Dorian Hunter 53 - Horror-Serie - Earl Warren - E-Book

Dorian Hunter 53 - Horror-Serie E-Book

Earl Warren

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Beschreibung

Dorian Hunter und Coco Zamis begegnen auf einem Rummelplatz im Londoner Stadtteil Hampstead einer Sippe von Schwertschluckern und Entfesselungskünstlern, zu denen auch die Wahrsagerin Zarina Amalfi gehört. Coco spürt sofort, dass mit der alten Frau etwas nicht stimmt - und auch in den Akten von Trevor Sullivans neuer Agentur Mystery Press ist der Name Amalfi bereits vermerkt ...


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Seitenzahl: 149

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Inhalt

Cover

Impressum

Was bisher geschah

Das Herz der Schlange

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Mark Freier

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9897-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen. Unterstützung in seinem Kampf erhält er zunächst durch den englischen Secret Service, der auf Hunters Wirken hin die Inquisitionsabteilung gründete.

Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.

In der Folge beginnt Dorian die Dämonen auf eigene Faust zu jagen. Als die Erfolge ausbleiben, gerät Trevor Sullivan, der Leiter der Inquisitionsabteilung, unter Druck. Die Abteilung wird aufgelöst. Hunter bleibt nur sein engstes Umfeld: die junge Hexe Coco Zamis, die selbst ein Mitglied der Schwarzen Familie war, bis sie wegen ihrer Liebe zu Dorian den Großteil ihrer magischen Fähigkeiten verlor; weiterhin der Hermaphrodit Phillip, der weder Mann noch Frau ist und dessen hellseherische Fähigkeiten ihn zu einem lebenden Orakel machen – sowie die Ex-Mitarbeiter des Secret Service Marvin Cohen und Donald Chapman. Letzterer wurde bei einer dämonischen Attacke auf Zwergengröße geschrumpft.

Trotz der Rückschläge gelingt es Dorian, Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, zu vernichten. Doch mit Olivaro steht schon ein Nachfolger bereit, der in der Vergangenheit keinerlei Skrupel hatte, sogar mit Dorian zusammenzuarbeiten, wenn es seinen Interessen diente. So hat Olivaro auch Coco Zamis auf seine Seite gezwungen. Das Kind, das sie unter dem Herzen trägt, stammt jedoch von Dorian Hunter!

Dem Dämonenkiller gelingt es, Coco zu befreien. Nach einer Flucht um den halben Erdball kehren beide endlich nach London zurück. Aber die Dämonen bereiten schon die nächste Falle vor, denn nach Olivaros Kapitulation ist jenes Bündnis, das Dorian mit den Oppositionsdämonen geschmiedet hat, beendet. Bei dem folgenden Angriff sterben Dorians Frau Lilian und auch sein alter Mitstreiter aus Secret-Service-Zeiten, Marvin Cohen. Coco bringt ihr Kind sicher zur Welt und versteckt es aus Sorge vor einem weiteren dämonischen Angriff an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält. Aber kann es ein Leben ohne Gefahr für einen Dämonenkiller überhaupt geben?

Das Herz der Schlange

von Earl Warren

Gigi Mertzbach betrat den Wohnwagen. Ihr war, als würde sie in eine andere Welt eintreten. Nur noch gedämpft hörte sie die Musik und den Lärm des Oktoberfestes.

Eine geheimnisvolle Atmosphäre herrschte hier. Schwarze und düstere rote Samtbahnen mit eingestickten kabbalistischen Zeichen und den Figuren des magischen Tarot bedeckten die Wände. Eine indirekte Beleuchtung erhellte den Raum nur schwach. Ein Tier strich wie ein Schatten in der Ecke herum. Gigi erschrak, ehe sie begriff, dass es nur eine Katze war. Sie wünschte sich plötzlich dringend, hinauslaufen zu können, aber dann schaute sie in die schwarzen Augen der uralten Frau hinter dem kleinen Tisch und trat näher. Die schwarzen Augen funkelten; man konnte glauben, dass sie wirklich mehr sahen als die normaler Menschen; Dinge vielleicht, die ein Sterblicher besser nicht sehen sollte.

»Guten Abend, mein Fräulein!«, sagte die Alte mit starkem fremdartigem Akzent. »Sie wollen die Zukunft erfahren? Wollen wissen, ob Sie Liebe und Glück finden werden im Leben, schönes Fräulein? Madame Zarina kann es Ihnen sagen.«

1. Kapitel

»Ich will ... Können Sie mir aus der Hand lesen?«, fragte Gigi schüchtern, was sonst gar nicht ihre Art war.

»Natürlich, Fräulein. Geben Sie mir Ihre Hand, bitte schön!«

Gigi streckte eine Hand über den Tisch und setzte sich auf den Schemel. Die Wahrsagerin ergriff Gigis Hand. Ihre war eine alte dürre Klaue. Madame Zarina trug ein schwarzes Kopftuch mit magischen Symbolen. Schmutzig graue Haarsträhnen quollen darunter hervor und riesige, goldene Ohrringe schauten halb heraus. Ihr Gesicht war alt und verrunzelt, der Mund dünn und verkniffen. An den Fingern der klauenartigen Hand funkelten viele Ringe.

Ein einäugiger Rabe saß auf der Schulter der Wahrsagerin. Der Wohnwagen war überheizt und von einem schwachen Weihrauchduft erfüllt.

Gigi schauderte unter der Berührung der Alten. Sie war ein bildhübsches sechzehnjähriges Mädchen mit einem blonden Lockenkopf und einer schlanken Figur. Erneut bedauerte sie, einer Laune gefolgt und hier hereingekommen zu sein. Das hier war nicht lustig. Erleichtert dachte sie daran, dass ihre Freunde draußen warteten.

Zarina fuhr Gigis Handlinien entlang und murmelte vor sich hin.

»Sie sind sechzehn Jahre alt«, sagte sie, »und Sie stammen aus einem begüterten Haus. Im letzten Jahr ist jemand aus der Familie gestorben. Kein naher Angehöriger.«

»Eine Tante in Bamberg«, sagte Gigi leise und beeindruckt.

Zarina nickte. »Das sehe ich in Ihrer Hand, Fräulein. Sie haben eine Liebelei. Ein hübscher junger Mann. Aber Ihre Eltern dürfen nichts davon wissen.«

»Ja, ja.«

»Ich muss Sie enttäuschen. Mit ihm ist es nichts Rechtes. Er schaut viel nach anderen. Sie werden sich bald von ihm trennen.«

»Nein, das glaube ich nicht! Ich habe Siegfried sehr gern. Er würde nie ...«

»Tut mir leid, so steht es in Ihrer Hand. Jetzt die Lebenslinie und die Schicksalslinie. Ich will Ihnen sagen, wie alt Sie werden. Ich kann ... Nanu, was ist denn das?«

Die alte Zarina steckte fast ihre Nasenspitze in Gigis Handfläche. Das Mädchen spürte, wie die Alte zitterte. Ein gellender Schrei kam aus ihrer Kehle. Der schwarze Rabe krächzte und schlug mit den Flügeln. Die Katze in der dunklen Ecke fauchte, ihre Augen funkelten.

»Was ist?«, fragte Gigi.

Die Alte ließ ihre Hand los. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Blankes Entsetzen stand in ihnen. »Nein, nein!«

»Was ist denn, um Gottes willen?«

»Ich – ich kann es nicht sagen. Gehen Sie! Gehen Sie schnell!«

Gigi bekam Angst, aber sie zwang sich, mit fester Stimme zu sagen: »Ich will wissen, was los ist. Ich habe ein Anrecht darauf.«

»Gehen Sie schnell, Kind! Schreckliches Unheil und grausamer Tod. Dämonen ernten, und der Wahnsinn reitet im Nachtwind. Ich – ich kann nicht mehr. Ich muss für heute schließen. Ein solcher Schock.«

»Glauben Sie denn, für mich ist es keiner? Wie können Sie mir solches Zeug erzählen? Wie kommen Sie überhaupt darauf?«

Plötzlich öffnete sich im Hintergrund eine Tür. Ein großer, beleibter und schwarzlockiger Mann trat in den kleinen Raum.

»Was geht hier vor?«, fragte er mit befehlsgewohnter Stimme.

»Es wird wieder geschehen«, sagte die Alte in einem Gigi unverständlichen Romani-Dialekt, einer Zigeunersprache. »Heute Nacht. Und sie ist das Opfer.«

Der Mann trat an die Tür, die nach draußen führte, und öffnete sie. »Gehen Sie!«, sagte er. »Madame Zarina hat manchmal solche Anfälle. Alle guten Wahrsager haben sie. Denken Sie sich nichts dabei! Es hat nichts zu bedeuten.«

»Aber – ich habe noch nicht bezahlt.«

»Sie brauchen nicht zu bezahlen.«

Das eingeschüchterte Mädchen verließ den Wagen. Der Zigeuner knallte die Tür hinter ihr zu. Der Schlüssel wurde herumgedreht. Gigis Freundin Sigrid und die beiden Jungen sahen ihr gespannt entgegen.

»Was war?«, fragte Sigrid. »Wer hat da drinnen so geschrien?«

»Ach nichts. Es war lauter Unfug. Der Alten wurde plötzlich schlecht.«

»Was hat sie denn gesagt? Erzähl!«

»Blödes Zeug ohne Hand und Fuß. Es war eine dumme Idee, hierher zu gehen. Kommt! Gehen wir! Ich brauche Menschen. Weg aus dieser dunklen Ecke!«

»Jetzt will ich auch hinein«, sagte Gigis Freund mit Nachdruck. »Ich will wissen, was da los ist.«

»Es geht nicht. Es ist geschlossen. Was wollen wir noch hier? Die Alte spinnt. Schreit und stammelt. Los, fort!«

Gigi ging einfach weg. Die anderen folgten ihr und warfen sich fragende Blicke zu.

Gigi war verstört, nicht wie üblich quirlig. Siegfried holte sie ein und nahm ihren Arm. Sie machte sich frei.

Es war kurz nach zwanzig Uhr. Auf dem Oktoberfest herrschte Hochbetrieb. Musik spielte, Menschen lärmten, und in den Festzelten grölten bierselige Menschen. In einer dunklen Ecke übergab sich ein Betrunkener.

Gigi sah von alledem nichts. Wie eine Schlafwandlerin ging sie durch das Menschengewimmel. Die Worte der Wahrsagerin hallten in ihr nach. »Schreckliches Unheil und grausamer Tod. Dämonen ernten.«

Das Mädchen fror. War es nur Unsinn, wie der beleibte Zigeuner gesagt hatte? Andererseits hatten die ersten Angaben der Wahrsagerin gestimmt.

Sie musterte Siegfried scharf. Tatsächlich – er schaute jedem hübschen Mädchen nach, zog es buchstäblich mit den Blicken aus. Bisher war ihr das nie besonders aufgefallen.

Jemand packte sie am Arm – Wolfgang, der Freund Sigrids.

»... frage dich jetzt noch mal«, schrie er. »Gehst du mit ins Zelt?«

Sie standen vor dem großen Bavaria-Bierzelt. Gigi stellte sich die stickige, verräucherte Luft drinnen vor, den Lärm und die vielen Leute, die sich drängten und angetrunken verbrüderten, das Gedränge auf der Tanzfläche, wo alle schwitzten. Plötzlich war ihr alles zuwider, was sie sonst nie gestört hatte. Sie schluchzte, wollte fort von diesen vielen Menschen, nach Hause, wo sie sicher und geborgen war.

»Ihr mit eurem blöden Bierzelt!«, rief sie. »Ich habe keine Lust, mich da drinnen von irgendwelchen Widerlingen abknutschen und mir ihre Fahne ins Gesicht blasen zu lassen. Überhaupt habe ich genug von dem ganzen Oktoberfest.«

»Meinst du mit den Widerlingen etwa auch mich?«, fragte Siegfried eingeschnappt.

»Gerade dich. Du willst doch immer nur eines. Dabei hast du schon längst andere Mädchen im Auge. Ich weiß Bescheid über dich. Du – du ...« Es fiel ihr kein passendes Schimpfwort ein. Sie drehte sich um und stürzte davon.

Siegfried wollte ihr nachlaufen, aber Wolfgang hielt ihn am Arm fest. »Bloß nicht! Sonst hat sie Oberwasser«, sagte er altklug und fragte: »Was ist denn plötzlich los mit ihr?«

»Ich weiß es nicht. Sie wird sich schon wieder beruhigen.«

»Hattet ihr Streit?«

»Ach wo! Überhaupt nicht. Höchstens, dass ich nicht mit ihr Achterbahn fahren wollte. Aber deshalb kann sie sich ja nicht so aufregen.«

»Achterbahn? Blödmann! Du hast doch gehört, was sie dir an den Kopf geworfen hat.«

Die drei diskutierten noch eine Weile Gigis Verhalten, schließlich gingen sie ins Festzelt.

Das Mädchen lief über den Rummelplatz, die Augen blind von Tränen. Entsetzen krampfte ihr das Herz zusammen. Blindlings eilte sie weiter. Ein paar betrunkene Burschen bildeten eine Kette, wollten sie nicht durchlassen.

»He, Puppe, willst du nicht mit mir die Liegesitze testen?«, grölte einer.

Die anderen lachten.

Gigi gab dem Kerl einen Stoß, dass er taumelte. »Lass mich in Ruhe, verdammter Kerl! Ich kratze, ich schreie um Hilfe!«

Die jungen Burschen sahen, dass Gigi völlig aufgelöst und wütend entschlossen war. Sie ließen sie los.

»War ja nur Spaß«, brummte einer. »Dann eben nicht. Gibt noch genug andere Puppen hier.«

Gigi eilte weiter. Sie kam an ein großes Zelt. Amalfis Monstrositätenschau stand über der kleinen Vorbühne, hinter der sich der Eingang befand. Ein Anreißer stand draußen, ein bunt gekleideter Zigeuner. Er schrie ins Mikrofon. Eine kleinere Menschenmenge hatte sich vor dem Zelt angesammelt.

Wider Willen blieb Gigi stehen, fasziniert und magisch angezogen.

»Sehen Sie Hervio, den Knochenmann! Einundsiebzig Tage hat er gefastet, und heute Abend wird er seinen Glaskasten verlassen. Sehen Sie, wie er Unmengen von Nahrung in sich hineinstopft und wie ein Hefeteig aufquillt! Sehen sie Lucia, die stumme Schlangenbeschwörerin, und Herkules, den stärksten Mann der Welt! Sehen Sie Raffael Amalfi persönlich in seinen weltberühmten Glanznummern, den Mann, der weiße Mäuse und lebende Goldfische verschluckt und lebendig wieder zutage fördert! Raffael Amalfi – der größte Feuer- und Schwertschlucker der Welt. Das müssen Sie gesehen haben. Das dürfen Sie nicht versäumen. Davon können Sie Ihren Kindern und Enkeln erzählen. Hereinspaziert, herrrreinspaziert! Werden Sie Zeuge der Sensation Ihres Lebens! Die größte Monstrositätenschau der Welt.«

An dem Zelt hingen Schilder, die ebenfalls die Zugnummern ankündigten. An einem blieben Gigis Blicke hängen. Es war das kleinste. Ein Pfeil zeigte um die Ecke. Madame Zarina, Wahrsagerin stand darauf.

Gigi schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Sie befand sich wieder ganz in der Nähe von Madame Zarinas Wohnwagen.

Ein großer beleibter Zigeuner trat auf die kleine Bühne. Ein Tusch kündigte ihn an.

»Raffael Amalfi persönlich gibt Ihnen eine kleine Gratisvorstellung seines Könnens«, rief der Anreißer.

Amalfi zog einen Dolch aus der Tasche. Als er ihn gerade in den offenen Mund schieben wollte, traf sein Blick den Gigi Mertzbachs. Es war der beleibte Zigeuner, der Gigi aus dem Wohnwagen Madame Zarinas gewiesen hatte.

Das Mädchen lief davon. Raffael sah ihr nach. Gigi stürzte weg vom Rummelplatz, zwischen den Wohnwagen der Schausteller hindurch auf den dunklen Teil der Theresienwiese. Die Lichter, der Lärm und der Trubel blieben hinter ihr zurück.

Sie atmete auf. Die Abendluft kühlte ihr Gesicht.

Sie wusste gar nicht, was in sie gefahren war. Ein wenig dummes Gerede von einer schrulligen Wahrsagerin, und schon drehte sie durch. Sie zwang sich zu einem Lachen. Was sollten Siegfried und die anderen von ihr denken?

Da raschelte es im Gebüsch. Gigi wollte sich einreden, dass es ein Tier war oder ein Betrunkener, der hier seinen Rausch ausschlief, aber ihr Herz hämmerte. Eisige Angst schnürte ihr die Kehle zu. Sie bebte an allen Gliedern, spürte, dass etwas näher kam, und sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Ihre grässliche Angst war stärker als alle Vernunft. Gellend kreischte sie los.

Raffael mit drei Männern seiner Sippe hörte die Schreie. Zu viert waren sie dem Mädchen gefolgt. Der Zigeuner erbleichte unter der braunen Haut. Er winkte den anderen. Sie rannten schneller. Ein letzter furchtbarer Schrei, dann war es still. Vom Oktoberfest hallte eine Schlagermelodie herüber.

Die Zigeuner blieben unter den Bäumen stehen. Einer gab Raffael Amalfi die Taschenlampe, und das Sippenoberhaupt leuchtete den Boden ab. Matteo Amalfi, Raffaels ältester Sohn, packte ihn am Arm.

»Vater, hörst du es?«

Die Zigeuner lauschten. Sie hörten ein Krachen und Schmatzen. Zögernd nur schritten sie in die Richtung. Raffael knipste die Taschenlampe an. Geraschel in den Büschen, als würde etwas weghuschen. Im Lichtkegel der Taschenlampe sahen die Zigeuner, dass Gras und Laub zertrampelt und blutbefleckt waren. Eine große Blutlache stand auf dem Boden und zeugte von einem entsetzlichen Geschehen.

»Es ist wieder passiert«, flüsterte Matteo. »Was sollen wir jetzt tun, Vater?«

Raffael starrte auf die Blutlache.

»Was die Sippe angeht, muss die Sippe unter sich ausmachen«, sagte er. »Der Täter wird nach unseren Gesetzen gerichtet. Kein Außenstehender darf davon erfahren.«

»Ja«, murmelten die anderen. »Das ist das Beste. Sonst kommen wir allesamt ins Gefängnis.«

»Fort!«, befahl Raffael. »Niemand darf uns hier sehen. Außer der Blutlache ist nichts zurückgeblieben. Keiner kann uns mit dieser Tat in Verbindung bringen.«

Die Zigeuner schlichen davon. Als ein paar Männer, die wie sie die Schreie gehört hatten, herbeieilten, waren sie schon fort. Die Männer sahen die Blutlache nicht. Sie hielten das Ganze für einen dummen Scherz und kehrten zum Oktoberfest zurück.

In der Nacht ging ein Wolkenbruch nieder und wusch das Blut fort. Gigi Mertzbach blieb spurlos verschwunden.

Dorian Hunter und Coco Zamis bummelten über den Rummelplatz in Hampstead. Coco war munter und ausgelassen. Sie wollte Unsinn treiben, sich entspannen und ablenken. Aus einer Laune heraus hatte sie den Dämonenkiller gebeten, mit ihr nach Hampstead zu gehen.

Das Fest des Schutzpatrons von Hampstead wurde wie jedes Jahr festlich begangen. Es war November. Der Wind blies kalt, und am Abend kroch der Londoner Nebel durch die Straßen. Geschneit hatte es bisher noch nicht.

»Sieh mal, Dorian, die Schießbude dort! Meinst du, dass du etwas triffst?«

»Das wird sich gleich herausstellen.«

Dorian zahlte und legte das Gewehr an. Die Röhrchen von ein paar roten Papierrosen platzten. Dorian überreichte die Rosen Coco mit großer Geste und tiefer Verbeugung. Lachend hängte sie sich bei ihm ein.

Wer sie so sah, hätte sie für ein unbeschwertes Liebespaar gehalten.

»Früher als kleines Mädchen wünschte ich mir nichts sehnlicher, als einmal genug Geld zu haben, um auf dem Prater in Wien alles kaufen zu können, was ich wollte. Das wäre ein Fest gewesen! Jetzt habe ich genügend Geld, aber ich mache wenig Gebrauch davon, weil mir an dem Zeug nicht mehr viel liegt.«

»Das ist wohl meistens so«, sagte Dorian. Sie befanden sich etwas abseits vom größten Trubel. Sein Blick fiel auf einen Wohnwagen. »Sieh mal, Coco, eine Hellseherin! Madame Zarina sagt Ihnen die Zukunft. Handlesen fünfundzwanzig Pence, Kartenlegen und Kristallkugel vierzig Pence.«

»Das will ich mir ansehen, Dorian. Da gibt es bestimmt etwas zu lachen.« Coco machte ein todernstes Gesicht und sagte mit hohler Stimme: »Sie werden einen großen blonden Mann kennenlernen und sieben Kinder mit ihm haben. Hüten Sie sich an jedem Donnerstag, an dem Ihnen eine schwarze Katze über den Weg läuft, und misstrauen Sie Leuten, die schwarze Haare, grüne Augen und Schnurrbärte haben!«

Lachend gingen sie zum Wagen.

Dorian klopfte.

»Herein!«, rief eine krächzende Stimme.

Sie traten ein. In dem Wagen war es sehr warm. Es roch nach Weihrauch, und die Wände waren in Schwarz und Rot gehalten. Kabbalistische Stickereien und Tarotfiguren bedeckten die Wandbehänge. Eine schwarze Katze und ein einäugiger Rabe vervollständigten das Interieur. An einem kleinen Tischchen saß eine uralte hässliche Frau mit Kopftuch, Ohrringen und Ringen. Sie sah wie die Großmutter aller Hexen aus.

»Einer nach dem anderen«, sagte sie. »Was es hier zu hören gibt, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.«

»Wir kennen uns sehr gut«, sagte Dorian und zog Coco an der Hand herein. »Keine Sorge, Madame Zarina!«