Drachenblut 4 - Lindsay Buroker - E-Book

Drachenblut 4 E-Book

Lindsay Buroker

5,0

Beschreibung

Die Drachenblut Saga - die Bestseller Fantasy Serie aus den USA geht weiter! Band vier Die Magierin Ardelle, Ex-Pirat Tolemek, Scharfschützin Cas und Colonel 'Gratwanderer' Zirkander sind auf eigener Mission unterwegs. Ihr Ziel: herausfinden, woher die Fläschchen mit Drachenblut kommen, mit denen die feindlichen Cofah neuerdings ihre Waffen betreiben. Gibt es einen Weg, das kostbare Drachenblut herzustellen? Oder hat irgendwo tatsächlich ein Drache die letzten Jahrhunderte überlebt ...? Atemlose Abenteuer, eine verbotene Liebe und ein sprechendes Schwert halten in Lindsay Burokers fulminanter Drachenblut Saga die Spannung bis zur letzten Seite. Für alle, die epische Fantasy für Erwachsene mit Romantik und einer Prise Humor lieben! Über die Drachenblut Saga Tausend Jahre sind vergangen, seit zuletzt ein Drache gesichtet wurde. Wissenschaft und Technologie haben die alte Magie verdrängt. Doch es gibt Menschen, durch deren Adern noch immer Drachenblut fließt, entfernte Nachfahren der mächtigen Kreaturen von einst. Diese Menschen haben die Macht, Magie zu wirken, zu heilen und Waffen herzustellen, die Kriege entscheiden können. Wegen dieser Kräfte sind sie gefürchtet, und in den letzten Jahrhunderten wurden sie fast bis zur Ausrottung gejagt. Die wenigen Überlebenden müssen einen Weg finden, die Magie von einst wieder aufleben zu lassen, oder sie werden für immer aus der Welt verschwinden.

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DRACHENBLUT

Band 4Schwingen der Dunkelheit

von Lindsay Buroker

Zuerst 2015 erschienen unter dem Titel Patterns in the Dark (Dragon Blood Book 4).

Titel: Drachenblut Band 4 – Schwingen der Dunkelheit

Autorin: Lindsay Buroker

Übersetzung: Jenny-Mai Nuyen

Von Morgen Verlag

Cover: Maria Spada

Deutsche Erstveröffentlichung: Berlin 2023

© 2023 Von Morgen Verlag, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Nachwort des Verlags

Lindsay Buroker

Kapitel 1

Der Zweimannflieger setzte auf einem frisch abgeernteten Taro-Feld auf, wobei die Räder so tief in den Schlamm sanken, dass Tolemek sich fragte, ob sie den Flieger je wieder ausgraben konnten. Zugegeben, auf der dschungelreichen Mavar-Insel gab es nicht gerade ausgefeilte Landebahnen oder Straßen, trotzdem schien dieses Feld keine gute Wahl zu sein. Tolemeks Meinung festigte sich, als braunhäutige Männer in Grasröcken aus dem Dorf rannten, das auf der anderen Seite des Feldes lag. Mehr als einer trug einen Speer.

Tolemek beugte sich vor und berührte die Schulter von Leutnant Cas ‚Raptor’ Ahn, der Pilotin und neuen Liebe in seinem Leben, obwohl in letzter Zeit nur wenig Zeit für die Liebe blieb. „Sollen wir die Waffen auspacken oder ist das das Begrüßungskomitee?“

Es überraschte ihn nicht, dass Cas’ Mark 500 Scharfschützengewehr bereits zwischen ihren Beinen ruhte. Er hatte sich an den Gedanken gewöhnt, dass sie manchmal damit schlief; schließlich war er dafür bekannt, mit ein paar Fläschchen Brandgift unter seinem eigenen Kopfkissen zu schlafen, zumindest in feindlichem Gebiet.

„Der Vater des Colonels soll schon seit ein paar Monaten hier sein“, sagte Cas. Sie schaute zu dem Flieger hinüber, der rechts vor ihnen gelandet war.

Ihr Kommandant, Oberst ‚Gratwanderer‘ Zirkander, schien zu sehr damit beschäftigt zu sein, im Cockpit nach etwas zu kramen, als dass er die näherkommenden Dorfbewohner bemerkte. Seine Passagierin, die schwarzhaarige Magierin Ardelle Terushan, achtete mehr auf ihre Umgebung und hatte die Dorfbewohner im Blick. Der junge Pilot des dritten Fliegers, Leutnant Duck, beobachtete sie ebenfalls und tippte mit den Fingern auf den Feuermechanismus für die Maschinengewehre des Flugzeugs.

„Das ist keine Antwort auf meine Frage“, sagte Tolemek. „Es gibt viele Männer, die Zirkander gern erschießen würden. Sein Vater wird kaum beliebter sein.“

„Sicher nicht.“ Cas schnaubte.

Zirkander setzte sich auf und wedelte mit einer Postkarte in der Luft. „Ich habe sie gefunden.“ Wenn er lächelte, wobei der Kinnriemen seiner Ledermütze bis zu seinem weißen Schal und seiner Pilotenjacke herabhing, sah er zugegebenermaßen nicht gerade wie ein verachtenswerter Schurke aus. Er war eher der schneidige Typ, mit dem die Frauen ins Bett und die Männer trinken wollten, aber Tolemek fand ihn tendenziell immer noch nervig. Zirkander schoss die Luftschiffe der Cofah schon länger ab, als Tolemek im Militär der Cofah war, und während Tolemeks Jahren als Pirat hatte Zirkander auch viele Piratenluftschiffe abgeschossen.

Ardelle beugte sich vor, berührte Zirkanders Schulter und flüsterte etwas.

„Ah, ja“, sagte Zirkander und nickte in Richtung der Dorfbewohner. Nicht weniger als ein Dutzend von ihnen rannte mit wehenden Grasröcken über das schlammige Feld auf sie zu. Bald würden sie nahe genug sein, um die Speere zu werfen. „Möglicherweise ist dies keine genehmigte Landebahn.“

„Möglicherweise haben diese Leute noch nie ein Flugzeug gesehen und halten uns für Dämonen, die ihre Heimat plündern wollen“, sagt Ardelle.

„Dämonen? Ich hatte auf Kinder der Götter gehofft.“ Zirkander warf ein Bein über die Lippe des Cockpits und sprang auf den Boden, wobei der Schlamm in alle Richtungen spritzte. Nicht dass das noch einen Unterschied machte – sie alle waren nach dem Vulkanausbruch auf Cofahre ziemlich dreckig. „Gib mir Rückendeckung, ja?“, rief er Ardelle zu und ging dann den Dorfbewohnern entgegen, nichts weiter als die Postkarte bei sich.

Cas bewegte sich im Cockpit und stieß ein Grunzen aus.

„Gibt’s ein Problem?“ Tolemek überlegte, ob er aussteigen oder in dem Flieger bleiben sollte. Als „Todbringer“ war er bei den meisten Völkern sogar noch unbeliebter als Zirkander. Aber die Piratenflotte, zu der er gehört hatte, war nie über diese abgelegene Insel hergefallen, und er bezweifelte, dass die Einheimischen je von ihm gehört hatten.

„Normalerweise bittet er mich, ihm Deckung zu geben“, brummte Cas. Sie stützte den Lauf ihres Gewehrs auf die Windschutzscheibe und hatte eindeutig die Absicht, ihn zu beschützen, ob Zirkander nun gefragt hatte oder nicht.

„Er will wahrscheinlich nicht, dass die Eingeborenen von Kugeln durchlöchert werden“, sagte Tolemek und versuchte, sich nicht davon stören zu lassen, dass Cas für einen anderen Mann Beschützerinstinkte hegte. Zirkander war schon viel länger ihr Kommandant, als Tolemek in ihrem Leben war. Ihre Sorge um Zirkander war nachvollziehbar. Aber das beruhigte ihn nur teilweise.

„Ich würde nicht einfach so Eingeborene durchlöchern“, sagte Cas. „Ich würde sie vielleicht anschießen, aber nicht durchlöchern.“

Als sich Zirkander näherte, wurden die Dorfbewohner langsamer und blieben stehen. Dann gingen drei von ihnen auf ihn zu, um mit ihm zu sprechen. Die anderen hielten ihre Speere an den Schultern, bereit zum Abschuss. Nicht alle dieser Holz- und Steinwaffen waren auf Zirkander gerichtet – auch Cas und Duck waren im Visier. Vielleicht waren es aber auch die Flieger, die die Eingeborenen nervös machten. Die Iskandier hatten ihre Flugzeuge den alten Drachen nachempfunden, mit bronzenen Rümpfen, ausgebreiteten Flügeln und Propellern an den Nasen von Reptilienschnauzen, die mit geblähten Nasenlöchern und Reihen von Reißzähnen bemalt waren.

Tolemek konnte sich nicht vorstellen, dass Zirkander die Sprache der Eingeborenen beherrschte, aber das hielt ihn nicht davon ab, ausgiebig zu reden, während er auf den Vulkan in der Mitte der Insel, den Dschungel im Landesinneren und das Meer hinter den Feldern und dem Dorf deutete. Zum Schluss hielt er den Dorfbewohnern die Postkarte hin.

„Ist das ein Bild seines Vaters?“, fragte Tolemek.

„Ja“, sagte Cas.

„Bist du dir sicher, weil du es schon mal gesehen hast, oder sind deine Augen besser als meine?“

Als Antwort lächelte sie ihn nur über die Schulter an. Ihr schelmisches, sommersprossiges Gesicht war schmutzig von Asche und Motoröl, das beim Fliegen zurückflog und die Piloten bespritzte. Aber das tat ihrer Schönheit keinen Abbruch. Ihr Lächeln war selten, und es erwärmte immer sein Herz – und andere Körperregionen.

Zirkander drehte den Eingeborenen den Rücken zu, was entweder mutig oder dumm war angesichts der Speere, die immer noch auf ihn gerichtet waren, und schlenderte zurück zu den Fliegern. „Ich habe kein Wort von dem verstanden, was der Kerl gesagt hat“, verkündete er, „aber entweder sind wir zum Abendessen eingeladen oder wir werden das Abendessen sein.“

„Haben sie deinen Vater erkannt?“, fragte Tolemek. Das Abendessen und die Eingeborenen waren ihm egal. Der einzige Grund, warum sie hier gelandet waren, war Zirkanders Vater: Vielleicht konnte er die Blumen identifizieren, die Tolemeks Schwester Tylie an ihre Tür gemalt hatte, bevor die Cofah sie aus der Anstalt verschleppt hatten ... Das Gemälde und die in Rot geschriebene Botschaft hatten sich in Tolemeks Gedächtnis eingebrannt: Helft mir. Sie bringen mich hierher. Leider waren die tropische Umgebung und die Pflanzen im Gemälde die einzigen Anhaltspunkte, wo dieserOrtwar. Wenn Zirkanders Vater ihnen nicht sagen konnte, wo die Blumen in dem Gemälde wuchsen, wäre ihre Reise reine Zeitverschwendung gewesen. Und Tolemek wusste nicht, wie viel Zeit ihm blieb, um Tylie zu retten.

„Ja“, sagte Zirkander fröhlich, als er seinen Flieger erreichte. Er hob eine Hand, um Ardelle herunterzuhelfen. Sie berührte ihn kurz, hüpfte aber ohne Hilfe in den Schlamm.

„Scheinen sie darüber glücklich zu sein?“, fragte Cas, ihr Gewehr immer noch im Anschlag. Einige der Dorfbewohner waren auf dem Rückweg über das Feld, aber ein paar warteten noch. Um die Neuankömmlinge zu führen oder um sie zu bewachen, war schwer zu sagen.

„Nun, sie haben sich lange Blicke zugeworfen“, sagte Zirkander.

„Solange sie verstehen, was unsere Gewehre können“, murmelte Cas.

Tolemek kletterte hinunter, blickte in Richtung des Dschungels jenseits der gerodeten Felder und zog eine Papierrolle aus seiner Westentasche. Obwohl er sich das Wandgemälde seiner Schwester eingeprägt hatte, hatte er sich auch die Zeit genommen, während des Fluges eine Reproduktion zu zeichnen, die er den Leuten, denen sie begegneten, zeigen konnte. Tolemek bezweifelte, dass er das Glück hatte, bei der ersten Landung am richtigen Ort angekommen zu sein, aber er beäugte trotzdem die Vegetation ringsum in der Hoffnung, die Blumen auf dem Gemälde zu entdecken. Die von Reben umrankten Bäume, die tropischen Pflanzen und das dichte grüne Blätterdach waren passend, aber er sah keine der lila, blauen oder roten Blumen aus dem Bild.

„Soll ich bei den Fliegern warten, Sir?“, fragte Duck. „Die verschlagenen Typen dort sehen aus, als hätten sie Flausen im Kopf.“

Die Eingeborenen, die auf sie warteten, schienen sich tatsächlich für die Flieger zu interessieren, und zwar nicht auf eine heiter überraschte Weise. Einer zeigte immer wieder auf die Räder, und ein anderer starrte stirnrunzelnd auf die Schnauze von Zirkanders Flieger, während er seinen Speer schüttelte.

„Bist du sicher, dass du nicht nur einem Abendessen voller herausfordernder kultureller Unterschiede entgehen willst, Duck?“, fragte Zirkander.

„Natürlich nicht, Sir. Aber ich könnte Wache halten und mich ein bisschen im Dschungel herumtreiben, um unsere Vorräte aufzufüllen. An den Bäumen da hinten hängen eine Menge Früchte. Vielleicht sind die lecker?“ Der Leutnant war in einer sehr ländlichen Gegend von Iskandia aufgewachsen. Obwohl sich Tolemeks Sprachkenntnisse seit der Begegnung mit Cas und der Zeit, die er mit Zirkanders Team verbracht hatte, enorm verbessert hatten, bereitete es ihm manchmal noch Schwierigkeiten, Ducks Dialekt zu verstehen.

„Lass uns warten, bis wir mit meinem Vater gesprochen haben“, sagte Zirkander. „Er kann uns sagen, was die Eingeborenen von Fremden halten, die in ihrem Dschungel auf Nahrungssuche gehen. Außerdem glaube ich nicht, dass uns beim Abendessen Gefahr droht. Sie scheinen sich jedenfalls nicht in mich verliebt zu haben, obwohl ich ihnen mein charmantestes Lächeln geschenkt habe.“

„Weil es keine Frauen waren“, sagte Ardelle trocken und gab ihm einen spielerischen Klaps.

Tolemek hoffte, dass er und Cas ein Level von Vertrautheit erreicht hatten, bei dem sie ihn in der Öffentlichkeit so schlagen würde. Er bezweifelte allerdings, ob sie das je tun würde, selbst wenn sie verheiratet wären. Ardelle war schon nicht besonders flirtfreudig, aber Cas war so zurückhaltend, dass sie im Vergleich fast jede Frau lüstern erscheinen ließ.

„Mir wurde gesagt, dass Männer mich auch charmant finden. Stimmt das nicht, Tolemek?“ Zirkander wackelte mit den Augenbrauen.

„Nein.“

„Verdammt. Man hat mich belogen.“ Zirkander trat auf Ardelle zu, nahm ihre Hand und winkte mit der anderen den Flugzeugen zu, während er sie leise etwas fragte.

Sie nickte. „Das werde ich. Wir wollen doch nicht, dass jemand unsere besondere Fracht stiehlt.“

Die Fläschchen mit dem Drachenblut. Das meiste davon war mit Apex und Kaika auf dem Rückweg nach Iskandia, aber Tolemek war froh, dass sie noch etwas davon bei sich hatten. Womöglich würde es ihm helfen, seine Schwester zu finden. Und er hoffte, dass er etwas davon behalten konnte, um es in seinem Labor zu untersuchen, wenn das alles vorbei war.

Zirkander streckte eine Hand in Richtung der Dorfbewohner aus. „Ich glaube, unsere Eskorte wartet auf uns.“

Duck schaute in Richtung Dschungel, als ob er sich danach sehnte, auf Erkundungstour zu gehen, aber er folgte seinem Kommandanten. Ardelle blieb kurz bei den Fliegern zurück, wahrscheinlich um einen magischen Schutz zu errichten, dann schloss sie zu ihnen auf. Tolemek und Cas bildeten das Schlusslicht, sie mit ihrem Gewehr im Arm und er mit ein paar handgefertigten Waffen und Fläschchen mit nützlichen Mixturen, die er in den verschiedenen Innentaschen seiner Weste aufbewahrte. Seine Werkzeuge und den Mikroskopkoffer hatte er im Flieger gelassen, aber seine Weste klapperte trotzdem leise, als sie durch den Schlamm gingen. Cas zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Sie war zu sehr damit beschäftigt, die Eingeborenen im Blick zu behalten, die sie murmelnd umringten und mit ihren Speeren auf das Dorf zeigten. Zwei Männer blieben bei den Flugzeugen zurück. Vielleicht dachten sie, die drachenähnlichen Maschinen könnten sich von selbst bewegen und Ärger machen.

„Der Gedanke, dass Sie einen Vater haben, ist seltsamer als eine Wölfin mit zusätzlichen Zitzen, Sir“, sagte Duck zu Zirkander, während sie über das schlammige Feld stapften.

„Ja, das höre ich öfter.“ Zirkander schenkte seinem Leutnant ein Lächeln.

„Ich meine, wahrscheinlich, weil Sie der Chef sind. Zumindest, seit ich dem Wolfsgeschwader beigetreten bin. Sie sind ein Held der Lüfte, also ist es schwer, sich vorzustellen, dass Sie ... Hat er Sie je übers Knie gelegt und Ihnen den Hintern versohlt, als Sie ein kleines Kind waren?“

Cas schnaubte – zumindest vermutete Tolemek, dass das Geräusch aus ihrer Kehle ein Schnauben war.

Zirkander hustete. „Ich ... glaube nicht, dass das eine angemessene Frage ist, die du deinem kommandierenden Offizier stellen solltest.“

„Darf ich sie stellen?“, fragte Ardelle.

„Nicht in der Öffentlichkeit, nein.“

„Später?“

„Vielleicht. Um deine Frage zu beantworten, Duck, mein Vater war nicht oft da, als ich aufwuchs – und auch danach nicht. Meine Mutter war für die Disziplinarmaßnahmen zuständig.“

„Oh.“ Duck strich sich mit den Fingern durch sein kurzes dunkles Haar. „Hat sie Sie übers Knie gelegt?“

Zirkander warf ihm einen strengen Blick zu. Tolemek hatte ihn noch nicht oft wirklich verärgert gesehen. Nur einmal, in der Nacht, als Zirkander Tolemek für eine Bedrohung für Ardelle – und die iskandische Hauptstadt – gehalten hatte.

Zirkander antwortete nicht, doch Ardelle grinste. Dieses Bild musste ihr gefallen.

Oh, es gefällt uns doch allen, sprach eine Stimme in Tolemeks Kopf. Jaxi. Er hatte seit der Schlacht am Vulkan nichts mehr von der sprechenden Seelenklinge gehört und schon gedacht, sie würde nicht mehr mit ihm reden.

Ich habe ein Nickerchen gemacht. Ich musste hart arbeiten, um dich am Leben zu erhalten.

Ja, wie ich höre, hast du dich ganz schön ins Zeug gelegt. Tolemek warf einen Blick auf Ardelles Hüfte, wo die Seelenklinge in einer unscheinbaren Scheide hing. Er war noch nie ein Freund von Schmeicheleien gewesen, aber es schien klug zu sein, sich auf die Seite eines mächtigen magischen Artefakts zu schlagen.

Das ist es. Und ich springe nur in deinen Kopf, um dich zu warnen, dass du aufpassen sollst. Sie haben einen Schamanen im Dorf, und diese Leute mögen die Flugzeuge nicht. Sie haben schon Iskandier und Cofah gesehen und sogar ein oder zwei Luftschiffe, aber hier werden Drachengötter angebetet, und sie halten die Flugzeuge für Blasphemie. Ardelle und ich halten nach magischen Problemen Ausschau, aber du solltest das Scharfschützenmädchen bitten, nach weltlichen Problemen Ausschau zu halten.

Kannst du sie nicht selbst fragen? SoweitTolemek wusste, hatte Jaxi nie mit Cas „gesprochen“, aber er war sich nicht sicher.

Ardelle sagt, ich soll nicht ohne Vorwarnung in den Köpfen der Leute auftauchen.

Mich hast du nicht vorgewarnt.

Wir haben dich damals als Feind betrachtet. Zu seinen Feinden muss man nicht so höflich sein. Außerdem ist es einfacher, mit Menschen mit Drachenblut zu reden.

Tolemek antwortete nicht darauf. Es war eine Überraschung – und ein Schlag für sein Ego – zu erfahren, dass einige seiner Erfindungen nicht nur aufgrund seines wissenschaftlichen Talents funktionierten, sondern weil er sie unwissentlich mit seinem latenten magischen Talent zum Laufen gebracht hatte. Im Nachhinein ergab das Sinn, denn er wusste, dass seine Schwester magisch begabt war. In ihrem Fall hatte er es nie als Fluch gesehen. Obwohl es sie geistig aus dem Gleichgewicht gebracht hatte und ihr Vater sie deswegen „zu ihrem eigenen Besten“ in die Anstalt gesteckt hatte.

Wir haben dir bereits gesagt, dass Drachenblut niemanden verrückt macht. Im Fall deiner Schwester war etwas anderes im Spiel.

Ich weiß. Wir sind fast da. Lass mich mit Cas reden.

Sie hatten das Ende des Feldes erreicht und liefen einen Pfad hinauf, der sich zwischen den Lehm- und Strohhütten hindurchschlängelte. Ein paar Doppelrumpfkanus waren an einem Steg festgemacht, der sich in die Lagune hinter dem Dorf erstreckte, aber es war klar, dass diese Leute nicht oft von ihrer Insel wegkamen. Alle Bewohnerinnen und Bewohner trugen einfache Grasröcke, und die meisten Frauen liefen mit nacktem Oberkörper herum wie die Männer. Sie flüsterten aus den Türöffnungen der Hütten und zeigten auf die Fremden.

Tolemek war erleichtert, dass die meisten Finger auf Zirkander und nicht auf ihn gingen. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass Zirkander ihre Truppe anführte, oder daran, dass die Leute seinen Vater kannten und eine Ähnlichkeit sahen. So oder so, es war gut, dass Tolemeks Gesicht hier nicht bekannt war. Es gab zahlreiche Häfen, in denen der Totenmacher tot oder lebendig gesucht wurde. Aber meistens tot.

„Ardelle meint, wir könnten Probleme bekommen“, murmelte Tolemek zu Cas, als ihre Führer anhielten. „Anscheinend gibt es einen Schamanen.“

„Spricht das Schwert wieder mit dir?“, murmelte Cas zurück.

„Ich glaube, sie mag mich.“

Bilde dir bloß nichts ein. Ich spreche auch mit Ardelles Seelenschnüffler.

Tolemek blinzelte. Ihrem was?

Der Schönling, den die Mädchen in den Grasröcken anstarren.

Ein Trio von Teenagermädchen, die sich hinter zum Trocknen aufgehängter Kleidung versteckten, schaute tatsächlichin Zirkanders Richtung und kicherte. Tolemek beschloss, dass das mehr mit der albernen Ledermütze zu tun hatte als mit überragender Attraktivität.

Was auch immer du denken musst, um dich männlich zu fühlen, Todbringer.

Findet Zirkander deine Zwischenrufe auch so unterhaltsam wie ich?

Und zwar doppelt, das versichere ich dir. Ich bin sein Lieblingsseelenschwert.

Cas stupste Tolemek in die Rippen und neigte ihr Kinn in Richtung einer der größeren Hütten. Ein grauhaariger Mann mit zahlreichen Halsketten und Knochennadeln, die seine Brustwarzen durchbohrten, trat heraus – völlig nackt, abgesehen von seinem Schmuck. In der Hand hielt er einen geschnitzten Knochenknüppel, der Tolemek die Haare auf den Armen zu Berge stehen ließ. Ein weiterer, älterer Mann folgte ihm, der eine Glatze hatte und ein Gewehr trug, das fast so schön war wie das von Cas.

„Ich hoffe, das war nicht etwas, das sie dem Vater des Obersts weggenommen haben, nachdem sie ihn gegessen haben“, murmelte Cas, während ihr Finger leicht auf dem Abzug ihrer Waffe ruhte.

Der Gedanke, in dieser wachsenden Menschenmenge ein Feuergefecht zu beginnen, gefiel Tolemek überhaupt nicht. Er war gekommen, um Informationen zu bekommen, nicht um Menschen zu töten – und er wollte auch nicht getötet werden.

„Mein Vater trägt keine Schusswaffen“, sagte Zirkander. „Er ist ein friedliebender wissenschaftlicher Entdecker.“

„Und wenn die Eingeborenen nicht friedlich sind?“, fragte Duck.

Der nackte Mann – war er der Schamane? – stürmte auf Zirkander zu, den Knüppel in der einen Hand und sein beeindruckendes Geschlecht in der anderen. Niemand schien das seltsam zu finden.

„Sie wollen dich einschüchtern“, sagte Ardelle. „Ich glaube, sie gehören zu der Magnolus-Sekte.“

„Offensichtlich.“ Zirkander räusperte sich und bemühte sich sichtlich, dem Mann in die Augen zu schauen.

Tolemek hatte noch nie von dieser Sekte gehört, aber er war plötzlich froh, dass Zirkander der Schönling war.

Der Schamane blieb vor Zirkander stehen, zeigte auf sein Gesicht und brabbelte in einem gereizten Ton. Er zeigte auf einen Felsvorsprung am Strand, plapperte noch mehr, zeigte in die Richtung der Flieger und plapperte immer noch.

Zirkander lächelte und hielt ihm seine Postkarte hin. Der Schamane schlug seine Hand weg.

„Ardelle“, sagte Zirkander, „hast du eine Idee, was ich hier am besten tun sollte?“

„Ja, aber ich glaube nicht, dass du es tun wirst.“

„Muss ich dafür meine Hose ausziehen?“

„Und größer sein als er, ja.“

„Ähm, ich bin nicht so begeistert von der ganzen Situation wie er.“

Ardelle zog ihr Schwert und trat vor. Jaxis Scheide war vielleicht nicht so extravagant, aber die Seelenklinge selbst war eine andere Sache. Sie flammte sofort auf und leuchtete selbst im Dschungellicht blendend hell. Die Leute wichen zurück und hoben ihre Arme, um ihre Augen zu schützen. Die Hand des Schamanen umklammerte seinen Knüppel, aber Ardelle zuckte mit einem Finger, und die Waffe flog aus seinem Griff. Er knurrte und stürzte sich auf sie.

Zirkander zückte eine Pistole, als Cas bereits nach vorne getreten und ihr Gewehr auf die Brust des Schamanen gerichtet hatte.

„Nicht“, rief Ardelle und alle blieben stehen, bis auf den Schamanen, der nach hinten flog und mit dem nackten Hintern im Sand landete. Sie richtete ihr Schwert auf den glatzköpfigen Mann neben ihm und starrte ihm in die kalten Augen. Ihr Gesicht war wie aus Granit gemeißelt.

Tolemek bewegte sich unbehaglich. Er hatte nur selten gesehen, wie Ardelle ihre Macht zur Schau stellte, denn in Iskandia und auch in Cofahre konnte sie dafür als Hexe getötet werden. Sich zu vergegenwärtigen, wozu sie alles in der Lage war, beunruhigte ihn immer. Es gab einen Grund, warum die Menschen in früheren Jahrhunderten Angst vor Magiern gehabt und schließlich die Welt von den meisten von ihnen befreit hatten.

Der kahle Mann sank auf die Knie und drückte seine Stirn in den Sand. Die anderen Dorfbewohner taten das Gleiche. Der Schamane folgte ihrem Beispiel nur sehr langsam, und er grinste, als er den Kopf senkte.

Ardelles Augen weiteten sich und ihr Gesichtsausdruck wurde ärgerlich. „Das ist nicht das, was ich ... Ich habe nur versucht, den Schwanzwettbewerb zu gewinnen.“

„Gut, dass jemand dazu in der Lage war“, sagte Zirkander. „Besteht die Möglichkeit, dass du herausfindest, wo mein Vater ist?“

Sie nickte. „Drüben auf der Landzunge. Sie sind nicht glücklich darüber, dass er schon so lange hier ist. Der Häuptling hofft, dass wir bald aufbrechen und ihn mitnehmen.“

„Was denkt der Schamane?“

„Dass er mir ein Messer in die Brust stecken will – und dir auch.“

„Wieso in meine?“, protestierte Zirkander.

„Seine Frau hat dich bewundernd angeschaut.“

„Wunderbar. In Ordnung, Leute. Lasst uns zum Strand gehen, bevor sie es leid werden, den Sand zu küssen.“

Niemand erhob sich, um sie aufzuhalten, als sie zur Lagune gingen.

„Ardelle?“, fragte Tolemek. „Kommunizierst du geistig mit ihnen?“

„Jaxi tut es, ja. Wobei sie ihre Sprache nicht spricht. Das macht es schwieriger.“

Er rollte seine Skizze aus. „Kannst du oder kann Jaxi herausfinden, ob sie eine dieser Blumen kennen?“

„Ich werde es versuchen.“ Ardelle schloss halb die Augen und wandte sich im Gehen zum Schamanen um, der sich aufgerichtet hatte und ihnen finster hinterherblickte. Sie drehte sich wieder nach vorne und schüttelte den Kopf. „Weder der Schamane noch der Häuptling hat Erinnerungen an solche Blumen.“

Kapitel 2

Sie wurden verfolgt.

Cas sah zwar niemanden, als sie den Strand entlang zurückblickte, aber der Dschungel schmiegte sich an die sandige Küste und war dunkel genug, um sich darin unbemerkt zu bewegen. Affen kreischten in den Baumwipfeln und ließen die Äste wackeln. Bunte Vögel krächzten und flogen davon, als ihre Truppe vorbeikam. Niemand hier schien sich über ihre Anwesenheit zu freuen, und Cas hoffte, das sie Zirkanders Vater finden und schnell wieder aufbrechen konnten.

Sie spürte die angespannte Ungeduld, die von Tolemek ausging. Sie musste sich beeilen, um mit seinen langen Beinen Schritt zu halten. Zirkander, Ardelle und Duck liefen ebenfalls zügig, bis sie einen Felsvorsprung erreichten, der das Ende des Strandes markierte. Um weiterzukommen, blieb ihnen keine andere Wahl, als die Felsen zu erklimmen.

„Da oben sind Menschen“, sagte Ardelle. „In einer Höhle. Einer großen Höhle.“

„Willst du uns den Weg zeigen?“, fragte Zirkander. „Du hast doch das größte Schwert hier.“ Sein Humor war aufrichtig und er klang nicht verbittert oder verärgert darüber, dass Ardelle diejenige gewesen war, die den Schamanen bezwungen hatte.

Ardelle schnitt eine Grimasse, wahrscheinlich eher wegen der Erinnerung als wegen seiner Bemerkung. „Nein, du kannst uns anführen. Du weißt ja, wie gut ich klettern kann.“

Als Zirkander gerade die Felsen erklimmen wollte, legte Ardelle ihm eine Hand auf den Arm. „Noch eine Sache. Dieser Schamane ... Er ist es nicht gewohnt, gegen andere Magier zu kämpfen, aber er hat Macht.“

„Er ist also eine Bedrohung, auch wenn dein Schwert größer ist“, sagte Zirkander.

„Ich habe gespürt, dass er bereits etwas Unangenehmes für uns geplant hat, als wir gegangen sind.“

„Das habe ich auch gespürt.“ Cas überlegte, ob sie ihre Vermutung erwähnen sollte, dass jemand sie verfolgte, aber wahrscheinlich hatten die anderen die Vermutung längst selbst. „Wir sollten uns vielleicht beeilen.“

Ardelle nickte und suchte sich ihren Weg den steilen Hang hinauf. Zirkander kletterte neben ihr und half ihr hier und da. Ardelle trug keine ihrer üblichen Kleider, sondern praktische Lederkleidung und schien durchaus in der Lage zu sein, allein zu klettern, aber sie ließ sich ab und zu von ihm helfen. Cas fragte sich, ob sie Tolemek öfter solche Dinge für sie tun lassen sollte. Wahrscheinlich war es für einen Mann wichtig, sich männlich und nützlich zu fühlen, und sie neigte dazu, schroff zu sein und Hilfe abzulehnen. Tolemek hatte sich jedoch noch nicht beschwert, und nutzlos musste er sich neben ihr wahrlich nicht fühlen. Es war ja nicht so, als könnte Cas Dorfbewohner mit ihren Gedanken herumschleudern. Sie konnte sie notfalls durchlöchern, aber das war nicht immer der taktisch klügste Weg.

Cas stellte sich mit dem Rücken zu den Felsen und behielt den Strand und den Dschungel im Auge, bis Zirkander, Ardelle und Duck den Gipfel erreicht hatten. Tolemek hielt auf halber Höhe inne und wartete auf sie.

Cas kletterte los, wie immer benachteiligt durch ihre Größe – oder besser gesagt Kleinheit. Sie musste sich gefährlich strecken, um manche Griffe zu erreichen. Sie warf Tolemek einen Blick zu und fragte sich, ob er ihr vielleicht irgendwann helfen würde, aber er nickte ihr nur aufmunternd zu. Sie beschloss, dass sie das zu schätzen wusste – sie brauchte keine Hilfe, und das wusste er. Aber er wartete diskret auf sie, wann immer sie länger brauchte.

Sobald sie den Gipfel erreicht hatte, schaute sie wieder zurück, ob jemand aus dem Dschungel kam. Sie hatte nicht das Drachenblut, das in Ardelle und Tolemek floss, aber ihre Nackenhaare stellten sich auf.

Ein orangefarbener Blitz fiel ihr auf. Es kam nicht aus dem Dorf, sondern von draußen auf den Feldern. Sie beugte sich vor und runzelte die Stirn.

„Jemand hat eine Fackel auf eines der Flugzeuge geworfen“, verkündete sie.

Zirkander blieb stehen und ruckte mit dem Kopf herum. „Was?“

„Eins der Flugzeuge brennt.“

„Wessen Flugzeug?“, fragte Duck.

„Ähm, das des Colonels“, sagte Cas.

„Wunderbar.“ Zirkander sah Ardelle an. „Das liegt doch nicht daran, dass ich meine Hose nicht ausziehen wollte, oder?“

Ardelle hatte diesen distanzierten Gesichtsausdruck, den sie bekam, wenn sie ihre Magie einsetzte. „Das glaube ich nicht. Es sind die beiden Wachen, die zurückgeblieben sind. Sie zündeln an den Fliegern. Aber ich habe einen Schutzzauber um sie gelegt, das Feuer richtet also keinen Schaden an. Jaxi wird die Sache auch im Auge behalten.“

Zirkander setzte sich in Bewegung. „Manche Männer treffen sich mit ihren Vätern auf ein Bier in der Kneipe, wenn sie Zeit miteinander verbringen wollen. Ich muss um die halbe Welt fliegen und mich mit speerschwingenden Eingeborenen herumschlagen, die meinen Flieger ankokeln.“ Cas hätte fast überhört, wie er leise murmelte: „Ich wusste, ich hätte meinen Drachen mitnehmen sollen.“

„Seinen was?“, murmelte Tolemek Cas zu.

„Er hat einen kleinen Glücksbringer in Drachenform, den er in sein Cockpit hängt.“

„Ich ... verstehe.“

„Viele Piloten haben einen Glücksbringer“, sagte Cas, um Zirkander in Schutz zu nehmen. Ab und zu machte sich jemand über seinen Aberglaube lustig. Meistens jemand, der keine Ahnung hatte, wie gefährlich sein Job war.

„Hast du einen Glücksbringer?“

„Du siehst ihn vor dir.“ Cas tätschelte ihr Gewehr.

Tolemek schnaubte leise. „Und das bringt Glück, ja?“

„Mir bringt es Glück, anderen Pech.“

Während sie liefen, blickte Cas immer wieder zurück. Vielleicht hätte sie nicht so wachsam sein müssen, da Ardelle und ihr Schwert scheinbar alles um sie herum wahrnahmen, aber ihr unwohles Gefühl ließ ihr keine Ruhe. Das hier war so anders als ihre üblichen Missionen. Sie fühlte sich überflüssig. Bisher hatte sie wenig beigetragen, abgesehen davon, dass sie auf ein paar Cofah-Wissenschaftler in der Vulkanbasis geschossen hatte. Wenn sie nicht gerade flogen, wusste sie nicht, was sie mit sich anfangen sollte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie und Duck hier sein sollten. Oder ob Zirkander überhaupt hier sein sollte. Der andere Colonel, den er vor ihrer Abreise irgendwo an der iskandischen Küste abgesetzt hatte, war für diese Mission verantwortlich gewesen, und eigentlich waren sie gar nicht mehr auf dieser Mission. Zirkander hatte sich selbst mit derAufgabe betraut, die Quelle der Drachenblutampullen zu finden und dafür zu sorgen, dass die Cofah sie nicht mehr in die Hände bekamen. Auch wenn der König von Iskandia das vermutlich gutheißen würde, traf Zirkander Entscheidungen, ohne sie mit seinen Vorgesetzten abzusprechen, und das war beim Militär nie gut. Cas hoffte, dass alles klappte und er nicht noch einmal in Schwierigkeiten geriet.

„Beeindruckend“, sagte Tolemek und deutete nach vorn.

Cas war so sehr mit ihren Sorgen beschäftigt gewesen, dass sie die Reliefs in der Felswand, die sich vor ihnen erhob, erst jetzt bemerkte. Zwei riesige Drachenköpfe rahmten eine rechteckige Öffnung ein. Die Seeluft hatte den Stein angefressen, aber die monolithischen Statuen, die auf den dunkelblauen, stürmischen Ozean hinausblickten, waren immer noch erkennbar und imposant. Die Höhlenöffnung war nicht groß genug, um einen Flieger hindurchzuschieben. Aber ein echter Drache hätte wahrscheinlich seine Flügel falten und hineinschlüpfen können. Nicht, dass Cas je einen echten Drachen gesehen hätte. Wie der Rest der zivilisierten Welt hatte sie Drachen für ausgestorben gehalten, bis dieses Blut aufgetaucht war.

„Vielleicht finden wir hier ein paar Drachen“, sagte Duck und streichelte eine der Statuen.

Ardelle schüttelte den Kopf. „Es ist möglich, dass hier vor tausend Jahren ein Außenposten der Drachenreiter war, aber jetzt gibt es hier keine Drachen. Ich würde es spüren.“

„Ich nehme dich beim Wort“, sagte Duck und warf ihr einen misstrauischen Blick zu. Er hatte sich offenbar noch nicht ganz an den Gedanken gewöhnt, dass eine Hexe – eine Magierin – in ihrer Truppe war. Auch Cas war sich nicht ganz sicher, ob ihr das gefiel.

Zirkander steckte seinen Kopf in die Höhle.

Cas hätte angeboten, vorauszugehen, aber ihr Gefühl sagte ihr immer noch, dass die Gefahr hinter ihnen und nicht vor ihnen lag. Zirkander trat ein paar Schritte in die Höhle.

„Äh, hallo, meine Damen“, sagte er in einem seltsamen Ton. „Ich nehme an, keine von euch hat diesen Mann gesehen?“

Cas reckte den Kopf. Da Ardelle, Tolemek und Duck vor ihr standen, konnte sie nicht viel sehen. Sie überlegte gerade, ob sie sich hinhocken und zwischen Tolemeks Beinen hindurchschauen sollte, als eine ferne Stimme aus den Tiefen der Höhle drang.

„Hallo?“, hallte der langgezogene Ruf von den Wänden wider. „Höre ich da einen Iskandier?“

„Dad?“, rief Zirkander.

Auf seine Frage folgte eine lange Pause, in der nur das Tosen der Brandung fünfzig Fuß unter ihnen zu hören war.

„Gratwanderer?“, kam die gedämpfte Stimme aus der Ferne.

Tolemek warf Cas einen Blick zu. „Seine Eltern nennen ihn tatsächlich so?“

„Ich glaube, sein Vater hat sich den Spitznamen ausgedacht“, sagte Cas. „Er wollte, dass er ein Bergsteiger wird.“

Tolemek machte Platz, damit sie in die Höhle spähen konnte. Sie trat vor und bewunderte den hohen, dunklen Saal. Und die sechs hübschen jungen Frauen in Grasröcken, die auf einem Vorsprung standen. Wie der Rest der Dorfbewohner schienen sie Hemden nicht für nötig zu befinden. Sie schauten Ardelle, Tolemek und Duck neugierig an und flüsterten miteinander. Zwei von ihnen hielten Steinmesser. Cas sah keine anderen Waffen, und sie war zuversichtlich, dass sie mit den Frauen fertig werden würde, falls sie angreifen sollten. Sie befanden sich etwa fünfzehn Meter vom Höhleneingang entfernt. Eine Seilbrücke führte über einen Abgrund zu ihnen, und schmale Steintreppen, die in die Wände gemeißelt waren, verschwanden in der Dunkelheit über und unter ihnen. Ein Seil, das an einer Drachenstatue befestigt war, die aus einem Stalagmiten gemeißelt worden war, baumelte in den Abgrund.

„Ich bin’s, Dad.“ Zirkander folgte dem Seil und spähte hinunter. „Wir könnten Hilfe gebrauchen, wenn du nicht zu sehr mit dem beschäftigt bist, was auch immer du da unten tust. Bist du kopfüber?“

„Ich untersuche die Gravuren an der Unterseite dieses Felsvorsprungs, ja.“ Ein Kratzen und ein paar Grunzer drangen nach oben. Zirkanders Vater hörte sich an, als wäre er mindestens zwanzig Meter unter ihnen.

„Weiß Mom von diesem Harem von Frauen, die dir helfen?“

„Es ist weniger ein Harem als vielmehr eine Todesschwadron. Die fiesen Damen mit den Messern haben den Befehl, mein Seil zu durchtrennen, wenn ich den heiligen Tempel entweihe.“ Weitere Geräusche ertönten, zusammen mit dem Klirren von Metall gegen Stein. Einen Moment später zog sich ein drahtiger Mann mit zotteligem weißem Haar und einem struppigen Bart über die Kante. Er war mit einem Gurt, der um seine Taille und zwischen seinen Beinen hindurchführte, am Seil befestigt. Er löste sich vom Seil und trat vom Abgrund weg. Die Ärmel seines Hemdes waren hochgekrempelt und gaben den Blick auf sehnige Arme frei. Er trug eine abgeschnittene Hose, die bis zu den Knien reichte, und leichte, eng anliegende Schuhe zum Klettern. Trotz seiner siebzig Jahre wirkte er fit und beweglich.

„Grat, du bist es. Ich kann es nicht glauben.“

„Schön, dass du noch lebst, Dad.“

Sie gingen aufeinander zu und öffneten die Arme, um sich zu umarmen, aber dann schnippte Zirkanders Vater mit den Fingern und zog ein ledergebundenes Notizbuch aus einer ausgebeulten Tasche. „Einen Moment. Ich will nicht vergessen ...“ Er tupfte sich ab, zog eine Brille und einen Stift aus einer Hemdtasche und begann etwas auf eine Seite zu skizzieren, die bereits sehr vollgekritzelt wirkte.

Zirkander ließ die Arme sinken und verzog die Lippen, als er Ardelle ansah. „So war meine Kindheit.“

„Du hattest eine fabelhafte Kindheit“, sagte Zirkanders Vater, ohne aufzusehen. „Welcher Junge hat schon die Freiheiten, die du hattest? Zu lernen, was du wolltest? Zu spielen, wie du wolltest? Umherzustreifen, wo immer du wolltest? Ich hätte eine solche Kindheit geliebt.“

Cas hätte sich über mehr Freiheit in ihrer Kindheit gefreut, aber dem anhaltenden Grinsen auf Zirkanders Gesicht nach zu urteilen, war es nicht so idyllisch gewesen, wie sein Vater behauptete.

„Du hättest es geliebt, einen Vater zu haben, der nie da war?“ Zirkander klang nicht gerade verbittert, aber sein Ton wartrockener als sonst.

„Besser als jemand, der dir ständig über die Schulter schaut, jede deiner Bewegungen beurteilt und darauf besteht, dass du zu jemandem wirst, der du nicht sein willst.“

„Das ist wahr“, murmelte Tolemek.

Cas begegnete seinem Blick, ein schiefes Lächeln lag auf ihren Lippen. Sie hatten mit ihren Vätern ähnliche Schwierigkeiten gehabt.

„Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn du dich entschieden hättest, mich auf meinen Erkundungen zu begleiten, aber du hast ja darauf bestanden, in diese fliegenden Todesfallen zu steigen.“ Zirkanders Vater hielt das Notizbuch hoch. „Sieht das wie eine anksarische Nummer sieben aus? Ich glaube schon. Ich finde immer mehr Beweise, die darauf hindeuten, dass sie diese Inseln schon Jahrtausende vor den Iskandiern besiedelt haben, ja, bevor diese überhaupt wussten, dass es hier Inseln gibt. Weißt du, was das bedeutet?“

„Willst du den verlorenen Schatz von Anksari Prime finden, bevor du stirbst?“, fragte Zirkander.

„Sieben Götter, ich hoffe es.“

„Ich freue mich für dich, Dad. Willst du meine Truppe kennenlernen und erfahren, warum wir hier sind?“

„Hat Mom dich nicht geschickt?“

„Ich glaube, Mom weiß nicht einmal, dass ich außer Landes bin.“

„Oh. Hm.“ Zirkanders Vater kratzte sich mit seinem Kugelschreiber am Kinn und merkte offenbar nicht, dass er die Feder benutzte, denn er hinterließ einen schwarzen Streifen auf seiner Wange. Er schob seine Brille in die Haare – die verfilzten Haare hatten keine Probleme, das Gestell zu halten – und betrachtete Cas und die anderen.

Zirkander wies auf die Truppe. „Das ist Leutnant Duck, der großohrige Kerl, der die Frauen anglotzt.“

Duck errötete und wandte seinen umherschweifenden Blick ab.

„Das ist Leutnant Cas Ahn, die beste Schützin des Wolfsgeschwaders. Tolemek, ein Cofah-Wissenschaftler, der auf unsere Seite gewechselt ist.“

Tolemek beobachtete Zirkanders Vater wachsam, aber der Ausdruck des Mannes änderte sich nicht, als sein Sohn ihn vorstellte. Wenn er sein Leben an Orten wie diesem verbracht hatte, war ihm Tolemeks Ruf vielleicht nie zu Ohren gekommen; natürlich hatte Zirkander ihn auch nicht mit seinem berüchtigten Spitznamen Todbringer vorgestellt.

Zirkander wies auf Ardelle. „Und das ist ... ähm ...“

Ardelle zog die Augenbrauen hoch.

„Deine Seelenschnüfflerin?“, schlug Tolemek vor.

„Ardelle“, sagte Zirkander und verzichtete auf weitere Erklärungen darüber, was sie tat oder was sie ihm bedeutete. „Truppe, das ist mein Vater, Moe Zirkander.“

„Ihr könnt mich Felsjaguar nennen.“ Moe lächelte hoffnungsvoll. „Oder Fels. Oder Jaguar.“

„Aber das muss niemand“, fügte Zirkander hinzu. „Mein Vater hat sich immer darüber beklagt, dass ich einen gewöhnlichen Namen habe. Offenbar stört ihn auch sein eigener.“

„Die Frauen haben mich schon immer Felsjaguar genannt“, sagt Moe unbeirrt. „Wegen meiner rasanten Geschwindigkeit beim Klettern. Ich gebe zu, ich bin nicht mehr so rasant wie früher, aber ich kann immer noch schneller auf einen Gipfel klettern, als der Junge in seinem Fluggerät abhebt.“

„Mom nennt dich nicht so“, sagte Zirkander.

„Das hat sie, als wir jünger waren.“

„Sie hat mir erzählt, wie peinlich berührt ihre Eltern waren, als du dich als Felsjaguar vorgestellt hast.“

„Gut“, sagte Moe. „Dann eben andere Damen.“ Er nickte in Richtung der Frauen in den Grasröcken.

„Ich wette zwanzig Nucros, dass sie dich in ihrer Sprache ‚alten, weißen Mann‘ nennen.“

Moe legte sein Notizbuch weg und begann sein Seil aufzuwickeln. „Sie nennen mich ‚seltsamen, weißen Mann‘, vielen Dank.“

„Sir“, sagte Tolemek und trat vor. „Wir sind hier, weil Zirkander glaubt, Sie könnten uns bei ... einem Rätsel helfen.“ Er holte seine Zeichnung hervor.

„Ein Rätsel? Ich dachte, ihr wärt auf militärischer Mission.“

„Wir sind eine gemischte Gruppe aus Militär und Zivilisten“, sagte Zirkander. „Wir haben zwei Missionen, die sich zufällig überschneiden. Tolemek will einige Blumen identifizieren. Genauer gesagt müssen wir rausfinden, wo sie wachsen.“

Während Tolemek seine Zeichnung für Moe ausrollte, ging Zirkander zu Ardelle. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Cas vermutete, dass sie verärgert darüber war, nicht als Zirkanders Freundin, die Liebe seines Lebens und seine zukünftige Ehefrau vorgestellt worden war. Es ging Cas nichts an, also trat sie zurück in die Sonne und hielt wieder Ausschau, während die Truppe drinnen war.

„Das tut mir leid“, murmelte Zirkander zu Ardelle, seine Stimme war gerade laut genug, dass Cas die Worte verstehen konnte. „Mein Vater ist aufgeschlossener als die meisten anderen, ganz zu schweigen davon, dass er rassistische Spannungen meistens nicht bemerkt, aber ich war mir nicht sicher, ob ich dein besonderes Talent in den ersten zwei Minuten, in denen er dich kennt, verraten soll.“

„Es war nicht mein Talent, das du ihm hättest verraten sollen“, sagte Ardelle trocken.

Zirkander hielt inne. „Oh. Richtig. Ich meine, ich dachte, das wäre offensichtlich, so wie ich dich von der anderen Seite der Höhle aus bewundernd angestarrt habe.“

„Gut gerettet, Sir“, murmelte Duck.

Ardelle schnaubte, offenbar anderer Meinung.

Zwei Möwen kreischten und verließen ihren Sitzposten über dem Eingang der Höhle. Cas schaute stirnrunzelnd auf. Wieder einmal hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden.

„Alles in Ordnung, Ahn?“, fragte Zirkander.

„Ich habe ein schlechtes Gefühl bei dieser Insel und diesen Menschen“, sagte sie.

„Fühlst du dich besser, wenn ich dir anvertraue, dass es nicht nur dir so geht?“

„Ich fühle mich besser, wenn wir von hier verschwinden.“

Tolemek und Moe traten zu ihnen an den Eingang, um die Zeichnung im schrägen Sonnenlicht zu betrachten. Cas bemerkte, dass die Frauen verschwunden waren. Das Seil war hochgezogen worden, also mussten sie über die Brücke oder eine der Treppen tiefer in die Felsgänge geschlichen sein. Es ärgerte sie, dass sie es nicht mitbekommen hatte – und dass es offenbar mehr als einen Weg in die Höhle hinein und wieder hinaus gab. Sie sollte in beide Richtungen Ausschau halten.

„Keine sehr gute Zeichnung, oder?“, meinte Moe, der seine Brille wieder auf der Nase trug, während er Tolemeks Werk studierte.

Tolemek schaute stirnrunzelnd auf ihn herab. „Ich habe es vom Rücksitz eines Fliegers aus gezeichnet, während eine iskandische Pilotin wie eine betrunkene Krähe im Sturm durch die Wolken schwankte.“

Cas blinzelte ihn an. „Es ist nicht meine Schuld, dass es vor der Ostküste von Cofahre so viele Turbulenzen in der Luft gibt. Duck und der Colonel hatten genauso große Probleme, einen stabilen Kurs zu halten.“

Moe schaute zu Tolemek auf, der auch ohne seine mit Stacheln besetzten Armbänder und den anderen Piratenschmuck, den er bei der ersten Begegnung mit Cas getragen hatte, ein einschüchterndes Bild bot. Er hatte zwar ein hübsches Gesicht, aber seine nackten, muskulösen Arme, die Kampfnarben und die schwarzen Haarsträhnen, die ihm über die Schultern fielen, ließen ihn eher wie einen Krieger – oder einen besonders bedrohlichen Ganoven – als wie einen Wissenschaftler aussehen. „Ah, ich bitte um Entschuldigung. Ich dachte, du hättest es vielleicht auf einem Basar gekauft.“

„Nein“, sagte Tolemek kühl. Er zeigte auf die Blumen. „Die da ist lila, die da ist blau und die da ist rot.“

„Das da ist ein ... oh, ich kenne den richtigen wissenschaftlichen Begriff dafür nicht, aber die Eingeborenen nennen sie Blutbäuche, weil sie Fleisch fressende Pflanzen sind und Fliegen und andere Insekten fangen. Die blaue Blume ist eine Keshialys? Ich glaube, das ist das richtige Wort. Es gibt sie überall auf den Bergwiesen oberhalb der Baumgrenze auf der Insel Tsongirs.“

„Tsongirs?“, fragte Tolemek leise und ließ seinen Blick zu Cas schweifen. Sein Gesicht war ruhig, aber in seinen dunklen Augen spiegelten sich unterdrückte Gefühle. „Ist das der Ort, an dem diese Blumen zu finden sind?“

„Nein, die Marsmännchen wachsen weiter südlich. Und die Blutbäuche, wo habe ich die gesehen?“ Moe kramte wieder sein Notizbuch hervor und blätterte durch die Seiten.

Cas warf einen Blick über seine Schulter und sah überraschend gute Zeichnungen, von Karten über Samen, Blätter und Blumen bis hin zu Reproduktionen von Hieroglyphen und Felsreliefs. Die meisten Bilder wurden von einer kleinen, aber sauberen Schrift begleitet.

„Ah, hier ist meine Skizze von der Gegend.“ Moe hielt das Buch ins Sonnenlicht und zeigte eine Karte der Äquatorialinseln nicht weit südlich von Cofahre. Er holte einen stummeligen Kohlestift hervor. „Ich habe die Blutbäuche dort gesehen, die Keshialys dort und die Marsoothimums, also Marsmännchen,wachsen hier überall“, sagte er und berührte die verschiedenen Inseln, während er sprach. Er schattierte die Bereiche leicht. „Mögliche Schnittpunkte sind die Ratteninsel und Bolos, aber keiner dieser Vulkane hat die nötige Höhe für die alpinen Keshialys. Ich weiß das, weil ich sie sonst bestiegen hätte.“

„Vulkane“, sagte Zirkander. „Ich hatte gehofft, wir hätten für eine Weile genug davon gesehen.“

„Die meisten dieser Inselgruppen sind durch vulkanische Aktivität entstanden, aber die meisten dieser Vulkane sind auch längst erloschen.“ Moe tippte auf eine große Insel im schattigen Bereich. „Ich denke, der Berg Demise ist der wahrscheinlichste Ort hier auf Owanu Owanus.“

„Der Berg Demise?“, fragte Duck. „Das klingt ungefähr so vielversprechend wie im Winter von einem hungrigen Berglöwen nackt durch die Wälder gejagt zu werden.“

Mehrere Augenpaare richteten sich auf ihn.

„Ist dir das schon mal passiert?“, fragte Zirkander milde.

„Nicht ... in letzter Zeit.“

„Das ist der iskandische Name für den Berg“, sagte Moe, „aber er basiert auf den Legenden der Einheimischen. Es gibt eine relativ hochentwickelte einheimische Zivilisation an der Küste, mit einer Stadt, die einen großen Hafen hat, aber wenn man sich auch nur eine halbe Meile vom Strand entfernt, ist der Dschungel extrem dicht und wild und voller tödlicher Raubtiere. Auf dem Landweg ist es so gut wie unmöglich, den Berg zu erreichen, der ein erloschener Vulkan ist. Ich glaube, erst als die Luftschiffe aufkamen, wurde die Insel vollständig kartiert und der Berg benannt, aber selbst diese Karten sind nur vage. Es gibt nur wenige Wasserwege, die aus der Luft sichtbar sind, und das dichte Dschungeldach macht es an den meisten Stellen unmöglich, den Boden zu sehen. Man glaubt, dass es dort Menschenvölker gibt, die noch nie Kontakt mit der modernen Zivilisation hatten. Einige von ihnen sollen kannibalisch veranlagt sein. Aber ich habe noch nichts von bedeutenden archäologischen Funden dort gehört.“ Er wirkte unzufrieden darüber.

Tolemek starrte konzentriert auf die Karte und murmelte immer wieder „Owanu Owanus“, als ob er sich die Karte einprägen wollte.

„Heißt das, dass du dich nicht freiwillig meldest, mit uns mitzukommen, Dad?“, fragte Zirkander.

„Oh, das kann ich unmöglich. Ich habe hier noch zu tun.“

„Kopfüber in einer Höhle hängen und den einheimischen Damen deinen Hintern präsentieren?“

Moe warf einen Blick auf seinen Hintern und winkte dann mit einer Hand ab. „Mach dich nicht lächerlich. Ich weiß, dass die Einheimischen nicht begeistert von meiner Anwesenheit sind, aber ich bin so kurz davor, die Koordinaten des verlorenen Schatzes von Anksari Prime zu finden.“ Er kniff seine Finger vor dem Gesicht seines Sohnes zusammen. „Außerdem dauert es noch einen Monat, bis der Frachter der Abendsonne auf die andere Seite der Insel zurückkehrt, um mich abzuholen, und ich steige nicht mit dir in eine dieser Todesfallen der Lüfte, soviel ist sicher.“

„Du hast schon über tausend Meter hohe Berge bestiegen. Wie kann dich die Vorstellung vom Fliegen da erschrecken?“ Nach Zirkanders genervtem Tonfall zu urteilen, hatten er und sein Vater diesen Streit schon einmal gehabt.

„Weil ich mit Seilen an diesen Bergen befestigt war.“ Moe zwirbelte das Ende des Seils, das über seiner Schulter hing. „Es gibt nichts, was deine Flieger mit der festen Erde verbindet. Ich bin erstaunt, dass du noch nicht vom Himmel gefallen bist.“

„Das passiert normalerweise nur, wenn jemand auf mich schießt.“

„Eines Tages wirst du da oben sterben und deine Mutter wird ganz allein sein.“

„Ich glaube nicht, dass es meine Gesellschaft ist, die sie am meisten vermisst“, murmelte Zirkander.

Tolemek räusperte sich. Sein Gesicht blieb neutral, aber Cas kannte ihn gut genug, um die Ungeduld in seiner angespannten Schulterhaltung zu erkennen. „Diese Stadt auf Owanu Owanus ... Gibt es dort einen Hafen? Eine Anlegestelle? Kommen und gehen Schiffe?“

Zirkander nickte Tolemek zu. „Gute Frage. Vielleicht Schiffe nach Cofahre, die Fracht dorthin bringen?“