Drive-In - Joe R. Lansdale - E-Book

Drive-In E-Book

Joe R. Lansdale

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Beschreibung

Stellt euch ein Autokino vor, das groß genug ist, viertausend Autos zu fassen. Dann habt ihr eine Idee vom Orbit, dem größten Drive-In von Texas. Jeden Freitag gibt es dort die All-Night-Horror- Show. Genau hier sind wir jetzt, alles ist perfekt. Aber plötzlich taucht aus dem Nichts dieser blutrote Komet auf. Schlagartig ist das Orbit von der Außenwelt isoliert, eingeschlossen von einer tödlichen Leere. Es gibt kein Entrinnen. Die Nahrungsmittel werden knapp. Erste Fälle von Totschlag und Kannibalismus treten auf. Doch das Schlimmste steht uns erst bevor ...

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Das Buch

Stellt euch ein Autokino vor, das groß genug ist, viertausend Autos zu fassen. Dann habt ihr eine Idee vom Orbit, dem größten Drive-In von Texas. Jeden Freitag gibt es dort die All-Night-Horror-Show. Genau hier sind wir jetzt, alles ist perfekt. Aber plötzlich taucht aus dem Nichts dieser blutrote Komet auf. Schlagartig ist das Orbit von der Außenwelt isoliert, eingeschlossen von einer tödlichen Leere. Es gibt kein Entrinnen. Die Nahrungsmittel werden knapp. Erste Fälle von Totschlag und Kannibalismus treten auf. Doch das Schlimmste kommt erst noch …

Der Autor

Joe R. Lansdale, geboren 1951, zählt zu den großen amerikanischen Erzählern. Er hat mehr als vierzig Romane in verschiedenen Genres geschrieben und erhielt zahlreiche namhafte Auszeichnungen, u. a. den American Mystery Award und den Edgar Award. Berühmt geworden ist er mit der Krimi-Serie um Hap Collins und Leonard Pine. Lansdale lebt mit seiner Familie in Nacogdoches, Texas.

JOE R. LANSDALE

DRIVE-IN

DIE TRILOGIE IN EINEM BAND

Aus dem Amerikanischenvon Dietmar Dath und Alexander Wagner

Mit einem Vorwort von Joe R. Lansdaleund einem Nachwort von Dietmar Dath

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe THE COMPLETE DRIVE-INerschien 2010 bei Underland Press, Portland, Oregon.

DRIVE-IN I erschien in Deutschland bereits 1997bei Pulp Master/Maas Verlag, Berlin.

Das komplette Hardcore-Programm, den monatlichenNewsletter sowie unser halbjährlich erscheinendesCORE-Magazin mit Themen rund um das Hardcore-Universumfinden Sie unter www.heyne-hardcore.de

Weitere News unter facebook.com/heyne.hardcore

Vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 09/2015

Copyright © 2009 by Joe R. Lansdale

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Published in agreement with the author,c/o Baror International, Inc., New York

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Vorwort von Joe R. Lansdale © 2009 by Joe R. Lansdale

Nachwort von Dietmar Dath © 2015 by Dietmar Dath

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung von shutterstock/Alexuss

Satz: Schaber Datentechnik, Wels

ISBN: 978-3-641-15551-3

www.heyne-hardcore.de

INHALT

VORWORT

Von Joe R. Lansdale

DRIVE-IN I

EIN B-MOVIE MIT BLUT UND POPCORN, MADE IN TEXAS

DRIVE-IN II

(KEINS DIESER ÜBLICHEN SEQUELS)

DRIVE-IN III

DIE BUS-TOUR

ABGEBISSENE ZEIGEFINGER

Von Dietmar Dath

VORWORT

Von Joe R. Lansdale

Damals in den Achtzigern hatte ich immer diesen Traum.

Sobald ich einschlief, fand ich mich Nacht für Nacht in einem riesigen Autokino wieder. Selbst im Traum erkannte ich, dass es eine Mischung aus allen Autokinos war, die ich jemals besucht hatte, und dass sich meine Traumwelt mit realen Erfahrungen verband.

Der Traum wurde immer seltsamer. Wie bei einer Fernsehserie wartete ich jede Nacht gespannt darauf, was als Nächstes passieren würde. Folgendes geschah: Ich war mit ein paar Freunden im Autokino, und eine große, schwarze, ätzende Masse sperrte uns darin ein. Wir konnten nicht mehr raus. Die Menschen, die ohne Nahrungsmittel oder Gesetze in diesem Kino gefangen waren, wurden zu Mördern und Kannibalen; sie wuschen sich nach dem Gang zur Toilette nicht einmal mehr die Hände.

Wie dem auch sei – ich träumte diesen Traum jede Nacht. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr weiterging; der Traum wiederholte sich ständig. Ich war in einer seltsamen Autokino-Endlosschleife gefangen.

Dann erhielt ich einen Anruf von T.E.D. Klein von Twilight Zone. Er bat mich, einen Artikel für das Magazin zu schreiben – er hatte bereits andere Beiträge von anderen Autoren veröffentlicht und wollte, dass ich auch etwas beisteuerte. Ich weiß nicht, weshalb er gerade auf mich kam. Womöglich deshalb, weil ich Ted – so kannten ihn die meisten, obwohl er seine Werke unter dem Kürzel T.E.D. herausgab – ein paar Kurzgeschichten verkauft hatte, gut mit ihm auskam und ein paar nette Unterhaltungen mit ihm geführt hatte. Womöglich hatte er auch niemanden, den er sonst fragen konnte. Keine Ahnung.

Jedenfalls beschloss ich, einen Artikel über Autokinos zu verfassen. Joe Bob Briggs erlaubte mir, ihn am Anfang des Beitrags zu zitieren. Nach einem kurzen historischen Abriss und meiner persönlichen Einstellung gegenüber Autokinos schrieb ich noch über meinen Traum und schickte das Ganze ab.

Der Artikel kam nicht nur beim Herausgeber, sondern auch bei den Lesern gut an. Einer dieser Leser war Pat LoBrutto, mein Lektor bei Doubleday. Pat ist einer der unbekannten Helden der Branche. Er hat Dutzende aufstrebender Autoren publiziert – und auch viele, die sich auf dem absteigenden Ast befanden. Gute Autoren am Anfang ihrer Karriere und solche, die von der Verlagswelt unverdienterweise fallen gelassen worden waren.

Er bat mich, einen Roman über meinen Traum zu schreiben.

Okay, sagte ich und machte mich ans Werk. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb ich Drive-In in etwas mehr als zwei Monaten. Sobald ich damit fertig war, begann ich mit Die Kälte im Juli, für das ich etwa zur selben Zeit einen Vertrag mit Bantam abgeschlossen hatte.

Ich hasste Drive-In. Es war eine anstrengende Arbeit. Ich wollte, dass es sich leicht und locker las, doch die düstere Botschaft dahinter lag mir schwer auf der Seele. Damit will ich mich jetzt nicht als großen Philosophen hinstellen – ich bin lediglich der Meinung, dass die besten Bücher immer auch einen Subtext haben. Und ich ahnte, dass ich versagt hatte, sowohl was den Humor als auch den zugrunde liegenden philosophischen Anspruch anging.

Ich wollte eine liebevolle Satire auf Horrorfilme und die menschliche Dummheit schreiben. Über unser ureigenes Bedürfnis, so gut wie alles für bare Münze zu nehmen, wenn man sich dabei nur besser fühlt. Religion, Astrologie, Numerologie, was man sich nur vorstellen kann. Das Buch sollte gleichzeitig ernst sein und über beißenden, satirischen Humor verfügen.

Drive-In wurde mit einem Cover veröffentlicht, das überhaupt nicht dazu passte. Es wäre viel besser für einen von Ron Goularts komischen Science-Fiction-Romanen geeignet gewesen. Ich mag Goularts Werke, keine Frage, aber mit diesem Buch hatten sie überhaupt nichts zu tun. Mein Roman war keine Science-Fiction, obwohl ich einige Science-Fiction-Themen gestreift hatte. Und auch kein Horror, obwohl sich ganz sicher Horrorelemente darin finden lassen. Und Mainstream war er auch nicht, dafür war er zu speziell. Womöglich Weird Fantasy? Was weiß ich. Mir auch egal. Es war mein Buch.

Nun, das Buch erschien, fand seine Leser und im Lauf der Zeit auch eine große Anhängerschaft. Viele Kollegen erzählten mir, dass Drive-In großen Einfluss auf ihren Stil und die Wahl ihrer Themen gehabt hatte – wenn nicht sogar auf ihren Entschluss, Schriftsteller zu werden. Das ist ein ziemlich großes Lob.

Aber ich greife vor. Eine schlechte Angewohnheit von mir.

Damals also hasste ich das Buch. Ich hielt es für grauenhaft. Als ich dann die Druckfahnen zur Korrektur erhielt, las ich sie mit freudiger Überraschung. Nun war ich der Meinung, genau das erreicht zu haben, was ich mir vorgenommen hatte. Ich hatte das Buch schnell, aber konzentriert geschrieben, und sein Thema – Humor hin oder her – war finster und beunruhigend. Für mich jedenfalls. Das Schreiben war eine mühsame und quälende Angelegenheit gewesen, die Lektüre dagegen nicht. Es gibt Schriftsteller, die gerne schreiben, und solche, die gerne geschrieben haben. Ich gehöre zu den Ersteren. Meiner Meinung nach zählt nur der Akt des Schreibens selbst. Bei diesem Buch jedoch machte mir dieser Akt überhaupt keinen Spaß, und ich freute mich auch nicht, als es fertig war. Ich dachte, ich hätte eine Nullnummer gelandet. Das meiste hatte ich frei assoziiert, ich hatte der Geschichte ihren Lauf gelassen, ganz egal, welche merkwürdigen Wendungen sie auch nahm. Ich hatte meinem Unterbewusstsein das Kommando übertragen.

Wie gesagt – erst als ich die Druckfahnen in meinen gierigen Händen hielt, begriff ich, dass mir etwas Einmaliges gelungen war. Bis heute beteuern mir viele Leute, wie sehr sie den Roman lieben. Manche, weil er leicht und unterhaltsam ist. Na ja, in gewisser Weise stimmt das auch. Andere behaupten, es ist das Düsterste, was ich je geschrieben hätte. Dem kann ich nur beipflichten. Der Humor darin ist wie ein Clownskostüm, in dem ein Leichnam steckt. Doch das Wichtigste ist, dass Drive-In – aus welchem Grund auch immer – die Zeit überdauert hat und auch heute noch viele Menschen beeinflusst.

Kurz gesagt: Ich bin stolz darauf. Das Buch wurde im Laufe der Zeit nicht so oft wieder aufgelegt, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich persönlich halte Drive-In für einen meiner originellsten und wichtigsten Romane. Ob dem wirklich so ist, müssen die Leser selbst entscheiden.

Ich freue mich, dass dieser Roman und seine Nachfolgebände in dieser schönen Ausgabe versammelt sind, und hoffe, dass sie viele neue Leser und die Welt von Drive-In viele neue Fans finden wird.

Viel Spaß.

Joe R. Lansdale, 2009

Aus dem Amerikanischen von Kristof Kurz

DRIVE-IN I

EIN B-MOVIE MIT BLUT UND POPCORN, MADE IN TEXAS

Aus dem Amerikanischenvon Dietmar Dath

FADE-IN / PROLOG

Ich schreibe jetzt über die Zeit, bevor alles so seltsam wurde; damals beschäftigten uns der Abschied von der Highschool, die Vorbereitung aufs College, Mädchen, Partys und jede Freitagnacht die All-Night-Horror-Show im Orbit-Drive-In an der Ausfahrt der Interstate-45, dem größten Autokino in Texas. Eigentlich dem größten der Welt, wobei ich allerdings bezweifle, dass es in Jugoslawien beispielsweise besonders viele Autokinos gibt. Denkt mal einen Augenblick drüber nach. Räumt euren Verstand frei, und probiert mal, euch ein Autokino vorzustellen, das groß genug ist, viertausend Autos zu fassen. Ich meine, denkt echt mal drüber nach.

Viertausend.

Auf dem Weg zum Orbit kamen wir durch Ortschaften, die nicht einmal so viele Einwohner hatten.

Und bedenkt, dass jedes dieser viertausend Autos im Schnitt mit zwei Leuten besetzt war, oft sogar mehr – abgesehen von denen, die sich im Kofferraum versteckten –, dann reden wir nämlich über eine ganze Menge Autos und Leute.

Und dann im Innern des Autokinos – könnt ihr euch sechs riesige Drive-In-Leinwände vorstellen, sechs Stockwerke hoch, mit sechs verschiedenen Filmen, die alle gleichzeitig laufen?

Selbst wenn ihr euch das alles vorstellen könnt, habt ihr nicht die geringste Chance – es sei denn, ihr wärt dabei gewesen –, euch vorzustellen, was da abging, sobald Freitagnacht war, jedes Ticket zwei Mäuse kostete und die Autos sich in Reih und Glied aufstellten, in Erwartung der All-Night-Horror-Show: sechs Leinwände, von denen sich eimerweise Blut und eine Dezibel-Exzess-Flut von Geschrei ergossen, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang.

Sehet dies, o meine Brüder:

Eine kühle, knisternde Sommernacht, die Sterne über Texas scheinen auf uns herab wie Klapperschlangenaugen, die aus einem tiefen, dunklen Wald hervorleuchten.

Eine Schlange Autos, die sich wie eine schäbige Halskette vom Kartenkiosk bis zur Autobahn über mindestens eine Meile erstreckt.

Autohupen blasen Fanfaren.

Kinder kreischen.

Moskitos summen.

Aus einem Cassettendeck singt Willie Nelson von blauen Augen, die im Regen weinen; er singt um die Wette mit Hank Williams Jr., Johnny Cash, ZZ Top, The Big Boys, The Cars und Country Bob and The Blood Farmers und einigen Gruppen und Sängern, die man nicht erkennt.

Und alles fließt ineinander als metallisch-samtener Dunst, bis eine ganz bestimmte Musik daraus wird: die Autokino-Hymne, ein Choral kultureller Wirrnis.

Und sagen wir mal, euer Auto befindet sich in der Mitte der Warteschlange, und klar wie euren ersten guten feuchten Traum erblickt ihr hoch oben das Symbol des Orbit – einen großen silbernen Globus mit einem Saturnring, der sich auf einem nach oben spitz zulaufenden Betonpfeiler dreht, der gut hundert Fuß über dem Kartenkiosk in die Luft ragt; kleine blaue und weiße Feenlichter blinken auf; wechselnde Farben auf eurer Windschutzscheibe. Blau. Weiß. Blau. Weiß.

Allmächtiger Gott, was für ein Anblick! Als sähe man den Herrn des Rummels, den Dunklen Gekrönten Fürsten des Blutes, Gemetzels und billigen schlechten Popcorns von Angesicht zu Angesicht. Den Gott der All-Night-Horror-Show höchstpersönlich.

Ihr fahrt weiter, mitten hinein in diese freitagnächtliche Revue, diese texanische Institution der Hohen Kunst der Party, Sexualerziehung und des Wahnsinns, und ihr seht Leute, die sich verkleidet haben, als wäre Halloweennacht (und es ist Halloweennacht, jede Freitagnacht im Orbit), Leute, die brüllen, schwatzen, fluchen und alles in allem die Hölle entfesseln.

Ihr parkt euer Auto und geht zum Kartenkiosk. Innen ist er mit alten Horrorfilmplakaten dekoriert, mit Plastiktotenschädeln, Gummifledermäusen und künstlichen Spinnweben. Und dann gibt’s da dieses Zeug namens »Bloody Corn«, das einen Vierteldollar mehr kostet als normales Popcorn und einfach nur gewöhnliches, mit roter Lebensmittelfarbe gefärbtes Popcorn ist. Das kauft ihr euch und dazu eine Riesen-Coca-Cola, vielleicht ein paar Erdnüsse und genug Süßigkeiten, um damit einen Zuckerkranken ins All zu schießen.

Jetzt seid ihr so weit. Die Filme fangen an. B-Movies, Low-Budget-Streifen. Eine ganze Menge von denen wurde mit nur wenig mehr gedreht als einem bisschen Kodak, Spucke und einem Gebet. Und wenn Ihr genug von diesem Kram gesehen habt, dann entwickelt ihr einen Geschmack dafür, etwa so, wie wenn man anfängt, Sauerkraut zu mögen.

Ins Bild hängende Mikrofone, miese schauspielerische Leistungen und das Brunftgetue von Monstern in Gummikostümen, die Frauen jagen, nicht um sie zu verspeisen, sondern um sich mit ihnen zu paaren – solches Zeug wird irgendwann zu einem echten Vergnügen.

Man jubelt und schlottert gleichzeitig, wenn ein Monster eine schreiende Frau am Strand oder im Gehölz angreift, während einem der Reißverschluss auf dem Rücken des Monsters zuzwinkert wie das blitzartige, betrunkene Grinsen der Katze aus Alice im Wunderland.

So sieht’s aus. Eine Art Gesamtpanorama der All-Night-Horror-Show im Orbit.

Das also zog mich und die Gang jede Freitagnacht dorthin wie Christen zum Abendmahl; gereicht wurden Popcorn und Coke anstelle von Wein und Hostie.

Jawohl, Sir, o meine Brüder, das Orbit war wirklich was Besonderes. Es war romantisch. Es war gesetzlos. Es war irre. Und schließlich war es tödlich.

TEIL I

DIE ALL-NIGHT-HORROR-SHOW

(Mit Popcorn und Komet)

1

Ich schätze, das hier wird sich letzten Endes lesen wie eine verseuchte Version dieser bescheuerten Aufsätze, die man in der Schule jeden Herbst nach den Sommerferien schreiben muss. Ihr wisst schon, »Wie ich meine Sommerferien verbrachte«. Nun, ich kann’s nicht ändern.

Hier, glaube ich, hat es angefangen.

Es war Samstagmorgen, der Morgen nach einer Nacht im Orbit. Wir fuhren zurück nach Mud Creek und rochen nach Bier, Popcorn und Schokoriegeln.

Unsere Blicke waren vernebelt, unsere Hirne genauso, wenn nicht noch mehr. Aber wir waren zu aufgekratzt oder vielleicht auch nur zu bekloppt, um nach Hause zu fahren. Also machten wir das, was wir immer machten. Wir fuhren rüber zum Billardsaal.

Der Billardsaal, auch Dans Schuppen genannt, war ein hässlicher Laden in einem hässlichen Viertel eines insgesamt ziemlich hübschen Städtchens. Aus diesem Viertel hörte man von Messerstechereien und dass sich Armut dort breitmacht, man erfuhr was über 20-Dollar-Frauen, schwarz gebrannten Whisky und die Drogendeals von Mud Creek.

Dans war ein Billardsaal für Leute, die gerne Bier tranken, und neben den Billardtischen gab’s da ’ne Bar. Theoretisch wurde in dem Schuppen kein Bier vor dem Nachmittag ausgeschenkt, aber bei Dan und den Kerlen, die zu ihm kamen, haperte es mit der Theorie.

Ein paar Männer standen rum, als wir an diesem Morgen reinkamen. Die meisten waren über vierzig oder noch älter und hatten ihre Bierflaschen vorm Hals und ihre Hüte auf den Köpfen oder auf den Barhockern neben sich. Die, die keine Cowboyhüte und -stiefel trugen, hatten blaue oder graue Arbeitsoveralls an und ausgelatschte Arbeitsstiefel an den Füßen, und egal, wie leise man auch reingeschlichen kam, diese Typen schienen einen auf jeden Fall zu hören, um sich dann immer umzudrehen und einen missbilligend anzustarren.

Minderjährige hätten eigentlich keinen Zutritt zu dem Schuppen haben dürfen, aber warum sollten wir es weitererzählen? Oder Dan? Nicht dass er uns etwa gemocht hätte, aber unser Geld fürs Poolspielen hat er gemocht, und dann und wann, wenn er seinen mutigen Tag hatte und wir auch, erlaubte er uns, ein Bier zu bestellen, als ob er nicht gewusst hätte, dass wir dazu noch zu jung waren.

Es war nämlich so: Irgendwie gab er uns immer zu verstehen, dass er zwar unser Geld nehmen würde, aber gleichzeitig nichts dagegen hätte, uns einfach nur so zum Spaß umzubringen. Und man nahm es ihm ab, dass er fähig war, uns fertigzumachen, ohne gleich ’nen Schweißausbruch zu kriegen. Er war fett, aber auf eine solide, stämmige Art, als befände sich ein großer eiserner Waschkessel unter seinem zu engen T-Shirt. Und seine Arme waren massig. Keine Bodybuilderarme, sondern Arbeiterarme; Arme, die echte Arbeit getan hatten: Besoffene rausgeworfen und, nach dem, was man so gehört hatte, Ehefrauen verdroschen. Er hatte irgendwie komische Knöchel; Knöchel, die Gesichter verformt hatten, als wären sie aus Knete, und die dabei selber verformt wurden.

Trotz allem gingen wir da rein wie Männer, die zu einer Selbstmordmission fest entschlossen waren. Es gab Dinge an diesem Ort, die uns magnetisch anzogen. Die einen unwiderstehlichen Reiz ausübten. Es war verboten, dorthin zu gehen, und das war verlockend. Gab uns ein Gefühl von Männlichkeit. Gefahr hing in der Luft wie ein Schwert an einem Haar, und solange das Haar nicht reißen und die Klinge nicht runtersausen würde, bedeutete das Nervenkitzel.

Bei Dans trafen wir Willard. Sahen ihn, als wir zum ersten Mal dort reingingen, ungefähr zu der Zeit, als wir anfingen, zum Autokino zu fahren. Schätze mal, wir waren der Ansicht, dass es, wenn wir schon die ganze Nacht wegbleiben durften, dann auch okay war, rüber in den verrufenen Teil der Stadt zu fahren, um Pool zu spielen. Vielleicht auch ein bisschen über die 20-Dollar-Frauen zu reden, über die zu reden wir uns aber eigentlich nie trauten (wir waren uns nicht mal sicher, ob wir je eine von denen gesehen hatten), aus Angst, wirklich Geld ausspucken und es vor allem dann auch bringen zu müssen. Keiner von uns war sich sicher, dass er das wollte. Wir hatten vage Geschichten über Viren und fleischfressende Insekten gehört, die wie Sauerteig in den Schamhaarbüschen der 20-Dollar-Frauen gediehen, und wir hatten so eine Ahnung, dass diese Frauen so viele Tricks draufhatten und wir nur so wenige, dass die billigen kleinen Hotelzimmer, in denen wir unsere finanziellen Transaktionen vorzunehmen gedachten, eher von weiblichem Hohngelächter als von Erfolg versprechendem Quietschen der Bettfedern widerhallen würden.

Aber der Poolsaal und die Möglichkeit eines unnatürlichen, gewaltsamen Todes beunruhigten uns weniger als Peinlichkeiten auf sexuellem Gebiet. Also gingen wir an Samstagen hin, um Pool zu spielen und Willard dabei zuzusehen, wie er das Gleiche tat.

Auf den ersten Blick sah Willard echt mickrig aus. Aber bei genauerem Hinsehen bemerkte man, dass er lang, schlank und muskulös war. Wenn er sich über den Pooltisch beugte und das Queue über seinen Daumen gleiten ließ, konnte man das Spiel der Muskeln unter seiner Haut beobachten. Dabei bewegten sich die Tattoos auf seinen Bizepsen blitzschnell vor und zurück wie Reklametafeln, die man auf dem Highway bei Höchstgeschwindigkeit an sich vorbeirasen sieht. Die linke Tätowierung buchstabierte die Losung KICK ASS, und die rechte lautete EAT PUSSY. Es war klar, dass er beides beherrschte, und das wahrscheinlich ziemlich gut.

Aber irgendwie war Willard ein netter Kerl. Und klug, wenn auch nicht, wie man so sagt, klassisch gebildet. Biologisch gesehen, war er etwa drei Jahre älter als wir; was die Erfahrung betraf, war er uns um zehn Jahre voraus.

Das war einer der Gründe, warum wir uns gern in seiner Nähe aufhielten. Er gab uns Einblicke in eine Welt, die wir normalerweise nicht zu Gesicht bekamen. Keine, in der wir hätten leben wollen, aber doch eine, die wir erforschen wollten.

Und ich glaube, Willard mochte uns aus umgekehrtem Grund. Wir konnten noch über was anderes reden als über Bier, Frauen und die Fabrik, in der er die ganze Woche über und auch samstagnachmittags schuftete und Gartenmöbel aus Aluminium herstellte.

Von uns brauchte keiner zu arbeiten. Unsere Eltern sorgten für uns, und wir waren alle fit fürs College. Hatten Träume und eine realistische Chance, dass sie in Erfüllung gehen würden, und ich glaube, Willard wünschte sich, dass einige von diesen Hoffnungen auf ihn abfärben würden.

Wir wussten nicht viel über ihn. Nur so viel, dass sein Vater glaubte, der Junge sähe ihm überhaupt nicht ähnlich, und irgend so ein Medizinmann aus Louisiana hatte dem Alten erzählt, der Junge sei verflucht, und da Willards Mutter, Marjory, sich mit merkwürdigem Kram abgab – sie glaubte an alte Götter und so voodoomäßiges Zeug –, machte ihn das nur noch misstrauischer. Mit dem Ergebnis, dass der Alte verduftete, bevor das Baby krabbeln konnte. Die Baptisten der Stadt bedauerten daraufhin zutiefst, aber Willard und seine Mutter seien nun nicht mehr Teil ihrer Show, und, um die Wahrheit zu sagen, Willards Mutter war nicht gerade ein Hauptgewinn. Sie hat sich dann später mit einem Mann zusammengetan, der einen kranken Rücken und einen regelmäßigen Scheck vorzuweisen hatte, und als der sich aus dem Staub machte, hängte sie sich an einen anderen dran, mit Haltungsschaden und einem festen Einkommen vom Staat.

Das wurde dann zu einer Art Muster. Männer mit Rückenschäden und Krankengeld. Es verschaffte Marjory ihre Zigaretten und Willard seine Wegwerfwindeln. Aber als Willard sechzehn wurde, schenkte sie ihm zum Geburtstag ein »Goodbye« und die Straße – ein Ort, an dem er sowieso schon eine Menge Zeit verbrachte. Marjory ging fort, Gott weiß, wohin – wahrscheinlich in eine neue Stadt voller kranker Rücken und Rentenzahlungen –, und Willard fing an, sich auf bestmögliche Art durchzuschlagen. Ging von der Schule ab, sobald er alt genug war, und hielt sich mit Aushilfsjobs über Wasser, von denen der beste der eines Filmvorführers in einem der alten Kinos gewesen war. Als er achtzehn wurde, nahm er den Job in der Aluminiumstuhlfabrik an.

In der kurzen Zeit, die ich ihn kannte, war mir ziemlich klar geworden, dass er mehr wollte als das, irgendwas von Bedeutung, irgendwas, was ihm in den Augen der Leute aus der besseren Gegend Achtung verschaffen würde, obwohl ich bezweifle, dass er das zugegeben hätte – wahrscheinlich nicht mal sich selbst gegenüber.

Aber zurück zum Thema. Wie gesagt, an diesem Morgen kamen wir in den Poolsaal, und da stand Willard in seiner typischen Haltung, über den Tisch gebeugt, das Queue im Anschlag, eine Kugel fixierend.

Sein Mitspieler war ein Kerl, den wir schon ein paarmal gesehen, es jedoch vermieden hatten, mit ihm zu reden. Sein Name war Bear, und man musste nicht lange darüber nachgrübeln, warum er so genannt wurde. Er war fast zwei Meter groß, hässlich wie die Pest, hatte rotbraunes Haar und einen Bart, der gnädigerweise den Großteil seiner Fratze verdeckte. Das Einzige, was deutlich zu erkennen war, waren zwei fiese blaue Augen und eine Fledermausnase, die für ein paar gewirkte Nasenhaare die Garage abgab. Nasenhaare, die dick genug waren, um als Klaviersaiten Verwendung zu finden. Dieselbe wirre Wolle, die aus seiner Nase hing, bedeckte auch seine Arme und kroch aus der Halsöffnung seines T-Shirts, um sich dort unentwirrbar mit seinem Bart zu vermengen. Was von seinen Lippen zu erkennen war, erinnerte mich an diese Gummiwürmer, die von Anglern benutzt werden, und es hätte mich nicht gewundert, silbrig glänzende Angelhaken dort zu entdecken oder herauszufinden, dass Bears ganze Gestalt aus verwesendem Fleisch, Draht, dem Inhalt einer Werkzeugkiste und einer Criscodose zusammengeschustert worden war.

Rock ’n’ Roll schepperte aus der Jukebox – eine Seltenheit bei Dans, wo überwiegend Country & Western gespielt wurde –, und Randy ging rüber, um sich dort anzulehnen. Nicht nur, weil ihm gefiel, was der Kasten spielte, es brachte ihn auch näher an den Ausgang.

Als Schwarzer hatte Randy so seine Probleme, in einem Billardschuppen rumzuhängen, der voller Rednecks war. Selbst wenn er Bob dabeihatte, der einen zahnstocherverzierten Cowboyhut und Schlangenhautstiefel trug und Schnupftabak nahm. Und dann war ich noch da, Mr. Durchschnitt und Jedermanns Freund.

Randy war nicht der einzige Schwarze, der diesen Laden besuchte (obwohl, er war beinahe der Einzige), aber auf jeden Fall war er der einzige magere, eins sechzig große Typ mit scheinwerferdicken Brillengläsern und Minderwertigkeitskomplexen.

Zumindest, und das ist das Allerwichtigste, war er an diesem gewissen Morgen der einzige Schwarze.

Ich nehme an, wenn Bob und ich uns wirklich mal ernsthaft Gedanken darüber gemacht hätten, was wir ihm als Mitglied unserer »Gang« alles zumuteten, wären wir wahrscheinlich gar nicht erst reingegangen.

Was nicht heißt, dass Bob und ich nicht nervös gewesen wären. Wir waren es. Wir fühlten uns wie Gänseblümchen gemessen an diesen Typen. Aber es gab da diesen Reiz, von dem ich vorhin geredet habe, und dann unsere mit aller Macht aufkeimende Männlichkeit, mit der wir zu kämpfen hatten beim Versuch, sie zu definieren.

Als Willard sich nach seinem Stoß aufrichtete, nickte er uns knapp zu, und wir nickten zurück, suchten uns Plätze zum Anlehnen und Zuschauen.

Bear spielte nicht gut. Er war leicht gereizt. Man merkte das, obwohl er kein Wort sagte. Er hatte kein Pokerface.

Bear beugte sich über den Tisch, führte seinen Stoß aus und verfehlte das Ziel.

»Verdammt«, sagte er.

Willard zwinkerte uns zu, stieß erneut, redete, während er spielte. Er war kein hitziger Spieler. Er mochte es, Witze zu reißen und uns nach den Filmen zu fragen, die wir gesehen hatten. Er wusste, was wir so trieben.

Er interessierte sich für Spezialeffekte oder tat zumindest so, und es gefiel ihm, mit Randy darüber zu quatschen. Randy war der zuständige Fachmann; er hatte vor, Maske und Spezialeffekte zu machen, wenn er mit dem College fertig war. Und von Anfang an war da etwas zwischen den beiden gewesen. Eine Art Kameradschaft. Ich vermute, Willard sah in Randy das Intellektuelle, das er gern gehabt hätte, und Randy sah in Willard die Erfahrung der Straße und Stärke. Wenn sie zusammen waren, kam es mir vor, als fühlten sie sich als Ganzes, und es gab das Bedürfnis, mehr über den anderen zu erfahren.

Willard war eine ganze Weile am Zug, bevor er zum ersten Mal das Ziel verfehlte.

Bear verschätzte sich.

»Verdammt.«

Willard quatschte weiter mit Randy, machte drei weitere Stöße, bevor er einen Fehltreffer hatte, und selbst dieser Stoß ging nur knapp daneben. Er drehte sich um, schnappte sich sein Bier vom Rand des Billardtisches und nahm einen tiefen Schluck.

»Gib alles, Bear«, sagte er.

Bear verzog einen Mundwinkel, präsentierte uns ein paar hässliche Zähne und stieß zu.

Er verpatzte es.

»Verdammt.«

Willard stellte das Bier ab, ging um den Tisch herum und stieß die Kugel, quasselte dabei die ganze Zeit mit Randy, fragte ihn nach einer Blut-Sprudel-Technik, die er in einem Trashstreifen im Fernsehen gesehen hatte, und Randy erklärte ihm, wie man so was macht. Und wenn diese beiden miteinander redeten, zählte niemand sonst für sie. Man hätte glauben können, Yin und Yang hatten zueinandergefunden, zwei füreinander bestimmte Liebende hatten einander endlich entdeckt und erfüllten den Willen der Götter.

Willard versenkte eine Kugel, verfehlte die nächste.

Bear grunzte, stieß zu.

Daneben.

»Verdammt.«

Während er sich aufrichtete, drehte er den Kopf langsam in Willards Richtung. »Hey, Willard. Schick deinen Schoßnigger woandershin, ich versuche, hier ein Spiel zu machen, und der quatscht mir rein.«

Es gab eine lange Pause, in der die Jahreszeiten zu wechseln schienen, und Willard stand ruhig da, ausdruckslos, und starrte Bear an. Aber Bear sah Willard nicht an.

Er glotzte zu Randy. Randys rechter Fuß wippte nach rechts und links, als überlegte Randy, davonzurennen, aber er war zu erschrocken, das Risiko einzugehen. Er war wie festgenagelt und schmolz wie weiche Schokolade unter Bears Blick.

»Vielleicht rubbel ich deinen Kopf, so als Glücksbringer«, sagte Bear. »Weißt du, mit meinen Knöcheln. Aber vielleicht reicht das gar nicht. Vielleicht reiß ich ihn dir ab und trag ihn als Glücksbringer an ’ner Kette um den Hals. Wie hört sich das an, Nigger? Gefällt dir das?«

Randy sagte kein Wort. Seine Lippen zitterten, als ob er was sagen wollte, aber es kam nichts raus. Sein rechter Fuß scharrte vor und zurück, unfähig, irgendeine Richtung einzuschlagen.

»Der Junge hat dir nichts getan«, sagte Willard.

»Hat gequatscht, während ich gespielt hab.«

»Hab ich auch getan.«

»Hab ich nicht vergessen. Halt besser die Fresse, wenn ich’s vergessen soll.«

Er und Willard sahen einander eine Weile an, dann drehte sich Bear wieder zu Randy um.

»Wird nicht lange wehtun«, sagte er und steuerte auf Randy zu.

»Lass ihn zufrieden«, sagte Willard und klang dabei fast höflich.

»Ich warne dich, Willard. Halt dich da raus. Geh mir aus dem Weg.«

Die Jahreszeiten wechselten wieder, als sie einander anstarrten, und für uns war der richtige Moment gekommen, um davonzurennen, aber wir taten’s nicht. Wir konnten nicht. Wir waren festgefroren.

Ich sah mich nach Hilfe um. Dan war im hinteren Teil des Schuppens. Und obwohl ich bezweifelte, dass er für uns Partei ergreifen würde, war ich mir verdammt sicher, dass er sein Eigentum schützen würde, wenn er annehmen musste, dass es zu Bruch gehen könnte.

Ich hatte gehört, dass er mal jemandem den Kiefer zertrümmert hatte, weil der aus Versehen einen Aschenbecher zerbrochen hatte.

Aber Dan kam nicht raus, und die anderen Kerle an der Bar sahen eher neugierig als hilfsbereit aus. Sie hofften, ein bisschen Blut zu sehen, und wollten wohl kaum, dass es ihr eigenes war. Ein paar von ihnen fischten nach Zigaretten und zündeten sie an, nur falls das, was Bear vorhatte, eine Weile dauern würde.

Bear reckte die Fäuste und knurrte Willard an.

»Also, wie sieht’s aus?«

Wir hielten die Luft an.

Willard lächelte. »Okay, Bear. Er gehört dir.«

2

Bear fletschte seine hässlichen Zähne und näherte sich Randy, dabei sagte er: »Schau’n wir mal, wie du hüpfst, kleiner Nigger.«

Ich war entschlossen, einzugreifen. Ich schwör’s. Bear oder nicht, ich wollte irgendwas versuchen, selbst wenn mich das den Kopf gekostet hätte. Bob ging’s genauso. Ich konnte fühlen, wie er sich neben mir anspannte, sich auf den Sprung vorbereitete. Kamikaze-Angriff.

Aber wir bekamen keine Chance, zerfetzt und rausgeschmissen zu werden.

Willards Queue sauste durch die Luft, und das dünne Ende erwischte Bear im Nacken. Es gab ein knackendes Geräusch wie beim Durchladen eines Kleinkalibergewehrs, dann zersplitterte das Queue in sämtliche Himmelsrichtungen.

Bear drehte sich nach Willard um und lächelte.

Er lächelte irgendwie milde.

»Oh, Kacke«, flüsterte Willard, und sein Gesicht wurde traurig und aschfahl.

»Hast dich doch eingemischt, was, Bruder«, sagte Bear.

Aber Willard wirbelte den Überrest des Queues in der Hand herum und landete mit dem dicken Ende einen harten Treffer auf Bears Nase. Bear stolperte ein bisschen, keine große Sache, aber ein bisschen.

Willard schwang erneut das Queue. Diesmal hatte er genügend Schwung. Als er Bear seitlich am Kopf traf, war es, als ob Reggie Jacksons Baseballschläger einen sauberen, gut angeschnittenen, schnellen Ball getroffen hätte. Der Schlag zwang Bear doch tatsächlich, sich auf den Zehenspitzen aufzurichten und nach Steuerbord zu neigen.

Aber der Bastard ging nicht zu Boden.

Willard ließ das abgebrochene Stück Queue fallen, platzierte die Linke, schlug Bear wieder und wieder auf das garagenbreite Kinn. Blut schoss aus Bears Nasenlöchern und sickerte in seinen Bart. Bear versuchte zurückzuschlagen, aber Willard tauchte geschmeidig nach rechts weg und versetzte ihm einen linken Haken, der Bear auf den Pooltisch warf. Als ob er gefedert wäre, katapultierte ihn sein breiter Hintern wieder hoch, und Willard verpasste ihm noch eine Kombination. Als Bears winziges Hirn registrierte, dass sein Gesicht gerade in rote Schinkenstreifen verwandelt wurde, versuchte er es mit einer panisch ungezielten Rechten, aber die ging meilenweit daneben.

Willard wich dem Hieb aus, und der Luftzug, der dem Schlag folgte, fönte ihm die Frisur nach hinten. Dann ging er mit einer rechten Geraden auf Bear los, die das bereits zertrümmerte Nasenbein traf, und schickte einen linken Haken in die Nieren hinterher, der einen nassen Fleck am Hosenschlitz des Monsters hervorrief. Wieder kam die Rechte, diesmal als Uppercut, mit genügend Durchschlagskraft und dem richtigen Kaliber. Sie traf Bears Kinnlade und schickte ihn wieder auf den Pooltisch.

Bears Füße schossen in die Höhe. An der Kante des Tisches sackten sie jedoch ab, als ob seine Hosenbeine mit Stroh ausgestopft wären. Willards Hieb erzeugte ein Echo im Billardsaal, während Bears Kinn und sein halber Unterkiefer die Farbe von verdorbenem Obst annahmen. Blut strömte aus seiner Nase, über seinen Bart und auf das Billardtuch.

Willard saugte an seiner Faust und rollte ein bisschen hin und her. »Scheiße, tut das weh.«

Dan war aus dem Hinterzimmer gekommen, als Willard seinen ersten Treffer gelandet hatte, aber er hatte keine Anstalten gemacht, den Kampf zu unterbrechen. Stand einfach nur da, stirnrunzelnd und mit verschränkten Armen. Aber jetzt, da der Spaß zu Ende war und er sich über ein zerbrochenes Queue und einen blutbespritzten Tisch beschweren konnte, ließ er seine Wut raus.

»Das ist ’n nagelneues Queue gewesen«, rief er, als er rüberkam.

»Jetzt nicht mehr«, sagte Willard.

»Und jetzt blutet der feiste Drecksack mir den verdammten Pooltisch voll.«

»Das bring ich in Ordnung.« Willard griff Bear am Stiefel und zog ihn vom Tisch. Bear fiel auf den Boden. Er gab einen Grunzlaut von sich, als er auf die Bretter schlug, das war alles.

»Das Blut kann man leicht vom Boden wischen«, sagte Willard. »Das Queue bezahle ich.«

»Allerdings wirst du’s bezahlen. Zwanzig Dollar.«

Willard zählte zwanzig ab und gab sie Dan. »Bitte sehr.«

»Verpisst euch«, sagte Dan. »Hättest du die Jungs hier nicht reingeschleppt, wär nichts passiert.«

»Wir sind auf unseren eigenen Beinen reinspaziert«, berichtigte ihn Bob.

»Halt die Klappe, Junge«, sagte Dan und warf Randy einen Blick zu. »Hier ist kein Treff für Farbige. War keine gute Idee, hier reinzuschauen, kapiert, mein Sohn?«

»Ja, Sir.«

»Vergiss die Sir-Scheiße!«, rief Willard. »Ist ’n freies Land, oder?«

Dan betrachtete Willard aufmerksam. »Wenn man groß genug ist, ist es ein ziemlich freies Land, ja. Gut, jetzt hast du das Queue bezahlt, was ist mit dem Tisch?«

»Was soll damit sein?«

»Das Blut hinterlässt Flecken.«

»Nimm kaltes Wasser.«

»Ach, verschwinde, du kleiner großmäuliger Klugscheißer. Mach, dass du rauskommst, und komm nicht wieder. Nimm diese Figuren mit, und seht zu, dass keiner von euch je wieder in meinem Türrahmen auftaucht.«

»Kein Problem«, sagte Willard, »werde dieses erstklassige Lokal kaum vermissen.«

»Es wird dich auch nicht vermissen«, sagte Dan und trat Bear ein paarmal in die Rippen. »Du auch. Steh jetzt auf, verschwinde.« Bear bewegte sich nicht. »Armseliges Stück Dreck.«

Wir gingen fort, während Dan Bear immer noch trat und Bear sich immer noch nicht bewegte.

Draußen sagte Bob: »Tut mir leid, dass er dich wegen uns rausgeschmissen hat.«

»Macht gar nichts. Hat mich sowieso angeödet. Wenn man’s genau nimmt, ödet mich die ganze Stadt an. Sie stinkt. Ich glaube nicht, dass ich noch lange hierbleibe. Bin gestern gefeuert worden, und ich denke, ich kann jetzt genauso gut aus diesem Rattennest abhauen. Im Ernst, bin sogar froh, dass ich diesen verdammten Job nicht mehr habe. Es war wie Arbeit in der Hölle. Hab mich immer gefühlt, als ob ich Gartenmöbel für Satan persönlich schmiede. Jetzt bin ich frei, kann dahin gehen, wo’s besser ist, und einen guten Job finden, was mit Zukunft. Kommt mir so vor wie ’n Wendepunkt, dass ich diesen Job verloren hab, und als ob es von jetzt an aufwärts geht.«

Wir standen da und wussten nicht, was wir antworten sollten. Willard schaute ein paar vorbeifahrenden Autos nach, fischte nach einer Zigarette und zündete sie an. Er nahm ein paar Züge, bevor er wieder sprach.

»Würde gern noch dieses Drive-In sehen, wo ihr immer hinfahrt, bevor ich hier endgültig abhaue. Was meint ihr? Kann ich am Freitag mitkommen?«

»Klar«, sagte ich. »Sicher. Wieso nicht? Wir fahren um fünf los. Wo sollen wir dich abholen?«

»Larrys Werkstatt. Da steht meine Maschine.«

»Klingt gut«, sagte Bob. »Wir holen dich mit meinem Truck ab.« Er zeigte auf den Wagen, der auf dem Parkplatz stand.

»Den kenn ich«, sagte Willard. »Ich halt nach euch Ausschau.«

»Gut«, sagte Bob.

»Willard?«, sagte Randy.

»Ja, Kleiner.«

»Danke, dass du nicht zugelassen hast, dass man mich ermordet oder sonstwie verstümmelt.«

Willard hätte fast gelacht. »Sicher, Kleiner. Ist schon okay. Hab eben mitbekommen, dass deine Kumpels dabei waren, sich einzumischen, wollte ihnen den Spaß aber nicht allein überlassen.«

»Großzügig von dir«, sagte ich, »wenn man bedenkt, dass Bear härter atmet, als wir zuschlagen.«

»Vergesst es. Hab mir immer gedacht, ich könnte ihn umhauen. Jetzt weiß ich es.«

Wir begleiteten Willard zu seiner Maschine. Er stieg auf und schnippte seine Zigarette in den Rinnstein. Randy streckte die Hand aus, und Willard schüttelte sie lange. Dann nickte er uns zu, ließ den Motor an und fuhr davon. Randy stand da, mit ausgestreckter Hand, als ob er immer noch Willards Hand schütteln würde. Willard drehte nicht mal den Kopf, um zu sehen, ob wir ihm nachsahen. Mann, der wusste, dass er cool war.

3

Als ich am Freitagmorgen erwachte, stachen mir die grellfarbigen Paperbacks in dem kleinen Regal am Kopfende meines Bettes in die Augen. Die Sonne schien durchs Fenster und ließ die roten und gelben Rücken der Bücher über Astrologie und Numerologie doppelt so hell aufleuchten. Es war nicht der erste Morgen, an dem ich aufwachte, sie dort sah und sie hasste, weil sie mich im Stich gelassen hatten. Ich hatte versucht, an die kleinen Mistviecher zu glauben, aber das Leben und die Wirklichkeit straften sie Lügen, und ziemlich bald war ich gezwungen zu begreifen, dass die Planeten sich einen Dreck um mich scherten und Zahlen bloß Zahlen waren, außerdem, bei Licht besehen, ziemlich öde. Es war fast so wie Selbstbestrafung, dass ich sie da liegen ließ, und als ob mein Körper wusste, wie er sich im Schlaf an den Bettrand drehen musste, damit mein Blick gleich auf sie fiel, wenn ich aufwachte, und ihre grellen Einbände mich anspringen konnten und mich daran erinnerten, dass ich Geld dafür ausgegeben hatte und irgendein beknackter Schreiberling die Honorare, die er dafür bekommen hatte und die zum Teil von mir stammten, für Bier und Frauen verschleuderte, während ich seine Bücher las und Tabellen zeichnete und rauszufinden versuchte, wie ich sie anwenden konnte, um das richtige Mädchen zu finden und die Geheimnisse des Universums offenbart zu kriegen.

Wenn ich schon dabei war, mich zu bestrafen, konnte ich mich auch gleich im Bett aufsetzen, damit ich sämtliche Buchrücken im Blickfeld hatte und mich so richtig mies fühlte. Da standen auch noch Bücher über fernöstliche Religionen, bei denen es hauptsächlich darum ging, den Daumen mit dem Zeigefinger zu berühren, sich ein Bein um den Hals zu wickeln und irgendwelche bescheuerten Gesänge zu jaulen. Es gab da sogar eins von diesen modernen Büchern, das mir weismachen wollte, ich glaubte bloß, ein Trottel zu sein, während ich in Wirklichkeit gar keiner war. Es liege bloß an den andern, und ich selber sei ein ziemlich helles Köpfchen. Das Buch hatte mir am besten gefallen, bis mir klar geworden war, dass auf diese Weise jeder, der sich ein Paperback kaufen konnte, ein ziemlich helles Köpfchen war. Das hatte mir irgendwie die Luft aus den Reifen gelassen.

Das einzige Buch, das nicht auf diesem Regal stand, war eins, in dem beschrieben wurde, wie man aus Hühncheninnereien die Zukunft lesen konnte, und wenn es das zu kaufen gegeben hätte, hätt’s auch dort gestanden.

Ich konnte mir nicht erklären, warum ich dauernd auf dieses Zeug reinfiel. Ich war nicht unglücklich, aber die Vorstellung, dass alles reiner Zufall sein sollte, passte mir nicht, schien irgendwie nicht richtig zu sein. Und mir gefiel auch die Urknalltheorie nicht. Sie war ’ne Enttäuschung, erinnerte mich eher an ein missglücktes Laborexperiment, bei dem irgendwas Unerwartetes rausgekommen war. Ich wollte, dass die Dinge bewusst so gemacht worden waren, dass es irgendeine herrschende Macht gab, die einen Sinn für Ordnung hatte. Jemand oder etwas da oben, der oder das Aufzeichnungen machte und Akten anlegte.

Ich nahm an, dass ich das richtige Buch einfach noch nicht gefunden hatte. Ich stieg aus dem Bett, nahm einen Müllsack aus dem Schrank und fegte die ganzen Dinger vom Regal in den Sack. Ich ging runter und warf sie zum Müll im Waschraum, dann ging ich in die Küche. Mom war drin und jagte den Scheiß, den sie Frühstück nannte, durch den Mixer. Es roch wie nasse Hundehaare und verschimmelte Zeitungen.

»Möchtest du Eier und Schinken?«, fragte sie und lächelte.

Sie stand da in ihren Tennisklamotten, das lange blonde Haar zurückgekämmt und mit einem Gummiband zusammengebunden. Ich bin sicher, irgendein Hinterhofpsychologe wird daraus ’ne Ödipusgeschichte zimmern, aber darauf pfeif ich. Meine Mom sieht verdammt gut aus. Sie fing an, die übel riechende Plörre aus dem Mixer in ein Glas zu schütten.

»Also, das Zeug will ich jedenfalls nicht«, sagte ich. »Und wenn ich du wäre, würde ich mal nachschauen, ob letzte Nacht eine Kakerlake oder eine Ratte in diesem Mixer krepiert ist.«

Sie verzog das Gesicht. »Riecht übel, was?«

»Allerdings. Wie schmeckt es?«

»Wie Scheiße.«

Ich nahm ein paar Zimthörnchen aus dem Kühlschrank. »Nehmen wir doch die.«

Sie tätschelte ihren flachen Bauch. »Nee. Ich muss meine mädchenhafte Figur bewahren. Sonst sterbe ich beim Tennisspielen. Und es gehört sich nicht, auf dem Platz zu sterben.«

»Du würdest nicht mal ein Pfund zunehmen, wenn du Gummischuhe tragen würdest.«

»Dafür darfst du dir jetzt zwei Knochen stärkende, nahrhafte Zimthörnchen genehmigen, und obwohl ich diesen Müll normalerweise nicht essen, meinen Körper niemals mit diesen üblen Chemikalien und Zuckerstoffen verschmutzen würde, werde ich, aus gegebenem Anlass und da ich weiß, wie sehr du es hasst, alleine zu essen, eine Ausnahme machen.«

»Vorausgesetzt, du beendest jemals deine Rede.«

»Exakt.«

Sie setzte sich zu mir und aß vier Hörnchen und trank drei Tassen Kaffee. Als sie fertig war, schmatzte sie mit den Lippen. »O Gott, jede schreckliche Minute davon habe ich gehasst. Jeder Bissen war eine Qual, Säure auf meinen Lippen. Welche Opfer Mütter doch für ihre Kinder bringen.«

Dad kam runter. Er trug einen alten braunen Bademantel, den Mom hasste. Sie hatte mal versucht, ihn wegzuschmeißen, aber er hatte ihn auf dem Müll entdeckt und gerettet und war hochgeschlichen, den Bademantel auf dem Arm. Mom hatte hinter ihm her gelacht, und er hatte beleidigt zu ihr runtergeschaut.

Sie hatte ihn auch schon mal Goodwill gegeben, weil sie hoffte, die würden ihn zu den Lumpen tun, aber sie hatten ihn gewaschen und angeboten. Und Dad, auf der Suche nach gebrauchten Taschenbüchern, fand ihn, kaufte ihn und kam wütend nach Hause. Er sagte Mom, sie solle nie wieder behaupten, sein Mantel sei beim Waschen auseinandergefallen.

Dieser Bademantel war wirklich ein hässliches Ding, zerschlissen und abgetragen. Er hatte mindestens drei anständige oben im Schrank, aber soweit ich wusste, hatte er sie niemals auch nur anprobiert. In diesem alten braunen Ding, Hausschuhe an den Füßen und mit seinem dünner werdenden Haar auf dem Kopf erinnerte er mich immer an Bruder Tuck. Er schlurfte verschlafen rein, torkelte rüber zum Küchentresen und wurde schlagartig wach, als ihm der Geruch aus dem Mixer in die Nase stieg.

»Herrgott, Frau«, sagte er, »da liegt was Totes im Mixer.«

»Hab ich auch gerade gesagt, Dad.«

»Witzig«, sagte Mom. »Ist bloß dieser alte Morgenmantel, den ihr da riecht, Jungs.«

»Ah«, sagte Dad. »Die melodiöse Stimme des gehorsamen Weibes. Richte mir Schinken und Eier!«

»Im Namen des Volkes!«, sagte Mom. »Sie sind gerichtet und für schuldig befunden. Sonst noch Wünsche?«

»Nicht dass ich wüsste«, sagte Dad. Er nahm sich eine Schale und einen Löffel, Milch und Cornflakes, schob alles auf dem Tisch zusammen und zog sich einen Stuhl heran.

»Was ist mit Schinken und Eiern passiert, Euer Ehren?«, fragte Mom.

»Bin zu faul zum Selbermachen.«

»Und ich habe kein Mitleid mit dir, was, Maus?«

»Sieht fast so aus«, sagte Dad. Er schaute mich an und grinste. »Bist früh auf, was?«

»Freitag«, erwiderte ich.

»Ah ja. Keine Schule, und heut Abend ist der große Abend. Ein Abstecher zum Orbit mit den Jungs. Du solltest mal versuchen, mit Mädchen auszugehen. Macht viel mehr Spaß.«

»Mach ich doch«, sagte ich. »Es ist bloß – das Orbit ist was Besonderes … da geh ich lieber mit den Jungs hin.«

»Mir hat’s immer Spaß gemacht, mit Mädchen ins Drive-In zu fahren.« Er sah Mom an. »Ein rein puritanisches Abenteuer, versteht sich.«

»Das hab ich anders in Erinnerung«, sagte Mom. »Bist du nicht spät dran heut Morgen, Mister Einflussreich?«

»Der Laden gehört mir, Liebes. Ich kann verdammt noch mal machen, was ich will. Zumindest außerhalb dieses Hauses.«

»Ha«, sagte Mom und ging zum Schrank. Dad gab ihr einen Klaps auf den Hintern. Sie wirbelte herum. »Harold … kannst du das noch mal machen?«

Ich lachte.

Dad stand auf, griff sie sich, bog sie nach hinten, wie sie’s in den alten Filmen machen. »Frau, meine kleine Taube. Du bist die Liebe meines Lebens. Dich auf den Hintern zu hauen ist ein Vergnügen, dem kein Gold noch Video gleichkommen … Und vergiss nicht, gehorsames Weib, keine Menüs vom Fernsehkoch heut Abend, oder ich verkauf dich an die orientalischen Händler.« Er küsste sie.

»Danke, Harold. Jetzt hilf mir wieder hoch, mein Rücken tut weh.«

»Wenn es hart auf hart kommt, wenn es so aussieht, als ob wir’s nicht schaffen, werde ich die letzten beiden Kugeln für uns aufheben.«

»Harold, du bist wahnsinnig. Jetzt zieh mich bitte hoch, ja? Mein Rücken tut weh.«

Er zog sie hoch. »Das passiert einem, wenn man älter wird. Rückenschmerzen. Und kein Sinn für Romantik.«

»Geh duschen, und rasier dich … und um Himmels willen, putz dir die Haare von den Zähnen«, sagte Mom.

»Mein Atem ist süß. Ich geh abends mit Zuckeratem zu Bett, und morgens ist er noch süßer. Ich …«

»Geh!«

»Jawohl, Massa!«, sagte er und trottete davon.

Als er fort war, sah mich Mom erschöpft an. »Er ist verrückt, nicht wahr?«

»Ich weiß«, sagte ich.

Kurz darauf ging Mom Tennis spielen und Dad zur Arbeit. Ich sah sie nie wieder.

4

Als wir noch nicht zum Drive-In rausgefahren waren, hätte man mich an so einem Sommermorgen nicht wach gekriegt, selbst wenn man eine Panzerfaust unter meiner Bettdecke abgefeuert hätte. Aber jetzt bedeutete Freitag das Orbit, und ich war meistens früh auf. Und dann gab es da auch noch die Early-Morning-Monster-Show, die für mich zur Gewohnheit geworden war. Sie lief um acht auf Channel 6, und Randy kam jeden Freitag rüber, um sie sich mit mir anzusehen. Bob wäre auch gekommen, aber er arbeitete halbtags im Tierfutterladen seines Vaters. Wie gesagt, niemand von uns musste arbeiten, aber Bob wollte einfach, und er hatte gern genug Kleingeld in der Tasche.

Randy kam rüber, und sie zeigten den Film Crawling Eye.Er war nicht schlecht, bis die Monster auftauchten. Das nahm der Sache ein bisschen den Wind aus den Segeln. Es war schwer, sich von einem Ding bedroht zu fühlen, das an einen großen Mop aus Gummi erinnerte. Trotzdem gefiel’s mir, und Randy konnte sich über die Spezialeffekte lustig machen.

Das machte ihm auf eine seltsame und, wie ich fand, beinahe perverse Art Freude, wenn man bedenkt, dass die meisten dieser alten Filme mit Schmalspurbudget auskommen mussten. Aber ich glaube, es war wichtig für ihn, dass es etwas gab, auf das er runtergucken konnte, schließlich war er so was wie das unterste Männlein im Totempfahl des Lebens. Er hatte Verstand und war ein netter Kerl, aber irgendwas haftete ihm an, das andere dazu brachte, ihren Hass auf ihn zu lenken. Der Vorfall mit Bear war ein Beispiel dafür. Ich selbst hatte manchmal den Eindruck, dass hinter diesem mausgrauen, stillen Äußeren ein Tyrann ohne Mut lauerte, jemand, der noch auf seine Chance gegen die Menschheit wartete.

Er war gut in der Schule, aber darauf nicht besonders stolz, weil gerade das allen egal war. Er wusste eine Menge über Filme, besonders über Maske und Spezialeffekte, aber auch da gab es keine Konkurrenz. Bob und ich liebten dieses Zeug auch, aber wir gingen nicht so restlos drin auf wie Randy. Also waren Low-Budget-Streifen das Einzige, an dem er sein Wissen und seine Fähigkeiten messen konnte, und er spielte in seinem Kopf die Möglichkeiten durch, wie er es besser machen würde, wenn man ihm die Chance gäbe.

Aber eine Sache an diesem Morgen ist mir ganz deutlich in Erinnerung geblieben, und zwar, wie Randy sich zu mir umdrehte, gerade als in dem Film die Hölle losbrach (zugegeben, die Hölle in diesem Film war nicht so grausig, wie sie hätte sein müssen), und fragte: »Glaubst du, Willard hat ’ne feste Freundin?«

»Jesses, Randy, ich weiß es nicht. Ich bin sicher, dass er Mädchen hat, aber ich glaube nicht, dass er so ein Trag-meinen-Ring-Typ ist. Ich glaube, dieses EAT-PUSSY-Tattoo auf seinem Arm ist eine Art Statement zum Thema Romantik, meinst du nicht?«

»Yeah«, sagte Randy. »Ich denke schon.«

Danach sah er sich den Film weiter an, aber ich wusste, dass er mit den Gedanken ganz woanders war. Er hatte so einen verträumten Ausdruck in den Augen, als ob er über was nachdenken würde, was ganz hinten in seinem Hirn verborgen lag.

So gegen Mittag aßen wir ein paar Schinkensandwiches und fuhren rüber zu Safeway und kauften ein bisschen Material für die Nacht: Cracker Jacks, Schokomandeln, Kartoffelchips, Coke und ein paar Tüten Kekse. Bob sollte eine Kiste Bier beschaffen, er hatte so seine Connections. Connections, die billig an das Zeug rankamen und es teuer verkauften und denen es scheißegal war, ob man minderjährig oder ein Warzenschwein war. Trotzdem konnte Bob mit denen besser verhandeln als wir. Er zog sich an wie sie, konnte reden wie sie, und außerdem war er so knauserig, dass er einem nicht mal den Käse unter seiner Vorhaut gönnte. Genau der richtige Mann für Geldangelegenheiten.

Abgesehen davon hatte er Randy und mir versprochen, dass er uns etwas von dem Dörrfleisch mitbringen würde, zu dem sein Dad Wild der letzten Saison verarbeitet hatte. Er hatte uns schon mal was davon mitgebracht, und es war in Ordnung gewesen. Tatsächlich hatte er letztes Mal genug mitgebracht, um eine ganze Armee zu verpflegen. Na ja, meins hatte hauptsächlich mein Dad gefuttert, obwohl er dadurch Probleme mit seinen Zähnen bekam. Er liebte das Zeug und versuchte jeden, der uns besuchte, davon zu überzeugen, dass er’s auch lieben sollte. Mein Dad und Bobs Dad hätten ins Geschäft kommen sollen. Bobs Dad hätte es hergestellt, und mein Dad hätte es gefressen.

Ich erinnere mich, dass ich mal durch die Küche ging, und Dad saß da am Tisch mit einem seiner Geschäftspartner. Er hatte dem Mann einen Streifen von dem Fleisch hingeschoben, und ich hörte den Burschen sagen: »Ich bin nicht so wild auf dieses Zeug, Harold. Das ist ein bisschen, als ob man auf den Titten einer toten Frau rumkaut.« Von da an musste ich das Zeug, wenn ich’s aß, ein bisschen geistesabwesend kauen, damit ich nicht zu viel über die Beschaffenheit des Fleisches nachdachte.

Wir schleppten die Sachen nach Hause, lasen ein paar Fangoria-Hefte, die Randy mitgebracht hatte, und Bob kam eine Stunde später als gewöhnlich. Zwei Sachen fielen mir sofort auf. Das eine war, dass der Trottel gerade erst geduscht und sich nicht ordentlich abgetrocknet hatte; sein Hemd klebte am Rücken, und das Haar, das unter seiner Mütze hervorschaute, war nass und struppig. Das zweite war, dass er sich geprügelt hatte; er hatte ein blaues Auge.

»Ihr kennt doch meine Exfreundin?«, sagte er.

»Exfreundin?«, fragte Randy.

»Ja, Ex. Hab sie mit Wendle Benbaker erwischt.«

Wendle war ungefähr so groß wie ein kleiner Campinganhänger. Bis zu seinem Abschluss war er Tackle bei Mud Creek High, und sein Hobby, wenn er nicht gerade Bier trank oder über Mädchen redete, war Über-Mädchen-Reden und Biertrinken. Er war der einzige Typ, den ich kannte, der über das Playboy-Centerfold so diskutierte wie andere über die Texte des Heftes. Vielleicht waren es die Heftklammern, die ihn verwirrten.

Und um ehrlich zu sein, Bobs Freundin, Leona Big Tit, schien mir kein großer Verlust. Selbst die überzeugtesten Antichauvinisten, männliche wie weibliche, nannten sie bei ihrem Spitznamen. Sie lud dazu ein, so genannt zu werden, es gefiel ihr sogar, sie dachte, es sei eine Ehre; sie trug diese gewaltigen Brüste wie ein stolzer General seine Orden.

»Ich schätze mal, diese Entdeckung löste eine Schlägerei zwischen Wendle und dir aus.«

Bob rieb sich das verletzte Auge. »Brillant, Sherlock. Du hast recht. Jack sollte mich hinterm Dairy Queen treffen, wegen dem Bier, und er ist auch aufgekreuzt. Aber nachdem ich das Zeug aufgeladen hatte, sah ich vorm Eingang Leona mit Wendle in seinem Auto sitzen. Sie klebten aneinander wie siamesische Zwillinge. Ich war wie vom Donner gerührt. Sie hat gesagt, dass sie freitags immer bloß fernsieht. Hat gesagt, ich soll ruhig mit den Jungs weggehen, wär kein Problem. Jetzt weiß ich auch, wieso, Scheiße. Wendle hat ihren Ölstand kontrolliert.«

»Was hast du gemacht?«, wollte Randy wissen.

»Bin rübergegangen, hab die Tür aufgerissen und ihn einen Hurensohn genannt, glaub ich. Ich stand ein bisschen unter Stress in dem Moment und kann mich nicht so gut dran erinnern.«

Ich nickte und sah mir sein blaues Auge an. »Und ich nehme an, er hat keine Angst gekriegt?«

»Nicht dass ich wüsste. Für so einen breiten Kerl ist er verdammt schnell. Ist aus dem Dodge geplatzt wie ein reifer Pickel und hat mir aufs Auge gedroschen, bevor ich überhaupt reagieren konnte.«

»Sieht übel aus«, sagte ich.

»Solltest ihn mal sehen.«

»Du hast ihn geschlagen?«, sagte Randy verblüfft. »Du hast Wendle, den Panzer, geschlagen?«

»Nein, aber ich habe ein paar Ölflecken auf seinen Hosen hinterlassen. Die sind im Eimer.«

Randy und ich sagten nichts. Wir versuchten, das zu verarbeiten.

»Ölflecken?«, fragte ich schließlich, als ob ich das geheimnisvolle Wort Rosebud in Citizen Kane aussprechen würde.

»Als er mich niedergeschlagen hatte, bin ich unter sein Auto gekrochen, und er kam hinterher. Irgendein Wagen hatte Öl verloren – hoffentlich seiner –, und er hat sich seine weißen Hosen komplett versaut. Beide Knie verschmiert. Kann man nicht rauswaschen. Die kann er getrost vergessen.«

»Dem hast du’s gezeigt«, sagte ich.

»Ich bin unter den Auspuff gekrochen, und er ist zu breit und konnte mir nicht folgen … vergesst das nicht, wenn er mal hinter euch her ist. Beim Auspuff unters Auto kriechen, da seid ihr sicher. Da kommt er nicht hin.«

»Guter Tipp«, sagte ich. »Nichts wie hin zum Auspuff.«

»Allerdings hat er mich getreten. Mit den Beinen kommt er da gut ran, also völlig sicher ist es da auch nicht. Er hat mir den kleinen Finger ein bisschen angematscht, aber dann hat er endlich aufgegeben, ist wieder ins Auto gestiegen und hat versucht, mich zu überfahren.«

»Sieht so aus, als wärst du entkommen«, bemerkte ich.

»Bin weggerollt wie ein Mistkäfer. Ihr erinnert euch, wie schnell ich im Sport rollen konnte, als wir diese Fallübungen gemacht haben?«

»Warst ein erstklassiger Roller, soweit ich mich erinnere«, sagte ich.

»Allerdings.«

»Was hat Leona gemacht?«, fragte Randy.

»Sie ist ausgestiegen und fing an, zu schreien und zu fluchen – das hat mir wirklich den Rest gegeben. Sie hat mir ein paarmal gesagt, dass sie eine Lady ist und solche Wörter nicht sagt. Sie hat geschworen, dass sie nicht mal ›Scheiße‹ sagen würde, wenn sie den Mund voll damit hätte. Aber da stand sie und feuerte Wendle an, mir den Kopf abzureißen und mir einen Haufen Scheiße in den Hals zu treten. Als ich unter dem Auto weggerollt und losgerannt bin, schrien sie und der gute alte Wendle mir hinterher, da wusste ich, dass es mit uns aus war.«

»Klingt, als könnte man das nicht mehr kitten«, sagte ich.

»Na ja … ich hab dem Sack die Hose versaut.«

Wir luden die Sachen in Bobs Wagen, fuhren rüber zu Buddys Tankstelle, um zu tanken und Eis für unsere Bierkiste zu besorgen. Ich ging zum Pinkeln aufs Klo, und Bob stellte sich neben mich an die Pissrinne. Die zwei Caballeros.

Es war richtig eklig da, und es roch grässlich. Die Rinne war verstopft mit Candypapier und anderen Sachen, die ich mir lieber nicht so genau anschauen wollte, aus Angst, ich könnte erkennen, was es war. Drüben in der Ecke lag irgendwas Zermatschtes, ich hoffte, ein Baby-Ruth-Schokoriegel.

Die meisten Graffiti stammten von Analphabeten, und der Künstler, der nackte Frauen auf die Wände gezeichnet hatte, schien nicht besonders vertraut mit menschlicher Anatomie. Mein Dad hat mir erzählt, seine Generation habe von den Kritzeleien auf Toilettenwänden eine Menge über Sex gelernt. Ich hoffte inständig, dass unsere Generation ihre Informationen aus einer besser unterrichteten Quelle bezog.

»Hübsch hier, was?«, fragte Bob.

»Vielleicht sollten wir uns hier mal mit ein paar Mädels verabreden.«

»Wir könnten uns auf die Waschbecken setzen und uns unterhalten.«

»Bisschen Dip mitbringen und so. Vielleicht ’n paar kleine Würstchen in Brot mit Zahnstochern drin.«

»Mal im Ernst«, sagte ich. »Wie wirst du damit fertig?«

»Es geht. Hab mir ein bisschen die Stiefelspitze bespritzt, mehr nicht. Aber so spaßig ist es auch wieder nicht, dass ich hier noch länger rumhängen will. Stinkt ’n bisschen. Was ist mit dir? Was hast du für Pläne?«

»Sehr witzig, Bob.«

»Also gut, ich bin okay. Sie war eben nur ’ne Torte. Du machst dir zu viel Gedanken über andere Leute. Mich eingeschlossen.«

»Tja, ich bin ein echter Samariter, was?«

»Bist du wohl … aber, doch, ich bin okay. Aber vermissen werd ich sie schon irgendwie.«

»Da gibt’s nichts zu vermissen, Bob.«

»Weiß nicht. Diese Titten waren schon ganz nett und kuschelig.«

Randy lehnte am Wagen, als wir rauskamen. »Ich wollte schon ’nen Rettungstrupp losschicken«, sagte er.

»Na ja«, erwiderte Bob, »wir haben uns ’n bisschen unterhalten, weißt du, und, verflucht, wir haben wirklich viel gemeinsam.«

»Genau«, sagte ich, »würdest du kaum glauben.«

Randy rollte mit den Augen. »Wie wär’s mit Einsteigen?«

Wir fuhren rüber zu Larrys Werkstatt, kamen fünfzehn Minuten zu früh dort an, aber Willard stand vor dem Laden und rauchte eine Zigarette. Das verdammte Ding hing an seiner Unterlippe wie ein Blutegel. Seine langen Haare waren frisch gewaschen und zurückgekämmt. Unter den Ärmel seines schwarzen T-Shirts hatte er eine Packung Zigaretten geschoben. Eine ausgebleichte Jeansjacke hing lässig über einer Schulter. Er sah aus, als ob er wartete, dass jemand vorbeikäme, den er ausrauben könnte. Er schlenderte rüber zum Wagen. »Seid ihr fertig?«

»Wir sind immer fertig«, sagte Bob.

»Du siehst fertig aus«, sagte Willard. »Was ist mit deinem Auge?«

»Ein Truck namens Wendle Benbaker.«

»Steig ein«, sagte ich, »dann erzählt er dir, wie er Wendle die Hosen versaut hat und wie man sich vor Wendle unter einem Auspuff versteckt.«

Randy stieg aus dem Wagen und überließ Willard den Beifahrersitz. Er setzte sich mit einem Fangoria-Heft nach hinten.

»Netter kleiner Bursche«, sagte Willard, als er sich hingesetzt hatte; sein Arm hing aus dem Fenster.

»Das stimmt«, sagte Bob, ließ den Wagen an und fuhr aus der Stadt. Als wir so fuhren, nahm ich das Ganze in mich auf, nahm einige Häuser und Läden zum ersten Mal bewusst wahr. Wir fuhren die Hauptstraße runter, vorbei an der Universität, die ich demnächst besuchen wollte, vorbei an den hohen Kiefern, die nach und nach von irgendwelchen Idioten abgeholzt wurden, die keine Ahnung von Stadtplanung hatten, aber dafür jede Menge Ahnung von Profit. Wir fuhren an der stinkenden Hühnerfarm, der Sperrholzfabrik und der Aluminiumstuhlfabrik vorbei; Letzterer wurde die Ehre in Form eines ausgestreckten Mittelfingers erwiesen. Während ich so dahinfuhr und das alles im Kopf fotografierte, ahnte ich, dass ich es zum letzten Mal sah.

5

Es sah eigentlich nicht nach einer Nacht für Horror aus. Jedenfalls nicht für wirklichen Horror.

Es war kühl und angenehm. Wegen eines Staus kamen wir etwas später als gewöhnlich an. Eine ziemlich lange Schlange wartete schon. Man konnte das Saturnsymbol des Orbit blau und silbern am Nachthimmel rotieren sehen.

»Verdammt will ich sein!«, rief Willard.

»Sind wir alle, wenn wir uns nicht bessern«, erwiderte Bob. »Wart ab, bis du erst mal drin bist«, sagte ich.

Wir rückten in der Schlange vor und erreichten schließlich die Anschlagtafel am Eingang. Folgende Filme wurden angekündigt: I Dismember Mama, Evil Dead, Nacht der lebenden Toten, Toolbox Murders und Texas Chainsaw Massacre.

Drinnen hatte die große Party schon begonnen. Leute saßen auf Gartenstühlen, die hinten auf Pick-ups standen. Manche hingen auch auf den Motorhauben und Dächern ihrer Autos. Punks. Alternde Hippies. Konservative Typen. Jungs und Mädchen aus Studentenverbindungen. Familien. Cowboys und Cowgirls mit Bierdosen, die ihnen aus den Fäusten wuchsen. Holzkohlengrills zischten vor sich hin und spuckten süßen Rauch in den klaren Himmel von Texas. Cassettendecks jaulten gegeneinander an. Einige Liebespaare auf Decken waren so heiß bei der Sache, dass Willard vorschlug, sie sollten Eintritt verlangen. Autos schaukelten im zuckenden Rhythmus der sexuellen Rotationen ungebrochener Jugend. Irgendwo nannte irgendwer irgendwen einen Hurensohn. Andere Leute riefen Sachen, die wir nicht verstanden. Frauen in Bikinis spazierten vorbei, Leute in Monsterkostümen liefen herum. Manchmal jagten die jungen Männer in den Monsterkostümen die Bikini-Frauen vor sich her. Hunde, die von ihren Besitzern aus den Autos rausgelassen worden waren, pissten gegen Reifen oder hinterließen andere Rückstände in der Umgebung.

Und, am allerwichtigsten, oben leuchtete die Leinwand.

Eine von sechs, hob sie sich grellweiß vom tiefschwarzen Nachthimmel ab, ein sechs Stockwerke hohes Portal in eine andere Dimension. Wir versuchten, so nah wie möglich ranzukommen, aber die vorderen Reihen waren dicht. Schließlich parkten wir in der Mitte einer der hinteren Reihen.

Wir holten unsere Gartenstühle und die Fressalien raus. Bob und ich gingen zum Kiosk und besorgten für uns alle Bloody Corn. Als wir damit zurückkamen, hatte der Trashklassiker I Dismember Mama bereits angefangen. Wir hatten Spaß dabei, soffen, fraßen, lachten, brüllten bei den ekligen Stellen, und schließlich begann Toolbox Murders