DSA 7: Katzenspuren - Christel Scheja - E-Book

DSA 7: Katzenspuren E-Book

Christel Scheja

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Beschreibung

Ilnamar ay Shorn, der erfahrene Kämpe und asketische Ordensritter kennt seit Jahren nur ein Ziel: Er muß Djamila, die spöttische Diebin mit den Augen einer Katze zur Strecke bringen und ihrer gerechten Strafe zuführen. Doch als Ilnamar die hübsche Djamila endlich zu fassen bekommt, sehen sie sich plötzlich einem gemeinsamen übermächtigen Feind gegenüber. Der Gardist und die Königin der Diebe schließen einen höchst zerbrechlichen Bund ...

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Seitenzahl: 321

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Titel

Christel Scheja

Katzenspuren

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses Spiele Band 7

Aventurien-Karte: Ralph HlawatschE-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Copyright © 1995, 2013 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE,MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Print-ISBN 3-453-08682-1 (vergriffen) E-Book-ISBN 978-3-86889-877-4

Danksagung

Für Jürgen und Stefan, die mich immer wieder ermutigten

Prolog

Djamilla sprang blitzschnell in die Dunkelheit hinter einem Felsenvorsprung und zog ein kleines Wurfmesser aus dem Gürtel. Sie hielt den Atem an, lauschte angespannt. Doch wie sie erwartet hatte, vernahm sie keinen Laut.

Von den Zwölfen verdammt soll dieser Hund sein! fluchte sie innerlich. Ich war nicht ganz bei Sinnen, als ich Nadans Herausforderung annahm! Ich hätte bereits bei seinem Lachen mißtrauisch werden sollen. Ich hätte ahnen müssen, daß er alles vorbereitet hat und die Kechans besser kennt als ich! Schuld ist nur dieses verfluchte Amulett!

Sie biß sich auf die Lippen, um ein haßerfülltes Stöhnen zu unterdrücken. Sie durfte sich nicht ablenken lassen! Langsam beugte sie sich vor, um in den Gang zu spähen. In dem Dämmerlicht, das durch die wenigen Spalten und Erdrisse fiel, hätte jede Bewegung auch eine Sinnestäuschung sein können.

In der Stille war ganz in der Nähe das Tröpfeln von Wasser zu hören. Djamilla fuhr zurück: In den tiefdunklen Schatten hatte sich etwas geregt. Sie warf das Messer.

Metall klirrte gegen den blanken Fels. Ein höhnisches Lachen erklang und hallte von den Wänden wider. »Heh, du kleine Katze! Streckst du deine Krallen aus, um den Fuchs damit zu kratzen?«

Djamilla nutzte diesen Augenblick, um ihren Standort zu wechseln, näherte sich dem anderen, mied die dämmrig hellen Stellen bedachtsam. Einen Wimpernschlag lang sah sie eine Gestalt vor sich. Die aber verschmolz sofort wieder mit der Dunkelheit. Ein blitzendes Ding flog auf sie zu.

Die geschmeidige Diebin wich ihm gedankenschnell aus, schleuderte selbst ein Messer. Um Haaresbreite entging sie dem Wurfstern, spürte dessen Lufthauch die linke Wange streifen. Djamilla grinste befriedigt, als ein zorniges Fluchen vor ihr erklang. Sie hatte getroffen! Und: Da war er!

In einem Kreis aus mattem Licht zog der drahtige schwarzhaarige Mann die Klinge aus seinem Arm, warf sie wütend beiseite.

Djamilla nutzte seine Unaufmerksamkeit und stürmte los. Sie schlug ihm mit einem gezielten Fußtritt den gebogenen Dolch aus der Linken, den er verborgen gehalten hatte.

Diesen hinterhältigen Trick des listigen Phexsohnes kannte die Diebin noch aus ihren Jugendtagen, war nur so der tödlichen Klinge entgangen. Ihr Rivale krallte seine Rechte in ihren Arm und versuchte, sie von den Beinen zu reißen.

Die Diebin wurde herumgeschleudert. Sie schlug gegen seinen Oberkörper, fühlte, wie sich ihre freie Hand mit einer fettigen Schmiere bedeckte.

Mit einem wilden Schrei verkrallte sich Djamilla in seinen kurzen, gelockten Haaren – und rutschte wiederum ab. Denn Nadan hatte Körper und Haare mit Öl eingerieben, war schlüpfrig wie ein Fisch aus den braunen Fluten des Mhanadi.

Ihre Hand glitt, fast einer Liebkosung gleich, über sein Gesicht, während sich Nadans Griff verstärkte. Erst jetzt bemerkte sie die angerauhten Lederriemen um seine Hände, die ihm Halt gaben.

Es gelang ihm, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, doch noch während sie stürzte, trat Djamilla gegen seine Beine.

Gemeinsam fielen sie zu Boden. Ungezählte Steinchen stachen schmerzhaft durch die Ledertunika in Djamillas Rücken.

Die Diebin fauchte. Es gelang ihr, Nadans Körper wegzudrücken, ehe er sie mit seinem Gewicht am Boden festnageln konnte. Sie wälzten sich über den unebenen Grund.

Für beide ging es um Leben oder Tod. Nadan wie Djamilla kannten die Gesetze der Unterstadt: Eine Herausforderung endete mit dem Tod eines Kämpfers – andernfalls verlor der Sieger sein Gesicht und hatte fortan einen unerbittlichen Gegner.

Nur einer von ihnen würde die Kechans lebendig verlassen, die vergessenen Grabstätten und uralten Abflußkanäle unterhalb der verkommenen Häuser und Elendshütten der Unterstadt. Kechans – diesen Namen hatten die Bewohner Rashduls geprägt.

Djamilla kämpfte um ihr Leben. Sie hätte den Zweiten ihrer Gilde, der schon damals ein besonderer Liebling Mawuds gewesen war, nicht aus den Augen lassen sollen ...

Jetzt war es zu spät! Der drahtige schwarzhaarige Mann im Alter von 25 Götterläufen war wesentlich kräftiger und größer als sie – Vorteile, die er nun ausnutzte.

Er stieß Djamilla mit voller Wucht von sich, so daß die junge Frau gegen die unbehauene Felswand prallte, noch bevor ihr Tritt seinen Unterleib erreichen konnte, der ihn sicher ausgeschaltet hätte.

Und schon kam er wieder auf sie zu, glaubte sie noch benommen und handlungsunfähig. »Hurenbalg!« zischte er. »Wage das nicht noch einmal!«

Djamilla lachte. Sie hatte seinen wunden Punkt getroffen, denn Nadan prahlte unter den Dieben Rashduls mit seiner Manneskraft, die sie schon einige Male genossen hatte.

Sie achtete nicht auf die protestierenden Muskeln und die brennenden Striemen im Rücken, als sie auf die Beine sprang und mit einer Faust nach unten, mit der anderen in sein Gesicht zielte.

»Es wäre doch schade, wenn du mir keine andere Wahl mehr lassen würdest!« spottete sie, doch Nadan wich ihr aus. Sie sprang ihm nach, drängte ihn in einen der wenigen lichtdurchfluteten Räume.

Nur die Gerippe der vor langer Zeit von Golgaris Schwingen davongetragenen Toten sahen ihnen aus den Nischen zu. Staub wirbelte auf, als Nadan einen Herzschlag lang tänzelte, sich plötzlich vorbeugte und wie ein wilder Stier auf seinen kleineren Widerpart losging. Mit einem heftigen Stoß fegte er sie zu Boden, warf sich auf sie, um ihr keine Gelegenheit zu geben, sich auf den Rücken zu ihm zu drehen und zu treten.

Seine Rechte packte in die Flut kupferfarbener Haare und riß ihr den Kopf so weit in den Nacken, daß ihr die Tränen in die Augen schössen, während eines seiner Knie sich schmerzhaft in ihren Rücken bohrte. Er lachte über ihre Versuche, sich unter ihm hervorzuwinden und mit einem Arm nach ihm zu schlagen.

»Nun, Djamilla Azila, Shanja der Diebe?« stieß er höhnisch hervor und spuckte auf sie. »Wer ist jetzt der Sieger? Ich könnte dir ganz einfach das Genick brechen.«

»Warum tust du es dann nicht?«, keuchte die Diebin unter Schmerzen und stöhnte leise auf. »Mach ein Ende!«

Sie zwang sich zur Ruhe, entspannte sich, so gut sie es in dieser Lage vermochte – noch hatte sie nicht mit ihrem Leben abgeschlossen. Sie suchte einen besseren Halt auf dem rauhen Boden und wartete. Noch gab es einen Ausweg!

Nadan schien dies zu ahnen und verstärkte den Druck in ihrem Rücken.

»Versuch nicht, mich wieder reinzulegen!«, drohte er. »Sonst werde ich einen Weg finden, dich langsam zu töten. Wie würde es dir gefallen, zu sterben wie ...« Er verstummte, und sie konnte sein boshaftes Grinsen förmlich vor sich sehen. »Du bist eine Frau, und eine reizvolle noch dazu. Es wäre eine Belohnung für dich, mir ein wenig Lust zu bereiten! Du würdest wohl noch Vergnügen empfinden ...«

Er machte erneut eine bedeutungsschwere Pause. »Ich denke, ich werde dich leben lassen, aber so, daß du mir nicht mehr zur Gefahr werden kannst, nicht einmal durch deinen Körper ...«

Djamilla durchfuhr ein kalter Schauer. Er wollte sie verstümmeln und entstellen! Sie bäumte sich unwillkürlich auf und schrie vor Schmerz, als Nadan ihren Kopf wieder weiter nach hinten riß. Er löste eine Hand aus ihren Haaren.

»Ich werde gleich damit anfangen ...« Er verlagerte sein Gewicht, drehte sie grob auf den Rücken. Dies sollte sich als Fehler erweisen. Nadans zweiter Dolch hatte sich in der Stiefelscheide verhakt, und er mußte Kraft aufwenden, um ihn herauszuziehen. Dabei lockerte sich sein Griff in Djamillas Haaren.

Djamilla krallte die Finger um Nadans Hand und trieb ihm die Nägel so tief ins Fleisch, daß er ihre Haare losließ.

Sie wand sich schlangengleich unter ihrem Gegner heraus, rollte sich von seinem zustechenden Messer fort. Dann schleuderte sie den Staub, den sie mit einer Hand zusammengekratzt hatte, in sein Gesicht.

Nadan hustete und fluchte, versuchte sich den Schmutz aus den Augen zu wischen, während Djamilla sein Messer mit geübtem Griff an sich brachte.

Sie umfaßte es entschlossen, um zuzustoßen, als der Bolzen einer Armbrust dicht an der rechten Schulter vorbeisirrte und sich tief in die Wand neben ihnen bohrte.

Rasch sich nähernde Schritte erklangen aus einem der pechschwarzen Gänge.

»Tötet sie!« brüllte Nadan und versuchte, Djamilla das Messer aus der Hand zu reißen, während seine drei Kumpane in die kleine Halle stürzten. Die Diebeskönigin erkannte sofort die kräftige Gestalt Maliks, des Schlitzers. Nadan gelang es, die Frau von sich zu stoßen und aus ihrer Reichweite zu fliehen. Djamilla sah sich gehetzt um. Sie hatte anderes zu tun, als ihm nachzusetzen.

Zwei ihrer unerwarteten Gegner hielten gespannte Armbrüste in den Händen. Malik warf Nadan seinen Säbel zu und zog selbst sein gefürchtetes Messer mit der gezackten Schneide.

Sie kamen langsam auf Djamilla zu, die nur noch zurückweichen konnte ...

1. Kapitel

Einen Monat zuvor: Grüne Augen blitzten aufmerksam hinter dem Rand eines Zeltes hervor. Sie folgten dem Mann, bis er im Menschengewühl des Basares verschwand. Djamilla richtete sich auf und grinste derart hinterlistig, daß der Tuchhändler, bei dessen Stand sie sich aufhielt, seine Börse fester packte und das zierliche, in eine bauchfreie Bluse und eine Pluderhose gekleidete Mädchen argwöhnisch musterte. Mit der freien Hand machte er eine Geste gegen Unheil.

Die Diebin schleuderte ihren roten, durch ein schmales Band am Hinterkopf gebändigten Zopf über die Schulter und strich über einen der zarten pfirsichfarbenen Schleier, woraufhin der Händler wütend das Gesicht verzog und auf sie zukam. Lachend drehte sie sich weg.

Wo bist du, mein schöner, mutiger und stattlicher Hauptmann?, dachte sie und zwinkerte fröhlich, was ein junger Novadi als Einladung zu nehmen schien. Er kam von dem Waffenstand auf der anderen Seite auf Djamilla zu, die aufreizend die Hüften bewegte, ehe sie mit einem geschmeidigen Sprung in einer Gruppe von schnatternden Dienerinnen und einer fremdländischen Schar blonder, hünenhafter Thorwaler verschwand.

Enttäuscht gab der Mann sein Vorhaben auf, wie Djamilla mit Erleichterung feststellte, als sie aus der Deckung eines Früchtestandes wieder auftauchte. Grinsend spielte sie mit einem goldgelben Pfirsich und biß herzhaft hinein. Zu einer anderen Zeit hätte sie diesen Wüstenprinzen in eine Falle gelockt und sich mit ihm auf verschiedenste Weise vergnügt, aber an diesem Tag war sie auf der Jagd nach wohlhabendem Wild. Sie leckte sich den Pfirsichsaft von den Lippen und warf den Rest einem streunenden Hund zu. Einen Moment erwog sie, dem alten Haimamud ibn Haimamud al Abras zu lauschen, aber der erzählte wieder einmal die Geschichte von Dashim und den Götterjuwelen, die sie schon oft gehört hatte. Ihre Augen suchten im Gewühl des Basars eine grün-gelb leuchtende Uniform.

O ja, es ist heute nicht ganz ungefährlich, hier zu sein, hat er doch seine Leute zur Bewachung auf den Markt geschickt, damit sie endlich ein paar von uns Dieben fangen, stellte sie fest und spielte mit den Schnüren der Bluse. Aber was wäre das Leben ohne ein bißchen Gefahr! – Deine Bluthunde sind nicht besonders aufmerksam in dieser Hitze ... Sie grinste, als einer der Stadtgardisten durch Nadan, ihren Stellvertreter in der Gilde, um seine Börse erleichtert wurde. Der drahtige, schwarzhaarige Dieb tändelte schon wieder unschuldig mit einer Sklavin, als der Mann den Verlust bemerkte und sich hastig, aber ohne Erfolg, nach allen Seiten umblickte.

Djamilla seufzte und blickte auf. Die Sonne brannte heiß von einem wolkenfreien blauen Himmel auf die Paläste, Häuser und Hütten und ließ die goldenen Kuppeldächer jenseits der Mauern leuchten. Eine Glocke aus Gestank schwebte über dem Basar der Unterstadt. Die Stadtmauern verschwammen in dem stinkenden Dunst.

Die Mittelländler, die nicht davon lassen konnten, in ihrer dicken, steifen Wollkleidung oder gar in Rüstungen durch die Stadt zu schlendern, wischten sich den Schweiß von der Stirn. Sie waren die besten Kunden der Wässerverkäufer und Weinhändler.

Eine blonde Frau öffnete sich stöhnend vor Hitze das Lederwams. Ein Brustbeutel kam zum Vorschein, Djamillas Rechte zuckte vor: Mit einem der scharfen, kleinen Wurfmesser, die sie in breiten Armbändern verborgen hielt, durchtrennte sie den Tragriemen der Börse.

Zufrieden summend schob sie das Beutelchen unter die Schärpe und steckte die Klinge fort. Vermutlich befand sich nicht viel darin – aber so viel Dummheit mußte einfach bestraft werden. Sie lehnte sich gegen einen Brunnen, um die Nordländerin zu beobachten, die jetzt mit einem Wasserverkäufer feilschte und entsetzt zusammenzuckte, als sie den Verlust ihres Geldes bemerkte. Hilfloses Suchen folgte ... Djamilla konnte wegen des Marktlärms nicht verstehen, was sie sagte.

Schon nach kurzer Zeit ließ die Diebin den Blick wieder über den Basar streifen. Der Platz war nicht groß, so daß sie ihn von ihrem leicht erhöhten Standpunkt am östlichen Rand übersehen konnte. Ein lauer Wind umschmeichelte sie und brachte die vielfältigsten Gerüche mit sich: den Duft von gebratenem Fleisch von den Ständen der Essensverkäufer, Gewürze, die Ausdünstungen der Menschen und Tiere. Auf der gegenüberliegenden Seite des Markts drängten sich Bauern aus dem Umland um Ziegen, Schafe und laut protestierende Mherwatis, die sogar die Rufe der eifrigsten und lautesten Händler übertönten. Sie beobachtete grinsend, wie Rhamun al Khar, der wie ein Ziegenbock stinkende alte Straßenhändler, um einen dunkelhaarigen Mann herumwieselte und ihm mit quäkender Stimme seine Waren anbot, die er in einer Lade vor der Brust trug.

»Hört mich an, edelster aller Herren! Bitte gewährt Eurem unterwürfigen Diener ein bescheidenes Wort. Ich will Euch ...«, schwatzte er drauflos und ließ sein Opfer nicht zu Wort kommen.

Djamilla verließ den Brunnen, um sich unauffällig zu nahem. Als sie Rhamuns Kunden zu Gesicht bekam, verstand sie, warum sich der Alte gerade ihn ausgesucht hatte. Mit den Narben im Gesicht, die sich quer über die Wangen zogen und die Oberlippe wulstig enden ließen, und der gebrochenen Nase fand er wohl nicht leicht eine Frau, die bereit gewesen wäre, mit ihm das Bett zu teilen, obgleich er früher stattlich gewesen sein mußte. Kein Wunder, daß der alte Ziegenbock gerade ihm seine geheimnisvollen Mittelchen anpries, die die Mädchen gefügig und sinnlich machten.

»Sohn der Tapferkeit, höre mich, deinen armseligen Diener an! Soll deine Manneskraft – denn bei Ras‘Raghs Hörnern, ich sehe sie in dir – nicht auch die schönen, wilden Blüten Rashduls erfreuen? Seht, Bruder des Schwertes und des wilden Stiers, dieses Pulver, im Wein aufgelöst, wird es sie willig in deine Arme sinken lassen!«

»Geh weg, du stinkender Bock!« Der Mann stieß den alten Händler ärgerlich beiseite und eilte mit weit ausholenden Schritten an Djamilla vorbei, während Rhamun mit den Händen wütend herumfuchtelte, rot anlief und zeternd Flüche hinter dem »undankbaren Sohn einer Distelpflanze und eines Mherwati« herschrie.

Die Diebin folgte ihm, hatte sie doch, als sein Mantel aufklaffte, bemerkenswerte Dinge an seinem Gürtel gesehen. Nicht nur einen vielversprechenden Beutel, sondern auch einen juwelenbesetzten Dolch und das abgenutzte Heft eines Kunchomers. Der Fremde war ein erfahrener Kämpfer, und das machte es noch spannender, ihm den Beutel zu entreißen.

Djamilla wartete geduldig, bis sich der Mann einem Pfannkuchenverkäufer zuwandte. Sie tat, als betrachte sie die Seidentücher an einem der anderen Stände und beobachtete das Feilschen, bis sie den richtigen Augenblick gekommen sah. Geschmeidig wie eine Katze glitt sie durch die Menschenmenge.

Der Schall von Posaunen ließ den Mann aufhorchen. Er blickte wie viele der anderen zum Madamaltor, das von den Wächtern geöffnet wurde. Dabei schob er den Mantel unwillkürlich zurück. Als er sich reckte, um die verschleierte, in einer Sänfte sitzende Gestalt besser sehen zu können, die eben durch das Tor getragen wurde, stolperte Djamilla. Für die Diebin war es nichts Neues, daß die Shanja den Basar besuchte. Sie hielt den Atem an, als sie das Leder ertastete, und zückte den kleinen Dolch. Kaum hatte sie den schweren Beutel in ihrer Hand, umschloß eine eisenharte Faust ihr Gelenk, und der Bestohlene riß sie mit einem wütenden Schrei herum.

Djamilla war nicht bereit, sich gefangen zu geben. Sie zielte mit dem Messer auf seine Augen und trat gegen seine Beine. Wie ein getroffener Löwe brüllte er auf und ließ sie los, um der Klinge auszuweichen, die fast seine Haut berührte. Die Diebin wirbelte herum und bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge. Die Menschen waren noch immer von dem Schauspiel am Madamaltor abgelenkt und stolperten gestoßen nur verwirrt zur Seite.

Erst als der Ruf »Haltet die Diebin!« über den Basar gellte, griffen einige Mutige nach ihr, doch Djamilla teilte Tritte und Schläge aus, sprang auf eine niedrige Mauer und hieb auf das Hinterteil eines Mherwati, der laut schreiend auskeilte und die Menge zurückweichen ließ. Nur der Bestohlene ließ sich davon nicht beeindrucken.

Auch einige Wachen, die durch den Tumult aufmerksam geworden waren, bahnten sich einen Weg durch die gaffende Menge.

Djamilla lachte und klemmte sich dann die Bänder des Beutels zwischen die Zähne. Die Vorsprünge einer Steinwand ausnutzend, kletterte sie geschickt wie ein Äffchen auf die Trennmauer zwischen zwei Häusern und sprang von dort zu einem Balkon hinüber. Sie landete zwischen zum Trocknen ausgelegten Kräutern und nieste heftig. Lachend winkte sie einer kreischenden Matrone zu, während sie an einem Holzgerüst, an dem ein schweres Tuch befestigt war, nach oben kletterte und über das Dach lief. Hastig sah sie sich um. Nur mit einem gewagten Sprung hätte sie es schaffen können, auf ein anderes Dach zu gelangen, um in das Labyrinth der Unterstadt einzutauchen. Hinter ihr ging es hinab zu einem ummauerten Innenhof. Wenn man sie dorthin triebe, wäre sie gefangen, selbst wenn sie den Sprung unbeschadet überstand.

Einer der Gardisten schob sich gerade auf das flache Dach und rappelte sich auf, ein anderer hastete durch das Innere des Hauses über eine Treppe nach oben. Krachend flog eine Holzluke auf, und sie sah sich dem Hauptmann der Stadtwache gegenüber. Sie erkannte ihn an seinem dunkelbraunen Haar und bartlosen Gesicht. Ilnamar ay Shorn überragte sie um mehr als Haupteslänge. Seine grauen Augen blitzten wütend und entschlossen.

»Du von Ratten gezeugte Ausgeburt der Dämonen!«, zischte er. »Bleib, wo du bist!«

Djamilla tänzelte über den heißen Stein.

Ich darf nicht stehenbleiben!, dachte sie.

Ilnamar ay Shorn stieg gänzlich auf das Dach und versuchte, Djamilla zwischen sich und die anderen Verfolger zu drängen. »Gib auf, du elende Schlange! Du kannst von hier aus nicht entkommen, es sei denn, du vermagst auf den Schwingen des Windes zu reiten!«

Die Diebin nahm die Bänder des Beutels aus dem Mund und streckte die Arme aus. »Du weißt, daß ich nicht aufgebe! Ich habe einen Ruf zu verlieren!«

»So!«, spie er aus. »Welchen hast du schon zu verlieren, Diebin?«

Djamilla spürte, daß er versuchte, sie zu reizen. Sie lachte und spielte sein Spiel mit. »Ich bin die Shanja der Diebe, Ilnamar, mein stattlicher Hauptmann. Mich fängt man nicht! Mich besiegt man!«

Sie holte tief Luft, als sie einen zweiten Soldaten auf das Dach kommen sah.

»Und dazu gehört mehr als die Tolpatschigkeit eines Kriegers!«, rief Djamilla, ehe Ilnamar antworten konnte, und nahm Anlauf. Sie sah unter sich die Soldaten in der engen Gasse und hörte Ilnamar fluchen. Dann landete sie katzengleich auf dem nächsten Dach und lief, ohne sich noch einmal umzublicken. Über eine Stiege kletterte sie zu einem Balkon hinab, hangelte sich über ein zwischen den Häusern gespanntes Seil auf den gegenüberliegenden zu und ließ sich dann aus zwei Schritt Höhe in die Tiefe fallen, zwischen Unrat und einen Wasserabfluß, in dem knöcheltief fettig schillerndes Wasser stand. Wasser spritzte, und sie verschwand in der Dunkelheit des Kanals.

Nur einmal sah sie sich um und entdeckte Ilnamar ay Shorn bereits an der Kanalmündung, sah ihn fluchend innehalten. Er stand ihr an Geschmeidigkeit kaum nach, doch in die Abflüsse, die in die Kanäle Rashduls herabführten, konnte er ihr wegen seiner Größe und der Breite seiner Schultern nicht folgen. Er war ihr schon einmal gefolgt, dann aber in einem der schmalen Löcher steckengeblieben.

Sie war – für heute – entkommen.

Ilnamar ay Shorn verfluchte die Diebin und starrte in das dunkle Loch, in das das Abwasser floß. Dort hinein wagte selbst er ihr nicht zu folgen, denn der Tunnel war so schmal, daß es für ihn kaum ein Durchkommen gab. Zudem war ihm diese streunende Hündin in dem Labyrinth weit überlegen, weil sie es wie alle Diebe Rashduls bestens kannte. Er ballte die Faust und murmelte einen Fluch. Er steckte den Kunchomer wieder zurück und musterte einen Straßenjungen, vermutlich einen Dieb, so scharf, daß dieser mit einem Schrei Reißaus nahm. Wie nah war er der Ergreifung dieser Gaunerin wieder gewesen: Djamilla Azila, die sich selbst »Shanja der Diebe« nannte, die ihm in den fast drei Jahren ihrer Regentschaft mehr Ärger gemacht hatte als ihr Vorgänger Mawud!

Nicht nur, daß sie sehr gerissen war und List vor Gewalt setzte, sie schien es zudem darauf abgesehen zu haben, ihn zu verführen. Fast war es dem Kommandanten, als stecke in dem Leib dieses lüsternen und verworfenen Weibs eine böse Dschinni, die gekommen war, um ihn zu vernichten.

Er blickte nach oben und gab seinen Männern das Zeichen, die Jagd abzubrechen. Manchmal wünschte er sich, die Verantwortung als Kommandant der Stadtwache von Rashdul nie angenommen zu haben. Schon Achan ibn Rahmud al Kashid, sein Va‘thim und Onkel hatte ihm davon abgeraten. Aber damals, vor fast vier Jahren war es ihm sehr wichtig gewesen, eine solch schwere Aufgabe zu übernehmen ...

Er ertastete die Lederschnur, die er unter dem Hemd verborgen trug, und den Anhänger, den ihm sein Onkel zum Abschied gegeben hatte. In eine Fassung aus Golddraht war ein blutroter fünfeckiger Edelstein eingesetzt. Ilnamar atmete tief ein und erinnerte sich, wie er diesen noch vor wenigen Jahren am Hals seines Onkels Achan gesehen hatte – besonders als sein Onkel ihn aus dem Haus seines Vaters mit sich genommen hatte.

Damals hatte er Ilnamar erzählt, daß der Stein immer dann an den Nächsten seiner Linie weitergegeben wurde, wenn es für diesen an der Zeit war, einen Neffen aus den Zelten oder Palästen seiner eigenen Brüder zu holen und zum Novizen zu machen.

Ilnamar erinnerte sich, daß dieser Brauch erst von dem Onkel Achans eingeführt worden war. Der Anhänger unter seinen Fingern mahnte ihn, daß es an der Zeit war, einen Nachfolger zu finden.

Er steckte das Amulett fort und vertrieb die Gedanken an seine Familie, die er seit seiner Zugehörigkeit zu den Hadjiinim nicht mehr gesehen hatte. Es gab Wichtigeres zu tun.

2. Kapitel

Die weiß gekalkten Häuser des Dorfes Narjeh hoben sich deutlich vom bräunlich gefärbten Grün der Reisfelder ab, die sich an den Ufern des nahen Schuboch erstreckten. Mit gebeugten Rücken, bis zur Wade im schlammigen Wasser stehend, schnitten die Bauern die langen Halme mit den dünnen Ähren und brachten sie, sobald sie die Bündel nicht mehr umfassen konnten, an die festen Lehmumrandungen. Leiser, eintöniger Gesang erklang, unterbrochen nur durch das Brüllen der Gandangstiere und die Rufe der Treiber, die ein bereits abgeerntetes Feld umpflügten. Wenige der sonnengebräunten, dunklen Gestalten richteten sich auf und musterten neugierig den Reiter, der auf dem Lehmpfad zielstrebig auf das Dorf zuritt, setzten ihre Arbeit bald wieder fort. Fremde waren nichts Außergewöhnliches in Narjeh, führte durch die Stadt doch der Karawanenweg von Rashdul nach Al‘Tamur. Reisende oder Karawanen zogen regelmäßig durch das Dorf.

»Seht, da kommt ein einsamer Krieger!«, rief der Knabe, der zuvor eine blökende Schar von Ziegen in das Gehege getrieben hatte. Er warf seine Gerte beiseite und wedelte aufgeregt mit beiden Armen, als er auf den Dorfplatz eilte. Mehrere weiße flache Häuser gruppierten sich um den steinummauerten Brunnen im Schatten einiger Palmen. Durch den Lärm aufgeschreckt, stoben bunte Vögel auf und flatterten zeternd davon. Eine Wasserträgerin verschleierte sich hastig, und ein paar Kinder ließen die Matten liegen, an denen sie geflochten hatten. Eine Matrone in dunklen Gewändern winkte die Mädchen herein, die vor einem der Häuser Kleidung flickten, während sich zwei Männer gemächlich von einer Bank erhoben, von der aus sie das Treiben im Dorf beobachtet hatten. Der ältere von ihnen stützte sich auf einen knorrigen Stock.

»Sie haben tatsächlich Wort gehalten, Sulim«, sagte er mit rauher Stimme. »Sie haben einen ihrer Meister gesandt!«

Der Jüngere nickte und rieb sich gedankenverloren den struppigen schwarzen Bart. »Ehrenwerter Haman, ich hoffe nur, daß Du mit Eurer Vermutung recht hattet, und ihn nicht vergebens habt rufen lassen! Ich ehre Eure Weisheit, aber ...«

»Ich irre mich nicht, du Sohn des Unglaubens«, erklärte der Weißbart tadelnd und hob nun grüßend eine Hand.

Der Reiter brachte sein Pferd zum Stehen. Obgleich ein Tuch sein Gesicht verhüllte und nur die blitzenden schwarzen Augen freiließ und der sandfarbene Umhang seine Waffen verdeckte, umgab ihn eine Aura der Macht. Mit erhobenem Haupt musterte er die beiden Männer und ließ den Blick über die großäugigen Kinder streifen, die ihn mit offenem Mund begafften.

»Rastullahs allsehendes Auge wache über Euch, edelster der Krieger!«, sagte der Haman ernst. Sulim konnte die Ehrfurcht in der Stimme des Alten förmlich spüren und wich dem Blick des Hadjiin verlegen aus. Das letzte Mal, als er einen Angehörigen dieses glorreichsten aller Kriegerorden im Land der Ersten Sonne (bei Rastullah, es war der Traum vieler Jungen, ein Mitglied zu werden!) gesehen hatte, war er noch ein Knabe gewesen. »Und möge er Euch allzeit Kraft und Mut geben, das Böse zu bekämpfen, und die Klinge Eures Kunchomers schärfen.«

Stumm stieg der Mann vom Pferd. Auch jetzt überragte er den Alten noch um einen halben Kopf.

Dann löste er das Tuch vor dem Gesicht und musterte die Männer erneut. Sie konnten in den wettergegerbten Zügen nicht erkennen, wie alt der Mann wirklich war, zumal nur einige graue Strähnen seinen schwarzen, wohlgepflegten Bart durchzogen. Plötzlich schien ihn etwas zu verärgern, denn die dunklen Augenbrauen senkten sich drohend. Sulim drehte sich schnell und machte eine wütende Geste, die das junge, unverschleierte und neugierig aus dem Eingang lugende Mädchen, seine Tochter, schnell wieder im Innern des Hauses verschwinden ließ.

Er würde sie bestrafen müssen, denn wie allen anderen Mädchen hatte er ihr eingeschärft, im Haus zu bleiben, wenn der Hadjiin kam. War der Preis, den diese für ihre Tapferkeit und ihre Kraft bezahlten, doch der heilige Eid, allen Genüssen, ob nun der Völlerei, der Trunksucht oder der Fleischeslust, zu entsagen. Eine Frau war für diese ausgezeichneten Kämpfer eine Versuchung, vor allem, wenn sie sich unverschleiert zeigte. Sulim hatte das gewußt und ihn nicht verärgern wollen. Nun war es geschehen, und er blickte den Haman hilfesuchend an. Dieser zuckte nur mit den Schultern, während der Krieger fast unhörbar murmelte: »Möge der Allmächtige mir meine sündigen Gedanken vergeben!«

Noch bevor ihn der alte Mann besorgt ansprechen konnte, ergriff der Hadjiin wieder das Wort.

»Rastullah möge Eure Weisheit bewahren und Euch und die Euren segnen und mit Glück beschenken, Haman dieses Dorfes. Ihr wart es, der mich rufen ließ? Ich bin Achan ibn Rahmud.«

»Ja, so ist es. Bei dem Zorn des Allmächtigen, ich wußte mir keinen anderen Rat mehr, denn die Krieger des Sheik glaubten mir nicht und fürchteten sich vor den seltsamen Stimmen in der Ruine hinter den Felsen, und dann ...«

»Kommt zur Sache, alter Mann! Der Bote berichtete das alles bereits! Ich will sehen, was Ihr für mich aufbewahrt habt«, fiel ihm der Krieger ins Wort. Seine Hände verschwanden unter dem Burnus. Sulim war sich sicher, daß er sie auf die Griffe seiner Krummschwerter legte.

»Wir bewahren es in einem unserer kühlsten Keller auf, doch es wird kein erfreulicher Anblick sein, Meister der Schwerter.« Der Ältere verstummte verlegen. Dann hob er eine Hand und deutete auf eines der Gebäude. Der Hadjiin setzte sich in Bewegung, so daß sie ihm folgen mußten. Sie gingen durch einen spärlich möblierten Vorraum, stiegen eine steile Treppe hinab und gelangten in ein unterirdisches Gewölbe. Hier war es so kühl, daß Sulim den Burnus fester um sich zog. Auf einer Bahre lag etwas unter einem Tuch verborgen. Der Hadjiin deutete fragend darauf, wartete aber das Nicken des Dorf Oberhaupts nicht ab. Mit einem energischen Ruck zog er die Decke fort und erstarrte. Keine Regung zeigte sich in seinem Gesicht, das nun einer steinernen Maske glich. Sulim hätte viel darum gegeben zu erfahren, was der Krieger dachte und fühlte, während er selber mit Übelkeit kämpfen mußte. Dort, auf der Bahre lag Shennya – oder was von ihr noch übrig geblieben war.

Das lebenslustige fröhliche Mädchen, die farbenprächtigste Rose unter den Blumen des Dorfes, war vor fast drei Monaten verschwunden. Obgleich alle jungen Männer unter der Führung des jungen Ariman ausgeschwärmt waren, um sie zu suchen – vermutete man doch Sklavenhändler oder Barbaren aus dem Norden als Urheber ihres Verschwindens –, hatte keiner eine Spur von ihr gefunden. Vor einem Mond entdeckte der Ziegenhirte Hassim Shennya in einer kleinen Höhle in den Hängen, genauer: ihre mumifizierten Überreste. Auch jetzt noch war zu erkennen, daß sie durch Gewalt ihr Leben verloren hatte. Tiefe Schnitte, noch immer blutverkrustet, verunzierten den Oberkörper und das Gesicht, und die Kehle schien durch eine Tierkralle zerfetzt. Der wie zum Schreien geöffnete Mund zeugte davon, wie qualvoll das Mädchen gestorben war. Zuletzt hatte jemand Dornen in der Form einer Pranke in ihren Oberkörper gebohrt, um keinen Zweifel daran zu lassen, wer sie getötet hatte.

Sulim musterte den Hadjiin, der eine Hand ausstreckte und über das Dornenzeichen legte. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geschlossen, als er den Kopf wieder seinen Begleitern zuwandte. »Vater der Weisheit, Ihr habt wohl getan, mich zu rufen, denn dies ist ein bedeutungsschweres Omen. Möge Rastullahs mächtiger Zorn diese Hyänen tausendfach zerschmettern und in die tiefsten Tiefen verdammen! Fluch über sie und ihre Samen, und Verdammnis ihren Seelen! Die Dashinim haben uns zum letzten Mal durch ihre Untaten herausgefordert!«

Die letzten Worte spie er förmlich aus.

Dann ballte er die Fäuste und schlug sie gegeneinander, machte das Zeichen gegen den bösen Blick, überkreuzte schließlich die Finger und hob sie zur Stirn. Sulim starrte ihn überrascht an, denn der Haß sprühte förmlich aus den Augen des Kriegers, so, als wisse er genau, was geschehen war.

Das war die einzige Gefühlsregung des Mannes vor ihm. »Ich habe genug gesehen«, erklärte der Hadjiin. »Wickelt die Leiche in eine Decke, verschnürt sie gut und bringt sie zu meinem Kamel! Ich werde euch bei Sonnenaufgang wieder verlassen.«

Der Nachthimmel über Rashdul war wolkenlos und doch dunkel, da das Madamal noch nicht aufgegangen war. Die schattenhafte Gestalt eines Mannes stand an einem der fünf Fenster des Turmzimmers und blickte hinaus auf die Stadt, ein zweiter Mann saß auf einem hochlehnigen Stuhl vor einem breiten Tisch. Feingliedrige Hände bar jeden Schmucks streichelten das buschige, silbergraue Fell einer edlen Al‘Anfaner-Katze.

»Ich hatte recht mit meinen Vermutungen. Was unsere Spione schon lange beobachtet haben, tritt ein: Tar Honak streckt seine Hand nach der Khom aus. Nicht umsonst hat der Kalif den weisen Mullah ibn Hassan al Khamassan, seinen beredsamsten Gesandten, geschickt, um die erhabene Shanja« – die Stimme des Mannes bekam einen spöttischen Unterton – »und ihren Wesir, Sheik Almut, in Unruhe zu versetzen. Dank dir, alter Freund, weiß ich, wie sehr.«

Eine ganze Weile herrschte Schweigen in dem Raum, der bis auf einige seltsame Gerätschaften kärglich möbliert war. Nur das laute Schnurren des Tieres durchbrach die Stille. Die Katze befreite sich schließlich mit einem unwilligen Miauen aus den Händen des Sitzenden und sprang auf den Boden. Mit hochgerecktem Schwanz stolzierte sie auf die Wendeltreppe zu und sprang die Stufen hinab.

Der Mann erhob sich und trat auf den anderen zu. Erst jetzt blitzten die vier Juwelen seiner Halskette im schwachen Dämmerlicht. »Nicht mehr lange, und wir werden die Schmach reinwaschen, die uns vor über hundert Jahren angetan wurde. Der Schrei der Löwin wird wieder über Rashdul erklingen und die Neunundvierzig werden der Stadt treu dienen« sagte er leise. »Dann werden die Träume unserer Väter wahr! Das Katzenblut wird uns dazu verhelfen.«

»Deshalb laßt Ihr die Juwelen suchen?« antwortete der zweite Mann. »Jetzt erst verstehe ich Eure Befehle, Krallenherr! Aye – die schwarze Brut muß zurückgeschlagen werden!«

Eine Hand lag auf dem Widerrist des Pferdes, die andere ruhte auf seinem Schenkel, dicht neben dem Griff des Kunchomers. In zügigem Trab durchquerte der Hadjiin das schmale Felsental mit den zerklüfteten Hängen und dem kargen Pflanzenwuchs. Die Felswände boten etwaigen Angreifern mehr als genug Schutz, zumal die Sonne bereits lange Schatten warf. Wachsam suchten die dunklen Augen die Gegend ab, achteten auf jede verdächtige Bewegung zwischen den rötlichen Felsspitzen. Das Zischen einer Speinatter auf einer Steinplatte in Augenhöhe ließ den Reiter zur Waffe greifen, doch zog er sie nicht.

Einmal tastete er nach dem fest hinter dem Sattel verschnürten Bündel und gab ein verächtliches Schnauben von sich.

Rastullahs allsehendes Auge! Diese Dashinim-Brut muß endgültig zerschlagen werden!, durchfuhr es seinen Geist. Es scheint ein uns auferlegter Fluch zu sein, daß sie jedes Menschenalter einmal auftauchen und ihre grauenharten Taten verüben, um unsere Aufmerksamkeit zu erwecken. Dieser Mord ist eine Kampfansage.

Er war noch ein junger Mann gewesen, ein Novize, als er zum ersten Mal von den Dashinim hörte. Kurz zuvor hatte der damalige Großmeister von Shalat ihren Schlupfwinkel aufgespürt und ihnen einen schweren Schlag versetzt.

»Der Kult der Krallenträger!« zischte er leise. »Sie verachten das Leben und alle Ideale des wahren Kriegertums. Was auch immer sie treibt, es muß der Shei‘tan sein, dem sie sich verschrieben haben!«

Er verstummte. Wieder umschloß seine Rechte den Griff des Kunchomers, und diesmal zog er ihn aus der Scheide.

Seine Augen täuschten ihn nicht. Der obere Rand eines Turbans lugte hinter einem Felsen vor, und der unvorsichtige Träger ließ einen Teil seines Körpers sehen.

Wegelagerer! Rastullah vernichte sie mit einem Blitz aus deinem allsehenden Auge und gib mir Kraft! sandte der Hadjiin ein stummes Stoßgebet zum Himmel.

Der Hadjiin machte sich bereit, die Deckung durch sein Pferd auszunutzen, falls die Räuber Bogen oder andere Schußwaffen mit sich führten, denn diese Hunde hielten nichts von ehrhaftem Kampf. Seine Beinmuskeln spannten sich, doch ehe er aus dem Sattel gleiten konnte, vernahm er den harten Schlag einer gelösten Armbrustsehne. Unwillkürlich wandte er den Kopf: ein tödlicher Fehler.

Der Bolzen bohrte sich in das linke Auge und tauchte die Welt in ein Meer aus Blut und Schmerz. Er schrie auf, faßte sich mit der Hand an den Kopf und spürte den feuchten Lebenssaft über die Haut rinnen. Das zweite Geschoß durchschlug den Waffenrock. Nur noch schemenhaft konnte er die Schützen erkennen, die hinter einem Felsen auftauchten. Dann wurde es dunkel um ihn, und in den letzten Augenblicken seines Lebens kam die Einsicht, daß ein Armbrustbolzen keine Unterschiede zwischen Hadjiinim und gewöhnlichen Sterblichen macht ...

Zufrieden mit ihrer Beute hatte sich Djamilla in ihr Versteck zurückgezogen und saß nun auf dem weichen Lager, das die Hälfte der Höhle ausfüllte. In den Händen wog sie den prall gefüllten Beutel, betastete das weiche Leder, das ebenfalls seinen Wert hatte. Die Börse der Nordländerin mit den wenigen Münzen darin hatte sie längst an einen zerlumpten Bettlerjungen verschenkt, der ihr auf dem Weg nach Hause mit ausgestreckter Hand entgegengekommen war.

»Mal sehen, was ich hier habe ...«, murmelte Djamilla zufrieden, löste die Knoten, schüttete den Inhalt des Beutels auf die buntgewebte Decke und verteilte die Münzen und Edelsteine.

Plötzlich hielt sie in ihrem Tun inne und nahm eines der Metallplättchen. Zunächst hatte sie es für eine Münze gehalten, doch ein kleines Loch an der Seite deutete auf einen anderen Zweck hin.

Was mochte das sein? Ein Amulett? Ein Göttertalisman?

Djamilla drehte die Bronzescheibe und erstarrte.

Ihre Augen weiteten sich, als sie den Gegenstand näher ans Licht hielt, um die Erhebungen genauer zu betrachten. Es waren fünf flache Ovale, die an den Pfotenabdruck einer Katze erinnerten.

Die fröhliche Gelassenheit war aus Djamillas Gesicht verschwunden. Haß und Schmerz verzerrten die Züge, und ein lautes Stöhnen entfuhr ihrem Mund.

Sie kannte dieses Zeichen, und die Erinnerungen, die sich mit ihm verbanden, waren die eindringlichsten ihres jungen Lebens.

»Dumah!« wisperte die Diebin und umklammerte das Amulett, als wolle sie es zerdrücken.

»Dumah, meine Schwester! Ihr, wer auch immer ihr seid, habt sie ermordet!«

Sie erinnerte sich an jene schreckliche Nacht vor mehr als vier Jahren, als wäre es erst gestern geschehen:

Man schrieb die namenlosen Tage. Nach einem heftigen Gewitter war Nebel im Tal des Mhanadi aufgekommen, und selbst in den Gassen Rashduls vermochten die wenigen Wanderer in der späten Nachtstunde kaum weiter als ein paar Schritt zu sehen. Es bedurfte einigen Mutes, sich hinauszuwagen, wenn man zuvor den Erzählungen der Haimamud gelauscht hatte, die von den rachsüchtigen Geistern jener Verstorbenen erzählten, die noch nicht in Borons Hallen eingegangen waren. Aber auch von den Dämonen und anderen übelgesonnenen Geschöpfen der Finsternis, die den dünnen Schleier zwischen ihren Reichen und der Menschenwelt nun leichter zu durchschreiten vermochten, um Leichtsinnige zu verführen und Unachtsame als Opfer zu verschlingen, berichteten die alten Märchenerzähler und schmückten ihre Geschichten mit grausigen Schilderungen aus. Deutete nicht auch das unnatürliche Wetter auf das Wirken des Bösen hin? War nicht auch diese Nacht wie geschaffen für schaurige Opferriten und das Beschwören von entsetzlichen Dämonen?

Nur wenigen wurde es bei den Worten der Haimamud nicht bang ums Herz; kaum einer schlug ihre Warnungen aus.

Ein Schrei gellte durch die unbeleuchteten engen Gassen der Unterstadt – lähmende Stille folgte. Läden schlössen sich knarrend, zugerissen von erschreckten Bewohnern, als eine schemenhafte Gestalt durch den Nebel rannte und vor einem großen, bunt bemalten und rankenbewachsenen Haus in der Straße der rahjagefälligen Freuden haltmachte. Kleine Fäuste hämmerten gegen die schlichte Seitentür des dreistöckigen Gebäudes. »Öffnet! So öffnet doch!«, flehte eine helle Stimme, und der herabgleitende Schleier enthüllte das zarte Gesicht einer Kindfrau, von zerzausten kupferfarbenen Haaren umrahmt. Weit aufgerissene Augen starrten die Frau nun verzweifelt an, die mit einem energischen Ruck die Tür geöffnet hatte. »Ashil ...! Kind ...Wo wart ihr so lange? Wo ist Dumah?«

Das Mädchen drängte sich an sie, hielt sich an ihr fest. »Es ist meine Schuld«, schluchzte sie und begann zu weinen. »Ich war es, die nach dem Unwetter durch die Unterstadt laufen wollte, um nach Hause zu kommen, Abrizah, obgleich Sherimee uns warnte und Durnah Angst hatte ... Aber ... Aber ich lachte nur über sie und zog sie mit hinaus ...« Der Rest ging in ein unverständliches Gemurmel über, so daß die Ältere das Mädchen in das Haus hineinschob und zu beruhigen versuchte.

Abrizah wies einen Diener an, heißen Tee zu bringen, führte das Mädchen in einen kleinen, wohnlichen Raum des Erdgeschosses und drückte sie auf einen der Divane nieder.

»Ashil ... Nun berichte mir in Ruhe, was geschehen ist«, sagte sie mit ruhiger Stimme. Sie setzte sich neben das rothaarige Mädchen und begann, deren Haar sanft zu ordnen. Das Kind, das ihr wie eine eigene Tochter ans Herz gewachsen war, beruhigte sich zusehends. Dank dieses wortlosen Trostes hörte Ashil auf zu zittern und atmete langsamer.