DSA 103: Das Zepter des Horas - Christian Kopp - E-Book

DSA 103: Das Zepter des Horas E-Book

Christian Kopp

4,8

Beschreibung

Das Horasreich nach dem Thronfolgekonflikt: Als der mit seinem Leben unzufriedene Adlerritter Darian von dem merkwürdigen Verschwinden eines alten Freundes in Arivor hört, nimmt er dies zum Anlass, die bedrückende Enge der Hauptstadt zu verlassen, um den Dingen vor Ort auf den Grund zu gehen. Zusammen mit der Draconiterin Sela kommt er dabei einem antiken Geheimnis aus der Zeit des Bosparanischen Kaiserreiches auf die Spur - dem Zepter des Silem-Horas, welchem unglaubliche Kräfte nachgesagt werden. Doch sind sie nicht die einzigen, die nach diesem legendären Artefakt suchen, so dass Darian und seine Gefährten auf der abenteuerlichen Jagd nach dem Zepter von Jägern zu Gejagten werden.

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Biografie

Henning Mützlitz (geboren 1980 in Hofheim am Taunus), Diplom-Politologe, lebt in Eppelheim bei Heidelberg. Zurzeit arbeitet er als Redaktionsvolontär in Mannheim, wo er die Zeitschriften »Armbanduhren« und »Ferrari World« betreut.

In Kontakt mit DSA kam er erstmals 1995, als er sich – animiert durch die »Jahr des Greifen«-Trilogie von Wolfgang Hohlbein und Bernhard Hennen – die DSA3-Basisbox zulegte. Seitdem ist er Aventurien treu geblieben, einigen Ausflügen in andere Systeme (z.B. Shadowrun oder MERS) zum Trotz.

Nach seinen Veröffentlichungen in Tageszeitungen und Zeitschriften und des politikwissenschaftlichen Werks »Die Operation Zukunft – Konflikte und Auswirkungen« (2007) zu den Konsequenzen der hessischen Finanzpolitik unter Roland Koch liegt nun mit »Das Zepter des Horas« seine erste Veröffentlichung für Das Schwarze Auge vor.

Christian Kopp (geboren 1980 in Frankenberg/Eder) hat gerade sein Magister-Studium der Mittelalterlichen Geschichte und Germanistik in Marburg abgeschlossen. Dort lebt er zusammen mit seiner Gespielin, einem Warg und einer namenlosen Rattenplage.

Von Aventurien erfuhr er 1995 durch Henning Mützlitz, der ihn mit einem W20 und einem Heldenbrief aus der gerade neu erworbenen Basisbox konfrontierte, ohne die langwierigen Folgen absehen zu können. »Das Zepter des Horas« ist seine Erstveröffentlichung für Das Schwarze Auge.

Titel

Henning Mützlitz & Christian Kopp

Das Zepter des Horas

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses SpieleBand 11029EPUB

Titelbild: Tobias BrennerAventurienkarte: Ralph HlawatschLektorat: Maike HallmannBuchgestaltung: Ralf BerszuckE-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Copyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Print-ISBN 978-3-89064-236-9E-Book-ISBN 978-3-86889-643-5

Danksagung

»Wir folgen keinen alten Karten, entdecken keine vermissten Schätze, und noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert.«

Dr. Henry Jones jr. in »Indiana Jones und der letzte Kreuzzug« (Paramount Pictures, 1989)

Ohne die Inspiration und Hilfe vieler geschätzter Menschen in unserer Umgebung hätten wir »Das Zepter des Horas« in dieser Form nie beginnen beziehungsweise vollenden können.

Dank gilt vor allem unserer Spielrunde, bestehend aus Dennis, Jens, Manuel und Meik, ohne die »unser« Aventurien wesentlich farbloser wäre.

Dank gebührt auch Jörg Raddatz und seinen Mitautoren, die mit der Regionalbox »Fürsten, Händler, Intriganten« unsere Begeisterung für das Horasreich schon 1996 entfachten, sowie den Autoren der »Königsmacher-Kampagne«, die diese bis heute stetig zu schüren wussten! Ein besonderer Dank geht an Christian Götz, der uns freundlicherweise gestattete, Elemente seiner Spielhilfe für den Roman zu verwenden.

Henning Mützlitz bedankt sich bei seinem Mitautor Christian Kopp für die gute Zusammenarbeit, Inga Brunckhorst für das aufmerksame Korrekturlesen, seinen Eltern für die stetige Unterstützung und Nina-Dorothee Lippstreu für Vertrauen und Beistand.

Christian Kopp bedankt sich bei seiner geliebten Yvonne für die fortwährende Unterstützung, seinen Eltern und »Schwiegereltern« für jede kleinere und größere Hilfe und seinem Mitautor Henning Mützlitz für die Ermutigung, eine Idee in die Tat umzusetzen, und den Riesenspaß, den sie dabei hatten.

Prolog

Vinsalt, Kapitale des Horasreichs, genannt »die Hunderttürmige«, erbaut auf den Ruinen Bosparans, der Hauptstadt des Alten Reichs, welche gar als »die Tausendtürmige« in den Erinnerungen des Volkes zwischen Phecanowald und dem Loch Harodrol lebendig geblieben ist. Perle am Yaquir, Zentrum der Macht, Brutstatt der Intrigen – viele Namen trug die Hauptstadt des als »Liebliches Feld« bekannten fruchtbaren Landstrichs im südwestlichen Aventurien. Mächtig, fortschrittlich und arrogant hatte sich das Horasreich nach Ansicht vieler Aventurier seit der Proklamation seiner einstigen Königin Amene zur Horas-Kaiserin präsentiert. Mit großem Selbstbewusstsein wurden Kriege begonnen und siegreich zu Ende geführt, dem schwächer werdenden Mittelreich – dem »Neuen Reich« – bot man kühn Paroli.

»Wir sind wieder wer«, mochte stolz so mancher Horasier mehr als eintausend Jahre nach dem Untergang des leuchtenden Bosparan denken, wenn er die durch Politik, Handel und Krieg errungenen Reichtümer betrachtete, die täglich die großen Hafenstädte am Meer der Sieben Winde erreichten.

Doch die Fassade bröckelte rasch: Nach dem Tod der Kaiserin im Praios des Jahres 1028 rüsteten sich schon die Parteien, Gruppen und Fraktionen in Öffentlichkeit und Untergrund, um aus dem Ableben der mächtigen Herrscherin ihren persönlichen Vorteil zu ziehen. Figuren wurden aufgestellt, gezogen und vom Feld geschlagen, Positionen neu besetzt, getauscht oder entfernt. Die vielschichtigen politischen und gesellschaftlichen Konflikte, die im Verborgenen seit vielen Götterläufen bestanden hatten, spitzten sich schneller zu, als es viele der Mächtigen geahnt hatten. Auf allen Ebenen, von den Palästen der Aristokraten und den Salons der Wohlhabenden bis hinunter in die dreckigen Gossen und Kanäle der horasischen Städte, brachen Kämpfe aus.

Vor allem aber der Zwist der kaiserlichen Kinder um die Thronfolge stürzte das gesamte Reich am Yaquir in einen blutigen Konflikt, der Hass säte, Familien trennte und Freunde entzweite. Die Schwäche des Kaiserhauses machten sich all jene zunutze, die bisher nicht an der Macht und dem Wohlstand des Reichs teilgehabt hatten.

Zwei Götterläufe hatte der Krieg der Geschwister Timor und Aldare angedauert, und das Reich ihrer Mutter war daran beinahe zerbrochen. Söldnerheere konkurrierender Condottieri hatten die Städte verheert. Marodeure, Aufständische und Gesetzlose zogen beinahe unbehelligt durchs Land, während sich der Adel in ständigen Fehden gegenseitig schwächte und dadurch seine Vormachtstellung einbüßte.

Doch durch den Willen der Götter wurde der Geschwisterzwist beigelegt und letztlich ein neuer Horas gesalbt. Der Frieden unter dem neuen Herrscher erwies sich als Segen, denn nur so konnten die Horasier die Feinde zurückschlagen, die das vom Krieg geschwächte Reich herausforderten – und somit letztlich seine Größe bewahren.

Ein jeder musste nun in den neuen Verhältnissen seinen Platz finden.

Kapitel 1

Der Mantel der Nacht hatte sich über die Felder und Auen am Yaquir gelegt. Die dunklen Fluten des Stroms schoben sich still durch ein breites Tal, das von hohen Hügelflanken begrenzt wurde. Auf dem Wasser spiegelte sich der Glanz des neugeborenen Madamals, das hin und wieder durch schnell dahintreibende Wolkenbänder verdeckt wurde. Ein kühler Sommerwind rauschte in den Wipfeln der Platanen, die eine Allee entlang des Flussufers bildeten.

Die Nacht war still. Nur zwei einsame Lichtpunkte waren auf der Straße am Fluss zu sehen. Sie bewegten sich langsam auf ein Anwesen oberhalb des Yaquirs zu. Die Lichter gehörten zu zwei Laternen, die einer zweispännigen Kutsche den Weg leuchteten. Das Gefährt passierte ein hohes Eingangsportal am Ende der Allee, von dem weißer Kies den Hügel hinauf zum Hauptflügel des Anwesens führte.

Der Palazzo mit seiner Fassade aus verspielten Halbsäulen im eslamidischen Stil war vor dem Unabhängigkeitskrieg des Lieblichen Feldes errichtet worden. Trotz der zweieinhalb Jahrhunderte, die seitdem vergangen waren, war das Schloss noch immer in tadellosem Zustand. Einige Fackeln erhellten den Weg zum Eingang des Hauptgebäudes, die Flammen tanzten unstet im Wind. Die Figurinen im aufwendigen Stuckwerk der Fassade entwickelten im Spiel aus Licht und Schatten ein geisterhaftes Eigenleben. Im Schein der Fackeln bildeten die Gebilde aus weißem Mörtel ein schweigsames Publikum, das den nächtlichen Besuch mit schattenschwarzen Augen beobachtete.

Der Kutscher brachte das Gespann vor der Eingangstreppe abrupt zum Stehen. Die Pferde schnauften und scharrten unruhig über den Kies. Mit einem geübten Sprung gelangte der Fuhrmann vom Bock auf den Hof, zog ein zusammengefaltetes Trittbrett hervor und öffnete die Tür der vornehmen Karosse.

Aus der Schwärze der Kabine schälte sich die Gestalt eines großen, kräftig gebauten Mannes. Er trug ein rotes Wams nach neuestem methumischen Schnitt. Ein grünes Barett aus gefütterter Seide bedeckte seinen Kopf und warf einen Schlagschatten, der die rechte Seite des Gesichts nur schemenhaft erkennen ließ. Über den sauber gestutzten Bart ragte eine spitze Nase hinweg. Die edle Kleidung und der selbstsichere Ausdruck in den stahlgrauen Augen, mit denen er zur Eingangstür blickte, verliehen ihm eine überaus vornehme Aura.

Leichtfüßig stieg er über das wankende Trittbrett auf den Vorplatz. Der Kies knirschte unter den Absätzen seiner Stiefel, als er schnellen Schritts den Platz überquerte und die Treppenstufen zum Eingang des Schlosses hinaufschritt. Noch bevor er die Tür erreichte, wurde das prachtvolle Portal geöffnet, und warmes Licht empfing den Besucher. Ein livrierter Hausdiener in fortgeschrittenem Alter öffnete die Tür weit für den eilig heranschreitenden Gast.

»Ah, Galas!«, sagte der Besucher freudig. »Da ich mit offenen Toren empfangen werde, nehme ich an, meine Nachricht ist noch rechtzeitig angekommen. Ich hatte schon befürchtet, die Signorina wäre bereits abgereist.«

Der Diener sah ihn mit einem nichtssagenden Blick an und verzog beim Sprechen nur leicht die Mundwinkel. »Die Zwölfe mit Euch, Don Asteron. Eure Nachricht erreichte sie beizeiten. Tretet ein. Die Domna erwartet Euch bereits im großen Salon.« Er wies in einen schwach erleuchteten Flur, zu dem sich das Foyer gegenüber dem Eingang verjüngte.

Don Asteron gelangte durch eine Tür aus buntem Glas in den Salon am Ende des Flurs. Die Täfelung, das Parkett und die kunstvolle Kassettendecke des Raums bestanden aus teurem Palisander. Er verbreitete einen leicht süßlichen Geruch, der entfernt an den Duft von Rosen erinnerte. Die vier Stühle und der Tisch der Sitzgruppe im Zentrum waren ebenfalls aus meridianischen Edelhölzern gefertigt.

Sein Blick fiel sofort auf die Dame, die, noch mit dem Rücken zu ihm gewandt, vor dem Tisch stand und ein Dokument zu studieren schien.

Sein Blick verharrte auf dem schlanken, reinweißen Nacken seiner Gastgeberin, über dem silberweißes und kunstvoll hochgestecktes Haar thronte.

»Domna Arela. Ich danke Euch, dass Ihr mich zu solch später Stunde noch empfangt.« Das Barett abnehmend, deutete Asteron eine Verbeugung an.

Ohne sich umzudrehen, erwiderte sie die Begrüßung. »Ihr seid mir willkommen.« In ihrer Stimme lag ein beruhigender Ton von der Art, mit der man Kinder sanft in den Schlaf wiegte. Sie legte den Papierbogen auf den Tisch.

Als sich Arela Weißblatt ihrem nächtlichen Gast zuwandte, bedachte sie ihn mit einem Lächeln, das dem stämmigen Mann für einen Augenblick den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte. Ihre mondgrauen Augen blickten direkt in die seinen. Hinter den silbernen Locken, die ihr über die Schläfen fielen, ragten spitze Ohren hervor. Allein der Blick der Elfe genügte, um einem weniger standhaften Mann die Sinne zu rauben. Im Halblicht des Salons glänzte sie in ihrem weißen Seidenkleid mit Perlbesatz und Drôler Spitze wie ein weit entfernter Stern am Firmament.

Doch Don Asteron war auf die betörende Wirkung der ehemaligen Gesandten der Garether Krone vorbereitet. Er wollte sich davon nicht beirren lassen, denn schließlich war er mit einer klaren Anweisung gekommen. Dennoch konnte auch er sich nicht vollständig dem einnehmenden Wesen der Edlen entziehen. Ihre körperliche Nähe und der samtene Klang ihrer Stimme ließen ihn sofort ins Schwitzen geraten. Er machte einen Schritt auf sie zu, nahm die dargebotene Hand und deutete einen höflichen Kuss auf den Handrücken an. Dann besann er sich, blickte ihr fest in die mandelförmigen Augen und wollte zu sprechen beginnen.

Plötzlich öffnete sich die Tür zum Salon. Galas trat hinkend ein und blickte seiner Herrin grimmig entgegen. Diese schien im Gegensatz zu Don Asteron kein bisschen überrascht von dem unvermittelten Auftauchen ihres Dieners und dessen mürrischem Gesichtsausdruck zu sein.

»Bringt dem Don eine Karaffe von dem geharzten Arivorer«, trug ihm Arela in ruhigem Tonfall auf. »Sicher ist er sehr durstig von der Reise.«

Don Asterons Gesicht hellte sich unwillkürlich auf. »Ah, Ihr wisst, wie sehr ich diesen Tropfen schätze. Ich danke Euch sehr, Gnädigste.«

Galas deutete ein Nicken an und humpelte steif hinaus, wobei er die Tür wenig schicklich mit einem lauten Knall hinter sich schloss.

»Das Gebaren Eures Dieners ist ein wenig ungehörig«, bemerkte Asteron dünkelhaft und blickte dem Alten hinterher. »Schon bei früheren Besuchen fiel mir sein trotziges Betragen auf. Vielleicht solltet Ihr ihm angemessenes Verhalten beibringen, wenn ich dies anmerken darf?«

»Galas ist absolut zuverlässig und bedingungslos loyal, Signor. Das werdet Ihr noch sehen. Es bedarf ihm gegenüber keinerlei Tadels«, entgegnete die Elfe und lächelte freundlich.

Der Don hob abwehrend die Hände. »Er ist Euer Diener, Signorina, Ihr werdet es am besten wissen.« Er griff in seine Weste und zog ein besticktes Taschentuch hervor, mit dem er eilig die Stirn abtupfte. »Nun gut, aufgrund der vorangeschrittenen Zeit werde ich ohne weitere Umschweife zur Sache kommen, Signorina. Unser gemeinsamer Bekannter hat mich mit dieser Reise beauftragt. Er benötigt Eure Hilfe, genauer gesagt, einige Auskünfte einen Mann betreffend, der sich jüngst in seine Angelegenheiten eingemischt hat.«

Arela Weißblatt lächelte Asteron noch immer an und legte den Kopf leicht schief. Nur das Blitzen in ihren Augen verriet ihr Unbehagen. »Ihr wisst, dass ich unserem Bekannten zu nichts verpflichtet bin. Wie kommt er auf den Gedanken, ich wäre willens, vertrauliches Wissen mit ihm zu teilen? Zumal Ihr nichts von einer angemessenen Gegenleistung für solch einen Gefallen habt hören lassen.« Arela ging zum Tisch zurück, wo sie das zuvor gelesene Dokument sorgfältig zusammenfaltete.

Ihr Besucher grinste gönnerhaft. »Verehrte Signorina. Das liegt doch auf der Hand. Die Zahl Eurer Freunde hier ist geringer denn je. Ihr solltet Euch mit denen gutstellen, die Euch entgegenkommen. Ihr kennt das Angebot unseres Freundes. Wenn Ihr zustimmt und ihn bei der Umsetzung seiner hehren Ziele unterstützt, würde er sich Euch gegenüber mehr als großzügig erweisen.« Der Don blieb bei einem Sessel in der Nähe des Kamins stehen und faltete unschuldig die Hände vor dem Unterleib. »Müßig zu erwähnen, dass wir von Eurer delikaten Vergangenheit im Dienste des so unglücklich verschiedenen Grafen von Wehrheim wissen, Signorina.«

Arela lachte amüsiert. »Ihr sprecht eine eindeutige Sprache, Signor. Euer letztes Argument überzeugt mich jedenfalls von der Dringlichkeit, die Euch in dieser Angelegenheit zu mir geführt hat. Ihr verliert tatsächlich keine Zeit, schon gar nicht für angemessene Höflichkeiten.«

»Verzeiht mir, Teuerste. Ich bin untröstlich. Mir wurde empfohlen, Euch klarzumachen, wie wichtig unserem Freund Eure unbedingte Kooperation in dieser Sache ist.«

»Ich verstehe.« Arela nickte und sah Asteron tief in die Augen. »Und wie kann ich unserem Bekannten behilflich sein? Über wen benötigt er so dringend Auskünfte, dass er Euch so eilig zu mir sandte?«

Ihr Besucher näherte sich dem schweren Sessel aus gedrechseltem Holz und ließ sich auf das mit Samt bezogene Polster sinken. Langsam strich er mit den Händen über die polierten Lehnen des kostbaren Möbelstücks, als wollte er den folgenden Worten zusätzlichen Nachdruck verleihen. »Was wisst Ihr über Comto Ravendozas rechte Hand, den Baronet Darian von Farsid-Berlînghan?«

Wenn Arela überrascht war, so war es ihr nicht anzusehen. Sie blickte ihren Besucher immer noch freundlich an, antwortete jedoch nicht sofort. Asteron wollte gerade wieder zu sprechen ansetzen, als er zusammenschreckte: Erneut öffnete sich polternd die Tür des Salons. Galas trat mit einer Weinkaraffe und zwei Pokalen ein. Geräuschvoll stellte er die Gefäße auf dem Tisch ab.

»Danke, Galas, Ihr könnt gehen. Ich bewirte unseren Gast selbst.«

Der kurze abschätzige Blick, den Galas ihm zuwarf und der eines Hausdieners gar nicht gebührlich war, beunruhigte den Don, aber diesmal ließ er sich nicht von dem dreisten Knecht verunsichern. »Ich danke Euch«, bemerkte er betont höflich und wunderte sich über sich selbst. Es war nicht seine Art, sich bei Lakaien zu bedanken. Er wollte den absonderlichen Mann ganz einfach schnell wieder den Raum verlassen sehen.

Galas verschwand, und Arela füllte Don Asteron einen Pokal mit erlesenem Rotwein, dessen würziger Duft ihm sofort in die Nase stieg. Er wartete, bis seine Gastgeberin sich ebenfalls eingeschenkt hatte, und erhob dann das Gefäß.

»Auf Eure Gastfreundschaft, Domna Arela!«

Arela erwiderte huldvoll seine Geste. Asteron nahm einen Schluck, dann wandte er sich dem Geschäftlichen zu.

»Unser gemeinsamer Freund weiß, dass Ihr den Baronet sehr gut kennt und auch oft Umgang mit ihm gepflegt habt. Also, was könnt Ihr uns über ihn sagen?«

Arela schien der fordernde Tonfall Asterons nicht zu irritieren. Sie stellte den Weinpokal auf dem Tisch ab und schlug einen leichten Plauderton an. »Signor Darian von Farsid-Berlînghan ist der Sohn eines reichen und mächtigen Mannes. Doch er war selten mit dem im Einklang, was sein Vater, der verstorbene Baron Tanglan von Vinsalt, für richtig und schicklich hielt. Die Reputation des Barons litt allzu oft unter den Kapriolen seines letztgeborenen Sohnes, der schon in jungen Jahren die Gefahren und den Nervenkitzel in den Gassen der Kapitale mehr schätzte als eine standesgemäße Erziehung. Für einen yaquirischen Edelmann ist er in der Tat äußerst direkt – ungehobelt und unverschämt, wie es ein Hofrat Ihrer Majestät Amene einmal wenig diplomatisch nannte. Er war schon immer auf der Jagd nach Ehre, Ruhm und Anerkennung. Nicht jedoch nach der gesellschaftlichen Auszeichnung, die sein Vater für ihn am königlich-yaquirischen Hof vorgesehen hatte. Sein Studium der Kameralistik an der Vinsalter Rechtsschule brach er gegen den Willen der Familie ab. Er bereiste die Länder Aventuriens und lebte das Leben eines fahrenden Ritters, der sich seine Herren selber sucht und die Freiheit des Ungebundenen voll ausschöpft.«

»Noch ein romantischer Vagabund! Wie kommt so einer an einen prestigeträchtigen Titel im Hausorden der Firdayons?« Asteron schwenkte versonnen den Pokal in seiner Hand. Arela hob mahnend einen Zeigefinger und fuhr fort. »Irgendwann zog es ihn aber zurück in die Heimat. Er diente in der Armee und anschließend als Kapitan im Adlerorden. Während des Thronfolgekriegs kämpfte er auf Seiten Königin Aldares und wurde mehrmals für seine Tapferkeit ausgezeichnet. Er sieht sich selbst als Patrioten, der einer gerechten Sache dient.«

Don Asteron erhob sich verdrossen. »Einiges von dem, was Ihr sagt, ist uns bereits bekannt, Signorina. Was uns aber wirklich interessiert, ist, wie man ihn einzuschätzen hat. Ihr kennt ihn doch persönlich. Wie würdet Ihr den Baronet also beschreiben?«

Arela sah ihn versonnen an. »Darian von Farsid-Berlînghan ist von sich und seinen Fähigkeiten auf das Äußerste eingenommen. Er ist eitel, leidet an Selbstüberschätzung und reagiert darüber hinaus auf Kritik an seiner Person mit dem Charme einer Schiffsladung Hylailer Feuer, die eine brennende Lunte wittert. Seine besseren Eigenschaften haben aber auch einen fähigen Soldaten aus ihm gemacht. Denn immerhin ist ihm eine gewisse Furchtlosigkeit nicht abzusprechen, die äußerst motivierend auf sein Umfeld wirkt. Vor allen Dingen weiß er, wie man siegt. Genau genommen weiß er, wie man nicht verliert. Er ist ein großer Krieger auf dem Schlachtfeld, doch ein kompetenter Staatsmann ist er sicherlich nicht. Es fällt ihm schwer, sein aufbrausendes Temperament im Zaum zu halten. Vor allem mangelt es ihm an Weitsicht dafür, welche Konsequenzen sein Handeln haben könnte.«

Arela dachte einen Augenblick lang nach, dann schritt sie zu einem großen Gemälde neben dem Kamin, das die Erhebung Königin Amenes zur Horaskaiserin zeigte. Die Elfe deutete auf ein Reichswappen, welches das Banner zierte. »Betrachtet den Horasadler auf dem Wappen des Alten Reichs, und Ihr habt eine gute Vorstellung von dem, was Baronet Farsid-Berlînghan auszeichnet! Die Flügel drohend erhoben und den Rachen weit aufgerissen, sonnt er sich im eigenen Glanz. Er ist ein stolzes Wesen, das allen seine Überlegenheit präsentiert und sich ganz auf die eigene Kraft verlässt. Wie der Adler ist er eine wirklich imponierende Erscheinung!«

Arela strich mit ihren Fingern über die Augen des horasischen Wappentiers. »Und doch sagt uns sein Blick, dass er irgendetwas vermisst. Wie ein Greifvogel streift er suchend umher.«

»Ihr habt eine Schwäche für ihn, meine Beste. Ist es nicht so?«, lachte Asteron, dessen Wangen bereits die Farbe des Weins angenommen hatten.

Arela grinste. »Wir beide wissen, wenn ich mir Schwächen leisten würde, säßen wir jetzt nicht hier und würden so freundlich miteinander plaudern. Allerdings kann man behaupten, dass der Baronet und ich mitunter die Leidenschaft für Eroberungsfeldzüge teilen.«

Asteron musste bei dem Gedanken schmunzeln. »Da Ihr so ein außerordentlich facettenreiches Bild des Baronets entworfen habt, könnt Ihr mir sicher beantworten, was es braucht, um solch einen Mann für unsere Zwecke einzuspannen?« Er nahm einen weiteren Schluck Wein und wollte zu Arela hinübergehen. Überrascht stellte er fest, wie sehr ihm der Arivorer bereits zugesetzt hatte, denn ein kurzer Schwindel überkam ihn. »So wie Ihr ihn beschrieben habt, Teuerste, dürfte ein allzu direkter Versuch, seine Loyalitäten zu beeinflussen, ja zum Scheitern verurteilt sein.« Asteron trank den letzten Schluck aus dem dickbauchigen Pokal, bevor er neben Arela an das Gemälde trat. Sein vom Alkohol erregtes Gemüt verleitete ihn dazu, den Blick über die verlockenden Wölbungen im Ausschnitt ihres Kleides schweifen zu lassen. Dann hob er den silbernen Becher an sein Gesicht und berührte mit dem kühlen Metall seine erhitzte Wange. »Zu welchem Vorgehen würdet ihr uns also raten, Signorina?« Er reckte das Kinn und sah der Elfe herausfordernd in die Augen.

Arela lächelte, ohne zu antworten. Sie schlug die Wimpern nieder und machte einen Schritt auf den Don zu. Als sich ihre Blicke erneut trafen, ging ein Stechen durch seinen Magen. Ihr Anblick berauschte ihn.

»Ihr müsst lernen, Euch in denjenigen hineinzuversetzen, den ihr kontrollieren wollt«, sagte sie in einem Ton, der in Asterons Ohren wie der kühle Wind unter den Schwingen eines Nachtvogels klang. Er hatte nicht bemerkt, dass die Elfe den Fuß des Pokals ergriffen hatte. Sie nahm ihm sanft das Trinkgefäß aus der Hand, wandte sich von ihm ab und schlenderte zum Tisch zurück, auf dem die Weinkaraffe stand. Gekonnt füllte sie erneut den Pokal mit der schweren roten Flüssigkeit, ohne dabei ihren Gast aus den Augen zu lassen. »Es ist wichtig, die Vorlieben dieser Person zu kennen, seine Neigungen, besser noch seine … Schwächen.« Sie kam zu ihm zurück und drückte ihm den vollen Pokal wieder in die Hand. »Dann müsst Ihr demjenigen etwas anbieten, dem er nur schwerlich widerstehen kann. Gebt ihm einen Vorgeschmack auf etwas, das sein Herz begehrt. Lasst ihn davon kosten und es genießen. Wenn er sich nun ganz dem Vergnügen hingibt, wenn er darin aufgeht, wird er blind sein für die kleinen Einzelheiten. Großes Unglück entsteht oft dadurch, dass man sich gegenüber dem Geringen unachtsam zeigt. Diese Unachtsamkeit wird ihn einen Fehler machen lassen, der Euch die Gelegenheit gibt, denjenigen durch Zwang an Euch zu binden, den Ihr zu lenken wünscht.«

Asterons Blick schweifte in die Ferne. »Ein guter Rat, Signorina. Aber die Zeit drängt. Berlînghan weiß bereits zu viel.« Er gönnte sich einen weiteren kräftigen Schluck, obwohl er wusste, dass er schon zu viel genossen hatte. Als er den Pokal wieder von den Lippen nahm, bemerkte er den veränderten Ausdruck im Gesicht der Elfe. Ihm wurde auf einmal flau. »Was ist? Warum seht Ihr mich so an?«

Arela bedachte ihren Gast mit einem wölfischen Grinsen. »Oh, ich kam nicht umhin festzustellen, dass Ihr Euch darum keine Sorgen mehr machen müsst, Signor. Euch läuft die Zeit ohnehin davon.«

Asteron ließ den Pokal sinken. Eine furchtbare Gewissheit überkam ihn. »Was habt Ihr getan?«, keuchte er, während ihn ein heftiger Schwindel ergriff. Wieder ging ein Stich durch seinen Magen, diesmal war es ein niederhöllischer Schmerz. Er ließ den Pokal vor Schreck fallen und hielt sich den krampfenden Unterleib. Er versuchte sich an Arelas Kleid festzuhalten, die Elfe entging ihm aber mit einem gewandten Schritt, sodass Asteron vor ihr auf den Boden kippte. »Das wird Euch teuer zu stehen kommen, Ihr …«

Viel weiter brachte es Asteron nicht, da ihm der Schmerz die Kehle zuschnürte.

Arela trat an den sich windenden Mann heran und beugte sich mit einer mitleidigen Miene zu ihm herunter. »Jede Sache hat ihren Preis. Der Versuch, mich zu erpressen, ist mitunter ein sehr teures Vergnügen, Don Asteron.«

Asteron konnte nicht viel mehr tun, als sie mit geweiteten Augen anzustarren. Sein Körper wurde immer steifer, und der Raum um ihn begann zu verschwimmen. Schließlich versagten ihm seine Sinne den Dienst, und es wurde schwarz in seiner Welt. Sein Kopf sackte schlaff zur Seite.

»Glaubt nicht, dass Ihr mit mir umgehen könntet, als sei ich eine Dienstmagd. Die Zeiten mögen sich geändert haben, doch Arela weiß noch im alten Takt zu tanzen.«

Der vergiftete Asteron war allerdings nicht mehr in der Lage, Arelas Drohung zu vernehmen. Für ihn kam sie zu spät.

Die Elfe ergriff seinen Kopf, während sie die Augen schloss und Worte in einer fremden Sprache sang. Endlich beendete sie die Prozedur und erhob sich gedankenschwer. Galas erschien wie auf einen unausgesprochenen Befehl hin im Salon.

»Galas, mein Bester, schickt den Don auf eine längere Reise nach Norden. Seine Anwesenheit hier ist nicht länger vonnöten. Gebt dem Kutscher genügend Silber, dass er ihn bis an die Südpforte fährt. Ich denke, dort gibt es einige almadanische Offiziere, die ihren früheren Kameraden gern wieder in die Arme schließen werden.«

Galas nickte, griff den Bewusstlosen unter den Achseln und begann schnaufend damit, ihn aus dem Salon zu schleifen. Bevor er die Tür erreichte, rief ihn Arela zurück:

»Und Galas, lasst die Pferde anspannen. Wir müssen dringend Darian von Farsid-Berlînghan aufsuchen.«

***

Von zwei Seiten wurde der hagere Gelehrte gepackt, der in seinen Bart murmelnd das Haus des Botendienstes Pertakis in der Oberstadt von Arivor verließ. Arme wie aus Zwergenstahl ließen dem älteren Mann keine Möglichkeit zur Gegenwehr. Schnell zogen sie ihn auf eine in einer Nebengasse bereitstehende Droschke zu.

»Meine Herren! Keine Causa exkulpiert solch eine Injurie! Lasst mich unverzüglich los!«, beschwerte sich der Mann lautstark.

»Halt’s Maul!«, befahl ihm einer seiner Peiniger und versuchte, dem zappelnden Opfer seine freie Hand vor den Mund zu halten.

»Die Obrig… mmh … davon … fahren!«, zeterte der Gefangene gedämpft weiter.

Doch der Ort der Entführung war gut gewählt: Auf den Gassen der Stadt befanden sich kaum Passanten, die von dem gewaltsamen Übergriff Notiz nehmen konnten. Nach nur wenigen Sekunden wurde der Mann in die Droschke geworfen. Dort sollte er wegen der meisterlichen Fesselkünste seiner Entführer keine weitere Gelegenheit zu Gegenwehr oder Hilferufen bekommen.

Rumpelnd suchte sich die Kutsche einen Weg durch die engen Straßen und verließ das Herz des Horasreichs auf der Reichsstraße Richtung Süden.

Kapitel 2

Am frühen Abend verließen einige schmuckvoll gewandete Personen das Ordenshaus der Sankt-Gerons-Loge in der Altstadt von Vinsalt.

Nur den edelsten, betuchtesten, beliebtesten oder mächtigsten Bewohnern der Hauptstadt war es überhaupt gestattet, einen Fuß in das Haus der exklusiven Vereinigung zu setzen. Die Loge suchte sich ihre Mitglieder selbst aus, und wer von ihr geladen wurde, hatte seinen Weg durch das Dickicht der gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Beziehungen bis zur Spitze beschritten. Die Aufnahme stellte mehr als einen Ritterschlag dar, es kam für viele gesellschaftliche Aufsteiger der Krönung eines Lebenswerks gleich. Nicht wenige mächtige Männer und Frauen im Horasreich hatten in vergangenen Zeiten verbittert ihren Flug über das Nirgendmeer angetreten, ohne jemals eine Einladung der Loge erhalten zu haben. Neuerdings bestimmte allerdings weniger das Ansehen als vielmehr die finanzielle Ausstattung der Kandidaten über eine Mitgliedschaft: Wer es sich leisten konnte, brachte die immense Aufnahmesumme auf und wurde auf diesem Wege relativ schnell zum Logenbruder oder zur Logenschwester.

Dementsprechend selbstbewusst und von allen Passanten ehrfurchtsvoll beäugt verließen die Mitglieder der Loge das Haus. Vorneweg schritten zwei Männer, die mit ihrer imposanten Erscheinung die meisten Blicke der Vorbeikommenden auf sich zogen. Beide waren im Vinsalter Stil gewandet, eine modische, an eine Uniform erinnernde Bekleidung der wohlbetuchten Damen und Herren der Gesellschaft. Die Männer scherzten miteinander, während sie die wenigen Steinstufen vor dem Stadthaus herabschritten, um zu ihren Pferden zu gelangen, die bereits von Dienern bereitgehalten wurden.

In hellem Rot verschwand die Rahjasonne hinter den Häusern und Türmen der Innenstadt und tauchte die Kapitale in warmes, kupferfarbenes Licht. Auf der Straße vor dem Logenhaus ging es noch betriebsam zu. Bürger und Adel befanden sich auf dem Weg in die heimatlichen Mauern oder strebten den Vergnügungen und Gesellschaften des Abends entgegen.

Die beiden Männer schienen bester Laune zu sein. In lockerem Gespräch blieben sie am Fuß der kurzen Treppe stehen. Bei dem älteren der beiden handelte es sich um Cusimo von Garlischgrötz, den Herzog von Grangor. Trotz seines Alters von etwa fünfzig Götterläufen und einem mittlerweile deutlich erkennbaren Bauchansatz unter dem teuren Brokat versetzte er die Damenwelt noch immer in Verzückung. Sein akkurat gestutzter Vollbart, die immer noch schwarzen Haare, unter die sich nur vereinzelt graue Strähnen mischten, aber vor allem seine stechend grünen Augen begeisterten nicht nur die Damen seines Alters, sondern füllten die Gemächer des beliebten Herzogs auch immer wieder mit jungen Mätressen und Gesellschafterinnen. Im Hochadel des Reichs, aber auch im einfachen Volk wusste man von den Vorlieben des Lebemanns Cusimo, was ihm in der feinen Gesellschaft hin und wieder Spott, beim einfachen Mann aber einige Beliebtheit eingebracht hatte, weil er immer wieder für unterhaltsamen Gesprächsstoff sorgte.

Zu seiner Rechten, ganz in schwarz gekleidet, schritt sein Freund Darian Ardismôr von Farsid-Berlînghan, Kapitan im Marschallsdirectorium des Staatsordens vom Goldenen Adler, die Treppe hinunter. Unter einem breitkrempigen Federhut rahmte nicht ganz schulterlanges dunkelbraunes Haar das Gesicht des etwa dreißigjährigen Edelmanns ein. Ein sauber gestutzter Schnurr- und Kinnbart verlieh den edlen Zügen des Mannes zusätzlich aristokratische Konturen.

Rings um die beiden Würdenträger hatten sich weitere Vertreter der Loge eingefunden, Adlige, bürgerliche Ratsherren und Patrizier, um Darian zu seiner Aufnahme in die Reihen der Loge zu gratulieren. Auch sie wurden von Dienern und Lakaien umschwärmt, und aus dem Hinterhof des Logengebäudes wurden eilig Pferde und Kutschen herbeigeschafft, damit sie sofort bereitstanden, wenn die Herrschaften aufzubrechen wünschten. Eine Abordnung grangorischer Hellebardiere erwartete ihren Herzog, der am Fuße der Treppe innegehalten hatte und in ein Gespräch mit seinem Begleiter vertieft war.

»Ich hoffe, die Abendspeisen sind ein wenig bekömmlicher als noch vor einigen Wochen. Wie man hört, haben sie den Koch – es soll tatsächlich ein Hügelzwerg gewesen sein – fortgejagt«, lächelte der Herzog.

»Der Goldene Löwe konnte sich einen Zwergenkoch leisten?«, antwortete der Angesprochene amüsiert. »Also, mit Zwergen habe ich mitunter schlechte Erfahrungen gemacht – nicht nur in kulinarischer Hinsicht!«

»Jaja … dein Frauengeschmack!« Cusimo winkte in gespielter Anwiderung ab, während er sich trotz seiner Körpermasse elegant aufs Pferd schwang. »Vielleicht sollte ich auch einfach gar nichts essen heute Abend, das Mittagsmahl liegt mir noch wie ein Stein im Magen!«

Als Darian, der ebenfalls auf sein Pferd gestiegen war, zu einer Erwiderung ansetzte, unterbrach ihn ein lauter Aufschrei. Am Ende der breiten Straße brach Tumult aus: Passanten sprangen auseinander, Pferde wieherten, und eine Droschke stürzte auf die Seite.

Alle Gesichter vor dem Logenhaus wandten sich dem Lärm zu. Eine schwarze zweispännige Kutsche kam in hoher Geschwindigkeit aus dem Tumult heraus direkt auf das Logenhaus zugerast. Ohne Rücksicht auf die umstehenden Menschen hielt sie genau auf die versammelte Gesellschaft zu.

Rund um die beiden Adligen begannen die Diener durcheinanderzulaufen, Geschrei setzte ein.

Darians Hände verkrampften sich um die Zügel. Er versuchte, sein scheuendes Pferd unter Kontrolle zu halten. Das gelang ihm zwar, aber er konnte sich nicht fortbewegen, da er von allen Seiten von verängstigten Dienern, hysterischen Patriziern und dem Pferd des Herzogs blockiert wurde.

Die Kutsche hielt mit unbarmherziger Geschwindigkeit auf die Gruppe zu, in wenigen Sekunden würde es zu einem Zusammenstoß kommen. Um ihren Herrn zu schützen, stellten sich einige der Gardisten des Herzogs mit gesenkten Hellebarden vor die Adligen.

Im letzten Augenblick vor dem Aufprall riss der Kutscher, ein ungeschlachter Kerl mit schwarzem Kapuzenumhang und Ledermaske, die Kutsche herum. Im hinteren Teil des Gefährts öffnete sich die rechte Seitentür, und eine ebenfalls vermummte Gestalt schrie: »Das ist für Euch, Berlînghan!« Ein faustgroßer Gegenstand flog in hohem Bogen auf den jungen Adligen und den Herzog zu.

»Granatapfel!«, dachte Darian und wusste instinktiv, dass er jetzt schnell handeln musste. Er verpasste dem Herzog einen Schlag in die Seite, sodass dieser überrumpelt vom Pferd stürzte. Er selbst versuchte sein Reittier herumzureißen, um dem Wurfobjekt auszuweichen. Dabei verlor er jedoch den Halt. Sein Pferd machte einen Satz nach vorn in das des Herzogs und warf dabei seinen Reiter rücklings ab.

Trotz seiner geschulten Reflexe gelang es dem Adlerritter nicht, sich noch abzurollen, sodass er mit dem vollen Körpergewicht schmerzhaft auf die rechte Schulter krachte. Er blieb benommen auf der Straße liegen.

Zu seiner Überraschung passierte aber gar nichts. Stattdessen senkte sich für einige Herzschläge borongefällige Stille über die abendliche Szenerie in der Hauptstadt, bis die Diener aus ihrer Erstarrung erwachten und zu dem am Boden liegenden Herzog und seinem Freund eilten. Keine todbringenden Flammen aus den öligen Innereien eines Granatapfels suchten die beiden Gestürzten zu verbrennen, keine giftigen Dämpfe und kein Dämon der Niederhöllen waren dem Flugobjekt entsprungen. Darians Schulter schmerzte, und dem Edelmann wurde bewusst, wie erbärmlich er vor seinen Untergebenen im Staub lag. Mühsam richtete er sich wieder auf, während die ersten Lakaien auf ihn zusprangen.

»Euer Hochgeboren, ist Euch wohl? Das war ein schlimmer Sturz. Ihr hättet Euch das Genick brechen können!«

»Es sah schlimmer aus, als es war«, entgegnete Darian unwirsch. »Schau Er lieber nach dem Herzog!«

Aber auch Cusimo schien den Sturz gut überstanden zu haben und stand bereits wieder aufrecht. Allerdings zierte eine große blutige Schramme seinen linken Wangenknochen. Während er auf Darian, der sich ebenfalls vollends erhoben hatte, zuschritt, riss er einem gepuderten Logenmitglied ein Spitzentüchlein aus der Hand und wischte sich damit das Blut aus dem Gesicht.

»Uns dünkt, man ist lange nicht mehr geritten, Garlischgrötz, wie?«, ahmte Darian grinsend den Tonfall eines affektierten Aristokraten nach. »Haben wir wohl das Absteigen verlernt?«

»Vielleicht sollte Er einfach einmal den Mund halten und seine Grenzen kennen, Signor!«, giftete Cusimo unter bewusster Unterschlagung von Darians korrektem Titel zurück.

»Vergesst nicht, wessen Vater einstmals Herr dieser Stadt gewesen ist, Euer Hoheit!«, entgegnete Darian ironisch mit erhobenem Zeigefinger. Der junge Adlige spielte auf seine Herkunft als zweiter Sohn des während der Thronfolgekonflikte verstorbenen Barons von Vinsalt an: Tanglan Ardismôr von Farsid-Berlînghan. Er trug somit den Titel eines Baronet von Vinsalt, der auch von dem neuen Fürsten der Kapitale bestätigt worden war.

»Wichtiger scheint mir, ob dir bei dem Sturz etwas zugestoßen ist? Mir selbst geht es so weit gut. Dein Schlag sollte mir offenbar das Leben retten. Ich danke dir, doch das war anscheinend nicht nötig. Sie haben nur ein kleines verschnürtes Päckchen geworfen.« Cusimo übergab Darian ein nicht ganz faustgroßes Bündel. Der Adlerritter öffnete die Verschnürung und förderte neben jeder Menge weichen Füllstoffs lediglich einen runden Gegenstand zutage: die Kugel einer Arbalone, einer schweren Torsionsschleuder, die vom horasischen Heer verwendet wurde. In die metallische Oberfläche hatte man das Wort Verbrecher eingeritzt.

»Lass sehen! Was hat man dir zukommen lassen?«, fragte der Herzog, während er sich zwei Diener vom Leib hielt, die versuchten, den Straßenstaub aus seinen Kleidern zu klopfen und zu bürsten.

»Das ist eine lange Geschichte, die wir nicht hier auf der Straße besprechen sollten«, erwiderte Darian nachdenklich. Er brauchte einen kurzen Moment, um seine Gedanken zu ordnen und die Fassung wiederzuerlangen. Er hatte eine Vermutung, wer ihm diese charmante Warnung hatte zukommen lassen, wollte sie aber nicht gegenüber dem Herzog äußern. Mit einem etwas zu aufgesetzt wirkenden Grinsen wandte er sich wieder Cusimo zu. »Jetzt ist es erst einmal Zeit, den Tag gebührend ausklingen zu lassen, Euer Hoheit. Da ich doch nun Ehrenmitglied dieser notablen Compagnie hier bin, sollte dies auch angemessen gefeiert werden!«, sagte er und schwang sich behände auf sein Ross.

»Offensichtlich ist es uns gelungen, alles zu deiner Zufriedenheit einzufädeln«, kommentierte der Herzog Darians Vorschlag mit gespieltem Stolz und klopfte sich selbst auf die Schulter. »Nach dem Essen bestünde ja die Möglichkeit, den Schwanenflug zu besuchen, falls wir nicht schon vorher unversehens in angenehme Gesellschaft geraten … «, grinste er und bestieg ebenfalls sein Pferd.

»Davon gehe ich aus, aber man kann den Schwanenflug ja auch mit dieser Gesellschaft besuchen!«, lachte Darian.

Am späten Abend war die Gesellschaft im Schwanenflug eingetroffen, dem nach Meinung der beiden Freunde besten »Salon« der Hauptstadt. Dass es sich bei dem »Salon« nach Ansicht eines Großteils der ehrbaren Stadtbevölkerung um ein profanes Bordell handelte, dessen Dienste sich nur die Reichen und Mächtigen leisten konnten, hatte Darian und Cusimo noch nie gestört. In gepflegtem Ambiente seine Stunden mit einem guten Wein und schönen Frauen zu verbringen, gehörte zu den Lieblingsbeschäftigungen der beiden Lebemänner.

Beide lagen auf einem Diwan und ließen sich von nur spärlich bekleideten dunkelhaarigen Schönheiten mit in Branntwein eingelegten Trauben füttern. Dazu rauchten sie eine Wasserpfeife, deren Tabak mit dem getrockneten Fruchtfleisch von Cheria-Kakteen angereichert war, die beide bereits in die Arme einer wohligen Lethargie getrieben hatte.

Einzig die Reize der Frau, die Darian mit den Trauben fütterte, hielten ihn noch davon ab einzuschlafen. Das Feuer, das in ihm brannte, wenn er die Rundungen der Kurtisane betrachtete, war ihm die liebste aller Drogen.

»Zieh dich aus!«, wies er die Frau an, die sich ihm als Ramira aus Meridiana vorgestellt hatte. Im Hintergrund verrieten eindeutige Geräusche, dass Cusimo bereits seinen täglichen rahjaischen Gottesdienst begonnen hatte.

Die südländische Schönheit erhob sich vor Darian und ließ langsam alle Hüllen fallen.

»Mit mir vergesst Ihr alle Eure Sorgen, Euer Hochgeboren!«, hauchte sie ihm zu und kam in seine Arme.

Am nächsten Morgen betrat Darian trotz eines dicken Kopfs die Staats-Procuratur. Es war nicht immer so gewesen, dass er nach durchzechten Nächten am nächsten Tag pflichtbewusst zum Dienst erschienen war. Doch Staatsmarschall Comto Amaldo Ravendoza hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass die errungenen Rechte durch die Erfüllung von Pflichten untermauert werden mussten, sollten sie auf Dauer Bestand haben.

Der Weg durch die hallenden Gänge des riesigen Gebäudes kam ihm ewig lang vor. Im Geiste ging er die Angelegenheiten durch, die ihm heute bevorstanden. Eine Vielzahl von Petitionen, Verordnungen, Erlassen und Korrespondenz aller Art wartete darauf, mit seiner Unterschrift versehen zu werden. Die Thronfolgekonflikte hatten der Kronverwaltung einen Berg unerledigter Akten und Dokumente von der Höhe des Ehernen Schwerts hinterlassen. Darian war zu seinem Leidwesen von Marschall Ravendoza dazu abberufen worden, diesen Missstand zu beseitigen.

Inspektor Ryano di Jakaris, seine rechte Hand, eilte wenige Augenblicke nach Darian mit einem großem Stapel Dokumente herein. Er warf sie quer über den überfüllten Tisch, wobei einige Schriftstücke von älteren Stapeln zu Boden fielen.

»Euer Hochgeboren, es gibt viel zu tun: Ihr müsst über drei Fälle von Landesverrat entscheiden und Eure Einschätzung noch heute dem Ucuri-Hof vorlegen, bevor das Gericht die Ahndung der Straftat aufgrund der Fülle zwingenderer Fälle ad acta legt. Des Weiteren braucht die Passgräfin auf Königlich Leomarsteyn die Genehmigung, die vom Kabinett bereits im Ingerimm 1028 beschlossenen Ausfuhrzölle in die Khôm zu erheben. Wir müssen zudem über eine Lösung der territorialen Streitigkeiten in der Baronie Ruthor nachdenken, Euer Hochgeboren!« Während er sprach, sortierte Ryano hektisch die Papiere. Darian lehnte sich in seinem samtgepolsterten Stuhl zurück und betrachtete das allmorgendliche Ritual des jungen Advokaten wie stets mit einiger Belustigung.

»Außerdem hat der Landgraf vom Sikram eine Protestnote an Euch gerichtet: Er beschwert sich über die unverhältnismäßige Härte unserer Gerichtsvollzieher innerhalb seines Herrschaftsgebiets. Zum gleichen Thema äußert sich seine Hochwohlgeborene Durchlaucht Nepolemo ya Torese äußerst benevolent. Diese Diskrepanz gilt es bei einer Antwort zu bedenken«, fuhr di Jakaris fort. »Ad finis habe ich hier noch einige Baugenehmigungen, Streitfälle minderer Art und ein Addendum zur letzten Verwaltungsverordnung für das Königreich Dról.«

»Man ist geneigt zu sagen, dass es sich durchaus um ein akzeptables Maß an Arbeit handelt. Mit den Dingen, die gestern liegen geblieben sind, ist das ja bis zum Mittag zu bewältigen«, grinste Darian ironisch.

Selbst bei ununterbrochener Arbeit hätten sich die beiden Staatsdiener ohne Weiteres bis zum Ende der Woche damit aufhalten können. Die Staats-Procuratur war seit dem Thronfolgekrieg chronisch unterbesetzt. Ausschließlich Dinge, die keinerlei Aufschub mehr duldeten, konnten umgehend bearbeitet werden, alles andere wurde verschoben. So bildete sich ein immer größer werdender Posten unerledigter Aufgaben, die irgendwann über Darian zusammenstürzen und ihn unter sich begraben würden, befürchtete er. Und dies könnte tatsächlich im wörtlichen Sinn passieren, wenn er die Stapel an neu eingetroffenen Schriftstücken auf dem Boden seiner Schreibstube betrachtete. Selbst die Marmorbüste König Khadans rechterhand von seinem Sessel schien etwas ungläubig auf den Aktenstapel auf dem breiten Tisch zu blicken. Die tapferen Kronritter, die einst mit ihm die Freiheit des Lieblichen Feldes erkämpft hatten, waren zu Schreibtischkriegern verkommen, dachte der Horasier verdrossen.

»Gut, einige Dinge können wir schnell klären, lieber Ryano.« Darian beugte sich vor und betrachtete kurz die Schriftstücke. »Den Landgraf vom Sikram werden wir ignorieren. Er kann sich gerne aufregen, das ist mir – also dem Staat – in diesem Fall gleichgültig. Teilt der Passgräfin mit, die neuen Zölle sollen auf jeden Fall erhoben werden, prüft aber lieber noch einmal, um was für Zölle es sich genau handelt und wie sich die königlichen Räte seinerzeit dazu geäußert haben. Dann gehen wir jetzt die aufgerufenen Verratsfälle durch, bis Gavan eintrifft.«

Bei Pelleas Gavan handelte es sich um einen Sonderkommissar des Marschall-Direktoriums. Er kümmerte sich vorwiegend um Belange im Felde, wies Einsatztrupps und Operationen an und war für alle Aktionen verantwortlich, die der Öffentlichkeit und dem restlichen Orden besser verschwiegen wurden. Allgemein wurde vermutet, dass er für das offiziell gar nicht existierende Directorium für besondere Angelegenheiten tätig war, aber dessen war sich auch Darian nicht so sicher.

Gavan suchte den Kapitan einmal in der Woche am Vormittag zu einer Besprechung in seinem Dienstzimmer auf. Darian hatte ihn am vorigen Abend noch kontaktiert, um Informationen über den merkwürdigen Anschlag vor dem Logenhaus auszutauschen.

Der Kommissar betrat eine Stunde später das Arbeitszimmer des Baronets. Darian diktierte gerade die Antwort auf eine lange vernachlässigte Anfrage eines Kusliker Handelshauses, während Ryano mit bemerkenswerter Geschwindigkeit seine Anmerkungen notierte.

»Heil dem Horas!«, brüllte Gavan laut und erntete verständnislose Blicke. Auf diese Art begrüßten sich normalerweise nur die ultrapatriotischen Mitglieder des Horaskaiserlichen Hausordens vom Heiligen Blut. Gavan war nun eher das Gegenteil solch eines Eiferers und legte stattdessen mitunter ein Gebaren an den Tag, das noch am ehesten in den Gossen Alt-Bosparans angemessen war – in inoffiziellem Rahmen machte er sich gern über die strenge Etikette und den Obrigkeitsglauben der horasischen Gesellschaft lustig.

»Dachte, bring hier ma ’n bisschen Stimmung rein, Euer Hochgeboren! Preiset den heiligen Reichsgründer!«

»Dafür könnte ich dich aufhängen lassen, mein Freund, und ich würde mich daran noch ergötzen!«, herrschte Darian ihn an. Er war nicht in der Stimmung für solche Scherze.

»Aber bitte erst, nachdem ich dir die Neuigkeiten überbracht hab. Da wird dich einiges intressiern. Un ’s sin nich nur gute Nachrichtn dabei, Gebieter!«

»Dann lass das Gerede sein und berichte! Ich habe keine Zeit für solche Spielchen heute Morgen, denn ausnahmsweise habe ich viel zu tun!«

»Is ja gut, Euer Hoheit! Zuerst das Wichtigste: Das Schiff aus Grangor is anscheinend nie aufn Olportsteinen angekommen.«

Darian runzelte die Stirn. »Sondern?«

»Wir haben nix mehr von Gion und sein Männern gehört. Stattdessen traf heut ‘n Schreibn der HPNC ein, die uns fragt, wann die versprochnen Soldaten des Adlerordens wohl eintreffn.«

»Wie kann so etwas passieren? Es verschwinden nicht einfach so fünfzig Soldaten und ihr Befehlshaber!«

»Entweder sin sie überfalln wordn, oder Gion hat uns verratn, Eminenz!«, grinste Gavan.

»Das Zweitere nehme ich wohl kaum an.« Darian stand auf und begann unruhig auf und ab zu schreiten.

Das Schiff, eine angeheuerte Schivone eines Handelshauses aus Grangor, war auf dem Weg zu den Olportsteinen gewesen, um dort eine Abordnung des Staatsordens zur Verfügung zu stellen und die sichere Heimkehr eines Handelskonvois der Horaskaiserlichen privilegierten Nordland-Compagnie zu gewährleisten. Ihr Kommandeur Esquirio Gion ya Ardigon war Darians engster Freund. Gion hatte den Auftrag pflichtbewusst, aber nur äußerst widerwillig angenommen. Zu einem Verrat hätte es unter seinem Befehl nie kommen können, dessen war sich Darian sicher.

»Es muss etwas passiert sein, ein Unglück oder ein Überfall, vielleicht durch Seeräuber, marodierende Thorwaler oder ähnliches. Kümmere dich bitte um die Sache, Gavan, das duldet keinen Aufschub!«

»Ich hab bereits zwei Männer losgeschickt, sie werdn nach ihnen suchen.«

Darian nickte. »Jetzt aber zu etwas völlig anderem«, wechselte er das Thema. »Ich habe einen Verdacht, wer gestern vor dem Logenhaus mit Geschützkugeln nach mir geworfen hat.«

»Schuldest du dem Besitzer einer hiesigen Munitionsmanufaktur etwa noch Geld, oder haste nur seine Tochter geschändet?«, grinste Gavan spöttisch.

Darian winkte ab. »Ich fürchte, das ist ein alter Hut. Es gibt da einen gewissen Cavalliere namens Hesindiego von Aralzin-Berlînghan, der es mir mit außerordentlicher Vehemenz nachträgt, dass ich seine Gemahlin für einige rahjaische Begegnungen erwärmen konnte.«

Gavan schmunzelte. »Wenns nur darum ginge, könnt fast jeder gehörnte Ehemann im Lieblichen Feld und drüber hinaus für diesen unerfreulichn Zwischenfall verantwortlich sein.«

»Nein, es geht wohl nicht nur darum«, seufzte Darian. »Seit ich ihn und seine Vorhut der Bethanischen Bogner bei der Schlacht um Pertakis mit einem Banner Arbalettieri aus dem Hinterhalt habe niederschießen lassen, fühlt er sich … sagen wir, in seiner Ehre verletzt.«

Gavan hob zweifelnd eine Augenbraue.

»Es war Krieg!«, verteidigte sich Darian schulterzuckend. »Das scheint er nicht verstanden zu haben.«

»Also ich versteh, mein Bester, dass du ganz gemäß dem altn Grundsatz gehandelt hast, dass es weder im Krieg noch in der Liebe Regeln gibt, und der arme Cavalliere muss das jetzt ausbadn.«

»Trotzdem rechtfertigt es nicht seine Handlungsweise. Ich will dafür seinen Kopf rollen sehen, schließlich hat man mich in aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht.« Darian dachte mit Unbehagen an einige seiner öffentlichen Auftritte auf der großen Bühne der Stadt Vinsalt zurück, die oft genug eher peinlich gewesen waren als beeindruckend. Er war eben doch zu sehr Krieger als Aristokrat, und seine direkte Art bei öffentlichen Anlässen sorgte hin und wieder für einen gesellschaftlichen Eklat. Höhepunkt war der große Ball damals im Hause seiner Eltern gewesen, als er den Landgrafen vom Sikram beleidigt, einige Vertreter des Hochadels, unter anderem Cusimo von Grangor, durch ein Rauschgift aus Versehen beinahe umgebracht hätte, und sich deshalb danach in aller Öffentlichkeit mit seiner Familie stritt. Darauf hatte ihm sein Vater lebenslanges Hausverbot im Anwesen der Familie in Alt-Bosparan erteilt. Nur zu seiner jüngeren Schwester Niam, einer Studiosa in Methumis, hatte Darian ein gutes Verhältnis bewahren können.

»Ay, ‘n bisschen was is zusammengekommn«, riss Gavan ihn aus den Gedanken und brachte ihn wieder zu ihrem eigentlichen Thema zurück. »Zuerst ma is der Wagn beim Fuhrhof am Südtor gestohln wordn. War wohl ne Händlerkarosse.«

»Bleib da dran, Gavan. Findest du Leute, die da mit drin stecken, weißt du, was zu tun ist.« Darian fuhr damit fort, Papiere durchzusehen. »Und Ryano, setzt ein Schreiben an den Bürgermeister auf, in dem der Adlerorden die katastrophale Sicherheitslage in der Hauptstadt kritisiert. Anschläge am helllichten Tage auf den Hochadel des Reichs! Sind wir hier in Al’Anfa, oder was?«

»Diese Malevolenz wird ihn sicherlich amüsieren, Euer Hochgeboren«, murmelte Jakaris kopfschüttelnd in sich hinein.

»Halt es übrigens für das Beste, wenn du nich mehr groß draußen rumläufst, Kapitan, das war bestimmt nich’s letzte Ma, dass der Cavalliere so was probiert. Ich teil dir Tarperian für ‘n paar Wochen als persönliche Bedeckung zu. Außerdem verlässt du die nächsten Tage die Prokuratur und das Stadthaus nich, verstandn?«, fragte Gavan.

»Glaubst du, ich kann nicht auf mich selbst aufpassen? Ich bin doch kein kleines Kind!«, entgegnete Darian zornig. »Ich habe überhaupt nur diese Stellung erlangen können, weil ich zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Menschen getötet habe, ohne selbst umgebracht zu werden!«

»Schön für dich, aber trotzdem wirst du auf mich hörn!«, sagte Gavan gelassen und verließ die Schreibstube.

Am frühen Nachmittag, Darian hatte nur ein kurzes Mahl genossen und ansonsten gearbeitet, meldete ein Page die Ankunft eines Boten, der unbedingt persönlich ein Paket bei dem Kapitan abgeben müsse.

Trotz einiger Bedenken aufgrund des Zwischenfalls vom Vortag ließ Darian den Boten vor. Dieser übergab ihm ein kleines, eckiges Bündel, das der Reiter des Postendienstes Pertakis von Arivor aus in die Hauptstadt gebracht hatte.

Darian entließ den Botenreiter und packte das kleine Paket aus. Darin befand sich nebst einem zylindrisch geschliffenen Kristall aus einem milchigen, beinahe durchsichtigen Material ein in speckiges und verstaubtes, in Leder gebundenes Buch, gefüllt mit unleserlichen handschriftlichen Notizen in verschiedenen fremdartigen Sprachen. Keine einzige Seite war für Darian entzifferbar, manchmal war ihm sogar die Schrift fremd. Auch Ryano konnte mit dem Buch nichts anfangen, sooft sie auch hin und her blätterten.

Während Darian das Buch genauer untersuchte, fiel ein Zettel daraus auf den Schreibtisch. Auf diesem konnte er zur Abwechslung die Schrift tatsächlich lesen: Sein Schwert weist Euch den Weg. Crano.

Mehrmals las er die wenigen Worte durch und unterzog das Buch dann einer eingehenden Untersuchung nach weiteren losen Papierfetzen. Doch zu seiner Enttäuschung fand er nichts Verwertbares mehr.

»Von wem stammt das Paket?« Jakaris sah kurz von seinem kleinen Schreibtisch auf, an dem er im Akkord Anweisungen verfasste.

»Offensichtlich stammt es von Tolmanus Crano, einem Magier aus Punin, den ich dort vor einigen Götterläufen kennengelernt habe«, antwortete Darian, während er den zylindrischen Kristall nachdenklich in den Händen drehte. »Das Paket kam auf direktem Weg aus Arivor. Was macht der gute Crano denn im Alten Reich, wo er doch gewöhnlich nur äußerst selten die almadanische Kapitale verlässt? Und warum schickt er mir dieses rätselhafte Buch, in dem kein normaler Mensch auch nur ein Wort entziffern kann?«, sagte er halb zu sich selbst.

»Dies hat der Herr Magister wohl nicht bedacht. Es steht zu vermuten, dass dies in seinen Kreisen eine allseits bekannte Schriftart ist«, vermutete Jakaris.

»Das würde zu ihm passen. Etwas zerstreut war der gute Magister ja schon immer. Dennoch frage ich mich, was ich mit diesem – offensichtlich persönlichen – Notizbuch anfangen soll. Nirgends ist ein Hinweis zu entdecken, was es damit auf sich hat, geschweige denn, was er in Arivor treibt.«

Während er im Zimmer auf und ab ging, betrachtete er angestrengt den Kristall. »Auch dieser Kristall … mir ist völlig schleierhaft, was das sein soll. Offenbar sollen wir die Antwort in dem Büchlein finden.« Darian freute sich insgeheim, dass ihm der Zufall heute etwas weitaus Interessanteres in die Hände spielte als die üblichen Akten.

»Man muss herausfinden, was es damit auf sich hat, Jakaris! Es könnte von großer Wichtigkeit für den Magister sein«, sagte er bestimmt und setzte sich an seinen Schreibtisch. Nach einigen Sekunden des Überlegens wandte er sich wieder an seinen Advisor. »Jakaris, bringt mir einen Kundigen, der das Buch übersetzen und den Kristall analysieren kann. Und versucht auch herauszufinden, was Crano wohl nach Arivor getrieben hat!«

»Sehr wohl, Euer Hochgeboren.« Jakaris verließ mit schnellen Schritten den Raum.

Darian stand auf und schenkte sich Rotwein ein. Nachdenklich führte er das bauchige Glas zum Mund und versuchte sich sein Wissen über den Absender des Pakets in Erinnerung zu rufen.

Tolmanus Crano war in der almadanischen Hauptstadt ein bekannter Gelehrter. An der dortigen Magierakademie bekleidete er die Lehrstühle für Aventurische Geschichte und angewandte Magie­theorie. Gebürtig stammte Crano allerdings aus dem horasischen Methumis, soweit Darian wusste. Der Magister hatte aber nahezu sein ganzes Leben von schätzungsweise sechzig Götterläufen innerhalb von Akademiemauern und Bibliotheken verbracht. Darian hatte den Gelehrten in dessen Alchimie- und Fetischladen Taberna Crano in der Puniner Innenstadt kennengelernt, als er dort einige Heilmittel benötigte. In den Götterläufen darauf hatte er immer wieder einmal bei dem Magister Magnus der Grauen Gilde vorbeigeschaut. Man konnte das Verhältnis zwischen Darian und Crano als lose Bekanntschaft bezeichnen. Umso verwunderlicher war es, dass Crano ausgerechnet Darian Post schickte.

Einige Minuten später kam Jakaris zurückgeeilt. »Morgen wird Euch ein Magister des Hesindetempels visitieren, um die Gegenstände zu analysieren, Euer Hochgeboren«, berichtete er.

»Des Hesindetempels? Das halte ich allerdings für keinen guten Einfall. Mein guter Jakaris, wer weiß, was uns der Magister da zugeschickt hat? Bei allem, womit er sich so beschäftigt, möchte ich doch stark annehmen, dass ein Priester der Zwölfe nicht immer Gefallen daran findet. Crano soll in seinen Kreisen bekannt sein als … nun … freidenkerischer Geist. Ich kümmere mich selbst um die Sache. Ihr könnt dem Geweihten absagen.«

Jakaris runzelte die Stirn und zuckte dann mit den Schultern. »Sehr wohl, Euer Hochgeboren. Zudem haben wir durch Zufall sehr schnell erfahren, warum der Magister überhaupt in Arivor weilte. Er war dort Leiter einer Ausgrabung des Heilig-Blut-Ordens: ein Tempel aus der Zeit vor Bosparans Fall. Vor wenigen Minuten traf nämlich eine Nachricht derartigen Inhalts aus Arivor ein, die darüber hinaus berichtet, dass er spurlos verschwunden sei. Man bittet um Hilfe durch den Adlerorden bei der Klärung dieser mysteriösen Vorkommnisse.«

Darian war nun endgültig verwirrt. »Diese beiden Nachrichten sind für sich genommen schon merkwürdig genug, aber da uns beide auch noch am selben Tag erreichen, muss es ja einen Zusammenhang geben. Dass er sich solchen Gefahren aussetzt, muss bedeuten, dass Crano einer Sache von großer Wichtigkeit auf der Spur gewesen ist, Jakaris! Andererseits hat er sich vielleicht auch einfach nur in der Stadt verlaufen. Auch das wäre ihm zuzutrauen. Ich werde mich der Angelegenheit persönlich widmen. Sagt alle meine Termine ab, ich reise morgen in aller Frühe los. Weilt nicht auch mein alter Freund Leuerich von Sturmfels gerade in Arivor? Schickt einen Boten mit einer Nachricht, die ihn über den Sachverhalt unterrichtet und ihm mitteilt, dass ich nach Arivor komme. Sicher ist er ebenso erfreut wie ich, wenn wir uns wieder einmal begegnen.«

»Euer Hochgeboren, Gavan wird Eurem Vorhaben wohl kaum zustimmen!«

»Gavan ist weder mein Vorgesetzter noch meine Mutter, Jakaris, und wenn er es wäre, hätte er mir auch nichts zu sagen!«

»Und Marschall Ravendoza?«

»Nun, ich baue in diesem Punkt auf Eure Fähigkeit, den Marschall von der absoluten Wichtigkeit meiner persönlichen Gegenwart in Arivor zu überzeugen, Jakaris.«

Frisch motiviert machte sich Darian daran, die letzten wichtigen Dokumente für diesen Tag zu unterzeichnen. Immer wieder betrachtete er zwischendurch den Kristall und konnte sich ein Lächeln der Vorfreude auf den nächsten Tag nicht verkneifen.

Kapitel 3

Am frühen Abend saß Darian auf dem Balkon des kleinen Stadthauses, das er erworben hatte, nachdem ihm sein Vater den Zutritt zu der Residenz derer von Farsid-Berlinghân verweigert hatte. In einem Sessel genoss er wie fast jeden Abend eine Pfeife, die er sich mit Ilmenblatt gestopft hatte. Das Kraut beruhigte die Sinne und sorgte für äußerst angenehmen Schlaf. Die warme Sonne des ersten Sommermonds näherte sich dem Horizont. Wenn die große Turmuhr am Rathausplatz zur zweiten Perainestunde schlagen würde, käme sicher ein Page, der ihn zum Abendessen in den Salon rief.

Abende wie diese, wo keinerlei Verpflichtung, kein Bankett, Empfang oder ein anderer offizieller Anlass zu bewältigen war, genoss Darian in vollen Zügen. Dafür stand eigens ein großer Vorrat an gutem Rotwein aus dem Sewaktal bereit. Außerdem könnte er am nächsten Tag endlich der bedrückenden Enge der Hauptstadt entfliehen.

Vor wenigen Götterläufen noch hatte der junge Adlerritter die meiste Zeit seines Lebens mit derartigen Tätigkeiten verbracht: Hinausreiten und Abenteuer für die Götter und die Kaiserin bestehen, genau wie es sich jeder kleine Junge erträumte. Ein Leben in Freiheit, ohne große Verpflichtungen, ständige Intrigen oder die alltägliche Bürokratie des horasischen Staatswesens. Immer öfter sehnte er sich in diese Zeit zurück, als er mit seinen Freunden in die Welt gezogen war. Außer Gion war ihm aus dieser Zeit aber niemand mehr verblieben.

Für die Anerkennung im Reich hatte er teuer bezahlen müssen. Kaum jemand ahnte etwas von der Dunkelheit, die in ihm zurückgeblieben war, seit er den Horden des Dämonenmeisters in Tobrien und an der Trollpforte gegenübergestanden hatte. Einige Götterläufe waren seit diesen Ereignissen verstrichen, doch auch die Zeit hatte den dunklen Schatten nicht von seiner Seele nehmen können. Darian war bewusst, dass er mittlerweile zu einem Teil seiner Persönlichkeit geworden war. Außer Gion wusste glücklicherweise niemand davon. Die meisten anderen Personen, die ihm nahestanden, hatten nur die Auswirkungen zu spüren bekommen, vor allem seine Frau Ilyana.

Darian nahm einen tiefen Zug aus der Pfeife und betrachtete den roten Horizont. Seinen eigenen Weg gehen und nicht mehr von der Krone, dem Orden oder den Verpflichtungen der – in seinen Augen immer verlogener werdenden – horasischen Gesellschaft abhängig zu sein, das war es, was er eigentlich wollte, das spürte er von Tag zu Tag mehr. Bislang hatten Vernunft und Pflichtbewusstsein gegenüber Orden und Krone stets die Oberhand behalten. Doch er wusste, dass er eines Tages an dem Punkt angelangt sein würde, an dem er sich entscheiden musste, welchen Weg er beschreiten wollte.

Eine Glocke bedeutete ihm mit ihrem hellen Klang, dass das Abendessen im Salon angerichtet war. Langsam stand er auf, legte die Pfeife beiseite und ging ins Haus.

Am nächsten Morgen verließ der Adlerritter früh seine Gemächer und genehmigte sich in aller Ruhe ein kleines Frühstück. Tarperian sollte am Vormittag bei ihm erscheinen, um ihn nach Arivor zu begleiten. Darian kannte den Mann seit einem verdeckten Sonderauftrag in der feindlichen Sklavenhalterstadt Mengbilla, die südlich der Grenzen des Horasreichs lag. Er hatte damals und auf einigen gemeinsamen Reisen in der Folgezeit den Eindruck gewonnen, dass der kleine Maraskaner einen wachen Verstand sowie Sinn für Humor besaß, zwei Eigenschaften, die Gavan an seinen Mitarbeitern schätzte. Einzig Tarperians Hang zur Blutrünstigkeit hatte Gavan kritisiert.

Während Darian in seinem Ankleidezimmer darüber sinnierte, welcher Wappenrock geeigneter für die Reise sei, hörte er aus der Eingangshalle Stimmengewirr und Aufruhr.

»Er will mir wohl nicht in meinem eigenen Haus den Eintritt verweigern! Das ist ebenso impertinent wie unglaublich!«, schimpfte eine aufgebrachte Frau.

»Aber der Herr hat ausdrücklich keine Visitationen gewünscht, meine Dame!«, verteidigte sich ein Kammerdiener mit zitternder Stimme.

»Besuch? Bin ich vielleicht Besuch? In meinem eigenen Haus? Das ist eine Zumutung! Er hätte Schläge mit dem Stock verdient für seine Insolenz! Räumt ihn zur Seite!«

Ein lautes Poltern ertönte. Darian eilte zur Empore der Eingangshalle und überschaute das Bild, das sich ihm im Erdgeschoss bot.

Zwei Leibdiener hielten einen jungen Kammerdiener fest, der tränenüberströmt gegen sie ankämpfte. Weitere Kammerdiener schleppten Kisten und Koffer ins Haus. Daneben stand eine junge Frau mit zornesrotem Gesicht, aus deren Lippen jegliches Blut entwichen war. Lange schwarze Haare umrahmten ein ebenmäßiges Antlitz, und ihre Haltung zeugte von adligem Stolz. Am Rockzipfel ihres Kleides hielt sich schüchtern ein kleiner Junge fest, der just aufsah und Darian erblickte, der starr vor Überraschung an der Balustrade stand.

»Vater!«, rief der Vierjährige begeistert und rannte mit kleinen Schritten die breite Treppe zur Balustrade hinauf.

»Kalvan«, sagte Darian tonlos zu sich selbst und schloss seinen Sohn in die Arme.

Eine Viertelstunde später hatte Darian sich mit seiner Frau Ilyana in den Salon zurückgezogen. Kalvan Thiolan wurde von einer Zofe beschäftigt.

»Wir haben uns lange nicht gesehen«, stellte Ilyana nüchtern fest und nippte an einem Glas Rotwein. Beide saßen sich an einem kleinen Salontisch gegenüber, während durch das große Panoramafenster des Stadthauses die Morgensonne in den Raum strahlte und den Salon in goldenes Licht hüllte.

»Ich hatte viel zu tun«, brummte Darian. »Du bist doch nicht heute Morgen erst in der Stadt angekommen, oder? Du hättest mir ja bereits gestern Abend deine Aufwartung machen können. Wenn du dich angemeldet hättest, hättest du dir zudem die peinliche Szene eben ersparen können.«

Unvermittelt sprang Ilyana auf und warf das Glas über Darian hinweg gegen die Wand, wo es an einem ohnehin zu makellosen Gemälde König Tolmans zerschellte. »Soll ich hier abends auftauchen und dich mit einer deiner Dirnen im Bett erwischen?«, schrie sie. »Das wollte ich uns ersparen! Erzähl ausgerechnet du mir nichts von peinlichen Szenen!«

Darian zuckte zusammen.

»Du denkst, ich weiß