Dorian Hunter 129 - Earl Warren - E-Book

Dorian Hunter 129 E-Book

Earl Warren

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Beschreibung

Ein Blatt löste sich vom Baum und schwebte genau bei dem Cro Magnon herunter. Er hob es erstaunt auf und sah Buchstaben ins Muster integriert. Reena stand auf dem Blatt.
Da geschah es. Die Äste und Zweige des Mangobaumes veränderten sich, und das Laub wurde schwarz und verwelkte. Auch der Stamm lief schwarz an, und tiefe Risse entstanden. Es knackte und prasselte, und ein unheilvolles, höhnisches Kichern war über das Rauschen des Windes zu hören.
Die beiden Knaben auf dem Baum schrien vor Angst und wollten schnell herunterklettern. Da begannen die Äste und Zweige sich schlangengleich zu bewegen ...


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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DER VAMPIR VOM ROTEN MOND

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.

Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin versteckt Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält.

Auf der Suche nach der Mumie des Hermes Trismegistos findet Dorian den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon gedient hat und der sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst. Auf Island gewinnt Dorian den Kampf um das Erbe des Hermes Trismegistos.

Eine neue Gefahr zieht am Horizont auf: Der ehemalige Fürst der Finsternis Olivaro, ein Januskopf, erklärt, dass seine Artgenossen von der Parallelwelt Malkuth eine Invasion der Erde planen. In seinen Berichten hatte Olivaro die Erde als eine wahre Hölle geschildert. Im Tempel des Hermes Trismegistos erhält Dorian Hinweise auf das Wirken von Janusköpfen in Indien. Dort bekämpfen sich die beiden Sekten der Padmas und der Chakras bis aufs Blut. Während die parapsychisch begabten Padmas dem Padmasambhawa Bodhisattwa folgen, dienen die Chakras den Janusköpfen, in denen selbst der Erzdämon Luguri, Olivaros Nach-Nachfolger als Oberhaupt der Schwarzen Familie, eine Gefahr sieht. Dorian, Coco und Olivaro versuchen auf dem Umweg über die Januswelt zum Padmasambhawa vorzustoßen und stellen sich den dortigen Schrecken. Eine der größten Gefahren sind die Psychos, verdrängte Aggressionen der Menschen, die sich wegen magischer Wechselwirkungen zwischen Malkuth und der Erde auf der Januswelt manifestieren. Dorian begegnet seinem eigenen Psycho Lillom. Inzwischen begeben sich Unga und der Puppenmann Donald Chapman auf der Suche nach der verschwundenen Reena nach Katmandu.

DER VAMPIR VOM ROTEN MOND

von Earl Warren

Kalt war es. Eisige Winde bliesen von den Bergen. Schnee bedeckte die in den grauen, diesigen Himmel ragenden Berge und wurde immer wieder auf die Fahrbahn geweht. In dem alten klapprigen Bus funktionierte die Heizung nicht, und Unga und Don Chapman froren wie die anderen Passagiere erbärmlich. Unga trug über seinen Kleidern einen wollenen Umhang, und Don Chapman steckte darunter. Die Federung des Busses war schlecht. Die Straße wies zahlreiche Schlaglöcher auf. Dauernd wurden die Insassen des Busses gerüttelt und geschüttelt.

Nach einer Straßenbiegung tauchte vor dem Bus die Grenzstation auf. Stacheldraht, ein paar Türme, Baracken, zwei Schlagbäume. Hier endete das Gebiet der Indischen Union, und nach einem Streifen Niemandsland begann das Königreich Nepal.

Mit kreischenden Reifen hielt der Bus. Die Passagiere nutzten die Gelegenheit, sich ein wenig die Beine zu vertreten, denn die Schlange der Fahrzeuge bis zur Zollabfertigung war lang. Es war jetzt Mittag, und vor dem späten Nachmittag bzw. frühen Abend würde der Bus bestimmt nicht an die Reihe kommen.

1. Kapitel

Unweit von der Grenzstation standen ein paar Gebäude, Gasthäuser und Herbergen für die Reisenden, die hier vorbeikamen. Unga schaute sich das Treiben bei der Grenzstation nur kurz an und schlug dann den Weg zu den Gasthäusern und Herbergen ein. Er hielt die große Reisetasche in der Hand, in der sich seine Ausrüstung und ein paar persönliche Dinge befanden.

Ungas Habe war in den Wirren der letzten Wochen arg zusammengeschrumpft. Aber er brauchte nicht viel. Hart getroffen hatte ihn eigentlich nur der Verlust seines Kommandostabs, den er in den Rachen des Allesverschlingers Crashvantra hatte schleudern müssen.

Bei den Gebäuden hatte sich eine Gruppe von dreißig bis vierzig Menschen angesammelt; Männer und Frauen, die in diesem gottverlassenen Ort wohnten, und Durchreisende. Unga konnte mit seinen zwei Metern Länge über die Köpfe der viel kleineren Inder und Nepalesen hinwegsehen. Er sah in der Mitte der Menschengruppe einen Mann mit gelber Kutte und kahl rasiertem Kopf, einen Sannyasin, einen Asketen, der irgendetwas demonstrieren oder vorführen wollte.

Unga zögerte. Außerhalb des Busses war er nicht mehr vor dem schneidenden Wind geschützt. Der Cro Magnon war abgehärtet, aber so ohne Weiteres konnte er den Klimawechsel vom indischen Tiefland mit seinen tropischen Temperaturen in die eisige Bergwelt auch nicht verkraften. Die Menschen um ihn herum waren in dicke Mäntel gehüllt, die mit Watte gefüttert waren, und trugen Mützen mit Ohrenschützern. Unga hatte nur seinen Umhang und war barhäuptig.

Die anderen Reisenden aus dem Bus beeilten sich, in die warmen Gasthäuser zu kommen. Unga aber blieb stehen. Der Sannyasin trug noch weniger am Leib als er und schien die Kälte gar nicht zu spüren. Konnte es sein, dass es sich um einen Padma-Sadhu handelte, oder war es nur irgendein Wanderasket?

»Was ist denn nun, Unga?«, fragte Don Chapman unter dem Umhang. »Ich friere mir hier alles Mögliche ab.«

»Warte!«, sagte der große Cro Magnon. »Da findet etwas Interessantes statt.«

Er hatte, genau wie Don Chapman, englisch gesprochen. Die plattnasige Frau neben Unga, die ihm kaum bis ans Brustbein reichte, schaute ihn von der Seite an. Zwei Männer, ein Inder und ein Asiate, wandten die Köpfe um. Aber hier kamen so viele merkwürdige Fremde durch, dass ein Mann mit zwei Stimmen nicht weiter auffiel. Außerdem fesselte das, was nun vorn geschah, das Interesse der Menschenmenge.

Die weiter vorn Stehenden berichteten nach hinten, in einem Grenzdialekt, den Unga kaum verstehen konnte, und auf Nepalesisch. Ein Wort, das mehrmals genannt wurde, bekam der Cro Magnon mit. »Mangobaumwunder« hieß es.

Unga hatte schon gesehen, dass besonders begabte Fakire und Yogis aus einem Samenkorn im Handumdrehen einen Baum wachsen lassen konnten. Es war ein ähnlich beliebtes Kunststück wie der indische Seiltrick, von dem es verschiedene Variationen gab.

Unga brauchte nicht lange zu warten. Er konnte nicht sehen, was der Sannyasin machte, der sich heruntergebeugt hatte, aber schon hörte er ein »Oh« und »Ah« aus vielen Kehlen, und dann wuchs in der Mitte des Menschenkreises ein Baum. Ein Mangobaum war es, mit sattgrünen, stark gerippten Blättern und glatter Rinde. Er schoss buchstäblich in die Höhe. Innerhalb einer Minute war er bereits über zwei Meter hoch, wuchs und wuchs immer mehr, bis er mit viereinhalb Metern seine endgültige Größe erreichte. Gelbe, saftige Mangofrüchte hingen an den Ästen, obwohl es Dezember war und hoher Schnee lag.

Die Menschen jubelten, zeigten sich lachend gegenseitig den Baum, mit allen Anzeichen der Begeisterung. Sie freuten sich wie die Kinder über die Abwechslung und die guten Mangofrüchte, die sie zu verzehren gedachten.

Der Asket mit der gelben Kutte und dem kahlen Kopf verneigte sich, die Hände in den Ärmeln verborgen. Er war noch jung und hatte ein sanftes, gütiges Gesicht.

Solche Wunder wurden meistens von den Padma-Anhängern vollbracht, einer Sekte, mit der Unga schon gleich nach seiner Ankunft in Indien Bekanntschaft gemacht hatte. Viel, so viel war seither geschehen. Unga hatte mehr erlebt und gesehen, als andere Menschen in ihrem ganzen Leben; ein paarmal war er nur um Haaresbreite dem Tod entgangen.

Don Chapman hatte inzwischen bemerkt, dass er sich in einer Menschenmenge befand, und verhielt sich unter Ungas Umhang ruhig.

Der Cro Magnon drängte sich durch die Menge, weil er den Sannyasin etwas fragen wollte.

Zwei Knaben stiegen auf den Baum, von dem Kuttenträger freundlich dazu ermuntert. Die vorderen Zuschauer pflückten die tief hängenden Früchte von den Zweigen ab. Lachend bissen sie hinein.

Unga stand nun vor dem Sannyasin. Interessiert betrachtete dieser den riesigen Mann mit der athletischen Figur, dem schwarzen, jetzt lang über den Kragen fallenden Haar und dem markanten Gesicht.

»Padmasambhawa Bodhisattwa«, sagte Unga. Er sah das Aufblitzen in den Augen des Sannyasin und wusste, dass er einen Padma-Anhänger vor sich hatte.

»Gepriesen sei der aus dem Lotos Geborene!«, sagte der Padma und verneigte sich tief.

Unga packte ihn an den Schultern, sobald er sich wieder aufgerichtet hatte. Er war froh, einen Padma vor sich zu sehen. Ihre Anzahl schrumpfte rapide in der letzten Zeit. Seit die Chakras, ihre größten Feinde, und die Dämonen des Luguri einen Waffenstillstand geschlossen hatten, bekämpften beide Gruppen die Padmas. Dabei arbeiteten sie teilweise sogar zusammen. Es sah sehr schlecht aus für die Padmas, diese Sekte, die das Gute wollte und eine Erweiterung des menschlichen Bewusstseins und ein Reich des Lichts anstrebte. Hohe Ideale, die nun in den Staub getreten wurden.

Unga umarmte den Padma vorsichtig, wobei er Don Chapman, der in einer Art Binde an Ungas linker Seite untergebracht war, mit einem Arm schützte.

»Mein Freund!«, sagte der Cro Magnon auf Englisch. »Ich bin auf dem Weg nach Katmandu, um die Padma-Sadhu Reena zu suchen. In Katmandu soll es noch eine größere, geschlossene Gruppe von Padmas geben.«

»Allerdings. Auch ich will dorthin. Das Mangobaumwunder habe ich mit den Kräften meines Geistes bewirkt, durch Padmas Hilfe, um ein paar Rupien von den Zuschauern zu erhalten. Ich habe nämlich kein Geld mehr, und wenn ich auch meinen Lebensunterhalt erbetteln kann, so will ich doch nicht bis Katmandu wandern. Die Beförderung dorthin aber ist teuer.«

»Mach dir darüber keine Sorgen mehr! Ich werde dir Geld geben.«

Unga und der Padma-Sadhu unterhielten sich leise. Die Zuschauer interessierten sich ohnehin nur für den Mangobaum und seine Früchte. Sie beachteten die beiden nicht; sie konnten sich nicht genug über den Mangobaum wundern, der hier trotz des rauen Klimas in kürzester Zeit entstanden war.

»Ich danke dir im Namen Padmas«, sagte der Sannyasin. »Trotzdem will ich meine Rupien einsammeln, nachdem ich das Wunder nun einmal bewirkt habe. Padma hat meine Gebete erhört.«

Der Padma-Sadhu nahm seine Tonschale. Unga hatte nichts dagegen, dass er sammeln ging. Die Zuschauer gaben freudig und nicht zu knapp. Unga wartete mit verschränkten Armen.

Da löste sich ein Blatt von dem Baum über ihm. Ungas scharfem Blick entging nicht, dass es an der einen Seite ein merkwürdiges buntes Muster aufwies. Das Blatt schwebte genau bei dem Cro Magnon herunter. Er hob es erstaunt auf und sah Buchstaben ins Muster integriert. Reena stand auf dem Blatt.

Der Cro Magnon erstarrte. Das war ein Zeichen. Aber von wem? Auf jeden Fall musste jemand es gegeben haben, der über übernatürliche Kräfte verfügte.

Stirnrunzelnd steckte Unga das Blatt in eine Tasche des Umhangs. Da geschah es. Die Äste und Zweige des Mangobaumes veränderten sich, verdorrten schneller, als sie ergrünt waren. Die Früchte schrumpften zusammen, und das Laub wurde schwarz und verwelkte. Auch der Stamm lief schwarz an, und tiefe Risse entstanden. Es knackte und prasselte, und ein unheilvolles, höhnisches Kichern war über das Rauschen des Windes zu hören. Die beiden Knaben auf dem Baum schrien vor Angst und wollten schnell herunterklettern. Da begannen die Äste und Zweige sich schlangengleich zu bewegen.

Aufschreiend und entsetzt wichen die Zuschauer zurück. Unga streckte die Arme nach den beiden Knaben aus, die außerhalb seiner Reichweite kletterten. Da wurden sie von den gespenstischen Ästen gepackt. Um den einen schlang sich ein Ast, presste ihn an den Stamm und zerdrückte ihm den Brustkorb. Der zweite Junge wurde von Zweigen erdrosselt.

Der Padma-Sadhu lief erschrocken auf den Mangobaum zu, der sich auf so teuflische Weise verändert hatte.

»Halt!«, rief er in einem indischen Dialekt, wohl dem seines Heimatbezirks. »Im Namen Padmas! Was geschieht da? Nein, nein!«

Er umklammerte den Baumstamm mit beiden Armen und wollte ihn rütteln. Dabei sprach er Gebetsformeln der Padma-Sekte und Anrufungen ihres höchsten Wesens, des Padmasambhawa Bodhisattwa, des Erhabenen und Erleuchteten.

Die Äste des Baumes rauschten Unheil verkündend. Der Wind von den Bergen schwoll zum Sturm an. Eine düstere Aura umgab plötzlich den Baum, verdunkelte die Umgebung.

Unga, der ein Stück zurückgewichen war, als er sah, dass er den beiden Knaben nicht mehr helfen konnte, wollte den Padma vom Baum wegreißen. Er stellte die Reisetasche zu Boden. Aber bevor er noch etwas unternehmen konnte, war es schon zu spät. Das Schicksal des Padma erfüllte sich. Äste und Zweige packten ihn und rissen ihn in die Höhe. Eine ungeheure Kraft war in diesen Ästen und Zweigen. Sie pressten Arme, Beine und den Unterleib des Kuttenträgers so zusammen, dass er vor Schmerz aufschrie.

Nun brachen auch Leute zusammen, die von den Mangofrüchten gegessen hatten. Sie wälzten sich in Krämpfen auf dem Boden. Andere übergaben sich und würgten.

Es gab einen Aufruhr. Der Lärm lockte weitere Zuschauer aus den Häusern.

Der Padma schwebte unterdessen hoch über Ungas Kopf, und der Cro Magnon konnte nicht an ihn heran. Er musste tatenlos mit ansehen, wie ein mehrere Zentimeter dicker, spitz zulaufender Ast sich dem Schreienden von hinten näherte.

Unga öffnete seine Reisetasche, kramte darin herum, um ein paar gnostische Gemmen und Dämonenbanner herauszuholen; an den Baum wollte er nicht zu nahe herangehen. Doch bevor Unga noch das Gesuchte in den Händen hielt, wurde der Padma-Sadhu schon durchbohrt. Sein Todesschrei gellte grässlich in Ungas Ohren. Der Ast kam vorn an der Brust des Padma wieder heraus, und Blut tröpfelte aus seinem Mund. Die gelbe Kutte färbte sich rot.

Der Padma blieb im Geäst hängen, tot wie die beiden Knaben. Der Baum aber verdorrte nun noch schneller. Nach zwei Minuten stand nur noch ein blätter- und zweigloses Gerippe da.

Der Padma und der eine Knabe waren heruntergefallen. Der zweite Knabe lag bäuchlings über einem dicken Ast.

Unga brauchte nicht mehr mit seinen Mitteln gegen den Baum vorzugehen. Resigniert wollte er sich abwenden. Da hörte er die zornigen Rufe der Menschenmenge. Die Leute, die sich übergeben hatten, und auch ein paar von den anderen, die zusammengebrochen waren, standen unter den Zuschauern, grün im Gesicht und von heftigen Leibschmerzen gepeinigt. Andere lagen noch stöhnend auf dem Boden.

Unga sah, wie mehrere von den Zuschauern auf ihn zeigten. Er konnte nicht alles verstehen, was gesagt wurde, aber einiges verstand er doch.

»Böser Zauberer!«, wurde gerufen. »Steinigt ihn! Stürzt ihn in die nächste Schlucht!«

Unga wusste nicht, ob die aufgebrachte Menge ihn oder den Padma mit dem bösen Zauberer meinte. Er war auf jeden Fall schlecht dran, denn er hatte sich als Freund des Padma zu erkennen gegeben. Vielleicht glaubten die Leute auch, er hätte sich nur verstellt, als er den Sannyasin umarmte und anscheinend freundlich begrüßte, und durch die Magie das Mangobaumwunder zunichtegemacht. Jedenfalls war die Menge Unga feindlich gesonnen. Schon wurden Steine aufgehoben, und krumme Messer mit reich verzierten Griffen blitzten.

Die dunkle Aura des gespenstischen Baumes war gewichen, das Heulen des Windes wieder abgeflaut. Mit wütenden Aufschreien, Anklagen und Beschuldigungen brüllend, rückte der Mob in geschlossener Front gegen Unga vor. Diese Leute waren nicht bereit, ihm zuzuhören, zumal Unga sich mit ihnen ohnehin kaum verständigen konnte. Sie wollten sein Blut sehen. Von allen Seiten war Unga eingeschlossen.

Unga hatte nicht die Absicht, sich in diesem Nest an der indisch-nepalesischen Grenze einfach totschlagen zu lassen. Er schaute sich nach einem Zufluchtsort um, zu dem er sich durchkämpfen konnte.

»Halt dich fest, Don!«, raunte der Cro Magnon Don Chapman zu. »Gleich geht's rund.«

»Gut«, antwortete Don Chapman, der unter dem wollenen Umhang hervorgelugt und die Rufe gehört hatte.

Der Zwergmann, dreißig Zentimeter groß und nicht schwerer als eine Katze, zog seine Miniaturpistole unter der Jacke hervor, um Unga vielleicht unterstützen zu können. Ein Kreis von Menschen umgab den Cro Magnon; die Meute war nur noch fünf Meter entfernt.

Unga zeigte keine Angst, und das ließ die Angreifer zaudern. Der Cro Magnon überlegte, ob er versuchen sollte, sich zur Grenzstation durchzuschlagen, oder ob er besser in die Berge floh. Da sah er, ein Stück entfernt, auf einem verschneiten Hügel eine Gestalt stehen, die ihm zuwinkte. Es war ein Mädchen oder eine junge Frau, die trotz der Kälte nur einen leichten Sari trug, das indische Wickelgewand, und keine Kopfbedeckung. Das Muster des Saris erkannte Unga wieder. Es war das gleiche wie auf dem Blatt vom Mangobaum, das ihm buchstäblich in die Hände gefallen war.

Nun gab es für den Cro Magnon kein Zögern mehr. »Achtung, Don!«, sagte er.

Eine Frau, die unter den Angreifern stand, kreischte auf, und ein paar andere der Heranrückenden streckten den gespreizten Mittel- und Zeigefinger vor und bildeten ein zur Erde weisendes V-Zeichen. Das Zeichen sollte den bösen Blick und dämonischen Einfluss abwehren.

Die abergläubischen Leute dachten, Unga hätte sich mit seinem bösen Schutzgeist unterhalten. Ein Stein flog auf den Kopf des Cro Magnon zu. Unga wich schnell und geschmeidig aus.