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Dunkle Wolken sind meist die Vorboten eines Unwetters. Lisa Moroder kennt das aus ihrer Vergangenheit. Nun gerät ihr Leben erneut in einen Sturm. Alles droht zu zerbrechen. Nichtsdestotrotz stellt sich die junge Winzerin mit ungebrochener Lebensfreude hart in den Wind. Ist sie stark genug, um einem mysteriösen Familiengeheimnis auf den Grund zu gehen? Wird sie die Hindernisse überwinden, die einem Leben mit ihrer großen Liebe im Weg stehen? Auch der Edelbrenner David Silgoner hadert. Nach jahrelanger, intensiver Aufbauarbeit ist die Hofbrennerei St. Nikolaus erfolgreich. Plötzlich steht er vor der Frage, ob dieser Lebenstraum sein wahres Glück blockiert. Muss er ihn loslassen? „Der Autorin ist ein weiterer außergewöhnlicher Roman gelungen. Von der ersten bis zur letzten Seite begeistert er mit ihrem unverkennbaren Schreibstil. Prickelnde Spannung reißt mit, die märchenhafte Kulisse verzaubert, hochprozentige Genussmomente begleiten gefühlsstarke Begegnungen.“ Nina Gräub
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Veröffentlichungsjahr: 2022
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Dunkle Wolken über Südtirol
Conducit
Roman
Sandra Pfändler
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2022 – Herzsprung-Verlag GbR
Mühlstr. 10, 88085 Langenargen
Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2022.
Lektorat/Herstellung: CAT creativ – www.cat-creativ.at
Covergestaltung: Papierfresserchens MTM-Verlag
Coverbild: © vulcanus – Adobe Stock lizenziert
ISBN: 978-3-96074-571-6 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-572-3 - E-Book
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Impressum
Inhalt
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Die Autorin
Unser Buchtipp
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Für alle, die hochprozentige Genussmomente lieben!
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Herbst.
Zeit der farbenprächtigen Vielfalt, der Hochgenüsse und betörenden Düfte.
Die Hitze des Sommers wurde von angenehm warmen Temperaturen abgelöst. Das Weinlaub, die Bäume in den Obstanlagen und Wäldern verfärbten sich allmählich in leuchtendes Gold, feuriges Orange und dunkles, leicht ins Bläuliche spielendes Rot. Die Trauben waren reif und warteten darauf, geerntet und in Wein verwandelt zu werden. Die Bäume mit ihren rubinroten, saftig grünen, goldgelben, blutroten Äpfeln ächzten und stöhnten unter ihrer Last. Sie freuten sich, wenn ihre verführerisch süßen und aufregend säuerlichen Früchte von den Bauern eingesammelt wurden und als Tafelobst, Most oder Schnaps für großen Genuss sorgten. Die uralten, überragend hohen Kastanienbäume mit ihren nun leuchtend gelben Blättern ließen ihre ledrigen Igel fallen, in denen sich die kostbaren braunen, rötlich schimmernden Kugeln verbargen. Über dem See bildeten sich Dunstschwaden, hinter denen sich zauberhafte Welten versteckt hielten, die es zu entdecken galt. Der Himmel verwandelte sich langsam in blasses Blaugrau und die Sonne verbarg sich hinter weißen, zuckerwatteartigen oder dunklen Wolken. Hin und wieder lugte sie frech hinter der Ruine hervor, die stolz auf einer Erhebung im Süden des Mitterbergs wachte, oder versteckte sich im Schutz des Mendelkamms.
Sobald nahezu alle Trauben geerntet waren, begann die fünfte Jahreszeit, auch das Fest der Sinne genannt, Stunden des geselligen Beisammenseins und der Geschmacksexplosionen – das Törggelen. Ganz Südtirol und seine Touristen pilgerten in die urigen Buschenschänken, Weinkeller und Gasthäuser, die Wirte servierten Gerstensuppe, hausgemachte Knödel und Schlutzkrapfen, saftigen Speck, würzigen Käse und frisches Bauernbrot, üppige Schlachtplatten mit Rippelen, Surfleisch, G’selchtes und Hauswürste mit Sauerkraut, dazu Traubenmost und jungen Wein. Wer sich dann noch über einen knurrenden Magen beklagte oder vom Schmausen nicht genug bekommen konnte, verwöhnte sich mit Maronen, die über dem offenen Feuer geröstet wurden, und süßen Krapfen.
Der Duft sonnengereifter Früchte, taunasser Wiesen, feuchter Erde und vom Regen reingewaschener Luft lag über dem Land. Der Wind trug die süßlich-nussige Note der Keschtn durch Dörfer, Höfe und Gassen der Städte. Der Schweißgeruch emsiger Frauen und Männer und die Abgase der Traktoren zeugten von harter Arbeit, vergorene Trauben kündigten edle, frische, kräftige und charakterstarke Rot- und Weißweine an.
Herbst.
Eine lebendige, arbeitsreiche, angestrengte, aber auch eine feudale und gemütliche, heitere und familiäre Zeit. Inseln der entspannten Ruhe waren schwer zu finden, dennoch warteten in jedem Winkel des Alltags viele Momente des sinnlichen Eintauchens in pure Lebens- und Gaumenfreude, freilich nur auf diejenigen, die bereit waren, sie zu entdecken und zu zelebrieren.
Für Lisa Moroder war heute ein solcher Moment. Die besondere Nische, die es zu erobern galt, nannte sich Sonntag. Nach sechs Tagen harter Arbeit auf ihrem Weingut hatte sie die Nacht auf St. Nikolaus verbracht, der Hofbrennerei ihres Verlobten David Silgoner. Ein kleines Paradies auf einem normalerweise sonnenverwöhnten Plateau, eingebettet in üppige Rebenlandschaft und zauberhafte Obstkulturen.
David war der Mann ihrer Träume. Die zweisamen, unbeschwerten Stunden mit ihm, die gemeinsame Arbeit, von der sie beide nicht lassen konnten, und die ausgedehnten Genussmomente gaben ihr Halt und ließen sie gleichzeitig durch die Zeit schweben. Wann immer ihre Pflichten als Winzerin es zuließen, kam sie hierher und tankte auf.
Der Tag war noch jung. David lag ein Stockwerk höher in seinem Bett und schnarchte. Das nahm sie jedenfalls an, denn seit sie ihn kannte, holzte er ganze Regenwälder ab, sobald er sich hinlegte. Ein Grund mehr, weshalb sie schon auf war. Geweckt wurde sie allerdings von den Hummeln in ihrem Hintern.
Verschlafen saß sie in Davids schnuckeliger, aber durchdacht ausgebauten, hellen Wohnküche auf einem der beiden Stühle im Landhausstil aus naturbelassener Fichte. Obwohl die Möbel gebraucht waren, er hatte sie verschiedenen Privatpersonen abgekauft, passten sie perfekt zu dem kleinen Esstisch mit der geräumigen Schublade unter der massiven Platte. Auch die Vollholztruhenbank, deren Rückwand kassettiert und geradlinig war und deren Armlehnen geschweift und mit Rundstabeinsätzen versehen waren, stand dort genau richtig. Besonders toll fand Lisa den Stauraum unter der Sitzfläche, der innen in drei Abteile gefächert war und für alles Erdenkliche Platz bot. David bewahrte darin Fachzeitschriften, Küchentücher, Servietten und seine Knopfsammlung auf.
Welcher Mann benutzte freiwillig Servietten? Sie musste schmunzeln. Er war etwas ganz Besonderes, ihr David. Nicht nur, weil er so einen guten Geschmack bei der Einrichtung seiner Küche bewies. Nein. Er sammelte Knöpfe! Als er sie ihr zum ersten Mal gezeigt hatte, konnte sie kaum glauben, was sie da sah. In einer einfachen Box aus Sperrholz mit Klappdeckel lagen weiße, schwarze, silberne, goldene und bunte Knöpfe. Solche aus Metall, Kunststoff oder mit Stoff überzogene, große, kleine, runde, quadratische, dreieckige, manche in Form einer Blume, eines Apfels oder eines Kleeblattes und – das war der genialste aller Knöpfe – ein Burger mit Fleisch, Käse, Salat, Tomaten und Ketchup. Einige von ihnen glänzten, andere waren matt, hatten eine glatte oder raue Oberfläche, waren marmoriert, mehrfarbig oder uni. Lisa hatte schon von Menschen gehört, die Knöpfe sammelten, und sie hätte sich nicht gewundert, wenn ihre Mutter oder ihre beste und einzige Freundin Verena zu ihnen gehörten. Doch so war es nicht. Nein. Stattdessen zählte ihr David dazu, ein großer, stattlicher Mann, ein Macho, wie er im Buche stand.
Er hatte ihr anvertraut, wie er zu dieser Leidenschaft fand. Sie hatte ihren Ursprung beim Spielen im Kindergarten. Damals riss er sich einen der Knöpfe an seinem Hemd ab. Er hätte ihn mit nach Hause nehmen und seiner Mutter geben können, damit sie ihn wieder annähte, dann wäre alles nicht so schlimm gewesen, doch der Knopf war wie vom Erdboden verschluckt. Die Leiterin und alle Kinder hatten danach gesucht, als ginge es um Leben und Tod. Ohne Erfolg.
Lisa wusste, dass David in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen war. Seinen Vater kannte er nicht, die Mutter hatte ihn allein großgezogen und für ihn gesorgt. Deswegen packten ihn damals die Scham und die Angst, mit dem kaputten Hemd und ohne den Knopf nach Hause zu kommen. Die Leiterin hatte solches Mitleid mit ihm, dass sie flugs ein altes Bonbonglas voller Knöpfe aus einem Schrank holte und einen passenden für ihn heraussuchte, den sie ihm schenkte. Seit dieser Begebenheit steckte David jeden Knopf ein, der ihm begegnete und der nicht mehr gebraucht wurde, und gab ihn in die Holzbox. Die Geschichte hatte sie zu Tränen gerührt, tat es heute noch. Und inzwischen ertappte sie sich dabei, wie sie selbst Ausschau nach den kleinen, unscheinbaren Schätzen hielt und sie ihm voller Stolz nach Hause brachte.
Verträumt nippte Lisa an dem Kaffee, den sie sich aus der Maschine gelassen hatte, hievte die Beine hoch und legte sie überkreuzt auf den Tisch. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster, glitt entlang der Fassade des auf der linken Seite liegenden Gebäudes, das als Lager diente, strich weiter über den Kiesplatz, der dazwischen lag, und spazierte den breiten Naturweg entlang bis zu dem Rundbogen, der die Einfahrt zu Davids Hofbrennerei bildete. Links und rechts zog sich eine Mauer um das Grundstück, die, wie der Bogen selbst, zum Schutz vor Wasser und Frost mit mediterranen Klosterziegeln abgedeckt war. Von ihrem Platz aus konnte sie das zwar nicht erkennen, doch sie wusste, dass das Mauerwerk bröckelte und die Ziegel über und über mit Moos bewachsen waren. Ein Hauch von Wildromantik.
Das Anwesen mit dem Wohnhaus, der Brennerei und den dazugehörigen Gebäuden war alt, um nicht zu sagen steinalt. David hatte seine gesamten Ersparnisse in den Ausbau von St. Nikolaus investiert und sehr viel in die Gestaltung seines Wohnbereiches gesteckt, ihm fehlten das Geld und natürlich auch die Zeit, das eine und andere etwas aufzuhübschen. Es musste warten.
Für gewöhnlich tat sich hinter dem Torbogen ein zauberhafter Blick über die ausgedehnten Apfelwiesen und Rebberge auf, die sich bis zum Tal erstreckten, doch heute Morgen war die Umgebung in einen mystischen Schleier gehüllt.
Lisa stellte das Haferl auf den Tisch und rieb sich die Augen. Die Hummeln hatten sich verabschiedet und gähnender Müdigkeit Platz gemacht. Schwerfällig nahm sie die Füße vom Tisch, rappelte sich hoch, langte nach der Tasse und schleppte sich, um die Kochinsel herum, zu der Küchenzeile, die sich unter dem einzigen, großzügigen Fenster über die ganze Raumbreite erstreckte. Die schlichten weißen Schränke mit dem Holzstreifen auf Höhe der metallenen Stangengriffe, die Arbeitsplatte aus demselben Holz und die weiße Keramikspüle ließen den winzigen Raum groß und gemütlich erscheinen.
Auf der linken Seite, neben einem raumhohen Schrank, stand die Kaffeemaschine. Sie stellte das Haferl unter den Auslauf und drückte zweimal die Espressotaste. Sie hoffte, die doppelte Dosis könnte ihr helfen, endlich richtig wach zu werden. Das Mahlwerk begann zu rattern. Unter Ächzen und Stöhnen gebar sie mit viel Dampf und Spucken, wonach Lisa sich sehnte.
„Die müsste mal wieder entkalkt werden“, murmelte sie vor sich hin, nahm die Tasse, blieb stehen und starrte aus dem Fenster, wo schüchterne Sonnenstrahlen begannen, den Nebel in milchiges Gold zu tauchen. „Ob sie sich heute durchsetzen wird?“, fragte Lisa sich. Sekunden später riss sie ein leises Schnurren aus den Gedanken.
Unsanft stellte sie das Haferl auf die Arbeitsfläche, sodass der Kaffee überschwappte, drehte sich um und hastete an der Kochinsel vorbei zu dem Tisch, auf dem ihr Smartphone lag. Zu spät. Bevor sie den Anruf entgegennehmen konnte, verstummte das Telefon und verhöhnte sie mit lautem Schweigen. Mit einem Seufzer setzte sich Lisa wieder hin und tippte das Display an, um zu sehen, wer sie so früh am Sonntagmorgen suchte. Es war Oskar. Das verhieß nichts Gutes. Sie raufte sich die Haare.
Auf der alten Holztreppe im Flur hörte sie Schritte. David war aufgestanden und auf dem Weg nach unten. Normalerweise wäre sie jetzt zu ihm hingerannt, ihm um den Hals gefallen und hätte ihm einen wunderschönen guten Morgen gewünscht. Aber sie durfte Oskar nicht warten lassen. Wenn er sich zu einer so unmöglichen Zeit meldete, war es dringend. Also entsperrte sie das Handy und wählte die Nummer ihres Kellermeisters.
„Heute?“, rief sie aus, nachdem sie aufmerksam zugehört hatte. „Es ist Sonntag! Wir wollten doch morgen damit beginnen.“ Enttäuscht sackte sie in sich zusammen.
David war inzwischen in die Küche gekommen, zog sie hoch in seine Arme. Lisa wehrte sich nicht. Ungeachtet dessen, dass sie immer noch telefonierte, schmiegte sie sich an ihn, spürte die Wärme seines Körpers und sog den Geruch der vergangenen Nacht in sich auf.
„Jo, i kemm!“, meinte sie genervt, beendete das Gespräch und schlang ihre Arme um David.
„Was ist?“, wollte er schlaftrunken wissen.
„Ich muss los.“
„Jetzt? Es ist Sonntag.“
„Wir müssen in die Weingärten, die Trauben in Sicherheit bringen. Anscheinend schlägt das Wetter um.“
„Dann war das Oskar?“
Lisa nickte.
„Meine fleißige Weinkönigin. Ich bin stolz auf dich“, flüsterte er zärtlich in ihr Haar.
Gequält lachte sie auf. Sie wusste, dass er sie aufheitern und ermutigen wollte, doch heute trafen seine Versuche ins Leere. „Scheißwetter“, fauchte sie.
„Ach komm. Ich weiß doch, wie sehr du deine Arbeit liebst. Was würdest du denn ohne deine Reben, die Früchte deiner Arbeit und den sensationell feinen Wein machen?“
Lisa zuckte mit den Schultern. „Hier bei dir sein. Ich bin sicher, uns kämen ein paar schöne Ideen.“
David löste sich aus der Umarmung, nahm ihr Gesicht in beide Hände und schaute ihr tief in die Augen. „Die Wimmet dauert ja nicht ewig. Ein paar Tage, dann haben wir wieder Zeit füreinander.“
Traurig nickte sie. Dann drückte sie ihr Gesicht gegen seine Brust und atmete tief durch.
„Soll ich heute Abend vorbeikommen?“, fragte er.
Lisa hob den Kopf. „Ich rufe dich an.“
„Okay. Aber nicht vergessen“, ermahnte er sie liebevoll und zwinkerte spitzbübisch.
Ihre Mundwinkel zuckten.
David beugte sich zu ihr hinab und küsste sie mit derselben Leidenschaft, die sie die halbe Nacht hindurch begleitet hatte.
Endlich löste sie sich von ihm. Sie wandte sich ab, stürmte nach oben, zog sich an und verließ wie ein Wirbelwind und ohne ein weiteres Wort das Haus. Rannte zu ihrem schwarzen Cinquecento mit dem roten Verdeck, der unter dem Vordach des Lagers stand, und öffnete die Tür. Bevor sie einstieg, drehte sie sich noch einmal um, um David, der am Küchenfenster stand, zuzuwinken. Dann brauste sie davon.
*
Mit beiden Händen fuhr sich David über das Gesicht, müde seufzte er auf. Mit den Armen stützte er sich auf die Küchenanrichte und schüttelte den Kopf.
„Das gibt wieder eine lange Woche“, stöhnte er. Sehnsüchtig spähte er durch das Fenster, ob Lisa es sich vielleicht anders überlegt hatte, sich Oskar, dem Wetterumschwung und ihren Reben widersetzte und zurückkam. Aber das tat sie selbstverständlich nicht.
Fast apathisch nahm er eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter den Auslauf der Kaffeemaschine. Dreimal drückte er die Espressotaste, dann wartete er, während er nachdenklich dem Geächze zuhörte. „Ich muss die mal wieder entkalken“, brummte er, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder. Solange sie ordentlichen Kaffee ausspuckte, wollte er sich diesen Aufwand sparen.
Er hatte sich sehr auf diesen Sonntag mit Lisa gefreut. Im Bett herumlümmeln, spazieren gehen, gemeinsam kochen, Destillate durchprobieren, diskutieren, lesen, kuscheln. Vielleicht hätte sie sich sogar um seinen Vollautomaten gekümmert und ihn von den Ablagerungen befreit, die ihm die Arbeit schwer machten. Er hätte Lisa tiefer in die Kunst des Brennens einführen können, obwohl die Herstellung von Edelbränden im Grunde keine Kunst war. Trotzdem, seine Verlobte hatte genauso wenig Ahnung von seinen Schnäpsen wie er von ihren Rebensäften. Sie hätten sich einmal mehr gegenseitig in ihre Welten entführen und gemeinsame Genussmomente zelebrieren können.
Hätte, hätte, hätte … In Momenten wie diesen verfluchte er den Wein und alles, was mit ihm zusammenhing.
Im Stehen kippte er sich den dreifachen Espresso in den Rachen, verzog das Gesicht, weil er etwas zu stark geraten und bitter war. Beinahe mechanisch kippte er den Inhalt der Tasse, die auf der Arbeitsfläche stand, in die Spüle, anschließend ging er nach oben. Wenigstens eine ausgiebige Dusche wollte er sich gönnen, auch wenn er sich allein unter die Brause stellen musste. War der verpatzte Tag erst mal weggespült, lebte es sich bestimmt beschwingter.
Hastig streifte er sich die bunt karierten Shorts ab, kickte sie mit dem Fuß durch das Badezimmer, stieg über den Rand der frei stehenden Nostalgiewanne und zog den Duschvorhang zu. Der fotobedruckte Sichtschutz bot einen atemberaubenden Blick in einen Laubwald, der von saftigem Grün dominiert wurde. Der bodenlange Stoff bildete einen fantastischen Kontrast zu den rustikalen Dielen aus kerngeräucherter Eiche und verbarg die Wanne komplett.
Über die antike Messingarmatur mischte David vorsichtig das Wasser, bis es die richtige Temperatur hatte, dann erst schaltete er von der Handbrause auf den Regenkopf um. Mit geschlossenen Augen ließ er das angenehm heiße Wasser über seinen Körper perlen. Genüsslich stellte er sich vor, wie die kleinen, feingliedrigen Hände seiner Liebsten ihn einseiften, bis er völlig frustriert begriff, dass das leise Summen nicht ihr lustvolles Stöhnen war, sondern sein Handy, das seit gestern Abend immer noch auf der weißen Kommode lag, in der er die Handtücher aufbewahrte.
Schnell drehte David das Wasser ab, sprang aus der Wanne, langte nach einem Tuch, band es sich schwungvoll um die Hüften und wetzte dem Störenfried entgegen. Seine nassen Füße hinterließen verräterische Abdrücke auf dem dunklen Parkett.
Er war zu langsam. „Leck mich!“, fluchte er und warf das Handy auf die Kommode. „Was für ein Scheißtag!“ Er trat vor das Waschbecken, betrachtete sich skeptisch im Spiegel und fuhr mit dem Handrücken über die Stoppeln an seinem Kiefer. Entschlossen griff er zu Schale und Pinsel aus Ebenholz und schäumte mit warmem Wasser eine haselnussgroße Portion Rasiercreme zu einem fluffigen Schaum auf, den er auf das Gesicht auftrug. Gerade wollte er das Messer zur Hand nehmen, da meldete sich das Smartphone noch mal.
„Nicht jetzt!“, brüllte er, setzte an und begann, seinen Dreitagebart zu entfernen. Das Summen im Hintergrund blieb stur. David wischte das Messer an dem Handtuch ab, das über seiner Schulter lag, legte es zur Seite und hastete zur Kommode. Wieder zu spät. „Mach das nicht noch mal!“, drohte er mit ausgestrecktem Mittelfinger und ging zurück, um die Rasur fortzusetzen.
Mittlerweile war die rechte Gesichtshälfte sauber, da klingelte das Telefon erneut. Ohne zu zögern, warf er das Tuch auf den Unterschrank, das Messer hinterher und hechtete los, um den Anruf entgegenzunehmen. „Was ist?“, meldete er sich schroff.
„Ich liebe dich auch“, säuselte Lisa am anderen Ende der Leitung.
Beschämt schloss er die Augen und rieb sich über die nackte Brust. Dann legte er das Handy in die andere Hand, um es an das linke Ohr zu halten.
„Fanculo!“, fluchte er.
„Was ist?“, fragte sie erschrocken.
„Alles voller Rasierschaum“, schrie er, schnappte das Handtuch und wischte erst über das Telefon, dann über sein Gesicht, bevor er den Fetzen Stoff in die Wanne warf. „Was willst du?“, fragte er und bereute sofort den gereizten Tonfall, sagte aber nichts weiter.
„Heute früh musste ich so plötzlich weg. Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich dich liebe und dass mich die Nacht mit dir um den Verstand gebracht hat. Aber so, wie’s aussieht, ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Liebesgeflüster.“
Er murmelte etwas vor sich hin.
„Was meintest du?“, fragte Lisa vorsichtig.
„Ach nichts.“ Nach einer Pause fügte er hinzu. „Ich hatte mich auf den Tag mit dir gefreut.“
„Ich doch auch. Aber es kann ja niemand etwas dafür, dass es bald zu regnen beginnt. Wir müssen die Trauben ernten, sonst gibt’s heuer keinen Wein.“
„Ich weiß“, jammerte er.
„Dann lass dich nicht so gehen, genieße den Tag auch ohne mich oder komm her und hilf uns. Auf jeden Fall erwarte ich dich heute Abend zum Essen. Mama freut sich auch schon wie verrückt, ihren Lieblingsschwiegersohn wieder einmal zu sehen. Es gibt Polenta mit irgendwas dazu. Das magst du doch so gerne.“
„Ob ich irgendwas mag, weiß ich noch nicht. Aber Polenta passt immer“, gähnte er ins Mikrofon. Lisas sanfte Stimme und die Aussicht, sie in ein paar Stunden wieder in den Armen zu halten, hatten dazu beigetragen, dass er sich entspannte. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, eine spitze Bemerkung nachzuschieben: „Ich bin nicht Alvas Schwiegersohn. Und wem sie das zu verdanken hat, wissen wir beide.“
Lisa ignorierte ihn. „Na also, siehst du. Alles gut. Um sieben auf dem Moroder-Hof, okay? Ich muss. Die anderen warten schon ganz ungeduldig.“
Gehässig erklärte er Lisa, dass er selbst genug zu tun habe und auf St. Nikolaus nicht alles stehen und liegen lassen könne, nur um ihr bei der Wimmet zu helfen. Auch seine Trauben mussten schließlich vor dem Regen in Sicherheit gebracht werden. Da er aber nicht so viele Rebstöcke besaß wie sie, hätte er den Sonntag bequem mit ihr genießen und am nächsten Tag ganz gemütlich mit der Lese beginnen können. So hatte sein Plan ausgesehen. Dann versicherte er ihr, am Abend pünktlich auf dem Moroder-Hof zu erscheinen, verabschiedete sich mit hundert Liebesschwüren und legte erst auf, nachdem sie ihm zweimal versichert hatte, dass sie ihn vermisste.
Dann schäumte er sich die linke Gesichtshälfte noch einmal ein und rasierte auch diese Seite glatt. Währenddessen grübelte er darüber nach, wie sie ihr Dilemma lösen konnten. Er hatte keine Lust mehr auf solche Aktionen, er wollte endlich an ihrer Seite sein. Er wollte mit einer Zeitung in einem Sessel im Wohnzimmer sitzen, wenn sie spätabends von der Arbeit nach Hause kam, die Nacht – jede Nacht – mit ihr verbringen und nicht endlose Augenblicke auf sie verzichten, nur weil die Rebberge sie dringender zu brauchen schienen als er.
Er formte die Hände zu einer Schale, füllte sie mit Wasser und tauchte das Gesicht darin ein. Das wiederholte er ein paar Mal, dann tupfte er es mit dem Handtuch trocken und desinfizierte die Haut mit einem Aftershave.
Lisa und ihre Familie heute Abend zum Essen zu treffen, war zwar ganz nett, aber nicht das, was er sich eigentlich wünschte. Nach dem arbeitsreichen Tag würde sie ihre Ruhe haben wollen und ihren Schlaf brauchen. Statt Zeit zu zweit blieb ihm nichts anderes übrig, als allein wieder nach Hause zu fahren.
Die kommenden Tage würde sie im Weinberg verbringen, auch er hatte zu tun und würde sich wie immer mit Arbeit ablenken. Aber das nächste Wochenende wollte er auf Gedeih und Verderb mit ihr zusammen verbringen. Bis dahin hatte seine Weinkönigin die Weimer, die Weintrauben, eingebracht, dann mussten sie sich über ihre Zukunft, über ihr gemeinsames Leben unterhalten.
Entschlossen verließ er das Badezimmer, zog sich an und ging hinunter. Abgesehen davon, dass sich Lisa heute lieber um ihre Früchte als um ihn kümmerte, wartete ein fantastischer Tag auf ihn. Die Sonne begann, sich durchzusetzen, die Temperaturen waren im Begriff, noch einmal in angenehme Regionen aufzusteigen, und er hatte genügend Zeit, den Sonntag zu feiern und mit ein paar friedlichen Minuten in seinem Garten zu beginnen.
Was er Garten nannte, war zwar nicht vergleichbar mit dem riesigen, üppig einladenden Park seiner Schwiegerfamilie, doch für ihn reichte das Fleckchen wilde Wiese hinter dem Haus, auf dem immerhin eine Loungegruppe aus sandfarbenem Polyrattan Platz fand. Von dort aus hatte er bei schönem Wetter einen fantastischen Ausblick auf die darunter liegende Ebene mit ihren Obstkulturen und den hoch gen Himmel aufragenden Mendelkamm. Wann immer es die Zeit erlaubte, zog er sich für einen Augenblick in seine persönliche Oase zurück, um durchzuatmen. Heute war so ein Augenblick.
David eilte ins Wohnzimmer und holte sich aus seiner kleinen Hausbar eine Flasche selbst gebrannter Quitte. Der Tag war zwar noch jung, trotzdem wollte er ihn gebührend feiern, wenn er schon sitzen gelassen wurde. Auf dem Weg zum Flur griff er mit der freien Hand nach einem zierlich geschwungenen Grappakelch, schlüpfte an der Garderobe in seine Crocs und schlenderte durch die Haustür, die Stufen hinunter, über den Hof und an der Brennerei vorbei bis zu der verborgenen Ecke für genussverwöhnte Schnapsbarone. Er plumpste auf einen der Sessel, streckte die Beine von sich und schenkte sich großzügig ein. Die Flasche stellte er auf den Beistelltisch, das Glas auf die breite Armlehne. Bevor er den Hocker dichter heranzog, um die Beine darauf zu legen, hielt er inne. Kritisch musterte er die Umgebung. Er stand noch einmal auf und ließ sich aufseufzend auf den Ottomanen des Sofas fallen.
„Wunderbar, jetzt ist es perfekt!“ Er langte nach dem Schnaps, der nur eine Armlänge entfernt auf ihn wartete, setzte den Kelch an und spürte mit geschlossenen Augen dem fruchtigen Spiel in seinem Gaumen nach.
Der Sonntag konnte beginnen.
Wenig später griff David nach seinem schwarzen Strohhut mit der schmalen Krempe und dem breiten Stoffband aus Fischgrätenmuster und machte sich bewaffnet mit Wanderschuhen und Rucksack auf den Weg. Strammen Schrittes lief er dem Dorf entgegen, dann quer hindurch, um auf der gegenüberliegenden Talseite den Wandersteig durch den Buschwald zu nehmen.
Der Weg war zunächst angenehm zu gehen, wurde mit der Zeit steiler und mündete schließlich in einen beschwerlichen Schlussanstieg. Immer wieder blieb er stehen, um Luft zu holen und sich darüber zu wundern, in welch miesem Zustand sich seine Kondition befand.
Obwohl er sein Ziel bereits verheißungsvoll zwischen den bunten Bäumen aufblitzen sah, verließ er den Weg und setzte sich etwas abseits auf einen Felsbrocken. Er streifte den Rucksack ab und stellte ihn zwischen den Füßen auf den weichen Waldboden. Flink öffnete er mit beiden Händen den Reißverschluss, der Duft von frisch gebackenem Brot, würzigem Käse und herzhaftem Speck schlug ihm entgegen. Doch er langte an den Köstlichkeiten vorbei und griff nach der Flasche, die er zu Hause mit frischem Leitungswasser gefüllt hatte. Die Herbstsonne brannte jetzt unerbittlich von dem mit Schleierwolken durchzogenen Himmel. Er hatte Durst, keinen Hunger. Außerdem wollte er sich oben etwas gönnen, was er zuletzt vor Ewigkeiten gegessen hatte. Darauf freute er sich schon, seit er losmarschiert war. David nahm ein paar großzügige Schlucke, steckte die Flasche wieder an ihren Platz, schulterte den Rucksack, stand auf und kämpfte sich weiter den Berg hinauf.
Dann stand sie plötzlich vor ihm. Über steilen Felswänden erbaut thronte sie hoch über dem Etschtal, inmitten des landschaftlichen Zaubers. Als schwebte sie über uralten Bäumen, die in der Herbstsonne in bunten Farben erstrahlten, erhob sich die mittelalterliche Anlage mit ihren Geschütztürmen und dem hohen, fünfeckigen Bergfried. Das abenteuerlustige und romantische Herz in seiner Brust schlug schneller.
Fasziniert blickte er zu den uralten Steinen hoch, sog den imponierenden Anblick in sich auf und nahm durch ihn gestärkt den letzten Wegabschnitt in Angriff, bis er sich endlich andächtig über die eindrucksvolle Holzbrücke dem riesigen Eingangsportal der Burg näherte. Er blieb stehen, genoss die atemberaubende Aussicht über die schier grenzenlose Ebene tief unter ihm, die Weinberge und Apfelwiesen, die sich wie eine grüne Steppdecke auf das Land legten, im Hintergrund blitzte das graue Blau der Etsch auf, die sich durch das Tal schlängelte. Sein Blick schweifte weiter über die weit ausgebreitete und inmitten der Alpen eingebettete Stadt mit ihren Hochbauten, Geschäftshäusern, der Industriezone, den breiten und engen Straßenzügen und der beeindruckenden Grünflächen. Ein Ort, an dem deutsche und italienische Kultur aufeinandertrafen. Ehrfürchtig betrachtete er den Horizont, der sich unerwartet im Nirgendwo verlor und wo die wohlgeformten, keck und mitunter provokativ in die Höhe ragenden Spitzen der Dolomiten zu sehen waren.
David konnte, nein, er wollte sich nicht sattsehen. Immer und immer wieder ließ er seinen Blick, einem Falken gleich, über das kunstvoll angelegte Tal kreisen. Er atmete die endlose Weite ein, ließ sich von ein paar Sonnenstrahlen küssen und wandte sich endlich ab, um das offene Rondell außerhalb der eigentlichen Ringmauer zu betreten. Einen Moment hielt er inne, bewunderte die prachtvollen Rosenstöcke, die im Sommer die nackten Steine mit ihrer Opulenz schmückten, und immer noch ein paar unermüdliche Blüten präsentierten. Von da aus ging er weiter unter freiem Himmel und zwischen altem Gemäuer hindurch, bis er die rustikale Burgschenke erreichte, in der er herzlich willkommen geheißen wurde. Viel war nicht los heute, trotzdem waren die besten Plätze bereits besetzt. Aufmerksam hielt er Ausschau und entdeckte einen kleinen, fast schwarzen Massivholztisch, an den sich eine Person, mehr oder weniger bequem, quetschen konnte, von wo aus man aber einen traumhaften Ausblick auf das Umland hatte.
David streifte seinen Rucksack ab, setzte sich auf den knorrigen Stuhl, der vermutlich aus dem Mittelalter in die Neuzeit importiert worden war, und stellte sein Gepäck unter den Tisch. Minutenlang schaute er staunend über die Ebene, bis eine bezaubernde junge Frau an seinen Platz herantrat, um die Bestellung aufzunehmen: eine ordentliche Portion Strauben mit Preiselbeeren, dazu ein kühles Bier.
Endlich! David vergötterte die Süßspeise aus dem luftig leichten Teig, in dem sich nicht nur Mehl mit zerlassener Butter, Zucker und Milch vereinte, sondern auch Bier und Obstler oder Rum nicht fehlen durften. Die Masse wurde schlangenlinienförmig in reichlich Fett gebraten und sorgte bei den weiblichen Gästen oft für Kummer wegen ihres ohnehin bereits vorhandenen Hüftgoldes, das sie nach dem üppigen Genuss mit ins Tal schleppen mussten. Ein Schmunzeln spielte um seine Lippen. Seine Lisa kannte dieses Problem noch nicht.
Geduldig wartete er, bis die Nascherei endlich serviert wurde. Hungrig wie ein Löwe fiel er über die Nachspeise her, die ihm heute das Mittagessen ersetzte. Im Nu war der Teller leergeputzt, trotzdem rebellierte sein Magen. Offensichtlich hatte er noch nicht genug.
David überlegte. Tag für Tag arbeitete er hart, härter als viele andere. Wenn die Zeit es zuließ, joggte er oder ging ins Fitnesscenter. Heute hatte er sich diesen Berg hinaufgequält und schon seit Urzeiten keine dieser außerordentlich leckeren Strauben mehr gegessen, überhaupt nichts, was sich als besonders ungesund bezeichnen konnte, außer Alvas Kuchen vielleicht, doch der zählte nicht.
Entschlossen wandte er den Kopf und hob die Hand, erwartungsvoll zog er die Augenbrauen hoch. Er hoffte, die Bedienung würde sein Zeichen verstehen und schnell auf ihn reagieren, denn er mochte nicht zu lange warten, ansonsten bestand die Gefahr, dass er es sich anders überlegte.
Und tatsächlich! Die Frau stand sofort an seinem Tisch und nahm die Bestellung einer weiteren, ausdrücklich großzügigen Portion auf.
Zufrieden lehnte er sich gegen die Rückenlehne seines Stuhls, streckte, so gut es ging, die Beine von sich, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und genoss zufrieden den endlosen Weitblick. Wie gerne würde er Momente wie diese gemeinsam mit Lisa erleben. Ein tiefer Seufzer kroch aus seiner Kehle.
Erschrocken schaute der kleine Junge vom Nebentisch ihn an. Seine Hamsterbacken und der fast leere Teller vor seiner Nase verrieten, dass sein Mund mit Pommes vollgestopft war. Mit weit aufgerissenen Augen starrte David den Kleinen an, zog eine Grimasse, blies seine Backen auf und tat so, als ob er mit geschlossenem Mund auf etwas herumkauen würde. Der Bub lachte und verschluckte sich beinahe an den frittierten Kartoffeln. David zwinkerte ihm zu und wollte sich wieder seinen Tagträumen widmen.
„Gantf dön weit obn!“, mampfte der Kleine.
Fragend erwiderte David seinen Blick. „Ganz schön weit oben?“, wiederholte er. Der Junge nickte, David lächelte ihn liebevoll an.
Der Bub erinnerte ihn an den Jungen, der er selbst einmal gewesen war vor vielen, vielen Jahren. Seine Gedanken wanderten zu seiner Mutter, die er mehr vermisste, als er sich eingestehen wollte. Cosima, die Schöne, und das war sie, wunderschön. Er verstand die Männer, die immer noch hinter ihr her waren. Er verstand auch den einen, der sie sich nahm, obwohl sie noch viel zu jung gewesen war. Was er allerdings nicht begriff, war die Tatsache, dass der sie im Stich gelassen hatte, als sie schwanger wurde. Cosima war eine junge Mutter gewesen, deswegen hatte er sie beim Vornamen nennen müssen. Er hätte so gerne Mama zu ihr gesagt, doch das wollte sie ums Verrecken nicht.
David überlegte, wie lange er sie schon nicht mehr gesehen hatte, konnte sich aber beim besten Willen nicht daran erinnern. Cosima arbeitete genauso viel wie er, außerdem war die Distanz zu groß, um sich regelmäßig zu treffen. Nur ab und zu, da schickte sie ihm per Whatsapp ein paar Fotos. Er ihr nicht. Selfies mochte er nicht. Einmal hatte Lisa ein Foto von ihm gemacht, als er gerade die Brennblase befüllte. Sie meinte, er sehe unglaublich sexy aus dabei – und knipste. Da es für ihn ein Foto wie jedes andere war, hatte er es Cosima geschickt, die überglücklich zurückgeschrieben hatte, dass er Gott sei Dank nicht nach seinem Vater käme, verführerisch und schnuckelig sei und sie ihn sofort heiraten würde, wenn er nicht ihr Sohn wäre. „Die eigene Mutter will mich heiraten, aber die Frau meiner Träume zickt herum“, murmelte er vor sich hin. Der Junge am Nebentisch blinzelte ihm kichernd zu. David fletschte zum Spaß die Zähne und wandte sich dann wieder ab.
Wie gerne hätte er seiner Mutter Lisa vorgestellt und wie sehr würde sie sich über Enkelkinder freuen, auch wenn sie ihm täglich in Erinnerung rufen würde, dass es neben ihr keine jüngere Nonna südlich der Alpen gebe.
Ein in die Jahre gekommener Mann mit kugelrundem Gesicht und Mönchsglatze, feuerroten Pausbacken und einem Grinsen, das einmal um den ganzen Kopf reichte, riss ihn aus seinen Gedanken. Der Wirt stellte einen tannengrünen Platzteller vor ihn hin, der bis zum Rand mit Strauben gefüllt war, daneben mehr als nur ein Klecks Preiselbeermarmelade.
„Oh mein Gott, wer soll das alles essen?“, stöhnte David auf.
„Sie haben großzügig bestellt“, meinte der freundliche Herr, verneigte sich knapp und watschelte davon wie ein Pinguin.
David schlug die Hände vors Gesicht, dann fasste er sich mit einer Hand an den Bauch, stieß die Luft aus, nahm die Gabel und stach zu. Der Kleine wünschte ihm guten Appetit, hielt die Daumen an die Schläfen, flatterte mit den Fingern und streckte die Zunge so weit aus seinem Mund, dass sie herauszufallen drohte. Von seiner Mutter kassierte er eine Watschn dafür, David aber hob das Bierglas und prostete erst ihm, anschließend der jungen Frau zu. Beschämt stocherte der Junge in seinen Pommes herum und verschmierte dabei den Teller mit Ketchup. David wandte sich genüsslich wieder seinen Strauben zu.
Während er aß, dachte er darüber nach, dass Lisa und er sich bisher nie über eigene Kinder unterhalten hatten. Wollte sie Kinder? Wollte er Kinder? Er wusste es nicht. Irgendjemand musste irgendwann den Moroder-Hof und St. Nikolaus weiterführen. Sie brauchten Erben. Andererseits, war es nicht eine Zumutung gegenüber dem Butzele, ihm eine solche Nachfolge aufzubürden? Er nahm einen kräftigen Schluck Bier und verzog das Gesicht. Warm. Ekelhaft. Ruppig stellte er das Glas wieder hin, stopfte das Gebäck in sich hinein und entschied, dass Lisa und er sich erst über die Zukunft ihrer Unternehmen einig werden mussten, bevor sie über Kinder sprachen. Vorher wurde sowieso nicht geheiratet und bevor sie keine Eheleute waren, kamen Kinder nicht infrage. Für ihn jedenfalls nicht.
Bis obenhin satt würgte er träge die letzten Bissen hinunter. Dann winkte er nach der Bedienung, beglich die Rechnung und ging. Das Bier ließ er stehen. Beim Vorbeigehen strich er dem Jungen übers Haar, um sich von ihm zu verabschieden. Er gratulierte der jungen Mutter zu ihrem aufgeweckten Sohn und wünschte ihr alles Gute. Die Frau lächelte ihn an und senkte verlegen den Blick.
David verließ die Burg, stolzierte über die Brücke und bog auf der anderen Seite des Grabens links ab. Ein abenteuerlicher Weg führte ihn über einen schmalen Steig aus Porphyrgestein hinab in eine Schlucht und von da aus über eine Treppenanlage zur gegenüberliegenden Seite. Über Wurzeln und Steine wanderte er durch ein wildromantisches Waldstück. Das dumpfe Nachhallen seiner Schritte vermischten sich mit dem Gesang der Vögel. Ein buntes Blätterdach schützte ihn vor der Sonne und brach ihre Strahlen in goldenes Licht. Von Ferne hörte er die Rufe spielender Kinder, ab und an glaubte er, Geräusche aus dem Tal wahrzunehmen. Er lief und lief, bis er zu einer Bank kam, die ihn einlud, eine Rast einzulegen. Die Aussicht war von ein paar Bäumen verstellt, also nicht berauschend. Dennoch setzte er sich, öffnete den Rucksack, breitete eine Serviette auf seinen Oberschenkeln aus und legte das Brot, den Käse und den Speck darauf. Dann schnitt er mit einem Taschenmesser je eine Scheibe ab. Er konnte das klebrige Süß in seinem Mund nicht mehr ertragen, brauchte dringend etwas Pikantes. Ob das gescheit war oder nicht, war ihm egal.
Das Essen fiel ihm leicht, das Rauchige, Salzige, der würzige Käse und das knusprige Brot schmeichelten seinem Gaumen. Danach trank er ein paar Schlucke Wasser, das immer noch erstaunlich frisch war, packte die Resten wieder ein, erhob sich schwerfällig und stieg weiter den Hügel hinab dem Tal entgegen.
Wenige Meter später beschwerte sich sein Magen mit lautem Grummeln und Gerumpel. David stützte sich mit einer Hand an einem Baum ab und legte schützend die andere auf seinen Bauch. Ihm war speiübel, Schweiß perlte auf seiner Stirn. Magenkrämpfe, saures Aufstoßen und Würgereize wechselten sich ab. Bis nach Hause waren es bestimmt noch zwei Stunden. Wie sollte er das schaffen? Er setzte sich auf einen Stein, stützte den Kopf in die Hände, schalt sich stumm und ehe er sich’s versah, wurde er von seiner eigenen Dummheit und Gier überwältigt. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihm, aufzuspringen und sich hinter einen Baum zu beugen, da entlud sich sein Magen mit lautem Husten, Würgen und Stöhnen.
„Das hat sich ja gelohnt“, dachte er, nachdem sich sein Körper um die Strauben, die Preiselbeeren, den Speck, das Brot, den Käse und das warme Bier erleichtert hatte. Zittrig tastete er im Rucksack nach der Wasserflasche. Er spülte sich den Mund und wusch sich das Gesicht, setzte sich noch einmal hin und wartete einen Moment, dann wanderte er weiter.
„Am Ende komme ich noch zu spät zum Abendessen, Polenta und irgendwas“, murmelte er vor sich hin, fasste sich an die Stirn und fragte sich, wie er schon wieder ans Essen denken konnte.
Der Abstieg über die willkürlich verteilten Felsbrocken gelang ihm erstaunlich gut, ohne weitere Zwischenfälle. Ab und zu legte er eine kurze Pause ein, setzte sich auf einen Baumstumpf, trank hin und wieder etwas Wasser. Am Fuße des Hügels angekommen, quälte er sich zwischen den Obstbäumen und Reben hindurch, bis er endlich im Dorf ankam. Seine Knie fühlten sich an wie Watte, die Wärme setzte ihm zu. Wieder marschierte er quer durch die Gassen, winkte mit einem aufgesetzten Lächeln da und dort einem Bekannten und schleppte sich schließlich auf der anderen Seite die Straße hoch.
Endlich stand er vor seiner Haustür. Seine Hände zitterten immer noch, als er die Tür aufschloss. Im Flur zog er die Wanderschuhe aus, brachte den Rucksack in die Küche und ging als Erstes ins Wohnzimmer, wo er sich an der Hausbar einen ordentlichen Schnaps servierte.
Danach verschwand er im Badezimmer. Er musste duschen, sich einen Augenblick hinlegen und dann los. Lisa und ihre Familie warteten auf ihn.
Gut eine Stunde später machte er sich mit flauem Magen und ohne Hunger auf den Weg zu seiner Liebsten. Bevor er in die Weinstraße einbog, schwor er sich, dass absolut niemand je von seinem kulinarischen Abenteuer erfahren sollte. Er würde die Polenta mit dem Irgendwas essen, trinken, was dazu aufgetischt wurde, und so tun, als ob alles vorzüglich schmeckte.
Anders als noch heute Morgen war er jetzt froh darüber, dass er nach dem Essen wieder nach Hause fahren konnte und keine Ausrede erfinden musste, um lustvollen Turnübungen im Bett aus dem Weg gehen zu können.
*
Lisa saß an dem schlichten Massivholztisch aus Zirbe, der mitten in ihrer geräumigen Wohnküche stand. Eine schier endlose, arbeitsreiche Woche lag hinter ihr, seit sie St. Nikolaus wegen der Lese überstürzt hatte verlassen müssen. Sie hatte David seit dem Familienessen am letzten Sonntagabend nicht mehr gesehen und ihn schmerzhaft vermisst. Die Arbeit hatte sie erschöpft, gleichzeitig war sie froh, dass er endlich wieder bei ihr war. Sie wollten an diesem Wochenende ein paar unbeschwerte Stunden miteinander verbringen. Und jetzt das!
Im Haus war es mucksmäuschenstill. Ihre Eltern waren zum Gottesdienst gefahren, Lukas hatte auswärts übernachtet und Loris schlief noch. Nur der schwere Atem ihres Verlobten war zu hören.
Für gewöhnlich wurde der großzügige Raum, in dem sie sich befanden, von hellem Tageslicht durchflutet, doch heute versank er in der trüben, düsteren Herbststimmung. Das trostlose Wetter riss nicht nur sie, sondern die ganze Umgebung des Moroder-Hofes mit sich in einen bedrohlichen Abgrund. Wie passend!
Während sie Davids Atemzügen lauschte, musterte sie nachdenklich die lebhafte rötliche Maserung der Zirbelkiefer, die sich durch das ganze Haus zog. Nicht nur für die Möbel in der Küche und den Essbereich, den Schlafzimmern und Büroräumen wurde ihr Holz verwendet, auch alle Türen und die Täfelung im Wohnbereich verdankten dem Nadelbaum ihre wohlige Ausstrahlung. Tief atmete sie seinen Duft ein. Freiheit! Es roch nach Weite, süß und doch frisch, mit einem Hauch von Myrte. Gähnend lehnte sie sich zurück und schaute wieder aus dem Fenster. Seit drei Tagen regnete es fast ohne Unterlass. Die fruchtbare Ebene, die sich zum See hin ausbreitete, wurde von feinen Silberfäden ummantelt. Oskar hatte recht behalten und sie war dankbar, dass die kostbaren Weimer rechtzeitig eingebracht werden konnten.
Sie blickte zu David, der ihr schräg gegenüberstand, sich lässig gegen die Küchenanrichte lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt, den Kopf zur Seite geneigt. Er wartete auf eine Antwort. Lisa spürte, wie seine grauen Augen, die sie an zwei unergründliche Gletscherseen erinnerten, den Rücken ihrer Stupsnase streichelten, verlangend weiter bis zu ihren Lippen glitten, um gleich darauf anständig zu ihren rehbraunen Kulleraugen zurückzukehren.
„Nein!“, sagte sie entschieden und schüttelte vehement den Kopf.
„Warum nicht?“, fragte er sanft, aber bestimmt.
„Wie stellst du dir das denn vor?“ Die Frage schoss schnippischer über ihre Zunge als beabsichtigt. Die Spannung, die sie damit provozierte, hielt sie ohne ein Wort der Entschuldigung aus. Sie trotzte seinem durchdringenden Blick und flugs wanderten ihre Gedanken zu jenem milden Frühlingsabend, an dem sie David zum ersten Mal begegnet war.
Unter der Dusche wollte sie gerade einen langen, anstrengenden Tag hinter sich lassen, als Mutter nach ihr rief. Also brach sie ihren wohlverdienten Feierabend ab und eilte nach draußen, um zu sehen, was so dringend war. Und da stand er, in ein Gespräch vertieft mit ihrer Mutter im Hof. Seine Augen brachten sie damals schier um den Verstand. Sie fürchtete, in ihren eiskalten Fluten zu ertrinken, stattdessen setzten sie sie mit feuriger Leidenschaft in Brand, was auch nicht viel besser war. Die Erinnerung an ihr erstes Zusammentreffen ließ ihr Herz schneller schlagen und sie musste unwillkürlich lächeln.
„Woran denkst du?“, säuselte David.
Sie schüttelte den Kopf und zupfte an ihrer Unterlippe.
„Woran?“, hakte er mit neckischem Unterton nach. „Heraus mit der Sprache. Ich habe dich durchschaut.“
„Ah, ja?“ Sie zog die rechte Braue hoch. „Dann erzähl du mir doch von meinen Gedanken.“
Das Funkeln in seinem Blick machte Lisa nervös. Unterdessen kannte sie diesen Ausdruck nur zu gut und sie wusste, dass sie früher oder später die Kontrolle verlor und ihm erlag. Also wandte sie sich ab und musterte kritisch die dichten Silberfäden vor dem Fenster.
„Ob die Sonne heute noch vorbeikommt?“, sinnierte sie.
„Möchtest du es wirklich hören?“
„Was?“
„Dass du gerade an unsere erste Begegnung gedacht hast und daran, wie du meinem unwiderstehlichen Charme auf der Stelle erlegen bist.“
Lisa schloss die Augen, sie wünschte, der Erdboden täte sich auf und verschluckte sie. „Macho!“, fauchte sie.
Dröhnendes Lachen erfüllte den Raum.
Einer Drama-Queen gleich schüttelte sie ihre mahagonibraune Mähne. „Du weichst mir aus!“, schalt sie ihn. „Wie stellst du dir das vor mit uns, mit St. Nikolaus und dem Moroder-Hof?“
Davids Lachen verstummte. Schwungvoll stemmte er sich hoch und setzte sich auf die Küchenanrichte, ließ seine Beine baumeln, mit der flachen Hand rieb er sich nachdenklich den Kiefer.
„Wir kennen uns zwar noch nicht so lange. In dieser kurzen Zeit haben wir aber schon so viel gemeinsam erlebt und durchgestanden“, begann er und knibbelte an seinen Nagelhäuten. „Denk nur daran, wie heftig wir uns gegen unsere Gefühle gewehrt haben, trotzdem sind wir jetzt zusammen. Oder erinnere dich an die Eskalation im Weinkeller.“ Zärtlich zwinkerte er ihr zu. „Und vergiss nicht die Sache mit Thomas und Loris und wie sich ohne unser Zutun alles auf wundersame Weise aufgelöst hat. Oder nimm deinen Vater, diesen grantigen Sturschädel, richtig Angst hatte ich vor ihm. Mittlerweile erkenne ich ihn nicht wieder!“
Bevor er weiterfuhr, legte er eine nachdenkliche Pause ein. „Wenn wir es nicht hinbekommen, die Zukunft zweier lächerlicher Unternehmen zu regeln, wer denn dann?“
Schnaubend richtete sich Lisa auf. „Willst du damit etwa andeuten, dass mein Weingut nichts wert ist?“
Abwehrend hob er die Hände. „Nein, natürlich nicht!“
„Was dann?“
„Das weißt du ganz genau!“
Im Nu schlugen vernichtende Flammen über ihnen zusammen, die nichts mit dem Feuer der Leidenschaft zu tun hatten, das sie für gewöhnlich umgab, sondern mit heißer, brodelnder Lava, die alles mit sich zu reißen drohte, was sich ihr in den Weg stellte. Die Blicke, die sie austauschten, wetteiferten mit dem Feuersturm, bis Lisa die Kampflust verlor. Resigniert lehnte sie sich zurück, aus ihrer Kehle kroch ein müder Seufzer. „Und wie soll das gehen?“
Nachdenklich schüttelte David den Kopf. „Das weiß ich noch nicht.“
„Ich hier und du da oben?“ Mit einer ausladenden Bewegung zeigte sie in Richtung Norden.
David glitt von der Küchenanrichte und trat vorsichtig einen Schritt auf sie zu. „Wir finden einen Weg, das verspreche ich dir“, sagte er leise.
Lisa starrte auf seine Fußspitzen und blieb an dem Loch in der Socke hängen, das sein großer Zeh auf der Suche nach Freiheit in die feine Wolle geknabbert hatte. Ihr Atem ging schwer. Es war zum Heulen! Konnten sie auch schaffen, was die Zehe hier vollbracht hatte?
Diese Diskussion führten sie nicht zum ersten Mal, seit David ihr Nonnas Ring an den Finger gesteckt und sie gefragt hatte, ob sie seine Frau werden wolle. In der Zwischenzeit waren viele Monate vergangen und sie wussten immer noch nicht, wie es weitergehen sollte. In langen, unbeschwerten Nächten malten sie sich oft in bunten Farben aus, wie sie seine Hofbrennerei und ihr Weingut zusammenlegen konnten, um gemeinsam Südtirols Genusswelt zu erobern. Eine Idee jagte die andere, alles hatte so leicht und beschwingt begonnen, sich geschmeidig entwickelt und nun schlidderte ihr Leben in ein einziges undurchdringbares Chaos.
Ihre Mutter war sogar der Meinung, dass es in Italien nicht erlaubt sei, Wein und Schnaps unter einem Dach herzustellen, sie war sich allerdings nicht sicher. Immerhin gestand sie Südtirol ausnahmsweise zu, italienisch zu sein. Also horchte Lisa sich um, doch wen sie auch fragte, niemand wusste darüber Bescheid. Nach einer Weile befand sie, dass sie sich weitere Abklärungen sparen konnten, denn abgesehen von Mutters Hirngespinst war der Moroder-Hof zwar stattlich und sie war stolz auf das Werk ihrer Eltern, das sie weiterführen durfte, aber er war zu klein, um zusätzlich eine Brennerei aufzunehmen, und Bauland stand keines mehr zur Verfügung. St. Nikolaus wiederum war nicht nur überschaubar, wie Lisa fand, sondern eignete sich allein aufgrund der Lage und der Gebäudeanordnung nicht, um dort eine Weinkellerei mit Vinothek zu führen. Außerdem hatte sie ihre ganze Kraft und Leidenschaft in ihr Weingut gesteckt, es mit viel Mut und Ausdauer ausgebaut, sich den Respekt ihrer Mitarbeiter mühsam erkämpft, die Anerkennung ihres Vaters und der männlichen Winzerkollegen im Laufe der Zeit gesichert.
Der Moroder-Hof war ihr Zuhause, hier lagen ihre Wurzeln, nie hatte sie woanders gelebt. Von ihrem Schlafzimmer aus bot sich ihr ein fantastischer Blick auf die Leuchtenburg, deren Ruine majestätisch über dem See thronte. Im Garten versteckte sich ihre Höhle, wie sie den Hängesessel aus anthrazitfarbenem Polyrattan nannte, den Lukas ihr vor Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. In einer kleinen gemütlichen Nische im Garten wartete er Tag für Tag darauf, dass sie sich mit einem Glas Wein zurückzog, es sich in ihm gemütlich machte, sich fallen ließ und entspannte. Von da aus konnte sie herrlich Ausschau halten über die üppigen Obst- und Rebenanlagen, die sich einer kunstvoll angefertigten Steppdecke gleich vom Fuße des Mendelgebirges bis ans Ufer des Sees ausbreitete.
Lukas, ihr jüngster Bruder und engster Vertrauter, wohnte zwei Zimmertüren weiter und war für sie erreichbar, wann immer sie ihn brauchte. Wenn sie morgens aufstand, wurde sie von Idefix’ fröhlichem Gekläffe begrüßt und von dem kleinen, quirligen Norwich Terrier mit dem weizenfarbigen drahtigen Haar, das sich wie eine Mähne um das vorwitzige Köpfchen, die warmen Augen und die keck aufrechtstehenden Öhrchen formte, durch den Tag begleitet. Sie konnte und wollte keinen plausiblen Grund erkennen, weshalb sie die Früchte ihres jahrelangen Kampfes begraben sollte, um noch einmal ganz von vorne zu beginnen.
„Das will ich hoffen“, knurrte sie, „denn ohne Lösung, keine Hochzeit.“ Die Gedanken in ihrem Kopf schlugen Purzelbäume, müde rieb sie sich die Stirn. Es durfte nicht sein, dass einer von ihnen seinen Lebenstraum begraben musste, nur damit sie zusammen sein konnten. „Bitte sag mir, dass wir das schaffen!“, flehte sie David an.
„Woll, woll“, meinte er zuversichtlich. „Ein Silgoner lässt sich nicht so schnell unterkriegen!“
Lisa nickte entschlossen. „Eine Moroder auch nicht! Aber wie können wir als Ehepaar getrennt leben? Das geht doch nicht“, jammerte sie.
„Wer redet denn davon?“, konterte David amüsiert.
„Wie jetzt? Willst du etwa jeden Tag in aller Herrgottsfrühe zu deiner Brennerei fahren, den ganzen Tag dort oben bleiben und schuften und abends nach einem schnellen Nachtmahl völlig erschöpft in unser Ehebett fallen?“ Stirnrunzelnd schaute sie ihn an. „Ich war ja noch nie verheiratet, aber irgendwie stelle ich mir das schon anders vor.“
David unterdrückte ein Lachen. „Wer sagt denn, dass ich pendle? Selbstverständlich werden wir auf St. Nikolaus leben und du fährst jeden Tag hierher. Bei deinem sportlichen Fahrstil ist das bestimmt kein Problem für dich.“
Sie war fassungslos.
„Und wenn du schön brav bist“, legte er nach, „könnte ich sogar darüber nachdenken, dich am Wochenende hierher zu begleiten, und es mir auf der Terrasse gemütlich machen. Ich stelle es mir fein vor, einen schönen Rotwein zu trinken und von Alvas Kuchen zu essen, während du arbeitest.“ Nach einer weiteren Pause säuselte er: „Und über unser Ehebett musst du dir nun wirklich keine Sorgen machen.“
Ohne darauf einzugehen, stand sie auf und schlurfte zur Kaffeemaschine, wo sie ihre rot-weiß getupfte Lieblingstasse mit fruchtig dampfendem Arabica füllte, bevor sie kopfschüttelnd zu ihrem Platz zurückging. Ihre nackten Füße tappten über die Terrakotta-Fliesen. „Ja, wir werden uns schon einig werden, welches Bett wir nehmen. Das wird wohl unser kleinstes Problem sein“, sinnierte sie, während sie sich wieder hinsetzte.
David brach in schallendes Gelächter aus.
„Was?“, fuhr sie ihn an.
„Nichts“, prustete er, „alles gut!“
Lisa warf ihm einen stechenden Blick zu. „Ich finde das überhaupt nicht lustig.“
David beruhigte sich. „La mia regina del vino“, sagte er beschwichtigend, „meine Weinkönigin.“ Vorsichtig ging er auf sie zu, fasste sie an den Handgelenken, zog sie in seine Arme und presste sich an sie. Lisa spürte, wie die Anspannung ihren Körper verließ und er auf sie reagierte. „Alles wird gut“, flüsterte er in ihr Ohr. Mit dem Zeigefinger strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und hob dann sanft ihr Kinn an, um sie zu küssen. Flehend erwiderte sie seinen Blick. David zögerte. „So schlimm?“, fragte er zärtlich.
„Schlimmer“, murmelte sie und legte den Kopf an seine Brust.
*
Schützend legte David die Arme um die Frau, die er mehr liebte als alles auf der Welt und mit der er sich jedem Abenteuer stellen wollte. Die Ereignisse der letzten Monate hatten es nicht geschafft, sie auseinanderzubringen, nichts konnte sie jemals trennen. Erst kürzlich hatte er es Lisa zuliebe sogar geschafft, zwei gut gemeinte Portionen von Alvas Polenta im Speckmantel auf Peperonata, dazu den Nachtisch, drei Buchweizenwaffeln mit Marillen-Kompott, zu essen, obwohl ihm von seinem kulinarischen Höhenflug mit den Strauben immer noch scheußlich übel gewesen war. Da konnte sie eine Entscheidung wie diese doch nicht aufhalten.
Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung und musste lächeln. Vom ersten Moment an hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt, trotzdem fiel es ihm am Anfang schwer, zu glauben, dass das verunsicherte und zerbrechlich wirkende Mädchen, das barfuß vor ihm stand und mit dem Zeh Muster in den Staub malte, tatsächlich war, wofür es sich ausgab, nämlich die Inhaberin dieses imposanten Weinguts. Doch Lisa hatte ihn schnell eines Besseren belehrt. Heute wünschte er, er hätte sich von der eiskalten Geschäftsfrau, in die sie sich damals unerwartet verwandelt hatte, nicht so sehr einschüchtern lassen, ihr früher die Möglichkeit gegeben, sich ihm zu zeigen, wie sie tatsächlich war, klug und tüchtig, zielstrebig und stark. Aus ihrem Inneren sprudelte pure Lebensfreude, mit ihren ungeahnt sensiblen Seiten und ihrem herzhaften Lachen führte sie auf fast magische Weise verbitterte Gemüter aus ihren Gefängnissen. Ihr Herz leuchtete in purem Gold und selbst, wenn sich dunkle Wolken über ihrer bunten Seele ausbreiteten, strahlte sie positive Energie aus, die sofort jeden überwältigte, der sich in ihrer Nähe befand. Die zierliche Person in seinen Armen gab ihm Halt und ließ ihn gleichzeitig schweben, sie holte das Beste aus ihm heraus, nahm ihn ernst und glaubte an ihn, auch wenn sie oft ihre geliebten Späße mit ihm trieb. Ein Leben ohne Lisa konnte und wollte er sich nicht mehr vorstellen.
Er dankte Gott, dass er ihm diese bemerkenswerte Frau zur Seite stellte und schwor, alles in seiner Macht Stehende daranzusetzen, dass seine Weinkönigin ihre Ziele erreichte. Für ihr Glück war er sogar bereit, seine eigenen Träume aufzugeben. Ein Stück weit jedenfalls.
Leise Geräusche drangen aus dem oberen Stock in die Wohnküche. Verstohlen warf David einen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk.„Halb zwölf“, murmelte er kopfschüttelnd.
„Lass ihn doch.“ Lisa löste sich vorsichtig aus der Umarmung und ging zum Kühlschrank. „Er hat mit Papa bis tief in die Nacht hinein Fässer gereinigt.“
David legte seine Stirn in Falten und beobachtete, wie Lisa nach einem Joghurt griff und einen Löffel aus der Schublade nahm. „Wovon redest du?“
„Loris“, meinte sie knapp und machte es sich am Tisch bequem.
David nickte. An Lisas Bruder hatte er bei seinem Blick auf die Uhr gar nicht gedacht. Er war nur erstaunt, dass sie es wieder geschafft hatten, Stunden, die sie kuschelnd im Bett hätten verbringen können, über das ständig gleiche Thema zu diskutieren. „Das muss aufhören“, bemerkte er mit fester Stimme.
Fragend schaute Lisa ihn an.
„Diese Auseinandersetzungen.“ Er setzte sich Lisa gegenüber hin. „Seit Wochen finden wir kaum ein anderes Gesprächsthema.“
Ungeduldig schwang sie den verschmierten Löffel durch die Luft, als wollte sie seine Erklärungsversuche ankurbeln.
„Schluss jetzt! Ich habe keine Lust mehr, mit dir die ewig gleichen Diskussionen zu führen“, polterte er. Müde von den wiederkehrenden Wortwechseln seufzte er tief auf.
„Besonders viel redest du ja eh nicht, net“, versuchte sie, die Situation aufzulockern, und er strafte sie mit einem strengen Blick. „Dann lass uns halt über etwas anderes reden“, meinte sie und zwinkerte ihm zu.
David rollte mit den Augen.
„Darüber, was wir heute unternehmen wollen zum Beispiel“, schlug sie vor.
„Du weißt, was ich meine“, sagte er, „und dass es mir verdammt ernst ist. Fast täglich steigern wir uns da hinein und vergeuden Zeit, die wir schöner nutzen könnten.“
„So? Wie denn?“
Er sah sie lange an. „Heirate mich und unser Problem löst sich von ganz allein“, bettelte er nach einer Weile keck. Seine Finger tanzten über die Tischplatte, bis sie die ihren berührten. Zärtlich strichen sie über ihre Haut. Er kämpfte gegen den unbändigen Wunsch an, aufzustehen, um jemanden anzurufen, der bereit war, sie hier und jetzt zu Mann und Frau zu erklären, und dem es egal war, ob sie noch in ihren Pyjamas steckten. Er wollte sie. Er wollte sie nicht länger nur als Verlobte an seiner Seite wissen, sondern als Ehefrau. Er wollte sie ganz. Er wollte ihr Mann sein. Jetzt!
Vorsichtig schüttelte Lisa den Kopf. „Wir müssen vernünftig sein“, hauchte sie. „Sobald wir wissen, wie wir mein Weingut und deine Brennerei unter ein Dach bekommen, lassen wir die Hochzeitsglocken läuten, okay?“
Seufzend zog er die Hand zurück. Er stand auf und tat so, als wollte er zur Kaffeemaschine gehen. Dann drehte er sich ruckartig um, rannte zurück, zog den Stuhl, auf dem sie saß, schroff nach hinten, hob die kreischende Lisa auf die Arme und verschwand mit ihr im Schlafzimmer.
*
„Griaß di, ich bin’s.“ Es hatte aufgehört, zu regnen. David war nach St. Nikolaus gefahren, um ein paar Arbeiten in der Brennerei zu erledigen, Lisa hatte sich mit einem heißen Alpenkräutertee und dem Smartphone in ihre Höhle verkrochen und Verenas Nummer gewählt. Gemütlich war es nicht gerade. Die grünen Kissen lagen geschützt vor dem schmuddeligen Wetter in der anthrazitfarbenen Aluminium-Gartenbox und ihr Hängesessel war so nass, dass die Feuchtigkeit durch die Wolldecke kroch, die sie sicherheitshalber mitgenommen hatte. Im Moment spielte das allerdings keine Rolle, denn sie wollte in Ruhe mit ihrer Freundin telefonieren. „Oh, das tut mir leid“, sagte sie enttäuscht, nachdem sie aufmerksam Verenas Worten gelauscht hatte.
„Das muss es nicht“, erwiderte die, „du konntest das nicht wissen.“
Lisa überlegte. „Soll ich später anrufen?“
„Ungünstig. Ich habe einiges zu erledigen heute. Was ist denn los?“
„David“, platzte es aus Lisa heraus.
„Was ist mit ihm? Ist etwas passiert?“
„Ach, ich weiß auch nicht. Er macht halt Druck wegen der Hochzeit, dabei wissen wir immer noch nicht, wie wir das mit seiner Hofbrennerei und meinem Weingut regeln sollen.“
„Ist das denn so kompliziert?“, wollte Verena wissen. In ihrer Stimme schwang Ungeduld mit.
„Das ist nicht so einfach“, gab Lisa gereizt zurück.
„Tut mir leid, Süße. War nicht so gemeint.“
„Passt schon“, sagte sie leise und nahm einen Schluck Tee. Schlecht gelaunt starrte sie die dunklen Felsen des Mendelgebirges an und fragte sich, wie sie auf die Idee kommen konnte, Verena anzurufen, um mit ihr über David zu sprechen.
„Redet ihr denn nicht darüber?“, wollte ihre Freundin wissen.
„Doch, aber du kennst David“, sagte sie und seufzte. „Er ist kein Mann der großen Worte. Am liebsten macht er alles mit sich allein aus. Konflikte sind ihm zuwider, deshalb weicht er ihnen ständig aus. Diskussionen hält er für unnütz und sie ermüden ihn. Komplexe Themen existieren für ihn ganz einfach nicht. Wenn es nach ihm geht, sollte gehandelt und nicht geredet werden – und außerdem wird sowieso immer alles gut.“
„Das kommt mir bekannt vor.“
„Was soll das heißen?“
„Nichts, nur so ein Gedanke.“
„Er will sich um seine Schnäpse kümmern, in seiner Brennstube wursteln und sonst in Ruhe gelassen werden. Ein typischer Einzelgänger halt“, fuhr Lisa unbeirrt fort. „Alles andere ist ihm zu viel. Und wenn ich nicht die ganze Zeit quasseln würde, wenn wir zusammen sind, dann wär’s echt peinlich still zwischen uns.“
„Klingt das nach Beziehungskrise?“
„Nein. Aber es nervt mich, dass er immer vom Heiraten anfängt, obwohl er ganz genau weiß, dass wir andere Probleme haben und ich ihn erst vor den Traualtar begleite, wenn die Zukunft unserer Unternehmen geklärt ist.“
„Dann sag ihm das“, forderte Verena sie auf.
„Du hast ja keine Ahnung, wie oft ich das schon getan habe.“
„Dann tu’s halt noch einmal.“
„Aber das bringt doch nichts.“
„Warum nicht?“
„Weil es bis jetzt auch nichts gebracht hat.“
„Wenn du willst, dass er dich hört und versteht, dann musst du dich ihm mitteilen. Wenn es nötig ist, immer und immer wieder.“
„Wenn ich versuche, ihm Einblick in meine Gedanken und Gefühle zu geben, schaut er mich nur mit seinem Dackelblick an, nimmt mich in den Arm und Minuten später liegen wir wieder in der Kiste.“ Lisa hörte, wie Verena ein Lachen unterdrückte. „Lach nicht!“, schimpfte sie. „Es ist bitterernst!“
„Ja. Aber schau, vielleicht ist das seine Art, mit der Situation umzugehen. Womöglich sieht er die Probleme, die du als solche ausmachst, nicht oder er bewertet sie anders. Aus seiner Perspektive lässt sich euer Dilemma möglicherweise ganz einfach lösen. Wie wäre es, wenn du auch ihm zuhörst, anstatt von ihm zu erwarten, dass er dich ernst nimmt?“
„Wobei denn? Er redet ja nicht.“
„Dann stelle ihm halt konkrete Fragen. Er wird dir schon eine Antwort geben.“
Lisa ging nicht darauf ein. Niemand wusste besser als sie, dass sie bei David mit einer Wand sprach. Er hörte zwar geduldig zu und schaute sie mit seinen Gletscherseen zärtlich an, fand hin und wieder ermutigende Worte, aber sich an dem Gespräch beteiligen, das tat er nicht. Selbst wenn sie ihm Fragen stellte, kam meistens nicht mehr als ein gut gemeintes: „Woll, woll!“, oder die Feststellung, dass sich nach der Hochzeit alles wie von ganz allein klären würde.
„Lisa?“
„Ja.“
„Was ist jetzt?“
„Nichts. Ich denke nur darüber nach, was ich tun soll.“
„Wie kann ich dir bloß helfen?“, wollte Verena wissen.
Wenn sie das wüsste. „Was machst du heute?“, fragte Lisa.
„Ähm, gleich bin ich zum Mittagessen verabredet, hab ich ja schon gesagt. Später geh ich noch zum Goaslschnöllen.“
„Wohin?“, rief Lisa überrascht aus. Damit hatte sie nicht gerechnet.
„Ich treffe mich mit ein paar Leuten aus dem Verein.“
„Mit wem?“
„Ach, das weißt du ja noch gar nicht.“
„Offensichtlich nicht.“
„Ich bin bei den Goaslschnöllern.“
„Das sagtest du bereits.“
„Ich mache Lärm mit der Peitsche“, erklärte Verena unbeirrt weiter. „Das Goaslschnöllen ist ein Südtiroler Brauchtum. Es ist mir wichtig, diese alte Tradition weiterzuführen und wenn es die Zeit erlaubt, nehme ich sogar an Wettkämpfen oder Umzügen teil.“
„Davon gehe ich aus, wenn du zu dieser Truppe gehörst“, blockte Lisa ab. „Was ich wissen will, ist, wo du das machst, bei welchem Verein.“
„Ach so, sorry“, entgegnete Verena, „da hab ich dich wohl falsch verstanden. Ich dachte, du weißt nicht, was das ist.“
„Klar weiß ich das. Fast jedes Südtiroler Kind kennt die Goaslschnöller“, gab Lisa beleidigt zurück.
„Es gibt da einen kleinen Klub in meinem Dorf“, sagte Verena. „Ein paar Männer, zwei Frauen und jede Menge Kinder“, fügte sie spitz hinzu.
„Klingt aufregend.“ Lisa versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken und der Atmosphäre damit die Anspannung zu entziehen.