Druidenweihe - Christina Kreuzer - E-Book

Druidenweihe E-Book

Christina Kreuzer

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Im Landkreis Starnberg werden mehrere Leichen ohne Kopf gefunden. Die Körper sind mit einem Mistelzweig geweiht. Hauptkommissar Robert Dippold, der gerne bunte Häkelmützen trägt und von allen Kollegen nur "Boschi" genannt wird, ermittelt mit seiner taffen, jungen Kollegin Juliane von Jettenbach, zu der alle nur "Jette" sagen, in alle möglichen Richtungen. Der Kommissar muss sich bei den Recherchen mit einem karrieregeilen Oberstaatsanwalt herumschlagen und seiner Kommissaranwärterin Jette traut er anfangs nicht viel zu. Beide raufen sich während der gemeinsamen Ermittlungen zusammen. Die Kommissare tappen lange Zeit im Dunkeln. Erst als eine kopflose Leiche in einem Altenheim gefunden wird, kommen sie dem Mörder auf die Spur. Es geschehen weitere grausame Morde und die Beamten müssen sich mit keltischer Mythologie, Druiden und Schädelkult beschäftigen. Dann gerät Jette in die Fänge des verrückten Psychopathen.

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Mein Buch

Im Landkreis Starnberg werden mehrere Leichen ohne Kopf gefunden. Die Körper sind mit einem Mistelzweig geweiht. Hauptkommissar Robert Dippold, der gerne bunte Häkelmützen trägt und von allen Kollegen nur „Boschi“ genannt wird, ermittelt mit seiner taffen, jungen Kollegin Juliane von Jettenbach, zu der alle nur „Jette“ sagen, in alle möglichen Richtungen. Der Kommissar muss sich bei den Recherchen mit einem karrieregeilen Oberstaatsanwalt herumschlagen und seiner Kommissaranwärterin Jette traut er anfangs nicht viel zu. Beide raufen sich während der gemeinsamen Ermittlungen zusammen. Die Kommissare tappen lange Zeit im Dunkeln. Erst als eine kopflose Leiche in einem Altenheim gefunden wird, kommen sie dem Mörder auf die Spur. Es geschehen weitere grausame Morde und die Beamten müssen sich mit keltischer Mythologie, Druiden und Schädelkult beschäftigen. Dann gerät Jette in die Fänge des verrückten Psychopathen.

 

 

 

Die Autorin

Christina Kreuzer, Jahrgang 1957, in einer Kleinstadt in Oberfranken geboren, arbeitet in Seefeld/Oberbayern als Demenzbetreuerin in einem Seniorenheim und wohnt seit 2005 in Inning am Ammersee. Nach erfolgreichen Lesungen von eigenen Kurzgeschichten und dem Drängen von Freunden entschloss sie sich, ihr erstes Buch, eine Art Heimatkrimi, zu schreiben.

Christina Kreuzer

Druidenweihe

Ein Starnberg Krimi

Titelbild

van Gogh, Schädel, Öl auf Leinwand 43x31 cm, Paris, Winter 1887/88. Dieses Werk ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 oder weniger Jahren nach dem Tod des Urhebers.

 

 

Copyright: © 2014 Christina Kreuzer
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-2371-4

Die Personen:

 

Hauptkommissar - Robert Dippold - „Boschi“

Kommissaranwärterin - Juliane von Jettenbach - „Jette“

Revierleiter - Josef Brandl

Polizeiobermeister - Sascha Meier

Polizeiobermeister - Christian Müller

Oberstaatsanwalt - Franz Höglmeier

Leiter der Spurensicherung - Dr. Wolfgang Reiter

Hauptkommissar - Hubert Rosenmüller

 

Druide - Angus Streitberger

Hexe - Hulda Zimmermann

Hexe - Frejya Zimmermann

 

Hausfrau - Helene Hildebrand

Ehemann - Gerhard Hildebrand

Rentner - Georg Huber

Gartenlaubenbewohner - Johann Hofer

Pater im Kloster Andechs - Markus Wellenbruch

Abt von Kloster Andechs - Dr. Lukas Rundig

Pfarrer in Herrsching - Georg Mühlbauer

Totengräber - Ludwig Rohrmoser

Pflegedienstleitung - Beate Wesseling

Nachtschwester - Brigitte Horn

Krankenpfleger - Ivor Olic

Hausmeister - Andreas Haller

Landwirt - Gustav Angermeier

Ehefrau des Landwirts - Heidi Angermeier

Geschäftsstellenleiter - Florian Kreutner

THW Starnberg - Andreas Sterzer

Prolog

 

Es regnete seit Tagen Bindfäden, doch jetzt am Ende des Tages hatte der Regen endlich aufgehört. Die Luft duftete intensiv nach Erde, Pilzen und Moder. Wassertropfen schillerten wie kleine Edelsteine auf den Gräsern und Binsen entlang des Ufersaums des Pilsensees. Die ersten Nebelschleier stiegen im fahlen Mondlicht auf und ein kalter Lufthauch ließ die Blätter an den Bäumen leise rauschen. Aus den Nebelschwaden erschien aus dem Nichts ein kleines Ruderboot, auf dem man mit etwas Phantasie zwei Personen erkennen konnte. Das Boot schien über das Wasser zu schweben – es erzeugte keine Welle auf dem See. Das Rauschen der Blätter wurde langsam vom Gesang einer hellen Frauenstimme übertönt. „Blianna mathur, Blianna mathur.“ Heute war Schwarzmond, die Nacht zum 1. November. Samhain, das erste Fest im Jahreskreis konnte beginnen.

Kapitel 1

 

Zwei Tage später begrüßte das Seniorenwohnheim in Seefeld, einem kleinen Ort nordöstlich des Pilsensees, drei neue Bewohner. Zwei Schwestern, Hulda und Freyja Zimmermann aus Dießen, 72 und 73 Jahre alt, beide schlank, recht rüstig und vital. Die Geschwister hatten lange schwarze Haare und man sah, dass sie früher richtige Schönheiten gewesen sein mussten. Sie bezogen zusammen ein Doppelzimmer, da sie nach eigener Aussage, ihren Angehörigen nicht zur Last werden wollen. Beide Frauen brachten ihre schwarzen Hauskatzen Mohrle und Muschi mit ins Wohnheim. Kurze Zeit später wurde ein angeblich seniler Herr aus Tutzing willkommen geheißen. Er war 84 Jahre alt, hatte graue schulterlange Haare, die im Nacken zu einem Zopf gebunden waren. Der Mann hatte schöne, ebenmäßige Gesichtszüge mit einem grauen Dreitagebart und er meldete sich mit dem Namen Angus Streitberger in der Verwaltung des Wohnheims an. Das Pflegebett in seinem Einzelzimmer musste wegen seiner Größe von fast zwei Metern gegen ein Bett in Übergröße getauscht werden. Der Alte gab seinen quadratischen Lederkoffer, der mit goldenen Ornamenten verziert war nicht aus der Hand. Auffallend war, dass er keine Schuhe trug und barfuß lief.

*

Kommissar Robert Dippold, den alle nur „Boschi“, wegen seiner gehäkelten, bunten Pudelmütze nannten, schnitt gerade die Herbstastern in seinem Garten in Schlagenhofen, als sein Handy klingelte. Mit den schwarzen, hohen Gummistiefeln, der alten, grünen Jogginghose mit weißen Streifen und dem ausgewaschenen, ehemals schwarzen T-Shirt, sah Kommissar Robert Dippold eher aus wie ein oberbayerischer Kuhbauer und nicht wie der Leiter der Mordkommission der Polizeiinspektion Starnberg.

Mit seinen grünen Gartenhandschuhen klappte er umständlich sein Handy auf. „Sepp, was ist denn jetzt wieder? Ich hab heute frei.“

Sepp Brandl sprach sehr aufgeregt. „Wir haben eine Leiche, Boschi!“

„Vermutlich hat ein Quacksalber wiedermal den Totenschein falsch ausgefüllt. Bestimmt nur ein gewöhnlicher Herzinfarkt – schick die Jette hin! Es ist Anfang November und ich muss meinen Garten langsam winterfest machen“, antwortete Boschi gereizt.

Sepp Brandl war der Revierleiter der Polizeiinspektion Starnberg. Der Sepp und seine Jungs ließen keinen Grund zum Feiern aus und erlaubten sich auch mal einen Spaß mit Ihrem Chef.

„Boschi, Boschi, kein Herzinfarkt! Eine richtige Leiche, ein Mord, eine Frau ohne Kopf!“, rief Sepp aufgeregt am anderen Ende der Leitung.

„So, ein Schmarrn! Was raucht Ihr auf der Dienststelle?“, frotzelte Boschi.

Sepp musste schmunzeln. „Kein Schmarrn, Boschi! Im Pilsensee schwimmt eine Frauenleiche ohne Kopf. Der Noll, der Berufsfischer, den kennst du bestimmt vom Stammtisch auf der Wörthsee Alm, hatte die Leiche im Netz. Er hat sie zum Badestrand am Campingplatz gebracht.“

„Ach geh zu! Sepp, ich komm gleich. Bitte schick mir die Jette, die Spurensicherung und deine Jungs. Ich brauch jeden Mann!“, rief Boschi auf einmal ganz dienstlich ins Telefon.

Hauptkommissar Dippold versuchte, während er ins Haus lief, die Gummistiefel auszuziehen und fiel dabei auf die Knie. Er schimpfte dabei wie ein Rohrspatz. Schnell streifte er seine Levis Jeans und seine alte, braune Strickjacke über. Die Jacke war bereits mehrmals gestopft und hatte schon wieder einige Laufmaschen. Gott sei Dank hatte er den Käfer nicht in die alte Wellblechgarage gefahren, denn das Schloss der Garage hakte und manchmal brachte er das Tor nur nach minutenlangem Rumfummeln auf. Mit durchdrehenden Reifen raste er los in Richtung Campingplatz Pilsensee.

Juliane von Jettenbach shoppte gerade in ihrem Lieblingsschuhgeschäft in Starnberg, als sie von Sepp auf ihrem iPhone angerufen wurde. Seit die Kommissaranwärterin von der Polizeischule in München in die kleine Inspektion in Starnberg versetzt worden war, nannten sie alle nur „Jette“. Ihr Chef, Hauptkommissar Dippold konnte sie nicht besonders leiden und brauchte sie meist nur zur Ablage oder zum Kaffee kochen. Die Jungs auf dem Revier machten des Öfteren sexistische Bemerkungen und verglichen sie immer wieder mit Britney Spears. Nur der Sepp Brandl mochte sie recht gern und er verhielt sich wie ein väterlicher Freund. Er rief sie nicht Jette, sondern bei ihrem Namen Juliane.

„Juliane, du musst so schnell wie möglich zum Campingplatz Pilsensee. Wir haben eine Tote … ohne Kopf!“, informierte Sepp die junge Kollegin.

Jette dachte erst an einen Scherz. „Josef, willst du mich jetzt auch…“

„Nein, Juliane. Kennst mich doch. Der Boschi und die Jungs sind schon unterwegs – beeil dich!“, forderte sie Sepp energisch auf.

Erst jetzt wurde sich Jette über die Worte von Sepp Brandl klar. „Josef, mein erster Mord! Josef ich hab…Angst!“

„Juliane, du schaffst das schon, denk einfach an ein neues Paar Schuhe“, versuchte sie Sepp zu beruhigen.

„Haha, danke, Josef, du bist mir eine große Hilfe… Ich stehe kurz vor einem Herzinfarkt und du machst Späße. Ich bin in Starnberg und brauche 20 Minuten bis zum Pilsensee“, antwortete Jette lachend.

Juliane von Jettenbach kickte den schwarzen, hochhackigen zehn Zentimeter Pumps, den sie gerade anprobiert hatte, in die Ecke und rief: „Entschuldigung! Maria ich muss weg! Bitte leg mir die Schwarzen zurück.“ Jette nahm ihre Schuhe in die Hand und sprintete in Strümpfen zu ihrem roten Mini Cabrio.

Als Jette auf dem Campingplatz ankam war das Ufer des Sees bereits weiträumig abgesperrt. Einige Dauercamper, die ganzjährig den Platz nutzten, versperrten die Sicht, aber Jette konnte dahinter die bunte Häkelmütze von Boschi aufgeregt hin und her wandern sehen.

Der junge Polizeimeister Sascha Meier hob galant das Absperrband für Jette hoch, natürlich begleitet von einer schnippischen Bemerkung.

„Boschi, unser Nesthäkchen ist da!“, rief er Hauptkommissar Dippold zu.

„Na endlich! Haben sie wieder nichts Passendes zum Anziehen gefunden, Jette. Darf ich Ihnen vorstellen – der Leiter der Spurensicherung, Dr. Wolfgang Reiter.“

Dr. Reiter, ein groß gewachsener Mittvierziger mit Brille und grauen Haaren legte mit seinem vorläufigen Bericht gleich los. „Wir haben hier eine weibliche Leiche, wahrscheinlich 40 bis 50 Jahre alt, kein Ausweis, keine Wertsachen, keine Kleidung – keinen Kopf! Die Tote hat kein Wasser in der Lunge. Sie liegt seit zirka 36 Stunden im Wasser. Genaueres nach der Obduktion.“

Jette wurde schlecht, als sie den Körper betrachtete. Ihre erste Leiche und dann gleich so ein grausamer Mord. Der Kopf war ganz sauber vom Rumpf getrennt worden. Man sah die einzelnen Arterien, die Luftröhre und Knochenteile von der Halswirbelsäule. Ganz glatte Schnittränder – schön sauber abgetrennt, wie mit dem Lineal geschnitten! Wer tut sowas – grauenhaft. Jette wurde auf einmal speiübel. Sie rannte schnell an die Uferböschung und musste sich zwischen zwei alten Weiden heftig übergeben.

„Jette, geht`s wieder?“ Boschi kam auf sie zu und reichte ihr ein blaukariertes Stofftaschentuch, das er immer einstecken hatte.

Mein Gott ist das peinlich, dachte sich Jette. Der erste Mordfall in meiner Karriere und ich kippe fast aus den Latschen.

Boschi konnte Jettes Gemütszustand gut verstehen. Ihm war es vor 15 Jahren, als Jungspund genauso ergangen. „Jette, Sie fahren am besten gleich zur Dienststelle und prüfen die Vermisstenanzeigen der letzten Tage.“

„Sascha! Sascha! Gehen Sie mit Christian alle Dauercamper befragen, ob sie die letzten Tage etwas Ungewöhnliches bemerkt haben. Und nehmt alle Personalien der Gaffer auf! Christian, Sie rufen auf der Dienststelle an. Wir brauchen die Taucher und die Wasserwacht, sowie eine Hundertschaft zum Absuchen des Ufers. Wir müssen den Kopf finden!“, organisierte Boschi seine Kollegen.

„Wer hat die Tote gefunden?“, fragte Boschi in die Runde der herumstehenden Schaulustigen. Ein Mann mit Vollbart und im gelben Friesennerz hob zitternd seinen Finger. „Herr Noll, wo ging Ihnen die Leiche ins Netz?“

„Genau gegenüber, 100 Meter vom Westufer, ungefähr auf Höhe der „Seeklausen“, dem öffentlichen Badeplatz. Zuerst dachte ich, es hat sich ein Wels verfangen, aber dann sah ich die Arme und Beine. Ich habe das Netz sofort eingeholt, aber der Kopf war nicht dabei. Ich bin dann direkt hierher gefahren!“, berichtete der Fischer aufgeregt.

„Gut, Herr Noll, Sie haben alles richtig gemacht!“, beruhigte ihn Boschi. „Warten Sie bitte bis die Spurensicherung ihre Kleidung und ihr Boot untersucht hat und kommen Sie morgen aufs Revier, um Ihre Zeugenaussage zu unterschreiben. Falls ich noch Fragen habe, melde ich mich bei Ihnen.“

Boschi setzte sich auf einen Baumstumpf am Ufer, zündete sich eine filterlose Zigarette an und beobachtete die Arbeit der Spurensicherung. Er kratzte sich am Kopf. Immer wenn seine Kopfhaut juckte, dann versprach das nichts Gutes.

*

Zur gleichen Zeit stellte sich der neue Bewohner, Angus Streitberger beim Mittagstisch im Seniorenwohnheim ganz formell den beiden Schwestern Hulda und Freyja Zimmermann vor. Die Augen der Schwestern leuchteten, als der stattliche, charmante Herr ruhig, mit leicht sonorer Stimme vom Wetter der letzten Tage und über die Schönheit und Umgebung des Seniorenwohnheims, so zentral gelegen inmitten des 5-Seen Landes, sprach. Angus selbst hasste solche Konversationen. Viel lieber würde er von Göttern, Druiden und seinen Vorfahren, den Kelten, erzählen, aber diese Geschichten durfte hier niemand wissen! Bald würde er unsterblich, unermesslich reich und mächtig sein.

*

Die Dienststelle der Polizeiinspektion Starnberg glich einem Bienenschwarm als Boschi eintraf. Jette saß am Computer und checkte die Vermisstenanzeigen. Sascha und Christian nahmen die ersten Aussagen von den Dauercampern auf und Sepp telefonierte mit dem Starnberger Merkur. Die „Zeitungsfritzen“ hatten auch schon Wind von der Wasserleiche im Pilsensee bekommen, kamen jedoch zu spät auf den Campingplatz und hatten nur Bilder vom See mit Absperrband und ein paar Schaulustigen machen können. Boschi brauchte unbedingt noch eine Liste der Psychopathen, die in letzter Zeit aus der Haft entlassen worden waren.

„Jette, ich brauche noch alle Psychos, die frei bei uns rumlaufen oder Freigang hatten“, ordnete Boschi beim Betreten des Büros an.

„Die Liste liegt schon auf Ihrem Schreibtisch, Herr Dippold. Ich habe frischen Kaffee gekocht!“, winkte Jette mit einem Kaffeehaferl.

Boschi schenkte sich einen Kaffee ein und überflog stirnkrausend die Liste. Alle Entlassungen der letzten Tage waren im Raum Berlin, in Hamburg und in Düsseldorf. Im letzten Jahr war nur einer aus dem Raum München dabei. Ein gewisser Johann Hofer, arbeitslos, wohnhaft in Starnberg. Er hatte Katzen aus seiner Nachbarschaft den Kopf abgeschnitten und …

„Jette, wir müssen sofort los! Wieso sagen Sie denn nichts? Kruzitürken! Vielleicht hat der Psycho jetzt Lust auf Menschenköpfe bekommen? Sie fahren! Starnberg, Gautinger Straße 45, ein gewisser Johann Hofer. Ach Mädel, ziehen Sie endlich anständige Schuhe zur Arbeit an. Mit den Hacken kann man doch keine Verbrecher jagen!“ Jette wäre fast gestürzt, als sie zur Garderobe rannte, um ihre Jeansjacke anzuziehen. Boschi saß als erster in Jettes rotem Mini und schnallte sich umständlich an. „Nun fahren Sie schon los!“

„Chef, halten Sie sich fest!“ rief Jette. Endlich durfte sie zeigen, was sie auf der Polizeischule gelernt hatte und wie gut sie Auto fahren konnte. Im Sicherheitsfahrtraining war sie die Beste ihres Lehrgangs. Mit quietschenden Reifen und überhöhter Geschwindigkeit raste der Mini durch Starnberg.

*

Im Seniorenwohnheim hörte Angus Streitberger vom Fund der Frauenleiche am Pilsensee im Radio und war stinksauer. Das durfte nicht passieren. Die alten Vetteln sollten doch den geweihten Körper für immer und ewig verschwinden lassen. Konnte man sich auf die Hexen nicht mehr verlassen? Beim nächsten Mal musste er die beiden besser kontrollieren und sich unbedingt selbst von der fachgerechten Entsorgung der Leiche überzeugen.

*

Boschi und Jette erreichten das Haus von Johann Hofer erst nach einer Irrfahrt durch den Nordosten von Starnberg. Das Haus war eigentlich ein Gartenhäuschen in einer Kleingartenanlage neben dem Tierheim von Starnberg und die Nummerierung in der Schrebergartenanlage ging nach der Reihe der Erbauung. So kam nach der Hausnummer 62, die Nummer 74 und nebenan stand die Gartenlaube mit der Hausnummer 13.

„Wo ist nur die Nummer 45? Jette, das darf doch nicht wahr sein. Diese „Dipferlasscheißer“, die gehören doch in die Klapse!“ Jette traute sich gar nicht zu fragen was Dipfer… scheiße bedeutete – wahrscheinlich war es ein Schimpfwort aus Boschis fränkischer Heimat. Schließlich standen sie vor dem Gartenhaus mit der Nummer 45 am Eingangstor. Es war bereits später Nachmittag, die Dämmerung setzte langsam ein und es brannte Licht hinter den matten Scheiben der kleinen Laube. Boschi zog seine Dienstwaffe unter seiner Strickjacke hervor und flüsterte: „Jette, Sie bleiben im Auto!“

„Chef, soll ich Sie nicht sichern oder vielleicht den Hinterausgang bewachen?“, meinte Jette, in der Hoffnung mitkommen zu dürfen.

„Nein, Sie bleiben auf jeden Fall im Auto. Das ist nichts für Polizeischüler. Sie schauen zu und lernen!“ Die junge Kollegin war Boschi nicht erfahren genug für eine Verhaftung.

Boschi ließ die Autotür nicht ins Schloss fallen, sondern lehnte sie nur an und schlich geduckt auf das beleuchtete Fenster des Gartenhauses zu. Durchs Fenster sah er einen Mann auf einem Stuhl sitzen, ungepflegt und unrasiert, in einem ehemals weißen Unterhemd und brauner Cordhose. Die Füße auf dem Tisch, eine Bierflasche in der Hand, beim Fernsehen. Boschi ging auf den Zehenspitzen Richtung Tür, als er mit seinem Kopf ein Windspiel am Türstock berührte. „Ding, Dong, Ding!“ Sofort erlosch das Licht im Haus. Ehe sich Boschi versah, hörte er eine Tür zuschlagen und obwohl er für seine Verhältnisse sehr schnell um das Gartenhaus herum spurtete, hörte er schon einen Motor aufheulen. Hinter einem hohen Holzgartenzaun sah er nur noch einen weißen Kleinwagen davonrasen. „Das war`s dann wohl, Scheiße!“

Mit der Kurzwahl seines Handys verständigte er die Dienststelle. Es meldete sich sofort Revierleiter Sepp Brandl. „Ringfahndung! Johann Hofer, erst vor kurzem aus München-Haar entlassen, flüchtig in einem weißen Kleinwagen, bekleidet mit weißem Unterhemd und brauner Cordhose, Kennzeichen und Automarke unbekannt. Ein Foto von ihm liegt in der Akte auf meinem Schreibtisch. Fahndung im Umkreis von fünf Kilometern der Schrebergärten, Gautinger Straße in Starnberg. Und Sepp, schick uns bitte die Spurensicherung!“

„Verstanden, Boschi! Alles OK bei Euch?“, wollte Sepp wissen.

„Alles OK! Der Verdächtige hat sich der Festnahme entzogen. Ich war zu langsam. Sepp, habt ihr was Neues über die Tote? Haben wir den Kopf gefunden?“, fragte Boschi schnell noch nach.

„Nein, Boschi, noch nichts Neues!“ antwortete Sepp. „Weder vom Kopf noch von der Kleidung des Opfers. Die Hunde haben zwar ein paarmal bei der Liegewiese in Hechendorf angeschlagen, aber nach dem vielen Regen sind wohl alle Spuren verwischt. Der Bericht von der Spurensicherung kommt morgen Mittag.“

Boschi trottete zurück zum Gartenhaus. Jette, die alles beobachtet hatte und inzwischen an der Eingangstür des Hauses stand, konnte Ihr breites Grinsen nicht verbergen. „Sie brauchen gar nicht zu grinsen! Und halten Sie ja den Mund! Da hab ich mich „schee brälln und eisaafn“ lassen!“

Gemeinsam betraten sie das Gartenhaus. Auf dem wackeligen Tisch standen leere Bierflaschen und im Fernseher lief der Kinderkanal mit Tom & Jerry. In der Ecke lag eine verdreckte Matratze und in einer kleinen Kochnische stapelten sich leere Teller und Töpfe.

„Jette, was stinkt hier so?“, fragte Boschi während er mit seinem Kugelschreiber den Deckel eines Kochtopfs anhob. „Mein Gott, was kocht denn da?“

Jette öffnete gerade die Tür eines wackeligen Kleiderschranks. „Uah … Himmelherrgott! …Äh, vielleicht der Rest von dem da!“ An der Kleiderstange des Schranks hingen drei tote Katzenköpfe. Der Psycho hatte sie mit einem Fleischerhaken durch die Nase aufgehängt und einer der Köpfe war schon leicht in Verwesung übergegangen.

„Dieses Schwein hat Katzen gefressen!“ Boschis musste würgen. „So eine Drecksau. Den schlag ich grün und blau, wenn ich ihn zwischen die Finger kriege. Ich muss hier raus, sonst muss ich kotzen.“ Boschi rannte vor die Tür, setzte sich auf die Bank vorm Gartenhaus und zündete sich eine Zigarette an. Er hörte Jette weiter im Haus rumstöbern. Als Dr. Wolfgang Reiter von der Spurensicherung ankam, saß auch Jette neben ihm. Sie hielt ein riesiges, 30 Zentimeter langes, blutiges Messer verpackt in einem Plastikbeutel in der Hand. Die Tatwaffe hatte sie neben der Spüle gefunden. Hatten sie den wahnsinnigen Mörder schon überführt?

Vor der Rückfahrt im Auto fragte Jette ihren grübelnden Chef: „Was jetzt, Chef? Auf die Dienststelle?“

„Nein, auf die „Wörthsee Alm“ zum Stammtisch!“

Jette stutzte. „Jetzt? Wo die Fahndung auf Hochtouren läuft, gehen Sie zum Stammtisch?“ Jette war voller Tatendrang und wollte unbedingt ihren ersten Mord aufklären.

Boschi war stinksauer, weil ihm der Tierquäler entkommen war. „Den Johann Hofer erwischen wir sicher heute Nacht bei der Fahndung und morgen ist auch noch ein Tag! Zwischendurch muss man in unserem Beruf rechtzeitig abschalten und auf andere Gedanken kommen. Sie schreiben bis morgen den Bericht! Fahren Sie jetzt endlich oder muss ich mir ein Taxi rufen?“

Kapitel 2

 

Boschi wachte mit der Häkelmütze auf dem Kopf und total bekleidet auf. Seine Katze Minka forderte ihr Frühstück ein. Sie miaute, lag auf seinem Kopfkissen und leckte mit ihrer rauen Zunge sein Gesicht. Mann, war das eine Nacht! Aus dem einen Weißbier auf der „Wörthsee Alm“ wurden acht, dazu ein Schweinsbraten mit Knödel und Bayrisch Kraut. Um halb zwölf Uhr fuhr er mit seinem geliebten Käfer nach Hause. Er kam nur 500 Meter weit, als ihn die Kelle der Kollegen aus München, die eine Fahrzeugkontrolle auf der Staatsstraße nach Seefeld durchführten, an den Straßenrand zwang. Zuerst protestierte Boschi energisch, dann besann er sich jedoch eines Besseren und stand freundlich Rede und Antwort. Doch die jungen, aufstrebenden und karrieregeilen Beamten waren hartnäckig und bestanden auf eine Alkoholkontrolle – Boschis Dienstausweis vor der Nase eines Polizeiobermeisters zeigte auch keinerlei Wirkung. Im Gegenteil, die lieben Kollegen wurden nur noch forscher und frecher! Als Boschi sein Gegenüber auch noch „Verkehrskasperl“ nannte, war es mit der Harmonie gänzlich vorbei. Er musste seinen Käfer, nur einen Kilometer von seinem Haus entfernt, stehen lassen und wurde unter Protest seinerseits in Handschellen zur Blutkontrolle ins Krankenhaus Seefeld abgeführt. Er konnte sich noch daran erinnern, dass er den diensthabenden Arzt, der ihm Blut abnehmen wollte, Quacksalber und Blutsauger nannte, doch danach kam der Filmriss - Blackout.

Hatte er das alles geträumt? „Oh Gott! Scheiß Alkohol! Ich trinke nie wieder so viel Weißbier.“ Boschi hatte einen „Kater“ sondersgleichen. Sein Mund war ausgetrocknet und seine Zunge fühlte sich an wie eine kalte Weißwurst. Zudem war es kein Alptraum. In seiner linken Armbeuge glänzte von der Blutentnahme ein frischer Bluterguss in Violett und Lila, sein Führerschein war nicht in seiner Brieftasche und sein Käfer stand nicht vor dem Haus. Diese Schmach, er der Vorzeigepolizist, der Chef der Polizeiinspektion Starnberg, mit Alkoholfahrt und Widerstand gegen die Staatsgewalt und ohne Fahrerlaubnis. Er hörte jetzt schon, wie die Kollegen über ihn tuschelten und lachten. Boschi schluckte hastig zwei Aspirin, zog sich frische Wäsche an, wechselte seine bunte Häkelmütze und rief die Jette an.

„Jette, sind Sie schon auf der Dienststelle? Sie müssen mich abholen. Mein Käfer springt nicht an!“, log er seine junge Kollegin an.

„Herr Dippold, Chef, halten Sie sich fest! Der Fall ist geklärt! Wir haben den Johann Hofer! Er hat heute Nacht eine Polizeiabsperrung mit seinem Wagen durchbrochen und ist bei der Verfolgungsjagd an einen Baum gerast. Er liegt schwer verletzt in der „Schindlbeck Klinik“ in Herrsching auf der Intensivstation.“

„Ach, geh zu! Kleine Sünden bestraft Gott sofort!“, dachte Boschi laut.

Zwanzig Minuten später holte ihn Jette ab. „Guten Morgen, Chef! Was meinen Sie? Die Flucht von Johann Hofer war doch wie ein Geständnis! Der war es doch, oder?“

Boschi schaute die junge Kollegin sehr skeptisch an. „Langsam, langsam, Jette, noch ist nichts bewiesen. Wir brauchen Beweise oder seine DNA auf der kopflosen Leiche. Sie setzen mich jetzt in Starnberg ab, schnappen sich ein Bild vom Johann Hofer und fahren nochmal zum Campingplatz. Vielleicht hat ihn dort jemand in der Gegend herumschleichen sehn. Gibt es schon was Neues über die Tote?“

„Nein, bisher nicht, niemand im Landkreis wird vermisst!“, antwortete Jette stolz und freute sich auf die Recherche auf dem Campingplatz. Endlich durfte sie zeigen, was sie gelernt hatte.

Die weitere Fahrt nach Starnberg erfolgte wortlos. Jette fuhr „oben ohne“ und für eine Unterhaltung war es bei geöffnetem Dach zu laut. Für November war es heute ungewöhnlich warm. Von den Alpen blies der Föhnwind bei strahlend blauem Himmel. Kaiserwetter! Jette setzte ihren Chef auf der Dienststelle ab und Boschi ging direkt zu seinem Freund und Revierleiter Sepp Brandl, der hinter den hohen Aktenbergen auf seinem Schreibtisch kaum zu sehen war. Seine Halbglatze versuchte Sepp mit hochgekämmten Seitenhaaren zu kaschieren, doch seit Jahren rutschte der Seitenscheitel immer tiefer. Er war leicht übergewichtig, wie er selbst immer betonte, legte Wert auf korrekte Dienstkleidung und hatte noch zwei Jahre bis zur verdienten Rente. Sepp koordinierte alle Dienstpläne und Einsätze aus dem Büro und Boschi vermutete schon immer, er wohne und schlafe hier auf dem Revier. Er hatte noch nie gesehen, dass sein schwerer, lederner Drehstuhl leer war. Sepp war eigentlich immer da.

„Sepp, ich habe Scheiße gebaut, aber du musst mir versprechen niemanden etwas davon zu erzählen“, flüsterte Boschi deprimiert und leise, noch bevor er zur Kaffeemaschine ging.

Sepp blickte von seinen Akten auf. „Boschi, was hast du angestellt? Mir kannst du alles beichten. Du weißt doch, ich bin keine „Latschkappn“, wie der Franke so sagt.“

„Ich hab gestern einen über den Durst getrunken!“, meinte Boschi kleinlaut.

„Na und, ist doch nicht so schlimm, oder?“ Sepp widmete sich gleich wieder seinen Aktenbergen.

„Doch, die haben mich blasen lassen!“, sagte Boschi jetzt noch leiser. Er schämte sich.

„Haha! Und? Ist der Lappen weg?“, lachte Sepp.

Boschi konnte nicht mit lachen. „Ja, natürlich! Kennst mich doch! Ein halber Rausch ist doch Geldverschwendung.“

Sepp schaute recht lehrerhaft hinter seiner Lesebrille hervor. „Selber schuld! Da kann ich dir nicht helfen, Boschi!“

„Das verlang ich auch nicht von Dir, Sepp. Ich möchte nur, dass es niemand auf der Dienststelle erfährt“, murmelte Boschi in seinen Dreitagebart.

„Unmöglich! Das kann niemand geheim halten, Boschi. Am besten, du schreibst es freiwillig ans schwarze Brett, haha. Einen Tag mit dummen Sprüchen wirst du aushalten müssen“, amüsierte sich Sepp Brandl.

Boschi verzog das Gesicht zu einer beleidigten Grimasse. „Sepp, du bist mir vielleicht eine Hilfe. Sonst fällt dir dazu nichts ein?“

„Nein Boschi, da musst halt durch. Wer saufen kann, muss auch Spott vertragen!“, grinste Sepp übers ganze Gesicht.

„Ach geh zu!“ Boschi wollte gerade das Büro verlassen, als Polizeiobermeister Sascha Meier zur Tür hereinstürzte. „Hauptkommissar Dippold, wir haben gerade eine Vermisstenanzeige von der Außenstelle Herrsching bekommen, die zur Leiche vom Pilsensee passen könnte.“

„Wurde ja Zeit! Wer vermisst wen?“, fragte Boschi aufgeregt und wollte schon los, als ihm einfiel, er durfte ja gar nicht an das Steuer eines Kraftfahrzeugs. „Meier, kommen Sie! Sie müssen mich fahren, mein klappriger Käfer ist in der Werkstatt. Sie können mir während der Fahrt die Einzelheiten erzählen.“

„Ich dachte immer – er läuft und läuft und läuft!“, bemerkte der Kollege schmunzelnd. „Die vermisste Frau heißt Helene Hildebrand, wohnt in Hechendorf am Pilsensee und ihr Mann kam erst gestern Abend von einer Geschäftsreise aus Köln zurück. Zuerst dachte der Ehemann, seine Frau sei spazieren. Als sie auch noch die ganze Nacht wegblieb, stellte er schließlich eine Vermisstenanzeige in der Außenstelle Herrsching.“

„Wie alt?“, fragte Boschi kurz und knapp.

„Das Alter könnte passen, 47! Die Größe passt vielleicht auch. Ungefähr zumindest … haha, wie lang der Kopf ist wissen wir ja nicht, haha!“, lachte Polizeiobermeister Meier lauthals los.

„Darüber macht man keine Witze! Meier, bewahren Sie Selbstdisziplin!“, rüffelte ihn Boschi sofort an.