Drache und Phoenix: Die komplette Serie in einem eBook - Angelika Monkberg - E-Book
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Drache und Phoenix: Die komplette Serie in einem eBook E-Book

Angelika Monkberg

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Beschreibung

Eine unsterbliche Liebe gegen alle Widerstände: Die Romantasy-Serie »Drache und Phoenix« von Angelika Monkberg jetzt in einem eBook-Sammelband. Sind sie füreinander bestimmt – oder wird ihre Liebe sie zerstören? – Mitte des 18. Jahrhunderts kommt ein Mann nach Venedig, den kaum jemand eines zweiten Blickes würdigen würde – denn niemand ahnt, welches Geheimnis Jan Stolnik hütet: Der Drache ist gefangen im Körper eines Menschen, dazu verdammt, ewig zu leben, ohne seine Flügel entfalten zu können. In den engen Gassen und prachtvollen Palazzi der Lagunenstadt hört Jan immer wieder einen Namen: La Fiametta. Schon nach ihrer ersten Begegnung weiß er, dass sie keine gewöhnliche Sterbliche ist, und verliebt sich Hals über Kopf in die kapriziöse Schönheit. Noch ahnt er nicht, dass Gefühle ein Fluch sein können … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Drache und Phoenix«, der Sammelband der siebenbändigen Romantasy-Saga von Angelika Monkberg, spannt auf über 1.200 spannungsgeladenen Seiten den Bogen vom 18. Jahrhundert in die Gegenwart und wird Fans von Rebecca Yarros und Marah Woolf begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1656

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Über dieses Buch:

Mitte des 18. Jahrhunderts. Niemand ahnt, welches Geheimnis Jan Stolnik hütet: Der Drache ist gefangen im Körper eines Menschen – dazu verdammt, ewig zu leben, ohne seine Flügel entfalten zu können. In den engen Gassen und prachtvollen Palazzi Venedigs hört Jan immer wieder einen Namen: La Fiametta. Schon nach ihrer ersten Begegnung weiß er, dass sie keine gewöhnliche Sterbliche ist, und verliebt sich Hals über Kopf in die kapriziöse Schönheit. Noch ahnt er nicht, dass Gefühle ein Fluch sein können …

DRACHE UND PHÖNIX von Angelika Monkberg: Die Fantasy-Saga, die Jahrhunderte überspannt und an die schönsten Orte der Welt entführt. Spannend, berührend, faszinierend – und exklusiv im eBook.

Über die Autorin:

Angelika Monkberg, geboren 1955, lebt in Franken. Sie arbeitet im öffentlichen Dienst. Daneben schreibt sie Kurzgeschichten und Romane – wenn sie nicht zeichnet oder malt. In beiden Bereichen gilt ihr Interesse vor allem dem Phantastischen.

Die Autorin veröffentlichte neben der Serie DRACHE UND PHÖNIX außerdem den Roman TORNADO.

***

Originalausgabe November 2015

Copyright der Einzelausgaben: DRACHE UND PHÖNIX – Erster Roman: Goldene Federn, DRACHE UND PHÖNIX – Zweiter Roman: Goldene Kuppeln © 2013 dotbooks GmbH, München; DRACHE UND PHÖNIX – Dritter Roman: Goldene Spuren, DRACHE UND PHÖNIX – Vierter Roman: Goldene Asche, DRACHE UND PHÖNIX – Fünfter Roman: Goldene Jagd, DRACHE UND PHÖNIX – Sechster Roman: Goldene Lichter, DRACHE UND PHÖNIX – Siebter Roman: Goldene Ewigkeit © 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Covergestaltung: Nele Schütz Design unter Vewendung von shutterstock/kiuikson

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-592-1

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Angelika Monkberg

DRACHE UND PHÖNIX

Die komplette Serie in einem Band

dotbooks.

Für den Mann, dem ich jeden Tag den Zopf flechte.

DRACHE UND PHÖNIX

Kapitel 1

Vor Mestre auf dem Wasser; Dienstag, 18. Januar 1774; Tag von Sankt Prisca, Faustina und Liberata; später Nachmittag, Nebel

Die feuchte Kälte drang ihnen allen durch Mark und Bein. Jan war sicher, dass sein junger Herr fror, auch wenn der Prinz nach außen keine Regung zeigte. Anton Clemens von Sachsen stand in einen schweren Umhang gehüllt an der Reling der Schaluppe und starrte unverwandt hinaus, ohne im Nebel irgendetwas zu sehen außer Wasser. Wären nicht die leise gegen die Bordwand plätschernden Wellen gewesen sowie das regelmäßige Rauschen, wenn die Männer die Ruder durchzogen, selbst Jan hätte geglaubt, sie trieben im Nichts.

Die trübe Suppe verdross ihn. Das vorausfahrende Boot mit dem Gepäck und das Ziel ihrer Reise nahm er lediglich als Schemen wahr. Dennoch lag Venedig nun, nach mehr als sechs anstrengenden Wochen, endlich zum Greifen nahe. Jan roch die Stadt schon, Tausende von Holzfeuern brannten nicht weit voraus. Dazu trug der Nebel zarten Dunggeruch herüber, von Mensch und Tier, auch den Duft von Leder, Gewürzen und Kaffee.

Eine verführerische Melange, zweifellos, doch sie lenkte ihn leider nur ungenügend von dem Abgrund unter seinen Füßen ab. Die Lagune galt als flach, trotzdem befand er sich noch mehr als einen Klafter über festem Grund. Zu viel für seinen Geschmack, und das beunruhigend klare Wasser neben dem Boot verschlimmerte den Eindruck nur noch. Seine scharfen Augen entdeckten über dem Grund der Lagune eine kleine Schule Medusen, die an Steuerbord vorbeitrieben. Ihre zarten, halb durchsichtigen Schirme pulsierten. Er zählte ihren Takt mit, weil er alles zählte. Doch dann räusperte sich Prinz Anton Clemens von Sachsen und schwenkte seinen Hut. »Lieber? Hättest du wohl die Güte? Mir scheint, es hat sich eine Strähne aus meiner Frisur gelöst.«

»Sehr wohl, Euer Gnaden.«

Sie grinsten beide wie Verschwörer, als Jan sich anschickte, die reklamierte Strähne notdürftig wieder in den Zopf seines jungen Herrn einzuflechten. Die Anrede war nicht die gebührliche, auch nicht, dass Jan für Anton jetzt und hier die Pflichten eines Kammerdieners versah. Doch Bodenschatz fuhr mit dem Gepäck im ersten Boot, und dass Anton Clemens unter dem angenommenen Namen und Titel eines Grafen von Weesenstein reiste und fast ohne Gefolge, hatte seinen Grund. Das Inkognito erlaubte dem Prinzen unterwegs mehr Freiheit, zudem verringerte es den Aufwand. Eine Maßnahme der Ökonomie, die in Antons Fall, dem eines nachgeborenen Prinzen von Sachsen, dringender Erfordernis entsprach. Denn der Staat war ruiniert.

Dagegen hätte Jan aus seinen Landgütern, Erz- und Kohlegruben rund um Freital durchaus die Mittel aufbringen können, um mit einem großen Tross Bediensteter zu reisen, aber er legte für sich selbst keinen Wert auf Umstände, und nicht nur, um seinen Prinzen nicht zu beschämen. Er fand im Gegenteil, dass ihm die geringere Aufmerksamkeit der Welt für einen Kammerherrn und Reisemarschall mehr zusagte als die ihm eigentlich zustehende eines Grafen von Burgk und Herrn von Freital. Seine Gestalt machte ihn schon auffällig genug.

»Fertig, Euer Gnaden.« Er ließ die Hände sinken.

»Ich danke dir. Werden sie uns tatsächlich in Quarantäne stecken?« Der Prinz klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Truhe, auf der er zum Frisieren Platz genommen hatte. »Komm, setz dich doch zu mir!«

»Mit Erlaubnis, Euer Gnaden.« Jan ließ sich mit einer leichten Verneigung neben seinem jungen Herrn nieder.

Auch das war etwas, das die Etikette unter normalen Umständen niemals zugelassen hätte. Monsignore Wilfert, Prinz Antons Beichtvater, der ein Ave-Maria nach dem anderen für eine sichere Überfahrt murmelte, ließ seufzend den Rosenkranz sinken. Aber der gute Monsignore bedachte nicht, dass Jan durch seine Länge jedermann an Bord überragte. Jetzt, da er sich mit Erlaubnis des Prinzen endlich zusammenfalten durfte, wich die Anspannung der Ruderknechte.

Anton von Sachsen lächelte. »Also – werden sie uns in unsere Gemächer bannen, bis wir uns vor Langeweile die Haare ausraufen?«

»Aber Durchlaucht …«, begann der Monsignore.

»Monsignore Wilfert, wir sind hier nicht unter uns.«

Der Beichtvater des Prinzen errötete. »Bitte untertänigst um Verzeihung, Euer … Gnaden. Gestatten darauf hinzuweisen, dass die Einhaltung der Quarantäne seit Erlöschen der Pest nur noch der Form halber … Zudem, Eure Durch–, pardon, Euer Gnaden werden ohnehin im strengsten … Die Maskierung wird verhindern. Wenngleich …«

»… die Mutter Kirche den Karneval missbilligt. Seien Sie versichert, Wilfert, dass ich mich bemühen werde, mich nur der lässlichen Sünde der Täuschung hinzugeben. Alle Welt trägt in Venedig die Maske. Sie ist sogar nötig, sonst wäre unser Gastgeber heute Nacht gezwungen zu bemerken, dass ich mehr bin als der Graf von Weesenstein. Und wir wollen doch den Nobile Farsetti nicht in diese Verlegenheit bringen.« Prinz Anton zwinkerte Jan zu, den Schalk im Gesicht. »Stellt sich nur die Frage, mein Guter, inwieweit du deinen Buckel unter einem Mantel verbergen kannst. Willst du notfalls die Aufdeckung deiner Person für mich riskieren? Sonst«, das Lächeln des Prinzen wurde boshaft, »sonst weiß ich mir nur den Rat, dass mich doch Wilfert zu meinem unheiligen Tun begleitet.«

»Gott steh mir bei!« Der Monsignore bekreuzigte sich. Sein Aufschrei klang so verzweifelt, dass die Ruderknechte einen Schlag aussetzten.

Der Kapitän stand am Ruder auf. »Siers?«

»Nichts! Fahr Er weiter.« Der Prinz amüsierte sich königlich. »Nun, Monsignore Wilfert, wenn es Ihnen so zuwider ist, dürfen Sie gerne heute die Nacht in unserem Quartier im Gebet verbringen.«

»Durchlau–, Euer Gnaden! Verzeiht einem einfachen Priester. Selbstverständlich werde ich …«

»Nein, bemühen Sie sich nicht. Ich habe soeben beschlossen, doch Jan zu bitten, mir das Opfer zu bringen.«

Kapitel 2

Venedig; Dienstag,  18. Januar 1774; am Tag von Sankt Prisca, Faustina und Liberata; nach Einbruch der Dunkelheit – und schon wieder auf dem Wasser

Das einzig Ärgerliche, wirklich Ärgerliche an der Stadt war, dass man für so gut wie alle Wege ein Boot brauchte. Der Palazzo Balbi besaß zwar wie die meisten Häuser auf seiner Rückseite einen Ausgang, der auf eine Gasse hinausführte. Doch Jans Wege hatten ihn bei früheren Besuchen in Venedig seltsamerweise nie in den Sestiere Polo geführt, und er war etwas unsicher, wie es hinter dem Quartier weiterging, das er dieses Mal für sich und seinen Prinzen gewählt hatte. Er fragte den Majordomo.

»Genau genommen gehört der Palazzo Balbi noch zu Dorsoduro, Messer.« Der alte Mann, der Jans Domänennamen Burgk nicht aussprechen konnte, verbeugte sich. »Wenngleich unser Haus natürlich ganz an der Grenze steht. Wie Ihr vielleicht wisst, fließt an unserer Ostmauer der Rio de la Frescada, der den Sestiere Dorsoduro von Polo trennt. Wenn Ihr dies wünscht, könnt Ihr aber den Rialto von hier auch durch die Gassen erreichen. Es gilt nur den Rio San Tomá, dann den Rio di San Polo, den Madoneta und den di Meloni zu queren. In einer Sänfte vielleicht?«

Bei Jans Länge? Er schüttelte den Kopf.

»Sehr wohl, Messer.« Der Majordomo verneigte sich erneut. »Doch verzeiht, Messer, bei allem Respekt, es wäre Euch vielleicht doch angenehmer, den Traghetto am Rio San Tomá zu nehmen und Euch über den Canal Grande nach dem Sestiere Marco übersetzen zu lassen.«

Jan unterdrückte ein Seufzen. Natürlich, er hätte daran denken sollen. Nur Gesinde und einfache Reisende gingen in Venedig zu Fuß. Für den angeblichen Grafen von Weesenstein kam das keinesfalls in Frage. Es war undenkbar. Im Grunde durfte es sich nicht einmal Jan Stolnik von Burgk erlauben, der Reisemarschall und Freund des besagten Grafen. Und schon gar nicht, wenn er seinen inkognito reisenden Prinzen zu einem Fest begleitete.

Also verließen sie das Haus der Familie Balbi am ersten Knick des Canal Grande aufs höflichste vom Majordomo verabschiedet und den Sitten der Vornehmen gemäß: durch das Hauptportal und mit dem Boot.

Das Wasser stand wie immer im Winter hoch, doch es schwappte Gott sei Dank wenigstens nicht bis in die Häuser hinein. Sie mussten sogar noch die Unbequemlichkeit auf sich nehmen, aus dem Wassergeschoss des Palazzo zwei Stufen bis zum Bootsanleger der Familie Balbi hinabzugehen.

»Haltung, Jan, Contenance!«, mahnte Anton, derzeit Graf Weesenstein, lachend, als das Einsteigen trotz aller Bemühungen des Gondoliere, das Boot ruhig zu halten, nicht ohne Schaukeln vor sich gehen wollte. Aber auch Jan sah mit heimlichem Vergnügen, dass sein junger Herr verdächtig eilig unter dem Verdeck, der Falze, Platz nahm. Antons frisch rasiertes Kinn und sein Mund – das Einzige, das Maske und Hut von seinem Gesicht preisgaben – wirkten im Schein der Fackeln ziemlich blass.

»Ihr werdet doch nicht unwohl sein, Euer Gnaden?«

Jan bekam für diese Äußerung mit dem Taschentuch eins übergezogen. »Quark! Und wenn, dann nur wegen der unendlichen Konversation, die uns auf dem Ball bevorsteht. Und nun schweige still! Sonst bin ich schon vorher stockheiser.«

Der Prinz gab dem Gondoliere ein Zeichen, und sie legten ab. Jan hätte festen Boden unter den Füßen natürlich vorgezogen, doch das dunkle, kabbelige Wasser machte ihm nicht wirklich etwas aus. Außerdem ruderten die Gondoliere flott durch den regen Verkehr auf dem Canal Grande. Inkognito oder nicht, der Rat der Zehn von Venedig, der natürlich Antons wahre Identität kannte, hatte es sich nicht nehmen lassen, dem jungem Herrn für seine Fahrten in der Stadt Trompeter auf einem vorausfahrenden Boot zu bewilligen. Deren Fanfarenstöße zeigten allen anderen Wasserfahrzeugen an, dass dem Konvoi Prinz Antons von Sachsen die Bahn freizugeben sei. Was meist ohne viel Geschrei der Schiffer vonstattenging.

Jan betrachtete derweil die Fassaden rechts und links. Der Nebel hing zwischen den Häusern nicht ganz so dicht wie über dem freien Wasser der Lagune, außerdem erhellten überall Lichter die Nacht. Fackeln brannten im Bug der Boote, und vor den Stadtpalästen beider Ufer standen Kandelaber. Allerdings waren nur die vor den Häusern der Reichen mit echten Kerzen bestückt, bei den meisten Palazzi brannten Öllampen. Ihr Rauch überlagerte in der feuchtkalten Luft fast gänzlich den Geruch des Brackwassers, das sacht gegen die Marmormauern der Häuser schwappte.

Jans Magen knurrte leise. Der Majordomo hatte nach ihrer Ankunft im Palazzo Balbi einen leichten Willkommensimbiss kredenzt. Palmkohl und Knollenfenchel mit Olivenöl beträufelt, gebratene Sardinen und Würste, weißes Brot und einige Dörrfeigen. Das Abendessen selbst wurde, wie an allen Höfen Europas jetzt die Mode, erst nach dem Ball serviert, also vermutlich weit nach Mitternacht. Zumindest dem Prinzen. Jan hatte im Lauf vieler Reisen die betrübliche Erfahrung gemacht, dass durchaus nicht alle Gastgeber den Reisemarschall eines inkognito reisenden Prinzen an ihren Tisch luden. Er kannte längst keine Skrupel mehr, sich das Wohlwollen des Gesindes fremder Fürsten durch einige Zechinen aus seiner eigenen Schatulle zu sichern.

Darüber hinaus speiste er schon aus Vorsicht gerne in Küchen. Er hielt die Gefahr, dass man seinen jungen Herrn vergiften wollte, zwar für gering, aber es konnte dennoch nie schaden, wenn er dem Koch bei der Zubereitung der Gerichte für Prinz Antons Tafel auf die Finger sah.

Er verlagerte vorsichtig sein Gewicht. Die Sitzbank der Gondel besaß keine Lehne, doch sein Buckel erlaubte ihm ohnehin keine Stütze, wie er auch in einem Bett nie anders als auf der Seite lag. Aber er schlief ohnehin kaum je, außer nach großer Erschöpfung. Jan verbrachte die Nachtstunden in der Regel lesend und schreibend oder auch mit der Reparatur eines Uhrwerks. Prinz Anton liebte Automaten und Spieldosen, durch das häufige Aufziehen nutzten sich die Zahnräder aber leider schnell ab, und Ersatz war auf Reisen nur selten zu bekommen.

Jan war deshalb inzwischen dazu übergegangen, notfalls selbst die nötigen Teile zu schmieden und zu feilen. Darüber hinaus ging er zwischen Mitternacht und Morgen auch gerne einfach an die frische Luft. Er wanderte nachts oft durch stille Straßen. Man lernte eine Stadt auf diese Weise manchmal besser kennen als bei Tag.

»Betrachtest du den Besuch hier als Zeitverschwendung? Nachdem du schon so oft hier warst?«, fragte auf einmal der Prinz.

»Nein, Euer Gnaden.«

Jan genoss vielmehr wie bei jedem seiner Besuche die Eindrücke des nächtlichen Venedig. Zum Beispiel war es trotz des geschäftigen Treibens auf dem Canal Grande viel stiller als in den Städten auf dem Festland. Natürlich gab es auch hier in den Gassen Verkehr, doch Venedig war die Hauptstadt der Lastenträger. Wo andernorts zu jeder Tages- und Nachtzeit Karren rumpelten, Hufgetrappel ertönte und Esel schrien, plätscherten hier nur sacht die Wellen.

Außerdem sang alle Welt.

Jan liebte Musik beinahe so sehr wie sein junger Herr, und die Gondolieri der kleinen Flotte des Prinzen hatten eine Barcarole angestimmt. Nicht alle Männer trafen den Ton genau, aber ihr Lied klang im Ganzen doch harmonisch. Dazu wehten von einem Palazzo Takte eines Violinkonzerts in die Nacht, und horch: Irgendwo sang hoch und süß eine Nachtigall.

Jan drehte den Kopf. Es erstaunte ihn, dass der Vogel schon jetzt von seiner Reise nach Afrika zurückgekehrt war. Kristallklare Töne schwebten vom Palazzo Tiepolo her über den Canal und webten einen ganz eigenen Zauber in die kalte Nacht. Es war auf einmal nicht mehr Januar. Jan fühlte sich wie weit im Süden, auf einer Insel der Seligen, wo die Luft warm war und der Sommer unendlich. Er atmete tief ein, sein ganzer Rücken kribbelte, und er spürte einen seltsamen Drang, seine Schultern zu recken. Alles hinter sich zu lassen, sich hoch in die Lüfte zu erheben, furchtlos.

Aber seine Flügel trugen ihn nicht, und die Sängerin – unmöglich ein Vogel, vielmehr eine Primadonna Assoluta der Venezianischen Oper – beendete ihr Lied schließlich doch, mit einer von Trillern und Prallern durchsetzten, betörend kunstvollen Koloratur. Nur für Jan, der viel bessere Ohren als alle Menschen seiner Umgebung besaß, folgte leise eine allerletzte, noch süßere. Sie stieg in schier unglaubliche Höhen, weit über das dreigestrichene Si hinaus, bis in das Zwitschern der Fledermäuse, die freilich auch in Venedig noch kopfüber in dunklen Nischen hingen und Winterschlaf hielten; es war immer noch Januar. Die überirdische Stimme der Sängerin verhauchte schließlich als Sphärenklang über dem Canal. Ein Lustschauer durchrieselte Jan.

Als er aus seiner Verzückung erwachte, war es rings um ihn totenstill. Die Trompeter hatten ihre Instrumente abgesetzt, die Gondoliere ruderten nicht mehr. Aus dem Palazzo, den sie gerade passiert hatten, ertönte Applaus.

»Hast du das gehört?«, fragte der Prinz aufgeräumt. »Welche Fülle, welche Kraft! Das muss ein Kastrat sein. Keine Frau besitzt einen derart langen Atem. Finde heraus, wem der Sänger gehört. Wenn er ein Sklave ist, kaufe ich ihn für meinen Bruder und Herrn, Kurfürst Friedrich August. Wir müssen diese Stimme für die Oper in Dresden gewinnen.«

»Sehr wohl, mein Prinz.«

Niemand bemerkte Jans Fauxpas mit der Anrede. Plötzlich erwachten die Gondolieri, die Trompeter, die Ehrenwachen im dritten Boot. Scherze gingen zwischen den Männern in der ersten Barke und den Bediensteten an den Stufen des Palazzo Dandolo-Farsetti hin und her, wo sie gerade anlegten. Jan hörte, wie sie von »La Fiametta!« sprachen. Die Flamme der Musik?

Gelächter brandete auf. Er saß in dem fröhlichen Lärm wie betäubt, nicht völlig überzeugt, dass er tatsächlich einer Menschenstimme gelauscht hatte. Schon gar nicht einem Kastraten. Obwohl gerade die Fülle und Kraft des Soprans dafür sprach. Das hohe, süße Nachklingen der letzten Kadenz war allerdings seltsam, überaus seltsam.

Auf alle Fälle besaß die Stimme Macht, mehr als je ein Sänger oder eine Sängerin über Jan gewonnen hatte. Er half seinem Herrn aus der Gondel und hörte sich, in ehrerbietigem Abstand zwei Stufen tiefer hinter dem Prinzen stehend, die ebenso kunstvollen wie langatmigen Komplimente des Hausherrn Daniele Farsetti an, der seine Suada bis an die Grenze des Erträglichen mit Zitaten aus dem Werk Dantes und Petrarcas würzte.

Ja, die selige Beatrice … und dabei entwichen Farsettis Mund unablässig knoblauchduftende Dampfwolken. Jan bekam Kopfschmerzen davon. Es war eigentlich seine Absicht gewesen, während des Balls Urlaub von Prinz Anton zu nehmen und sich die neuesten Gipsabgüsse antiker Statuen und die anderen Kunstschätze zeigen zu lassen, die Farsetti unermüdlich in seinem Haus zusammentrug. Doch nach dem göttlichen Gesang gerade eben klangen ihm die Stimmen der Damen auf der Gesandtenstiege schrill in den Ohren.

Das Fest war ihm verleidet, bevor es noch begann.

Kapitel 3

Venedig; Mittwoch 19. Januar 1774; am Tag von Sankt Marius und Martha, Agritius und Heinrich von Uppsala; erste Morgenstunde; an der Tafel des Nobile Farsetti in dessen Palazzo

Der Prinz, eine weit freundlichere Seele als seine älteren Brüder und Onkel, hatte während des Tanzens offenbar bemerkt, dass die vornehme Gesellschaft in Venedig Jan nicht seiner Stellung gemäß aufnahm. Stolnik, das war eigentlich ein alter polnischer Adelsrang, der Mundschenk bedeutete. Eine Vertrauensstellung in unmittelbarer Nähe des Fürsten, die von Jan beim festlichen Mahl im Palazzo Farsetti aber nicht mehr verlangte, als hinter Prinz Antons Stuhl zu stehen und diesem aufzuwarten. Die Freundschaft seines jungen Herrn sorgte jedoch dafür, dass er sich an dessen Seite an Farsettis Tafel wiederfand. Sehr zum Ärger einiger anderer Gäste, die nach der sorgsam ausgeklügelten Sitzordnung bei Tisch nun nach unten auf nicht ganz so bedeutende Plätze für minder wichtige Nobili weichen mussten. Und diese wieder, die bedauernswertesten Opfer der Rochade, natürlich ganz vom Herrentisch.

»Ich frage mich, wo die Welle endet, noch im Palazzo oder vielleicht sogar mit einem Plumps, und ziemlich nass.« Prinz Anton lachte sehr. Selbst einen so ernsthaften jungen Herrn wie ihn löste der Wein. Er hob sein Glas. »Prosit, Jan, Lieber.«

Jan verbeugte sich und erwiderte Antons Kompliment. »Auf allzeit beste Gesundheit, Euer Gnaden. Ich danke, aber Ihr hättet vielleicht nicht darauf bestehen sollen, mich an Eure Seite zu holen.«

»Schnickschnack, du bist mein Stolnik.« Der Prinz setzte sein Glas hart auf dem Damasttischtuch ab. Die Augen des angeblichen Grafen von Weesenstein glitzerten im Kerzenschein von dem süffigen Valpolicella, der zu den Speisen serviert wurde. »Wer dich für gering achtet, beleidigt mich!« Anton wischte sich mit dem Taschentuch die Wangen, die sich unter dem Puder allmählich röteten, und auch den Nacken. »Puh, ich gestehe, mir wird hier allmählich warm.«

Jan schwitzte in dem gefütterten Galarock ebenfalls. Sie hatten zwar für das Mahl den Mantel abgelegt, den weiten venezianischen Tabarro, den Herren im Karneval zum Tanz und auch ganz allgemein untertags über der Gesellschaftskleidung trugen. Aber die vielen Menschen im Bankettsaal, die mehr als hundert Kerzen – hundertzweiunddreißig, um genau zu sein, Jan hatte sie gezählt, sie steckten immer zu drei und sechs Stück in den Kandelabern auf der Tafel –, alles zusammen erwärmte den Raum in der Tat. Mehr, als sie es während ihrer winterlichen Reise in Kutschen und Gasthäusern erlebt hatten. Und der schwere Wein, die gut gewürzten Speisen, die rauschenden Röcke der Damen taten noch das Ihre dazu. Sie erhitzten Jan. Er streckte eine Hand nach dem Kandelaber vor seinem Teller aus und spielte mit der Kerzenflamme.

»Lass das!«, zischte der Prinz.

Jan traf ein strenger Blick. Schade, er hatte gerade angefangen, den Schmerz zu genießen. Er zog die Hand zurück.

»Zeige mir deine Finger.« Prinz Anton ergriff Jans Linke und zwang ihn, sie zu öffnen. »Keine Brandblasen. Dein Glück!«

»Verzeihung, Euer Gnaden«, murmelte Jan.

Sein junger Herr hatte natürlich recht, aber er konnte sich kaum noch beherrschen. Die Musik, die vielen Frauenstimmen und -gerüche im Raum, einige verlockend, andere für seinen Geschmack entschieden zu aufdringlich, dazu vorher die himmlische Stimme der Fiametta, all das juckte ihn, heizte ihn auf. Er brauchte etwas, das seine Lust befriedigte.

Entweder Feuer oder eine Frau. Und wenn er noch lange wartete, half ihm nicht einmal mehr, wenn er in Prinz Antons Appartement den Arm in die Glut eines offenen Kamins steckte. Jan merkte, dass ihm sein junger Herr die Unrast ansah.

Anton von Sachsen drückte unauffällig seine Hand. »Ich denke, dass wir aufbrechen sollten, mein Lieber!«

»Wie – wollt Ihr uns in der Tat schon jetzt verlassen, Durchlaucht? Bevor noch an den Tischen das Spiel beginnt?« Daniele Farsetti verbeugte sich vor dem Prinzen. »Da Euch vorhin bei Eurer Ankunft La Fiamettas Gesang so gut gefiel, haben wir nach ihr schicken lassen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass sie uns eine Serenade singt.«

»Was, eine Serenade? Ein Morgenlied meint Ihr wohl«, warf ein Höfling in karmesinrotem Gewand ein, von dem Jan bisher nur die Stimme kannte, nicht aber Rang und Namen. Ein weiterer Nobile lachte.

»La Fiametta? Die wird Euch die kalte Schulter zeigen. Wisst Ihr nicht, Farsetti, dass sie niemals mehr als ein Lied pro Nacht singt?«

»Warum eigentlich?«

Der zweite Nobile zuckte mit den Schultern. »Launen! So sind die Frauen.«

»Nein, wir hatten seit gestern Mittag Nebel. Das erschöpft sie schlimmer als der wildeste Ritt«, sagte ein dritter.

»Welcher Unsinn, Ruzzini! Wer hätte je gehört, dass ein bisschen Reiten eine Dame …«

»Ha! Ihr habt sie nicht erlebt!«

Die lange Gewohnheit des Höflings und die Halbmaske verbargen Ruzzinis inneren Schauder. Mund und Kinn verrieten nichts. Aber Jan las seine Gedanken, und die erstaunten ihn.

Krallen ziehen blutige Striemen über Ruzzinis Rücken. Eine wilde Paarung, bis zur völligen Verausgabung. Die üppigen Brüste einer Frau wippen vor seinen Augen. Sie locken ihn, an den Nippeln zu saugen, während sie ihn reitet.

Jans Schwanz schwoll an. Doch bevor die fremde Lust ihn noch ganz gefangen nehmen konnte, verdrängte sie ein anderes Gefühl: Angst. Ruzzini hatte Angst, Todesangst. Neue Gedankenfetzen teilten sich Jan mit.

Das laute Kreischen einer Harpyie. Eine wutverzerrte Fratze, kaum noch menschlich zu nennen. Ein kaltes Frauenantlitz und eine Dritte, Schwester der Furie und der Hochmütigen, ein holdes, blondes Kind. Ihr Gesicht leuchtet beim Anblick eines Geschenks. Goldschimmerndes Haar fällt über eine weiche, nackte Schulter.

Jans Neugier wuchs. Er hätte sich gerne weiter in Ruzzinis Erinnerungen vertieft, das Rätsel entschlüsselt, doch sein Prinz war inzwischen zum Aufbruch bereit. Anton von Sachsen ließ sich trotz aller Bitten Daniele Farsettis nicht zum Bleiben überreden.

»Ein andermal gerne. Doch für jetzt gebt mir bitte Urlaub. Wir sind erst am späten Nachmittag in der Stadt eingetroffen. Ich bin noch erschöpft von der Reise.«

In Wirklichkeit war es Vorsicht, die Anton von Sachsen zum Rückzug trieb. Die ihm vom Geheimen Rat zugebilligte Schatulle vertrug keine Spielschulden. Sie waren unter Fürsten nur allzu üblich. Jan hatte über die Jahre mehr als einen Prinzen aus dem Hause Wettin als Reisemarschall begleitet und dabei oft die undankbaren Rolle des Warners und Mahners übernehmen müssen. Und sehr oft vergeblich. Anton Clemens folgte als Erster dem klügeren Kurs der Mäßigung.

»Nenn mich einen Narren«, sagte sein junger Herr, während sie die Gesandtentreppe hinunterstiegen. »Doch ich finde, dem Volk Sachsens, das unter dem letzten Krieg schwer gelitten hat, darf nicht wegen des Vergnügens eines seiner Fürsten noch mehr aufgebürdet werden.«

»Eine noble Einstellung.« Farsetti verabschiedete sie mit Verbeugung und Kratzfuß. »Meine Verehrung, Durchlaucht. Wünsche eine gute Rückkehr in den Palazzo Balbi und eine erholsame Nachtruhe.«

Sie stiegen in das wartende Boot, und der Gondoliere legte ab. Nach einer kleinen Weile Schweigen fragte der Prinz: »Geht es dir auch gut, Jan?«

»Ja, ich danke, Euer Gnaden.«

Selten war einem Fürstensohn ein passenderer zweiter Name gegeben worden wie Anton: Clemens, der Milde. Jans junger Herr stand erst im neunzehnten Jahr, aber er sorgte sich um jedermann. Um Jans Feuersucht und auch um das Gesinde.

»Jan, wenn wir ankommen, schicke bitte alle zu Bett. Es ist genug, wenn mir Bodenschatz hilft.«

»Außerdem liegt es nicht in Eurer Macht, ihn vom Versehen dieser Pflicht abzuhalten, Euer Gnaden.«

»Wohl wahr!«

Sie verfielen in Schweigen, bis sie am Palazzo Balbi landeten, wo sie der Majordomo und die beiden Diener Nanni und Fano bei einem Nachtlicht im Wassergeschoss des Palasts erwarteten. Fano schnarchte. Der Majordomo wirkte vor Müdigkeit alt und grau und war doch in Wirklichkeit gerade vierzig, zehn Jahre jünger als Jan.

»Komm, Lieber, ich möchte nun wirklich zu Bett.«

Jan trug den Leuchter und geleitete seinen Herrn hinauf in die Prunkräume, wo diesem seine Lieblingsdogge schwanzwedelnd und vor Freude winselnd entgegensprang. Wenigstens, bis sie Jan sah. Die Hündin knurrte. Prinz Antons Kammerdiener Bodenschatz folgte ihr gemessenen Schritts, höflich durch die Nase gähnend.

»Ruhig, Lady Freckles! Du kennst ihn doch!« Der Prinz tätschelte der Dogge, die Jan aus Gewohnheit die Zähne zeigte, den Kopf. Kaum ein Tier behielt in seiner Gegenwart Gleichmut. Sie witterten alle das Fremde in ihm.

»Geh ruhig, Lieber«, sagte der Prinz. »Du hast Urlaub. Verfahre in den nächsten Stunden, wie dir beliebt. Aber tu mir die Liebe und lass wenigstens die Finger vom Feuer, ja? Wir wissen nicht, ob die Sbirren des Rats der Zehn nicht auch unter dem gemieteten Gesinde Augen haben.«

Sie umarmten sich wie Brüder, oder richtiger wie Onkel und Neffe. Jan war das Geheimnis Sachsens. Er galt als Bastard aus einer kurzen Liaison von Antons Großvater, König August dem Dritten von Polen, damals noch Kronprinz, mit einer Nichte des Fräuleins von Gottersdorf, die Jans Kinderfrau auf Schloss Burgk gewesen war. Die Wahrheit, die ganze Wahrheit hinter dieser Legende, kannte heute nur noch Antons Mutter, die Kurfürstinwitwe Maria Antonia, nachdem ihre Tante und Schwiegermutter sie ihr auf dem Sterbebett gestanden hatte. Aber das tat nichts zur Sache. Maria Antonia empfand Freundschaft für Jan seit dem Tag, da er ihren Zweitgeborenen Friedrich in die Arme genommen und ihr gelobt hatte, alle ihre Söhne zu hüten, als wären sie seine eigenen.

Er stieg hinauf zum Mezzanin, in die eher bescheidene Kammer, in der er selbst untergebracht war, und wechselte dort den Galarock gegen einen schlichten. Nebenan schnarchte der Monsignore. Dass Wilfert hinter der dünnen Wand schlief, riet Jan dringend davon ab, sich eine Frau in dieses sein kleines Reich zu holen. Er wusste genau, was er von der Keuschheit des Monsignore zu halten hatte. Der Beichtvater des Prinzen war auch nur ein Mann. Jan sah keinen Sinn darin, Wilfert ohne Not durch Lustlaute aus seiner Kammer durch die Wand hindurch aufzugeilen.

Er schloss lautlos die Tür. Wie in jedem vornehmen Haus Venedigs besaß auch der Palazzo Balbi großartige, hohe Repräsentationsräume. Das Appartement des Prinzen im Piano Nobile ließ in dieser Hinsicht keine Wünsche offen, obwohl der Portego oder Empfangssalon und das Prunkschlafzimmer, das sich daran anschloss, jetzt im Winter natürlich eiskalt waren. Man konnte praktisch gar nicht darin heizen. An der Wand hinter Antons Paradebett glitzerte der Frost. Doch es gab kein morgendliches Lever wie in Dresden, und so schlief der Prinz einigermaßen behaglich voll angezogen im Eckkabinett hinter dem Prunkschlafzimmer auf einem schmalen Bett, gewärmt von seinem Lieblingshund.

Jans Geschmack war das nicht. Der Mezzanin, in dem er wohnte, war auch alles andere als angenehm temperiert, aber er hielt sich trotzdem lieber allein in seiner Kammer auf, und nicht nur wegen der dünnen Wand. Der Monsignore sägte nebenan ganze Baumstämme durch und hörte nicht, dass sich sein Kammernachbar auf leisen Sohlen an den Abstieg nach unten machte. Jan zog aus alter Gewohnheit auf der obersten Stufe den Kopf ein. Nicht nur der Mezzanin, auch das Treppenhaus war niedrig.

Zu niedrig, zu eng, zugig, und die Aussicht beziehungsweise das wenige, das die Fenster davon zeigten, war auch nicht der Rede wert. Dennoch war er mit dem Anblick der Hausdächer ganz zufrieden. Er wollte gar nicht wissen, wie tief unter ihm der Rio de la Frescada floss.

Es war keine boshafte Absicht gewesen, als ihn damals mit zehn Jahren Prinz Antons Vater Friedrich Christian, de facto Jans älterer Halbbruder, überredet hatte, aus dem rechten Turm des Residenzschlosses zu springen. Doch ihm fuhr seitdem jedes Mal Eis in den Darm, wenn er in einen Abgrund blickte.

Er rieb sich die Gänsehaut von den Armen. Die Stummelflügel, die seinen Rücken für Uneingeweihte bucklig erscheinen ließen, taugten nicht zum Fliegen. Er hatte sich bei dem Sturz alle Knochen gebrochen und von den Schmerzen jener Nacht scharfe Falten um den Mund zurückbehalten. Es waren bis heute die einzigen Zeichen von Alter in seinem Gesicht.

Jans Wangen und die Stirn waren immer noch glatt, allerdings war sein Bart im Gegensatz zu seinem dichten, fast schwarzen Haupthaar und den Brauen sehr hell. Unrasiert schimmerte sein Kinn in der Sonne golden. Was ihn daran erinnerte, dass er sich auch hier im Palazzo Balbi wieder eine Verbündete suchen musste.

Vorzugsweise die junge Hexe, die er bereits gestern bei seiner Ankunft unter dem Mietgesinde gewittert hatte. Noch vor Prinz Antons Dogge, die dem Gesinde aus diesem Grund freudig bellend entgegengesprungen war.

Tiere liebten weiße Hexen, das Volk schätzte ihre Macht, und die Kirche tolerierte sie, schon weil sich Bauern und Handwerker selten einen Medicus leisten konnten. Dennoch durfte es keine Hexe allzu genau damit nehmen, was sie am Samstag Hochwürden im Beichtstuhl erzählte.

Jan kehrte noch einmal in sein Zimmer zurück und nahm Rasiermesser und Seife aus seinem Reisenecessaire. Unterwegs konnte er sich verausgaben. Wenn er einen ganzen Tag auf den Beinen gewesen war, sich müde gelaufen hatte oder mit Prinz Anton in der Kutsche durchgerüttelt worden war, brauchte er nichts mehr. Dann genügten ihm eine Kerze und einige Stunden für sich allein.

Aber jetzt, die göttliche Stimme La Fiamettas noch im Ohr, musste er sich die Unrast aus dem Leib treiben. Feuer konnte er hier nicht haben, obwohl ihm das manchmal mehr Lust verschaffte als eine Frau.

Jan umging lautlos seufzend ein knarrendes Bodenbrett. Er kannte von seinem echten Vater nur dessen Namen in der Welt: Zelta Pukis, den Goldenen. Drachen tolerierte die Kirche nicht. Sie galten als boshaft, Wesen der Finsternis und ihre Geschenke als zwiespältig. Dennoch hatten die Schulden August dem Starken keine andere Wahl gelassen, als den Vorschlag des Goldenen anzunehmen und seinen Sohn, den Kronprinzen, zu einem Geschäft zu überreden. Jan war kurz nach seiner Geburt dem Vernehmen nach eine greisenhafte, verwachsene Scheußlichkeit gewesen, bei deren Anblick die fromme Kronprinzessin Maria Josefa in Krämpfe verfallen war.

Aber auch später als Königin hatte sie den Handel immer sehr bedauert, den ihr Gatte und ihr Schwiegervater neun Monate vor Jans Geburt mit Zelta Pukis abgeschlossen hatten. Obwohl ihre Ehre als Königin niemals angezweifelt worden war. Für Hof und Hauschronik lag seit dem Jahr 1723 eine totgeborene Prinzessin im Grab, Jans Zwillingsschwester.

Er schabte sich über das Stoppelkinn. Auch wenn es seine hochwohlgeborene Mutter niemals zugegeben hätte, er war mit jedem Zoll Länge immer ansehnlicher geworden. Heute sahen viele Damen des Hofs von Dresden sein Gesicht trotz seines Buckels gern, zumal er rasiert und gepudert immer noch für kaum älter als Prinz Anton gelten konnte. Dabei blickte er inzwischen auf ein halbes Jahrhundert zurück und mehr als einen Krieg.

Er passierte das unbenutzte Gästeappartement einen halben Stock unter dem Fürstenappartement. Leider gab es vom Mezzanin im dritten Stock über dem Piano Nobile, in dem er und der Monsignore Kammern hatten, keine direkte Verbindung zu den beiden Seitenflügeln des Palazzo Balbi. Wer die Küche erreichen wollte, musste die ganze Treppe ins Wassergeschoss hinunter- und durch die Wirtschaftsräume wieder hinaufsteigen. Ihr Herd lag auf der Dorsoduro-Seite des Palazzo und wegen der Feuergefahr ebenfalls im dritten Stock, direkt unter dem Dach. Zwar gab es im hinteren Salon des Prinzenappartements einen Speisenaufzug, doch der war zu eng für Jan, er konnte ihn nicht hinaufsteigen.

***

Wärme schlug ihm aus der Küche entgegen. Das Feuer auf der Herdplatte brannte munter, die Mägde waren schon eifrig bei der Arbeit. Die Diener saßen noch und löffelten die Morgensuppe. Einzig der Majordomo sah Jan kommen und stand eilends auf.

»Verzeiht, Messer. Wir hätten Euch natürlich aufgewartet. Hättet Ihr doch gestern gesagt, dass Ihr noch vor Sonnenaufgang aufzustehen wünscht!«

»Nun, ich bin gewohnt, mich selbst zu versorgen, aber danke. Habt ihr schon Morgenandacht gehalten? So nicht, gehe Er und wecke Er den Monsignore. Wilfert wird es eine Freude sein.«

Außerdem hielt Beten den Beichtvater des Prinzen beschäftigt, bis der junge Herr erwachte und es Zeit für den Monsignore wurde, mit seinem Schützling die Messe zu feiern. Jan spazierte zur Herdstelle. Die Glut zog ihn magisch an, aber er hatte die Bitte seines Prinzen nicht vergessen.

»Möchtet Ihr Rasierwasser, Messer?« Die Köchin, eine würdige Matrone, knickste.

»Eine ausgezeichnete Idee.«

Im Kessel über dem offenen Feuer dampfte genug heißes Wasser, dass er sich nicht nur rasieren, sondern auch waschen konnte. Jans Blick fiel auf die jüngste Küchenmagd.

Ihre Bluse war gut gefüllt, die Taille schmal, und ihr Rock wölbte sich über den Hüften einladend breit. Doch das Beste war, sie roch süß nach Hexe.

Er lächelte. »Wie heißt du denn, mein Kind?«

»Barberina.«

Sie war eine hübsche Kleine, die von ihrer Macht über Mensch und Tier noch nicht allzu viel wusste. Außer der über Männer. Jans Lächeln wurde breiter.

Sie knickste und lächelte verstohlen zurück, wobei sie nette Grübchen zeigte. Barberina hatte keine Angst vor ihm, oder jedenfalls nur ein bisschen, gemischt mit einem süßen Schauer Aufregung. Sie ahnte, dass an ihm mehr war, als sein Buckel zeigte. Jan ließ seinen Blick noch einmal über sie wandern. Nichts dagegen einzuwenden, wenn sie aus ihren unbestreitbaren Vorzügen Vorteil zog.

Barberina träumt von einem kleinen Landgut auf der Terraferma, ein fast unerreichbarer Traum, selbst wenn sie und ihre Familie ein Leben lang dafür schuften.

Aber man würde sehen.

Er schnippte mit den langen Fingern. »Geht nun alle hinaus.« Er zog Barberina zu sich. »Du bleibst. Wenn du dich gut anstellst, darfst du mich gerne für die ganze Dauer meines Aufenthalts bedienen.«

Er fasste mit zwei Fingern unter ihr Kinn. Ihre Schürze zierte schon der erste Schmutzfleck dieses Morgens, doch sie roch sonst sauber und gesund. Jan küsste sie sanft. Barberina versteifte sich zu seiner Freude nicht, obwohl ihr diese Liebkosung sichtlich ungewohnt war. Doch ihn tapfer anzulächeln und sich mit Lust von ihm nehmen zu lassen, das waren immer noch zwei verschiedene Dinge. Er knetete ihren Hintern. Anders als manchem Höfling am Hof zu Dresden bereitete es ihm kein Vergnügen, ein Mädchen mit Gewalt zu nehmen. Schade nur, dass es jetzt kurz ausfallen musste.

Jan war nicht nur der Reisemarschall und Freund seines jungen Herrn, sondern hatte eine zweite, niemals ausdrücklich ausgesprochene Aufgabe von Kurfürst Friedrich August übertragen bekommen, der sich um seinen frommen jüngeren Bruder Anton Clemens durchaus Sorgen machte. Der Prinz war als fünfter Sohn eigentlich für den geistlichen Stand vorgesehen gewesen, doch der Tod zweier seiner Brüder hatte ihn jetzt an die dritte Stelle der Thronfolge gerückt. Seitdem verhandelte der Kurfürst insgeheim um die Vermählung Anton von Sachsen mit einer Prinzessin des Hauses Sardinien, was es auch nötig machte, Jans jungen Herrn auf die Aufgaben eines Ehemanns vorzubereiten. Leider, in diesem Sinn leider, hatte Anton aber bisher niemals Anstalten gemacht, mit der einen oder anderen Hofdame seiner Mutter wenigstens zu tändeln. Und dieses Versäumnis hatte er auch nicht beim Gesinde oder während der Reise nach Venedig nachgeholt.

Jan machte dafür unter anderem die strenge Aufsicht Monsignore Wilferts verantwortlich. Der Beichtvater des Prinzen wusste um die neuen Pläne für seinen Schützling, verschloss aber aus Bequemlichkeit oder Weltfremdheit die Augen vor den Konsequenzen. Vielmehr, er überließ sie Jan.

Jan machte sich aber deswegen weiter keine Sorgen. Frauen und Mädchen waren hier in Venedig frei und zugänglich wie kaum andernorts. Er konnte seinem Herrn mit Leichtigkeit das Vergnügen weiblicher Gesellschaft vermitteln.

Später. Erst wollte er es sich selbst gönnen. Jan knüpfte in behaglicher Vorfreude Barberinas Schnürmieder auf. Er streichelte ihre Brüste, deren Warzen sich unter seinen sanft knetenden Fingern sofort voll Erwartung zu Knospen verhärteten.

Barberina hat schon dem Messer Dolfin zu dessen Lust gedient und hat einen Verlobten, Nanni, dem sie gern und freundlich alle Rechte auf ihren Körper einräumt.

Das war sehr gut so. Jan liebte erfahrene Frauen, deren Gatte oder Verlobter ihre Furche ebenfalls fleißig pflügte. Doch Barberinas Bräutigam Nanni war ein Tölpel.

Der nimmt sie wohl, wann immer es ihn ankommt, aber er hat ihr traurig wenig Lust beschert.

Natürlich blieb den beiden im Dienst ihrer Herrschaft wenig Zeit für Zärtlichkeiten, doch musste Nanni Barberina deshalb einfach befehlen, ihm den Rücken zu kehren, die Röcke hochzuschlagen und sich zu bücken?

Der Gedanke erregte Jan trotzdem. Sein Schwanz pochte. Wenn sie abhielt, konnte ein Mann eine Frau in der Tat mit einem einzigen wonnigen Stoß nehmen. Doch er beherrschte sich. Er verdarb ein gutes Mädchen wie sie lieber fürs ganze Leben. Er wollte Barberina beibringen, dass nicht alle Männer nur an die eigene Lust dachten. Sie war eine weiße Hexe, von Natur aus gut. Sie verdiente, dass er ihr guttat. Er betrachtete es nahezu als seine Pflicht.

»Komm.«

Er packte sie um die Hüften und trug sie zum Tisch, wo er sie hinsetzte und hingebungsvoll küsste, streichelte, ihre Brustwarzen und ihren Schoß rieb. Bis sie ihm erlaubte, sie einzuseifen und zu rasieren. Danach kniete er sich vor sie und leckte ihr die Schamlippen und die rosige Perle dazwischen, bis sie sich vor Lust jammernd unter seinen Händen und seiner Zunge wand. Sie war ganz nass und warm und weich, als er langsam und mit Genuss in sie eindrang. Jan fickte sie von vorne und von hinten und bediente sich zuletzt noch ruchlos ihres Mundes. Dabei stellte er sich vor, dass sie diesen Dienst seinem jungen Herrn leistete, während er sie gleichzeitig von hinten bestieg. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich mit einem Prinzen des Hauses Wettin eine Frau teilte. Er kam in ihrem süßen Mund.

Dann löste er sich wieder von ihr, sehr mit sich und ihr zufrieden. »Ich danke dir.« Er gab ihr ein Goldstück. »Und nun lass mich allein, sieh zu, dass mich bis zum Matutinläuten hier niemand stört.«

Jan schob Barberina hinaus, wusch und rasierte sich. Sie war wirklich eine süße Hexe, und sie hielt das Gesinde zuverlässig von der Küche fern. Niemand belauschte ihn, niemand beobachtete ihn. Er konnte es sich leisten, seiner Neigung nachzugeben. Er spielte ein Weilchen mit den Flammen auf dem Herd und verbrannte sich genüsslich die Finger. Zuletzt vergrub er gleichermaßen vor Lust und Schmerzen fauchend beide Hände in der Glut.

Kapitel 4

Venedig; Mittwoch, 19. Januar 1774; am Tag von Sankt Marius und Martha, Agritius und Heinrich von Uppsala; nach Sonnenaufgang; auf dem Weg in den Sestiere Polo

Der Anblick der Gasse hinter dem Palazzo überraschte ihn. Er hätte vor seinem Aufbruch im Mezzanin aus dem Fenster blicken sollen, doch ihm war beim Spielen mit Barberina und hernach dem Feuer einfach entgangen, dass es in der letzten Stunde zu schneien begonnen hatte. Alle Dächer und die Gassen lagen unter einer dicken weißen Puderschicht.

Er trat tief einatmend in die kalte Morgenluft hinaus. Der Nebel war bei Sonnenaufgang verschwunden, doch er hatte seinen Bruder, den Rauhreif, zurückgelassen. Winzige weiße Kristalle überzogen jedes Gesims. Jan legte die verbrannten Finger auf das zugefrorene Pförtnerfenster eines Hauses und wartete, bis seine Körperwärme ein Loch in die Eisblumen geschmolzen hatte – ein unschuldigeres Vergnügen als das, das er erst vor kurzem genossen hatte. Dummerweise war sein Appetit davon nur noch gewachsen. Er strich im Weitergehen über sein frisch rasiertes Kinn.

Viel Zeit blieb ihm für den Spaziergang nach San Marco leider nicht. Die Blutsbande zwischen ihm und dem Haus Kursachsen und was Anton anging – dessen echte Zuneigung – sorgten dafür, dass Jan schon jetzt das Erwachen seines jungen Herrn spürte. Vorher musste er sich noch darum kümmern, dem Prinzen ein Tasteninstrument zu mieten, ein Cembalo oder Spinett.

Im Vorübergehen grüßte er die Spitzel der Republik Venedig, die sich auf der Gasse die Langeweile mit einem Würfelspiel vertrieben.

»Lassen Sie sich nicht stören, meine Herren.«

Er schwenkte seinen Dreispitz, belustigt über die dummen Gesichter der Spitzel. Jan hätte ihnen auch noch mitteilen können, dass sie nicht allein waren.

Vor dem Palazzo dümpelt auf dem Canal Grande ein Boot, in dem zwei frierende Agenten der habsburgischen Krone sitzen. Obgleich das Kurhaus Sachsen und Österreich Verwandtschaft und Bündnis eint, lassen Kaiser Josefs Minister den Prinzen rund um die Uhr beobachten.

Dabei war Anton Clemens die Harmlosigkeit selbst. Der Prinz hätte nicht im Traum daran gedacht, eine Intrige anzuzetteln, zu wessen Nutzen auch? Dennoch fand Jan die Anwesenheit der Spitzel sehr nützlich. So billig wie durch die Agenten beider Staaten hätte er kaum unerwünschte Besucher vom Palazzo Balbi und damit seinem Prinzen fernhalten können. Er blieb am Rio San Tomá stehen, winkte dem Fährmann des Traghetto und ließ sich über den Canal Grande setzen.

Der Spaziergang durch den Sestiere Polo zur Rialtobrücke und zum Mercatorio reizte ihn immer noch. Doch er wollte vor seines Prinzen Erwachen nicht nur die Anlieferung des Instruments in die Wege leiten, er wollte sich auch am Teatro San Benedetto nach La Fiametta erkundigen. Selbst wenn sie dort wider Erwarten nicht engagiert war, musste man an der bedeutendsten Spielstätte der Opera Seria Venedigs doch wissen, wo sie sang.

»He, Messer! Messer Stolnik!«

Jan drehte sich um. Ruzzini, der gestern Abend Gast bei Farsetti gewesen war und in dessen Gedanken er geblickt hatte, stand schwer atmend vor ihm.

»Habt Ihr Euch nicht für La Fiametta interessiert?«

Es war nicht ausgeschlossen, dass sich einem Menschen ein wenig davon mitteilte, was Jan selbst dachte, wenn er sich in fremde Gedanken versenkte. Doch er wurde aus dem, das Ruzzini in Windeseile durch den Kopf schoss, nicht schlau und zog eine Augenbraue hoch.

»In der Tat«, sagte er langsam.

»Dann kommt! Schnell, uns bleibt keine Zeit.« Ruzzini zerrte an Jans Ärmel. »Kommt, Ihr werdet es nicht bereuen!«

Unglaublich, Ruzzini entstammt dem höchsten Adel der Republik, und die Frau, zu der er ihn jetzt führen will, hat ihn ruiniert. Nicht nur ruiniert, sondern auch beschimpft und geschlagen. Aber er ist sich dennoch nicht zu schade, den Kuppler für sie zu machen.

Es fehlen nur noch wenige Golddukaten, dann ist er frei. Frei! Madonna, Ruzzini verbittet sich, überhaupt daran zu denken. Sie könnte seinen Plan erraten und ihm das Geld wieder abschmeicheln. Nein, das darf nicht sein. Lieber zu den Barbaren in die Sklaverei!

Jans Neugier siegte. Außerdem beabsichtigte Ruzzini keinen Anschlag auf sein Leben; höchstens auf seine Börse. Er ließ sich über die Brücke des Rio San Tomá führen und weiter zum Campo Santo di San Polo. Sie gingen durch den Friedhof dieser Gemeinde zum Hintereingang eines Palazzo.

»Ei, was habt Ihr mit Euren Händen gemacht?«

»Weiter nichts.«

Jan ballte kurz die Fäuste, damit die letzten Blasen aufsprangen. Brandwunden heilten bei ihm innerhalb weniger Stunden, mit etwas Glück bemerkte der Prinz nachher nichts von seinem kleinen Vergnügen. Jan hatte deswegen kein schlechtes Gewissen, aber er wollte Anton nicht beunruhigen. Der gute Junge mochte ihn und verschwieg sogar Monsignore Wilfert, seinem Beichtvater, Jans Feuersucht. Auch wenn nicht einmal Anton verstand, warum er unleidlich und rastlos wurde, wenn er nicht wenigstens ab und zu die Hände in der Glut braten durfte. Der Prinz wusste nichts vom Drachendasein und dass Jan Schmerz brauchte wie frische Luft.

Die roch im Hintereingang des Palazzo, zu dem ihn Ruzzini führte, ausgesprochen muffig. Keine Seele stand bereit, sie höflich zu empfangen. Nun, soweit es nur Jan selbst anging, war ihm Ehrerbietung gleichgültig. Er folgte Ruzzini gespannt. Die Vorfreude, ja Geilheit des anderen Mannes steckte ihn an.

»Kommt, die Treppe hinauf. Beeilt Euch, Messer!«

Doch Ruzzini meinte nicht den Piano Nobile, nicht einmal den Mezzanin. Er nötigte Jan, ihm über die Dienstbotentreppe auf das Dach des Palazzo hinaus zu folgen, wo in schwindelerregender Höhe ein Altan über dem Abgrund hing.

Jan schrak zurück, aber fremde Hände packten ihn, schoben ihn hinaus auf eine kleine Plattform, die an drei Seiten frei aus dem Dach vorsprang. Dort standen noch mehr Männer, und Ruzzinis Kumpane drängten ihn nach vorn, zum Geländer.

Er schluckte. Sein Herz raste, ihm war speiübel. Jan kämpfte zwei, drei Atemzüge lang verzweifelt um Kontrolle über seinen Darm. Die erregten Herren, die ihn einkeilten, sahen aber nur, dass er leichenfahl war. Sie hielten seinen Schweißausbruch und das Zittern für ganz natürlich.

Tief unter ihm, im verschneiten Cortile des Palazzo, stand zwischen zu Ornamenten gefügten Buchshecken eine schöne blonde Frau. Jans ganzer Körper revoltierte. Er hätte sich am liebsten abgewandt, trotzdem konnte er die Augen nicht von ihr lassen. Sie hielt beide Arme im Rücken, doch er begriff bald, dass sie nur die Bänder ihres Kleides aufschnürte.

Noch immer war ihm beim Blick in die Tiefe keinesfalls wohl, aber das Schauspiel unten nahm ihn vollständig gefangen. Nach den Bändern löste sie den Stecker oder Latz, jenes steife, mit Nadeln zwischen Schnürbrust und Taille festgenestelte Stoffdreieck, das ihr Kleid vor der Brust bedeckte wie ein bestickter Harnisch. Zwei Phönixvögel schmückten den Stoff und weitere den Rocksaum.

Sie warf den Stecker achtlos beiseite. Danach schlüpfte sie aus ihrem im Rücken auf lose Manteaufalten gearbeiteten Gewand. Das Panier zog ihre Hüften auch im Unterkleid noch modisch breit, doch die geflochtenen Körbchen flogen genau wie das seidene Obergewand in den Schnee, dazu alle Unterröcke und das Schnürmieder. Schließlich stand die Schöne trotz der Kälte im bloßen Hemd da.

Ruzzinis Genossen stöhnten auf, mehrere legten sogar Hand an sich, als sie sich bückte, ihr letztes Kleidungsstück am Saum fasste und über den Kopf abstreifte. Nackt war sie schlank wie ein junges Mädchen und lilienweiß, doch mit üppigen Brüsten und Hüften.

»Und? Habe ich Euch zu viel versprochen?«

Ruzzini hielt die Hand auf. Gold wechselte den Besitzer. Jan griff geistesabwesend in seine Börse und tat es den anderen gleich.

Sicher wusste die nackte Schöne unten im Hof von dem Geschäft oben auf dem Altan, doch es schien sie nicht zu kümmern. Sie schlüpfte derweil aus den Schuhen, balancierte dann auf einem Bein und löste graziös das Strumpfband vom zweiten. Sein Zwilling und beide Strümpfe landeten beim Haufen ihrer Kleider. Zuletzt hob sie noch die Arme in den Nacken, löste ihre Flechten und bot Jan und dem übrigen Publikum dabei freien Blick auf ihre vollen Brüste, den schönen runden Bauch und ein Dreieck aus kurz geschorenem, goldenen Flaum. Es war eher Daunenkleid als Pelzchen, und hatten in Jan bis jetzt Widerstreben vor der Tiefe und Erregung miteinander gekämpft, siegte nun mit einem Schlag die Lust. Nicht nur sein Schwanz schwoll an, auch die Stummelflügel auf seinem Rücken streckten sich vom Blutandrang. Er bebte von oben bis unten.

In diesem Augenblick hob sie den Kopf.

Schwarze Falkenaugen suchten und fanden seine hellen. Er erschrak bis ins Mark. Ihr liebliches Gesicht blieb ausdruckslos, doch er konnte sich unmöglich täuschen. Ihr nachtdunkler Blick, der eines Raubvogelweibchens, scharf wie der seine, traf ihn. Sie erkannte ihn, das, was er war: der Sohn eines Drachen und einer Königin, ein Halbmann. Flugunfähig, bis zum Tag seines Todes auf der Erde festgebannt.

Jan wusste nicht, was sie war. Aber sie waren einander gleich, in gewisser Weise nur zur Hälfte Geschöpfe dieser Welt. Und er musste sie haben, sie riechen, schmecken, besitzen. Um jeden Preis!

Doch die Vorstellung war beendet. Ruzzini und seine Kumpane drängten ihn auf dem Altan vom Geländer fort, nach hinten, verstellten ihm die Sicht.

»Macht Platz, Messer, damit andere die Ware auch begutachten können.«

»Wer kauft schon gern die Katze im Sack!«

Einer der Freier betrachtete sie sogar durch ein Fernrohr. Doch der Altan war klein und Jan hochgewachsen genug, dass er über Ruzzinis Kumpane hinwegblicken konnte. Er sah, wie sie unten im Cortile ihren Betrachtern den Rücken zukehrte, so dass er den Anblick ihres festen Hinterns genießen konnte und wie sie ihre Mähne ausschüttelte. Eine erstaunliche Flut sonnenglänzenden, feinen Haars fiel ihr bis zu den Hüften. Die letzten Spitzen streichelten ihren üppigen Hintern.

Knapp über der Spalte wuchs ein hübscher kleiner Spiegel gleißender Federn. Ja, Federn. Sie glichen denen eines Pfaus, nur dass ihnen das grüne Schillern fehlte. Sie waren im Gegenteil ganz und gar golden, glänzten wie Sonnenfeuer. Ähnliche Federn entdeckte er auch auf beiden Schulterblättern La Fiamettas.

Er wusste nicht, was sie antrieb, sich jedem Narren als Wesen der Anderswelt zu verraten. Doch er nahm den Gedanken sofort wieder zurück. Ruzzini und seine Kumpane sahen den Federspiegel wie er und dachten sich nichts dabei. Ähnlich wie im Fall seiner Flügel, die alle Welt für einen Buckel hielt, wollten sie die Besonderheit nicht sehen. Außerdem verschleierte ihnen Erregung den Blick. Ruzzinis Kumpane überboten sich in Zoten und wer heute Nacht bei La Fiametta den Anfang machen durfte.

Jan nahm seinen Hut. Allein schon der Gedanke, sie mit anderen zu teilen, widerte ihn an. Er begehrte die Schöne mit dem goldenen Schoß vielleicht mehr als sie, gleichzeitig wollte er die Hure nicht. Er verließ den Altan unbemerkt mit trockener Kehle und weichen Knien.

Kapitel 5

Venedig; Samstag, 22. Januar 1774; am Tag von Sankt Vinzenz von Saragossa und Theodelinde; drei ereignislose Tage später; Prunkschlafzimmer im Piano Nobile des Palazzo Balbi; nach der Morgenandacht

Jan stand an der Seite seines jungen Herrn und sah den Bediensteten zu, die nacheinander den Portego des Fürstenappartements verließen. Knicksend die Mägde, die Diener mit Verbeugung und Kratzfuß, den eigentlich fälligen Handkuss hatte sich der angebliche Graf von Weesenstein verbeten. Zuletzt ging auch der Majordomo, doch er trat nur hinaus ins Treppenhaus, aus dem er kurz darauf gemessenen Schritts mit Tellern und Tassen für das Frühstück zurückkehrte. Im Eckkabinett hinter dem Prunkschlafzimmer waren Antons wahres Bett und das seines Kammerdieners bereits weggetragen und durch ein Tischchen mit Rechaud ersetzt worden. Dort dampfte heiße Schokolade, mit Honig, Eigelb und Zimt vermischt, dickflüssig, nahrhaft und süß. Einzig ihr köstlicher Duft hatte Jan geholfen, Wilferts langatmige und wieder einmal nicht sehr inspirierende Predigt geduldig zu ertragen. Er freute sich darauf, die Schokolade mit seinem Herrn plaudernd zu genießen.

Ein rarer Moment der Muße, Anton von Sachsens Tage waren jetzt ausgefüllt. Wenn er nicht den Nobili der Stadt Besuche machte, empfing er im Palazzo. Der Prinz fand kaum Zeit, das gemietete Cembalo zu spielen oder gar zu komponieren. Selbst Konzertbesuche oder die Oper gerieten zu Unterredungen über Staatsangelegenheiten. Anton von Sachsen war Stammhalter des Hauses Sachsen und wurde als solcher sehr hofiert. Während sich Jan, den sein junger Herr damit gerne aufzog, als bloßer Kammerherr zur gleichen Zeit alle Skandale und Liebeshändel der Stadt anhören und sich damit langweilen durfte.

Zum Henker mit allen Weibern! Selbst mit Barberina. Sie nach allen Regeln der Kunst zu verführen, ihren Mund und Schoß zu genießen und ja, auch Nannis Eifersucht vertrieben Jan die Zeit. Aber die junge Hexe war eine gar zu sanfte Taube. Wobei ihm einfiel, dass er mit dem Monsignore noch ein Hühnchen rupfen musste.

Wilfert trödelte am Fenster des Eckkabinetts höchst ungebührlich mit dem Verpacken der heiligen Messgeräte herum, was auch der Prinz bemerkte. Anton von Sachsen zog eine Augenbraue hoch.

»Ich danke, Bodenschatz!« Anton setzte sich noch im langen Schlafrock auf den Stuhl, den ihm sein Kammerdiener am Frühstückstisch bereithielt, während Monsignore Wilfert leise schnüffelnd den Abendmahlskelch polierte und sich nicht entschließen konnte. Endlich, weil ihn Bodenschatz strafend anblickte, schlug der Beichtvater Silberkreuz, Kelch, Patene und Hostiendose umständlich in Tücher ein und verpackte sie noch umständlicher in ihren Transportkoffer. Aber es half alles nichts, und so blieb Wilfert schließlich doch nur übrig, den Prinzen und seinen Kammerdiener zu segnen. Zuletzt und eher widerstrebend auch Jan.

»Habe ich Eure Durchl–, Euer Gnaden gnädigste Erlaubnis, äh … mich zurück– «

Wilferts Hand verharrte, aber der Prinz hatte den zögerlichen Segen gesehen. Anton von Sachsen entließ seinen Beichtvater mit einem für ihn sehr beiläufigen Nicken. »Ja, geh Er nur.«

»Ergebensten Dank, Eure Du–, bitte verzeiht, ich sollte natürlich sagen: Euer Gnaden!« Wilfert errötete, verbeugte sich und trat den Rückzug durch das Prunkschlafzimmer an.

Prinz Anton verdrehte hinter seinem Rücken die Augen. »Ist es so schwierig, mich mit dem für diese Reise richtigen Titel anzureden?« Aber nach diesem Ausbruch war Jans junger Herr schon wieder weich gestimmt. Er seufzte. »Sei so gut, geh ihm nach, Lieber. Lass Wilfert auch eine Schokolade servieren. Das wird sein betrübtes Gemüt besänftigen.«

»Wie Ihr wünscht, Euer Gnaden.«

Jan nahm davon Abstand, Prinz Anton darauf hinzuweisen, dass einige Ärzte dem Genuss von Schokolade gänzlich andere Eigenschaften zuschrieben: erhitzende, die Sinneslust weckende. Kaum das richtige Getränk für einen Priester, aber ein ausgezeichneter Vorwand für Jan. Er holte den Monsignore mit seinen langen Beinen mühelos noch im Portego ein.

»Monsignore Wilfert! Auf ein Wort.«

Der Beichtvater drehte sich um und erschrak. »Was wollt Ihr, Graf Stolnik?«

»Nun.« Jan dachte kurz nach, sah aber dann doch keinen Grund, seinem Anliegen ein keusches Mäntelchen umzuhängen. »Wie Sie wissen, ist unser junger Herr durch das Ableben zweier seiner älteren Brüder zum Stammhalter aufgerückt.«

»Mögen die verewigten Fürsten … äh, in der Gruft ihres hohen Hauses … sie ruhen in Gott.« Wilfert errötete, weil er sich in seinem Unbehagen ertappt fand, und schlug ein Kreuz.

Jan nickte. »Jedenfalls ist Anton Clemens der Thronfolge näher gerückt. Unser junger Herr soll sich deshalb demnächst mit einer jungen Dame von hohem Stand verheiraten.«

Wilfert erschrak. »Ein Ereignis … für dessen glückliches Eintreten … ich täglich … Ich bete darum!«

»Wohlgetan! Dennoch möchte unser Herr, der Kurfürst Friedrich August, das Glück seines jüngeren Bruders nicht allein der Fügung überlassen.«

Insgeheim war Jan der Meinung, dass Fügung kaum das richtige Wort für eine Verbindung war, deren Verhandlung bisher mehrere Gesandte und ein ganzes Heer von Kanzleischreibern beschäftigt hatte und bis zur Unterzeichnung des Vertrags durch beide Brautleute zweifellos noch beschäftigen würde.

»Graf Stolnik, die Liebe zwischen Eheleuten gründet … der Segen des heiligen Sakraments! … Will sagen, ich werde gerne Gebete, Fürbitten … möge diese Liebe … dem jungen Paar zahlreiche Nachkommen, äh … wie es Unser Herr Jesus Christus …« Wilfert verhedderte sich immer mehr.

»Einverstanden, Monsignore!«, sagte Jan schnell. »Dennoch wünscht Seine Durchlaucht, dass unser junger Herr nicht in die Verlegenheit gerät, von seiner jungen Gemahlin im ehelichen Bett unwissend über die Ausübung seiner Pflichten gefunden zu werden. Und das verlangt von Ihnen, Wilfert, dass Sie vor gewissen Begebenheiten, die sich im Palazzo demnächst vielleicht ereignen werden, mindestens die Augen schließen. Möglicherweise auch die Ohren.«

Und vor allem den Mund. Wilfert glotzte Jan an. Aber nach einer kleinen Weile fiel der Groschen doch. Der Monsignore errötete noch einmal, in diesem Fall vor Entrüstung.

»Wie könnt Ihr es wagen! Seine Durchlaucht …« Wilfert rang nach Atem. »Der Prinz … die Keuschheit selbst!«

Jan verlor die Geduld. Er wusste dank seiner Drachengabe ganz genau – und der Monsignore wusste es erst recht, denn sein Schützling beichtete die Missetat natürlich jedes Mal pflichtgemäß –, dass sich Anton wie jeder junge Mann seines Alters ab und zu mit der Hand selbst Erleichterung verschaffte.

»Erzählen Sie mir nicht, unser junger Herr hätte nie …«

»Das ist Beichtgeheimnis!« Wilfert erbleichte vor Wut. »Und wenn ich denn jemals … ich sage ausdrücklich! … Nicht, dass ich dergleichen … Aber gesetzt den Fall.« Wilfert zerrte am Beffchen seiner Soutane. Er räusperte sich, und selbst danach klang seine Stimme noch belegt. »Es wäre dergleichen eine lässliche … die Sünde, von Herzen bereut … mit einigen Vaterunser … und dem festen Vorsatz künftig, äh, selbst wenn …« Wilfert machte eine Geste der Absolution. »Wann übrigens habt Ihr zuletzt …«

»Mich selbst befriedigt?« Jan grinste.

»Also, Graf, wie könnt Ihr nur … ich fordere Euch auf, bekennt Eure Sünden vor Gott …«

»Lasst mich aus dem Spiel, Monsignore. Ich bin längst der Hölle anheimgefallen.«

»Versündigt Euch nicht! Eure unsterbliche Seele!«

»Ich muss warten, bis ich den Auftrag Seiner Durchlaucht des Kurfürsten, unseres Herrn, erfüllt habe. Entschließen Sie sich, Wilfert! Sie müssen dabei nicht mittun. Doch reden Sie mir unserem jungen Herrn wenigstens keine Gewissensbisse ein!«

»Ihr wisst nicht, was Ihr von mir verlangt, Herr Graf! Wir Priester sind Hüter der Seelen.«

Aber nicht des Leibes. Jan sah Wilfert nur an. Der Monsignore rang die Hände.

»Ich kann doch nicht …«

»Nun, wenn Sie Ihre Stellung behalten wollen, Wilfert, werden Sie in Kürze Beichtvater eines glücklichen jungen Ehemannes sein.« Jan machte eine Pause, wohlwissend, dass Wilfert den Blick seiner strahlend hellen Augen nicht lange ertrug.

»Aber vielleicht möchten Sie lieber in Ihr Dorf im Elbsandsteingebirge zurückkehren?«

Wie er es sich gedacht hatte: Auch der Monsignore roch die gute Schokolade.

Wilfert schluckte. »Nun gut, es sei! Ich werde die nächsten Abende im Gebet … die Versuchung, wehe mir!«

»Wir sind allzumal Sünder.« Jan griff in seine Börse, zählte drei Golddukaten ab, überlegte es sich und erhöhte auf vier. »Hier! Verwenden Sie es, wie es Ihnen beliebt. Als Spende für die Armen oder zur Erhöhung der Gloria der Mutter Kirche. Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.«

Er drehte sich unter der Tür noch einmal um. »Ach, einen Augenblick noch, Monsignore!«

Er winkte dem Diener, Barberinas Nanni, der sich einige Stufen tiefer im Treppenhaus in Erwartung von Befehlen der Herrschaft langweilte.

»Zu Diensten, Messer?«

»Mein Herr, der Graf von Weesenstein, bittet darum, Monsignore Wilfert eine heiße Schokolade zu servieren. Tragt sie ihm hinauf in seine Kammer im Mezzanin.«

Kapitel 6

Venedig, Sonntag, 23. Januar 1774; am Tag von Sankt Ildefons von Toledo; zur Mittagsstunde; Caffè Rimedio an der Piazza San Marco

»Lieber, du warst heute Morgen ziemlich einsilbig«, sagte der Prinz. »Willst du mir nicht erzählen, was mit dem Monsignore ist? Es kommt mir doch recht merkwürdig vor, dass er sich gerade heute am heiligen Sonntag entschuldigen ließ. Weder hielt er uns die Messe, noch wollte er mit uns im Dom am Grab des Schutzheiligen von Venedig beten! Wilfert hat doch hoffentlich nicht die Blattern?«

»Nein, seid unbesorgt, Euer Gnaden.«

Jan schmunzelte. Aber wie die Ursache der Unpässlichkeit des Monsignore erklären, ohne dabei den braven und tatsächlich frommen Jungen zu beunruhigen oder sein Zartgefühl zu verletzen? Das Herantreten des Wirts ersparte Jan für den Moment die Antwort. Girolamo brachte auf einem Tablett zwei Unterschalen und dazu Tassen sowie eine Kanne frisch gebrühten, sehr starken Kaffee. Alles wurde auf den Tisch gesetzt, der vor den Arkaden des Cafés in der Sonne stand.

Die Piazza wimmelte von Passanten. Ganz Venedig genoss den schönen Wintertag. Die vergoldete Erzengelstatue auf der Spitze des Campanile von San Marco glitzerte.

»Möge es den Herren munden.« Der Wirt zog sich mit einer Verbeugung wieder zurück.

Jan trank einen Schluck, aber bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, hob Anton die Hand.

»Halt! Die Wahrheit, wenn ich bitten darf! Womit hast du den Monsignore so verärgert, dass er lieber in seiner Kammer den Kranken spielt, als mit uns das Knie vor dem Altar des Schutzpatrons von Venedig zu beugen? Was hat mich das Vorzeigen der heiligen Gebeine übrigens gekostet?«

»Es war ein recht teurer Spaß.«

Die Reliquien des Apostels mit eigenen Augen zu sehen, also nicht nur den Schrein wie jedermann, verlangte einen hübsch mit Dukaten gefüllten Beutel aus des Prinzen Privatschatulle. Jan hatte ihn diskret dem Kämmerer Seiner Seligkeit des Patriarchen überreicht und der Spende unter der Hand noch eine eigene, etwas geringere beigefügt. Sie war der Dank für die Vermittlung des Kämmerers. Jan traf sich heute Abend beim Ball im Hause des Herrn di Paruta mit einigen Nobili, die einen Geldgeber für einen Handel nach Dresden suchten. Gewürze und Seide aus Venedig waren dort immer noch ein gutes Geschäft. Nebenbei füllten die Berechnungen, wie und aus welchen seiner Landgüter er die nötige Summe herausziehen konnte, ohne seinen Pächtern Schaden zuzufügen, zurzeit Jans Nächte. Jene Stunden, in denen sein junger Herr schlief, er es aber nicht konnte.