Du wirst nicht alt im Thüringer Wald - André Kudernatsch - E-Book

Du wirst nicht alt im Thüringer Wald E-Book

André Kudernatsch

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Beschreibung

„Irgendwann erreicht man bei einer Wanderung im Thüringer Wald immer diese Kreuzung, an der ein Schild fehlt, und die Wandergruppe zankt, wo es weitergeht. Bis einer glaubt, an der Rinde eines Baumes die verwaschene Wegmarkierung wiederzuerkennen: Weißes Kästchen mit gelbem Kreis. Das könnte aber auch der kunstvolle Schiss eines Eichelhähers sein.“ Nach jahrelangen Recherchen im tiefen Tann liegt nun der neueste Band mit Kultkomiker Kudernatschs Kolumnen aus dem dunkelgrünen Herzen Deutschlands vor: Heißersehnt wie eine Rostbratwurst mit Bornsenf. Aber Kudernatsch war nicht nur draußen, er war auch viel drin. So erzählt er, wie man Home-Office-Gourmet wird, den Inzi-Dance tanzt und eine Krippe aus Klopapier bastelt. Am Ende findet er die richtigen Worte, um uns alle miteinander zu versöhnen: Er lässt Blumen sprechen.

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Seitenzahl: 190

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DU WIRST NICHT ALT IM THÜRINGER WALD

THÜRINGER KOLUMNEN

ANDRÉ KUDERNATSCH

INHALT

Wer nicht warten will, geht wander

Ein Vorwort von Brenda

Draußen

Das Schluchzen in der Schlucht

Die Fünf: Das sollten Sie sich vor einer Wanderung gut überlegen

Our Huhn, your Adventure!

Steiniges Thüringen

Die Fünf: Das sollten Sie in Ihren Rucksack packen

Dieses Singen im Wald

Die Liste Roth

Die Fünf: Das sollten Sie nie in Ihren Rucksack packen

Plitsch, platsch, SUPer-Natsch

Du wirst nicht alt im Thüringer Wald

Die Fünf: Diese Gefahren müssen Sie kennen

Der Horst im Forst

Rrruedgäbble

Es Sühler Rrruedgäbble

Da geht’s lang!

Die Fünf: Diesen Tieren können Sie in Thüringen begegnen

Das Schnäppchen-Silvester

Winterwanderland

Ich wand’re gar nicht gerne

(Lied des Patenkindes)

Die Fünf: Diese Wanderfilme dürfen Sie nicht verpassen

Drinnen

Der Inzi Dance (Tanz der Grenzwerte)

Furzberammlung im Hof

TG Two Tohuwabohu

Die Fünf: Befolgen Sie diese Ratschläge gegen den Lockdown-Blues

Birds don’t come easy

Fünfzehn Kilometer

Der Homeoffice-Gourmet

Bastler, Schussel und Rebellen

In der Quarantäne

Der Sandmann muss weg

Schwiemu Schocker TV

Das Meer

Brenda hasst die Ostsee

Summer Sex Sounds

Marder-Alarm

Wo ist der Ständer?

Alles schmuck!

Krippen King Klopapier

Zwei Tage vor Weihnachten 2020

Dabei

Mein offizielles Bundesgartenschaugedicht

Erfurt hat ERFURT

Blümchenlyrik: Schicksale

Der BUGA-Ticker

Blumen im Dienst

Blümchenlyrik: Nachts im Garten

… und Danke!

Sowas von!

Mein Vater hat einen schweren Arbeitstag

Für die lieben Eltern

Das Pandemistische Sommerwohnzimmer

Beim nächsten Mal kann sich Marc-Uwe Kling in den Arsch kneifen lassen

Disko in der U-Bahn

Schwatznatsch und Schwabbernatsch

Dankeschön

Anmerkungen

Bücher von André Kudernatsch

„Wandern soll’n die ander’n.

Wir sind viel-viel lieber breit.

Das ist uns’re Urlaubszeit.“

Anger 77 „Wandern“ (Andreas Siegmund)

„Häuser Pfui! – Bäume Hui!“

The Fuck Hornisschen Orchestra „W-A-L-D“

„Hier spricht der Sprecher der Forstamtsinsassen:

Wir bitten die Tiere, den Wald zu verlassen.“

Lars Ruppel „Holger, die Waldfee“

eBook EPUB: ISBN 978-3-96285-165-1

Print: ISBN 978-3-939611-89-9

Originalausgabe

2. Auflage 2022

Copyright © 2021 by Salier Verlag, Leipzig und Hildburghausen

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Christine Friedrich-Leye, Leipzig

Herstellung: Salier Verlag, Bosestr. 5, 04109 Leipzig

Printed in the E.U.

Alle Fotos wurden einer privaten Schatulle entnommen. Bis auf das Bild auf der hinteren Umschlagseite, welches von Dagmar Wissendorf-Schuchort stammt. Das Pandemistische Gartentheater auf der Seite 132 hat Florian Kelb fotografiert. Die MGN-Metromap auf Seite 180 ist ein Werk von Fedor van Rossem.

WER NICHT WARTEN WILL, GEHT WANDER

EIN VORWORT VON BRENDA

1 Als Teenager war ich mir sehr sicher: „Wandern ist nur etwas für alte Leute!“ Damals kannte ich die Väter meiner Freundinnen Birgit und Tina. Regelmäßig scheuchten sie am Wochenende ihre genervten Töchter durch das Fichtelgebirge oder den Frankenwald. Meine Mutter hingegen verabscheute es, zu Fuß zu gehen. Sie gehörte damals wie heute zum „Team Auto“. Ausflüge unternahmen wir folgerichtig flott mit dem Wagen und selten zu Fuß.

Mittlerweile gehöre ich zu den alten Leuten, die gern wandern gehen. In diesem Buch hat Kudernatsch ein paar Geschichten darüber geschrieben. Wer ist schuld daran? Corona natürlich. Was sonst? Wenn im Lockdown nichts mehr geht, nur ein Spaziergang, ist Wandern eine Chance, um der Stadt zu entfliehen und etwas anderes zu erleben. „Mikro-Abenteuer“ nennen die Trendforscherinnen und -forscher das, was Birgit, Tina und ihre Väter in den 80er Jahren schlicht als eine Wanderung kannten.

Mein Mann und ich sind wirklich viel gewandert im letzten Jahr. Ohne die Lockdowns wäre das vorliegende Buch nie entstanden, da bin ich mir sicher. Schon vor Jahren wollte Kudernatsch über den Thüringer Wald schreiben, aber es gab wenig zu erzählen, denn wir sind höchstens einmal im Jahr dorthin gefahren. Stattdessen haben wir lieber Bali, Gomera oder

Menorca bereist, gewandert sind wir dort auch.

Plötzlich waren wir wie gefangen in unserem Bundesland und mussten warten, dass die Zahlen wieder besser werden. Warten ist nicht leicht. Es ist langweilig, nervig und strengt mich an.

Ich kann diese bleierne Wartezeit nur mit viel Humor ertragen, um nicht daran zu verzweifeln. Humor hilft mir immer, dem Kudernatsch auch. Er verwandelte sich in einen „Homeoffice-Gourmet“, manchmal sorgte nur die „Furzberammlung im Hof“ für Unterhaltung, und ich fing während der stundenlangen

Telefonschalten im Homeoffice an, die Vögel im Garten zu studieren. Ohne den letzten Lockdown hätte mein Mann nie so viel freie Zeit gehabt, seine Beobachtungen aufzuschreiben, die Komik und das Absurde im Corona-Alltag zu feiern und seine Gedanken zu ordnen.

Durch die Pandemie verschoben sich unsere Perspektiven, gezwungenermaßen haben wir den Reiz der Region entdeckt. Wer viel drinnen sein muss, der will irgendwann nur noch raus. Darum sind wir wandern gegangen.

Frische Luft, Sonne und Bewegung haben mir tatsächlich gegen den Budenkoller und Corona-Frust geholfen. Im tiefsten Winterwanderland schleppten wir einmal „Patenkind“ mit, das bei minus elf Grad tapfer durchgehalten hat. Im Sommer werde ich es auf ein Board bugsieren, „Suppen“ muss es wenigstens einmal ausprobieren.

Die schönsten Wanderungen haben wir übrigens nicht im Thüringer Wald unternommen, sondern im Thüringer Schiefergebirge, wo das Thüringer Meer mit seinen Talsperren, Teichen und Flüssen lockt. Wir werden einfach nicht alt im Thüringer Wald. So ist es.

Worauf wir uns bei jeder Wanderung am meisten freuen? Auf die Brotzeit natürlich! Daumendick müssen die Wanderschnitten belegt sein, wahlweise mit Hackbraten oder deftiger Wurst.

Als ich bei der letzten Frühlingswanderung beherzt nach einer Schnitte griff, brach mein Mann fast in Tränen aus.

„Das ist mein Brot“, protestierte er.

„Wieso? Ich habe mir doch auch Göttinger gewünscht“, antwortete ich und biss in mein Vollkornbrot. Mit scharfem Senf war es beschmiert, dekoriert mit einem Salatblatt und Gurke und gekrönt mit einer daumendicken Scheibe Göttinger2. Es war saftig, deftig und sogar ein bisschen gesund, genauso wie ich es schätze.

„Für meine Schnitte habe ich die Wurst dicker geschnitten als für deine“, gestand er.

Ich hörte auf zu kauen und wiederholte ungläubig: „Die Wurst auf deiner Schnitte ist also dicker als auf meiner?“

Er nickte und erklärte mir eifrig und ausführlich, warum Männer und Frauen unterschiedliche Wanderbrote bräuchten. Ich war fassungslos, hörte ihm nicht mehr zu, sondern schnappte mir schnell das nächste Brot, natürlich das mit den dicksten Wurstscheiben. Strafe muss sein. Bei Göttinger von meinem Lieblingsmetzger aus meinem Dörfchen hört die Freundschaft auf. Da gilt nur eine Regel: zugreifen, bloß nicht abwarten!

Brenda, August 2021

DRAUSSEN

Es geht hinaus in den Wald. Meine Lieblingswanderrouten verrate ich natürlich nicht. Viel zu viele könnten dorthin aufbrechen. Andere würden solche Empfehlungen aus Prinzip blöd finden, weil doch sie die Experten sind. Ich kann das Geningel deutlich hören: „Mimimimimi! Die besten Strecken hat er nicht erwähnt.“, „Eieiei, stell dir vor, bei uns war er gar nicht!“, „Püh, da latschen alle hin. Der hat keine Ahnung!“ Das wollte ich unbedingt vermeiden. Laufen Sie, wohin Sie wollen! Viel Spaß.

DAS SCHLUCHZEN IN DER SCHLUCHT

Die Drachenschlucht ist eine schicke Felsenritze.

„Nie fahren wir zur Drachenschlucht“, beschwert sich Brenda. Die Drachenschlucht ist eine schicke Felsenritze bei Eisenach. Dr. Helmut Kohl hat sie besucht und ist mit seinem stattlichen Bauch an der schmalsten Stelle stecken geblieben. Die Drachenschlucht ist berühmt. Alle wollen die Stelle sehen, an der der Kohl stecken geblieben ist.

„Was ist denn nun?“, hakt Brenda nach.

„Wir waren doch schon da“, erinnere ich mich.

„Das ist mindestens zehn Jahre her“, erinnert sich Brenda.

„Die Drachenschlucht ist total überlaufen, da wollen alle hin“, sage ich.

„Ich auch“, beharrt Brenda.

„Da ist es voll, da ist kein Parkplatz frei. Und wer da irgendwo wild parkt, wird sofort abgeschleppt. Das habe ich in der Zeitung gelesen“, versuche ich es erneut.

„Soso, du liest Zeitung“, zweifelt Brenda an.

„Na klar. Außerdem habe ich im Fernsehen gesehen, dass man da nicht so einfach durchlaufen darf. Da gilt ein Einbahnstraßen-System. Da musst du von oben nach unten laufen …“, ich zögere, „oder war’s genau umgekehrt? Oh Mann, ich weiß es nicht mehr …“

„Ist doch egal“, begehrt Brenda auf.

„Ist es eben nicht. Man kennt sich überhaupt nicht mehr aus, wie das funktionieren soll.“

„Das wird ja wohl dranstehen!“ Brenda bleibt hartnäckig.

„Das denkst du. Bei Facebook meckern die Leute rum, dass die Beschilderung total schlecht ist.“

„Deshalb willst du da nicht hin?“, fragt Brenda scheinbar harmlos.

„Genau.“

„Aber du warst doch schon dort, du kennst den Weg“, schiebt sie raffiniert nach.

„Ich bin mir nicht sicher“, rechtfertige ich mich, „außerdem soll man bei diesem Wetter nicht in die Drachenschlucht. Das ist gefährlich.“

„Für dich vielleicht“, erwidert Brenda leicht hochnäsig.

„Da sind riesengroße Eiszapfen an den Felsen. Wenn da einer runterkommt … das war’s.“

„Jaja, im April gibt’s noch Eiszapfen!“ Brenda glaubt mir nicht.

„Freilich. Überall da, wo die Sonne nicht hinscheint. Ist eine enge Schlucht“, erkläre ich.

Brenda schmollt. Sie fängt von vorn an: „Nie fahren wir zur Drachenschlucht.“

„Heute jedenfalls nicht mehr. Lass uns schlafen, es ist spät“, beende ich unsere Diskussion und knipse das Licht aus. Wir liegen im Bett, jeder auf seiner Seite. Zwischen uns ist die Ritze … diese Felsenritze!

Wir laufen durch die Drachenschlucht. Es ist viel zu eng. Die Felsen schieben sich zusammen. Brenda wandert beschwingt vorneweg. Ich schnaufe ihr nach. Ich bin nicht so schnell, im Lockdown habe ich mir einen stattlichen Bauch zugelegt. Ich sehe aus wie Helmut Kohl. Die Schlucht wird enger und enger. Brenda ermahnt mich aus der Ferne: „Los, komm doch!“

Ich höre sie nur noch sehr leise, ich sehe sie nicht mehr. Hinter mir knackt etwas. Im Laufen drehe ich mich um und achte nicht auf den Weg. Ich stolpere und verliere den Halt. Rumms, stecke ich zwischen den Felsen fest. Meine Füße baumeln in der Luft. Nichts geht mehr. Brenda ist verschwunden.

Hinter mir murren ein paar Wanderer und sind verärgert, weil ich den Weg versperre. Sie drücken an mir herum und wollen mich durch die Felsspalte schieben, aber das bringt nichts. „Was soll denn das?“, schimpft eine Oma und piekt mich mit ihrem Wanderstock. Es nützt nichts, auch sie muss umkehren. Die Gruppe entfernt sich. Die bockigen Kinder, die dabei sind, bewerfen mich vorher noch mit Steinchen. Dann sind sie fort.

Von der anderen Seite spricht mich ein Mann an, den ich nicht sehe, weil ich mich kurz vor der Havarie umgedreht habe. Seitdem kann ich nur zurückblicken. „Hallo, mein Freund“, grüßt er höflich.

Ich unterbreche ihn. „Ich kann nichts dafür. Das ist dem Helmut Kohl auch passiert“, stammle ich.

„Ach was, lass stecken“, entgegnet der Mann und will nichts von mir hören. Meine Wanderschuhe, die an meinen Füßen in der Luft baumeln, gefallen ihm. Der Mann ergreift die Gelegenheit und zieht mir die Schuhe aus. Er findet „Die müssten passen“ und verschwindet.

„Die waren neu“, brülle ich ihm nach. Ich weiß nicht, ob er das hört, ich brülle es in die falsche Richtung. Danach taucht niemand mehr auf. Langsam wird es dunkel.

Ich bin allein und verzweifelt. Darum schluchze ich in der Schlucht. Ein Wolf heult. Es ist stockduster. Das Heulen nähert sich. Jetzt ist es in der Schlucht. Ich strample panisch mit den Füßen. Es hat keinen Sinn, ich komme nicht frei. Plötzlich ist das Heulen nicht mehr zu hören.

Ich lausche in die Nacht. Etwas steht bei mir. Wieder auf der Seite, auf die ich nicht schauen kann. Ich spüre es. Es hechelt in meiner Nähe. Ich bewege mich nicht, vielleicht bemerkt es mich nicht. Plötzlich springt es mich an, ich zucke panisch.

„Mann, hör auf zu schnarchen“, scheißt mich Brenda zusammen, „ich will in Ruhe schlafen, und der feine Herr schnarcht schrecklich und strampelt herum.“

Ich bin durcheinander. Brenda ist sauer. Das soll sie nicht sein.

„Ich habe schlecht geträumt“, murmle ich halbwach.

„Oh, das wusste ich ja nicht, wovon denn?“, interessiert sich Brenda und ist auf einmal sehr verständnisvoll.

„Naja, vom Strand. Da waren Palmen und das Meer, und die Wellen waren so groß“, lüge ich. Inzwischen bin ich wach genug, um auf keinen Fall die Drachenschlucht zu erwähnen. Wir wollen schlafen und nicht wieder diskutieren. „Und ich musste mit einem Kanu quer durchfahren …“

„Ach, das war nur ein Traum“, tröstet mich Brenda. Sie streichelt mir über den Kopf. Das ist schön. Kurz vor dem Wegnicken frage ich: „Weißt du, wo meine Wanderschuhe sind?“ Brenda schläft. Bevor ich aufstehen und suchen kann, schlafe auch ich.

Nach dem Frühstück klingelt das Telefon. Brenda geht ran, hält den Hörer kurz weg und klärt mich auf: „Karin ist dran“.

„Aha“, sage ich. Brenda strahlt.

„Sie fährt nachher mit Horst zur Drachenschlucht. Und wir können mit. Ist das nicht großartig?“

„Ja, das ist es“, quäle ich mir raus. Weil Brenda so strahlt, gebe ich mich geschlagen.

Ich werde schon durch die Drachenschlucht passen, ich muss nur den Gürtel enger schnallen. Das hat bereits der Helmut Kohl verlangt. Er hat außerdem verkündet: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Da korrigiere ich: „Wer hinten rauskommt!“ Der Kohl war es in der Drachenschlucht jedenfalls nicht. Herausforderung angenommen! Ich werde den Drachen reiten. Oder ich verstecke mich wie Junker Jörg auf der nahen Wartburg.

Vor 500 Jahren kam Luther auf die Wartburg. Die nachgestellte Szene zeigt seine Ankunft.

DIE FÜNF: DAS SOLLTEN SIE SICH VOR EINER WANDERUNG GUT ÜBERLEGEN

Eine Wanderung steht an, und sie soll gelingen. Was wird dafür benötigt?

Erstens: Das Ziel

Das ist am wichtigsten. Ohne Ziel weiß niemand, wohin die Wanderung gehen soll. Gut ist es, sich zu informieren, wie das Ziel zu erreichen ist. Es heißt zwar: Viele Wege führen nach Rom. Rom liegt aber nicht im Thüringer Wald. Wer in Rom ankommt, hat definitiv etwas falsch gemacht. Sehr beliebt sind schlichte Ziele, die zugleich Anfang und Ende sind. Bei Rundwanderungen ist das der Fall. Leicht für Wanderanfänger, da sie sich nur einen Punkt merken müssen und ihn beim Loslaufen schon einmal studieren können. So kennen sie das Ziel bestens.

Zweitens: Der Startpunkt

Irgendwo muss man beginnen. Dabei ist entscheidend, wie weit entfernt sich der Startpunkt vom Ziel befindet. Groß ist die Enttäuschung bei Wanderfreundinnen und -freunden, die sich auf eine Tagestour eingestellt haben und bereits nach einer Viertelstunde ins Ziel einlaufen. Unglücklich werden sie am vorschnell gefundenen Aussichtspunkt verharren und nicht wissen, wie sie den Tag noch sinnvoll nutzen. Möglicherweise geben sie sich dem Alkohol hin.

Ist das Ziel zu weit vom Startpunkt weg, sorgt das ebenfalls für Frust. Wer mittags in Ruhla startet, wird nicht nachmittags im Oberhofer „Cortina“ Espresso schlürfen. Deshalb ist folgender Satz wichtig: Nicht nur Ziele müssen realistisch sein, auch Startpunkte.

Drittens: Die Anreise

Stehen Ziel und Starpunkt in einem Verhältnis, das den Beteiligten glaubhaft erscheint, ist es ratsam, die Anreise zu prüfen. Bevor die Wanderung beginnt, wird zunächst der Startpunkt zum Ziel. Wie gelange ich dorthin? Mit dem Rad, dem Bus, der Bahn, dem Auto?

Sinnlos ist das Fahrrad: Da kann die Besitzerin oder der Besitzer gleich eine Radwanderung unternehmen. Ich würde außerdem niemandem raten, sein Fahrrad irgendwo in der Pampa abzustellen, wo man es höchstens an einem Buschwindröschen anketten kann, nur um loszuwandern und nach vier Stunden bei der Rückkehr zu merken, dass es geklaut wurde.

Bleiben Bus und Bahn – doch taugen die für die Anreise? Erstens fahren sie, wann sie wollen, zweitens, wohin sie wollen, und drittens sind sie nicht geneigt, am auserwählten Startpunkt anzuhalten. Im Gegenteil: Bahnhof oder Haltestelle liegen weit davon entfernt, so dass der Startpunkt zunächst selbst ein Ziel wird und das ersehnte Ziel ein Fernziel bleibt. So bringt das nichts.

Daher empfehle ich das Auto. Am besten bastelt man sich eine eigene FORST-Plakette für die Windschutzscheibe (irgendwas Grünes mit einem weißen Geweih und weißer Schrift). Damit kann man in jedem Graben, auf jedem Waldweg, an jedem Schlagbaum parken und wird weder kritisiert noch bestraft oder gar abgeschleppt. Vielmehr murmelt jeder, der das Fahrzeug passiert, schwer beeindruckt: „Oh, ein hohes Tier!“ Denn mit einem Erfurter Kennzeichen könnte der wild abgestellte Wagen einem von „da oben“ aus der Forstdirektion gehören.

Viertens: Die richtige Kleidung

Überlegen Sie sich, was Sie anziehen, bevor die Anreise beginnt. Wer das nicht schafft und bis zuletzt schwankt, auch nicht schlimm! Packen Sie einen Koffer in den Kofferraum, der neben leichter Wanderkleidung auch warme Wintersachen enthält! Bei einem SUV kann es sogar ein Schrankkoffer sein. Vor Ort könnte es überraschend kalt sein.

Ehepaare sollten sich unbedingt farblich aufeinander abstimmen, dass sogleich ihre Zugehörigkeit ersichtlich wird. Sehr beliebt sind hellgrüne oder orangefarbene Steppjacken oder Steppwesten, dazu Schals und Tücher in Kontrastfarben und praktische Hosen in möglichst weiteren Kontrastfarben. Die Schuhe dürfen den nächsten Akzent setzen. Warum nicht in einem strahlenden Pink? So geraten grelle Neontöne in den Thüringer Wald. Tiere, die sie sehen müssen, werden umgehend erblinden. Die Wandersleute selbst erblinden nicht. Sie tragen fette Sonnenbrillen aus dem fetten Handschuhfach des fetten SUV.

Um die Augen der Tiere zu schützen, die über keine Sonnenbrillen verfügen, sind Nordic-Walking-Stöcke von Vorteil. Sie klappern laut, und der Vordermann schreit regelmäßig, wenn er in die Hacke gestochen wird. Damit sind die Tiere des Waldes vorgewarnt – „Das Stöckchengeschwader naht!“ – und können sich rechtzeitig in Sicherheit bringen oder wenigstens wegschauen. Doch darf man Nordic Walking im Süden betreiben?

Fünftens: Der Rucksack

Was da unbedingt hineingehört, steht auf Seite 28.

OUR HUHN, YOUR ADVENTURE!

Ich bin besessen vom Auerhuhn, seitdem ich keins gesehen habe. Das war so nie geplant, aber nun möchte ich etwas tun fürs Huhn. Wer hätte das gedacht?

Es begann mit einer harmlosen Wanderung, die ein Revierförster persönlich in einer Wochenpostille empfohlen hatte: von Königsee aus quer durch seinen Auerwildgrund hinüber nach Paulinzella. Ich informierte mich, wie man sich den Auerhühnern gegenüber verhält. Immerhin sind es die größten Hühnervögel, die wir in Europa haben. Ein Auerhahn ist so groß wie ein Wildschweineber und nicht weniger rabiat. „Läuft der Auerhahn auf Sie zu, weichen Sie zurück. Stören Sie das Tier nicht“, war da zu lesen. Ich war auf Anhieb hellauf begeistert, hatte ich doch bei einer Bekannten ein selbstgemachtes Handy-Video betrachtet, was ihr die Bekannte eines Bekannten geschickt hatte, in welchem der Bekannte dieser Bekannten, den meine Bekannte wiederum nicht kannte, aber die Bekannte schon, einem Auerhahn begegnet war (den niemand kannte). Dummerweise passierte diese Begegnung im Winter in der Loipe, die der Auerhahn gegen diesen Ski-Fahrer verteidigte, der sich prompt auf den Hintern setzte und damit wedelnd einen wenig eleganten Rückzug antrat. Das brachte dem Auerhahn zum Kollern und den Ski-Fahrer auf Höchsttempo. Ein toller Film! Das wollte ich auch … also einem Auerhahn oder seine Frau, dem Auerhuhn, begegnen. Im Sturm überzeugte ich Brenda. Ihre Antwort lautete: „Na gut, wenn du meinst.“

Kaum hielten wir auf dem Parkplatz am Waldseebad in Königsee, wurde Brenda vom Jagdfieber gepackt.

„Ich habe einen Vogel wegfliegen sehen“, behauptete sie und zeigte auf den Zaun vor uns. „Er war braun und blau.“

„Dann war es kein Auerhuhn und kein Auerhahn“, wusste ich und war beruhigt. Die erste Sichtung sollte meine sein. Dass gar keine folgen sollte, stand übrigens im ersten Satz.

Grünblau schimmerte ein Waldsee zwischen den Bäumen. In anderen Zeiten wären wir direkt hineingesprungen, allerdings nicht bei 15 Grad im Frühling. Außerdem war ein Zaun ums Bad gezogen, der sich später noch als sehr nützlich erweisen sollte.

Vielversprechend hieß unser erster Zwischenstopp nach einem Kilometer „Vogelherd“. Das klang nach Hotspot und deutete auf eine Menge Vögel im Wald hin. Gleich an der nächsten Schutzhütte, an der Moosleite, wurde erneut eindringlich vor dem Auerhahn gewarnt. „Rückwärtsgang, wenn einer aufkreuzt“, fasste ich für Brenda, die mit den Augen rollte, zusammen.

Und dann wurde es extrem langweilig, obwohl die Strecke einen anheimelnden Namen trug: „Klosterweg“. Kein Huhn, kein Hahn, kein Kloster wertete die Wanderung auf. Da war nur eine breite Forststraße an Kiefern entlang, die Brenda „Salzstangenbäume“ nennt, weil sie wie monströse Salzstangen aussehen. Schon Luther musste sich hier gelangweilt haben, sein geschwungenes „L“ bappte auf Täfelchen an den Bäumen.

„Luther ist echt überall in Thüringen langgelaufen“, kommentierte ich das. Brenda lief missmutig neben mir her.

„Ja, und wenn nicht Luther, dann Goethe“, antwortete sie.

„Da muss man sich entscheiden, Luther oder Goethe. Das ist wie bei den Beatles oder Rolling Stones …“

„Ich bin Team Goethe“, legte Brenda für sich fest.

Ich zögerte.

„Was überlegst du? Ich dachte, du bist auch Team Goethe“, wunderte sich Brenda.

„Naja, ich habe da Gewissenskonflikte“, antwortete ich ehrlich. „Immerhin bin ich in einer Lutherstadt geboren. Ich muss darüber nachdenken.“

„Guck mal, hier wird es schön“, riss mich Brenda aus meinen Gedanken. Wir standen an einem Teich, und an dem Teich lag der perfekte Rastplatz. Zwei Bänke, ein Tisch, ein Dach darüber – verholzt und zusammengenagelt von den Lehrlingen des Forstamtes. So hatte es jemand voller Liebe in eine Latte gelötet.

Wir saßen am Wasser, es plätscherte lieblich. Brenda war wieder mit der Wanderung versöhnt, ich grübelte. Nicht mehr über Luther und Goethe, sondern über wichtigere Dinge. Hier am Seilersgrund hatten wir das Auerwildgebiet bereits verlassen. Was war falsch gelaufen? Warum hatten sich Auerhahn und Auerhuhn nicht gezeigt? Hätte ich Hühnerfutter auf den Weg streuen müssen? Wäre ein nachgeahmtes Gackern hilfreich gewesen?

An den Klosterteichen vorbei erreichten wir Paulinzella, schlüpften unter einer Eisenbahnbrücke hindurch, überquerten eine Straße und rasteten endlich an der Klosterruine. Was haben wir für lustige Erinnerungen an sie! Wir hatten hier ein drolliges Erntedankfest erlebt – mit ausgestopften Tieren und selbstgebackenem Kuchen. Ein Moderator hatte sämtliche Namen der Mitwirkenden verwechselt, und eine Wespe hatte einen kleinen Jungen, der Trompete spielen wollte, von der Bühne gejagt. Ich lächelte vor mich hin. Brenda roch an der Thermoskanne, ob ich etwas in den Tee geschüttet hatte.

Auf dem Rückweg unterlief mir ein grober Fehler. Wie bei jeder Wanderung standen wir plötzlich an einer Kreuzung ohne Wegweiser. Immerhin lag an dieser Kreuzung ein Sägewerk, in dem gerade Pause war. Ich klopfte an und trat ein. Die (wirklich!) drei Männer vom Sägewerk schauten mich erwartungsvoll an. Da passierte es.

Ich fing an: „Guten Tag, entschuldigen Sie die Störung. Wo geht es denn nach Hobra?“

Die drei Männer vom Sägewerk schwiegen. Wahrscheinlich hatte ich zu schnell gesprochen.

Ich wiederholte mein Anliegen deutlich langsamer: „Nach Hobra möchte ich.“

Die drei Männer vom Sägewerk gaben keinen Mucks von sich.

Ich probierte es erneut und wählte klare Worte: „Berg hoch oder geradeaus?“

Die drei Männer vom Sägewerk sprachen nicht. Vielleicht waren sie kaputt. Ich schaute ratlos von einem zum anderen.

Da hatte der letzte eine Eingebung, und aus seinem Bart tönte es: „Horba?“

„Ja, Horba, genau“, bestätigte ich eifrig.

„Geradeaus.“

„Danke.“ Ich verzog mich rasch, denn das sollte man nie tun: vor Einheimischen die Ortsnamen verhunzen. Bei mir war aus Horba Hobra geworden.

Brenda und ich liefen schnell weiter. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie die drei Männer vom Sägewerk vor ihrer Baracke standen, uns beobachteten und die Köpfe schüttelten.

Der Revierförster hatte den Rückweg auf dem „Schlangenweg“ empfohlen. Tatsächlich lag eine Schlange auf der Fahrspur. Sie war tot. Jemand hatte ihr den Kopf abgebissen. Der Rest hatte scheinbar nicht geschmeckt. Brenda verzog das Gesicht.

Somit hatte der Schlangenweg seinem Namen alle Ehre gemacht. Der Auerwildgrund schaffte das nicht. Darauf hatte ich schon zu Beginn hingewiesen. Kein Krähen, kein Gackern, keine Hühnerkacke. Brenda dichtete: „Kein Auerhuhn, kein Auerhahn, die wir heut’ im Walde sah’n.“