Du Engel Du Teufel - Brita Steinwendtner - E-Book

Du Engel Du Teufel E-Book

Brita Steinwendtner

4,3

Beschreibung

Die Geschichte einer großen, einer ungleichen Liebe: Alfred Kubin, der bedeutende Zeichner und Autor des Romans Die andere Seite, und Emmy Haesele, die Frau eines Landarztes, die durch Kubin zur Künstlerin wurde. Während für den Frauenhelden Kubin Haesele nur eine von vielen Geliebten war - die leidenschaftliche Liaison dauerte kaum drei Jahre -, veränderte für sie die Begegnung ihr ganzes Leben. Obwohl sie an dieser Beziehung, an allen späteren Zurückweisungen, fast zugrundeging, hat sie ihre Liebe über alle persönlichen Katastrophen hinweg bis zum Tod bewahrt. Brita Steinwendtner erzählt die Lebensgeschichte dieser ungewöhnlichen Frau als packendes Zeitdokument des kriegserfüllten und schicksalbildenden 20. Jahrhunderts als detailgetreue Biographie, die einen anderen Blick auf Alfred Kubin wirft, und als poetische Erzählung, die das Abenteuer einer bedingungslosen Liebe in Glück und Erniedrigung, Erfüllung und Erinnerung nachzeichnet.

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Brita Steinwendtner

Du Engel Du Teufel

Emmy Haesele und Alfred Kubin –Eine Liebesgeschichte

Ja, was ist denn die Wahrheit über mich,

über irgendeinen? Die ließe sich doch nur sagen

über punktartige, allerkleinste Handlungsmomente,

Gefühlsschritte, die allerkleinsten, über Tropfen

um Tropfen aus dem Gedankenstrom … Alle die 

tausend, Tausendstelsekunden von Gefallen, Angst,

Begierde, Abscheu, Ruhe, Erregung, die einer

durchmacht, worauf sollen die schließen lassen!

Müssen sie schließen lassen? Auf eins doch nur:

daß er von vielem gehabt und gelitten hat …

Ingeborg Bachmann, Ein Wildermuth

Welch ein Abgrund täte sich auf, wenn

wir uns selbst erkennen und verstehen könnten

und dabei ohne die Möglichkeit wären,

uns selbst zu korrigieren!

Wolfgang Hildesheimer, Marbot

Für W., plus que jamais

EINS

1

Drüben.

Ja, dort.

Das Grummet war geschnitten.

Heißer Mittag, Sommerende. Laut der letzten Grillen. Er schwoll an und ab, drängend und durchdringend, und es war ihr ein Zeichen. Wespen über dem Fallobst, süße Fäulnis der Mostbirnen. Kolbenschlagen eines Traktors im Wald. Über den Hügelkuppen flimmerte die Luft.

Ihr Rücken schmerzte. Die Rinde der Eiche jenseits auf dem Hügel grub sich in die Haut. Sie verscheuchte die Ameisen von den Schuhen und zog den Rock bis zu den Knöcheln. Nahm den Feldstecher wieder auf. Schaute hinüber. Dorthin. Stützte die Arme auf die Knie, um dem Zittern Halt zu geben. Im Hals spürte sie den Herzschlag. Sie stand auf, ging um den Baum, verließ aber seinen Schatten nicht. Setzte sich wieder hin, blieb reglos. Schaute. Drüben blieb alles still.

Die Sonne neigte sich.

Im ersten Stock hatte die Hausfront fünf Fenster. Die Sicht war fast zur Gänze verdeckt durch die großen Bäume, die um den Tümpel standen, aber sie wußte, daß es fünf waren und welche zur Bibliothek gehörten, welche zum kleinen Salon und welche zu seinem Arbeitszimmer. Sie wußte, wo der Schreibtisch stand, der Zeichentisch mit den alten Katasterpapieren, den Bleistiften, Federn, Pinseln, Linealen, Tinten-, Tusche- und Wassergläsern, den Schnüren, Blechschachteln, Federmessern, Zeitungen, toten Käfern, Briefen, den vielen Briefen. Wie die hellen Weichholzschränke aussahen mit den Fächern für die fertigen Blätter, hunderte, tausende. Sie wußte noch immer, welche er ihr beim ersten Mal gezeigt hatte, damals, im Mai einer anderen Zeit. Und später neue und wieder neue in den zweieinhalb Jahren, die alles waren.

Kein Schimmelhengst sprang in das Bild.

Sie stand auf und barg den Feldstecher im Lederfutteral.

Trank vom Holundersaft.

Sie war leer und müde.

In weitem Bogen ging sie über die Wiesen.

Die Hügel hinauf, die Hügel hinunter.

Den Waldrand entlang, durch die Gräben.

Mied die Straßen und Wege.

Ging und schlich, beharrlich und hoffnungslos.

Wut in ihrem Gesicht, Scham.

Und etwas Verzehrendes, das sich sanft ergab.

Mittelpunkt ihres Umkreisens war das hellgrüngraue Landschlößchen mit den weißen Fenstereinrahmungen und dem hölzernen Glockenturm auf dem Giebel als Wahrzeichen, waren der Garten davor und das Gehege für die Hühner dahinter, der Kiesweg, das Lusthaus, der Teich. Das eine Zimmer, das große, helle, über dessen Doppelbett Alexej Jawlenskys Portrait der anderen hing.

Ja, dort.

Drüben war niemand zu sehen.

Das Haustor blieb geschlossen.

Als die Sonne sank, wurde es kühl.

Das Zirpen der Grillen schwoll panisch an.

Sie hatte auf ihn zugelebt, lange, bevor sie ihn kannte.

Und als es zu Ende war, war es nicht zu Ende.

Um neun Uhr siebzehn ging ihr Zug.

2

Es war die Angst, schrieb sie später in ihren „Lebenserinnerungen“, die sie mit 51 Jahren in einer Gefängniszelle beginnen wird. Angst und das Gefühl von Einsamkeit, von Fremdsein. Es hätte eine glückliche Kindheit sein können, vielleicht war sie es auch, und das Dunkle war nur, was sich mit den Jahren in den Vordergrund drängte und entfaltete.

Unser Gedächtnis ist ein launenhafter, flüchtiger Kumpan.

Sie waren vier Geschwister, sie war die zweite, alle ge-liebt und umhegt. Wien, auf der Wieden, vierter Gemeindebezirk. Heumühlgasse, unweit der Stadtbahn und des damals noch nicht regulierten Wienflusses, der einst viele Mühlen angetrieben hatte, wovon die Namen heute noch zeugen: Mühlgasse, Schleifmühlgasse, Heumühlgasse. Eine gediegene, gute Gegend, aristokratisch urspünglich mit den Sommerresidenzen der Adeligen, jetzt bürgerlich und geschäftig. Die ersten Spitäler der Stadt waren hier gebaut worden, Brauereien und ausladende Gasthöfe an den Fernstraßen in den Süden. Nahe dem Starhemberg’schen Freihaus, in dem um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an die tausend Menschen zur Miete wohnten, war einst das Schikanedertheater gestanden und das Häuschen, in dem Mozart seine „Zauberflöte“ komponiert haben soll. In der Mühlgasse war immer noch der kaiserlich-königliche Hof- & Kammer-Clavierfabrikant Friedrich Ehrbar ansässig und daneben das Konservatorium für Musik und Dramatische Kunst. Blühende Akazienalleen im Frühling.

Am 8. Juli 1894 kam Emmy Haesele im nahen Mödling, wo sich die Familie in den Sommerwochen aufhielt, zur Welt. Es war noch das Mödling der besungenen lieblichen Gegend, die schon Schubert angezogen hatte und Beethoven, Raimund, Hofmannsthal und Schnitzler, und die das bevorzugte Ausflugsziel vieler Wiener war, wenn sie abends oder sonntags hinausfuhren in ihren Kaleschen oder zu Fuß wanderten, den Bächen entlang, unter Föhren und Buchen, Lachen und Singen. Es war das Jahr, in dem der französisch-russische Zweibund geschlossen wurde, in Paris die Dreyfus-Affäre ihren Anfang nahm und in dem Anton Bruckner an seiner letzten, der 9. Symphonie, arbeitete.

Das erste Bild, das Emmy in sich trägt, ist das Bild einer Doppelperspektive: sie sieht sich auf dem Arm ihrer Iglauer Amme, das große Eingangstor des Hofes steht halb offen, die Amme zeigt auf das tobende Wasser des Mödlingbaches, der vor dem Haus vorbeifließt, und das Kind hört das mit Schrecken ausgerufene Wort: Überschwemmung! Und später wundert sie sich, wie es möglich war, sich selbst von außen zu sehen, als ob sie eine dritte Person wäre, währenddessen sie doch selbst auf dem Arm der Amme war.

Bilder, die blieben: das wilde Reich des Mödlinger Gartens, dessen Wiese sich zunächst sanft, dann immer steiler die Hänge des Frauensteins hinaufzieht. Ein Gartenhäuschen, das voll von Gerümpel und Geräten ist, die Fenster haben dunkelrotes Glas, manche Jalousien sind geschlossen. Spinnweb und Staub. Eine schwarze Katze flüchtet. Unter dem Tisch zwei große, fremde Augen, die sie bedrohlich anstarren. Nachtpfauenauge des Entsetzens.

Und anderntags mit Rudi, dem größeren Bruder, noch weiter hinauf in diesen ersten Garten ihrer Kindheitssommer. Dichte Gebüschhecke, eiserne Gitterpforte, schmale Brücke. Unheimliche, rumpelnde Geräusche kommen aus der Tiefe, kommen näher, grauenerregende Dämonen scheinen nach ihr zu greifen. Die Dampftramway rollt immer noch durch ihr Gedächtnis. Oder die Drachenbahn im Prater, deren unheimlichste Szene der „Kampf auf dem Meeresgrund“ ist, in der ein Taucher mit einem Messer auf ein Ungeheuer einsticht, aussichtslos scheinbar, denn er sticht und sticht noch immer zu, während die Bahn weiterfährt. Unterwasserlandschaften werden die Themen ihrer ersten Bilder sein, als sie Jahrzehnte später zu zeichnen beginnt.

Sommer war auch Pörtschach. Es war das lichte Land mit Großvater, dem Fabrikanten der berühmten Geburth-Öfen, und Tante Anna, die das Kind umsorgte mit einer Innigkeit, die es von zu Hause her nicht kannte. Auf den Fotografien ist sie ein drei-, vierjähriges Mädchen, kurzer, dunkler Pagenkopf, weißes Spitzenkleidchen, lachend. See und Sonne. Der Großvater, schon über siebzig, nimmt Stunden im Bicycle-Club, die Männer fahren auf einem eingezäunten Platz im Kreis auf ihren hohen Rädern, manche auf Tandems. Vor dem Aufsteigen hüpfen sie lange Zeit auf einem Bein neben dem Rad.

Das Kind beobachtet genau. Der Hausbesorger in Pörtschach heißt Franz Haas, er hat ein Flinserl im linken Ohrläppchen, wie Herr Kirchschlager, der Hausmeister in der Wiener Heumühlgasse. Beide riechen sie nach Schweiß, beide haben einen gönnerhaften, teils respektvollen Ton im Umgang mit den Kindern. Sie sind handwerkskundige Männer, und wenn Franz frühmorgens die Gartenwege recht, erzählt er, wie viele Hechte Großpapa heute schon gefangen hat. Beim Fischkasten unten am See späht sie durch die Löcher im Holz, grausige Bartwürmer eines großen, schwarzen Wallers.

Sie fängt selbst Fischlein und wirft sie wieder ins Wasser, sie sollen leben. Eines löst sich nicht mehr vom Angelhaken, es blutet aus dem stummen Maul und stirbt. Die Erinnerung daran bleibt ihr als Schuld, getötet zu haben, und das Wort Mörderin prägt sich ihr ein.

Einmal fährt Emmy mit Großpapa und Tante Anna nach Triest. Reserviertes Halbcoupé I. Klasse, das eigens aufgesperrt wird, weiße Spitzenüberzüge auf den roten Samtkissen. So nobel reist Mama nie mit den vier Kindern. Mittags werden aus einer großen, roten Ledertasche Köstlichkeiten ausgepackt, gebratenes Huhn, Semmeln, eine Flasche Rotwein. Silberne Reisebecher, die man ineinanderschieben kann. Das Hotel in Triest liegt am Pier, am Hafen einer Monarchie, deren Fassade immer noch glänzt. Handelsschiffe, Kräne, Lastenträger, Passagierdampfer, Segelboote. Sie steht am Fenster, aufregendes Leben. Aber da hört sie ein durchdringendes Jaulen und Heulen – in einem am Quai vertauten Boot schlägt ein Bursche auf einen jungen Bernhardinerhund ein, prügelt blindlings und wütend, sie schreit, weint, der Großvater schickt einen Hotelangestellten hinunter zum Schiff. Die Vision dieser Szene überfällt sie immer wieder, und sie muß die Qual der Kreatur ohnmächtig mitfühlen. Wenn Großpapa mir damals diesen kleinen Hund gekauft und geschenkt hätte, wäre mir viel einsames Leid erspart geblieben, aber ich weiß, daß dieser kleine Hund ebenso in mein Schicksal hineinverwoben ist wie alles andere Leid, das Gott für mich ausersehen hatte.

Die Wohnung im ersten Stock in der Heumühlgasse Nr. 3 ist groß und dunkel. Sieben Zimmer, sechs Nebenzimmer. Im Kreis angeordnet, in der Mitte ist die Ordination des Vaters, praktischer Arzt, Dr. Leo Göhring, beliebt und be-kannt weitum. Tapetentüren, Wartezimmer, Bazillen, die sie sich als böse, schwarze Kobolde vorstellt. Ruhe, wenn der Vater Sprechstunde hat. Wird nur geläutet, sind es Patienten. Wird geläutet und ans Küchenfenster geklopft, sind es die Kinder. Stubenmädchen, Köchin, Kindermädchen. Später immer wieder eine neue Mademoiselle, um Französisch zu lernen. Das Kinderzimmer ist hell, aber die Fenster sind aus Fürsorge vergittert und gehen auf einen ummauerten Hof hinaus.

Der Hof. Er war das Tor zur Welt. Ihn durchqueren die Kinder, wenn es warm geworden ist nach der langen Winterzeit mit dem Schein der Petroleumlampe unter dem Türspalt und dem Knistern des Feuers in den Öfen; wenn sie in den Garten dürfen, an jenen Ort der süßen Geborgenheit, den sie in der Erinnerung verklärt. Dieser verwunschene Garten liegt hinter dem Hof und ist über den Durchgang des II. Stiegenhauses zu erreichen: klein, still, ein Brünnlein in der Mitte, ein efeuumranktes Bassin mit Goldfischen, zwei Maulbeerbäume, zwei uralte Schildkröten, die sie als Symbol von Ewigkeit, Kraft und Zähigkeit in vielen ihrer Zeichnungen wiederbeleben wird.

Garten-Kindheit. Was wird zum Myzel, das sich ausbreitet und fruchtbar wird? Was bleibt? Das Salettl zum Aufgabemachen? Die blauen Schwertlilien? Der Geruch des Eau de Cologne, der aus einem Kellergewölbe steigt, in dem die Abfüllerei einer Parfumfabrik untergebracht ist?

Die Pferde. Durch die vergitterten, von Staub blinden Fenster eines Nebengebäudes entdeckt sie die Tiere eines Tages voll Aufregung, sie stehen im Halbdunkel, bewegungslos, alt, vergessen. Als wären sie hier eingemauert und verdammt zu lebenslänglichem Kerker.

Schon als Kind hat Emmy das Gefühl von Brüchigkeit und Doppelbödigkeit:

Daß es eine Welt jenseits der sichtbaren gibt und diese gleichsam durchwebt und durchtränkt, war mir seit frühester Kindheit dunkel bewußt, denndieselben vertrauten Personen konnten plötzlich wie fremde Dämonen und Gespenster aussehen, die altgewohnte, heimatliche Umgebung veränderte in Sekundenschnelle ihr Antlitz und wurde kalt, starr und furchteinflößend. Dann gab es wieder Augenblicke, z. B. beim Betreten einer bis dahin unbekannten Brücke oder bei einer sonstigen neuen Situation, daß ich von dem Gefühl des „Schon-einmal-erlebt-haben“ überwältigt wurde. Das alles bedrängte mich und war doch unmittelbar, verlangte aber gebieterisch irgendeinen Ausdruck. Und was lag da in Wien, der Stadt der Musik, näher, als dies alles mittels Musik auszudrücken.

Mit noch nicht sechs Jahren lernt sie auf eigenen Wunsch Violine, mit zehn spielt sie mit ehrfürchtigem Schauer Beethoven-Sonaten. Musik ist ihr Religion.

Die Erziehung der vier Geschwister ist großbürgerlich liberal, aufgeschlossen, musisch. Die Eltern sind Protestanten, Religion spielt aber wenig Rolle. Die Kinder erhalten eine sorgfältige Ausbildung, die beiden Schwestern gehen ins Lyceum, die Söhne studieren später. Bis zur Mittelschule ist Emmy vom Zeichenunterricht befreit: Eislaufen und Spazierengehen seien gesünder, sagt der Vater. Die Jahre danach zeichnet und malt sie lustlos und mit schlechten Noten, die Schablonenhaftigkeit des Lehrstoffes ödet sie an. Die Mutter malt, wenn ihr Zeit bleibt, friedliche Öllandschaften. Der Vater liebt akademische Malerei, zu deren Szenen sich das Mädchen Romane ausdenkt. Die Bibliothek ist umfangreich, aber es gibt verbotene Bücher: früh das von Doré illustrierte Märchenbuch, später die Illustrationen von Toulouse-Lautrec. Gestattet ist der abgegriffene „Zauberer von Czernowitz“, vielleicht auch, weil Vaters Vater aus Czernowitz kommt. Die Kinder spielen manch obskures Spiel, Kartenkunststücke und rätselhafte Rechnereien mit überraschender Lösung. Versuche als Medium. Die Mademoiselle aus der französischen Schweiz stickt und spricht mit den Kindern die Sprache ihres Landes. Die Großmutter liebt die Oper und hat, als die Not es erforderte, Cholerakranke gepflegt, selbstlos und ohne Furcht. Der Geburth-Großvater wird Betreuer des evangelischen Friedhofs. Das jüngste Brüderchen ist ungeschickt und wird verwöhnt. Die Köchin kocht fünf Gänge, das Stubenmädchen deckt den Tisch.

Von draußen tönen die Zwölfuhrglocken der Paulanerkirche durch die geöffneten Fenster. Die Familie ist um den sonntäglichen Mittagstisch versammelt. Silberbesteck, klingende Gläser, weiße Schürze. Was drang ein in die dunkle Wohnung in der Heumühlgasse Nr. 3, was von der Stimmung auf den Straßen im Wien der Jahrhundertwende mit seinen Spannungen und Glücksmomenten, seinen Katastrophen und Heiterkeiten, seinen Nationalitäten, Individualitäten, Sprachen, Lebensweisen, Philosophien, naturwissenschaftlichen und künstlerischen Revolutionen? Sprach man über Eugenie Schwarzwalds neue Erziehung für Mädchen, Arthur Schnitzlers „Leutnant Gustl“, Sigmund Freuds „Traumdeutung“ oder das Phantom, das Selbstverwirklichung meinte?

In den Kaffeehäusern halten Literaten und Künstler Hof. Ein junger Zeichner namens Alfred Kubin ist einmal als Gast dabei. Er kam von München, vom wilden Schwabing her, dessen Orgien und kosmische Gedankenflüge im Gerede waren, bewundert und belächelt. Er interessiert sich für die Künstler der Wiener „Secession“ um Gustav Klimt, Carl Moll und Koloman Moser, die im Protest gegen veraltete Strukturen aus dem Künstlerhaus ausgetreten waren. Von Moser lernt er dessen Technik mit Kleisterfarben, sie diskutieren die Münchner und die Wiener Avantgarde. Die goldgerankte Kuppel des Jugendstilgebäudes der Secessionisten zwischen Innerer Stadt und der Wieden, nahe der Heumühlgasse, leuchtet als Wahrzeichen einer neuen Zeit. Lange steht der junge Kubin im Kunsthistorischen Museum vor den Bildern der beiden Breughels und in der Albertina vor den Zeichnungen aller Zeiten. Am Semmering begegnet er zum ersten Mal Gustav Meyrinck und plant, dessen „Golem“ zu illustrieren.

Die Heumühlgasse wäre eine stille Gasse im etwas abgelegenen Winkel zwischen Karlsplatz, Paulanerkirche und Wienfluß. Aber in einem städtebaulichen Großprojekt werden die alten Brücken abgerissen, das verzweigte Gewässer 1897/98 reguliert und für Hochwasserschutz und die Errichtung einer Stadtbahn bis hinaus nach Hütteldorf überwölbt. Ein Jahr später wird die Wientallinie eröffnet, die Sitze der II. Klasse sind mit grünem Büffelleder überzogen, die Bänke der III. Klasse sind aus Eschenholz. Der traditionsreiche Naschmarkt, den Emmy in seiner Farbenpracht und Duftfülle von Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch und Waren aller Art aus nahen und exotischen Ländern liebt, wird vom Karlsplatz auf das erhöhte Gelände der Überbauung verlegt, er verliert die improvisierte Vielfalt der selbstgezimmerten Hütten, Stände und Schilder und wird in normierte Ladenzeilen gezwängt.

Im Untergrund jedoch, in den Gewölben, Kavernen und den Tunnels für die Kanalisation entsteht schon in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts eine Gegenwelt, finden die Armen, Obdachlosen und „Kriminellen“ der Stadt einen neuen Zufluchtsort. 1905 bringt die „Arbeiterzeitung“ bereits einen großen, durch Fotos dokumentierten Beitrag über „Das unterirdische Wien“. Die Mutter warnt die Mädchen vor zweifelhaften Gestalten.

Noch liegt Glanz über der Metropole des Vielvölkerreiches. Aber der Kaiser ist versteinert, die Kaiserin ermordet, der Thronfolger ein Selbstmörder. Die Tschechen wollen Unabhängigkeit, die Slowenen, Ruthenen, Kroaten, Bosnier, Serben, Herzegowiner und alle anderen auch. Demonstrationen auf den Straßen der Innenstadt. Antisemitische Parolen.

Der Vater, Dr. Leo Göhring, erweitert den Kreis seiner Patienten, die Mutter und die Demoiselles erziehen. Emmy gilt als schwierig und verstockt. Sie ist anders. Sie hat Gesichte, und mitunter befiehlt ihr eine Donnerstimme aus dem Irgendwo Dinge zu tun, vor denen sie zurückschreckt. Nur sie hört diese Stimme des „Hüters der Schwelle“, und sie kann nicht darüber reden.

Wenn sie krank ist und fiebert, hat sie Alpträume. Zwei Träume kehren wieder, obsessiv und quälend: Sie ist in eine braune Höhle gebannt, zusammengekrümmt kauert sie in der Finsternis, einen salzigen Geschmack auf der Zunge, in abgrundtiefem Ausgestoßen- und Eingeschlossensein. Sie nennt den Traum Das braune Salz. Ähnliches Entsetzen stößt sich auch im zweiten Traum tief ins Gedächtnis: Sie hockt auf einem Felsen, verlassen von allen Menschen, bis zu den Füßen umgeben von wogendem, brandendem, grünblauem Meer. Sie weint, Marie, die jüngere Schwester, versucht sie aufzuwecken, Emmy flüchtet sich auf den Boden neben dem Waschtisch, sie hört die Schwester und spricht mit ihr, kauert zugleich aber immer noch in panischer Angst auf dem Felsen im Weltenmeer. Die Erinnerung daran bleibt. Nach Jahrzehnten wird sie die Träume mit C. G. Jungs Psychoanalyse als pränatale Traumata deuten lernen und sie für ihre Kunst fruchtbar machen.

Emmy hat besondere Augen – sie sehen Sein und Schein. Und auch den Unterschied von flott und gebrechlich, fremd und vertraut, reich und arm. Da sieht sie eines Nachmittags im Winkel eines Durchhauses einen Bettler stehen. Durch sein bloßes Dasein bringt er ihr Mitleid in Aufruhr.

Dieses namenlose Mitleid gipfelte in einer Anklage gegen Gott u. einer nicht zu beschreibenden Scham vor diesem Bettler, daß ich, jung und gesund, gutgenährt u. gut gekleidet, ihm gegenüber stehen muß. Und feig ergriff ich gewöhnlich die Flucht … Das Mitleid verwandelte sich jäh in schreckliche Wut: ich hätte am liebsten all diesen Jammergestalten ins Gesicht geschlagen, sie erschossen, zertrampelt, vernichtet, außerdem schämte ich mich noch für sie, daß sie ihr Elend so zur Schau stellten, u. mit ganz verhärtetem Herzen ging ich vorüber. Aber kaum war ich ums nächste Hauseck, zog es mich wieder zurück, u. ich machte oft die verrücktesten Umwege, um nur nochmals an diesem Bettler vorbeigehen zu können und ihm ganz harmlos – als wäre es mir gerade erst eingefallen – ganz nebenbei ein Geldstück in die Hand zu legen. Manchmal zwang ich mich hart zu bleiben, da wurde es oft erst der nächste oder übernächste Tag, der mich doch wieder zu dieser Stelle zog, u. wenn er dann nicht mehr dort stand, so fühlte ich mich des Mordes schuldig – denn mein Almosen hätte ihn vor dem sicher eintretenden Hungertod retten können.

Dieses Erlebnis beschreibt Emmy Haesele drei Jahrzehnte später in einem Brief vom Oktober 1933. Aber noch ist das Jahrhundert jung. Noch ist Emmy Haesele ein Kind, das zum jungen Mädchen heranwächst. Sie gilt immer noch als hypersensibel und hat eine überbordende Phantasie. Lebt zwischen Gott und Straßenpflaster, Traum und Alltäglichkeit. Will alles wissen, alles deuten. Neigt zur großen Gebärde, zum Schauer, zu Schuld und Angst. Backfisch-albernheiten macht sie nicht mit.

Das Konfirmationsbild von 1910 zeigt sie als nachdenkliche Schönheit im weißen Spitzenkleid, eine Taftmasche unter der Brust, rüschengestuft der Rock, locker ist sie auf eine Art Jugendstilkonsole gestützt.

Die Zeit der Rebellion kommt: sie läßt sich ostentativ die Haare kurz schneiden, fährt Motorrad, gilt in der Familie als extravagant. Sport ist von den Eltern zwar immer schon gefördert und begrüßt worden, Bergsteigen, Skifahren, Eislaufen, aber Emmy tendiert zum Extremen und zur großen Herausforderung: Sie macht, in Schnürmieder, langem Rock und Nagelschuhen, waghalsige Klettertouren in Südtirol und im Dachsteingebiet. Mit Marie gelingt ihr die Erstbesteigung der Kleinen Bischofsmütze in einer Damenseilschaft.

Die steirische Ramsau wird zum Treffpunkt der Jugendlichen: Die Mutter, immer schon auf der Suche nach Natureinsamkeit für ihre Kinder, um sie nicht als „Stadtkinder“ einseitig zu erziehen, hatte kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine Hütte gefunden und gepachtet. Die Geschwister, altersmäßig eng beisammen, bringen Freunde mit, es wird gefeiert, gewandert, geklettert. Geliebt wahrscheinlich auch. Schnitzler’sche Szenarien. Unter den Freunden zwei, die entscheidend werden: Hans Haesele und Kurt Zelenka, beide studieren Medizin. Rudolf, Emmys ältester Bruder, wird 1922 in einem Wettersturz mitten im August am Dachstein umkommen. Er liegt auf dem Bergsteigerfriedhof in der Ramsau begraben.

3

Und dann Krieg.

Weder in den Lebenserinnerungen Emmy Haeseles noch in ihrem Tagebuch, noch in den vielen Briefen gibt es Zeugnisse aus dem Jahr 1914. Kein Kommentar zu Kriegsbegeisterung, Kriegskatastrophe. Auch in den Jahren davor keine Notate zur Zeitgeschichte. Was allein bewegt, ist sie selbst. Das allerdings ungewöhnlich, analytisch, philosophisch.

Sie ist sechzehn, siebzehn Jahre alt. 1910/11 verbringt sie in einem Pensionat in Weimar. Es war das Jahr, in dem sie ein Geheimnis Gottes erkannte, ein Jahr voll von unerhörten inneren Erlebnissen, so schreibt Haesele 1933 in ihren tagebuchartigen Aufzeichnungen unter dem Titel „Dieses ist mein ‚Manuskript‘ ein Anderes hab ich nicht“.

„Wer bin ich und was bin ich“ – diese Fragen hatten mich schon lange beschäftigt, denn fremd und einsam fühlte ich mich, wo ich hinkam, und wenn ich Eltern und Geschwister anschaute, so erschrak ich zutiefst – aber vor dieser Fremde. Dann kam die inbrünstige Liebe zu „Gott-Vater“ und Christus, aber sie waren außen … Ich war das unwürdige Geschöpf, das Kind, das von Gott nur aus Gnade liebevoll umfangen wurde. Und dann kam der Haß: Gott der Allmächtige, Schöpfer Himmels u. der Erden, er hat uns arme Menschenkinder nur geschaffen, um über uns triumphieren zu können! Er – extremster Ausdruck des Egoismus – Er weidet sich an der Sterblichkeit und dem Untergange alles Geschaffenen, nur um den Triumph seiner Unsterblichkeit auskosten zu können! … ihm zum Trotz (nahm ich mir vor) so zu leben, daß ich ja nicht einst in den Himmel, sondern zu den Verworfenen in die Hölle komme … Und dann habe ich die Welträtsel von Haeckel in einer Buchhandlung gesehen u. mit klopfendem Herzen hab ich heimlich dieses Buch gekauft … ich wurde auf das Problem „Kraft u. Stoff“ (Materie und Energie) gestoßen (ohne daß mir dabei die Parallele zu „Gott u. Geschöpf“ aufgetaucht wäre) – was war früher da: Kraft oder Stoff?… ich wußte es auf einmal mit allen Sinnen …: Kraft schuf sich die Materie, um überhaupt zu sein, um wirken zu können, um wirklich zu werden, wie aus einem Innersten, aus einem Keim entfaltete sich die ganze Welt vor mir, und mir wurde offenbar: Gott und Geschöpf sind Eines!!!!

Wohin kommt sie, die frühreife Sechzehnjährige?

Natürlich zum Nichts! … Ich spürte – wie Du es nennst: das Überträchtige, den Überschwang – aus diesem Nichts entwickelte sich ein solcher Spannungszustand, daß die ganze Welt daraus entsprang! … Ich war so fasziniert von dieser Offenbarung, daß ich vergaß, mich als „erkennendes Subjekt“ einzubeziehen in diese Wechselbeziehung. Ich stand außen als Zuschauer. Jetzt erst weiß ich – ach manchmal nur: daß die Mitte ewig ruhend ist u. die beiden Pole Himmel und Hölle heißen …

Emmy Haesele ist 39 Jahre alt, als sie das formuliert. Die Zeit, die dazwischen liegt, mag aus der Retrospektive die Jugendliche klüger gemacht haben, aber nicht grundsätzlich verschieden. Diese Gedanken bleiben bestimmend für ihr Leben, sie gibt ihnen nur unterschiedliche Farbtöne, hellere oder dunklere Schraffuren: Seligkeit oder Abgrund.

4

Eine Fotografie.

Ungarisches Ambiente, eine Hütte, ein Vorgarten, mit Holzplanken eingezäunt, dahinter ist die Puzsta zu erahnen. Wäsche weht auf einem Strick. Eine junge Frau sitzt heiter gelöst auf der Erde mit einem Baby. Es ist Emmy Haesele. 1916, mitten im Krieg, hat sie ihren Jugendfreund Hans geheiratet. Er hat sein Medizinstudium beendet und ist als Arzt nach Ostungarn abkommandiert worden. Ein großer, gutaussehender Soldat, dunkel das Haar, dunkel die Augen, nachdenklich. 1917 kommt der Bub, Heinz, zur Welt. Hans läßt seine Frau mit dem Kind an die Front nachkommen. In Wien ist Hungersnot und Jungverheiratete sind schwer zu trennen. Emmy ist selbstbewußt.

Von diesen Jahren weiß man wenig. Vorübergehend arbeitet sie als Rot-Kreuz-Schwester in einem Lazarett, wie viele sozial eingestellte junge Mädchen und Frauen aus Wiens Adels- und Bürgerschicht. Aber es gibt ein Gerücht. Es versickert schnell wieder, denn es ist Krieg, er deckt alles zu. Die Fama taucht erst fast ein Jahrhundert später wieder auf: daß sie vor der Verbindung mit Hans einen wesentlich älteren Deutschen geehelicht hätte – ist es jener Dr. K., von dem sie Jahre später andeutungsweise sprechen wird? –, daß sie für geistesgestört erklärt worden sei und sich dadurch scheiden lassen habe können. Hans habe sie auch ohne die stattliche Mitgift, die vertan war, genommen.

Hans Haesele liebt sie. Er teilt ihre Neigungen und Grübeleien, versteht ihre Zerrissenheit, duldet ihre Exzentrik.

1918 bricht die Front zusammen. Im Chaos des Rückzugs erlebt Emmy grauenhafte Szenen, Heinzi ist noch kein Jahr alt, sie ist wieder schwanger, die Ungarn verweigern jeden Bissen Brot, jedes Ei, sie wird es ihnen nie verzeihen. Gerade noch rechtzeitig zur Geburt des Töchterchens Lieselotte kommen sie in Wien an. Mesi wird das Kind fortan heißen. Sie wird die Ungeliebte bleiben und bis ins hohe Alter darunter leiden.

5

Heimat, das weite Land von Vorstellungen.

Wenn das Bild, das von ihr gelebt hat, zerstört wurde, wird sie doppelt wertvoll. Die österreichisch-ungarische Monarchie ist zu einem Zwergstaat degradiert. Viele sind für einen Anschluß an Deutschland, halten dieses Rumpf-Österreich nicht für lebensfähig. Eine Republik auf dem Papier. Der Friedensvertrag von Versailles als Schande.

Aber es kommen neue Tage.

Es gibt einen Weg in die Gegenwart.

Es gibt ein Dorf namens Unken.

Als ob es gestern gewesen wäre, weiß ich noch mit welch erwartungsvoll freudiger Spannung wir an einem schönen Maitag, es war der 21. V. 1919, im Wagen des Postwirtes, Herrn Mayrgschwendtner, von Reichenhall aus das Saalachtal hereinfuhren, Berger Toni, der damals Postknecht war, auf dem Kutschbock. Meine beiden Kinder im Arm, blickte ich voll glücklichen Staunens herab auf die Schönheit unserer neuen Heimat. So friedlich lag dies Dörfchen da, eingebettet in den Kranz seiner Berge, durchzogen von dem Silberband der Saalach. Die unsagbare Schönheit dieses Anblickes bewegte mich tief und mit ganzem Herzen freute ich mich darauf, hier eine wahre Heimat zu finden, und mein Mann gelobte sich, seine ganze Arbeitskraft, sein ganzes Wissen und Können, dem Wohle der Bevölkerung von Unken zu widmen.

Heimat. Als sich Emmy Haesele 1948 die Ankunft im Bauern- und Holzarbeiterdorf in Erinnerung ruft, waren Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg gerade vorüber. Da war das Wort „Heimat“ mit Blut und Boden verbunden, beladen, mißbraucht und für viele Ort zerstörter Hoffnung.

Unken also, das Dorf am Eingang zum Pinzgau, im Dreiländereck zwischen Salzburg, Tirol und Bayern. Immer schon wichtig als Durchgangsort zu den Alpenübergängen nach Tirol und Italien, zwischen Steinpaß und Kniepaß, zwischen Salzburg und Zell am See, Reichenhall und Lofer. Heftig umkämpft unter Napoleon, der Sperrbogen am Steinpaß wird erst 1929 geschleift. Unken hat seit 1916 keinen Arzt und sucht einen neuen – Hans Haesele liest die Ausschreibung und nimmt an.

Emmys Verzauberung dürfte nicht beschönigt sein. Sie hat Berge immer geliebt, seit sie mit der naturverbundenen Mutter und den Geschwistern Bauernhof-Ferien im Stubaital erlebt, sie von Wien aus Wanderungen auf den Semmering, die Rax und den Schneeberg und Klettertouren in den Kalkalpen gemacht hatte.

Der Krieg war vorüber, es war Frieden geworden.

Ein Anfang mit vielen Erwartungen.

Die junge Familie bekommt das „Doktorhaus“ zugewiesen, das der Gemeinde gehört und dem eine kleine Landwirtschaft angegliedert ist. Roßstall, Kuhstall, Schafstall, Scheune. Hinter dem Haus ein Bach, das Waschhäusl an seinem Ufer, im Frühling umringt von Dotterblumen. Das Anwesen liegt auf einer Schwemmterrasse über dem Ort, das Saalachtal zu Füßen, von Wiesen umgeben, der Achberg gegenüber und im Rund das Rabenhorn, das Rüstfeichthorn, der Wendelberg und der Predigtstuhl, in der Ferne die Leoganger und Loferer Steinberge.

Junges Familienglück. Landleben.

Man sieht sie auf der Hausbank sitzen, lachend, ein Lodenhütl auf dem Kopf, die Kinder im Arm. Sie hat Hilfen im Haushalt, die Landwirtschaft ist verpachtet, aber sie schafft und werkt, legt einen riesigen Garten an, es blüht den ganzen Sommer lang bis in den späten Herbst, ihr Stolz ist der Staudengarten mit Phlox, Rittersporn und Helenium, mannshoch zum Teil. Sie pflanzt und erntet Gemüse, setzt Beerensträucher, kocht Apfelmus ein und Birnen-, Ringlotten- und Zwetschkenkompott, sie legt Wege und Bänke und einen kleinen Schwimmteich für die Kinder an, geht mit ihnen wandern und an die Saalach baden, schafft ihnen Holzspielzeug und Werkzeug zum Basteln und Bauen, es kommt viel Besuch, in den Ferien oft Emmys Schwester Marie mit der kleinen Lucie. Heinz und Mesi gehen in Unken zur Schule, sie wachsen mit den Bauernkindern auf, sind vertraut mit Auen, Bergen und Almen und dem Wechsel der Jahreszeiten. Die Schneestürme fegen durch das Tal, die Gewitter stürzen über die Berge und verdunkeln die Landschaft innerhalb von Minuten. Wenn es aufklart, liegt die Welt als Geschenk wie neu vor den Augen.