Dorian Hunter 75 - Ernst Vlcek - E-Book

Dorian Hunter 75 E-Book

Ernst Vlcek

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Beschreibung

Die Dämmerung sank rasch über das Baztán-Tal und wurde fast übergangslos von der Nacht abgelöst. Der Mann an dem schweren, grob gezimmerten Holztisch dachte: Ich werde es tun. Heute Nacht. Ich muss ihn töten!
Auf der Kellertreppe ertönten Schritte, dann fiel Kerzenschein in den Raum. Eine Frau, den Kittel gerafft, um nicht darauf zu treten, kam herein. Sie war schön, und Miguel liebte sie über alles. Im Kerzenlicht erschien sie ihm noch begehrenswerter.
»Miguel«, flüsterte Inez, »ich flehe dich an, versündige dich nicht!«
»Ich muss es tun. Er ist ein Ausbund der Hölle.«
Mit diesen Worten stand Miguel auf, schob seine Frau zur Seite und näherte sich mit schleppenden Schritten dem Schlafzimmer. Die Tür wich quietschend zurück.
»Was willst du mit dem Gewehr, Vater?«, fragte Tirso arglos und blickte seinen Vater aus seinem einzigen Auge an, das oberhalb der Nasenwurzel auf seiner Stirn saß.


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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DER SOHN DES ZYKLOPEN

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen. Unterstützung in seinem Kampf erhält er zunächst durch den englischen Secret Service, der auf Hunters Wirken hin die Inquisitionsabteilung gründete.

Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.

In der Folge beginnt Dorian die Dämonen auf eigene Faust zu jagen. Als die Erfolge ausbleiben, gerät Trevor Sullivan, der Leiter der Inquisitionsabteilung, unter Druck. Die Abteilung wird aufgelöst, und Sullivan gründet im Keller der Jugendstilvilla die Agentur Mystery Press, die Nachrichten über dämonische Aktivitäten aus aller Welt sammelt. Hunter bleibt nur sein engstes Umfeld: die junge Hexe Coco Zamis, die selbst ein Mitglied der Schwarzen Familie war, bis sie wegen ihrer Liebe zu Dorian den Großteil ihrer magischen Fähigkeiten verlor; weiterhin der Hermaphrodit Phillip, dessen hellseherische Fähigkeiten ihn zu einem lebenden Orakel machen, sowie ein Ex-Mitarbeiter des Secret Service namens Donald Chapman, der bei einer dämonischen Attacke auf Zwergengröße geschrumpft wurde.

Trotz der Rückschläge gelingt es Dorian, Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, zu vernichten. Doch mit Olivaro steht schon ein Nachfolger bereit, der die schwangere Coco Zamis zur Rückkehr in die Schwarze Familie zwingt. Es gelingt Dorian, Coco zu retten. Nach einer Flucht um den halben Erdball bringt sie ihr Kind in London zur Welt, und Olivaro muss den Thron räumen.

Coco versteckt das Neugeborene an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält. Ihre Vorsicht ist berechtigt, da bald eine neue, »alte« Gegnerin auftaucht: Hekate hat Dorian einst in seinem Leben als Georg Rudolf Speyer abgöttisch geliebt. Dass sie ihn jetzt ebenso abgrundtief hasst, ist nicht allein auf ihre Krönung zum neuen Oberhaupt der Schwarzen Familie zurückzuführen. Dorian hat sie in seinem vierten Leben Michele da Mosto verraten und dem Verderben preisgegeben. Als Donald Chapman spurlos verschwindet, glaubt Dorian zunächst an einen Racheakt von Hekate – aber dann stößt er im Baskenland auf die Spur des Blauen Kindleins ...

DER SOHN DES ZYKLOPEN

von Ernst Vlcek

Dorian Hunters Notizen zur baskischen Religion

Die Basken wurden im 6. Jahrhundert von den Westgoten in ein Gebiet zurückgedrängt, das von den Westpyrenäen bis zum Ebro reichte. Dort sind sie auch heute noch ansässig. Die Basken selbst nennen ihr Land Euskalerri.

Die Basken nahmen das Christentum bereits im 7. Jahrhundert an. Doch in den paar Tagen, die ich mich hier erst aufhalte, konnte ich feststellen, dass die alte Mythologie auch heute noch tief in diesen Menschen verwurzelt ist und lebt.

Mari war die oberste Gottheit der baskischen Religion. Sie war weiblichen Geschlechts und wohnte in der Unterwelt. Ihre unzähligen Diener traten durchwegs in Tiergestalt auf. Wenn Mari mit ihrem Gatten Maju zusammentraf, dann kam es zu Stürmen und Hagelschauern.

Auch Lur, die Erde, war eine weibliche Gottheit. Die Sonne Ehki war ihre Tochter und spielte bei den Sonnenkulturen eine bedeutende Rolle. Es herrschte allgemein die Ansicht, dass Ehki zur Sonnenwende am 24. Juni tanzend aufginge.

1. Kapitel

Eine zweite Tochter der Erdgöttin Lur war die Mondgöttin lllargui. Dieser Name bedeutet so viel wie: Licht der Toten. Es herrschte der Glaube, dass der Mond den Seelen der Verstorbenen leuchte. Und diese Totenseelen wurden guerixeti genannt. Das wird von dem Wort Schatten abgeleitet. Als Seele schlechthin galt argui –was Licht heißt.

Wie ich es verstanden habe, bezeichnen die Basken mit guerixeti das Böse, das die Verstorbenen den Lebenden hinterlassen, während argui das Gute im Menschen ist. Etliche Jahrhunderte ist es her, dass das Christentum im Baskenland Fuß gefasst hat, und doch scheint es mir, als hätte sich in dieser Zeit im Grunde genommen nicht viel geändert.

Die Dämmerung sank rasch über das Baztán-Tal und wurde fast übergangslos von der Nacht abgelöst. Der Mann an dem schweren, grob gezimmerten Holztisch dachte: Ich werde es tun. Heute Nacht. Ich muss ihn töten!

Auf der Kellertreppe ertönten Schritte, dann fiel Kerzenschein in den Raum. Eine Frau, den Kittel gerafft, um nicht darauf zu treten, kam herein. Sie war schön, und er liebte sie über alles. Im Kerzenlicht erschien sie ihm noch begehrenswerter.

»Warum machst du kein Licht?«, fragte sie.

»Ich liebe die Dunkelheit«, antwortete er. »Die Nacht hat tausend Augen. Ich fühle es, dass wir ständig beobachtet werden.«

Die Frau stellte die Kerze auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber.

»Das bildest du dir nur ein«, redete sie ihm zu. »Niemand hat etwas gemerkt. Hier sind wir sicher.«

Der Mann lachte rau. »Wir sind nirgends sicher, solange wir diesen ...«

»Bitte, sei vorsichtig!«, flehte die Frau. »Du darfst so nicht über ihn sprechen. Wenn er dich hört ...«

»Ah!«, machte der Mann und ließ seine schwere Faust auf die Tischplatte sinken. »Du fürchtest dich selbst schon vor ihm. Und dann wunderst du dich, dass die anderen ihm nach dem Leben trachten.«

»Ich habe keine Angst«, erwiderte die Frau. »Warum sollte ich mich vor meinem eigenen Fleisch und Blut fürchten? Ich will nur nicht, dass du so über ihn redest. Es würde ihn kränken.«

»Bist du da so sicher?«

»Was?«

»Dass es dein eigenes Fleisch und Blut ist.«

»Bitte, fang nicht wieder damit an! Er ist unser Sohn. Ich habe ihn in meinem Leib getragen. Und ich habe ihn zur Welt gebracht. Auch wenn er einen körperlichen Makel hat, bleibt er unser Kind. Ich betrachte es als eine Prüfung Gottes, die wir gemeinsam zu bestehen haben.«

Der Mann lachte wieder, blinzelte zur Kellertür und fragte dann seine Frau: »Schläft er?«

»Ja, er ist sofort eingeschlafen.«

Der Mann nickte zufrieden. Er fühlte sich nun sicherer und sagte mit etwas lauterer Stimme: »Du redest dir ein, dies sei eine göttliche Prüfung, aber ich sage dir, dass der Teufel seine Hände im Spiel hat. Tirso hat nicht nur einen körperlichen Makel. Er ist ein Ausbund der Hölle. Ein Scheusal. Eine ...«

»Miguel!« Es klang wie ein Aufschrei. »Miguel, versündige dich nicht! Tirso ist auch dein Sohn. Du bist sein Vater, das musst du mir glauben.«

Der Mann stieß die Luft durch die Nase aus. Die Frage lag ihm auf der Zunge, welche Ähnlichkeit Tirso denn mit ihm habe, aber er verkniff sie sich. Er wollte seine Frau nicht quälen. Er liebte sie trotz allem. Und welche dunklen Mächte auch immer ihre Hände im Spiel gehabt hatten, welcher Teufel auch immer ihnen dieses böse Schicksal zugedacht hatte, seine Frau war ohne jede Schuld. Und nur weil er davon überzeugt war, ertrug er dieses Los. Ihr zuliebe versteckte er sich vor den Menschen und führte ein Einsiedlerleben. Er war zu einem Menschenfeind geworden, gezwungenermaßen. Dabei waren seine Feinde nicht dort draußen unter den ängstlichen und abergläubischen Menschen zu suchen, sondern hier im Haus war sein Feind. Dort unten im Keller. In dem kleinen Raum, der zu einem Kinderzimmer ausgebaut worden war. Sein Feind lag in dem Kinderbett.

»Schon gut, Inez«, sagte der Mann. »Mach etwas zu essen! Ich habe Hunger.«

Die Frau ergriff seine Hand, sah ihn flehentlich an. Sie schien etwas sagen zu wollen, tat es dann aber nicht. Mit gesenktem Blick erhob sie sich, ließ zögernd seine Hand los und verschwand in der Küche. Für einen Moment fiel ein Lichtstreif ins Zimmer, als sie die elektrische Beleuchtung andrehte, dann schloss sie die Tür.

Der Mann blieb in der Dunkelheit zurück. Er wartete einige Minuten, dann erhob er sich. Es musste jetzt getan werden. Jetzt oder nie!

Vorsichtig schlich er zum Waffenschrank und holte ein Jagdgewehr heraus, das er schon zuvor geladen hatte. Damit begab er sich zur Treppe und stieg sie geräuschlos hinunter. Er hatte keine andere Wahl, als ihr Problem auf diese Weise zu lösen. Wenn Inez seine Handlungsweise auch nicht billigte, später einmal würde sie ihm dankbar sein. Der Mann erreichte das Ende der Kellertreppe. Seine Hand tastete in eine kleine Nische, wo ein Kerzenhalter stand. Er ertastete auch die bereitliegenden Streichhölzer, klemmte sich das Gewehr unter den Arm und entzündete ein Streichholz. Das dabei entstehende Geräusch erschien ihm so laut, dass er meinte, es würde überall im Haus zu hören sein. Als die Kerze brannte, ließ er das Streichholz achtlos zu Boden fallen. Das Gewehr wieder schussbereit haltend, drang er in den Keller ein. Er begann zu schwitzen. Inez hatte die Heizung wieder einmal zu stark aufgedreht, damit sich Tirso ja nicht erkältete.

Ha, bald würde es dieser Bastard noch heißer haben! In der Hölle sollte er schmoren!

Der Mann erreichte die Tür, hinter der Tirsos Zimmer lag. Seine Hand zitterte etwas, als er die Klinke niederdrückte. Die Tür schwang völlig geräuschlos auf. Der Mann hatte sie schon vor Tagen geölt.

Das Zimmer lag vor ihm.

Er hielt die Kerze hoch, um den ganzen Raum auszuleuchten, und stellte sie dann auf einem Schrank ab. Das Zimmer war nicht aufgeräumt. Überall lag Kinderspielzeug herum. Ganz normales Kinderspielzeug. Bausteine waren achtlos über den Boden verstreut oder zu schiefen Türmen aufgehäuft. Auf dem Tisch lagen ein Zeichenblock und Buntstifte. Gegen die Wand gelehnt saß ein Teddybär, seine Glasaugen schienen Miguel feindlich anzublinzeln. Aber nein, das war unmöglich. Der Teddybär war ein herkömmliches Plüschtier, so gewöhnlich wie die anderen Spielsachen. Alle waren auf die Bedürfnisse eines Vierjährigen abgestimmt. Spielsachen, wie man sie in jedem Kinderzimmer finden konnte. Wenn etwas nicht in diese Umgebung passte, dann war es das Kind, für das diese Sachen gedacht waren.

Tirso lag auf dem Rücken. Der Mann zuckte zusammen, als er sah, dass sein Auge offen war. Aber nach der ersten Schrecksekunde beruhigte er sich wieder. Tirso schlief immer mit offenem Auge. Ja, er besaß nur ein einziges Auge. Dieses saß oberhalb der Nasenwurzel mitten auf der Stirn. Er war eine Missgeburt. Sein Körper war völlig unbehaart. Er hatte keine Brauen, und sein Schädel war kahl. Seine Haut, die sich weich und seidig anfühlte, war von blauer Farbe.

Das soll mein Sohn sein?

Der Mann hob entschlossen das Gewehr.

»Hallo, Vater!«, sagte Tirso, ohne den Kopf zu heben, und blickte ihn mit seinem einen Auge an, durchdringend – wie es Miguel schien.

Er hätte in diesem Moment schreien mögen, so entsetzt war er. Aber er brachte keinen Ton hervor, rührte sich nicht vom Fleck, war wie gelähmt. Er hatte nicht einmal die Kraft, den Zeigefinger um den Abzug zu krümmen.

Tirso fuhr mit seiner unschuldigen Kinderstimme fort: »Ich habe mir so gewünscht, dass du vor dem Einschlafen noch zu mir kommst. Und jetzt bist du da. Hast du mich rufen gehört?«

»Ich ...« Miguel versagte die Stimme. Er stand in diesem Augenblick Todesängste aus. Wenn Tirso das Gewehr sah und die richtigen Schlüsse daraus zog, würde er ihn vielleicht töten. Die Macht, dies zu tun, hatte er; davon war Miguel überzeugt.

»Was willst du mit dem Gewehr, Vater?«, fragte Tirso.

Miguel setzte es ab und lehnte es wie in Trance gegen die Wand. Er näherte sich dem Bett. Das Gewehr hätte ohnehin zu viel Krach gemacht. Wozu besaß er seine Hände? Sie waren kräftig; mit ihnen konnte er es völlig lautlos tun. Inez würde überhaupt nichts merken. Und wenn sie am nächsten Morgen aufwachte, würde er sie schonend darauf vorbereiten, was sie im Keller erwartete.

»Gibst du mir einen Gutenachtkuss, Vater?«

Miguel beugte sich über das Bett, in dem der blauhäutige Zyklopenjunge lag. Seine Hände zuckten nervös, aber die Arme waren steif; er konnte sie nicht gebrauchen. Er küsste Tirso auf die hohe, glatte Stirn. Dabei rann ihm ein Schauer über den Rücken.

»Gute Nacht, Tirso!«, brachte er mühsam hervor.

»Gute Nacht, Vater!«

Vater! Das klang in Miguels Ohren wie ein Schimpfwort. Als er das Kinderzimmer wieder verließ, glich sein Abgang einer überstürzten Flucht.

Diese Missgeburt nannte ihn Vater. Aber es war nicht sein Kind. Es war ein Ungeheuer und es war stärker als er. Miguel sank auf die Kellertreppe und blieb liegen. Sein Körper zuckte krampfartig; er schluchzte.

Von oben erklang Inez' Stimme: »Das Essen ist fertig, Miguel!«

Des Dämonenkillers Notizen zur baskischen Religion

In der Mythologie der alten Basken spielen zahlreiche Geister eine bedeutende Rolle, an die man in den Schluchten und Tälern der Pyrenäen auch noch heute glaubt.

Und wie ich es selbst erlebte, haben die Basken allen Grund, an die Existenz von Dämonen zu glauben. Früher einmal müssen die zerklüfteten Bergtäler ein beliebter Zufluchtsort für Dämonen gewesen sein, aber seit sie sich zur Schwarzen Familie zusammengeschlossen hatten und das Tageslicht nicht mehr scheuten, fand man in Zentren der Zivilisation mehr Dämonen als in den entlegenen Winkeln.

Torto heißt eine der teuflischen Erscheinungen aus der baskischen Religion. Als ich von dem Dämon, der Don Chapman in die Pyrenäen entführen ließ, den Hinweis erhielt, dass Torto nun im Besitz des hermetischen Kreisels war, konnte ich mir unter diesem Namen nichts vorstellen. Erst ein Mitglied der Sekte klärte mich auf.

»Torto ist ein einäugiger Teufel, der in der alten Religion seinen festen Platz hat. Seine Haut ist blau. Er hat kein Fell, sodass er sich vor der Kälte des Winters in die wärmeren Täler flüchtet oder in einer seiner Höhlen Winterschlaf hält. Torto ist nicht tot – er lebt. Und wir wissen, dass er einen Sohn gezeugt hat, der sein Ebenbild ist. Diesen Kind-Dämon müssen wir finden und töten, damit das Geschlecht der Zyklopen ausstirbt.«

Ich hatte den Hinweis bekommen, dass Torto im Nationalpark Ordesa hause, und war mit einer Gruppe bewaffneter Sektenmitglieder dorthin unterwegs.

Vom Nationalpark Ordesa zum Baztán-Tal war es ein langer und beschwerlicher Weg. Im Sommer hätte er diese Strecke mühelos bewältigen können, denn er war groß und stark; aber jetzt lag überall tiefer Schnee, und er musste die Straßen meiden, weil er den Menschen nicht begegnen wollte. Er ging ihnen aus dem Weg, wo er nur konnte. Nur, wenn es sich nicht anders machen ließ, gab er sich mit den Menschen ab; etwa, wenn einer seiner vielen Brüder in der weiten Welt einen Gefallen von ihm wollte. So wie vergangenen Sommer, als ein Dämon, dessen Namen er längst vergessen hatte, von ihm verlangte, er sollte einen der Touristen töten, der in den Nationalpark Ordesa kam.

Seit damals hatte Torto kein Menschenfleisch mehr genossen. Im Allgemeinen ließ er die Touristen in Ruhe, die kamen, um die Naturwunder zu bestaunen. Nicht etwa, dass er ein Kostverächter war, aber seine Vorsicht überwog seine dämonischen Triebe. Er saß in seiner Höhle hinter den Cascadas de Cotatuero und starrte durch die herabstürzenden Wassermassen verlangend auf die Menschen, die zum Greifen nahe waren.

Aber er war feige. Und er war auch nicht so klug wie seine anderen Brüder, um sich einen Plan auszudenken, wie er ohne Risiko an seine Opfer herankommen konnte. So hielt er sich an die Haustiere der Menschen. Er hatte eine kleine Schafherde gestohlen, die er jetzt durch die verschneite Bergwelt in Richtung Baztán-Tal trieb. Manchmal versanken die Schafe so tief im Schnee, dass er sie mit den Händen freischaufeln und ein Stück tragen musste. Er fror erbärmlich. Selbst schwerste körperliche Arbeit konnte ihn nicht erwärmen. Dabei hatte er vor Antritt seines Marsches einige Schafe gerissen und sich in deren Pelze gehüllt. Doch nicht doppelt so viele Pelze und auch nicht hundert hätten die furchtbare Kälte von ihm fernhalten können.

Um wie vieles lieber wäre er in seiner Höhle geblieben, hätte den Winter schlafend verbracht. Gelegentlich, wenn er aufwachte, hätte er ein Tier geschlachtet, um dann wieder für einige Tage oder Wochen in Schlaf zu versinken.

Er hatte sich auch schon längst für den Winterschlaf eingerichtet. Aber dann war ein Bote gekommen und hatte ihm ein Geschenk mit einer Nachricht gebracht. Das war der Grund, warum er sich auf den Weg ins Baztán-Tal machte. Er bereute diesen Entschluss nicht. O nein! Er hätte es in seinem Winterquartier ohnehin nicht ausgehalten. Die Sehnsucht nach dem Geschöpf, das er nach seinem Ebenbild geformt hatte, war stärker als alles andere. Er war der Letzte seiner Art in den Pyrenäen. Der letzte Torto – zum Aussterben verurteilt.

Er hatte schon vor Jahrzehnten damit begonnen, seine dämonischen Brüder in der weiten Welt um Unterstützung anzurufen. Doch es schien, dass er ihnen zu minder war. In früheren Jahrhunderten war ein Zyklop ein gleichermaßen geachteter wie gefürchteter Dämon gewesen. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die Schwarze Familie war gegründet worden, und ihre Mitglieder hatten es in der schwarzen Magie zur Meisterschaft gebracht. Der gefürchtete Torto, der längst keinerlei magische Fähigkeiten mehr besaß, wurde zu einem Kinderschreck degradiert. In der Schwarzen Familie erinnerte man sich nur selten seiner und auch nur dann, wenn man etwas von ihm wollte. Doch einer seiner Dämonenbrüder, dem er vor vielen, vielen Jahren mal einen Gefallen getan hatte, schien so etwas wie Dankbarkeit zu kennen. Er erhörte Tortos Flehen und unterstützte ihn in seinen Bemühungen, einen Nachkommen zu zeugen.