrehen erkannte ich nun auch einige Gesichter. Nicht alle kannte ich mit Namen. Manche nur vom Sehen. Miriams Kollegen aus der Schule. Es schienen so ziemlich alle gekommen sein. Bekannte aus dem Schwimmclub. Einige entfernte Verwandte von Miriams Seite die ich nur flüchtig kannte. Unsere Nachbarn, Herr und Frau Schneider. Und Miriams beste Freundin Lisa. Lisa konnte mich nicht leiden.

Und irgendwie beruhte das auf Gegenseitigkeit. Jetzt spielte das keine Rolle mehr.