Downhill Dreams - Nadine Schojer - E-Book

Downhill Dreams E-Book

Nadine Schojer

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Beschreibung

Sie lieben das Risiko – aber trauen sich nicht, zu ihren Gefühlen zu stehen ... Levi ist der Star der Mountainbikeszene – auf der Strecke unschlagbar, in Sachen Liebe aber ein Bad Boy. Josie scheut auf dem Berg keine Challenge – doch seit ihre Mutter die Familie sitzenließ, hat sie Angst, sich auf die Liebe einzulassen. Als Josie und Levi aufeinandertreffen, fliegen die Funken. Und während eines Gewitters scheint plötzlich alles möglich zwischen den beiden – bis Levi einen Rückzieher macht und Josies schlimmste Befürchtungen bestätigt. Völlig unerwartet treffen die beiden Monate später an einem Sportcollege in Kalifornien zusammen und die gegenseitige Anziehung ist intensiver als je zuvor. Doch für Levi als Trainer ist Josie absolut off limits ... - Eine Sports Romance zum Mitfiebern, voller intensiver Gefühle und mit dem Nervenkitzel des Extremsports Mountainbike-Downhill - Romantisch, rasant und hochemotional – eine echte Achterbahnfahrt, bei der es nicht nur am Berg auf und ab geht

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Seitenzahl: 529

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Sie beide lieben eine gute Challenge und scheuen mit ihren Bikes kein Risiko – aber zu ihren Gefühlen zu stehen, trauen sie sich nicht …

 

Levi ist der Star der Mountainbikeszene – auf der Strecke unschlagbar, in Sachen Liebe aber ein Bad Boy. Josie scheut auf dem Berg keine Challenge – doch seit ihre Mutter die Familie sitzenließ, hat sie Angst, sich auf die Liebe einzulassen. Als Josie und Levi aufeinandertreffen, fliegen die Funken. Und während eines Gewitters scheint plötzlich alles möglich zwischen den beiden – bis Levi einen Rückzieher macht und Josies schlimmste Befürchtungen bestätigt. Völlig unerwartet treffen die beiden Monate später an einem Sportcollege in Kalifornien zusammen und die gegenseitige Anziehung ist intensiver als je zuvor. Doch für Levi als Trainer ist Josie absolut off limits …

 

Eine Sports Romance zum Mitfiebern, voller intensiver Gefühle und mit dem Nervenkitzel des Extremsports Downhill

Nadine Schojer

Downhill Dreams

Roman

 

 

 

Für Bernhard – für alles, was du tust, und für alles, was du für mich bist.

Playlist

Watch Me * The Phantoms

Happy Idiot * TV On the Radio

Hometown * Twenty One Pilots

This Modern Love * Bloc Party

I Can Do It With a Broken Heart * Taylor Swift

Reborn * Rae Morris

Next Semester * Twenty One Pilots

Fat Lip * Sum 41

In the Morning * Soulsavers

Sometime Around Midnight * The Airborne Toxic Event

Peer Pressure * James Bay, Julia Michaels

Lost Forever * I Heart Sharks

Messy x Dreams * Smashup

Unstoppable Now * The Phantoms

See Her Out * Francis and the Lights

Till Forever Falls Apart * Ashe, FINNEAS

You’re Losing Me * Taylor Swift

I Need My Girl * The National

Feels Like Coming Home * Jetta

Landmines * Sum 41

Am Here * Pink

Wild Heart * Femme Schmidt

Make This Go On Forever * Snow Patrol

Get Ready For the Future * Silverberg, Anna Graceman

I Am Free * Tones and I

You’ve Got the Love * BBC Proms at the Royal Albert Hall: Florence + The Machine, Jules Buckley

Prolog

Der Wind pfeift durch die Felsen. Die Luft ist erfüllt von Kiefernholz und frischer Erde. Sonnenstrahlen brechen sich an der Gesteinsformation, die den Berg wie ein undurchdringliches Bollwerk umschließt, als wollte sie jeden Versuch vereiteln, ihn zu erobern.

Levi steht am Gipfel.

Schweißgetränkt, die Haare nass in die Stirn hängend, bringt er sein Bike in Position. Stemmt die Hände auf den Lenker und blickt hinab ins Tal, das ein Farbverlauf aus Grün- und Brauntönen ist. Der dunkle Carbonrahmen seines Mountainbikes glänzt im Einfall des Lichts. Levi Hardin steht in silberfarbenen Lettern darauf, Warnung und Verheißung zugleich, denn er wird sich jeder Herausforderung stellen. Konzentriert schiebt Levi sich den mattdunkelgrünen Helm ein Stück in die Stirn und zieht seine Handschuhe fester, um mehr Grip am Lenker zu haben. Dann küsst er das Medaillon, das er versteckt unter seinem T-Shirt um den Hals trägt und das ihm jemand geschenkt hat, der für ihn einst die Welt bedeutete. Der sein Zuhause war. Der Kuss ist Dankbarkeit und Bitte zugleich. Obwohl er mehr als tausend Downhills gefahren ist, hat Levi Respekt. Respekt vor der Naturgewalt, die ihn immer wieder aufs Neue herausfordert. Respekt vor dem Leben, denn er weiß, wie schnell es vorüber sein kann.

Levi stößt sich ab, schließt die Augen und genießt die Stille, die ihm jedes Mal, kurz bevor er wieder Bodenhaftung gewinnt, den Atem raubt. Es ist ein Sich-fallen-Lassen und Ankommen in einer Schwerelosigkeit, die ihn für wenige Sekunden trägt.

Das Bike schmettert auf den Untergrund, Levi spürt die Erschütterung und richtet die Konzentration auf das Downhill. Seine Räder greifen den losen Schotter, der Fahrtwind peitscht ihm ins Gesicht. Die ersten Kurven kommen schnell, sind eng, er legt sich in sie hinein, das Adrenalin pumpt durch seine Adern. Der Pfad führt über schmale Holzbrücken, die sich über tiefe Schluchten spannen, und er spürt, wie das Holz unter ihm nachgibt, als er darüber hinwegschießt. Kleine Wasserfälle stürzen sich von den Hängen, schäumend und glitzernd wie flüssiges Silber. Levi steuert direkt auf einen Felsen zu. In der allerletzten Sekunde zieht er das Vorderrad hoch und fliegt über die Kante.

Die Welt steht still.

Er schwebt in der Luft, die Landschaft unter ihm verschwimmt.

Levi wird eins mit den Wolkenfäden, die sich um seine Silhouette formen. Atmet die kühle Bergluft ein. In diesem Moment ist er frei. Ganz bei sich. Und verliert sich in der Schwerelosigkeit, die ihn mitreißt.

Dann stürzt er hinab.

Josie

»Verdammt tut das gut, tiefer … fester.« Toms Handballen drücken sich in meinen rechten Oberschenkel und ich gehe mit der Berührung mit, indem ich langsam ausatme.

»Fester? Bist du dir sicher?«

»Damit es morgen nicht mehr wehtut.«

»Wie du meinst …«

»Immer noch zu sanft, Tom.«

Nun verstärkt er seinen Griff, drückt mit seinem Handballen in meinen Oberschenkel, sodass mich ein Schmerz durchzuckt.

»Bist du verrückt?«, schreie ich, fahre hoch und presse mir das Handtuch an meinen nackten Oberkörper. »Doch nicht so fest!« Ich klopfe ihm spielerisch gegen seinen Bauch.

Er lacht und wischt sich eine hellbraune Haarsträhne aus der Stirn.

Meine Muskeln brennen und seit ich vom Mountainbike abgestiegen bin, fühlt es sich an, als hätte ich Fahrstuhlbeine, die von einer unsichtbaren Kraft nach unten gezogen werden.

»Du bist völlig erledigt, oder?«, stellt Tom fest und schenkt mir ein schiefes Lächeln. Seine Stimme ist warm und ruhig, aber mit diesem neckenden Unterton, den er immer hat.

Ein leichtes Zucken meiner Augenbraue, ein kleines Schmunzeln, dann lege ich mich wieder hin.

»Kannst du das Mandelöl nehmen? Das aus Kalifornien«, grummele ich, während ich die Augen schließe. Ich spüre das weiche Handtuch an meinen erhitzten Wangen. »War echt ein hartes Training heute.«

Das Klicken der Lotionflasche ist zu hören und der dezent nussige Duft steigt mir in die Nase. Tom greift vorsichtig nach meiner Hand und streckt meinen Arm. Ich seufze zufrieden, weil mich die Mandelnote und Toms sanfte Dehnung sofort entspannen lassen.

»Hast du endlich mit ihm gesprochen?«, fragt er, als er meinen Arm wieder zurücklegt und mir über die Haut streicht, um die Reste des Mandelöls zu verteilen.

»Mit wem? Meinem Dad?«

»Nein, mit dem Gouverneur von Kalifornien … Klar mit deinem Vater. Wie lange willst du es noch aufschieben, Josie? Die Zeit rennt. Ist dir bewusst, oder?« Die nächste Dehnung ist überhaupt nicht sanft, sondern ungewohnt schmerzvoll, sodass ich zusammenzucke.

»Ja, schon verstanden«, keuche ich. »Ich werde mit ihm sprechen.«

Tom zieht an meinen Fingern und ein unheilvolles Knacken ertönt. »Das sagst du seit Wochen.«

»Es fällt mir eben verdammt schwer. Soll er etwa meinetwegen noch mal einen Schlaganfall kriegen? Ich hab’s noch nicht geschafft, ihn damit zu konfrontieren. Und bitte … bitte lass mich jetzt nicht daran denken … Das wird nicht einfach für ihn. Okay? Und nun hör auf, mir meine Finger abzuschrauben, die brauche ich noch für das CrossAlp. Gönn mir ein wenig Entspannung, Tom. Komm schon«, flehe ich, drehe mich auf den Bauch und schließe die Augen in der Hoffnung, er würde diese wunderbaren Hände sanft über meinen Rücken gleiten lassen und sie mir nicht gedanklich um den Hals legen.

»Mmh, ja, so … genau so ist es gut.«

Toms Fingerspitzen trippeln behutsam über meine Wirbelsäule. Sie sind warm, zärtlich und die Berührung löst ein unwillkürliches Kribbeln aus, das über jeden meiner Wirbel wandert und an meinen Flanken ausläuft.

»Echt verspannt«, murmelt er, während sich seine Finger durch meine verkrampften Rückenmuskeln arbeiten. »Liegt an deinem kleinen Geheimnis, wetten?«

»Hör auf damit! Das liegt an deinem Trainingsplan für das Rennen.«

Tom lacht leise, ein tiefes, vibrierendes Geräusch, das mehr als nur meine Ohren erreicht. »Hast du so bei mir bestellt.« Mir entgeht das Grinsen in seiner Stimme nicht.

»Tja, ›Von nichts kommt nichts‹, sagt Dad immer. Und der muss es schließlich wissen.«

Tom streicht mir meine Cherry-Blossom-Haarsträhnen aus dem Nacken und tröpfelt etwas Öl auf meine Schulterblätter.

»Wenigstens in dieser Hinsicht bist du klar im Kopf.«

Hey! Ich schnelle mit dem Oberkörper hoch, werde aber mit sanftem Druck in die Liege zurückgepresst.

»Wir sind noch nicht fertig.«

… und ich halb nackt, wie mir auf einmal peinlich bewusst ist. Tom hat mich bislang noch nie – also außerhalb dieser Massageliege – nackt gesehen, obwohl wir uns einmal bei einer Party nach zu vielen Gin Basil Smash geküsst hatten.

Aber mehr lief nicht. Ein Kuss. Am nächsten Tag ein mordsmäßiger Kater und das Gefühl, dass da irgendwas zwischen uns war, das ich nicht einordnen kann. Womöglich arbeiten wir auf eine Wiederholung hin, keine Ahnung. Und vielleicht kann aus diesen professionellen Berührungen etwas noch Intimeres werden.

»Bist du bereit für deinen wunden Punkt?«

»Meinetwegen«, grummele ich und nicke, so gut das in der Kopföffnung der Liege geht.

Als seine Hände zu meinen Schultern wandern, werden seine Berührungen mit jedem Zug kräftiger. Ich stöhne, als er die schmerzhafte Stelle unter meinem rechten Schulterblatt findet, und kneife die Augen zusammen. »Fuck, ist das beschissen … Okay, jetzt etwas sanfter, Tom.«

Aber entgegen meiner Bitte erhöht er den Druck noch und verweilt an diesem Triggerpunkt, der mich weiterfluchen lässt.

»Noch ein paar Sekunden, ja? Atme tief ein und lange aus«, fordert Tom und ich spüre seinen Atem nah an meinem Nacken.

Ich folge der Anweisung und der Schmerz lässt nach. Wird immer weniger. Bei jedem Ausatmen scheinen seine Hände mehr von der Spannung aus meinem Körper zu ziehen. Eingehüllt vom Duft des Öls und den Klängen aus den Boxen spüre ich, wie sich ein wohliges Gefühl in meinem Körper ausbreitet.

Genau das brauche ich, um den nagenden Gedanken an meinen Vater für einen Moment zu vergessen …

Bikestore Dietrich prangt in geschwungenen Lettern über der blau-metallenen Eingangstür. Ready for a ride? fragt mich die braune Fußmatte, auf die ich wenig später trete. Daneben ein Blumenensemble aus weißen und lilafarbenen Blüten, das Spalier steht. Auffällig, dass es so gar nicht zum hippen Erscheinungsbild eines Fahrradgeschäfts passt, hinter dessen Fenstern sich die coolsten Bikes reihen. Aber meine Tante hatte die Idee, ein floristisches Denkmal zu setzen, damit das Geschäft noch einladender wirkt. Sie ist der Meinung, dass wir dadurch die betuchten Kundinnen anlocken würden, die ein Faible für gemütliche Radtouren haben und Helme zum Artenschutz ihrer Achtzigerjahre-Dauerwelle boykottieren. Wegen Tante Kirsten – überzeugte E-Bikefahrerin übrigens – gibt es mittlerweile ein umfangreiches Sortiment an motorbetriebenen Fahrrädern, um die mein Vater und ich einen großen Bogen machen, die aber klare Umsatztreiber sind. Halb Garmisch-Partenkirchen fährt E-Bike, was uns leider noch lange nicht zu einer autofreien Stadt macht.

»Hi, Finni, wie lief der Ausdauertest?«, fragt mein Dad und blickt kurz vom Computer hoch, der am Kassentresen steht. Der Mundwinkel auf der linken Seite zeigt leicht nach unten, als wolle er dem Lächeln der rechten Seite widersprechen, was die ganze Mimik schief und unvollständig erscheinen lässt. Aber seit dem Schlaganfall vor einigen Jahren hängt seine gesamte linke Gesichtshälfte. Das obere Augenlid sinkt ein wenig herab, was den Eindruck verstärkt, dass mein Dad müde ist – und ich weiß, dass es ihn nervt, dass er zu wenig Kontrolle über sein Gesicht hat. Aber die ganzen Therapien, die er durchlaufen hat, konnten nichts daran ändern. Und genau das ist der Grund, warum ich das Gespräch immer wieder aufschiebe – aus Angst, dass ihm wieder was passieren könnte und er dann ganz alleine wäre.

Eifrig tippt er mit dem Zeigefinger etwas in die Tastatur und sein Zehnfingersystem ist eher ein Ein-Finger-Tipp-Tango.

»Glatte Eins. Ich hab sogar noch eine Extrarunde gedreht. Der Prof war begeistert.« Ich schiebe meine Kappe ein Stück zurück und trete auf ihn zu. »Lass mich das übernehmen.«

»Super, dann kann ich nach hinten verschwinden und das Rennrad vom Doc fertig machen. Hältst du hier im Laden die Stellung?«

Ich sehe mich um auf der Suche nach den einhundert Kunden, die sich um die Bikes streiten, finde stattdessen gähnende Leere vor und denke an ein Bore-out, das ich hier erleiden könnte. Die Stille im Geschäft habe ich mir oft zunutze gemacht, um für Prüfungen zu lernen.

Dad drückt mir einen Kuss auf die Kappe, kneift liebevoll in meine Schulter und verschwindet in der Werkstatt, seinem allerliebsten (geschlossenen) Ort auf Erden. Das Herumbasteln an Fahrrädern ist seine Therapie. Wenn mein Vater könnte, würde er stundenlang Bikes reparieren oder umbauen. Leider haben die Aufträge in letzter Zeit etwas abgenommen, weil ein großer Fahrradstore am Rande der Stadt eröffnet hat, der Fahrradservices zu unverschämt niedrigen Preisen anbietet, laute Musik spielt und kostenloses Guarana-Wasser an seine Besucher verteilt. Vielleicht sollte ich mich morgen mit Gitarre und Cowboystiefeln in den Laden stellen und ein paar Songs hinausschmettern. Aber ich schätze, Countrymusik von einer Frau, die mit neun zuletzt ein Instrument gespielt und die Stimme von Taylor Swift auf dem Sterbebett hat, würde die Kundschaft eher vergraulen.

Ich tippe die Namen von zwei neuen Kunden in den Computer ein, als die Glocke an der Tür bimmelt.

»Bin gleich bei Ihnen«, rufe ich, ohne aufzublicken, und weise dem letzten Nachnamen eine Bestellnummer zu.

Schritte nähern sich.

»Hey.« Eine Hand wird auf den Tresen und damit in mein Sichtfeld gelegt.

Ich schaue hoch. Ein Typ mit weißem locker sitzendem T-Shirt und schwarzen sportlichen Shorts steht vor mir. »Hi.«

Er lässt seinen Blick kurz durch den Laden schweifen, ehe er mich wieder ansieht und seine Sportkappe zurechtrückt.

»Die Eagles? Echt?« Betroffen klappe ich das Notizbuch zu und schaue ihn ein wenig enttäuscht an.

»Autsch. Niners-Fan?« Er verzieht schmerzvoll das Gesicht, während er die beiden Buchstaben auf meiner Kappe mustert. »Was für eine Niederlage beim letzten Superbowl. Und seit dreißig Jahren kein einziger Superbowlsieg.«

Ich zucke gleichgültig die Schultern. »Es geht nicht immer ums Gewinnen.«

»Und Putin wird der neue Mahatma Ghandi.«

»Nope, das werden wir wohl nie erleben … Aber die Niners waren immerhin im letzten Superbowl. Was man von deinem Team nicht sagen kann.«

»Superbowl 2023? Champ 2018? Schon vergessen? Und nächstes Jahr wird’s wieder klappen.« Der Typ schiebt sich eine dunkle Haarsträhne, die ihm ins Gesicht gefallen ist, lässig zur Seite.

»Das ist doch ewig her.« Ich schenke dem Eagles-Fan ein halbes Lächeln, das an ihm abprallt. »Suchst du ein neues Bike?« Ich packe das Notizbuch weg.

»Nein.« Er mustert mich, als bräuchte er weitere Erklärungen, warum ein Mädchen wie ich Fan von den Niners ist, und verschränkt die Arme vor der Brust. »Oder … vielleicht doch. Was kannst du mir empfehlen?« Dabei lehnt er sich entspannt an den Tresen und lässt seinen Blick über die Fahrräder schweifen.

»Irgendeinen Anhaltspunkt, den du mir geben möchtest?«

»Rate mal, Niners-Girl. Was passt zu mir?« Sein Lächeln liegt irgendwo zwischen Ich erklimme den nächsten Dreitausender und Ich werfe mich mit dem Surfbrett in die Brandung.

»E-Bike.« Gemessen an dem Blick, den er mir nun schenkt, habe ich ihm ein Messer ins Herz gerammt.

Er lacht, dann greift er sich tatsächlich an seine linke Brust, als hätte ich den Herzmuskel einwandfrei seziert. »Ohne dich beleidigen zu wollen, aber dein Urteilsvermögen ist ausbaufähig.«

»Meinst du?« Ich gehe um den Tresen herum und mustere ihn. Auffällig die Augen, blassblau, durchzogen von grauen Schlieren, als hätten sich bei einem Downhill Wolken darin verirrt. Sportlicher Look, wahnsinnig trainiert, lässig – abernicht bemüht lässig –, mit aufrechter Haltung und guter Körperspannung, die … Da unterbreche ich meine Gedanken lieber. »Mountainbike, ganz klar. Hardtail oder Fully?« Ich tippe mit dem Zeigefinger auf meine Unterlippe. »Fully. Yep, es muss ein Fully sein.«

»Worin unterscheiden sich denn die beiden?«

»Stellst du dich jetzt dumm?« Ich nehme dem Typen nicht ab, dass er sich nicht auskennt.

Der Eagles-Fan schüttelt leicht den Kopf und seine Mundwinkel zucken.

Mit zusammengekniffenen Augen mustere ich ihn. »Bist du ein blutiger Anfänger, der sich das Trekkingbike seiner Schwester ausgeborgt hat, einmal über Schotter Probe gefahren ist und beschlossen hat, seinem Leben einen neuen Kick zu verpassen? Und der jetzt in den Laden gekommen ist, um sich ein Bike zu kaufen, mit dem er in einem Jahr den Himalaja befahren will?«

»Es war ein Citybike.«

»Großartig! Na dann, folge mir zu den Bikes, die dich auf den Olymp bringen.« Ich gehe auf die Reihe mit den Mountainbikes zu und deute auf ein Modell. »Ein Fully hat hinten eine zusätzliche Federung und bringt dich da weiter, wo das Hardtail an seine Grenzen stößt. Ist natürlich teurer, aber zahlt sich aus, wenn du hauptsächlich Downhills fährst oder Singletrails … Falls du nicht so viel für eine teure Marke ausgeben willst, kann ich dir CMC empfehlen. Das ist ein kanadisches Start-up. Erst vor wenigen Monaten gegründet, stellt es mittlerweile die ganz großen Hersteller in den Schatten. Die Bikes performen top im Downhill. Wir verkaufen fast nur noch CMC.« Ich klopfe auf den Sattel eines metallicblauen Mountainbikes. »Profis, die wirklich was von Bikes verstehen, fahren jetzt diese Marke. Da können Vortexa und Racer einpacken.«

»Nice.« Der Eagles-Typ geht in die Hocke und betrachtet die verbauten Teile.

»Ich kann’s aus eigener Erfahrung bestätigen. Hab die Bikes auf verschiedenen Trails getestet.«

»Vortexa ist echt eine beschissene Marke und völlig überteuert.« Er erhebt sich wieder.

»Finde ich auch! Da zahlst du für den Hype. Das Geld kann man sich sparen. Beim Fully von CMC bekommst du bessere Komponenten. Zum Beispiel einen Carbonrahmen, der dir ordentlich Gewicht spart.«

»Und das spielt so eine große Rolle beim Mountainbiken?« Neugierig lehnt er sich an die Wand hinter ihm und beobachtet mich.

»Na klar! Obwohl … Bei dem bisschen, das du fahren wirst.«

»Himalaja, schon vergessen?«

»Wie konnte ich nur. Da würde ich mir an deiner Stelle allerdings ein E-Bike zulegen. Nur zur Sicherheit … Oder jemanden, der dich anschiebt.«

»Ich schleppe meinen Hintern und das Equipment schon selbst hoch, Niners-Girl.«

Zumindest sieht er so aus, als könne er das schaffen … Mein Blick bleibt an seinen trainierten Unterarmen hängen, an denen sich Adern abzeichnen. Schnell reiße ich mich von diesem Anblick los und gehe zum nächsten Bike. »Die haben alle Dropper-Posts, also eine Sattelstütze, die du während der Fahrt anheben oder absenken kannst. Echt praktisch, da bekommst du keinen Schlag mehr in die Magengrube, schont außerdem den Hintern und alles, was noch so dazugehört.«

»Was noch so dazugehört?« Er hebt amüsiert die Augenbrauen.

»Falls du mal Kinder haben willst. Wirklich sehr zu empfehlen.«

»O…kay, so weit bin ich noch nicht. Aber danke für den Hinweis.«

»Ich kann dir zeigen, wie das … also die Dropper-Post …« Als ich den Hebel betätigen will, legt der Eagles-Typ seine Hand auf meine und stoppt mich in der Bewegung.

»Nicht nötig. Ich kann mir schon vorstellen, wie das funktioniert.« Die Wärme seiner Hand ist ungewohnt, aber überraschend angenehm. Ich schlucke kurz, um wieder klar denken zu können, und entziehe mich der Berührung. Energisch klopfe ich auf den Lenker. »Die CMC-Modelle haben breite Lenkstangen, bieten dadurch eine bessere Stabilität als zum Beispiel die von Vortexa.«

Vorsichtig schiele ich an seinem sportlichen Körper nach oben und bleibe an seiner breiten Brust hängen. »Large, besser XL … brauchst du vom Rahmen her. Ich glaube, das Teil wär genau richtig für dich.« Mit einem Lächeln klopfe ich auf das metallicfarbene Mountainbike. Eins, zwei, drei … verkauft!

Der Eagles-Typ sieht mich undurchschaubar an. Normalerweise erkenne ich recht schnell, ob ich Interesse geweckt und einen Kauf getriggert habe oder meine Bemühungen ins Leere gehen. Aber bei ihm …

»Magst du mal Probe fahren?«

»Du willst mir gerade einen Ford für einen Ferrari verkaufen.«

»Nein, ich verhelfe dir dazu, Geld zu sparen. Ich kann’s dir beweisen. Kleines Wettrennen gefällig?«

»Ein Rennen? Du und ich? Du würdest dich gegen einen blutigen Anfänger in den Sattel schwingen?«

»Hin und wieder brauche ich ein Erfolgserlebnis«, sage ich und ziehe einen Mundwinkel nach oben.

Er erwidert nichts darauf, ignoriert meine Einladung oder Herausforderung oder Dummheit oder was auch immer das sein sollte … und wendet sich von mir ab. Sein Blick geht zu den Rennrädern nach hinten und bleibt am roten Dragonbike meines Vaters hängen, das zwischen den glänzenden neuen Modellen wie ein Fossil wirkt.

»Nein, sag jetzt nicht, du bist auf der Suche nach einem Rennrad? Dann hab ich völlig falschgelegen? Und meine Bemühungen waren umsonst?«

»Es ist nie was umsonst, Niners-Girl.« Er geht zu den Roadbikes und betrachtet das Fahrrad meines Vaters.

»Sorry, aber das ist unverkäuflich. Ist quasi ein Museumsstück. Nostalgiewert und so.«

Der Typ streicht mit den Fingern über den Rahmen, den Sattel, den Hinterreifen, geht in die Hocke und begutachtet den unteren Bereich.

»Hey, ich bin Hannes. Der Ladeninhaber«, erklingt plötzlich die Stimme meines Dads. Er wischt sich mit einem Lappen die Schmiere von den Händen und blickt erst auf das Rennrad, dann auf den Typen, der noch immer davor hockt.

»Erzählt eine coole Geschichte, oder?« Der Eagles-Fan guckt hoch und seine Augen erscheinen durch den Lichteinfall beinahe wasserblau.

Dad nickt, nimmt die Schultern zurück und in seiner Körperhaltung liegt der Stolz, den ich in letzter Zeit viel zu selten bei ihm gesehen habe. »2006. Siegerrad der Tour de France.«

»Hannes Dietrich.«

Kurz überrascht, dann erfreut, nickt mein Vater. »Richtig!«

Ich stehe beeindruckt daneben, lasse mir meine Bewunderung aber nicht anmerken.

»Wow, das Teil würde ich mir auf ein Podest stellen, wenn ich du wäre.«

»Es stand monatelang auf einem Podest, bis eine Zeitung davon als der Schrein des Hannes Dietrich berichtet hat. Seitdem hat es wieder Bodenhaftung bekommen.«

Der Eagles-Typ nickt, als wäre es keine große Sache, ein Bike anzubeten, und lässt seine Finger über den Sattel hinunter zum Reifen gleiten, als würde er die Geschichte des Rennrads ertasten. »Das war ’ne Ansage. Respekt! Und ein tolles Roadbike.«

»Nur leider nicht zum Testen. Jedes andere Rad hier gern.«

»Nicht nötig.« Der Typ erhebt sich wieder und löst den Blick von Dads Liebhaberstück.

Die Glocke am Eingang bimmelt. Mein Vater sieht kurz hinüber und grüßt den Doc, der soeben den Laden betritt. »Ich nehme an, ihr kommt zurecht?«

»Ich bin in bester und charmantester Gesellschaft.« Ein spöttisches Lächeln liegt auf den Lippen des Eagles-Fans, das ich am liebsten wegwischen würde. Mein Dad nickt und verschwindet, um sich Doktor Helmreich zu widmen, der unser Hausarzt ist. Sehr hilfreich, denn irgendetwas verstaucht, prellt oder verrenkt man sich immer beim Sport.

»Okay … also dann …« Ich deute auf das Fully von CMC, das ich ihm vorgestellt habe. »Was sagst du dazu? Willst du es haben?« Eine Frage, die im Grunde genommen absurd ist, denn man muss ein Fahrrad testen, um zu wissen, ob es zu einem passt. Ist wie in einer Beziehung, es braucht ein Match.

»Nein.« Er schüttelt den Kopf.

»Und was kann ich dann für dich tun?« Ein wenig genervt verschränke ich die Arme vor der Brust.

Er kratzt sich am Hinterkopf und richtet seine Kappe. »Neue Bremsbeläge. Für ein Vortexa.«

»Fuck«, entweicht es mir, obwohl ich das Wort nur denken wollte.

»Macht nichts. Mein Bike wird’s dir nur die nächsten vier Jahre übel nehmen. Aber dann hast du das Schlimmste überstanden.«

Ich bin versucht, nach einem Helm zu greifen, um ihn mir über mein Gesicht zu schnallen, das in diesem Moment rot wird wie das Rücklicht an meinem Bike.

»Habt ihr die Bremsbeläge da, obwohl du die Marke für vollkommen überhypt und überteuert hältst?«

»Nein, aus genau diesen Gründen.«

»Klar haben wir die. Sekunde …«, fällt mein Vater mir ins Wort und überreicht dem Doc das reparierte Fahrrad. »Ich bau sie dir später ein, wenn du willst.«

»Ich brauch nur die Ersatzteile, keinen Einbau, aber danke.«

»Du kennst dich echt aus und hast mich die ganze Zeit verarscht«, stelle ich fest.

»Nicht verarscht. Ich habe mich beraten lassen und es genossen. Tatsächlich überlege ich nun, von Vortexa zu CMC zu wechseln.«

»Dann hältst du von Treue offenbar wenig.«

»Du warst sehr überzeugend.« Ein Grinsen huscht über seine Lippen – halb Reue, halb Herausforderung und heiß genug, um mir die Gedanken zu verdrehen.

Mein Vater verabschiedet den Doc und verschwindet im Lagerraum, um die Bremsbeläge zu holen. Ich gehe zur Kasse, um die Ware einzugeben.

»Wie heißt du eigentlich, Niners-Girl?«, fragt mich der Eagles-Typ, während ich den Preis aus dem Katalog heraussuche.

»Miss Cherry Blossom.«

»Vom Niners-Girl zu Cherry Blossom?«

»Zumindest auf TikTok, YouTube und Instagram. Auf Insta haben wir gerade die Zehntausend geknackt«, sage ich grinsend.

»Zehntausend. Starke Performance, Miss Cherry Blossom.«

»War gar nicht so leicht … Die Views auf YouTube und TikTok sind ausbaufähig.«

»Wird noch kommen.«

»Hey, möchtest du in unsere Kundenkartei aufgenommen werden? Es gibt tolle Rabatte, einen Bonus für die jährliche Einkaufssumme und du bekommst alle News von uns.«

»Über E-Bikes, nehme ich an.«

»Unter anderem. Lässt sich nicht vermeiden. Meine Tante schreibt die Newsletter.« Mein Grinsen wird breiter.

»Why not?«

Einsatzbereit lege ich die Finger auf die Tastatur.

»Levi. Levi Hardin.«

Hardin? Ich blinzele, als wäre ich plötzlich aus einem Dornröschenschlaf gepaart mit einer ordentlichen Portion Narkotikum erwacht, das mir in den letzten Minuten sämtliche Sinne vernebelt hat. Mein Blick wandert langsam in seine Richtung. Levi Hardin? Fuck!

Ich schlucke, was mir so vorkommt, als würde ich versuchen, den K2 hinunterzuwürgen.

»Wie schreibt man deinen Namen?« Meine Stimme ist plötzlich zu hoch und klingt viel zu uncool. Mist.

»Wie man ihn schreibt?« Überrascht sieht er mich an und schiebt seine Kappe zur Seite.

So unbeeindruckt wie möglich nicke ich, als wäre er ein stinknormaler Kunde – vielleicht einer dieser älteren Herren, die nur fragen, ob sie kurz unsere Toilette benutzen dürfen. Natürlich weiß ich, wer Levi Hardin ist. Die ganze Welt weiß, wer fucking Levi Hardin ist. Er ist der Biker in der Szene. Der, der für Black Mountain in die Kamera grinst und so ziemlich jedes Downhill-Rennen gewinnt – auch wenn er in letzter Zeit etwas nachgelassen hat. Moment mal … Hatte er nicht blonde und längere Haare? Am liebsten würde ich jetzt mein Handy rausholen, sein Insta-Profil checken und ihn direkt damit vergleichen – Face-to-face.

»L-e-v-i H-a-r-d-i-n«, buchstabiert er langsam, als ob er ewig nicht seinen Namen hätte ansagen müssen.

Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Ich habe ausgerechnet ihn zu einem Rennen herausgefordert, was in etwa so dämlich ist, wie mit Buddha in einen Wettstreit um die hellste Erleuchtung zu treten. Zum Glück hat Levi es überhört. Es fühlt sich an, als würde ich eine Wiedergeburt meines sportlichen Standings erleben, weil ich der Blamage einer Niederlage entkommen bin.

Gott, ich wäre die Lachnummer im Unibike-Team!

Mit einer möglichst lässigen Handbewegung reiche ich Levi das Formular und unterdrücke dabei das Zittern, das in mir aufsteigt. Besser, er füllt es selbst aus, denn ich merke, wie meine Finger beim Tippen richtig schwerfällig werden.

Während Levi konzentriert den Zettel ausfüllt, bringt Dad die Bremsbeläge.

»Schaut nach einem Gewitter aus. Ich hol mal eben die Renntrikots rein«, bemerkt mein Vater ein wenig besorgt, als er durch das Fenster blickt, und verschwindet kurz darauf nach draußen … nur um gleich wieder hereinzukommen, ohne Kleiderständer, dafür aber mit einem verwunderten Gesichtsausdruck, als hätte er wegen eines unüberwindbaren Hindernisses den Rückwärtsgang einlegen müssen.

»Habt ihr eine Ahnung, was das für ein Massenauflauf vor der Tür ist?«, fragt er und stellt sich seitlich ans Fenster, um hinauszublicken.

»Ausverkauf vielleicht?« Levi zuckt unbeeindruckt die Schultern und überreicht mir das ausgefüllte Formular mit seinen Daten.

Holy shit, ich habe Levi Hardins Handynummer!

»Nö … ist noch viel zu früh, der startet erst im Spätsommer«, bemerkt Dad und späht neugierig durch die Glasscheibe, dann zu Levi, als würde ihm langsam dämmern, dass dieser Typ was mit der Menschenmasse da draußen zu tun haben könnte.

Ich begleite Levi zur Tür, der sich auffällig viel Zeit lässt … weshalb ich ihn am liebsten hinausschieben würde, um sicherzugehen, dass er auch verschwindet. Kaum dass ich die Ladentür öffne und ein »Bye« hervorbringen will, erstarre ich.

Holy shit, das sind wirklich viele!

Unzählige Handykameras sind auf uns gerichtet. Natürlich auf Levi, nicht auf mich. Trotzdem rette ich mich zur Seite und gehe hinter dem Türrahmen in Deckung. Levi hebt mit einem Grinsen eine Hand zum Gruß und wird vom Gekreische und Gerufe seiner Fans davongerissen.

»Dann bis morgen, Miss Cherry Blossom«, sagt er, als er sich noch mal zu mir umdreht.

»Hm?«

»Na, zum Rennen. Etwa vergessen?«

Mein Herz rast, als würde es in diesem Moment sein eigenes Rennen fahren.

»Neun Uhr, bei der Talstation Wankbahn. Vergiss nicht zu frühstücken, ich werd’s dir nicht leicht machen.«

Fuck! Ich vergrabe meinen Kopf in Sams Schoß und habe keine Lust mehr auf die Pasta, die wir uns zum Abendessen gemacht haben. Mit Trüffelöl, das sie im Restaurant, in dem ihre Mutter als Souschefin arbeitet, ausgeliehen hat. Sam würde mich am liebsten füttern, das sehe ich an ihrem Blick, denn sie ist der Meinung, dass ich Kohlenhydrate brauche, um den morgigen Tag zu überleben. Ein Rennen gegen Levi Hardin ist, als hätte man sich für einen Kamikazeflug angemeldet.

»Wie kann man nur so dumm sein, ein Wettrennen vorzuschlagen und das auch noch für eine geniale Idee zu halten? Und noch dämlicher: nicht bemerken, in welchen Schlamassel man sich gerade hineinmanövriert? Okay, ich würde ihn auch nicht erkennen. Wahrscheinlich nur feststellen, dass er gut aussieht. Aber du … als Bikerin?« Sam gibt eine Haube Käse auf ihre Pasta, was das Trüffelöl im Geschmack erdrücken wird und ein Bild abgibt, als hätte es auf dem Mont Blanc frisch geschneit.

»Er hatte früher blonde Haare, nun sind sie dunkel. Und normalerweise trägt er einen Helm. Einen Fullfacehelm. Auf jedem verdammten Bild hat er einen auf.«

»Wie uncool!«

»Safety first!« Ich rolle mit den Augen, denn Sam, die den kurzen Weg in die Stadtmitte schon als Gewaltmarsch bezeichnet und sich dafür extra Müsliriegel in ihre Taschen packt, hat ja keine Ahnung. Seit der Grundschule sind wir unzertrennlich, nur dass ich meistens in Bikerhosen stecke und sie in Jeans. Beim Mountainbiken ist eine gute Ausrüstung Pflicht und, ja … Sicherheit geht vor. Meine oberste Maxime, weshalb ich bergab zu viel Zeit einbüße, doch man kann seine Dämonen nicht abschütteln.

Mit der Gabel steche ich in den Berg Nudeln und drehe ein paar davon auf.

Sam scrollt sich unterdessen durch Levis Instagram-Account. »Wow, ich meine, der Wahnsinn! Über zwei Millionen Fans auf Insta. Und hey … Er hat schon seit mehreren Wochen dunkle Haare. Das hätte dir auffallen müssen.« Ihr vorwurfsvoller Blick schmettert wie ein Ball auf mich zu.

»Hätte es, wenn ich ihn gestalkt hätte …«

»Hast du nicht?«

»Natürlich nicht.«

Sam stalkt Levi Hardin ungeniert weiter. Scrollt sich durch seine letzten Youtube-Videos vom GlemmRide in Saalbach. Ihre Augen werden nicht nur wegen seiner Stunts größer, sondern auch aufgrund der Vielzahl an Views. »Fast acht Millionen Abonnenten auf YouTube, Hunderttausende Aufrufe auf TikTok … und hör zu, was Wikipedia schreibt: Kürzlich als Sportler in die Liste Forbes 30 under 30 North America gewählt. Überirdisch!«

Und meine Einladung an ihn war unterirdisch. Ich schließe die Augen, denn ausgerechnet ich erzähle Levi Hardin was von Bikes. »Großer Gott, wie tief kann man sinken?«

»Bis auf den Meeresgrund deiner Würde. Krass, dass du ihn nicht erkannt hast.«

Gefühlsmäßig kollidiere ich gerade mit dem innersten Erdkern. Levi war in meinem Store. Genau genommen im Laden meines Vaters, aber er stand mir gegenüber. Hat seine Hand auf meine gelegt, weil … weil er mich zum Schweigen bringen wollte?

Beschämt senke ich den Kopf und schließe die Augen. Ich habe ihm tatsächlich von seiner Bikemarke, mit der er einen Megawerbedeal hat und hinter der er vermutlich voller Überzeugung steht, abgeraten.

Kamikazeflug … Ready for boarding!

Kurzerhand schnappe ich mein Handy, was ich bislang vermieden habe, und gehe auf Insta, damit ich ihn mir noch einmal ansehen kann, denn vielleicht irre ich mich ja und hatte bloß eine Halluzination, weil sonst nichts Aufsehenerregendes in Garmisch-Partenkirchen passiert.

Und da ist der Beweis, dass ich heute über den Gipfel hinausgesegelt bin:

Levi Hardin folgt dir jetzt.

In einer Sache hatte er recht: Mein Urteilsvermögen ist ausbaufähig.

Ich halte Sam die Info unter die Nase. »Der will mich einschüchtern«, bringe ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor.

»Nein, du hast ihn beeindruckt.«

»Bestimmt nicht. Und außerdem schleppt er eine Frau nach der anderen ab. Heißt es zumindest.« Und wenn ich ihn doch beeindruckt habe, ist er spätestens morgen, um neun Uhr fünfzehn, vollkommen entzaubert von mir.

Sam scrollt erneut durch ihr Handy. »Oh … das ist er doch, oder?« Sie hält mir das Display unter die Nase. Auf einem Foto ist Levi mit Riley Sterling, einer fabelhaften und ziemlich gut aussehenden Mountainbikerin, zu sehen. Lange braune Haare, tolle Figur, noch bessere Rennstatistik. Und die beiden steigen gemeinsam in einen Privatjet. »Und hier … Das ist eine andere, oder?« Sam zoomt ein Foto heran, legt ihren Kopf schief. »Okay, der Typ scheint ziemlich beliebt zu sein.«

»Hat echt viele Fans.« Ich beiße mir auf die Unterlippe. Viele weibliche.

Vielleicht sollte ich das Ganze einfach mit Humor nehmen. Ich denke an unseren ersten Wortwechsel zurück und pruste plötzlich los. »Ich habe Levi Hardin zu einem E-Bike geraten!« Sam stimmt in mein Lachen ein, weil es mindestens so absurd ist, wie Lewis Hamilton zu einem selbstfahrenden Wagen zu raten.

Als ich mich später ins Bett lege und die Decke über meinen Kopf ziehe, wünsche ich mir insgeheim, mir das Bein im Schlaf zu brechen.

Levi

Die Sonnenstrahlen haben die Bergwand erreicht und tauchen das Grau der Felsen in ein helles Licht, als hätte jemand Spotlights an den Felswänden installiert. Es ist Ende Juni, kurz vor neun Uhr, und am Gipfel haben sich die Nebelfelder längst gelichtet. Das Niners-Girl ist nirgendwo zu sehen. Eine Viertelstunde hat sie noch. Ich bin gespannt, ob sie nach all den Lobeshymnen auf ihr CMC tatsächlich auftaucht oder lieber vorzeitig das Handtuch wirft. Vortexa gegen CMC, das ist wie Lamborghini gegen Chrysler. Aber wie hätte ich bei der Frage »Kleines Wettrennen gefällig?« Nein sagen können? Dass sie mich nicht erkannt hat, war natürlich Bullshit. Jemand, der so viel Ahnung von Bikemarken und Komponenten hat, weiß, wer ich bin. Stand ja dann auch groß und deutlich in ihren Augen.

Ich schwinge mich auf mein Hardtail, trete in die Pedale und bremse sofort wieder ab. Check. In einem Satz hüpfe ich mit dem Rad auf eine Stufenkante, bringe das Bike in Position und balanciere es auf dem Hinterrad am äußersten Rand entlang, ehe ich damit hinunterspringe.

Konzentrationstest: Check.

Vielleicht sollte ich nächste Woche mit dem Hardtail an den Start gehen.

»Gar nicht schlecht für einen Sonntagmorgen.«

Ich sehe mit einem Schulterblick zurück.

»Servus«, sage ich charmant und drehe mich mit einem Hundertachtziggradsprung zu ihr um. »Noch eine kleine Zugabe?«

»Bleib lieber auf dem Boden mit deinem Hardtail.«

»Schlecht geschlafen, Niners-Girl?«

»Super geschlafen.« Sie lacht, aber im Vergleich zu gestern im Laden sieht sie ein wenig zerknittert aus. Ich würde tippen auf … miserabel geschlafen.

»Wollen wir?« Mit einem Kopfnicken deutet sie hinauf zur Bergspitze, die majestätisch emporragt.

Ob sie im Bett auch so schnell zur Sache kommt?

»Also … bist du bereit?« Ihr Bike ist ähnlich kirschrot wie ihre Haarspitzen, die unter dem Helm hervorlugen.

»Vierundzwanzig Stunden am Tag, Miss Cherry Blossom.« Ich beuge mich vor, um den Abstand zwischen uns zu verringern. Meine Brauen heben sich ein wenig, während mein Blick sich fest in ihren bohrt, wie eine stumme Herausforderung.

Sie murmelt etwas, das wie »Angeber« klingt, zumindest kommt es mir so vor. Ein Funkeln liegt im Grün ihrer Augen und ein paar Spritzer Türkis bringen Bewegung in ihre Iris, als hätte jemand mit einer Spraydose türkisen Glitzer auf bewegte Wellen gesprüht. Die Fingernägel leuchten wie gestern im Laden in Pastellblau. Kurz geschnitten, alles andere hätte sie als Schönwetterfahrerin enttarnt. Blondes Haar, durchzogen von kirschrosafarbenen Strähnen. Während ich Miss Cherry Blossom betrachte, kommt es mir so vor, als würde ich mit einem Regenbogen kollidieren. Schräg, aber überraschend faszinierend. So als könnte ich nicht genug von diesen Facetten in mich aufsaugen. Und womöglich betrachte ich ihre Augenfarbe zu lange, denn ihr Blick wird fragend.

Ich räuspere mich, fühle mich ertappt. »Also, Niners-Girl, welche Route bevorzugst du? Die blaue oder die rote?« Ausgerüstet mit Fully, Helm, Rucksack und Knieschonern scheint sie bereit zu sein. Muss man auch, wenn man sich mit mir anlegt.

»Grün«, sagt sie knapp und sieht mich ernst an.

»Komm schon! Grün? Das ist ja wie Schlittenfahren auf einer Geraden. Leg eine ordentliche Farbe drauf!«

»Schere, Stein, Papier. Wir spielen darum, wer entscheiden darf.« Mit hochgehobener Braue und den Armen auf die Lenkstange ihres CMC gestützt sieht sie mich an. »Wer gewinnt, bestimmt die Route.« Ihr forscher Blick ist genauso unnachgiebig wie ihre Körperhaltung.

»Okay, aber nur damit du’s weißt, ich bin verdammt gut darin.«

»Vor dir steht die ehemalige Schere-Stein-Papier-Vizemeisterin des Kindergartens Blumenwiese.«

»Du hast schon Kinder?« Fuck. Sie hat Kinder? Ringfingercheck. Leer. »Oder arbeitest du in einem Kindergarten?«

»Und mache die Kinder, auf die ich aufpasse, fertig, weil ich immer gewinnen muss? Holy shit, so eine bin ich nicht. Ich nehme mir die Egos von Profibikern vor.«

»Klingt schmerzhaft.«

»Geht aber ganz schnell.«

Lachend balle ich die Hand zu einer Faust, nicke ihr knapp zu und gebe das Kommando: »Eins, zwei … drei!«

»Papier!«, ruft sie und umfängt meine geschlossene Hand.

»Stein, verflucht! 1:0 für dich. Also, Niners-Girl, wofür entscheidest du dich? Bei Grün legst du aber die Knieschoner ab.«

»Schwarz.«

»Schwarz? Okay, noch mal zum Mitschreiben: Grün ist der Kinderspaziergang, Blau passt für einen Katertag, mit Rot kannst du jemanden beeindrucken und Schwarz könnte dich in den Abgrund stürzen.«

Sie verzieht keine Miene, dreht sich um und zieht ihr T-Shirt hoch. »Ich habe nicht umsonst einen Rückenprotektor gewählt.«

Crazy shit. »Diese Art von Protektor trägt man über dem Shirt.«

»Du vielleicht.« Und schon ist der Blick auf ihren halb nackten Oberkörper Geschichte.

Das Niners-Girl lehnt sich lässig mit den Armen auf ihre Lenkstange und beißt sich auf die Unterlippe. »Schwarz«, sagt sie, ihre Stimme weich und verführerisch. Durch ihren dichten Wimpernkranz sieht sie mich an und zieht dabei eine Augenbraue hoch. Heiß.

Eine Etage tiefer verabschiedet sich jegliche Vernunft.

Sie atmet tief ein und sieht plötzlich nicht mehr ganz so locker aus.

»Alles klar.« Ichsetze mir meinen Helm auf, schiebe die verspiegelte Sonnenbrille auf die Nase und bringe den Sattel in Position.

Vor uns liegt der Weg, der zum Gipfel führt. Ein fester Pfad, bedeckt von einem Teppich aus Kiefernnadeln. An einigen Stellen durchbrechen Wurzeln die Erde. Licht flimmert durch das dichte Blätterdach und wirft tanzende Muster auf den Waldboden, der zu beiden Seiten von weichem Moos überzogen ist. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass das Niners-Girl bei der schwarzen Auffahrt eingehen wird. Wie ein Ballon, aus dem man langsam die Luft rauslässt.

»Hardin, zögerst du etwa? Ich bin hier, um dir zu beweisen, was CMC draufhat, und wenn du dich nicht traust, mit Vortexa an den Start zu gehen, dann kannst du gerne in der Hütte da drüben auf mich warten und das Bergpanorama bei einem kühlen Bier genießen. Bei der Talstation soll der Sonnenuntergang wirklich schön sein.« Gleich wird sie einen imaginären Motor zünden und den Berg mit einhundert Sachen hinaufrasen. Wetten?

»Wirst du denn so lange da rauf brauchen? Bis zum Sonnenuntergang?« Sie schmettert meinen provokanten Blick mit einem Schulterzucken und einem »Find’s raus« ab. Dann zieht sie ihre Handschuhe an und schiebt sich ihre Crossbrille auf die Nase, die ihr – zugegeben – verdammt gut steht, obwohl sie das Regenbogenmotto in Form eines bunten Glases weiter ausreizt. Aber ja, es gibt Schlimmeres, als in der Bergidylle von einem Regenbogen erschlagen zu werden.

»Wie du willst, doch ich werde es dir nicht leicht machen.«

»Das hast du schon gesagt und ich zittere bereits vor Angst.«

»Im Downhill bin ich unschlagbar, Baby.«

Sie schluckt kurz und wirkt … angespannt?

Verflucht! »Sorry für das Baby.« Nenn eine Frau niemals Baby, denn sie ist eine erwachsene Dame und möchte so behandelt werden, hatte schon meine Granny zu mir gesagt. Und die hatte immer recht. Oberstes Gebot in unserer Familie. Niemand wollte sich mit einer Neunzigjährigen anlegen, die eine Schrotflinte in ihrem Schrank wie einen Goldbarren hütete. Bei all den MeToo-Geschichten im Sport ist dieser Spruch relevanter denn je. »Josephine, richtig?«

Ein wenig überrascht sieht sie mich an. »Josie.«

»Alles klar. Ist es so abwegig, dass ich mir deine Accounts nach deiner Einladung angesehen habe?« Google hat mir gestern ihren Namen ausgespuckt, als ich die Karriere ihres Vaters nachgelesen habe.

Josie verneint mit einem unbekümmerten Kopfschütteln. Josephine, Tochter von Hannes Dietrich, der damals in achtzehn Tagen die Tour de France gewonnen hatte. Das war verflucht gut! Aber nur ein einziges Mal. Danach kam nie wieder ein Sieg und bald darauf hatte man über sein Karriereaus gemunkelt, was angeblich mit dem Ende seiner Beziehung mit Josies Mutter zusammenhing. Die Liebe kann einen echt in den Boden stampfen. Hab ich selbst sehr schmerzvoll festgestellt. Mann, ein einziger Tour-de-France-Sieg und dann dieser Schlaganfall. Das würde mich umbringen.

Mit der Himalaja-Tour hat das Niners-Girl einen Nerv getroffen. Sobald meine Hardware wieder richtig läuft, nehme ich an der Tour of the Dragon teil. Das härteste Mountainbike-Eintagesrennen der Welt, weshalb es als das Fest des Leidens bezeichnet wird. Steht auch so im Sponsoringvertrag: Leide, du Arsch! Aber es geht längst nicht mehr ums Geld, sondern um die Challenge, den Berg in Bestzeit zu bezwingen.

»Wir können es heute auch ganz locker angehen.«

»Levi, halt die Klappe!« Josie schwingt ihren Hintern, der in der Radlerhose perfekt aussieht, auf ihr Bike, schenkt mir einen Blick über die Schulter und ich wünschte, sie hätte nicht die Crossbrille auf, damit ich die Herausforderung in ihren Augen sehen kann. Josies Style passt zu ihrem Cherry-Blossom-Motto. Obwohl … Wenn sie morgen mit neongrünen Haarsträhnen ankommt, steige ich aus. »Selfie gefällig? Dann sind dir etliche neue Follower sicher.« Ich lehne mich nach vorne, an ihre Seite, und bringe das Handy in Position.

»Nein danke.«

Überrascht schnelle ich zurück und senke meine Hand. Nein danke? Normalerweise stehen Frauen wie Männer, selbst Kinder mit ihrem allerersten Mountainbike, bei mir Schlange, um ein Bild zu ergattern. »Nein«, wiederhole ich verblüfft und befürchte, dass mich mein angeknackstes Ego beim Uphill mächtig runterziehen wird.

»Erst am Gipfel. Aber darauf werde nur ich zu sehen sein. Zum Beweis, dass ich Levi Hardin geschlagen habe.«

Das könnte noch spannend werden. Ich ziehe meinen Helm fest, schwinge mich auf den Sattel und rolle die Schultern, um sie zu lockern. Ihr Glück, dass ich von gestern Oberschenkelmuskeln aus Beton habe, weil wir eine Szene immer wieder drehen mussten, bis sie perfekt im Kasten war. Und zu meiner Verteidigung: Ich hatte angenommen, Josie würde die blaue Strecke wählen. Maximal rot, da sie sich und ihr Bike bestimmt überschätzt. Aber wenn sie sich schon umbringen will, bitte schön. Reisende soll man nicht aufhalten.

Kurz darauf zieht sie an mir vorbei. Legt einen phänomenalen Start hin, sodass ich anerkennend pfeife. Kein schlechter Anblick, denn eine perfekte Silhouette zeichnet sich auf dem CMC-Bike ab. Gut möglich, dass ich vorerst hinter ihr bleiben werde …

»Ist das alles, was du und dein Vortexa draufhabt?«, ruft sie mir nach einiger Zeit mit einem Blick über die Schulter zu.

Die Aufforderung ist Ansporn genug. In wenigen Sekunden habe ich sie eingeholt. Kopf an Kopf. Vorderrad neben Vorderrad manövrieren wir unsere Bikes in einem passablen Tempo über den Schotterboden, der kurz darauf in ein Waldstück übergeht. Shit! Hätte ich heute doch das Fully genommen. Das Niners-Girl ist tatsächlich für eine Überraschung gut!

»Und? Geht’s dir gut?«, frage ich nach einer Weile, in der wir nebeneinanderher gefahren sind. Josies Schweigen ist ungewohnt, hat sie doch sonst so eine große Klappe.

»Ich meditiere.«

»Du meditierst?«

»Ja, beim Fahren. Und muss mich konzentrieren.«

»Um mein Tempo zu halten?« Ich setze zu einem Überholmanöver an.

»Um dich hinter mir zu lassen, Levi!« Sie tritt in die Pedale.

»Na, endlich fahren wir mal und stehen nicht rum!« Der Wind ist erfrischend. Josie schenkt mir einen giftigen Blick und schert mit ihrem Bike aus, was mich vom Weg abbringt. Ich lache auf und beobachte, wie sie sich hastig über die feuchten Wangen wischt, die ziemlich gerötet sind. Noch bilden sich nur kleine Schweißtropfen auf meiner Stirn, was sich bald ändern wird, denn die Luftfeuchtigkeit im Wald ist hoch. So hoch, dass Josie wegen der zusätzlichen Anstrengung das T-Shirt an ihrem Körper klebt und ich den Protektor durchblitzen sehe. Für ihre kleine Körpergröße – geschätzte 1,65 Meter –, die perfekt zum Biken ist, hat sie ziemlich heiße Rundungen. Eigentlich ein Hindernis beim Sport, aber da sie weder Balletttänzerin noch Marathonläuferin ist, kann sie das mit Sicherheit gut handeln. Wenn ich wollte, könnte ich an dem Niners-Girl und seiner großen Klappe vorbeiziehen, sie hinter mir lassen und in weniger als einer Stunde den Ausblick vom Gipfel genießen. Aber will ich das? Wenn die aktuelle Aussicht so verlockend ist? Nope! Ein Überholmanöver knapp vor dem Ziel macht doch viel mehr Spaß. Obwohl Josies Körper muskulös und trainiert ist, hätte sie wohl niemals eine Chance gegen mich. Auch nicht, wenn mich ihr Anblick ablenkt.

Ich verlangsame mein Tempo, da der Weg schmaler wird und ich entweder die Möglichkeit habe, zu überholen oder zurückzufallen. Gerade scheint sie ein wenig zu kämpfen, also falle ich zurück, um ihr Rückendeckung zu geben.

»Hast du genug?«

»Hast du etwa Angst, ich würde die Kontrolle über das Bike verlieren und abrutschen?«

»Gut möglich. Ist immerhin ein CMC.«

»Sehr witzig. Pass auf, dass du bei deiner lahmen Geschwindigkeit nicht abrutschst.«

Sie grinst.

Ich grinse.

Die Sonne scheint, der Duft von Kiefernholz liegt in der Luft. Sieht danach aus, als könnte es noch ein nettes Fun-Rennen werden. Doch plötzlich schneidet ihr Reifen meinen.

»Josie, alles gut?« Besorgt strecke ich die linke Hand aus, möchte nach ihr greifen, doch sie stößt sie weg. Ein zweiter abrupter Schlenker von ihrem Fahrrad folgt. Beim Versuch auszuweichen, drifte ich in das Gehölz ab und gerate ins Straucheln. Kurz darauf habe ich mich wieder gefangen und komme zurück in die Spur.

»Hey!« Noch einmal! »Ist dir schwindelig, oder was?«

Damit wir nicht kollidieren, reiße ich den Lenker nach rechts. Rattere über ein paar Baumwurzeln und ziemlich viel Geäst. Ein Rumpeln geht durch meinen Magen, als ich hart lande. »War das eine Kampfansage?«

»Wir haben ein Rennen, schon vergessen?«

»Und deshalb willst du mich gleich umbringen?«

»Ach, so ein paar Zweige und Wurzeln werden einen Levi Hardin doch nicht killen, oder? Du bist Profibiker!«

Fuck. Ich hasse sie jetzt schon. Falsche Annahme, das würde sich erst langsam zwischen uns entwickeln.

Josie tritt mit einem verschmitzten Grinsen in die Pedale, als hätte sie fünf Dosen Black Mountain getankt, und lässt mich hinter sich. Klare Ansage! Und die Aufforderung, ihr zu zeigen, was in einem Profibiker steckt.

Mein Wettkampfherz bekommt Flügel und ich setze zu einem Überholmanöver an.

Erbarmungslos knallt die Sonne auf meinen Rücken und ein nasser Film überzieht meine Stirn. Ich schalte in den höchsten Gang, lasse sie hinter mir und merke, dass die Steigung zu einer echten Challenge wird. Wenn Josie das alleine schafft, egal in welcher Zeit – ohne einen versteckten Motor an ihrem CMC zu zünden –, ziehe ich den Helm vor ihr.

Fuck … Niemals packt sie diese Tour!

Umdrehen?

Ich sehe nach hinten, finde keinen bunten Farbklecks, der den Wald durchbricht, also drossele ich die Geschwindigkeit fast bis zum Stillstand und … gebe wieder Gas.Umkehren und Josie helfen? Bullshit, das würde sie kleinmachen. Notfalls schiebt sie ihr Bike … und wir treffen uns zum Sonnenuntergang am Gipfel.

Josie

Ich keuche. Ich sterbe. Ich könnte jemanden umbringen. Jemanden wie Levi Hardin vom Berg schubsen – oder zumindest von seinem verdammten Vortexa.

Rien ne va plus. Nichts geht mehr.

Atemlos komme ich bei einer Weggabelung zum Stehen und das ist das Letzte, was ich jetzt tun will: eine Entscheidung treffen. Schweiß tropft von meiner Stirn wie aus einem undichten Wasserhahn und die Oberschenkel brennen, als hätte ich mich in Nesseln gesetzt. »Kleines Wettrennen gefällig?« Was für eine blöde Idee! Die wiederum Sams These über mich bestätigt: Ich bin einfach nicht zurechnungsfähig. So, da das geklärt wäre … Welche Auffahrt nehme ich jetzt? Beide Trails führen wahrscheinlich nach oben. Levi ist längst verschwunden und hat das Uphill gnadenlos durchgezogen. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet.Rechts ist der flachere Weg, links geht es steil bergauf. Womöglich bin ich da schneller, doch mir bleibt kaum noch Kraft für den Anstieg. Nur was, wenn mich der rechte Weg woanders hinführt? Um den Berg herum mit Extrametern, gar Kilometern? Bei der Vorstellung wird mir übel. Verdammt übel …

Schluss damit!

Kurzerhand wähle ich die Herzvariante, biege links ein und verteufele mich nach zehn Metern dafür. Die Oberschenkel brennen, als hätte jemand einen ganzen Wald darunter in Flammen gesetzt, und mein Herz pumpt, weshalb nun auch die Sportuhr Alarm schlägt. Gott, was würde ich jetzt für eine Magnesiuminfusion – oder neue Beine – geben! Aber nichts von beidem ist eine Option, also fische ich aus der Seitentasche meines Rucksacks ein Sportgel und sauge es in einem Zug leer. Die hohe Luftfeuchtigkeit hat mich nach dem soliden Start immer weiter geschwächt. Welcher Idiot schlägt auch ein Rennen um neun Uhr morgens vor? Levi Hardin. Man möchte meinen, er hätte aufgrund seiner Trainingserfahrung ein perfektes Timing, doch Levi pfeift auf gängige Empfehlungen. Weil er verrückt ist und auch Touren bei extremem Wetter macht. Zumindest zeigen das Levis Videos auf YouTube und TikTok. Ich wünschte, Tom wäre hier und würde mir zur Seite stehen. Ich bräuchte gerade Zuspruch. Tom hat diese Ruhe, die mich erdet, die mir das Gefühl gibt, dass alles in Ordnung ist. Ganz anders als Levi. Er strahlt eine Energie aus, die Menschen anzieht, obwohl klar ist, dass er nichts von dieser Power abgibt. Dabei zieht er sein Ding durch, mit einer Entschlossenheit, die fast schon beängstigend ist. Wahrscheinlich hat ihn diese Rastlosigkeit längst an die Spitze des Bergs gebracht, während ich hier noch versuche, Atem zu schöpfen. Einer wie Levi fühlt sich nur dann lebendig, wenn er seine Grenzen sprengt.

Und jetzt? Stehe ich hier, keuche wie eine Anfängerin und stelle mir vor, wie Levi oben in der Sonne sitzt, sich genüsslich eine Banane einverleibt, die ich gerade dringend brauche, und sich seine Beine bräunt, während ich um jeden Funken Verstand kämpfe. Oder was wahrscheinlicher ist: Er ist schon längst wieder hinuntergefahren, auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, weil das Uphill bloß ein Warm-up für ihn war. Ich könnte umdrehen, aufgeben … Nichts leichter als das: hinschmeißen und den Tag abhaken. Aber mein Ego lässt das nicht zu. Nein, meine Selbstachtung will, dass ich kämpfe. Also strampele ich mich um die nächste Kurve – und bremse abrupt ab.

Ein Hindernis in Form von muskulösen Beinen, einem heißen Oberkörper und einem angespannten Gesichtsausdruck stellt sich mir in den Weg. Levi. Ein demoliertes Mountainbike im Zentrum seiner Aufmerksamkeit.

Interessant. So muss man es also bei Levi Hardin anstellen.

Englische Flüche mischen sich mit Knackgeräuschen, die vom Ein- und Ausrasten des Sattels kommen, weil Levi ihn rauf- und runterstellt, aber anscheinend keine passende Position findet.

»Probleme mit dem Vortexa?«, frage ich und radele lässig an Levi vorbei, um einen Meter nach ihm stehen zu bleiben. Weil ich noch ein Bike habe, auf dem ich sitzen kann.

Levi schraubt an seinem Sattel herum und bringt ein »Vielleicht« hervor.

»Hält die Dropper-Post vom weltbesten Hersteller nicht, was sie verspricht?« Ich beuge mich hinab, um zu sehen, woran es liegt. Immerhin habe ich bei meinem Dad schon von klein auf einiges in der Werkstatt gelernt. »Soll ich dir helfen?«

»Nein«, knurrt Levi und schraubt mit dem Miniwerkzeug aus seiner Biketasche am Sattel herum. »Es sei denn, du hast zufällig einen Ersatzsattel dabei?«

»Zufällig nicht, aber du hast ja starke Beine.« Ich verkneife mir ein Lachen.

Levi sieht zu mir hoch, schenkt mir ein Grinsen, das ungefähr so viel bedeutet wie »Pass auf, was du sagst, sonst nehm ich dir deinen Sattel weg«, und bewegt nun seinen erst ungeduldig nach oben, dann hinab, doch der Fahrradsattel rastet nicht ein. Will er ihn auf passender Höhe für seine Körpergröße befestigen, segelt das Teil im Sturzflug hinunter – auf die tiefste Ebene, die für eine Größe von ungefähr 1,40 Metern passen würde.

Levi würde darauf wirklich lustig aussehen. Zu schade, das würde auf TikTok viral gehen. Mein Kichern wird von aufrichtigem Mitgefühl verdrängt, das wiederum von einem tödlichen Knacken unterbrochen wird, was so viel bedeutet wie: Game over.

»Ich schätze, der ist kaputt.«

»Was du nicht sagst.« Levi verschränkt die Arme vor der Brust und fixiert das Bike mit einem Blick, der es in zwei Teile zerlegen könnte.

»Willst du umdrehen?«

»Niemals.«

Der Sattel ist lose, kaum dass er ihn berührt, kippt er nach vorne oder zur Seite. Wie Wackelpudding. Unmöglich, ihn festzuschrauben, da die Halterung gebrochen ist, was Levi längst registriert hat, aber anscheinend nicht wahrhaben will.

»Fuck!« Er reißt den Sattel von der Stange und verstaut ihn in seinem Rucksack.

»Wir haben wunderbare, verlässliche CMC-Bikes im Angebot. Schau am besten am Montag im Store vorbei. Du bekommst Rabatt!« Mit diesem Satz schwinge ich mich auf meine einwandfrei funktionierenden Komponenten und lege startklar den rechten Fuß auf die Pedale.

»Josie …«

Eine Warnung oder ein Flehen? »Willst du doch umdrehen?«

Er schüttelt den Kopf, als würde er eine Tour niemals – nicht mal in Gedanken – abbrechen.

»Gut, dann sehen wir uns oben. Ein Profibiker wie du schafft das schon.« Mit einem Grinsen düse ich los. Aufgrund seines Ehrgeizes bleibt ihm nur eine Möglichkeit: das letzte Drittel – das noch eine Weile andauern wird – im Stehen zu fahren, was von der Technik her kein Problem sein sollte, doch seine Oberschenkel ans Limit bringen wird.

Burn, sage ich nur. Burn, baby, burn.

Ich an seiner Stelle hätte die Chance ergriffen und freiwillig umgedreht. Eine bessere Ausrede hätte er gar nicht finden können. Bei einem Blick zurück sehe ich, wie Levi sich genervt auf die Pedale stellt und langsam in die Gänge kommt. Wenn er sich hinsetzt, drückt sich das harte Gestell unangenehm in seinen Allerwertesten und plötzlich bekommt der Begriff Sitzfleisch eine völlig neue Dimension.

Autsch.

Fuck, jetzt tut er mir auch noch leid. Zugegeben, ein wenig gefällt mir der Anblick eines leidenden Levi Hardin, weil es Spaß macht, am Ego eines Profibikers zu kratzen. Aber gerade möchte ich nicht in seiner Haut stecken. Das wird echt hart für ihn. Egal wie trainiert er ist. Sollte ich ihm vorschlagen, es bleiben zu lassen? Zurückzufahren? Würde er es zulassen? Nie im Leben. Einer wie Levi Hardin geht nicht in die Knie. Er würde nicht aufgeben.

Mit der nächsten Kurve bin ich weg und richte all meine Konzentration auf das letzte Stück.

Endlich. Eine Dreiviertelstunde später komme ich oben an.

Mit einem Siegerlächeln fahre ich über einen imaginären roten Teppich am Gipfel ein. Als Erste! Danke, du wunderbare Vortexa-Dropper-Post!

Ein Gefühl der Euphorie durchflutet mich, pulsiert wie goldenes Licht in meinen Adern und hebt mich mental in einen Schwebezustand, der so berauschend ist, dass ich mir kaum vorstellen kann, jemals wieder Bodenhaftung erlangen zu wollen.

Glücklich springe ich vom Bike, strecke mich und spüre das Ziehen im unteren Rücken, während mein Blick voller Ehrfurcht herumwandert. Vor mir entfaltet sich der Himmel in intensivem Blau, nur durchzogen von einzelnen Wolkenfäden. Die Sonnenstrahlen küssen das Gipfelkreuz und verleihen dem Metall einen magischen Glanz. Ich zücke mein Handy und mache ein Selfie mit dem Kreuz im Hintergrund, immer noch überwältigt von meiner Leistung.

Plötzlich zerschneidet ein Geräusch die Stille.

Aus der Ferne höre ich einen Mix aus Keuchen und Stöhnen, der immer lauter wird und nur von einer Person stammen kann.

Ich drehe mich um und sehe Levi, wie er vom Bike abspringt und mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden gleitet, die Hand auf seinem rechten Knie.

»Na, endlich schwitzt du mal, Levi Hardin. Gut gemacht!« Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und beobachte, wie er seinen Kopf mit einem Stöhnen auf seine Oberschenkel legt. »So schlimm?«

»Find’s raus«, knurrt er und nickt in Richtung seines Bikes.

»Danke, aber ich hatte meine Challenge.« Desinteressiert schüttele ich den Kopf, während er seinen Oberkörper aufrichtet und dabei noch immer sein Knie massiert, als hätte er einen Krampf. »Keine Chance gegen dich. Bin beeindruckt, Miss Cherry Blossom.«

Und ich erst. »Endlich habe ich Schwarz geschafft!« Erfreut balle ich meine Hände zu Fäusten, während ich das Gipfelkreuz wie einen heiligen Gral anvisiere und auf es zumarschiere.

»Was hast du gerade gesagt?« Levi richtet sich auf.

»Ich fahre hier nie die schwarze Route.«

»Nie?«

Ich zucke die Schultern. »War mir immer zu steil.«

»Josie! Das hättest du mir sagen sollen! Du wolltest mich beeindrucken.« Levi steht plötzlich an meiner Seite und mustert mich mit zusammengekniffenen Brauen.

Ein Lächeln umspielt meine Lippen. »Ich wollte mich beeindrucken. Und habe es geschafft. Beim Uphill habe ich dich geschlagen.«

»Hast du.« Levi nimmt den Helm ab und fährt sich durch sein zerzaustes dunkles Haar. Er sieht abgekämpft aus und dennoch ist seine Ausstrahlung pures Feuer. Im Kontrast dazu seine Augen, in denen der Himmel schwimmt. Endlos blau, mit einer Tiefe, in die ich hineinfallen könnte.

Wir lächeln uns an und plötzlich durchflutet ein seltsames Gefühl meine Brust – eine Art Verbundenheit, die sich wie ein zartes Band um uns legt.

»Wir sind hier und das fühlt sich großartig an!«Ich strecke die Arme aus und tanze im Kreis, während ich eine Melodie summe.

»We Are the Champions?« Er lacht, als wäre es absurd, dass ich diesen Song gewählt habe, und gleichzeitig klingt sein Lachen, als wäre das Lied in diesem Augenblick perfekt.

»Die einzige Siegermelodie, die es gibt.«

Nun blickt er mich an, als denke er an sein erstes schwarzes Uphill zurück, das er geschafft hat. »Das verlangt nach einer Drehung. Komm schon.« Levi streckt mir seine Hand entgegen.

»Was?«

»Eine Siegerdrehung.«

Zögerlich ergreife ich seine Hand, die sich so kräftig und gleichzeitig sicher anfühlt, als würde sie mich nicht nur führen, sondern auch halten können. Kaum dass meine Finger sich in seine Handfläche legen, umschließt er sie und zieht mich an sich. Gibt mir keine Möglichkeit mehr, zu entkommen. Und das will ich auch gar nicht. Ich falle in diesen Raum zwischen uns, der gerade auf wenige Millimeter zusammenschrumpft.

Levis Herz schlägt ruhig, fast gleichmäßig, ich kann den Rhythmus durch das Heben und Senken seines Brustkorbs erahnen. Keine Worte. Keine Musik. Nur der Moment, der uns in diesem Augenblick verbindet.

»Du warst großartig, Niners-Girl. Gratuliere!« Intensiv mustert er mich, als wäre ich ein Überholmanöver, das verlockend ist. Und doch scheint es zu gefährlich zu sein, sich diesem hinzugeben, denn plötzlich wirbelt er mich mit einer Drehung von sich weg, sodass es mir vorkommt, als würde ich die Bodenhaftung verlieren. Die verlorene Nähe zu ihm ist irritierend, doch der Moment hinterlässt ein angenehmes Kribbeln in meinem Inneren, dem ich nachspüre, denn es fühlt sich … Plötzlich zieht er mich wieder an sich.

»Lächeln, Miss Cherry Blossom«, ruft er und schießt ein Selfie. »Hätte heute Morgen nicht gedacht, dass du es überhaupt packst.«

»Ich würde sagen, CMC hat gewonnen.« Langsam löse ich mich von ihm, weil dieser zarte Moment zwischen uns vorbei ist.

»Nicht das Bike, sondern du. Aber freu dich nicht zu früh, wir fahren noch runter und da wird mir der Sattel bestimmt nicht fehlen.«

Ich presse die Lippen zusammen, denn mit dieser Aussage hat er recht. Er wird es problemlos im Stehen schaffen, schließlich ist das Downhill seine Paradedisziplin. Aber würde ich mit viel Glück und noch mehr Fantasie dennoch gewinnen, gäbe das eine umwerfende Schlagzeile ab: Miss Cherry Blossom schlägt Levi Hardin bei einem Rennen kurz vor dem CrossAlp! Damit würde ich sofort in den Olymp der Profibiker aufgenommen werden. Ob das genug Ansporn ist, mich ohne Bremsmanöver den Berg hinabzustürzen?

Als wir das Gipfelkreuz erreichen, fängt mich der atemberaubende Ausblick auf das Tal ein. Mir liegt eine Unendlichkeit zu Füßen, die alle Gedanken in meinem Kopf nichtig macht. Ein Gefühl von Freiheit breitet sich in mir aus. Der blaue Himmel, der grenzenlos ist, hängt über uns. Oben anzukommen, ist wie ein Befreiungsschlag. Der Atem geht langsam, das Herz dehnt sich aus und man fühlt sich … ganz.

Lebendig.

Frei.

Ohne irgendwelchen Ballast.

Levi steht neben mir. Meine Schulter berührt kaum merklich seinen Oberarm und auch er blickt ehrfürchtig hinab, als würde er die Grün- und Brauntöne, die miteinander verwoben sind, das erste Mal betrachten. Wie oft er schon auf einem Gipfel stand? Wie oft und bei welchen Wetterbedingungen hat er in die Weite geblickt und die Unendlichkeit des Seins gespürt? Ich beneide ihn darum. Um all die Höhen, die er auf der ganzen Welt erklommen hat. Um all diese unbeschreiblichen Momente. Hier oben zu stehen, fühlt sich vollkommen an.

»Atemberaubend, nicht wahr?«

»Jedes Mal aufs Neue. Als wäre es immer das erste Mal.« Levis Blick wandert langsam zu mir, intensiver als je zuvor.

Die Luft zwischen uns knistert und für einen Augenblick ist es, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt.