E-Book 361-370 - Friederike von Buchner - E-Book

E-Book 361-370 E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. E-Book 1: Was verschweigst du, Chris? E-Book 2: Wer bist du, Schöne? E-Book 3: Das große Hüttenfest E-Book 4: Ein verliebtes Madl E-Book 5: Freude pur! E-Book 6: Ein Fest für Eric M. Engler E-Book 7: Der verliebte Konditor – findet er sein Glück? E-Book 8: Es ist eben Liebe E-Book 9: Eric lebt jetzt in Waldkogel – und nun? E-Book 10: Liebe und Geheimnisse

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Seitenzahl: 1243

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Was verschweigst du, Chris?

Wer bist du, Schöne?

Das große Hüttenfest

Ein verliebtes Madl

Freude pur!

Ein Fest für Eric M. Engler

Der verliebte Konditor – findet er sein Glück?

Es ist eben Liebe

Eric lebt jetzt in Waldkogel – und nun?

Liebe und Geheimnisse

Toni der Hüttenwirt – Staffel 37 –

E-Book 361-370

Friederike von Buchner

Was verschweigst du, Chris?

Die Alm kommt nicht zur Ruhe

Roman von von Buchner, Friederike

Walli saß in der großen Wohnküche und schälte Kartoffeln. Als es klopfte, sah sie auf. Wolfi stand im Türrahmen. Obwohl es noch früh am Morgen war, trug er seine Polizeiuniform.

»Grüß Gott, Walli!«, sagte er freundlich. »Die Sprechstundenhilfe sagte mir, ich soll in die Küche gehen.«

»Das war recht so. Grüß Gott, Wolfi! Komm her und setze dich hin. Magst du einen Kaffee?«

»Den nehme ich gern. Ich bin gekommen, um mich nach Chris zu erkundigen. Martin scheint nicht da zu sein. Sascha ist beim Blutabnehmen, das wird noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem würde ich lieber mit Martin sprechen.«

»Da hast du Pech, Wolfi. Martin ist unterwegs auf Hausbesuch«, antwortete Walli.

Während sie die Kartoffel zu Ende schälte, erkundigte sie sich nach Wolfis Frau.

»Oh, Moni geht es gut. Nach Abschluss ihres Tiermedizinstudiums hat sie eine halbe Stelle bei Beate und Carl in der Tierarztpraxis. Darüber hinaus illustriert sie Carls tierwissenschaftliche Fachbücher. Das macht ihr viel Freude. Zeichnen und Malen, alles, was mit Kunst zu tun hat, war schon immer ihre Herzensangelegenheit. Sie hat sich oben unterm Dach ein Studio eingerichtet. Sie sagt, das sei ihr Himmelreich auf Erden«, erzählte Wolfi stolz.

»Das freut mich, dass es Moni gut geht«, sagte Walli.

Sie stand auf und wischte sich die Hände ab. Dann holte sie einen Becher aus dem Küchenschrank und schenkte Wolfi aus der Thermoskanne Bohnenkaffee ein.

»Willst du Zucker und Sahne?«, fragte Walli.

»Danke, ich trinke ihn schwarz«, antwortete Wolfi. »Das soll schön machen.«

Walli lachte laut.

»Du bist doch ein schöner Bursche. Willst du noch schöner werden?«, scherzte Walli.

»Nun aber mal ernst, Walli. Ich weiß, dass du über alles Bescheid weißt. Wie geht es Chris?«

Walli setzte sich wieder und begann, die nächste Kartoffel zu schälen. Sie schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie nachdenklich:

»Körperlich ist wohl alles in Ordnung mit ihr, Wolfi. So ein richtiger Unfall war es nicht, das weißt du ja. Trotzdem sieht sie aus, wie ein Tropfen Wasser.«

Durch die offenen Fenster war Martins Geländewagen zu hören.

»Ah, da kommt Martin, dann kannst du ihn selbst fragen«, sagte Walli.

Martin brachte die Blutproben, die er bei den Hausbesuchen gemacht hatte, der Sprechstundenhilfe. Sie machte sie gleich zum Versand fertig.

Dann betrat er die Küche.

»Mei, Wolfi, grüß Gott!«, sagte Martin erfreut.

Wolfi begrüßte ihn herzlich. Zu Walli sagt er:

»Katja ist bei Veronika. Sie will etwas für Eric aus dem Katalog bestellen.« Er schmunzelte. »Ich schätze, es dauert, bis sie kommt. Sicher sitzen Veronika und Katja noch eine Weile im Lager hinter dem Laden, und tratschen. Es sei ihnen gegönnt.«

Er holte einen Becher und schenkte sich Kaffee ein.

»Du willst sicher wissen, wie es Chris geht«, bemerkte Martin.

»Genau, darum geht es mir«, antwortete Wolfi und sah ihn ernst an.

Martin runzelte die Stirn.

»Bevor ich auf meine frühe Hausbesuchsrunde fuhr, habe ich nach Chris geschaut. Ich dachte, sie schläft noch. Irrtum! Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett. Dicke Tränen kullerten ihr über die Wangen. Ihr Taschentuch war nass. Ich gab ihr meines. Dann setzte ich mich zu ihr auf die Bettkante und wartete, bis sie sich wieder gefasst hatte. Dann fragte sie, warum sie weint. Sie antwortete, ach nur so, ich muss einfach weinen.«

Martin seufzte. Währen er Kaffee trank, kräuselte er die Stirn.

»Wolfi, ich werde aus dem Madl nicht schlau. Ich habe sie heute Morgen noch einmal gründlich untersucht. Sie ist körperlich völlig gesund. Es war auch kein richtiger Unfall. Okay, sie hat mit dem weitausladenden Seitenspiegel den Baum berührt. Ich dachte, vielleicht hat sie eine Schulterzerrung, weil ihr der Lenker möglicherweise herumgerissen wurde. Aber nix da.«

»Sie heult nur«, sagte Wolfi leise.

»Genau, Chris ist sehr nah am Wasser gebaut. Wie du mir gestern Abend erzählt hast, benahm sie sich in der letzten Zeit ein bisserl sonderbar. Es muss dafür einen Grund geben. Sag mal, Wolfi, könnte es sein, dass sie Liebeskummer hat?«

»Liebeskummer?«, wiederholte Wolfi erstaunt.

Er zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht, ob Chris einen Burschen hat oder sich etwas anbahnte, was dann in die Brüche ging. Wenn es um Liebe geht, ist sie verschlossen wie eine Auster. Ich weiß, dass sie sich hin und wieder mal mit Kolleginnen in München trifft, gelegentlich über das Wochenende. Dann gehen sie ins Kino, essen im Biergarten und meistens besuchen sie anschließend eine Disco. Kino, Essen, Disco ist jedes Mal die Aufzählung, wenn ich sie frage. Wenn ich frage, ob sie mit feschen Burschen getanzt habe, wird sie böse. Ich weiß, dass Chris einmal mit jemanden zusammen war. Aber das war, bevor sie nach Waldkogel kam. Genaues weiß ich nicht. Aber irgendwann wollte er wieder mit ihr anbändeln, aber sie wollte nicht. Das habe ich so im Hintergrund mitbekommen. Sie hat auch nie darüber gesprochen. Mehr kann ich dir nicht sagen, Martin. Chris ist eine wunderbare Kollegin. Auf sie ist absolut Verlass. Charakterlich ist sie ein Mensch mit einem großen Herzen. Das brauche ich dir nicht zu sagen, Martin. Du kennst sie.«

Sie schwiegen eine Weile und dachten nach. Martin sagte schließlich:

»Mit Chris stimmt etwas nicht, Wolfi. Ich habe ihr ein Schlafmittel gegeben. Alle Patienten schlafen lange auf das Medikament. Chris muss eine sehr hohe Adrenalinausschüttung haben, denn das Mittel hatte bei ihr nur kurz gewirkt. Deshalb habe ich sie heute Morgen richtig abgeschossen, wie man salopp sagt. Ich hoffe, sie schläft bis zum Nachmittag. Schlaf ist die beste Medizin, sagt der Volksmund. Das stimmt auch.«

»Sie schläft tief und fest, Martin«, sagte Walli. »Als du unterwegs warst, habe ich nach ihr geschaut. Sascha hat auch nach ihr gesehen, bevor der erste Patient zur Blutabnahme kam.«

Wolfi schüttelte den Kopf und sagte:

»Zu mir hat sie nur gesagt, sie sei urlaubsreif. Kann man so erschöpft sein? Mir ist das ein Rätsel.«

»Nun ja, sie könnte ein Burn-out haben, wie man neudeutsch und modisch sagt. Früher hieß das Erschöpfungszustand«, antwortete Martin. »Entschuldige, Wolfi, wenn ich das jetzt sage. Aber so stressig scheint die Arbeit auf der Wache nicht zu sein.«

Wolfi grinste.

»Bei Gott, Waldkogel ist sehr friedlich.«

Dann musste er herzlich lachen.

»Martin, im Vertrauen, wir müssen die Berichte etwas aufbauschen. Nicht, dass irgendwelche Vorgesetzten auf die Idee kommen, die Wache könne man schließen oder einer von uns beiden sei entbehrlich.«

»Himmel wirklich?«, rief Martin aus.

»Doch, es war schon einmal die Rede davon. Irgend so ein Oberfuzzi hat letztes Jahr für Unruhe gesorgt. Die Kollegen aus Kirchwalden könnten Waldkogel mitbetreuen, meinte er.«

»Wolfi, das ist Schwachsinn. Sie kennen sich nicht in den Bergen aus. Wie sollte das gehen? Nehmen wir mal an, eine Alm ruft an, weil sie einen Einbruch melden will oder sonst etwas passiert ist. Wie sollten die Kollegen aus Kirchwalden die Almhütte finden? Das ist wirklich eine lächerliche Idee«, sagte Martin heftig.

»Das stimmt, außerdem hat man Chris hierher versetzt, weil sie als Motorradfahrerin schnell in den Bergen vorankommt.«

»Genauso war es, Wolfi. Aber zurück zum Anfang! Chris Erschöpfung kann also nicht von Überarbeitung kommen.«

Martin goss sich Kaffee nach.

»Ihr wechselt euch doch mit dem nächtlichen Bereitschaftsdienst ab. Müsst ihr nachts oft raus?«, fragte Martin.

»Nein, Waldkogel ist ein sehr friedlicher Ort. Außerdem kennt man sich. Die meisten Sachen haben Zeit bis zum Morgen. Du wirst ähnliche Erfahrung mit deinen Patienten haben, Martin.«

»Das stimmt. Sie rufen nur mitten in der Nacht an, wenn es gar nicht mehr anders geht. Aber ich habe meine Erfahrung. Meistens geschieht das nach einem runden Geburtstag. Da essen und trinken alle mehr. Dann weckt sie nachts die Galle. Nicht nur die Jugend kann über die Stränge schlagen, Wolfi. Die alten Herrschaften sind oft noch unvernünftiger. Sie essen mehr als sonst, fett und süß und viele Sachen, die ihnen nicht bekommen. Dazu Wein und Bier und Obstler. Das müssen sie dann büßen. Wer nicht hören will, muss fühlen, Wolfi.«

Sie mussten beide schmunzeln.

»Ein bis zwei Mal im Jahr rufen die Kollegen aus Kirchwalden an«, sagte Wolfi, »und bitten um Amtshilfe, wenn es mal wieder Auffahrtsunfälle auf der Landstraße gegeben hat.«

Martin wusste Bescheid. Wenn es viele Verletzte gab, wurde er hinzugezogen.

»Also halten wir fest, wirklich gestresst kann Chris nicht sein. Doch was hat sie? Wolfi, Weinkrämpfe müssen eine Ursache haben. Ich habe zusammen mit Sascha Chris Blut gründlich untersucht. Sie ist gesund. Ihre Blutwerte zeigen keinerlei krankhafte Auffälligkeiten. Die Blutwerte könnte man in jedem medizinischen Lehrbuch abdrucken als Beispiel für Normalwerte. Okay, Sascha und ich wollen auf Nummer sicher gehen. Man kann sich immer mal irren, auch zwei können sich irren. Deshalb hat Sascha mit dem Klinikum in München telefoniert und ganz früh per Kurier eine Blutprobe hingeschickt. Im Labor einer großen Klinik hat man ganz andere Möglichkeiten, als ich hier in der Praxis habe. Das gilt auch für das Labor in Kirchwalden, zu dem ich die Blutproben gewöhnlich hinschicke. Sascha und ich hoffen, dass die Kollegen in München etwas herausfinden. Sie haben versprochen, die Proben gründlich zu untersuchen. Aber das dauert ein paar Tage. Detaillierte Untersuchungen brauchen Zeit. Leider habe ich nur wenig Geduld.«

Martin trank wieder einen Schluck Kaffee.

»Wie ist das bei dir als Polizist, Wolfi? Es ist etwas geschehen, du musst alles aufnehmen, Beteiligte befragen und einen Bericht schreiben. Alles erscheint dir logisch. Kommt dir nicht trotzdem gelegentlich das Gefühl, dass es da Ungereimten geben könnte?«

»Du meinst, dass sich mein Bauchgefühl meldet. Martin, das gibt es. Es ist dann alles zu glatt gegangen. Innerhalb der Polizei gibt es eine Abteilung für alte Fälle. Es gibt Verbrechen, die nie aufgeklärt werden konnten, oder bei erfahrenen Ermittlern die Alarmglocken klingeln.«

»So ähnlich geht es mir bei Chris. Okay, es kommt vor, dass sich auch bei leichten Unfällen etwas später die Emotionen entladen. Aber Chris ist nicht der Typ dazu. Ich wiederhole mich, Wolfi. Ich will nur sagen, dass ich beunruhigt bin. Außerdem kommt noch etwas dazu. Chris ist eine sehr sichere Motorradfahrerin. Sie fuhr in der Polizeistaffel mit, die wichtige Personen beschützen. Da kommt niemand so einfach rein. Aber du weißt darüber besser Bescheid, Wolfi.«

»Es ist ein sehr strenges Ausleseverfahren. Die Prüfungen gehen über Wochen. Chris hat mir davon erzählt. Ich bewundere sie, dass sie es geschafft hat«, sagte Wolfi.

»Siehst du! Und deshalb kann ich mir schlecht vorstellen, dass sie die Kontrolle über ihr Motorrad verloren hat. Und wenn, warum war es ihr nicht gelungen, den Lenker herumzureißen? Diese Frage drängt sich mir einfach auf«, sagte Martin.

»Hat Pfarrer Zandler nicht das Ganze beobachtet? Vielleicht solltest du noch einmal mit ihm sprechen«, schlug Wolfi vor.

»Gute Idee, Wolf! Zandler war sofort bei Chris und hat sie gestützt. Ich werde später im Pfarrhaus vorbeischauen, wenn ich meine zweite Runde Hausbesuche mache«, sagte Martin.

Wolfi schaute auf die Uhr.

»Es wird Zeit für mich. Ich muss gehen. Wie lange wirst du Chris hierbehalten? Ich muss dem Personalbüro melden, dass Chris nicht im Dienst ist. Wahrscheinlich wird eine Vertretung kommen.«

Martin seufzte hörbar.

»Ich möchte Chris hierbehalten, bis sie seelisch stabiler ist. Wie du weißt, betreibe ich die Bettenstation nicht offiziell. Ich betrachte sie als Räumlichkeit für Gäste«, blinzelte Martin. »Außerdem kann niemand einen Patienten gegen seinen Willen festhalten. Dass jemand, der ein richtiges Krankenhaus verlassen will, unterschreiben muss, damit er gehen darf, ist … Ich sage es deutlich. Es ist Nötigung. Ein Krankenhaus ist kein Gefängnis. Viele haben das nicht verstanden. Aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es um Chris. Ich werde versuchen, sie davon zu überzeugen, noch ein paar Tage Urlaub hier zu machen.«

»Verstehe«, murmelte Wolfi.

»Mei, es muss doch niemand wissen, dass Chris hier ist!«, platzte Walli heraus. »Wenn einer von euch beiden einen freien Tag hat, dann kommt doch auch keine Unterstützung, oder?«

Sie hatte sich die ganze Zeit ihre eigenen Gedanken gemacht.

»Sei nicht so phantasielos, Wolfi!«, fuhr sie fort. »Chris feiert Überstunden ab. Basta! Da musst du nur etwas am Dienstplan schrauben. Und sollte ein wichtiger Anruf kommen, dann ist Chris einfach auf Patrouille in den Bergen. Es gibt genug Funklöcher in den Bergen. Mei, eine Ausrede wird dir schon einfallen, wenn es hart auf hart kommt. Ich finde, man sollte Chris den Rücken freihalten. Und wenn sie nicht hier auf der Bettenstation bleiben will, Martin, kann sie doch oben ein Gästezimmer beziehen. Ich werde mal gleich eins fertigmachen. Ulrike hatte lange eines der Gästezimmer benutzt. Außerdem kann ich Chris jederzeit drüben bei mir im Altenteil aufnehmen. Also Schluss der Diskussion! Jetzt muss Chris erst einmal ausschlafen. Dann bekommt sie etwas Kräftiges zu essen. Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen. Das weiß man von altersher.«

Walli schaute Martin an.

»Martin, ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Du bist ein guter Doktor. Du hast oft eine Ahnung. Körper und Geist sind eine Einheit. Den Alten war das noch mehr bewusst. Heute wird das meistens verdrängt. Nun ja, vielleicht kommen die Leute wieder drauf. Du weißt doch, wie das ist, Martin. Wenn jemand Kummer hat, wenn er unglücklich ist, wird er schneller krank. Der Körper schreit um Hilfe. Es ist doch ganz einfach. Wenn jemand glücklich ist, hat er Herzklopfen vor Glück. Zum Beispiel, wenn er verliebt ist. Ist jemand unglücklich, trägt er eine schwere Bürde und wird herzkrank. Ich habe nicht Medizin studiert. Ich verfüge nur über gesunden Menschenverstand. Hör auf, nach ausgewöhnlichen Blutwerten zu suchen! Sollten du oder die Laborärzte in München welche finden, dann ist die Ursache wahrscheinlich seelischer Natur. Das ist meine unmaßgebliche Meinung. Martin, ich gebe dir den Rat, mach Chris nicht noch mehr verrückt! Sie soll noch eine Weile hierbleiben. Es wird ihr guttun, raus aus dem Alltagstrott zu sein. Sie kann schlafen, essen, sich in den Garten setzen, was immer, sie will. Sie kann mit Eric spielen, sie kann lesen oder nichts tun. Es ist ein Irrtum der modernen Zeit, Nichtstun zu verurteilen. Im Gegenteil, das Nichtstun ist notwendig und nützlich. Chris soll die Seele baumeln lassen. Vielleicht ist es wirklich so, dass das Madl nicht weiß, warum ihr die Tränen kommen.«

Walli seufzte. Sie schälte die letzte Kartoffel. Anschließend wickelte sie das Zeitungspapier mit den Kartoffelschalen zusammen.

»So jetzt hast du uns einen Vortrag gehalten, Walli«, schmunzelte Martin.

»Ja, das habe ich. Klar, dass ihr euch Sorgen macht. Das verstehe ich. Aber ihr … besonders du, Martin, du steigerst dich da in etwas hinein. Eigentlich müsstest du es besser wissen. Tränen schaffen Erleichterung. Das weißt du auch. Sie kommen oft einfach so. Über viele Jahre können sich kleine Ärgernisse, Kränkungen, Enttäuschungen oder die Schmerzen über erfahrene und erduldete Demütigungen und Verletzungen anstauen. Jedes Ereignis ist für sich allein genommen vielleicht gar nicht so schlimm. Aber sie häufen sich an. Dann passiert eine Kleinigkeit und alles bringt hervor. Ich kann mir vorstellen, dass es bei Chris so sein könnte. Wenn sie sagt, dass sie nicht weiß, warum sie weint, kann es wirklich so sein.«

Martin hörte aufmerksam zu.

Wolfi schaute wieder auf die Uhr. Er trank den letzten Schluck Kaffee aus und stand auf.

»Pfüat di zusammen!«, sagt er. »Wenn Chris wieder wach ist, ruft bitte an! Ich möchte sie besuchen,«

Martin versprach es und brachte ihn zur Haustür.

»Ich melde Chris erst einmal nicht krank«, flüsterte Wolfi. »Walli hat mir eine Anregung gegeben. Sie feiert einfach Überstunden ab.«

»So ist es recht«, antwortete Martin.

Sie schüttelten sich die Hände.

Wolfi ging. Martin kehrte in die Küche zurück. Er nahm noch einen Becher Kaffee und setzte sich zu Walli an den Tisch. Sie hatte inzwischen die Kartoffeln aufgestellt. Sie wollte zu Mittag Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Speck machen. Dafür kochte sie die Kartoffeln gar. Als Beilage sollte es frischen Salat aus dem Garten geben.

»Du hast es uns mächtig gegeben, Walli, besonders mir«, sagte Martin.

»Kann sein. Ich wollte dich nicht kritisieren, aber ich denke, du könntest die Sache einfach ein bisserl ruhiger angehen, verstehst du?«

Martin atmete tief durch.

»Walli, ich bin Arzt. Ich will heilen. Dazu muss ich wissen, an was die Person erkrankt ist. Ich will mir später keine Vorwürfe machen müssen, ich hätte etwas übersehen.«

»Das ist mir klar. Ich sage es noch einmal. Du bist ein guter Arzt. Aber kein Mensch ist vollkommen.«

»Wie meinst du das jetzt?«, fragte Martin.

»Martin, ich erinnere mich gut, wie das damals war, als Sebastian hier mit hohem Fieber lag. Es dauerte eine Weile, bis raus war, dass er an Malaria erkrankt ist. Da hast du dir Vorwürfe gemacht, dass du nicht eher diese schlimme Krankheit in Betracht gezogen hast. Es hat dich ziemlich heruntergezogen.«

»Ja, so war es«, sagte Martin leise und seufzte.

»Jedenfalls kenne ich dich gut. Ich habe miterlebt, wie du als Bub hier groß geworden bist. Du hast studiert und die Praxis des alten Doktors übernommen. Du hast deine Arbeit immer sehr ernst genommen. Du warst immer Bist gewissenhaft. Aber seit Sebastians Baumbergers Malariaerkrankung hast du dich verändert.«

»So?«, raunte Martin.

»Ja, das hast du. Du nimmst die Beschwerden deiner Patienten sehr viel schwerer als früher. Unbewusst hast du Angst vor einer Fehldiagnose. Denk mal darüber nach, Martin!«, sagte Walli.

Ihre Stimme hatte einen fürsorglichen Klang. Sie lächelte Martin liebevoll an.

Martin schwieg. Er betrachtete den Kaffee in seinem Becher.

»Martin, weil ich schon mal dabei bin, dir vielleicht ein paar Sachen aufzutischen, die dir weniger gefallen, noch etwas. Aber vorab eine andere Sache. Es ist keine Kritik. Es sind nur meine Beobachtungen und die Fragen, die sich daraus für mich ergeben. Also, da will ich dich mal an etwas Grundsätzliches erinnern. Mannsbilder und Weiber sind verschieden, nicht nur was den Körper angeht. Aber es hängt eng mit der Körperlichkeit zusammen. Auch die Erziehung in der Gesellschaft hat die Unterschiede beeinflusst. Madln sind weicher. Sie sind empfindsamer. Sie heulen schon mal einfach los, wenn ihnen etwas zu viel wird. Danach geht es ihnen besser. Mannsbilder lassen sich kaum etwas anmerken. Sie spielen den Helden, selbst wenn sie sich elend fühlen. Es geht aber noch weiter. Wenn Frauen weinen, erwachen beim Mann die Beschützerinstinkte. Dagegen bist du auch nicht gefeit. Chris strauchelte mit ihrem Motorrad. Die Beschädigungen an der Maschine sind nicht der Rede wert. Sie selbst blieb unverletzt. Aber sie heult. Da läuten bei dir die Alarmglocken. Du bist eben ein mitfühlender Mann und Arzt. Die meisten Burschen werden bei Tränen von Madln weich. Das verurteile ich nicht. Leider gibt es auch Weiber, die das gnadenlos ausnutzen. Das ist eine anders Sache und die lasse ich jetzt außer Acht. Bei Chris ist das nicht so. Bei ihr ist das Fass zum Überlaufen gekommen. Warum das so ist, darüber kann man nur rätseln. Ich gebe dir einen Rat. Lass sie sich ausheulen. Chris ist ein starkes Madl. Ihr wird es peinlich sein, dass sie weint. Und solange ihre die Tränen aus den Augen kullern, wird sie nicht reden. Erst wenn aller Kummer aus ihrem Herzen herausgeschwemmt ist, hast du vielleicht eine Chance, den Grund zu erfahren. Das wird auch nicht gleich geschehen, wenn überhaupt. Es kann dauern, bis Chris Abstand gewonnen hat und etwas sagt. Es kann auch sein, dass wir nie etwas erfahren. Ich sage dir, warte ab. Tröste sie, ohne weiter in sie zu dringen. Chris ist ehrgeizig. Sie stellt an sich selbst hohe Anforderungen. Es kann auch sein, dass sie sich den kleinen Fahrfehler nicht verzeiht. Warte ab!«

Martin musste schmunzeln und sah Walli an.

»Alles, was du mir eben gesagt hast, kann ich nicht abweisen. Es ist schon so. Das betrifft meine Sorge, ich könnte eine Krankheit übersehen. Es gilt für die Tränen der Madln. Walli, ich werde darüber nachdenken. Außerdem habe ich alles getan, was ich tun konnte. In einigen Tage sind alle Untersuchungsergebnisse aus München da. Sascha, der einen sehr guten Draht zu den Kollegen in München hat, wird vorher schon Einzelheiten erfahren. Es gibt natürlich Beschwerdebilder von bestimmten Krankheiten, die auf Mangelerscheinungen oder einen Überschuss bestimmter Bodenstoffe zurückzuführen sind. Liegt so etwas vor, kommt es zu Entgleisungen von Gefühlen, wie es im Augenblick bei Chris zu sehen ist. Aber im Grunde hast du recht, Walli. Es ist sinnlos, zu grübeln. Ich muss einfach abwarten.«

»Das ist ein sehr guter Entschluss, Martin.«

Walli schaute auf die Uhr.

»Musst du nicht zu Hausbesuchen?«, fragte sie.

»Ach, es ist nichts Akutes. Ich werde am späten Nachmittag etwas früher losfahren und die aufsuchen, die ich für den späteren Vormittag auf dem Plan hatte. Ich gehe jetzt mit Coco eine Runde durch die Felder.«

»Das ist eine blendende Idee«, stimmte ihm Walli zu.

»Wo steckt Coco überhaupt?«, fragte Martin.

Walli schmunzelte.

»Coco war mir nachgelaufen, als ich nach Chris sah. Sie weiß genau, dass sie die Praxis und die Bettenstation nicht betreten darf. Trotzdem konnte sie es nicht lassen. Also zog ich sie am Halsband aus dem Zimmer und brachte sie in den Garten. Sie hat genau verstanden, dass sie ungehorsam war. Sie verzog sich mit eingezogenem Schwanz in die Laube und legte sich dort unter den Tisch.«

Walli schmunzelte.

»Ein bisserl verstehe ich Coco. Sie ist unruhig. Eric ist bei Sebastian in München. Dass Eric am Abend nicht heimkommt, ist für Coco neu.«

»Das stimmt. Sie hatte sich zwar in Erics Zimmer hingelegt, aber sie lief heute Nacht im Haus herum. Sie war unruhig, weil Eric nicht daheim war.«

»So wird es sein«, sagte Walli. »Ich nehme Coco heute Abend mit zu mir hinüber. Ich freue mich, dass Eric Abwechselung hat.«

»Das freut mich auch. Auch wenn ich etwas unruhig bin.«

Walli lachte laut.

»Das ist normal, Martin. Eric ist dein Bub. Da möchtest du jede Minute wissen, was er macht und wie es ihm geht.«

»Kann schon sein«, murmelte Martin leise.

Er trank seinen Kaffee aus.

»So ich schaue noch einmal nach Chris. Dann gehe ich los.«

»Martin, du gehst gleich. Ich sehe nach Chris. Los, raus mit dir! Außerdem ist Chris nicht ohne ärztliche Aufsicht. Sascha hat heute Sprechstunde. Sollte ich der Meinung sein, sie braucht einen Arzt, rufe ich Sascha. Du machst einen schönen langen Spaziergang. Nimm dir genügend Proviant mit! Es genügt, wenn du hier bist, wenn du deine Hausbesuche machen willst«, sagte Walli.

»Walli …«, Martin wollte etwas dazu sagen.

»Nix da, Walli!«, fiel sie ihm ins Wort.« Du gehst und du gehst, ohne nach Chris zu sehen! Sonst gehst du vielleicht nicht und das wäre nicht gut für dich. Du muss deine innere Ruhe wiedergewinnen, Martin. Du achtest auf deine Patienten und ich achte auf dich.«

Walli holte einen Rucksack und packte schnell Proviant ein.

»Hier bitte!«, sagte sie.

»Bist schon ein Schatzerl, Walli«, sagte Martin.

»Das will ich doch hoffen«, erwiderte sie und lachte.

Martin griff nach Cocos Leine.

Er öffnete die hintere Küchentür, die zum Garten führte, und rief nach der Boxerhündin.

Coco kam sofort laut bellend angestürmt. Sie sprang kurz an Martin hoch und lief dann hinaus auf den Hof.

Martin lächelte.

Er verabschiedete sich von Walli und ging.

Walli stellte die leeren Kaffeebecher in die Spülmaschine und sah nach den Kartoffeln. Sie kochten, waren jedoch noch nicht gar. Sie schaltete den Herd herunter, damit sie vor sich hin sieden konnten.

Danach ging sie in den Garten und holte Salat.

*

Es war früher Nachmittag. Walli saß am Küchentisch und beugte sich über die Zeitung. Sie hörte Schritte und sah auf.

Chris betrat die Wohnküche. Sie hatte ihre Polizeiuniform angezogen. Verlegen blieb sie im Türrahmen stehen.

»Katjas Jogginganzug, den sie mir geliehen hat, habe ich auf den Stuhl gelegt. Das Bett habe ich abgezogen und zum Lüften ausgelegt«, sagte Chris.

Ihre Stimme klang verlegen.

Walli ließ sich nichts anmerken.

»Du siehst gut aus, Madl«, sagte Walli.

Verlegen fuhr sich Chris mit den Fingern durch die Haare.

»Nun, so gut auch nicht«, sagte sie.

Walli schmunzelte.

»Wo ist Martin? Ich will ihn fragen, ob mein Motorrad repariert ist oder wann es fertig ist«, sagte Chris.

»Martin macht einen langen Spaziergang mit Coco. Er wird erst am späteren Nachmittag zurück sein. Sascha ist zuhause. Er kommt zur Abendsprechstunde wieder her. Ich bin allein und genieße die Ruhe. Ich habe ein Kreuzworträtsel in der Zeitung gelöst, weil ich auf dich gewartet habe. Komm mit, wir gehen rüber zu mir! Dort sind wir ungestört.«

Chris sah Walli überrascht an. Sie wagte aber nicht, ihr zu widersprechen. Sie folgte ihr über den Hof hinüber in das kleine Gebäude, ihr Altenteil.

Walli hielt Chris die Tür auf.

»So Madl, herzlich willkommen!«

Im Wohnzimmer war der Tisch liebevoll für zwei Personen gedeckt. Es stand frischer Obstkuchen auf dem Tisch. Die Kaffeekanne war unter einer dicken Hülle verborgen. Chris erinnerte sich an ihre Großmutter, die ebenfalls diese Warmhaltehauben benutzte. In Chris Herz breitete sich die Erinnerung an Geborgenheit aus. Sie sehnte sich danach. Das gute Gefühl übertrug sie auf Walli.

»Setze dich, Madl! Da ich nicht wusste, wie lange du schläfst, dachte ich mir, Obstkuchen kann man immer essen, zu jeder Tageszeit.«

»Oh ja, das stimmt«, antwortete Chris.

Sie zog den Reißverschluss ihrer Dienstjacke auf. Walli sah es.

»Komm mal mit mir! Vor dem gemütlichen Kaffeeklatsch ist es besser als hinterher«, sagte Walli.

Sie griff nach Chris Hand und schob sie in das hinter dem Wohnzimmer liegende Schlafzimmer.

Auf dem Bett lag ein Dirndl und auf dem Bettvorleger standen verschiedene Paare Schuhe.

»So, Chris, diese Sachen leiht dir Katja aus. Das Dirndl und alles, was dazu gehört, wird dir passen. Ihr habt die gleiche Größe. Da Motorradstiefel nicht zum Dirndl passen, kannst du dir ein paar Schuhe aussuchen.«

»Aber. aber… ich verstehe das alles nicht … was hat das zu bedeuten?«, stotterte Chris.

»Madl, frage nicht so lange und ziehe dich um! Der Kaffee bleibt unter der Haube nicht ewig warm. Ich gehe raus. Während wir gemütlich Kaffee trinken und Kuchen essen, erkläre ich dir alles. Vertraue mir! Du vertraust mir doch?«

Chris musste lächeln. Walli schloss sie spontan in die Arme. Das war zu viel für Chris. Ihre Augen wurden feucht.

»Schluss jetzt mit dem Geflenne!«, sagte Walli mit strengem Unterton. »Du bist nur schwach. Du wirst unterzuckert sein. Da ist man schnell am Wasser gebaut. Beeile dich!«

Dann lächelte sie Chris an und tätschelte ihr die Wange, bevor sie das Schlafzimmer verließ und die Tür zuzog.

Es dauerte nicht lange, dann kam Chris heraus.

»Herzallerliebst siehst du aus«, sagte Walli. »Klar musst du deine Uniform tragen, während du arbeitest. Doch die Uniform verdeckt auch deine Persönlichkeit. Das ist in vielen Berufen so. Setze dich hin.«

Chris stand immer noch, ihre Uniform über dem Arm.

Walli holte eine große Einkaufstüte. Sie nahm Chris die Kleidungsstücke ab und stopfte sie hinein.

»Damit haben wir die Polizistin zu den Akten gelegt«, lachte Walli. »Das Madl Chris setzt sich jetzt hin und lässt sich verwöhnen.«

Walli gab Chris ein großes Stück Obstkuchen auf den Teller und häufte Schlagsahne darauf. Dann schenkte sie Kaffee ein, bevor sie selbst zugriff.

Es war still im Wohnzimmer, nur das Ticken der Pendeluhr an der Wand war zu hören.

Walli sah, wie Chris mit Genuss aß.

»Der Kuchen schmeckt ausgezeichnet, Walli. Er ist wirklich köstlich. Danke für die Einladung!«

»Freut mich, nimm dir noch ein Stück!«

Chris griff zu.

Nach einem dritten Stück legte Chris die Hand in Taillenhöhe auf ihren Magen.

»Mei, bin ich satt. Walli, der Kuchen war so lecker.«

»Du bist auch ein bisserl ausgehungert gewesen, denke ich. Weißt du, Chris, früher sagte man, gutes Essen hält Leib und Seele zusammen.«

Chris lächelte und sagte:

»Gelegentlich hört man den Spruch noch heute. Er stimmt. Früher, als ich noch in München arbeitete, sind wir abends nach einem stressigen Tag in den Biergarten gegangen, die ganze Abteilung. Nach einer herzhaften Brotzeit und einem schönen Bier fühlten wir uns besser.«

Walli teilte den restlichen Kaffee zwischen sich und Chris auf.

»So Madl, ich habe etwas mit dir zu bereden. Ich bin eine alte Frau, auch wenn ich noch ganz rüstig bin. Es hat Vorteile, wenn man alt ist. Da hat man genug Lebenserfahrung gesammelt. Das ist ein Vorteil. Ich sage oft, mir kann niemand ein X für ein U vormachen. Ich rieche den Braten gegen den Wind.«

Chris schmunzelte.

»Also, ich werde dir jetzt einen Vorschlag machen. Nein, ich will andersherum anfangen. Und ich will ehrlich sein. Ich, das heißt, wir alle, sind ein bisserl erschrocken, dass du so nah am Wasser gebaut bist, Chris. Wir waren total überrascht. Du bist doch ein starkes Madl. Wir machen uns Sorgen, besonders Martin.«

Chris lächelte verlegen.

»Es tut mir leid, dass ich euch beunruhigt habe. Ich kann nichts dafür, dass mir in letzter Zeit beim geringsten Anlass die Tränen kommen. Weißt du, Walli, ich bin urlaubsreif. Übernächste Woche ist es soweit. Ich habe zu viele Überstunden gemacht. Als Wolfi Urlaub machte, habe ich ihn Tag und Nacht vertreten, weil wir keine Urlaubsvertretung bekamen. Das hat wohl an meiner Gesundheit gezehrt. Dazu kam, dass ich das Motorrad geschrottet habe.«

Walli rollte mit den Augen.

»Mei, Chris, jetzt übertreibst du mächtig. Geschrottet hast du es bestimmt nicht. Martin hat es von der Werkstatt abholen lassen. Sie haben es sich vor Ort noch angesehen. Sie müssen keine Ersatzteile bestellen. Der Seitenspiegel und die Befestigung sind intakt. Okay, ich kenne mich damit nicht aus. Es soll sich etwas ausgehängt haben und eine Feder ist wohl herausgesprungen. Aber das ist wirklich nichts, was dir Sorgen machen sollte. Martin wird mit dir heute Abend in die Werkstatt fahren. Also entspanne dich, lehne dich zurück und mache dir keine Sorgen!«

»Puh, das höre ich gern. Weißt du, wenn jemand ein Polizeifahrzeug beschädigt oder in einen Unfall verwickelt ist, dann beginnt ein gewaltiger Papierkrieg. Der Fahrer oder die Fahrerin muss zu verschiedenen Vorgesetzten, um Rechenschaft abzugeben. Dazu kommen Nachprüfungen für die Tauglichkeit. Es ist wirklich Horror, sage ich dir. Außerdem, ganz unter uns, es gibt in der Motorradstaffel Kollegen, die mir schon immer meinen Erfolg missgönnt haben.«

»Was sind das für depperte Heinis?«, empörte sich Walli.

»Das müsstest du sie selbst fragen, Walli. Ich war ihnen zu zierlich, nicht stark genug, so eine schwere Maschine zu fahren. Die üblichen Vorurteile. Klar haben sie es mir nie ins Gesicht gesagt. Es wurde hinter meinem Rücken getuschelt und gestänkert. Es waren nicht alle, die so redeten. Viele waren mir wohlgesonnen und warnten mich, wenn man versuchte, mich hereinzulegen. Ich habe die interne Qualifikation für die Motorradstaffel mit Bravour geschafft. Wir waren eine große Gruppe von Anwärtern. Nach und nach schieden viele aus. Er waren einige dabei, die mir übelwollten.«

Walli grinste über das ganze Gesicht.

»Ja, so ist es, Gottes Mühlen mahlen langsam, aber trefflich fein«, sagte sie.

»Hast du Erfolg, hast du Neider. Und es ist so, dass Unfälle, die ein Bursche verursacht, eher verziehen werden als einem Madl. Man spricht zwar von Gleichberechtigung, aber es ist nicht so, wie es aussieht. Es ist alles nur Fassade. Ich bin mir sicher, dass einige noch heute darauf lauern, dass ich einen Unfall baue und die Herrschaft über die schwere Maschine verliere. Und jetzt ist es passiert.«

»Madl, Madl, ich verstehe, dass du dich über dich selbst ärgerst. Dass du dir den kleinen Patzer nicht verzeihst, zeigt mir, du bist eine Perfektionistin, Chris. Das meine ich nicht böse. Jeder sollte seine Arbeit so gut wie möglich machen. Aber du hast die Messlatte für dich selbst etwas zu hochgelegt. Kann das sein?«

»Vielleicht?«, murmelte Chris.

»Das hast du ganz sicherlich, auch wenn es dir nicht bewusst war, Chris.«

»Kann sein«, murmelte Chris erneut.

»Nicht kann sein. Da sind vielleicht Ängste in dir hochgekommen, die dir nicht bewusst waren«, sagte Walli. »Du solltest die Sache ganz nüchtern betrachten. Es ist kaum etwas passiert. Du hast dich nicht verletzt. Der Seitenspiegel ist nicht zerbrochen. Übrigens, Wolfi hat sich nach dir erkundigt. Martin hat mit ihm gesprochen. Er ist auf deiner Seite. Er ist ebenfalls der Meinung, dass kein Vorgesetzter etwas zu erfahren braucht. Das würde nur einen Papierkrieg auslösen, sagte Wolfi. Also mache dir keine Sorgen.«

Chris lächelte zaghaft.

»Wolfi ist ein Kollege, auf den man sich verlassen kann. Wir sind ein gutes Team.«

»Und ob ihr das seid! Er war sehr besorgt um dich. Martin sagte ihm gestern Abend, dass er nicht damit rechnen könne, dass du heute Dienst machst. Deshalb kam er heute früh vor Dienstbeginn vorbei und erkundigtes sich nach dir. Er wollte dich besuchen. Aber du hast geschlafen.«

»Martin hat mir etwas gespritzt, dass mich sofort in die Welt der Träume geschickt hat.«

»Waren es angenehme Träume?«, fragte Walli.

»Ich erinnere mich nicht«, antwortete Chris.

Sie trank einen Schluck Kaffee.

Walli erzählte, dass Wolfi bei ihr in der Küche saß und sie sich unterhalten haben.

»Jetzt rege dich bitte nicht auf, Chris! Wolfi ist dir wohlgesonnen. Er hat mir erzählt, dass du dich in der letzten Zeit anders verhältst.«

»Das gebe ich zu. Er hat mich öfters darauf angesprochen. Er nimmt mir einfach nicht ab, dass ich nur urlaubsreif bin. Ich freue mich auf den Urlaub.«

»Verreist du? Wo geht es hin?«, fragte Walli, obwohl sie es von Wolfi bereits wusste.

»An die See, ich habe mich mit ein paar Madln verabredet, die ich aus meiner Münchner Zeit gut kenne und mit denen ich befreundet bin. Wir haben ein großes Ferienhaus gemietet. Es wird bestimmt schön werden. Das wird auch eine gute Abwechslung sein. Die Berge habe ich hier täglich und kann wandern und klettern gehen, so oft ich will. Also lasse ich mir die frische Seeluft um die Nase wehen.«

»Klingt gut!«, stimmte ihr Walli zu. »Sprich Anna an! Sie stammt aus Hamburg. Vielleicht kann sie dir Tipps geben. Außerdem wird sie sich über einen Besuch von dir auf der Berghütte sehr freuen, da bin ich sicher.«

Walli kam es vor, als huschte für einen Augenblick ein dunkler Schatten über Chris Gesichtszüge. Doch sie schien sich sofort wieder gefangen zu haben.

»Stimmt, Anna könnte mir Tipps geben«, sagte Chris.

Aber es klang nicht überzeugend.

Walli trank einen Schluck Kaffee.

»Also weiter«, sagte Walli. »Wolfi meint, du solltest deine Überstunden abfeiern. Er ist wirklich besorgt um dich. Ich habe nachgedacht und ich plaudere jetzt aus dem Nähkästchen. Behalte es bitte für dich!«

Chris nickte.

»Deine Tränen geben Martin Rätsel auf. Er will dich weiter untersuchen. Er vermutet, hinter deinem dünnen Nervenkostüm könnte etwas anderes stecken. Deshalb will er dich länger auf der Bettenstation behalten.«

Es war nicht zu übersehen, dass Chris erschrak.

»Ganz ruhig, Chris! Ich habe beschwichtigend auf Martin eingeredet. Okay, die Medaille hat immer zwei Seiten. Martin ist ein guter Arzt.«

Walli schmunzelte.

»Er ist noch ein Doktor, der sich um seine Patienten kümmert. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass er etwas übertreibt. Das musst du verstehen. Das hat seine tieferen Gründe. Damals, als Sebastian so krank war, und alle um sein Leben kämpften, hat sich Martin große Vorwürfe gemacht, dass er die Möglichkeit einer Malariaerkrankung nicht in Betracht gezogen hatte.«

»Die meisten hätten nie so etwas angenommen. Malaria hier in den Bergen, der Gedanke war so weit entfernt wie der Mond von der Erde. Als es sich herumsprach, waren alle in Waldkogel geschockt. Ich erinnere mich genau an den Tag. Wolfi hat es mir erzählt, als er morgens auf die Wache kam. Wir waren wie gelähmt. Wir saßen nur da und brachten kein Wort über die Lippen.«

»Uns allen ging es so. Unter uns gesagt, Chris, dies Sache mit der Malaria und Sebastian, hat tiefe Spuren bei Martin hinterlassen. Aber sprich ihn bitte niemals darauf an.«

»Schon klar, Walli. Vielen Dank für dein Vertrauen! Übrigens bei der Polizei gibt es auch so etwas wie Schweigepflicht, wie bei Ärzten und Geistlichen.«

Walli nickte. Sie nippte an ihrem Kaffee.

»Nun, ich wollte dich für einen kleinen Komplott gewinnen, weil es Martin helfen würde. Ich bin überzeugt, dass du gesund bist. Aber ich bitte dich, Martins Spiel mitzuspielen. Es sind doch nur wenige Tage. Du würdest mir damit einen Gefallen tun.«

Chris schaute Walli mit großen Augen an.

»Nun, wenn ich dir einen Gefallen tun kann, mache ich das gerne. Allerdings möchte ich wissen, was du dir darunter vorstellst.«

»Gut, ich sage dir jetzt, wie ich es mir vorgestellt habe. Du bleibst hier, allerdings nicht auf der Bettenstation. Du kannst hier bei mir sein oder ein Gästezimmer drüben in der oberen Etage beziehen. Ich dachte mir, du quartierst dich in einem der Zimmer ein, die nach hinten hinaus in den Garten gehen. Wahrscheinlich wird dir Martin noch einige Tage Blut abnehmen und du musst einige Infusionen über dich ergehen lassen. Aber das kann alles heimlich geschehen. Du musst dich nicht in den Praxisräumen aufhalten. Niemand wird dich sehen und nichts wird sich herumsprechen. Du könntest auch jeden Tag zum Blutabnehmen und zur Behandlung herkommen. Aber dann gäbe es vielleicht ein bisserl Gerede. Das sollte vermieden werden. Nun gut, du weißt selbst, dass es die Waldkogeler nicht böse meinen. Doch was sie nicht wissen, darüber können sie nicht tratschen.«

Chris schwieg. Sie spielte mit ihrer Kuchengabel, ließ sie zwischen den Fingern auf und ab wippen.

Walli sprach weiter.

»Ich bitte dich herzlich, dich darauf einzulassen. Tue es für Martin! Außerdem könntest du die Tage als Kur ansehen. Reiche Leute gehen auch mal in Kur, ohne krank zu sein, und lassen sich bekuren. Damit meine ich die Manager und die Großkopferten. Das verstehst du sicher, oder? Ich bekoche dich. Wir machen uns eine schöne Zeit. Es sind nur einige Tage.«

»Ich habe noch viele Überstunden. Martin muss es so drehen, dass ich nicht krankgemeldet werde«, sagte Chris.

»Oh, das heißt, du bist damit einverstanden«, sagte Walli.

Chris hob abwehrend die Hand.

»Langsam, langsam, Walli, bitte nicht so schnell! Ich habe nur laut nachgedacht. Entschieden habe ich noch nichts«, antwortete Chris.

»Aber du lässt dir die Sache durch den Kopf gehen?«, bohrte Walli weiter.

Chris strich sich Haarsträhnen hinter die Ohren. Sie wiegte den Kopf hin und her.

»Walli, erwartest du jetzt auf der Stelle eine Antwort?«

»Nein, ich erwarte sie nicht, ich hoffe darauf. Sei mal ehrlich zu dir selbst, Madl! Es ist doch nicht normal, dass sich eine kleine Unpässlichkeit, ein winziger Fahrfehler so aus der Bahn wirft? Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass du ziemlich erschöpft bist. Das ist keine Schande. Nenne mir einen Menschen, der eine solche Krise in seinem Leben noch nicht erlebt hat! Viele klitzekleine Ereignisse türmen sich zu einem Berg auf, ohne dass es einem bewusst ist. Oder anders gesagt. Jeder Tropfen höhlt den Stein, Chris. Du bist eine großartige Motorradfahrerin. Ich habe da eine ganz persönliche Theorie. Du bist ein bisserl kraftlos. Deshalb ist dir dieser Fahrfehler passiert. Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass du urlaubsreif bist. Anders kann ich es mir nicht vorstellen, warum du die Beherrschung über das Motorrad verloren hast.«

Walli sah Chris eindringlich an.

»Chris, es ist keine Schande, sich selbst einzugestehen, dass man erschöpft ist, dass man im Augenblick nicht über Superkräfte verfügt. Im Gegenteil dieses Eingeständnis ist ein Zeichen von Stärke, von Größe. Außerdem passieren die meisten Unfälle aus Müdigkeit, aus Überforderung. Denke mal an die vielen Unfälle im Haushalt? Martin bekommt verschiedene Zeitschriften. Darin stehen auch die jährlichen Unfallberichte nach Sachgruppen geordnet. Die lese ich immer sehr gern. Viele, wirklich sehr viele, wären zu vermeiden gewesen. Bei Müdigkeit sollte sich niemand hinter das Steuer setzen oder auf eine Leiter steigen. Auch wenn Gedankenschwere das Hirn vernebelt, wäre es ratsam, fünf gerade sein zu lassen. Aber damit erzähle ich dir bestimmt nichts Neues.«

»Nein, das tust du nicht. Ich kenne die Unfallstatistiken. Da fragt man sich oft, warum es zum Unfall kam. Wie konnte jemand auf einer schnurgeraden Straße in den Graben fahren? Oft waren die Fahrer übermüdet und erschöpft. Ja, ich gebe zu, ich bin etwas kraftlos, ausgepowert, wie man modern sagt. Ich schlafe schlecht, liege nachts oft wach. Meistens schlafe ich erst gegen Morgen ein. Der Wecker holt mich dann aus dem Tiefschlaf. Ich pumpe mich mit Kaffee voll. Es ist wirklich höchste Zeit, dass ich Urlaub mache.«

Walli lächelte verständnisvoll.

»Das kenne ich. Schlaflosigkeit ist schlimm. Da kommen mir tausend Gedanke, alte Erinnerungen kommen hoch. Schnell gerade ich ins Grübeln und werde immer wacher und wacher.«

»Genauso ist es, Walli«, stimmte ihr Chris zu. »Und was machst du dann?«

»Aufstehen! Ich stehe auf und beschäftige mich mit etwas. Hier ist immer etwas zu tun. Auch weil ich eigentlich meistens drüben bin. Seit Eric zur Familie gehört, hat sich so manches geändert. Ich nehme mir Zeit, um mit Eric ein Brettspiel zu machen oder wir unternehmen sonst etwas zusammen. Ich fülle die Großmutterrolle aus. Eric leistet mir meistens Gesellschaft, wenn ich im Garten bin. Er interessiert sich sehr für Gartenarbeit und will alles über Pflanzen wissen. Da bleibt für meinen eigenen Haushalt nicht viel Zeit. Also widme ich mich den Sachen in den schlaflosen Nächten. Zum Beispiel poliere ich das Silber. Ich mache mir dazu leise Radiomusik an. Das geht dann meistens eine Stunde oder so. Danach krieche ich wieder ins Bett«, erzählte Walli.

Chris betrachtet die silberne Kuchengabel. Sie schmunzelte.

»Ich besitze kein Silberbesteck. Vielleicht sollte ich mir welches kaufen. Wenn das Polieren von Silber so schön entspannt, lohnt es sich«, sagte Chris.

»Probiere es erst einmal aus, Chris. Ich kann dir gern Besteck und Putzmittel ausleihen«, sagte Walli.

Sie lachten beide.

»Ich denke, das ist nicht nötig«, sagte Chris. »Im Grunde mache ich es ähnlich. Ich habe nachts schon Schränke ausgewaschen, neues Schrankpapier reingelegt und so weiter.«

»Du bist doch eine junge moderne Frau, Chris. Du benutzt noch Schrankpapier?«

Walli war erstaunt.

»Klar mache ich das. Ich finde es sehr schön. Ich habe immer einen Vorrat daheim. Außerdem habe ich alte Holzmöbel. Da ist nix mit Plastikbeschichtung. Da gehört Schrankpapier auf die Einlegebretter. Weißt du, was sich auch gut dafür eignet, sind Tapeten. Das ist noch preiswerter und die Auswahl ist größer. Wenn ich in München bin, stöbere ich oft in Raumausstatter-Geschäften. Es gibt immer Tapetenreste, Muster, von denen es nur noch eine oder zwei Rollen gibt. Es sind oft sehr teure Tapeten, die dann verschleudert werden, weil sie nicht mehr nachbestellt werden können.«

»Mei, das ist eine gute Idee. Ich kaufe mein Einlegepapier bei Veronika im Laden. Die Auswahl ist nicht sehr groß. Nicht weil Veronika keine große Auswahl hat, das Angebot der Hersteller wird immer geringer. Es gibt kaum noch schöne Blumenmuster, nur Punkte und Karos.«

»Das weiß ich. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich das nächste Mal nach München fahre. Ich kann gern für dich einkaufen. Wir machen das so. Du hast doch ein Handy.«

»Das benutze ich kaum.«

»Dann rufe ich Katja an. Ich schicke Photos. Du suchst dir ein Muster aus und ich bringe es dir mit.«

»Chris, das ist eine ausgezeichnete Idee. Du bist ein kluges Madl. Du musst es auch nicht umsonst machen«, antwortete Walli.

»Schmarren!«, schimpfte Chris. »Du kannst mich höchstens mal wieder zu so einem leckeren Obstkuchen einladen.«

»Das ist doch ein Wort. So machen wir es«, sagte Walli. »Backst du auch?«

»Eher selten, Walli. Ich bin allein. Da lohnt sich ein Kuchen nicht. Meistens gebe ich Wolfi die Hälfte ab. Aber an der anderen Hälfte esse ich eine Woche. Das ist so bei Alleinstehenden.«

»Das verstehe ich. Nun, vielleicht findest du einen feschen Burschen und bekommst eine Familie«, bemerkte Walli.

»Ach, das Thema lassen wir lieber, Walli.«

»Oh, ich wollte dir nicht zu nahetreten, Chris.«

»Ist schon gut, Walli. Ich bin nur etwas dünnhäutig, was das Thema betrifft. Es nervt mich, wenn ich darauf angesprochen werde. Alle wundern sich, wenn ein Madl von Mitte dreißig noch ledig ist. Dabei geht das niemanden etwas an.«

»Das stimmt. Sei nachsichtig, Chris! Du bist ein fesches Madl. Du siehst nicht wie Mitte dreißig aus. Du hast Ausstrahlung. Ich will nur noch die eine Bemerkung machen, dann bin ich auch still. Solch ein Madl müsste doch jedem Burschen auffallen.«

»Das stimmt schon, Walli. Aber ich bin sehr wählerisch. Einige meiner Freundinnen haben sehr früh geheiratet und sich offensichtlich für den falschen Burschen entschieden. Das war mir eine Warnung. Ich sage immer, es ist wie bei Pralinen. Sie können sehr schön aussehen, müssen aber nicht schmecken«, erklärte Chris.

Walli brach in schallendes Gelächter aus.

»Das ist ein guter Spruch, den muss ich mir merken. Er passt nicht nur auf Burschen, sondern auch so einige Dinge im Leben. Vieles kann man nur als Mogelpackung beschreiben.«

»Du sagst es, Walli. Aber so ist es nun einmal, alles ist mehr Schein als Sein«, sagte Chris.

»Es kommen auch mal wieder andere Zeiten, Chris. Ich habe es oft erlebt, dass es hin und her geht. Man muss nur die Ruhe bewahren und nicht jeder Mode hinterherrennen. Sicher ist das in der Stadt schwieriger als auf dem Land. Hier bei uns in den Bergen, im schönen Waldkogel, ist die Welt noch in Ordnung. Meinst du nicht auch?«

»Oh doch, Walli, das kann man so sagen. Waldkogel ist etwas Besonderes. Ich bin gern hier. Ich habe lange in der Großstadt gewohnt und weiß das Leben hier zu schätzen. Alle Waldkogeler bilden eine große Familie.«

»So ist es, Chris. Deshalb kümmert man sich um den anderen. Das kann man als Einmischung auslegen. Aber ich sehe es nicht so. Dahinter steht einfach die Sorge, dass es allen gut gehen soll. Jeder stützt jeden, wie es in einer Familie ist. So bitte ich dich, auch meine Einmischung in deine Angelegenheit zu verstehen. Du hast hier keine Verwandte, keine Familie, die dich auffangen könnte. Da war gestern niemand da, der dir ­nahesteht, der dir sagte, Chris gut dass du dich nicht verletzt hast. Das ­andere das ist doch nur Blech. Ja, es ist ärgerlich, aber mache ­bitte kein Drama daraus. Das hat dir ­gefehlt. Deshalb sage ich das jetzt zu dir. Vergiss es, Chris! Es ist nur eine unbedeutende Kleinigkeit.«

»Ach Walli, du bist so lieb. Danke! Du hast völlig recht. Es tut richtig gut, sich mit dir zu unterhalten. Ein solches Gespräch habe ich lange nicht mehr geführt. Ich verstehe mich sehr gut mit Wolfi. Wir sprechen auch über vieles, was nicht zu den dienstlichen Belangen gehört. Ich werde auch oft zu ihm nach Hause eingeladen. Das ist immer sehr schön.«

»Aber sonst bist du allein. Und Wolfi ist ein Bursche. Mit Mannsbildern führt man andere Gespräche. Das will ich nicht abwerten. Sie sind eben anders. Das ist auch in einer Ehe so. Männer und Frauen sind verschieden und haben ihre Art, die Dinge zu sehen. Mein lieber Mann, Gott hab ihn selig, war herzensgut. Aber es gab Sachen, die machte ich mit mir allein aus. Ich wusste, dass es so besser war. Erst wenn ich für mich zu einem Ergebnis gekommen war, sagte ich es ihm. Manche Männer sind eifersüchtig auf die Freundinnen ihrer Frau, weil die oft zuerst etwas erfahren. Das ist Unsinn. Früher war es anders als heute. Die Männer gingen am Abend und am Sonntag ins Wirtshaus. Das war ihre Welt. Die Frauen trafen sich an diesen Abend reihum bei einer von ihnen. Jeder brachte sein Strickzeug mit. Dann wurde geredet. Man tauschte Erfahrungen aus und gab sich gegenseitig Ratschläge. Man sang zusammen. Es wurden Verabredungen getroffen. Die Frauen unterstützen sich gegenseitig bei größeren Arbeiten. Sie machten zusammen ein, backten gemeinsam Brot und so weiter. Das gibt es heute kaum noch.«

»Du meinst, es ist ein Stück Lebensqualität verlorengegangen«, bemerkte Chris.

»Verlorengegangen ist ein hartes Urteil. Sie wurde in den Hintergrund gedrängt. Aber ich beobachte in zunehmenden Maß, dass sich etwas ändert. Das ist sehr hoffnungsvoll. Das Pendel schlägt wieder in die andere Richtung aus«, sagte Walli.

Christ stützte den Ellenbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Hand. Sie blickte aus dem Fenster und schwieg. Walli sah ihr an, dass sie mit ihren Gedanken, weit fort war.

Walli wartete.

Hundegebell war zu hören.

»Oh Martin, wird mit Coco von seinem ausgedehnten Spaziergang zurück sein«, sagte Walli.

Sie stand auf und ging hinaus.

Die Boxerhündin sprang freudig kurz an Walli hoch. Dann spurtete sie ins Haus.

Martin lachte.

»Sie wird Durst haben. Wir haben unterwegs einige Hunde getroffen. Es war eine kleine Meute, die stundenlang herumtobte. Es war eine Freude, ihnen zuzusehen. Es waren zehn Hunde. Wir Hundehalter setzten uns zusammen für die Brotzeit. Es war richtig schön.«

»War jemand aus Waldkogel dabei?«, fragte Walli.

»Nein, es waren Touristen. Sie kannten sich alle und machten einen gemeinsamen Ausflug in die Berge.«

»Dann hattest du schöne Stunden, Martin. Das freut mich.«

»Ja, die hatte ich. Dein Rat, dass ich in die Natur gehen soll, war gut.«

»Ich gebe nur gute Ratschläge, Martin«, grinste Walli.

»Jetzt muss ich schnell nach Chris sehen«, sagte Martin.

Sofort zeigte sich Besorgnis auf seinem Gesicht.

»Chris geht es gut«, sagte Walli energisch. »Sie ist bei mir. Mach dich frisch! Ich komme später mit ihr rüber.«

Martin nickte und ging.

*

Ein Mitarbeiter des Hotels brachte Eric in Sebastians Büro. Es lag in einem Seitenflügel in der obersten Etage.

Sebastian holte Eric gleich einen Saft aus dem Kühlschrank. Eric stand am Fenster und schaute über München, während er auf dem Trinkstrohhalm herumkaute.

Sebastian sah es. Er wertete es als Ungeduld.

»Eric, es tut mir leid, ich habe noch zu tun. Es ist viel Post eingegangen, die ich mir persönlich ansehen muss.«

»Was ist das für Post?«, fragte Eric. »Sind es Rechnungen?«

Sebastian musste lachen.

»Nein, die Rechnungen werden sofort aussortiert. Darum kümmert sich die Buchhaltung. Sie prüft, ob sie korrekt sind, und dann werden die Anweisungen ausgestellt. Das Hotel ist sehr groß. Da kann ich nicht alles allein machen. Ich gehe bald mit dir durch alle Abteilungen, die es hinter den Kulissen gibt und erkläre dir alles. Du kannst mir alle Fragen stellen, die dir durch den Kopf gehen. Aber zuerst muss ich das hier fertigmachen.«

»Was ist das genau?«, wollte Eric wissen.

»Große Firmen buchen für Tagungen viele Zimmer, Konferenzräume und den großen Saal. Sie halten geschäftliche Besprechungen im großen Stil ab. Das bringt das meiste Geld. Wenn alles zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen ist, buchen sie gleich für das nächste Jahr. Es sind also sehr wichtige Kunden. Die Anfragen bearbeite ich selbst. Ich kann sie nicht an die Kundenbetreuung geben. Diese Firmen erwarten, dass ich als Inhaber mich persönlich darum kümmere. Anders ausgedrückt, sie wollen den Bauch gepinselt bekommen. Weißt du, was ich damit sagen will?«

»Ja, das heißt, du musst ihnen schöntun«, antwortete Eric.

»Ja, so kann man es ausdrücken. Es hat sich herumgesprochen, dass wir gut sind. Deshalb kommen jetzt immer mehr Anfragen. Oft sind die Termine schon belegt. Dann muss ich versuchen, sie zu einem anderen Termin zu überreden.«

»Das ist bestimmt ganz schön schwer«, bemerkte Eric.

Sebastian lächelte.

»Manchmal schon, Eric, das Hotel ist keine Berghütte. Wenn dort alle Kammern und der Hüttenboden belegt sind, bieten Toni und Anna Matratzenlager im Wirtsraum an oder die Gäste biwakieren auf dem Geröllfeld rund um die Berghütte. Schon als Bub habe ich von Toni viel gelernt. Er hat eine gute Art, wie er mit den Bergliebhabern umgeht. Okay, auf der Berghütte ist es einfacher. Echte Bergliebhaber kommt es weniger auf die Unterbringung an.«

»Walli hat mir erzählt, dass du eines Tages die Berghütte führen willst. Stimmt das? Warum willst du das machen?«

Sebastian lehnte sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück. Er lächelte.

»Weil das mein Traum ist. Jeder Mensch hat einen Traum. Es ist wichtig im Leben, an diesem Traum festzuhalten. Ich war als Kind auf der Berghütte sehr glücklich. Irgendwann entstand in meinem Herzen der Wunsch, später Hüttenwirt zu sein. Deshalb erlernte ich das Hotelfach. Ich dachte, es ist eine gute Vorbereitung. Danach besuchte ich die Hotelfachschule. Im Anschluss daran fing ich hier an zu arbeiten. Bald war ich Geschäftsführer und etwas später Direktor. Ich konnte das Hotel übernehmen, als der alte Gerber es loswerden wollte. Du wirst ihn später kennenlernen. Er ist ein sehr lieber alter Herr. Er ist oft hier und hat ein Auge auf alles, wenn ich nicht da bin. Außerdem stillt er so sein Heimweh.«

»Er hat Heimweh nach dem Hotel?«, fragte Eric erstaunt.

»Ja, das Hotel war seine Heimat. Vor ihm gehörte es seinem Vater und davor seinem Großvater. Seine Familie hat hier gewohnt, sogar auf dieser Etage. Er ist hier aufgewachsen. In diesem Hotel hat er seine Wurzeln, wie ich meine Wurzeln auf der Berghütte habe.«

»Ich habe jetzt meine Wurzeln in Waldkogel bei Martin und Katja und bei Walli und Coco«, sagte Eric.

»Das ist schön. Der Ort, an dem man seine Wurzeln fühlt, muss nicht der Ort sein, an dem man geboren ist, Eric. Es ist der Ort, für den das Herz schlägt, an dem man fühlt, dass man daheim ist. Daheim sein bedeutet, sich geborgen fühlen. Verstehst du?«

»Mm, es ist ein Ort der Liebe.«

»Das hast du schön gesagt Eric.«

»Der Satz ist nicht von mir. Den habe ich im Internat gelesen. Dort hängt er als Spruch an der Wand.«

»Das ist ein schöner Spruch, Eric. Er trifft es. So ist es mit der Berghütte. Deshalb werde ich in vielen Jahren dort leben und sie bewirtschaften, wenn alles so läuft, wie ich es mir erträume. So Gott will, wie man sagt«, sagte Sebastian.

Eric schaute wieder aus dem Fenster. Es war ihm anzusehen, dass er nachdachte.

»Dir geht etwas durch den Kopf, Eric«, sagte Sebastian. »Du weißt, du kannst mit mir über alles sprechen.«

»Ja, das weiß ich. Aber du musst arbeiten. Wir können später reden. Außerdem muss ich noch darüber nachdenken.«

»Weiß du was? Ich rufe in der Küche an. Peter wird uns ein schönes zweites Frühstück machen.«

Sebastian schaute auf die Uhr und griff zum Telefon. Er bat Peter in einer halben Stunde ein L-Frühstück heraufzuschicken, für Eric und ihn.

»Was ist ein L-Frühstück?«, fragte Eric.

Sebastian schmunzelte.

»Es gibt Abkürzungen in jedem Hotel. Ein L-F oder L-Frühstück ist ein Frühstück, das Gäste der Luxussuiten bekommen. Es wird zu ihnen gebracht und ist sehr üppig. Kurz, es ist für jeden Geschmack etwas dabei, es lässt keine Wünsche offen.«

Eric nickte. Er schaute wieder aus dem Fenster.

Sebastian widmete sich seiner Arbeit. Er schrieb Mails an Kunden und verschickte interne Nachrichten innerhalb des Hotels.

Er wurde pünktlich fertig. Es war genau in dem Augenblick, als Peter der Küchenchef den Servierwagen mit dem Frühstück in den Raum schob.

»Mei, das sieht richtig gut aus, Peter. Das ist anders als üblich«, sagte Sebastian. »Es ist ja noch reichlicher!«

»Du hast Eric zu Besuch. Da muss es schon etwas mehr sein. Eric, hier in der Schüssel mit dem Deckel ist Wackelpudding. Eine Fee hat mir zugeflüstert, dass du Wackelpudding liebst. Ist das so?«

»Ja, stimmt. Wer war die Fee?«, fragte Eric.

»Es war Sophie. Sie war mit dem kleinen Franz bei Katja und Walli zu Besuch. Walli war dabei, Wackelpudding zu kochen, damit du eine Freude hast, wenn du heute Abend heimkommst.«

»Vielleicht übernachte ich auch im Hotel. Sebastian hat gesagt, dass ich das kann.«

»Nun, dann kannst du Wallis Pudding morgen essen. Jedenfalls hat mich Sophie angerufen. So habe ich von deiner kulinarischen Vorliebe erfahren. Lass ihn dir schmecken! Mein Küchenteam hat sich besondere Mühe gegeben. Schließlich bist du ein VIP.«

Eric lachte laut.

»Okay, dann bin ich ein VIP. Aber eigentlich bin ich Sebastians Freund. Stimmt es, Sebastian?«

»Und ob wir Freunde sind, Eric! Das werden wir auch immer bleiben. So jetzt hauen wir rein. Für mich ist ein L-Frühstück auch etwas Besonderes. Meistens nehme ich mir im Personalraum nur einen Kaffee und mache mir ein belegtes Brot oder Brötchen.«

Peter verabschiedete sich.

Sebastian und Eric setzten sich.

Eric betrachte die Wurst und die Käseplatten. Es gab auch eine Platte mich Fisch. Dazu viele exotische Früchte. An den Griffen der Warmhaltekannen hingen silberne beschriftete Anhänger mit den Aufschriften: Bohnenkaffee, Malzkaffee, Schokolade, Wasser, Milch. In einer Teekiste lagen viele verschiedene Teesorten in Beuteln, schwarzer Tee, grüner Tee und Früchtetee. Es gab verschiedene Müslisorten und einen Glaskrug mit kalter Milch. Eric zählte acht verschiedene Marmeladen und fünf Honigsorten.

»Mei, davon kann man eine ganze Woche sattwerden, vielleicht noch länger«, murmelte Eric.

Er griff sofort nach dem Wackelpudding.

»Mm, der schmeckt gut«, raunte Eric mit vollem Mund.

»Das freut mich. Wenn du später die Hotelküche besichtigst, kannst du es Peter persönlich sagen«, bemerkte Sebastian.

Eric nickte. Er hatte sich gerade noch einen großen Löffel in den Mund geschoben. Sebastian sah es mit Freude, wie gut es ihm schmeckte. Er selbst nahm sich Kaffee, gekochtes Ei, Butterbrot, Joghurt und etwas Obst.

»Da bleibt viel übrig«, bemerkte Eric. »Das ist schade. Lebensmittel wegzuwerfen, ist Sünde, sagt Walli.«

»Keine Sorge, wir finden Abnehmer. Wir stellen den Servierwagen in den Flur. Die Mitarbeiter in den anderen Büros werden sich etwas holen«, erklärte Sebastian. »Ich garantiere dir, es wird nichts übrigbleiben.«

Sie aßen weiter.

Als sie fertig waren, fragte Sebastian:

»Wolltest du mich vorhin nicht etwas fragen?«

»Ich muss noch darüber nachdenken«, antwortete Eric.

Dann seufzte er.

»Okay, ich wollte im Auto nicht unhöflich sein. Du hast mich gefragt, ob ich in München noch irgendwo hinmöchte.«

»Das ist richtig«, antwortete Sebastian knapp.

»Darüber habe ich nachgedacht. Da ich in München bin, könnte ich …«, begann Eric und brach den Satz ab.

Sebastian tat, als hätte er es nicht mitbekommen. Er sprach über das selbstgemachte Joghurt. Denn er ahnte, was Eric hatte sagen wollen, es aber nicht über die Lippen brachte. Eric wollte sicher von seiner alten Wohnadresse sprechen. Wahrscheinlich scheute er sich. Es war möglicher Weise noch zu früh, sich der Vergangenheit zu stellen. Die Wunde über den Verlust der Eltern war noch zu frisch. Außerdem kannte Sebastian Eric inzwischen recht gut. Er war ein Bub, der immer eine Sache nach der anderen machte. Heute wollte er mit Manuela zum Friedhof gehen und das Grab seiner leiblichen Eltern besuchen. Damit konnte er ein offenes Kapitel abschließen. Sebastian hoffte, dass es Eric danach möglich sei, mit Martin und Katja über sein früheres Leben zu sprechen. Es war wichtig, darauf zu warten, bis er das von sich aus tat. Damals, nach dem Unfall ihrer leiblichen Eltern, hatte es lange gedauert, bis er und seine Schwester Franziska den Bichler Hof betreten konnten. Fast drei Jahre hatte es gedauert, bis sie soweit waren. Inzwischen hatten Toni und Anna als Vormund den Hof an die Meiningers verpachtet. Sebastian und Franziska hatten auf den Dorffesten in Waldkogel die Meiningers kennengelernt. Franziska hatte sich sofort mit Lukas angefreundet. Aus der Sympathie zwischen Kindern wurde später Liebe. Eines Tages würden Franziska und Lukas den Hof betreiben und dort glücklich sein. Alles im Leben braucht seine Zeit. Es stimmt, wie es in der Bibel steht, dass für alles eine rechte Zeit gibt. Das trifft besonders auf Gefühle zu. Sie lassen sich weder beschleunigen, noch beeinflussen. Wenn das Herz bereit ist, übernimmt es die Führung. Das hatte Sebastian oft im eigenen Leben erfahren.

Eric räusperte sich höflich und riss Sebastian aus seinen Gedanken.

»Hast du an die Mails gedacht?«, fragte Eric. »Ich habe Badesachen dabei. Du kannst ruhig noch arbeiten. Ich gehe schwimmen. Ich weiß, wo ich die Poolabteilung finde. Mit dem Aufzug ganz runter in den Keller. Unten muss man nur der Nase nach gehen. Wo ein Pool ist, riecht es immer ein bisserl nach Chlor.«

Sebastian schmunzelte.

»SPA, die Abteilung wird SPA genannt.«

»Klingt nach Spaß. Das gefällt mir«, sagte Eric.

»Das hat nichts mit Spaß zu tun, Eric. Die Bezeichnung geht auf einen Ort in Belgien zurück. Dort gibt es Mineralquellen. Die kleine Stadt mauserte sich zum Kurort. Ganz allmählich fand der Name Einzug in das Hotelgewerbe«, erklärte Sebastian.

Er seufzte leise.

»Tut mir leid, dass ich eben mit meinen Gedanken woanders war. Damit ist jetzt Schluss.«

Eric machte mit der Hand eine verzeihende Bewegung, die soviel bedeutete, wie vergiss es.