Dressurreiten - Ideal und Wirklichkeit - Fritz Stahlecker - E-Book

Dressurreiten - Ideal und Wirklichkeit E-Book

Fritz Stahlecker

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Beschreibung

Fritz Stahlecker sagt der modernen Dressurszene mit ungewöhnlich klaren Worten den Kampf an. Wenn Rollkurtrainer Weltmeister hervorbringen und Pferde mit Taktfehlern Grand-Prix-Lektionen gewinnen, wird Reitkunst zum Nischenprodukt. Nicht mehr der beste Reiter gewinnt, sondern der mit den teuersten Sponsoren und dem exklusivsten Pferd. Falsche Vorbilder für Amateurreiter entstehen. Stahleckers Buch soll nicht nur aufdecken und wachrütteln, es soll auch Alternativen zeigen, wie die Reitkunst noch zu retten ist.

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Seitenzahl: 148

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„…aber dem edlen Pferd, das du reiten willst, musst du seine Gedanken ablernen, du musst nichts Unkluges nicht unklug von ihm verlangen.“

Goethe, „Egmont“

Foto: Phillip Weingand

Autor und Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.

Sicherheitstipps:

In diesem Buch sind Reiter ohne splittersicheren Kopfschutz abgebildet. Dies ist nicht zur Nachahmung empfohlen. Achten Sie bitte immer auf entsprechende Sicherheitsausrüstung: Reithelm, Reitstiefel/-schuhe und gegebenenfalls eine Sicherheitsweste beim Reiten.

IMPRESSUM

Copyright © 2015 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek

Gestaltung und Satz: www.ravenstein2.de

Coverfoto: Phillip Weingand

Fotos im Innenteil: Norbert Aepli, Archiv Deutsches Pferdemuseum,

Archiv Stahlecker, Fotolia, Britta Hauser Tierfotografie, Jan Reumann,

Dr. Georg Seunig, shutterstock, Matthias Stadelmayer, Horst Streitferdt,

Charly Triballeau - Getty Images, Dr. Ulrike Thiel, Philipp Weingand,

Zeichnungen: Fritz Stahlecker

Co-Autorin: Petra Wägenbaur

Lektorat der Originalausgabe: Claudia Weingand

Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

eISBN: 978-3-8404-6369-3

INHALT

Vorwort

Zielgerichtete Einstimmung

Kritik am Heute

Entgleiste Grundlage – verlorener Maßstab

Merkmale der Fehlentwicklung

Über den Reitergeist

Prüfender Blick auf die Dressurszene

Über das Unheil der Rollkur

Was soll Dressurreiten sein?

Die Bewertung der Dressurprüfung

Die Gestaltung der Dressurprüfung – die Übermacht des großen Geldes

Voltigieren – eine kurze kritische Anmerkung

Entgleisung in Wien

Zur Wesensart des Pferdes aus der Sicht der Kunst

Reiterdenkmäler

Der Anfang ist entscheidend: Satteln, Longieren, Anreiten

Wie erhält man eine gute Gurtenfurche

Das Unheil des falschen Longierens

Erstmalige Belastung des Pferderückens durch den Reiter

Vermenschlichung des Pferdes

Die Freiheitsdressur ohne Gebiss

Die Einführung der HSH-Center-Kandare

Weshalb Kandarenzügel in eine Hand gehören

Ein Wort zur Pferdezucht

Das Problem der kurzen Laden

Überzüchten wir unsere Pferde?

Reitkunst in der Praxis: Der Weg zur Versammlung

Was meinen Unterricht geprägt hat

Schritt für Schritt zur Versammlung

Kriterien der Versammlung

Die Versammlung auflösen

Verschiedene Elemente einer Reitstunde erklärt und kritisch betrachtet

Warum der Gurt rechts und links angezogen werden muss

Schrittarbeit

Schrittreprise – mit Exkurs zur Handarbeit

Erarbeitung neuer Herausforderungen

Die Arbeit im Trab

Bogenreiten im Trab

Die Voltenspirale im Trab

Fortsetzung der Voltenspirale

Ein kurzes Wort zum „Arbeitstrab“

Über die Versammlung im Trab

Absicherung des Erreichten

Zeichnung: Fritz Stahlecker

Zirkelarbeit an der Hand – für ein energisch fußendes Hinterbein

Die enge Schlangenlinie mit kleinen Bogen

Aufrichtung beginnt am Widerrist

Das energische Antraben aus den Rückwärtstritten

Das rhythmische Kreuzen der Hinterbeine in der Traversale

Der Grad der Versammlung der Traversale – im Trab und im Galopp

Die Bedeutung der Längsbiegung

Schulterherein vom Boden an der Hand

Galopparbeit

Galoppübungen mit der Idee der Versammlung

Die Schaukel: das Angaloppieren aus dem Rückwärtstreten

Die Vorbereitung der Galopppirouette

Der fliegende Galoppwechsel

Verbesserung der Versammlung im Galopp durch Schulterherein

Durch betonten Tempowechsel die Versammlung beleben

Weitere Übungen in Richtung Versammlung: die kleine Schlangenlinie

Übungen in Richtung Passage

Leitbilder

Leitbild Lörke

Waldemar Seunig

Schlusswort: über den Sinn und Zweck des Buches

Reitkunst beginnt an der Basis

Gegen die Mode des engen Reitens

Die Wichtigkeit des Reitergeistes

Quellen

Weitere Publikationen

Danke

VORWORT

Foto: Phillip Weingand

Die artgerechte Tierhaltung ist heute ein Thema von allgemeinem Interesse geworden. Ein grundsätzlicher Umbruch des Denkens bahnt sich an. Die provokative Forderung nach Menschenrechten für Affen wird sich nicht erfüllen, aber vieles in Richtung Tierwohl bewegen. Die von Albert Schweitzer verlangte Ehrfurcht vor dem Leben beginnt zu greifen. Im Vordergrund steht der Schutz der Haustiere.

Zielgerichtete Einstimmung

Die Dressur-Szene passt ganz und gar nicht in dieses Bild. Sie muss sich, um ihre Anerkennung nicht zu verlieren, wandeln. Dies ist leider eine bittere Notwendigkeit. Darum geht es in diesem Buch. Der Teufel steckt in den Details, ihn gilt es auszutreiben.

In loser Folge möchte ich in diesem Buch erkennbare Verstöße gegen die Pferde- und Kunstgerechtigkeit aufzeigen. Und natürlich die Fragen stellen: Was soll sich wandeln? Weshalb und in welche Richtung gehend? Auf welche praktische Art und Weise erreichen wir die geforderten Verbesserungen?

Es genügt nicht, Fehler zu benennen. Deshalb widme ich einen großen Teil des Buches Ausschnitten aus einem fiktiven praktischen Reitunterricht. Der Leser erhält so Vorschläge, wie man zu Lösungen kommen kann, Ratschläge, um reiterliche Probleme auf pferdegerechte Weise zu meistern.

KRITIK AM HEUTE

Die Dressurszene ist entgleist. Von Gewaltlosigkeit wird gesprochen. Auf FN-Turnieren wird sie aber nicht entfernt praktiziert. Viele Pferde geben in Demut das ihnen Abverlangte.

Entgleiste Grundlage – verlorener Maßstab

Den Richtern ist der Maßstab verloren gegangen. Der traurige Schwachpunkt sind die Gebisse und ihre Handhabung.

FRÜHER WAR ALLES BESSER?

Häufig hört man von Reitern: „Früher gab es diese Missstände nicht, da war alles besser!“ Doch die Vorstellung, man könne Pferdegerechtigkeit allein durch Wiederbelebung verlorener Erkenntnisse erreichen, ist ungenügend. Ein Ideal soll Fortschritte einschließen. Die alte Wissenskiste reicht nicht aus. Wir brauchen eine neue geistige Haltung: pferdegerechtes Reiten als Kunst, nicht als Leistungssport. Ich behaupte ganz und gar nicht, dass früher alles in Ordnung war. Auf den Turnieren gab es jedoch einzelne Lichtpunkte. Reiter, die bereits auf dem Abreiteplatz erkennbar pferde- und kunstgerechtes Reiten demonstrierten. Sie konnten sich nicht durchsetzen und zahlenmäßig mehr werden, weil Gewaltlosigkeit bei der Benotung kaum zur Geltung kommt. Die Richter sind die Weichensteller. Es ist nicht verwunderlich, dass ehrgeizige Reiter so reiten, wie es der Richterschaft gefällt.

(Zeichnungen: Fritz Stahlecker)

MASSSTAB PUBLIKUM?

Auf der Tribüne gibt es stürmische Begeisterung. Dies zählt. Eigentlich sollte man dafür ein neues Wort erfinden. Die Begeisterung ist ohne Geist, ohne den Geist naturgerechter Reitkunst. Es wäre aber ungerecht, die Tribüne zur Anklagebank zu machen. Es wäre sogar hochmütig. Die unreiterlichen Verfehlungen sind nur mit an guten Beispielen geschulten Augen erkennbar.

Nein, den Zuschauern sei Dank, dass sie kommen. Und denen, die nicht mehr kommen, sei gesagt: Kommt wieder, euer Protestieren hilft zu korrigieren. Nehmt Kontakt mit denen auf, die dem Tand verfallen sind und applaudieren! Versucht in Bescheidenheit aufzuklären, steigt ein in die Diskussion! Die Leute um uns herum verdienen es. Sie sind doch vom Pferd angezogen; das hilft. Mit sachlichen Argumenten durchzukommen, zu überzeugen, ist bei Weitem nicht so schwierig, wie man zunächst meint und wenn es beim ersten Mal nicht gelingt, zu erschüttern, durcheinanderzubringen, gelingt es beim nächsten Mal.

Der guten Sache gedient zu haben, macht Freude, hilft den Pferden und der Reitkunst. Man hüte sich aber vor Überheblichkeit.

Sie stößt ab – wie überall im Leben. Es gibt bereits Verbesserungen in Richtung Naturgerechtigkeit. Auf diese hinzuweisen, sie mit der entsprechenden Begründung hervorzuheben, hilft zu überzeugen. Beherzt Stellung zu beziehen, bringt viel.

Merkmale der Fehlentwicklung

Besonders am Abreiteplatz wird sichtbar, woran die Reiterei heute krankt. Ich nenne einige Merkmale, die zeigen, wes Geistes Kind viele moderne Dressurreiter sind, ob sie nun bewusst oder unbewusst handeln.

GRAVIERENDE FEHLER IN DER ZÜGELFÜHRUNG

• Der geradlinig angezogene Kandarenzügel. Wer weiß, dass mit ihm die Zungenränder zumeist mit mehr als zwei mal fünf Kilo belastet werden?

• Der Pferdekopf ist immer wieder hinter der Senkrechten. Wer denkt daran, dass so dem Pferd die freie Sicht genommen wird?

• Sichtbar „riegelnde“ Reiterhände. Wer weiß, dass dabei die Kandarenstange wechselseitig verkantet und mit hohem spezifischem Gewicht die Zungenränder im Wechsel links und rechts malträtiert? So macht Gewalt das Pferd zum gefügigen Sklaven.

• Der Reiter wiederholt eine Lektion x-mal, ohne eine Pause mit durchfallendem Zügel einzulegen. Er weiß nicht, dass er so dem Pferd alle Lust für freiwillige Mitarbeit verdirbt.

• Die einseitig hochgenommene Reiterhand. Weiß der Reiter, dass sich bei 2:2-Führung der Zügel (zwei Zügel in jeder Reiterhand) die Kandare verdreht und ein Zungenrand extrem belastet wird?

• Die Kandare fällt durch, weil ihre Kinnkette extrem lang eingestellt ist. Der Reiter meint, dass die lange Kinnkette das Maul entlastet. Er weiß nicht, dass sie im Gegenteil die Belastung ins Uferlose erhöht, besonders bei hoher Reiterhand.

• Am Maulwinkel erkennbar ist die Trense drückend an die Kinnkette angelegt. Weiß der Reiter, dass eine feine Wirkung des Gebisses so nicht möglich ist.

• Die Kandare drückt gegen die Trense. Auch dieser Fehler ist am Maulwinkel erkennbar. Weiß der Reiter, dass die Gebisse so ihre Unabhängigkeit verlieren und die Zunge unkontrollierbar belasten?

• Die Zügelhände überall, nur nicht dort, wo sie sein sollen für eine schmerzfreie Anlehnung.

• Man sieht falsch am Oberbaum aufgehängte Kandaren (siehe Stahlecker, „Pferde – meine Schüler, meine Lehrer“, S. 164).

• In der Versammlung ist die Halsung des Pferdes eng, das Genick nicht der höchste Punkt.

• Das Pferd ist eng gezogen. Pferd und Reiter sehen nur auf den Boden. Weiß der Reiter, dass er so die Demut seines Pferdes strapaziert, dass seine machtlose Bodenbetrachtung alles andere als schön ist? Auch beim Abreiten gilt das Schönheitsgebot. Dem Zuschauer sage ich: Was nicht schön ist beim Reiten, ist niemals gut. Der Zweck kann nicht die Mittel heiligen.

Immer wieder sieht man heute, wie die Kandarenzügel unter den kleinen Fingern herumgeführt werden. Selbst in der Reiterkaserne war so etwas strengstens verboten. (Foto: Lichtreflexe/Fotolia.com)

• Der Rahmen des Pferdes ist nicht der Vorwärtsbewegung angepasst. Beim Übergang in die freien Gänge streckt sich das Pferd nicht oder nicht genügend. Die Nase ist nicht der vorderste Punkt. Das falsch ausgebildete Pferd hat die Lust verloren, seinen Rahmen dem Vorwärts anzupassen. Ein schwerwiegendes Manko! Eine schlechte Hand sucht das Pferd nicht, es will ihr entgehen und geht hinter sie.

WEITERE FEHLER

• In der Piaffe geraten die Vorderbeine unter das Pferd und nehmen so mehr Last auf. Weiß der Reiter, wie Piaffieren sein soll, dass die Vorderbeine möglichst weit nach vorne treten sollen? Sie sollen wenigstens senkrecht zum Rumpf sein, um die Hinterhand vermehrt zu belasten. Ohne entlastete Vorderbeine keine Piaffe! Übrig bleibt nur Show.

• Die Vorderbeine fußen im starken Trab nicht dort auf, wo sie erhoben mit den Hufen hinzeigen. Weiß der Reiter, dass sich so das Vorwärtskommen vermindert? Die Bewegung der Vorderbeine ist spektakulär größer als die der Hinterbeine ohne entsprechenden Bodengewinn. So sind wir weg von Natur und Reitkunst. Auf der Weide gibt es die nutzlose Unausgewogenheit nicht. Dort dient die große Bewegung sinnvoll dem Vorwärtskommen. Der Reiter sollte es wissen. Von den Zuschauern kann man das nicht verlangen. Nur wenige erkennen, dass sie für entartete Kunst bezahlt haben. Ich drücke mich unangenehm deutlich aus. Weshalb? Der Fehler ist ein Kardinalfehler! Um ihm zu entgehen, soll lieber das Maximum der Bewegung in natürlicher Ausgewogenheit graduell verringert sein.

• Der Reiter richtet sein Pferd x-mal rückwärts. Weiß er, dass das Pferd sich bestraft fühlt, dass es auf der Weide das Rückwärtstreten in mehrmaliger Wiederholung am Stück nicht gibt? Der Reiter sollte lernen, sein Pferd nur im Notfall zu bestrafen. Er strafe sich besser selbst mit Geduld.

• In der Traversale kreuzen Vorder- und Hinterbeine ungleich. Erkennt der Reiter das? Weiß er, woran es liegt?

Es liegt nur daran, dass er sein Pferd zu viel gebogen hat, weil dann Schulter- und Hüftachse zu wenig parallel zueinander sind. Die Schönheit der Traversale beruht auf dem gleichstimmigen Kreuzen beider Beinpaare. Dieser Reiterfehler ist nicht Grobheit – zumeist. Die Korrektur ist nicht schwierig. Es genügt, das Zuviel der Längsbiegung zu verringern. Der Zuschauer braucht keine Schulung, um den Gleichklang der kreuzenden Beinpaare wahrzunehmen.

• Die klassische Schrittversammlung fehlt.

• Die Pferde zeigen eine zu weit vorne gebildete Sattellage.

Über den Reitergeist

Das Vertrauen des Pferdes zu erlangen, steht am Beginn jeder Ausbildung. Durch uns selbst verschuldet ist unsere Zeit hektisch und schnelllebig geworden. Auch der Erfolg mit dem Pferd soll sich sogleich einstellen. Geduld ist nicht unsere Stärke. Dieses Denken widerspricht der Pferdepsyche.

Wir sollten selbstbeherrscht darauf Rücksicht nehmen, dass das Vertrauen des Pferdes nur langsam wächst, dass es aber besonders am Anfang nicht viel braucht, um es dauerhaft zu zerstören.

Schon die Handarbeit vor dem erstmaligen Reiten ist künstlerische Arbeit. Die Kunst beginnt ganz unten, so wie beim Malen mit dem ersten Pinselstrich.

Das Ziel der Reitkunst ist Schönheit. Schönheit, wie sie uns die freie Natur tagtäglich im Ansatz bietet. Die Klammer, die alles zusammenhält und uns vor Kitsch bewahrt, ist der Stil. Das Pferd formt Geist und Edelmut seines Reiters. Nach vollendeter Ausbildung erlebt er auf ihm Glücksmomente, für die es schwierig ist, Worte zu finden. Dorthin stiftet das Pferd den Reitergeist. Man spricht von Reitergeist und man sollte sich fragen, ob er allein aufs Pferd bezogen noch ausreicht? Die Frage ist nur zu berechtigt. Der Reitergeist könnte sogar dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen.

Menschliche Kultur braucht, um lebendig zu bleiben, ethische Ideale. Weil sie heute weitgehend verloren gegangen sind, gibt es rundum Entgleisungen. Entgleisungen durch egozentrisches Denken oder auch Gedankenlosigkeit. Wir, die Reiter, sind daher aufgerufen, den Reitergeist auszuweiten auf alles Leben. So sind wir bei Albert Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben. Der tiefgründige Philosoph, Theologe, Arzt und Orgelmusiker schreibt in seinem Buch „Die Ehrfurcht vor dem Leben“: „Auf einer Sandbank, zur linken, wanderten vier Nilpferde mit ihren Jungen in derselben Richtung wie wir. Da kam ich in meiner großen Müdigkeit und Verzagtheit plötzlich auf das Wort Ehrfurcht vor dem Leben’, das ich, soviel ich weiß, nie gehört und nie gelesen hatte.“

Sind wir Reiter bei Albert Schweitzer nicht bestens aufgehoben?! Klarer kann die These nicht sein, die ich seiner Aussage entlehne: „Reitergeist ist Ehrfurcht vor dem Leben.“

Die geistige Seite der Reitkunst ist so wichtig wie die praktische. Ich drücke es hier in gereimten Stichworten aus. Der Leser versuche gern, sie als Rap zu singen, damit sie besser verwahrt ins Bewusstsein dringen.

Denken – reiten

Denken – reiten – denken – reiten

Ohne Streiten, ohne Streiten

So kommt der Reiter weiter

Auf der Pferdestufenleiter

Willst du, willst du Reiter sein

Hör und seh, seh und hör ins Pferd hinein

Oft, so oft das Pferd den Reiter lehrt

Ungefragt

Den Weg ihm sagt

Sei nicht bang

Wart nicht lang

Singe, singe seinen Sang!

Vom Pferd geleitet

Reitergeist ausgeweitet

In Ehrfurcht neu gedacht

Alles Leben überdacht, hinzugebracht

Ein Leben, dein Leben

Schließt das andere ein

So soll, so soll reiten sein.

Prüfender Blick auf die Dressurszene

Ist Erfolg der Beweis der pferde- und kunstgerechten Gültigkeit? Kann heute der beste Reiter auf einem gut veranlagten Pferd, das aber in den Verstärkungen nicht sensationell ist, eine Dressurprüfung gewinnen? Nein! Der drittbeste Reiter auf dem teueren Superpferd hat die weit bessere Chance. Die Gangverstärkungen werden vergleichsweise höher bewertet als die Versammlung. Es fällt nicht ins Gewicht, wenn diese kaum noch genügt. Dem Superpferd liegen verkürzte Gänge in hoher Versammlung weniger. Es tut sich in der Regel darin schwerer. Das nur durchschnittlich gut veranlagte Pferd des besten Reiters ist umgekehrt in der Versammlung oft eindrucksvoller und dem Superpferd überlegen. In der Benotung kommt dies kaum zur Geltung. Somit wird auch von den Reitern Versammlung weniger großgeschrieben. Bei kunstgerechter Beurteilung sollte das entscheidende Kriterium aber die zwischen Versammlung und Verstärkung liegende Spanne sein. Auf den ästhetischen Kontrast einer möglichst großen Spannweite sollte es ankommen, wenigstens in den schweren Prüfungen der S-Kategorie. Dressurreiten als Reitkunst kann nicht die einseitige Hervorhebung eines Kriteriums sein. Harmonie heißt Ausgewogenheit.

Das durchschnittlich veranlagte Pferd des besten Reiters kann sehr wohl in der Spannweite gleich gut oder sogar besser sein als das Superpferd unter einem schwächeren Reiter!

WIE IST ES ZU DER ÜBERBEWERTUNG DER GROSSEN GÄNGE GEKOMMEN?

Die Antwort ist einfach: Sie kommen bei Auktionen zur Geltung. Die großen Gänge bringen den hohen Preis. Versammlung wird mit Remonten zu Recht nicht vorgeführt.

Was können wir lassen oder tun, um die Allmacht des Geldes zu begrenzen und Dressurreiten als gewaltminimierte Kunst zu fördern?

Sicherlich kommt es auf die Komposition der Dressuraufgaben an. Es wäre zu begrüßen, die Prüfungen derart zu gestalten, dass das reiterliche Können zur ausschlaggebenden Geltung kommt.

Dem Pferd ist die freie Sicht genommen. Es verliert so die Lust, sich in der Trabverstärkung an die Reiterhand heranzudehnen. (Foto: Labrador Photo Video/Shutterstock.com)

Heute steht an erster Stelle die Veranlagung des Pferdes, an zweiter Stelle das Können des Reiters. Dies umzukehren ist durchaus möglich. Bereits eine Tendenz in diese Richtung gehend würde viel bringen und nicht so viele junge Reiter vom Dressurreiten abhalten.

WESHALB IST GEWALTBETONTES REITEN IMMER NOCH MÖGLICH?

Die Dressurreiterei ist in Verruf gekommen, weil wir zu wenig gegen die Missstände tun. Grobheiten und Rollkur auf dem Abreiteplatz werden (zumindest manchmal) gerügt, führen jedoch nicht zur Disqualifikation. Es ist ein Armutszeugnis, dass der Beurteilungskatalog, den die FN jüngst herausgegeben hat, überhaupt notwendig ist. Ich fürchte, wer den Kriterienkatalog tatsächlich braucht, wird ihn nicht umsetzen können. Wenn ein Reiter nicht mit dem Auge erkennt, dass Rollkur hässlich aussieht, wenn man erst von Blut und Wunden schreiben muss, dann gibt das doch sehr zu denken.

Den Pferden zuliebe muss gegen gewaltbetontes Reiten vorgegangen werden, darf es Laschheit angesichts schlimmer Bilder nicht geben. Reitkunst ohne pferdegerechte Ausbildung darf nicht sein und gibt es nicht!

Über das Unheil der Rollkur

Wer Kritik an der Dressurszene von heute übt und gegen die Rollkur angeht, sollte wissen, wie sie funktioniert und gehandhabt wird. Ich darf dieses dunkle Kapitel nicht unbehandelt lassen.