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DER TÄTOWIERTE TOD
»Wie heißt du?«, fragte die Fremde mit tiefer, kehliger Stimme.
»Paul Fisher.«
»Ruhig, Paul! Nur ruhig!«, redete sie ihm zu, während Meze mit der Tätowierungsprozedur fortfuhr.
»Ja, ganz ruhig bleiben«, murmelte Meze beschwörend. »Und blicke zu Aysha. Ist sie nicht ein wunderschönes Geschöpf? Sieh sie dir an, Paul, und um dich versinkt die Welt.«
In Pauls Ohren war plötzlich ein Rauschen. Die Tätowierung schien sich in seine Haut zu brennen. Da war nur noch das Feuer, das ihn bei lebendigem Leib aufzuzehren schien - und der Wunsch, noch einmal Ginger zu sehen, um in ihren Armen zu sterben zu können ...
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
DER TÄTOWIERTE TOD
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
mystery-press
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8864-0
www.bastei-entertainment.de
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www.bastei.de
Auf Schloss Lethian an der österreichisch-slowenischen Grenze gerät der Reporter Dorian Hunter in ein Abenteuer, das seinen Verstand übersteigt. Die acht Männer, die seine Frau Lilian und ihn begleiten, sind seine Brüder – gezeugt in einer einzigen Nacht, als die Gräfin von Lethian, selbst eine Hexe, sich mit dem Teufel Asmodi vereinigte! Dorians Brüder nehmen die Offenbarung euphorisch auf. Nur Dorian will sein Schicksal nicht akzeptieren. Er tötet seine Mutter und eröffnet die Jagd auf seine Brüder. Danach steckt er das Schloss in Brand und flieht mit seiner Frau. Aber Lilian hat bei der Begegnung mit den Dämonen den Verstand verloren. Übergangsweise bringt Dorian sie in einer Wiener Privatklinik unter, die auf die Behandlung psychischer Störungen spezialisiert ist – und begegnet kurz darauf der jungen Hexe Coco Zamis, die von ihrer Familie den Auftrag erhalten hat, Dorian zu töten. Doch Coco verliebt sich in den Dämonenkiller und wechselt die Seiten, wodurch sie nicht nur ihre magischen Fähigkeiten verliert, sondern darüber hinaus aus der Schwarzen Familie ausgestoßen wird.
Coco wie auch Dorian sind nun gleichzeitig Jäger und Gejagte, denn Dorian hat sich geschworen, seine Brüder, die das Feuer auf Schloss Lethian offenbar allesamt überlebt haben, zur Strecke zu bringen. In London tötet er Roberto Copello, nachdem dieser den Secret-Service-Agenten Donald Chapman auf Puppengröße geschrumpft hat. Mit Hilfe des Secret Service gründet Dorian die »Inquisitionsabteilung«, der nicht nur er selbst, sondern auch Coco und der Puppenmann Chapman fortan angehören. Ein weiteres »inoffizielles« Mitglied ist der geheimnisvolle Hermaphrodit Phillip, dessen Adoptiveltern von Dämonen getötet wurden. Zum Hauptquartier der Inquisitionsabteilung wird die Jugendstilvilla in der Baring Road, in der Phillip aufgewachsen ist, doch gleichzeitig stöbert Dorian Hunter weiter in der Bibliothek seines alten Reihenhauses in der Abraham Road nach Hinweisen auf dämonische Umtriebe – und stößt auf das Tagebuch des Barons Nicolas de Conde, der auf dem Eulenberg nahe Nancy im Jahr 1484 seine Seele dem Teufel verkaufte. De Conde bereute, wurde zum Hexenjäger und Mitautor des »Hexenhammers« und starb als angeblicher Ketzer. Der Fluch erfüllte sich. Seither wird de Condes Seele nach jedem Tod in einem neuen Körper wiedergeboren – und tatsächlich gelingt es ihm als Dorian Hunter, nicht nur sieben seiner Brüder, sondern schließlich auch seinen Vater Asmodi zu vernichten!
Nach dem Kampf gegen die Dämonen-Drillinge gelingt es Dorian, weitere Fälle erfolgreich abzuschließen – so auch die Jagd auf den Wijsch, die er mehr oder minder unfreiwillig im Auftrag des russischen Geheimdienstes unternommen hat. Die Rückreise nach London erweist sich als schwieriger als gedacht und führt Dorian über Istanbul – wo bereits der tätowierte Tod auf ihn wartet …
DER TÄTOWIERTE TOD
von Ernst Vlcek
Der Muezzin rief die Gläubigen vom Minarett der Suleiman-Moschee zum letzten Gebet des Tages, als Paul Fisher gerade die Armenküche verließ. Was für einen Fraß man ihnen heute wieder vorgesetzt hatte! Aber er war froh, wenigstens etwas Warmes im Magen zu haben. Die Speisekarten der besseren Restaurants kannte er nur noch aus der Erinnerung. Wenn er zu Geld kam, dann setzte er es in Rauschgift und Drogen um. Aber auch das war schon ziemlich lange her. Zu lange. Er versuchte, nicht daran zu denken. Aber seine Gedanken kreisten ständig um das eine Thema. Er brauchte Stoff.
Ihn fröstelte, und das kam nicht nur von der Kälte.
Paul suchte sich einen vornehm gekleideten Griechen aus den Passanten heraus und folgte ihm. Vielleicht war der feine Pinkel leichtsinnig genug, in eines der dunklen Gässchen der Altstadt von Istanbul einzubiegen. Aber dann warf der Grieche eine halbgerauchte Zigarette fort, und Paul gab die Verfolgung auf und begnügte sich mit der Kippe, die er aus dem Rinnsal fischte.
1. Kapitel
Ein kurzer Blick auf die Marke. Yani Harman. So etwas Gutes hatte er schon lange nicht mehr geraucht.
»Engländer?«
Paul drehte sich um. Vor ihm erschien eine in einen zerschlissenen Umhang gehüllte Gestalt, die mit krummem Rücken dastand und sich vor Kälte die Hände rieb – oder auch in Vorfreude auf ein gutes Geschäft. Das Straßenlicht fiel auf ein von einem verfilzten Bart halb verdecktes Gesicht. Daraus stach eine stark gebogene Nase hervor. Tief in den Höhlen liegende Augen belauerten Paul.
»Bei mir gibt’s nichts zu holen. Hau ab!«, fuhr Paul den Türken mit armenischem Einschlag an und stapfte weiter, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
Es war erbärmlich kalt. Nieselregen fiel, der in der Nacht wahrscheinlich zu Glatteis werden würde. Im Januar war das in Istanbul keine Seltenheit.
»Nichts holen. Geben«, hörte er wieder das gebrochene Englisch des Armeniers, der ihm nicht von der Pelle rückte. »Viel geben. Zweihundert Pfund.«
Paul blieb interessiert stehen. Für Geld tat er vieles. Einmal hatte ihm eine ähnliche Type angeboten, für einen Fünfziger bei einer Privatveranstaltung aufzutreten – einer Pornoshow. Paul hatte aber Reißaus genommen, als er sah, dass er vor einer Gruppe seiner Landsleute auftreten sollte. Damals waren die Zeiten aber auch noch besser gewesen. Heute kannte er solche Skrupel nicht mehr.
»Ich kenne dich«, sagte Paul zu dem Armenier. »Du treibst dich schon seit Tagen in der Armenküche der Suleiman-Moschee herum. Stimmt’s?«
Der andere hob nur die Schultern und sagte: »Zehntausend Pfund.«
»Und was habe ich dafür zu tun?«
»Tätowieren lassen.«
»Du meinst wohl, das Tätowieren kostet zehntausend Pfund?«
»Kriegst du«, behauptete der schmierige Kerl.
Paul verbrannte sich an der Zigarettenkippe die Finger, inhalierte schnell noch einmal den Rauch und warf den Stummel fort.
»An der Sache ist doch was faul«, stellte er fest.
»Nichts faul. Nichts ungesetzlich«, versicherte der Kerl. »Mitkommen! Schnell!«
Und er lief schon voraus. Er wusste, dass sein Opfer an der Angel zappelte. Wahrscheinlich hatte er Paul schon seit Tagen beobachtet und bemerkt, dass er auf dem letzten Loch pfiff.
»Wohin?«, wollte Paul wissen, während er ihm zögernd folgte.
»Kapali Carsi – zum Großen Basar. Zum Tätowieren.«
Der Armenier tauchte in der Menge unter, und Paul musste einen Zahn zulegen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Sie kamen in die Fuatpasa Caddesi, über die sich um diese Zeit ein wahrer Strom von Passanten wälzte. Auf der Fahrbahn reihte sich Auto an Auto. Bestimmt hatte es irgendwo gekracht. Ein wüstes Hupkonzert ertönte, das aber keineswegs zur Entflechtung der Verkehrsstauung beitrug, sondern das Chaos nur noch vergrößerte.
Zehntausend Pfund! Türkische zwar nur – aber immerhin. Mit diesem Betrag konnte er Ginger und sich die ganze Woche über mit Stoff versorgen. Eine Woche Glückseligkeit. Zehntausend türkische Pfund. Damit könnte er sogar seinen Pass auslösen. Aber das war nicht so wichtig. Heroin benötigte er dringender. Ginger würde Augen machen. Sie war schon ganz krank.
Sie erreichten den verbauten Basar. Hier ging es wie in einem Irrenhaus zu. Das aufdringliche Geschrei der Händler vermischte sich mit dem aufgeregten Geschnatter der Einheimischen und wenigen Touristen. Über das Stimmengewirr hinweg hörte man das Scheppern von handgehämmerten Kupfertöpfen und das Klingeln von Glöckchen, mit denen die Händler ihre Kunden anlockten. Einer breitete vor Paul einen Teppich aus, ein anderer hielt ihm minderwertigen Silberschmuck unter die Nase und rollte bedeutungsvoll die Augen.
Paul hatte nur einmal versucht, in einem scheinbar günstigen Augenblick ein solches Schmuckstück zu klauen, aber weit war er nicht damit gekommen. Die Schutzstaffel der Händler hatte ihn eingeholt und windelweich geprügelt. Dabei konnte er von Glück sagen, dass er nicht der Polizei in die Hände gefallen war. Die machte nämlich kurzen Prozess mit Ausländern, die keinen Pass besaßen und deren Armbeuge zudem noch total zerstochen war.
»Hier! Hier!«, rief der Armenier, der sich vor Paul seinen Weg durch den Menschenstrom erkämpfte.
Paul war schon ganz schwindelig. Er kam sich wie ein Fremdkörper in einem Bienenstock vor. All das Geplärre und Gescheppere machte ihn krank. Er wischte sich mit dem Ärmel den Speichel vom Mund. Seine Hand zitterte. Er brauchte dringend Stoff!
»Wir sind da!«
Paul blieb taumelnd stehen. Vor seinen Augen verschwamm alles.
Als sich sein Blick klärte, sah er einen schmalen Hauseingang, der von den aufgestapelten Waren der angrenzenden Läden fast verdeckt wurde.
»Da!« Der Armenier deutete auf die schmale Pforte. »Hinaufgehen – und alles okay.«
»Kommst du nicht mit?«, fragte Paul misstrauisch.
Für einen Moment vermeinte er in den Augen des Armeniers so etwas wie Angst aufblitzen zu sehen, aber dann grinste er, dass durch seinen Bart faule Zähne zu sehen waren, und schüttelte den Kopf. »Du allein gehen. Sagen Erkennungswort Srasham – und alles okay.«
Bevor Paul noch eine Frage stellen konnte, war der Armenier in der Menge untergetaucht.
Paul blickte in den dunklen Eingang, in dem eine ausgetretene Steintreppe nach oben führte und sich in der Dunkelheit verlor. Und plötzlich hatte er ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Es kam ihm nun doch reichlich seltsam vor, dass er für etwas Geld bekommen sollte, für das man sonst bezahlen musste. Die Sache musste einen Haken haben. Andererseits – zehntausend Pfund waren eine Stange Geld, und was immer an der Sache faul sein mochte, man konnte sie ja mal beschnuppern.
Ehe Paul bewusst wurde, was er tat, betrat er die Pforte und stieg die abgewetzte Steintreppe hoch. Seine Hände stießen in der Dunkelheit gegen einen dicken, samtartigen Stoff, der steif vor Schmutz war. Er teilte ihn. Dahinter lag ein kleiner, mit allerlei Gerümpel vollgestopfter, schummeriger Raum. An der einen Wand erblickte er eine abgewetzte, lederbezogene Couch, neben der ein dreibeiniger Hocker stand. Am Fußende der Couch war so etwas wie eine Statue zu sehen, über die ein besticktes Tuch geworfen war. Paul wurde an ein Denkmal vor der Enthüllung erinnert. Er musste schlucken, als hätte er einen Kloß in der Kehle. Das Ding unter dem Tuch schien zu leben. Hatte es sich nicht eben bewegt?
Bevor er sich darüber jedoch weitere Gedanken machen konnte, vernahm er hinter sich ein Geräusch. Er wirbelte herum und sah, dass sich im hinteren Teil des Raumes ein weiterer Vorhang teilte, durch den ein Mann trat. Er war klein, gedrungen, und unter den halblangen Ärmeln seiner Jacke sahen muskulöse Arme hervor. Der Mann war abstoßend hässlich. Er hatte einen kahlen Schädel, eine nach links gebogene Knollennase, aus der Haare sprossen, und einen schiefen Mund. Während er Paul mit stechenden Augen fixierte, bildete sich um seinen schiefen Mund ein verzerrtes Lächeln.
»Was kann ich für Sie tun, Mister?« Sein Englisch war ganz passabel. »Sie wollen sich von Meze tätowieren lassen? Was soll es werden, Mister?«
»Ich bin kein Kunde«, sagte Paul schnell, der seine Fassung wiedergewonnen hatte.
»Kein Kunde?«, wiederholte Meze, der Tätowierer, traurig.
»Das heißt«, erklärte Paul eifrig, »ich möchte mich schon tätowieren lassen, dafür aber kassieren. Ein Kerl hat gesagt, Sie würden dafür zahlen, wenn ich das Erkennungswort nenne.«
»Erkennungswort?«
»Srasham!«
Das Gesicht des Tätowierers erhellte sich. Es bekam einen fast verklärten Ausdruck, als er sagte: »Ah, Srasham! Ah! Ja, alles okay.« Er packte Paul mit festem Griff an den Armen und drückte ihn mit sanfter Gewalt auf die Couch nieder. »Wir werden gleich beginnen. Keine Zeit verlieren.«
»Nicht so hastig, Freund Meze!«, begehrte Paul auf, der sich überrumpelt fühlte. »Bevor ich mich von Ihnen mit Nadeln malträtieren lasse, möchte ich erst einmal Geld sehen.«
Meze griff unter seinen Schurz und holte ein Bündel zerknitterter Banknoten hervor. Paul gingen fast die Augen über. Der Tätowierer drückte ihm einen Geldschein in die Hand und bemerkte dazu: »Den Rest bekommen Sie nach der Sitzung. Aber jetzt fangen wir an.«
Paul bekam wieder das mulmige Gefühl. Warum hatte es der Glatzkopf nur so eilig?
Der Tätowierer befahl Paul, den Oberkörper zu entblößen; er war ihm sogar behilflich, da es ihm anscheinend zu langsam ging. Dann kam er mit einer Palette, Farbtiegeln und kleinen Köchern mit verschieden dicken Nadeln. Während er die Palette in der einen Hand balancierte, wandte er sich der verhüllten Gestalt zu und nahm aus dem Umhang ein Stück Stoff heraus, so dass eine handtellergroße Öffnung entstand.
Obwohl die Beleuchtung in dem Raum mehr als ungenügend war, konnte Paul ganz deutlich sehen, was hinter der Öffnung lag. Es handelte sich um eine Zeichnung auf pergamentartigem Untergrund, die in Rot und Blau gehalten war und von sich aus zu leuchten schien. Paul bekam eine regelrechte Gänsehaut, als er das Motiv erkannte: einen dreiköpfigen Teufel mit ausgebreiteten Schwingen.
»He, was soll das?«, rief Paul entsetzt. »Wollen Sie mir etwa dieses Scheusal auf die Brust tätowieren? Ich hatte eigentlich ein anderes Motiv im Auge. Ein Herz, in dem der Name Ginger …«
»Srasham!«, sagte der Tätowierer mit seltsamer Betonung und drückte Paul fast spielerisch auf die Couch zurück, als er sich aufrichten wollte.
Paul versuchte noch einmal, sich zur Wehr zu setzen, doch plötzlich erlahmte sein Widerstand. Hinter dem Tätowierer war eine junge Frau aufgetaucht. Sie war atemberaubend schön und rassig und hatte große, schwarze Augen, in denen sich Staunen spiegelte. Ihr kohlschwarzes Haar war halb unter einem ornamentbestickten Käppchen verborgen.
Paul war von ihrem Anblick so fasziniert, dass er alle Gegenwehr vergaß. Als ihn gleich darauf der Tätowierer mit seinen Nadeln zu bearbeiten begann, spürte er es kaum. Erst als die Stiche immer mehr schmerzten, fand er in die Wirklichkeit zurück.
»Hören Sie, Meze«, begehrte er wieder auf, »solch ein Ungeheuer lasse ich mir um keinen Preis der Welt …«
»Wie heißt du?«, fragte die Fremde mit tiefer, kehliger Stimme.
»Paul Fisher.«
»Ruhig, Paul! Nur ruhig!«, redete sie ihm zu, während Meze mit der Tätowierungsprozedur fortfuhr.
»Ja, ganz ruhig bleiben«, murmelte Meze beschwörend. »Und blicke zu Aysha. Ist sie nicht ein wunderschönes Geschöpf? Sieh sie dir an, Paul, und um dich versinkt die Welt.«
In Pauls Ohren war plötzlich ein Rauschen. Die Stimmen entrückten in immer weitere Ferne, als er wieder zu Aysha hochblickte, deren Gesicht immer noch bis auf das leichte Staunen ausdruckslos war. Jetzt erschienen ihre Hände in Pauls Blickfeld. Die grazilen Finger fassten nach ihrem Halsausschnitt und begannen einen Knopf nach dem anderen zu öffnen.
Paul bekam eine ganz trockene Kehle, als sie den letzten Knopf öffnete und die Bluse über ihre Schulter gleiten ließ. Sie hatte darunter nichts an, so dass ihre wohlgeformten kleinen Brüste Pauls Blicken preisgegeben waren. Doch dafür hatte er keine Augen. Er starrte nur auf die Tätowierung, die zwischen ihren Brüsten eingebettet war. Sie stellte ein schillerndes Augenpaar dar, das von einem geschuppten Schlangenkopf umrahmt war. Wenn sie atmete und sich dabei ihr Busen hob und senkte, bewegten sich auch die Schlangenaugen – und sie versprühten auf einmal ein geheimnisvolles Feuer, das Paul bannte. Er konnte den Blick nicht von den tätowierten Schlangenaugen reißen; wie hypnotisiert lag er da – und die Welt versank um ihn.
Paul verlor jegliches Zeitgefühl. Er hatte keine Ahnung, wie lange die Sitzung dauerte; vielleicht Stunden, oder gar einen ganzen Tag? Er hatte nur eine schwache Erinnerung daran, dass Aysha ihm in einer fremden Sprache beruhigende Worte zugeflüstert, ihn zwischendurch gelabt, seine heiße Stirn betupft und ihm eine warme, wohltuende Flüssigkeit eingeflößt hatte, während Meze sein Werk vollendete.
Dann war der Bann gebrochen. Aysha war nicht mehr zu sehen.
Meze drückte ihm etwas in die Hand und sprach: »… bist du einer von uns …«
Und dann war auch Meze fort.
Paul erhob sich wie in Trance, steckte automatisch das Geld ein und kleideten sich an. Bevor er sein Hemd zuknöpfte, fiel sein Blick auf die verhüllte Statue. Er sah die Öffnung in dem Umhang, doch das Bildnis des dreiköpfigen Teufels in Rot und Blau war verschwunden. Als er an sich hinunterblickte, entdeckte er, dass es jetzt seine Brust zierte. Und es brannte wie Feuer auf der Haut.